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Autor: Auer, Hans
In: Allgemeine Bauzeitung - 50 (1885); S. 19 - 27
 
Moderne Stylfragen
 
Der Begriff von »Styl« und »stylgemäss hat in den letzten Dezennien eine allgemein bekannte und anerkannte Definition erfahren. Doch gehen die Ansichten über die Nutzanwendung derselben sehr weit auseinander, so dass noch niemals eine solche Mannigfaltigkeit in den architektonischen Glaubensbekenntnissen geherrscht hat, wie eben jetzt. Die Ursache hievon liegt einerseits in der reichen Fülle des uns überlieferten historischen Materials, das jeder angehende Baukünstler mit aller Gewissenhaftigkeit sich aneignet - andererseits in der Schwierigkeit, mit Hülfe dieser Traditionen den mannigfachen modernen Lebensanschauungen einen adäquaten Kunstausdruck zu verleihen. Unser Jahrhundert gibt der gesammten Geistesbildung eine noch nie dagewesene Breite und Vielseitigkeit. Schon in den frühesten Eindrücken, welche durch Sagen, Dichtkunst und Literatur in den kindlichen Gemüthern hervorgerufen werden, durchweben sich unvermerkt Klassizismus und Romantik und gleichzeitig werden auch denselben die Gesetze der Sprach- und Naturlehre, die Geheimnisse von Physik, Chemie und Mathematik eingeprägt. Die verschiedenartigsten Anschauungen lösen einander unmittelbar ab; die eine wird von der anderen aufgehoben und keine darf zur besonderen Geltung gelangen. Auf solcher kaleidoskopischer Basis baut sich die höhere Schulbildung weiter. Es wird eine breite Grundlage geschaffen, aber keine bestimmte Richtung; dem Individuum bleibt die freie Wahl, wo es seine Ideale suchen, wohin es streben will, bis Neigung, Talent, Modeströmung oder irgend ein Zufall die Richtung dauernd bestimmen. Ist es da auffallend, wenn in derjenigen Kunst, die in erster Linie Kultur- und Geistesleben der Menschen zum Ausdrucke bringen soll, welche als ihre Schale gilt; wenn in der Baukunst die grösstmöglichsten Meinungsverschiedenheiten erscheinen; wenn die Einen die Zeiten des Perikles, die Andern das augusteische Zeitalter, Viele das 13. Jahrhundert, wieder Andere das 16. und Viele nun gar das 18. Jahrhundert als ihre Ideale, als mustergiltige Kunstepochen aufstellen? Und nicht minder mannigfaltig sind in unserer Zeit auch die Bedürfnisse und die Ansprüche, welche an die Bauthätigkeit gestellt werden. So wie der gesammte soziale Organismus sich mehr spezialisirt und komplizirt, so ergeben sich im gleichen Schritt damit auch für die Baukunst immer neue Aufgaben. Es gab keine Zeit, in welcher die Bauthätigkeit nach so verschiedener Seite hin und unter so ausserordentlich verschiedenen materiellen und technischen Bedingungen sich bethätigen musste, wie die heutige. An die auch den früheren Zeiten eigen gewesenen Gebäudegattungen reiht sich heute eine Unzahl neuer öffentlicher Bauten; für Handel und Verkehr, städtische und staatliche Verwaltung, Unterrichtszwecke, Museen, für geistige und körperliche Pflege u. s. f. und von Jahr zu Jahr vermehren sie sich um neue Spezialitäten. Zudem sind in jeder Kategorie auch die einzelnen Forderungen viel komplizirter und mannigfaltiger, namentlich durch die gesteigerten Ansprüche von Sitte und Comfort; und endlich - wie verschiedenartig und zahlreich sind nicht die technischen Mittel zur Bewältigung aller dieser neuen Forderungen? Vergegenwärtigt man sich alle diese Momente: die Breite und Vielseitigkeit der geistigen und künstlerischen Grundlage und auf der andern Seite die Mannigfaltigkeit der Inanspruchnahme der Architektur - so ist klar, dass heute, in dem Momente, wo die Baukunst noch darnach ringt, für alle diese neuen Probleme die richtigste Lösung zu finden, dass zur Erfüllung dieser weitgehenden Ansprüche nach jeder Seite hin  d i e  u n u m s c h r ä n k t e s t e  u n d  m ö g l i c h s t  v i e l s e i t i g e  B e h e r r s c h u n g  d e r  g e s a m m t e n  a r c h i t e k t o n i s c h e n  F o r m e n w e l t  a b s o l u t  n o t h w e n d i g  ist. Ein in sich zum Abschlusse gekommener Styl, wie irgend einer der vor der Renaissance geborenen, würde weder den geistigen noch den materiellen Forderungen unserer Zeit entsprechen können, - er muss die Grenzen der Tradition sprengen und sich nach allen Seiten strecken und dehnen. Es hat sich nun auch thatsächlich unter dem Drucke dieser Verhältnisse unvermerkt ein neuer, allgemein geübter Styl herausgebildet, der sich in seinen Grundzügen der Baukunst des Cinquecento anschliesst und den wir darum vorläufig die  m o d e r n e  R e n a i s s a n c e  oder allgemeiner die Baukunst des 19. Jahrhunderts nennen; ein Styl von solcher Vielseitigkeit und Brauchbarkeit nach jeder Seite hin, wie dies eben das unerschöpfliche Pensum beansprucht. Er beruht auf den einfachsten künstlerischen Prinzipien, er genügt jedem Raumerforderniss, er passt sich jeder Konstruktion an und gestattet jedem Materiale die unbeschränkteste Verwendung. Je nach den vorhandenen Mitteln kann er der grössten Sparsamkeit wie der üppigsten Opulenz entsprechen. Er lässt im Ausdruck und Vortrag jede Nuancirung zu, von der wuchtigsten Kraft bis zur grössten Feinheit, vom feierlichen Ernste bis zum heitern Kapriccio und gewährt dadurch der Charakteristik des Zweckes wie der künstlerischen Individualität den freiesten Spielraum. Jeder Tradition gegenüber hat der Künstler völlige Freiheit. Im Gegensatze zur Antike und zum Mittelalter, wo die Baumeister nur die hergebrachten überlieferten Formen benützen und im bescheidensten Maasse weiter bilden konnten, steht ihm heute unbedingtes und unumschränktes Verfügungsrecht über alle denkbaren Style und Konstruktionen zu. Die Verwendung aller verflossenen Stylformen, sowohl der antikrisirenden, wie der mittelalterlichen, ist in dem Wesen unserer modernen Renaissance inbegriffen; der Künstler kann endlich die Style nach ihrer Verwendbarkeit für den oder jenen Zweck sondern und kann die Charaktere der Style als solche bei seiner Komposition mit in Betracht ziehen. Unabhängig von allen Stylfragen, ist dieses die gemeinsame Charakteristik der Baukunst unseres Jahrhunderts. Diese Eigenart der modernen Architektur führt darum auch zu dem unserer Zeit eigenen  A u s d r u c k  d e r  I n d i v i d u a l i t ä t,  wonach die Künstler ihren Bauten einen bestimmten persönlichen Charakter aufprägen, indem sie, ihren Idealen entsprechend, sich einer gewissen höher entwickelten Kunstepoche anschliessen, sei es nun den Griechen oder den Römern; der byzantinischen, romanischen oder gothischen Bauweise oder irgend einer Spezialität der Renaissance. Das Zurückgreifen und Anlehnen an die früheren Style bezieht sich indessen nur auf die äusseren Formen, auf die äussere Hülle, auf die struktiven, dekorativen und ornamentalen Details, denn das moderne Leben macht so bestimmte Ansprüche, dass ihnen immer zunächst und unabhängig von allen Traditionen gehorcht werden muss. Die modernen Bedürfnisse stellen die Hauptdisposition, das Knochengerüst, den ganzen Organismus fest, das der Architekt dann mit der kunstvollen Hülle, in dem ihm passend scheinenden Faltenwurfe umkleidet und mit kostbarem Schmucke ziert. Alle modernen Bauten, in irgend einem der üblichen Style erbaut, lassen sich mit genau derselben Plan- und Raumdisposition in einen anderen Styl übersetzen, der sicherste Beweis, dass die modernen Styleigenthümlichkeiten nur in Aeusserlichkeiten liegen. Dass unsere Zeit in Bezug auf die Einzelform, auf die eigentliche Formensprache immer einen der verflossenen Style zu Hülfe rufen muss, hat einen inneren Grund. Während nämlich unser Jahrhundert dem Künstler stets neue Probleme stellt, in deren Lösung er ganz unerschöpflich ist - denken wir z. B. an die Theaterbauten, Museen, Versammlungssäle, Bahnhöfe u. s. f., - so bleibt unsere Zeit in der Produktivität des Details im Rückstande, das heisst sie kommt nicht über das hinaus, was die früheren Kunstepochen geschaffen. Denn diese verflossenen Jahrhunderte waren hierin glücklicher situirt. Wie schon erwähnt, lag ihre Beschränkung in ihrer Aufgabe. Sie hatten stets nahezu denselben Bau, dasselbe einfache Programm und konnten und mussten daher ihre künstlerische Produktivität auf das Einzelne verlegen, dessen Entwickelung sie gleichsam zum Abschluss brachten und erschöpften. Wir sehen zu allen Zeiten der Baugeschichte, wo es sich um stete Wiederholung desselben Typus mit geringen Variationen handelt - wie z. B. bei den Griechen, im frühen Mittelalter und in der Hochrenaissance - dass sich dort die Einzelform ausbildet, während diese stehen bleibt und versteinert, sich dem Ganzen unterordnet, wenn die Bauthätigkeit auf neue, grössere Gebiete übergeht, namentlich sich auf grosse öffentliche Bauten ausdehnt - wie solches z. B. bei den Römern und in der Spätrenaissance der Fall war. Die Aufgabe unserer Zeit liegt, wie erwähnt, in der Neubildung von Gesammt-Dispositionen: sie hat darum keine Muse, keine innere Anregung und auch keine rechte schöpferische Kraft zur Gestaltung neuer Detailformen, für welche sie daher an die früheren Kunstperioden hingewiesen ist. Die modernen Stylfragen drehen sich immer nur darum, welcher dieser verflossenen Style die nachahmungswürdigsten und entsprechendsten Motive für die künstlerische Darstellung unserer modernen Aufgaben aufzuweisen hat und wie diese Motive verwerthet werden sollen? Unsere heutige Baukunst beruht auf einer Erweiterung der architektonischen Prinzipien des 16. Jahrhunderts. Wir verhalten uns mit unseren neuen Zwecken und vermehrten Mitteln dem Cinquecento gegenüber, wie dieses zur Antike oder auch wie die römische Baukunst zur griechischen Kunstblüte. Sowie die griechischen Architekten, als sie ihre heimische Kunst in Rom zur Anwendung bringen mussten, oder wie die Meister der Renaissance, als sie die Antike wieder ausgruben - genau so stehen wir den alten Ueberlieferungen gegenüber mit einer unendlichen Fülle neuer Bedingungen, auf welche jene übertragen werden müssen. Diese Vorgänge geben uns den Fingerzeig, auf welche Weise alte Traditionen verwerthet worden: die Römer, wie die Meister der Renaissance, haben ihre Vorbilder dem Geiste der Zeit, den grösseren Absichten, den veränderten klimatischen Verhältnissen, ihrem Boden, ihren Materialien angepasst und untergeordnet, und einheitliche Werke geschaffen, in welchen die neuen praktischen und sozialen Anforderungen mit den höchsten künstlerischen Ansprüchen sich harmonisch ergänzten. Wie die griechische Antike die Grundlage der römischen Architektur ist und diese diejenige der Renaissance, so bildet auch heute noch die  g e s a m m t e  A n t i k e  den Ausgangspunkt alles architektonischen Wissens und Könnens, weil in ihr - abgesehen von allen Stylfragen, die Grundprinzipien der Baukunst überhaupt verkörpert sind - genau so, wie in den Schätzen der beiden alten Sprachen, in ihrer Literatur, die Lebensweisheit aller Zeiten aufgespeichert ist. Finden wir in den Werken der kunstbegnadigten Griechen die unübertroffene Naturwahrheit der Einzelform, die Schönheit der Proportionen, die Einfachheit und Klarheit des inneren Organismus, so ist dagegen bei den Römern die Grossartigkeit der Raumdisposition in ihrer natürlichen zweckdienlichen Anordnung, eine Konstruktion von nahezu absoluter Dauerhaftigkeit, in der die Erfahrungen von Jahrtausenden niedergelegt sind und endlich eine mustergültige dekorative Ausstattung von unerschöpflichem Reichthum zu bewundern. Die  g r i e c h i s c h e  A n t i k e  gibt uns überdies das Bild einer von aller doktrinären und akademischen Gesetzmässigkeit noch völlig freien Kunst, die im unmittelbaren Anschlusse an die Bedürfnisse und Mittel ihren höchsten Zweck sah. Wohl schuf Empirie und Tradition gewisse Gesetze und »Ordnungen«, aber ihre Grenzen waren so weit, dass die jeweiligen lokalen Bedingungen und die individuellen Anschauungen der Künstler sich frei bethätigen konnten, so zwar, dass nicht an zwei Bauten die Verhältnisse der einzelnen Theile zu einander dieselben sind. Es sei hier ein wenig bekanntes, ebenso schönes, als treffendes Wort  S e m p e r's  über die griechische Architektur angeführt:

»Die griechische Architektur wird in ihren Prinzipien nie sterben, weil sie auf der Natur begründet sind, eine allgemeine und absolute Wahrheit enthalten und zu uns in einer Sprache reden, die jederzeit und überall durch sich selbst verständlich ist, da sie die der Natur ist.«

Erst auf  r ö m i s c h e m  Boden, wo die griechische Kunstblüte ihre Früchte zeitigte, wurde sie in strengere Gesetze und engere Fesseln eingezwängt, wie dies immer der Fall ist, wenn die Baukunst an grössere Aufgaben herantritt. Das Einzelne wird untergeordnet, der Plan in Regel und Ordnung gebracht, und den ganzen reicher gestalteten Organismus durchzieht ein einheitlicher Gedanke und einheitliches System. Derselbe Vorgang wiederholt sich beim Uebergange vom frühen in's spätere Mittelalter, von der Hochrenaissance in die Spätrenaissance; eine gewisse Gebundenheit und Regel, Ordnung und Gesetzmässigkeit müssen wir daher im Gegensatze zur völligen Freiheit der griechischen Kunst als höhere Entwickelungsphase und nothwendig zur künstlerischen Bewältigung grösserer Aufgaben unbedingt anerkennen; - indessen darf diese Regelmässigkeit keine blos akademische sein, das heisst sie darf nicht so weit getrieben werden, dass sie mit dem Zwecke und den praktischen Anforderungen des Lebens in Widerspruch tritt. Nach dem Untergange der alten Welt übernahm das Christenthum ihre Traditionen und stellte sie sofort vor neue Probleme. Die  a l t c h r i s t l i c h e  Kunst und das  M i t t e l a l t e r  arbeiteten ununterbrochen, unter dem Drucke bescheidener Mittel und den dadurch gesteigerten technischen Kenntnissen, an neuen räumlichen Kombinationen, in deren romantischer Pracht der Gegensatz des Nordens zum Süden, die begeisterte Glaubensinnigkeit und Gemüthstiefe der Zeit, ihren vollen Ausdruck fanden. Bei der  R e n a i s s a n c e  amalgamirten sich diese neuen künstlerischen Errungenschaften der nordischen Schulen mit den wieder entdeckten antiken Formen zu einem neuen selbständigen Style, der mit dem herrlichsten dekorativen und ornamentalen Schmucke ausgestattet wurde, zu welchem die Antike noch die Vorbilder hergab. Während die goldene Zeit der  H o c h r e n a i s s a n c e,  die Werke eines Bramante, Rafael, S. Gallo und Peruzzi uns eine Fülle einzelner Lösungen und einzelner Motive, gleichsam einen Melodienreichthum von unvergänglicher Schönheit, bieten, erfasst die  S p ä t r e n a i s s a n c e  und die Barock-Architektur die ihr zukommenden grösseren Aufgaben von entschieden höherem und allgemeinerem Standpunkt, mehr mit Rücksicht auf die Gesammtanordnung, auf eine durchgreifende, einheitliche, künstlerische Behandlung der Massen und stellt jene  a r c h i t e k t o n i s c h e n  P r i n z i p i e n  a u f,  d i e  w i r  h e u t e  n o c h  a l s  g ü l t i g  a n e r k e n n e n  u n d  a u f  d e n e n  u n s e r e  m o d e r n e  B a u k u n s t  b e r u h t. Der Spätrenaissance gehört die strengere Regelmässigkeit der Grundrissdisposition, der Organismus in der Gruppirung der Massen, das Hervorheben der Haupträume, die Theilung des Planes und des Aufbaues in ein symmetrisch gegliedertes Risalit- und Pavillonsystem, die gewisse Abstufung der Stockwerke und Fenster. Die Spätrenaissance weckte den Sinn für die grossartige Anlage der Repräsentationsräume, der Treppen und Vestibule, für malerische und perspektivische Wirkung überhaupt, und endlich zwingt sie auch die Natur im nächsten Umkreise der Bauwerke unter architektonische Gesetze, einen allmäligen Uebergang vom Kunstwerke zum freien Felde bereitend. Unsere  m o d e r n e  B a u k u n s t  hat diese Tendenzen aufgenommen und noch weiter entwickelt. Sie geht noch entschiedener auf die Charakteristik des inneren Zweckes in der äusseren Erscheinung, auf Individualisirung der Massen, sie sucht noch bewusster die einzelnen Theile zu einander in günstige Proportionen zu setzen, so dass sie sich gegenseitig heben und unterstützen und die Wirkung des Ganzen erhöhen. Das Prinzip der Subordination unter das Ganze beherrscht alle Theile. Im Ausdrucke will unsere moderne Baukunst kräftiger und energischer sein als die Hochrenaissance, bewegter und reicher im Rhythmus und in der Gruppirung. Der grösste Bewunderer Bramante's könnte sich heute mit einer blosen Nachahmung der Cancelleria nach keiner Richtung begnügen. In der modernen Architektur soll auch im Aeusseren ein geschlossener, einheitlicher Organismus platzgreifen, nicht blos das Auge und das Gefühl, auch der Geist will dabei beschäftigt und erfreut sein. Ein grosser Zug soll das Ganze durchwehen. Unsere bedeutenden Stockwerkshöhen, die grosse Gesammthöhe der modernen Bauten führt auf die ebenfalls der Spätrenaissance angehörigen mehrere Geschosse verbindenden Säulen- und Pilasterordnungen, in Kombination mit kleineren Ordnungen, welche den Geschossen entsprechen. Fügen wir noch hinzu das architektonische Beiwerk: an den Wänden die Nischen, Medaillons und Tafeln, in den Friesen die Festons, über den Gesimsen Attiken mit Vasen, Figuren und Obelisken und darüber hochaufsteigende Dächer, Thürme und Kuppeln - so sehen wir in der  S p ä t r e n a i s s a n c e  d i e  R e s u l t i r e n d e  g e z o g e n  a u s  a l l e n  f r ü h e r e n  S t y l e n  u n d  i m  e n g s t e n  A n s c h l u s s e  d a r a n:  u n s e r  J a h r h u n d e r t. Dieser Zusammenhang der architektonischen Hauptcharaktere unserer Zeit mit der Barockzeit entspricht zugleich jener inneren geistigen Verbindung, welche zwischen den hervorragenden Vorkämpfern der Aufklärung, einem Prinzen Eugen, Leibnitz, Voltaire, Rousseau, Newton u. s. f. und unserer Zeit besteht. Ihre grossen Ideen hat unser Jahrhundert von den Schwächen geklärt, übernommen und darauf weiter gebaut. Dort finden wir die gemeinsame Basis aller unserer Anschauungen wie auch der modernen Baukunst, mag sie nun in ihrer Detailausbildung diesem oder jenem Style, der Antike oder der Gothik u. s. f. Angehören. Es zweifelt ja heute Niemand mehr daran, dass jeder Styl auf einem Vorgänger beruht, den er dann nach irgend einer Seite, gewöhnlich nach der praktischen, überholt. Dieses allgemeine Naturgesetz ist auch in der Baugeschichte längst ausser Frage. Indessen wird gewöhnlich übersehen, dass der Gang der Entwickelung nicht für alle Elemente des Styles derselbe ist. Wir stehen auch hier vor einer analogen Erscheinung, wie sie die Natur, wie sie jede organische Entwickelung zeigt, wo neben einer grossen, allgemein fortschreitenden, Bewegung immer die in kleineren Perioden stattfindenden Umwälzungen und Erneuerungen zur Erscheinung kommen. Im Weltenraume bewegen sich die Sonnen, Planeten und Monde in ihrer Bahn unaufhaltsam weiter, während sie sich in rascherem Tempo um sich selbst drehen; dieselbe doppelte Bewegung theilte sich auch allem Leben auf den Himmelskörpern mit, bis hinunter zur geringsten Bewegung: dem Fluge der Vögel und dem Laufe der Gewässer. So bewegt sich auch der grosse Zeiger der Uhr schneller und kehrt öfter wieder scheinbar auf denselben Punkt zurück, - nur scheinbar, weil indessen der kleine Zeiger, der das allgemeine Fortschreiten andeutet, ebenfalls vorgerückt ist. Genau dieselbe Erscheinung zeigt auch der Gang der Kultur, der Gang der Kunstentwickelung: die grossen, baulichen Hauptprinzipien der Raumdisposition, der Massengliederungen und der konstruktiven Erfahrungen gehen ihren regelmässigen Schritt mit der allgemeinen Entwickelung des menschlichen Geistes ungestört weiter, aber die Einzelform der Style, das Detail, das Dekorative wechselt rascher, unterwirft sich den jeweiligen lokalen Einflüssen und den temporären Anschauungen und geht von einem Extrem zum anderen. Wen wir daher in den wesentlichsten Grundzügen unserer Baukunst den Anschluss an die Spätrenaissance bestätigt finden, so bezieht sich dieser unmittelbare Zusammenhang nicht auf die architektonischen Einzelformen, nicht auf das Detail. Dieses hat seit jener Zeit manche Wandlung durchgemacht, und die weitest auseinander liegenden Gebiete durchlaufen, immer auf die Antike fussend, soweit es sich um Renaissance handelt, aber dieselbe in ganz verschiedener Weise auffassend. Mit der strengeren Gesetzmässigkeit, der die Baukunst noch im 16. Jahrhundert durch die vitruvianischen Theoretiker unterworfen wurde, kam ein steifer und kühler Formalismus in ihr Wesen, den sie auf die Dauer nicht ertragen konnte, so dass sie unverzüglich nach der entgegengesetzten Seite unbeschränkter Freiheit und Willkür umschlug, als so hervorragende Meister, wie Michelangelo und dann Boromini und Bernini ihr diesen Weg zeigten. Das trockene »Modul«-System, in welches die antiken Säulenordnungen und Gesimsgliederungen eingezwängt worden, das anfänglich nothwendig zu ihrem Studium gewesen - wurde nun ein überwundener Standpunkt, die alten Ordnungen bleiben nur noch als schematischer Rahmen, zwischen dem ein merkwürdig geartetes und gestaltetes neues Leben erblüht, in Formen, die nicht nur allen Traditionen, sondern auch allen Gesetzen der Natur und Vernunft aus dem Wege gehen. Diese neue Kunstströmung wird unterstützt von einer hochentwickelten Technik in Stein und Stuck, vor Allem aber durch den ganzen Charakter jener Zeit und erobert von Italien aus ganz Europa, um es beinahe zwei Jahrhunderte hindurch zu beherrschen.

(Schluss folgt)


Von Architekt Hans Auer
(Schluss)

Wie jeder Styl, so ist auch der Barockstyl ein getreues Bild seiner Zeit, und zwar einer Zeit der merkwürdigsten Widersprüche: einer Zeit voll grosser Anlagen und grosser Absichten, aber in ihrer Ausführung in Folge unzureichender Mittel und namentlich unter dem Drucke fortwährender Kriegszeiten verwildert, unwissend, abergläubisch und grausam bis zum Aeussersten. Neben beispiellosem Aufwande und pompösen Festlichkeiten in den obern Schichten der Gesellschaft finden wir die Folter, die Hexenprozesse und den Scheiterhaufen, dem über 100.000 Menschen zum Opfer gefallen; neben dem Dämmerlichte der Wissenschaften ihre Zerrbilder: Alchymie und Astrologie in hellem Glanze; und ein hohles Zeremonien- und Schnörkelwesen in der Literatur wie in den gesellschaftlichen Umgangsformen soll die innere Geistesarmuth und Immoralität verdecken. In mancher Beziehung erinnert diese Epoche an die spätere römische Kaiserzeit, an welche sie sich auch in ihrer Baukunst am nächsten anschliesst. In diesen dunkeln Zeiten fanden die Künste mit dem Glauben ihre Zuflucht in den Kirchen der Jesuiten. In diesen glänzenden Wunderwerken vereinigte sich phantastische Pracht mit virtuoser Technik. Alles war darauf berechnet, die Sinne der gläubigen Menge gefangen zu nehmen. Der überwältigende Effekt der grandiosen, lichterfüllten Räume wird erhöht durch übernatürliche Bewegungen und Wendungen, welche der Architektur aufgezwungen werden, gewundene Säulen und geschwungene Gesimse, durch eine Dekoration, welche Alles überwuchert, durch eine theatralisch aufgedonnerte Plastik und endlich durch einen in unseren Gegenden noch nie dagewesenen Aufwand von echtem und nachgeahmtem Marmor und Vergoldung. Von den Jesuitenkirchen ging der Styl über in die Profanbaukunst, Paläste und Wohngebäude in sein Bereich ziehend, die er unläugbar mit ausserordentlichem Geschicke und im vollsten Einklange mit den Ansprüchen der Zeit zu lösen verstand. Auch in Wien hat bekanntlich diese Stylweise zu den Zeiten Karls VI. eine Reihe von Monumentalbauten ersten Ranges geschaffen. Niemand wird den Monumenten jener Zeit ihren hohen künstlerischen Werth, ihre bedeutenden Vorzüge und Schönheiten absprechen wollen, namentlich nach derjenigen Seite hin, in welcher eben die Spätrenaissance und die Barocke exzellirten: in der Plananlage, den pompösen Vestibulen und Treppenhäusern, dem grossartig aufgebauten Facadensystem und in der lebendigen und reich ausgestatteten Gruppirung der Silhouette, so dass diese Bauten unzweifelhaft in der allgemeinen Entwickelungsgeschichte der Baukunst immer eine hervorragende Stelle einnehmen werden. Aber in den Einzelheiten ergänzt sich eben das Bild der Zeit: eine Ueberfülle phantasievoller Dekoration soll uns über den Mangel natürlicher Gesetzmässigkeit und schöner Proportionen, der Grundprinzipien der Architektur, hinwegtäuschen und unter den bizarren Bewegungen der Gesimse wird ihre nüchterne und gehaltlose Durchbildung versteckt. Der einzige Fischer von Erlach, der in Rom selbst studirt hatte, hält sich möglichst ferne von den krankhaften Fieberphantasieen jener Bau-Aera und ist geradezu ein Klassiker gegenüber den anderen italienischen und französischen Künstlern, ein leuchtendes Vorbild in jener Zeit, wo Bernini's Altar und Pozzo's und Bibbiena's Architekturwerke tonangebend wurden. Auch er macht dem Geschmacke seiner Zeit Konzessionen, aber in so bescheidener und künstlerisch zu rechtfertigender Weise, dass seine Eigenarten gerade genügen, um über seine Werke einen eigenen warmen Lokalton auszubreiten, den man ungerne missen würde. Wir haben die Charakteristik dieser Epoche etwas ausführlicher behandelt, weil dieser Styl merkwürdigerweise in Wien wieder modern geworden; nachdem er durch ein Jahrhundert von Künstlern und Gelehrten eine unverdiente Zurücksetzung erfahren, wird ihm jetzt - wie üblich - plötzlich wieder eine übertriebene Aufmerksamkeit entgegengebracht. Nicht blos talentvolle Architekten, denen es erlaubt und vergönnt sein muss, in das Einerlei von hunderten von Façaden, die jährlich gebaut werden, eine wohlthuende Abwechslung zu bringen und deren künstlerische Auffassung und Behandlung des Styls die Anomalie vergessen macht - auch weitere Kreise, sowohl nach der Seite der wissenschaftlichen Doktrin wie der handwerksmässigen Praxis, sind von der Strömung ergriffen und glauben in allem Ernste in den Kunstformen jener Zeit den passendsten Styl für unsere moderne Architektur gefunden zu haben. Es ist bedauerlich, dass eine Schrift, welche vor einigen Jahren in der Künstlerwelt einiges Aufsehen machte, weil sie mit ebensoviel Geist als Witz, mit ebensoviel Wahrheit als Phantasie für die Wiederaufnahme der Barock-Architektur eine Lanze einlegte, dass diese gerade nach derjenigen Seite hin verstanden und befolgt wird, die gewiss nicht gemeint war. Der ruhig fliessende Strom der Stylentwickelung, in der sich vereinzelte barocke Anwandlungen geltend gemacht, hat in Folge jener literarisch-historischen Sanktion plötzlich die Dämme überfluthet und in überschäumender Wallung zu jenen neuesten Extravaganzen geführt, die der Verfasser selbst nicht mehr billigen kann. Indessen bewährt sich auch hier das alte Wort, dass, wenn Zwei dasselbe machen, es doch ein Anderes wird, und gerade die Art und Weise,  w i e  dieser Styl nachgeahmt wird, beruhigt uns darüber, dass er, so rasch wie er gekommen, auch wieder verlöschen wird. Und wie es seinerzeit geschah und immer geschehen wird, so dürfte auch diesmal Tannhäuser seiner reizenden Hexe plötzlich wieder satt werden und bei allen ihren Bemühungen, ihn aufs Neue an sich zu fesseln, zeigt sie nur ihre längst abgegriffenen Reize. Unserem Tannhäuser wird die reine und keusche Elisabeth aufs Neue begehrenswerth erscheinen; er wird sich erinnern, wie siegreich er in ihrer Verbindung gewesen, er wird in ihr wieder sein Heil suchen und finden - und sie wird die erhaltene Lehre auch verstehen und beherzigen, ihre Strenge mildern, es lernen, nicht ennuyant zu sein und sich gegenwärtig halten, dass sie auch aus Fleisch und Blut besteht, dass sie auf Erden, dass sie hier in unserem Wien wandelt und sich danach zu benehmen hat. Es wurde darauf hingewiesen, dass gerade in Wien die Barock-Baukunst glänzende Triumphe gefeiert, dass sich in ihr das heitere, warm pulsirende Leben, der ungebundene fröhliche Charakter der Bewohner, ihre Freude an Pomp und Festlichkeiten ausdrücke: das ist gewiss richtig - aber ich meine, dass die Verfeinerung und Veredelung der Sitten und der Bildung, die Rückkehr zu natürlicher Einfachheit, welche seit den Zeiten der Stranitzky und Prehauser platzgegriffen, doch auch in den Einzelformen der Baukunst ihren Ausdruck finden, und dass auch die Architektur davon zeugen soll, dass seither ein Klopstock, ein Schiller und Goethe gelebt, und dass ihre Ideen und Werke, die Gegensätze jener Verschnörkelung, in dem Geiste unserer Zeit aufgegangen sind. Und dass in jener Zeit, als Europa nach dem Elend des dreissigjährigen Krieges, nach den Türken- und Sukzessionskriegen endlich einmal aufathmete, die lange vertriebenen Musen hier wieder eine Stätte fanden und eine lebhafte Bauthätigkeit platzgriff, dass gerade in dieser Epoche die Barock-Architektur auf der Tagesordnung stand, das scheint mir eine jener grossen zufälligen Fügungen der Weltordnung, wie es deren unendlich viele gibt, aus der man unmöglich den inneren untrennbaren und unauflöslichen Zusammenhang dieses Styles mit dem Lande und dem Volke für alle Zeiten abstrahiren darf. Es ist ja auffallend, dass, obwohl die Barock-Architektur ausserhalb Oesterreichs noch viel bedeutendere Werke geschaffen, also einen mindestens ebenso fruchtbaren Boden gefunden zu haben scheint, dass nirgends anderswo dies als Motiv aufgefasst wird, die Kunst der Zopfzeit heute dort wieder einzubürgern. Ueberhaupt steht unsere Zeit vor ganz anderen Aufgaben, als jene waren, welche der Barockstyl allerdings vortrefflich zu lösen verstand. Weder Paläste, noch jene verhältnissmässig schmalen und niedrigen städtischen Wohnhäuser mit ihren breiten Pfeilern und niederen Geschossen sind heute auf der Tagesordnung. Unser Zinshaus ist lange nicht mehr jenes des 17. und 18. Jahrhunderts. Man kann nicht umhin, dies mit einigem Bedauern auszusprechen; denn die Veränderungen, welche es in neuerer Zeit erfahren, gereichen nicht zu seinem Vortheile. Die Breite ist nicht diejenige eines Hauses, sondern die eines Palastes und die Höhe die eines Thurmes; für weitaus die meisten Strassen um wenigstens  e i n e  Etage zu hoch (weil es sich darum handelte, den Baugrund möglichst theuer zu machen), und aus diesen beiden heterogenen Koëffizienten setzt sich die sogenannte Miethkaserne zusammen, mit ihrer Unzahl von Fensteröffnungen. Zu diesem durch Uebereinkommen und Gesetz vorgeschriebenen Eigenthümlichkeiten unseres städtischen Wohnhauses hat sich nun in neuerer Zeit eine weitere zugesellt, welche durch den Kampf um's Dasein, durch Ansprüche des Geschäftslebens bedingt sind: die möglichste Durchbrechung und Auflösung des Parterregeschosses, um hohe und breite Oeffnungen für Magazins-Auslagen und Schaufenster zu gewinnen. Die kleineren und schmäleren Fenster der früheren Zeiten werden gewaltsam verbreitert, Pfeiler ausgebrochen und die oberen Mauern in die Luft gestellt. Diese grossen Oeffnungen werden durch ein Mezzanin getheilt, das ebenfalls als Schaufenster oder Magazin verwerthet wird. Der Bogen ist darum nicht beliebt, da er in seinen oberen Theilen zu wenig Licht durchlässt, der horizontale Sturz auf senkrechten Pfeilern ist die Regel. Diese wenigen Pfeiler, welche den oberen Theil der Façade tragen, müssen für das Auge mit allen Merkmalen der Kraft und Tragfähigkeit ausgestattet werden, mit Quadern, Buckeln und kräftigen Gliedern versehen sein, auf welche sich die oberen Stockwerke im Gegensatze dazu in möglichst leichter, durchbrochener Architektur erheben. Vergeblich wehrt sich der an die alten Bauweisen und soliden Konstruktionen gewöhnte künstlerische Sinn gegen diese eigenthümliche Forderung; die Zeit verlangt es und die modernen Hülfsmittel, das Eisen und das Glas, erlauben es. In allen modernen Kulturstätten zeigt sich dieselbe Erscheinung. Es wäre umsonst und unnütz, gegen diese Durchbrechung der Tradition anzukämpfen; im Gegentheile müssen solche Aufgaben klar in's Auge gefasst und von Zeit zu Zeit einfach die Grenzen des ästhetisch Zulässigen weiter gesteckt werden. Das ist nicht der Mode gehuldigt, sondern das heisst, die Aufgabe der Architektur verstehen und erfüllen, womit natürlich diese nothgedrungenen Lösungen nicht als absolute Ideale hingestellt sein wollen. Jedoch mit der Barock-Architektur liesse sich diese neue Forderung nicht vereinigen; hier kann sie nicht nachfolgen; sie ist in ihren Formen viel zu schwächlich, in ihren Proportionen zu eng; nur eine kräftige, an die breiten, wuchtigen Verhältnisse der römischen Antike anlehnende Renaissance kann diese Aufgabe glücklich bewältigen, wie dies hier und anderorts schon in tüchtigen Beispielen bewiesen ist. Unserer modernen Zeit kommt noch eine andere Aufgabe zu, welche der Barockzeit ebenfalls fremd geblieben: das  f r e i s t e h e n d e  F a m i l i e n h a u s.  Jener Styl, der für die Paläste und Schlösser, für grosse herrschaftliche Landsitze mit den herrlichsten Gartenanlagen, Kolonnaden und Lustpavillons ,die mannigfachsten und unbeschränktesten Mittel zu Gebote hatte, steht dem einfachen, bürgerlichen Wohnhause gerade so rathlos gegenüber, wie mancher bewährte Kanzel- und Kathederredner vor einem einfachen Hochzeitstoaste. Die wenigen Villen der Barockzeit sind Schlösser en miniature, ringsum geschlossene viereckige Bauten, nach zwei oder allen vier Seiten mit ganz symmetrischer regelmässiger Eintheilung, gerade abschliessendem Gesimse ohne jede äussere Gruppirung. Unsere moderne Villa, das ländliche Familienhaus, verlangt das gerade Gegentheil: Balkone, Erker, Terrassen, Loggien und Thürmchen, eine absichtliche Vermeidung der Symmetrie; es will von innen heraus geboren sein, malerisch und romantisch wirken; bescheidenere, für gewöhnliche häusliche Zwecke brauchbare Dimensionen haben: Alles solche Ansprüche, denen die Barocke nicht genügen kann. Wo sie es versucht, bleibt sie öde und nüchtern, weil ihre eigentliche Force dabei nicht in's Spiel kommt. So sehen wir diesen Styl in wichtigen Gebieten unserer bürgerlichen Baukunst fremd geworden und in die Monumental-Architektur dürfte er wohl kaum weiter eindringen, als er eben durch seine schon oben erwähnten allgemeinen künstlerischen Prinzipien hiezu berechtigt ist. Gewiss ist es richtig, dass derjenige Styl besondere Berücksichtigung und Beachtung durch alle Zeiten verdient, der einmal schon im Lande heimisch geworden ist und hier einen fruchtbaren Boden gefunden hat. Warum wenden sich aber unsere Blicke nicht jenen Monumenten der Hochrenaissance zu, deren Goldglanz ja auch über Oesterreich geleuchtet, den Werken der Zeit von Maximilian bis Rudolf II., einer Zeit, in welcher bekanntlich die Künste und das Kunstgewerbe im Lande und im Volke die sorgsamste Pflege gefunden haben, einer Zeit, die wie die unsrige nach Geistes- und Gewissensfreiheit rang und überall Licht und Klarheit zu verbreiten suchte und darum in  g e w i s s e n  Beziehungen mit unserem Jahrhundert geistig verwandt ist. Von den Werken jener Epoche ist leider während der Kriegsläufte Manches zu Grunde gegangen, aber es bestehen doch noch eine Reihe freilich wenig bekannter Zeugen des feinsten architektonischen Geschmackes von den karnischen Alpen bis zur Elbe, die ganze Donau hinauf bis in die Tiroler Berge: Schlösser, städtische Wohnhäuser und Villen mit Loggien, Bogenstellungen, Arkadenhöfen in schönster innerer Austsattung, die deutlich erkennen lassen, dass die Kunst damals wirklich nicht blos in den Händen der Vornehmen, sondern vorwiegend in jenen des Bürgerstandes gelegen war. Es ist keine Renaissance des deutschen Nordens, sondern spezifisch österreichisch, feiner, eleganter und bedeutend wärmer und freudiger, im Allgemeinen mehr von italienischem Gepräge. Und das Eine hat sie mit der deutschen Renaissance gemein, den Ausdruck der Unmittelbarkeit, des engen Anschlusses an die gegebenen Mittel und Zwecke. Sie liebt wie die deutsche Renaissance breite, behäbige Verhältnisse; sie ist kräftig; energisch und von unerschöpflicher Fülle der Motive - in Allem das gerade Gegentheil zur Barocke. Gewiss sind in diesen etwas früheren Werken österreichischer Kunst eher dankbare und werthvolle Motive der Anknüpfung speziell für den bürgerlichen Wohnhausbau zu finden, als in den späteren Zeiten der Barocke, die entschieden ein noch weniger nationales Gepräge hat. Indessen möge man nun an diese oder jene Stylrichtung anschliessen, an die Hoch- oder Spätrenaissance, so sollten ihre Schöpfungen nicht unmittelbar kopirt, sondern stets von den Eigenthümlichkeiten, Mängeln und Schlacken der Zeit gereinigt, missverstandene oder handwerksmässige Ausartungen im Sinne der modernen Kenntniss der reinen Style verbessert und veredelt werden. Denn die Reinheit der Form ist keine blose akademische Chimäre. Es gibt eben für jede Funktion, für jedes Heraustreten der Phantasie in die Wirklichkeit gewisse Formen, die in der Natur der Sache, der Stoffe und in unserer eigenen Natur so liegen, über die man nicht hinauskommt und zu denen man stets zurückkehrt. Die sogenannten reineren Formen sind diejenigen, welche künstlerische Ausdrucksweisen in ihrer natürlichsten, verständlichsten und schönsten Durchbildung geben. Jeder Styl hat eine solche Epoche der höchsten Vollkommenheit, zu der er aufsteigt und von der er niedergeht. Indessen höher als Reinheit der Form und Stylkorrektheit steht Schönheit: wenn dieses oder jenes Motiv, diese oder jene künstlerische Erscheinung dem Auge gefällt, wenn sich Sinn und Geist daran ergötzen und es sich harmonisch dem Ganzen einfügt - so gibt es keine Stylfrage, und die Achtung und Bewunderung der unparteiischen Mitwelt ist an keinen Styl gebunden, es sollte daher auch die Rechtfertigung unschöner und bizarrer Formen, welche sich darauf beruft, dass sie einem Style eigen sind, heute keine Entschuldigung mehr sein. Wenn in diesem Sinne die verschiedenen Phasen der Renaissance behandelt werden, dann wird einmal die Zeit kommen, in der die einzelnen Ströme der Renaissance wieder in Einen zusammenfliessen, in eine einheitliche gemeinsame Formensprache, in der aus jeder Richtung gerade das sich erhalten und dauernd gefestigt hat, was in jedem Gebiete brauchbar und lebensfähig ist. Es wird die Zeit kommen, wo man eine Form nicht mehr nach ihrer Provenienz examinirt, wenn sie nur den neuen gegebenen Forderungen, den Verhältnissen im Einzelnen und Allgemeinen sich anschmiegt und an sich schön ist. Aus dieser gemeinsamen Kunstsprache wird sich dann wieder absondern und spezialisiren, das was jedem Lande, jeder Gegend eigen angehört. In der Verwendung der Antike, in der Vermischung aller ihrer heterogenen Style ist man heute schon auf diesem Standpunkte - ja die Alten selbst scheuten sich nicht, einander Fremdes zusammenzubringen, - und so werden auch die Errungenschaften der vier Jahrhunderte der Renaissance nach und nach in ein Ganzes sich vereinen, aus dem der Künstler wie aus einer reichen Palette die Farben wählt, die ihm passen. Er ist dann noch freier von traditionellen Schranken, aber um so grösser und schwieriger wird seine Aufgabe, um so gewissenhafter und sorgfältiger muss er sein Auge und Gefühl üben. Indessen ist dieses Ziel noch ferne. Um es zu erreichen, müssen zuvor die baukünstlerischen Ansichten noch mehr geklärt und gesichtet sein. Vorläufig muss die Ueberzeugung platzgreifen, dass jener mächtige Strom der Renaissance, der im 15. Jahrhundert von Italien ausgegangen, noch nicht erschöpft ist, dass er sich überhaupt nicht erschöpfen lässt, weil er sich stets ergänzt und ihm stets neue Quellen zufliessen. Er ergänzt sich durch sein eigenes Prinzip, indem er erstens stets vor neue Aufgaben tritt, die er den gegebenen natürlichen Bedingungen entsprechend in idealer Weise auffasst und löst, immer näher, immer präziser den Zweck und den Inhalt des Werkes in seiner äusseren Erscheinung kundgebend, so dass das Werk immer mehr in allen seinen Theilen wie aus der Naturnothwendigkeit hervorgegangen erscheint, - er ergänzt sich ferner durch die immer vollkommenere und tiefere Kenntniss der Antike, deren innere Wahrheit, künstlerische Freiheit und Vielseitigkeit immer mehr zu unserem Bewusstsein gelangt, und durch deren Studium unser Geschmack und Gefühl immer mehr geläutert und geklärt wird - und endlich durch deren immer innigere und harmonischere Durchdringung mit unserer nordischen Romantik. Diese Führer waren es, welche der Baukunst zur Seite standen, als sie zur Einfachheit der Natur zurückzukehren strebend, ihre Wiedergeburt feierte und in ihnen findet sie heute noch, wie zu allen Zeiten ihre sicherste Direktive. Wenn unsere moderne Renaissance auf diese Angelpunkte sich stützt, bedarf sie nicht jener Zusätze von so zweifelhaftem und ephemerem Werthe, mittelst derer sie heute sich zu ergänzen und zu kräftigen sucht, die aber zur Verbesserung des Geschmackes nicht beitragen und sie nur in einen schon durchlaufenen Zirkel abermals zurückleiten. Suchen wir auf der geraden Linie zu möglichster Vollkommenheit, Schönheit und Naturwahrheit uns emporzuringen, unserer Zeit, dem Leben, dem Bedürfnisse den nicht zu verweigernden Tribut zu zollen, den Geschmack immer mehr zu heben, zu verfeinern und zu veredeln, - so wird dadurch unsere Baukunst der wahre Ausdruck unserer Zeit und somit stylgemäss sein.