DIESE von vornherein in deutscher
Sprache geschriebenen Vorträge wurden von mir im
Kunstgewerbe-Museum zu Zürich gehalten, während eines
Kurses im Entwerfen von Innenräumen, den ich daselbst auf
Einladung des Herrn Direktor Prof. Julius de Praetere im vorigen Jahre
veranstaltet habe.
H. P. Berlage
Time alters fashions. . . but
that which is founded on geometry and real science will remain
unalterable.
Dieses Motto wählte
der englische Möbeltischler Sheraton für seine
Sammlung Entwürfe, "the cabinet maker", welches Buch in der
Mitte des 18. Jahrhunderts herauskam. Man sollte meinen, dass ein
derartiges Motto für ein wissenschaftliches Werk, also
für ein technisch künstlerisches, bestimmt
wäre und nicht für ein solches über
Möbel. Trotzdem betrachte auch ich das Motto Sheratons als
richtig und wage es ebenfalls zu dem meinigen zu machen, gerade weil es
eine Betrachtung über Kunst und zwar über Baukunst
betrifft. Denn es gilt nicht, wie Sie vielleicht meinen
könnten, den eigentlich wissenschaftlichen Teil der Baukunst,
die Festigkeitslehre, sondern ihrer künstlerischen Teil, also
die Formgebung in ihrem ganzen Umfange. Ich bin nämlich zu der
Ueberzeugung gekommen, dass die Geometrie, also die mathematische
Wissenschaft, für die Bildung künstlerischer Formen
nicht nur von grossem Nutzen, sondern sogar von absoluter Notwendigkeit
ist. Schon in früher gehaltenen Vorträgen hatte ich
Gelegenheit zu erörtern, dass man nur über Prinzipien
streiten kann, dass aber der Streit über die Frage "ob
schön oder nicht schön", über die
nüchterne Schönfinderei, bekanntlich schon vonden
Römern als hoffnungs betrachtet wurde. Nun ist es zwar
selbstverständlich, dass bei irgend welcher Beurteilung der
individuelle Geschmack immer ein grosses Gewicht in die Schale werfen
wird oder wie Hegel es ausdrückt: "Es bleibt ewig der Fall,
dass jeder Mensch Kunstwerke oder Charaktere, Handlungen und
Begebenheiten nach dem Masse seiner Einsichten und seines
Gemüts auffasst; und da jede Geschmacksbildung nur auf das
Äussere und Dürftige ging, und ausserdem ihre
Vorschriften gleichfalls nur aus einem engen Kreise von Kunstwerken und
aus beschränkter Bildung des Verstandes und Gemüts
hernahm, so war ihre Sphäre ungenügend und
unfähig, das Innere und Wahre zu ergreifen, und den Blick
für das Auffassen desselben zu schärfen." Aber es ist
bis zu einem gewissen Grade sogar empörend, dass
Geschmacksäusserungen ohne irgend welche Motivierung gegeben
werden können, und dass das grösste Kunstwerk, mit
einem "es gefällt mir nicht" von einem jeden herunter gemacht
werden kann. Es sollte doch nicht erlaubt sein, dass ein Urteil vom
"man in the street" die gleiche Berechtigung hat, als dasjenige eines
Kunstverständigen, und dass schliesslich ein
Künstler, ohne irgend welchen Grund, vom nämlichen
Strassenbummler ausgeschimpft werden kann, einer Arbeit wegen, die
erhaben ist über allem Irdischen. Nein, so etwas sollte nicht
möglich sein - wir fügen aber sofort hinzu: "Das
braucht auch nicht der Fall zu sein." Denn sogar auf einem
höhern Plan, unter Künstlern selbst, sollten gewisse
Schönheitsdifferenzen auszugleichen sein, und es
dürfte nicht vorkommen, dass ohne entschiedene
Präzisierung der eine lobt, was der andere tadelt; es sollte
doch in letzter Instanz der Gegner zu dem Geständnis gezwungen
werden können: "Das Werk gefällt mir zwar nicht, aber
trotzdem muss ich gestehen, dass es
Schönheitsqualitäten besitzt, dass es mir sogar
imponiert; kurz und gut: ich erkenne darin das Werk eines
Künstlers." Geht man nun der Ursache
dieser Meinungsdifferenzen auf den Grund, dann kommt man zu der
Ueberzeugung, dass eine gewisse Uebereinstimmung in den meisten
Fällen nur dann möglich ist, wenn man nach dem "wie"
fragen kann; indem man also die Diskussion nicht zu führen
hätte über die Frage, wie ein Kunstwerk ohne weiteres
aussieht, sondern wie die Formen zu Stande gekommen sind. Es
würde schon viel gewonnen sein, wenn man dem Schimpfenden
zurufen könnte; "Nun ja, es mag dir gefallen oder nicht, aber
du solltest einmal studieren, wie das gemacht wurde, d. h. mit welcher
Konsequenz die Formen durchgeführt sind. Du sollst dir einmal
klar machen, mit welcher Logik der Aufbau sich aus dem Plan entwickelt
hat, und mit welchem Talent die betreffenden Baumassen damit in
Uebereinstimmung gebracht wurden. Aber nicht nur das, sondern du musst
gestehen, dass auch die Verhältnisse vorzüglich und
die Verzierungen mit grossem Verständnis angebracht und
geschmackvoll durchgeführt sind. Kurz und gut, du musst
zugeben, dass das ganze Bauwerk in allen seinen Teilen eine absolute
Einheit zeigt." Wenn von einem Kunstwerk, wie
auch sonst gestaltet, das gesagt und dazu der Beweis angeführt
werden kann, dann steht es über dem ordinären
Geschmack nicht nur, sondern ebenfalls über der
sachverständigen Beurteilung; d. h. man möge denn
für das Werk als solches keine Sympathie haben, aber tadeln
darf man es in dem Falle nicht. Und schliesslich sollte ein Kunstwerk
nur von diesem Gesichtswinkel aus beurteilt werden, und da der
"Strassenbummler" zu diesem Gesichtswinkel niemals kommt, ist es ihm
überhaupt nicht erlaubt, mitzureden. Denn das Schöne,
sagt Kant, soll dasjenige sein, was ohne Begriff, als ohne Kategorie
des Verstandes, als Objekt eines allgemeinen Wohlgefallens vorgestellt
wird. Um das Schöne zu würdigen, bedarf es eines
gebildeten Geistes; der Mensch, wie er geht und steht, hat kein Urteil
über das Schöne, indem dies Urteil auf allgemeine
Gültigkeit Anspruch macht. Nun soll aber die Frage
beantwortet werden, wie denn ein Kunstwerk gestaltet sein muss, damit
auch wirklich von einer Einheitlichkeit im obigen Sinne die Rede sei,
damit in ihm jene "Einheit in der Vielheit" herrsche, welche als
Endbedingung zu demjenigen vorhanden sein soll, was nichts anderes
bedeutet als "Stil". Dazu stelle ich sofort zum
Vergleich die Frage, was denn die Pflanze zu einem Kunstwerk macht, und
dadurch der uns umgebenden Natur jene unerschöpfte Bewunderung
verbürgt, und was schliesslich dem Universum die für
uns Menschen unverstandene Erhabenheit gibt? Denn was die kristallisierten,
schneegekrönten Felsenmassen uns so gewaltig erscheinen
lässt, sind nicht die Erscheinungen als solche, denn diese
können nur erregen, sondern es sind die Gesetze, denen das
ganze Weltall unterworfen ist, nach welchen es sich gestaltet hat und
sich fortwährend umgestalten muss, welche Gesetze uns vor
Ehrfurcht schaudern machen, schaudern vor der Einheitlichkeit, mit der
das Ganze organisiert ist und die die Unendlichkeit bis zu den
unsichtbaren Teilchen durchdringt. Schon Semper sagt in seiner
schönen "Prolyomena über den Stil" : "So wie
nämlich die Natur, bei ihrer unendlichen Fülle doch
in ihren Motiven höchst sparsam ist, wie sich eine stetige
Wiederholung in ihren Grundformen zeigt, wie aber diese nach den
Bedingungsstufen der Geschöpfe und nach ihren verschiedenen
Daseinsbedingungen tausendfach modifiziert, in Teilen verkürzt
oder verlängert, in Teilen ausgebildet, in andern nur
angedeutet erscheinen, wie die Natur ihre Entwickelungsgeschichte hat,
innerhalb welcher die alten Motive bei jeder Neugestaltung wieder
durchblicken, eben so liegen auch der Kunst nur wenige Normalformen und
Typen unter, die aus urältester Tradition stammen, in stetem
Wiederhervortreten dennoch eine unendliche Mannigfaltigkeit darbieten,
und gleich jenen Naturtypen ihre Geschichte haben, - nichts ist dabei
reine Willkür, sondern alles durch Umstände und
Verhältnisse bedingt." Es ist eben dieser letzte Satz
"nichts ist dabei reine Wilkür", welchen ich besonders
hervorheben möchte, und welcher darauf hindeutet, dass in der
Natur alles an feste Gesetze gebunden; dass zwar innerhalb dieser
Gesetze die Umstände alle möglichen
Veränderungen und Verhältnisse hervorrufen, dass aber
auch dieses nicht willkürlich, sondern nach denselben Gesetzen
vor sich geht. Sind nun schliesslich nicht allmählich alle
menschlichen, alle gesellschaftlichen Organisationen ebenfalls durch
Gesetze gebunden; d. h. haben die Menschen nicht das Bedürfnis
gefühlt, sich selber Gesetze zu schaffen, damit sie zu
Gesellschaften, Gemeinden, Städten wachsen könnten,
ohne welche Gesetze sie aber nichts erreicht haben würden,
indem nur durch Organisation die sonst isolierten Kräfte sich
zusammen finden, und nur dadurch im Stande sind, etwas Grosses, etwas
Einheitliches zu Stande zu bringen? Ich zögere nicht, zu
dieser Behauptung die bezügliche Parallele zu ziehen, zu
bezeugen, dass auch bei einem Kunstwerke nichts reine Willkür
sein darf, mithin das Ganze ebenfalls nach einem gewissen Gesetz
gestaltet sein soll. Und indem nun diese
Gestaltungsgesetze im ganzen Universum mathematischer Natur sind, soll
auch ein Kunstwerk in Uebereinstimmung damit nach mathematischen
Gesetzen gestaltet sein, d. h. was das Körperliche anbelangt,
nach stereometrischen, und was die Fläche anbelangt, nach
geometrischen. Denn sind nicht alle Himmelskörper Kugeln, die
vollkommenste stereometrische Form, welche Kugeln aber durch
Umstände zu Ellipsoiden wurden, zu Körpern, welche
dennoch eine rein stereometrische Form haben. Durchstreifen nicht alle
diese Himmelskörper in elliptischen d. h. geometrischen Bahnen
den unendlichen Raum, mit den Sternenzentren genau in den Brennpunkten
plaziert, indem ein physikalisches Gesetz eine solche Stelle fordert.
Und werden diese Bahnen nicht durch besondere Umstände
modifiziert, welche Umstände wiederum physikalischer Natur
sind? Entwickeln sich nicht alle Pflanzen und Blumen nach geometrischen
Gesetzen, so wie die Zergliederung der vegetabilischen Bildung durch
den Durchschnitt der Samenbehälter, die Form der
Blüten und Blätter, die Zwei-, Drei-, Vier- und
Mehrblätterigkeit der verschiedenen Pflanzen auf die
Kreisteilungsgesetze führt, aber mit tausendfachen
Abweichungen, durch Umstände bedingt; und ist es nicht eben
deswegen, dass wir gerade die Pflanzen für unsre ornamentale
Kunst zum Vorbild nehmen? Treffen wir nicht in der ganzen Tierwelt
Beispiele einer gesetzmässigen Entwickelung, mit festen
Verhältnissen; ja die niedrigen Tiere sogar in geometrischen
Figuren sich gestaltend, wie der Seestern und die Seerose, und gibt es
nicht auch Tiere, welche sogar ihre Häuser nach streng
geometrischen Formen bauen, wie viele Muscheltiere und Insekten? Wenn
man das alles bedenkt und das Weltall von einem solchen Standpunkt aus
betrachtet, wenn man also weiss, wie das Ganze, nach geometrischen
Gesetzen aufgebaut und gestaltet ist, und man sogar von Gott als des
Universums Baumeister spricht, alsdann sollte doch der Mensch nicht
meinen, es für seine Werke ohne Gesetze fertig bringen zu
können. Und das kann er auch nicht, weil jede Arbeit ohne
Organisation, ohne Methode niemals zu einem befriedigenden Resultat
führen kann. Und namentlich sollte man dies bei Werken der
Architektur bedenken, indem doch das Weltall selbst mit einem
architektonischen Gebilde verglichen werden kann. Ja, man kann sogar
noch weiter gehen und behaupten, dass die Symmetrie, welche in allen
Bildungen der Natur herrscht, auf gewisse ursprüngliche
Bildungsgesetze hinweist, welche mit den Gesetzen der Geometrie, mit
den geometrischen Grundformen der Vielecke, oder mit der Kreisteilung,
völlig zusammen treffen; und wenn die Geometrie ihre Figuren
"in abstracto" konstruiert, so finden wir in den wirklichen
Naturbildungen gleichsam eine lebendige Geometrie; eine lebendig freie
Schöpfung nach geometrischen Gesetzen. Dies geht aus der
Zergliederung wirklicher Naturbildungen, vorzugsweise der
Mineralbildung, hervor. Die Grundformen der Kristalle bestehen aus
Vielecken, und auch hier finden wir das Drei- und Viereck als
Primitivformen. So erscheinen als die Kernformen mancher Kristalle das
Tetraeder, das aus vier gleichen, gleichseitigen Dreiecken besteht, die
sechsseitige Säule, der aus sechs Quadraten bestehende
Würfel, die quadratische Säule, die aus
übereinander gesetzten Würfeln gebildet ist. Zugleich
finden wir unter den Kernformen der Kristalle gewisse Modifikationen,
die Enteckung und Entkantung, welche mit der Art der Grundformenbildung
des gotischen Stils, mit der Abplattung oder Wegnahme der Ecken und
Kanten, die auffallendste Aehnlichkeit haben. Auch darf nicht
unberührt bleiben die in der Natur vorkommende Verwachsung
zweier Kristalle mit einander, auf welche Erscheinung ich
später noch zurückkommen werde, welche Verwachsung
unseren Betrachtungen den grössten Wert verleiht, indem sie
ebenfalls zu Vergleichen führt. Aber auch bei der
Schöpfung seiner Kunstwerke, es möge wie ein Paradox
klingen, braucht der Mensch der Gesetze feste Führung; er hat
sie nötig, um zu etwas Vollkommenem gelangen zu
können. -
Betrachten wir nun die Sache etwas näher,
dann stellt sich heraus, dass unser Verlangen in dieser Richtung
gewissermassen als eine Reaktion gegen die herrschende Gesetzlosigkeit
zu betrachten ist; gegen die absolute Willkür in der Kunst,
eine Ansicht, welche bis jetzt als die einzig richtige, als die allein
künstlerische gegolten hat. "Die Kunst soll frei sein!" ist
die Meinung, welche als absolut unanfechtbar gilt; sofort wenn man ihr
Schrauben anlegt, ist es mit der Kunst fertig! -
Man fragt sich nun,
vorher diese Meinung kommt, und ob sie berechtigt ist. Diese Meinung, und es ist
nicht das erste Mal, dass das betont wird, kommt von den Malern oder
vielmehr von der Malerei her, von der, wie bekannt, bis jetzt noch so
ziemlich die Ansicht gilt, dass sie unter den bildenden
Künsten eigentlich die einzige Kunst sei; für die
Skulptur will man zuguterletzt noch diese Ansicht gelten lassen. Dass
aber die Architektur eine Kunst sei, ist eine übertriebene
Wertschätzung. Sie mag vielleicht
früher einmal eine Kunst gewesen sein, aber für
heutzutage ist sie das nicht mehr. Daher hat nun die Malerei, d.
h. die Staffelmalerei, als die einzige sogenannte freie Kunst, einen
solchen Einfluss erlangt, dass alle Künste gleichermassen
unter diesem Einfluss gelitten haben; ein Zustand, der schon von der
Renaissancezeit datiert. Das Wort "malerisch" ist ein Zauberwort
geworden in dem Sinne, dass jeder Schutthaufen auf einen
Künstler und auch auf das irregeführte Publikum eine
grössere Anziehungskraft auszuüben pflegt, als ein
architektonisches Gebilde, und sei es noch so erhaben; und ein Bildchen
mit einer Kuh neben einem Bächlein auf eine höhere
Sympathie rechnen kann, als etwa die Wandmalereien eines Giotto oder
eines Michelangelo. Diese Wertschätzung hat die freie Kunst,
die gesetzlose Malerei, auf ihrem Gewissen. Und wie gesagt, es kamen
die Skulptur und die Architektur auch dermassen unter diesen Einfluss,
dass Bildhauer und Architekten in malerischer Richtung zu arbeiten
anfingen. Die Skulptur machte malerische Gruppen, und die Architektur
malerische Gebäude, je nach dem persönlichen d. h.
absolut willkürlichen Geschmack des betreffenden
Künstlers. Man verstehe mich gut; nicht das Malerische als
solches soll bestritten werden, denn unter einem höheren
Gesichtspunkt der Wertschätzung sind ein griechischer Tempel
und ein gotischer Dom ebenfalls malerisch, sondern die Auffassung des
malerisch Gefälligen, durch die Landschaftsmalerei entstanden,
wie ja diese Spezialisierung ebenfalls erst von der Renaissancezeit
herrührt. Und namentlich für
die Architektur kam bei dieser Ansicht die allerschlimmste Zeit. -
Denn
von dem Moment an, wo sie den Weg des rein Willkürlichen
betritt, ist es um sie geschehen. Abgesehen noch von der schon
erwähnten Tatsache, dass die Architekten malerisch zu bauen
anfingen, eine Art, welche sich durch alle möglichen
überflüssigen Umbauten, Türmchen, Erkerchen
und lieblichen Eckchen auszeichnet, fingen sie nebenbei an, Wert auf
malerische Zeichnungen zu legen, wobei dann das eigentlich
Architektonische in den Hintergrund gedrängt wurde. -
Ihre
Entwurfzeichnungen, die doch schliesslich nur Mittel und nicht Zweck
sind, mussten wie Gemälde aussehen, und die perspektivischen
Zeichnungen erst recht; eine Ansicht, welche noch dermassen
vorherrscht, dass sie vergangenen Sommer auf dem Architektenkongress in
Londen noch von einem deutschen Architekten verteidigt wurde. Als man
sich nämlich beklagte, dass bei Architekturausstellungen die
Säle leer blieben, und nach Mitteln gesucht wurde, dem
Publikum mehr Verständnis für Architektur
beizubringen, gab der betreffende Architekt den Rat, noch
schönere Zeichnungen zu machen. Ich habe diesen Standpunkt
bestritten, indem man m. E. alsdann erst recht auf verkehrte Wege
geraten würde. Das Publikum würde in dem Fall nicht
hingehen, um die Architektur verstehen zu lernen, sondern der
Gemälde wegen; und in der Absicht, ein Gemälde zu
geben, dafür ist eine architektonische Zeichnung nicht
geschaffen, so schön sie auch gezeichnet sein mag. Denn eine
solche Zeichnung kann mit einem Gemälde ja doch nicht
konkurrieren, und das soll sie auch nicht. Das wäre so
ungefähr dasselbe, als wenn man das Publikum zu einer
Ausstellung von musikalischen Kompositionen einladen und versuchen
wollte, die Notenschrift so schön wie möglich
herzustellen. Nein, wenn das Publikum eine architektonische Zeichnung
nicht versteht und nicht gefällig findet, was man nebenbei
ganz gut begreifen kan, soll es wegbleiben. Erst wenn es am
Gebäude selbst, d. h. am eigentlichen Kunstwerke die
Architektur zu verstehen gelernt hat – wie die Musik bei
Aufführung einer Symphonie und nicht aus der Notenschrift -
kommt es vielleicht nachher dazu, sich auch die Entwurfzeichnungen mit
Verständnis anzusehen, sowie es einem Kenner Genuss
verschafft, die Partitur eines Musikstückes durchzulesen. Und
wieviel Unheil schliesslich die malerischen Architekturzeichnungen
schon gestiftet haben, beweisen noch täglich Konkurrenzen,
wobei sogar die auserwählten Preisrichter sich durch
schöne Zeichnungen verführen lassen und Preise
ausreichen, welche den weniger "flott", d. h. weniger malerisch
gezeichneten, aber architektonisch mehrwertigen Projekten hatten
zukommen sollen. Also von dem Moment an, wo die
Architektur das Gebiet der sogenannten freien Kunst betrat, war es mit
ihr aus. Diese Behauptung klingt wie ein Paradox, und nach den
allgemein geltenden Begriffen über Kunst,
unkünstlerisch: die Kunst, so heisst es, soll mit Gesetzen
nichts zu tun haben; nur das Gefühl allein soll herrschen und
die Formen diktieren. Trotzdem kann man ruhig dazu die Gegenbehauptung
aufstellen, dass die Kunst nicht nur einem Gesetz untergeordnet sein
soll, sondern in dem Fall sogar zu einer höhern Aeusserung
gelangt. Und das gilt nicht nur für die Architektur, bei der
man eher zu dieser Ansicht geneigt sein dürfte, weil sie,
ihrem Wesen nach, mit der Wissenschaft zusammen hängt, sondern
es gilt ebenfalls für die beiden Schwesterkünste, die
Skulptur und Malerei, deren Gestaltungen ebenso wenig nach reiner
Willkür geschaffen, sondern ebenfalls gewissen Gesetzen
unterworfen sein sollten, und zwar um eine höhere Aeusserung
möglich zu machen. Hegel sagt: "Die Kunst aber, weit entfernt
die höchste Form des Geistes zu sein, erhält in der
Wissenschaft erst ihre echte Bewährung. -
Ihre wahre Aufgabe
ist, die höchsten Interessen des Geistes zum Bewusstsein zu
bringen. Hieraus ergibt sich sogleich nach der Seite des Inhalts, dass
die schöne Kunst nicht nur könne in wilder
Fessellosigkeit der Phantasie umherschweifen; denn diese geistigen
Interessen setzen ihr für ihren Inhalt bestimmte Haltepunkte
fest, mögen die Formen und Gestaltungen auch noch so
mannigfaltig und unerschöpflich sein. Das Gleiche gilt
für die Formen selbst. Auch sie sind nicht dem blossen Zufall
anheim gegeben. Nicht jede Gestaltung ist fähig der Ausdruck
und die Darstellung jener Interessen zu sein, sie in sich aufzunehmen
und wieder zu geben, sondern durch einen bestimmten Inhalt ist auch die
ihm angemessene Form bestimmt." Man bemerkt schon, dass diesen
Betrachtungen zufolge innerhalb einer Architekturkomposition, nach
dieser Auffassung für das Staffeleibild, also für das
Gemälde, wie wir es kennen, kein Platz ist; d.h. dass es nur
unter den günstigsten Umständen, in einer solchen
Gesamtkomposition geduldet werden kann. Staffeleibild und Salonfigur
haben sich allmählich der künstlerischen Gemeinschaft
entzogen. Wenn sie wieder aufgenommen werden wollen, werden sie sich
den Gesetzen der Gemeinschaft unterwerfen müssen; und wenn das
nicht freiwillig geht, dann soll's mit Zwang geschehen. Aber geschehen
muss es; denn das ist das einzige Mittel, wieder zu einer
höheren Baukunst, d.h. zu einem Stil zu geraten, da es in
letzter Instanz ein Stil ist, den wir wieder erreichen wollen, und ein
solcher ohne Gesetz nicht gedacht werden kann. Wie heisst nun das Gesetz,
oder die Gesetze, welche der Kunst zu Grunde gelegt werden
müssen? In einem Vortrag "Gedanken über Stil",
welchen ich in einigen deutschen Städten hielt, habe ich
versucht klar zu legen, dass jene Eigenschaft, durch die sich die alten
Monumente, man nehme sie aus irgend welcher Stilperiode, von den
heutigen unterscheiden, die "Ruhe" sei; dass diese Ruhe wieder eine
Folge von Stil und dieser Stil wiederum eine Folge sei von "Ordnung"
d.h. von einer gewissen methodischen Entwurfskunst. Der
bezügliche Satz lautet: "Wie gelangen wir nun wieder zu einer
"Einheit in der Vielheit", zu dieser allgemein bekannten Eigenschaft
des Begriffs Stil?" -
Es ist kein Rezept dazu da, das auf einmal wieder
neu entdeckt werden und darauf Genesung bringen könnte. -
Nein, es führt ein langer Weg von Kunstexperimenten erst zum
Ziel. Man studiere die Natur im
allgemeinen, in dem Sinne wie ich es oben meinte, also, wie ich Ihnen
schon sagte, ihren Gesetzen nach, und im besondern, also in unserm
Falle, die alten Monumente, nicht um sie zu imitieren, oder von ihnen
detaillierte Motive abzunehmen, (darauf werde ich noch näher
zurückkommen), sondern um jene Elemente in ihnen aufzusuchen,
die ihnen Stil gegeben haben. -
Und fällt dabei nicht sofort
auf, dass das Urprinzip des Stils "Ordnung" ist, d.h. Regelmass, sogar
dort, wo sie scheinbar nicht vorhanden ist, ja sogar dort, wo es nicht
sogenannte akademische Pläne gibt, wo wir also nichts mit
Symmetrie im gewöhnlichen Sinne des Worts zu tun haben? -
Es
ist kein Zufall, dass wir von klassischen Ordnungen reden, oder dass
sogar in einzelnen Sprachen Befehl und Ordnung ein und dasselbe Wort
sind. So wie in der Natur Ordnung herrscht, indem sie nach festen
Gesetzen arbeitet, eben so gut sehen wir eine gewisse Ordnung in den
alten Monumenten. Unsere Architektur sollte daher auch wieder nach
einer gewissen Ordnung bestimmt werden. Wäre demnach das
Entwerfen nach einem gewissen geometrischen System nicht ein grosser
Schritt vorwärts? Eine Methode, nach welcher viele der
modernen niederländischen Architekten schon arbeiten? Das was ich in jenem Vortrag
nicht näher erörtern konnte, hoffe ich jetzt zu tun.
Um jedoch jedem Misverständnis sofort vorzubeugen, soll
folgendes beachtet werden. Diese Methode, welche eine geometrische
Grundlage zu jedem Entwurf voraussetzt, soll
selbstverständlich nur Mittel und nicht Zweck sein; die
künstlerische Idee gehe ihr voran. Denn man kommt doch immer
wieder darauf zurück, was Eitelberger von Edelberg in seinen
gesammelten kunsthistorischen Schriften sagt: dass wahre Kunst sich
nicht machen lässt nach Regeln, weder in der Musik, noch in
der Poesie, noch in der Architektur; aber, heisst es am Schluss, sie
setzt ein Erkennen der grossen einfachen Gesetze voraus. Nun denn; es
sind diese einfachen Gesetze, welche die Formen kontrollieren, und
namentlich die Verhältnisse näher bestimmen sollen,
welche sonst unkontrollierbar, d. h. nur individuelle Geschmackssache,
und daher absolut willkürlich sind. Diese Gesetze sollen dem
absoluten Schwanken, zwischen dem "so oder so" so viel wie
möglich vorbeugen und endlich einmal ein bestimmtes Wissen an
die Stelle des ewigen Zweifels setzen. Denn warum soll die bildende
Kunst nicht dasselbe tun, was in der Musik und Poesie als
selbstverständlich gilt? Kann man sich eine
musikalische Komposition ohne bestimmte Tonart und Takt, ein Gedicht
ohne Silbenverhältnisse und Strophenrhythmik vorstellen? Warum soll die Architektur,
jene Kunst, welche so oft mit der Musik verglichen wird, eine Tatsache,
die Schlegel zu dem bekannten Ausdruck "gefrorene Musik"
geführt hat, ohne rhythmische d. h. geometrische Gesetze
komponiert werden? Ist doch der Rhythmus ein Gesetz, eine Ordnung der
Zeitfolge, wie Lemke sagt, und könnte man demzufolge nicht
noch weiter gehen und sogar behaupten, dass absolut
willkürlich komponierte Architektur keine Architektur sei?
Eine Ansicht, welche näher bestätigt wird durch
Reichensperchers Ausspruch, in der Einleitung zu dem Büchlein
von Roriczer über die filiale Gerechtigkeit, dass "der Gedanke
eines jeden wahren Kunstwerkes, seinem letzten Grunde nach, wesentlich
mathematischer Natur, seine obersten Gesetze die Gesetze der Mathematik
sind." Wird die
künstlerische Idee dadurch eingeschraubt, angekettet? Ebenso
wenig, wie die musikalische Idee durch die Tonart eingeschraubt wird
oder die poetische durch die rhythmische Uebertragung. Im Gegenteil,
diese Form ist eine charakteristische, eine conditio sine qua non. Sie ist eine
Schönheitsbedingung, ohne welche das Tonwerk kein Tonwerk, das
Gedicht kein Gedicht wäre. Ist nun die Folgerung gewagt, dass
ein Architekturwerk ohne eine solche Rhythmik eben so wenig ein
Architekturwerk sei? Das Schönste von
allem ist aber die Tatsache, dass dieses Verlangen nach einer
architektonischen Rhythmik nichts Neues bedeutet. Ich erwähnte in dem
nämlichen Vortrag, dass jenes System mit dem Modull der
klassischen Kunst einerseits, und mit dem mittelalterlichen
Dreiecksystem andererseits zu vergleichen ist. Da haben wir's; was bei
den Alten ebenfalls selbstverständlich war, das haben wir, wie
denn in der Architektur alles verschwunden ist, was an ihre
frühere Herrlichkeit erinnert, gänzlich verloren,
nämlich Stilarchitektur zu treiben. Denn wie machen wir's,
wenn wir noch historisch arbeiten? Dann kopieren wir gedankenlos die
alten Formen, und mit ihnen auch die bezüglichen
Verhältnisse; wenn wir einen klassischen Portikus vor ein
Gebäude setzen, holen wir uns wieder einmal den Vitruv hervor,
um unsre Modull- und Parteserinnerungen noch einmal aufzufrischen; aber
wir beschränken uns, was diese Verhältnisse
anbelangt, auf den Portikus, indem wir für die
übrigen Gebäudeteile keine Vorlagen haben; oder, wenn
wir einen Paladianischen Bau herstellen, sind wir durch die
Säulenverhältnisse auch an die
Stockwerkhöhen gebunden und kopieren die für uns
nicht mehr lebendigen Formen mit den zwar bekannten Säulen-
und Gesimsverhältnissen, aber wir arbeiten, was die
Fassadenteile des Gebäudes betrifft, ganz
willkürlich, indem wir dafür keine Normen haben. Die Griechen haben schon, als
etwas Selbstredendes, ihre Tempelbauten nach einer festgesetzten Norm
aufgeführt, und letztere verdanken unzweifelhaft diesen Normen
ihre wunderbare Schönheit und ihren Stil. Wir wissen durch
Vitruv, dass die griechischen Tempel nach allgemeinen Gesetzen des
Modull zusammengestellt waren, und dass dieses Verhältnis nach
der Bestimmung des Gebäudes variiert, indem für
Tempelgebäude, als Gotteshäuser, nicht, bei profanen
Gebäuden aber der menschliche Mastab als Grund genommen wurde.
Es haben sogar Alberti, Barbaro, Blondel, Brisena, u. a. behauptet,
dass die Gebäude der Griechen und Römer nach
harmonischen Verhältnissen aufgebaut waren.
"L'Idée, sagt Charles Chipiez, d'établir un
parallèle entre la musique et l'architecture est
séduisante. Juste quand la comparaison ne dépasse
pas de certaines limites, cette idée devient fausse
dès qu'elle tend à persuader que les proportions
des sons et celles des formes ont des lois identiques. Cette
théorie à conduit d'ailleurs à des
résultats surprenants; on a découvert dans les
trois principales dimensions du Parthenon "le grand accord
composé de l'unisson (la hauteur); de la double tierce (la
largeur) et de la double quinte (la longueur) et ainsi de suite pour
toutes les autres proportions de ce temple." Das alles wissen wir nun
ganz genau, ja sogar schon aus der Bibel, dass die Arche Noahs 6 mal
länger als breit war, und dass Höhe und Breite sich
verhielten wie 1 : 5, und dass die Masse der Gegenstände im
Salomonischen Tempel ein einfaches Verhältnis hatten. Und wenn
man als junger Student anfängt, Architektur zu studieren, ist
das Studieren der Säulenordnungen auch das allererste; aber
auch in dem Sinne das allerletzte, als man weiterhin von
möglichen gesetzmässigen Verhältnissen
nichts mehr zu hören bekommt. Mit dieser sehr unvollkommenen
Kenntnis soll man auskommen; unvollkommen: denn nun erfährt
man, dass die Hauptverhältnisse der griechischen Tempel sich
in einfachen Zahlen ausdrücken liessen, wie denn einfache
Verhältnisse immer einen grossen Reiz auf den Menschen
ausüben. Ein solches einfaches Verhältnis nannten die
Griechen Symmetrie. Schon bei Aristoteles findet man, dass die Griechen
unter Symmetrie das einfache, und dadurch leicht ins Auge fallende
gegenseitige Massverhältnis der verschiedenen Teile eines
Gegenstandes begriffen; und Vitruv versteht unter Symmetrie die
Zahlenzusammenstellungen, welche die
Höhenverhältnisse, die Gesimsdispositionen, ihr
gegenseitiges Verhältnis u. s. w. bestimmen, während
wir heutzutage unter Symmetrie etwas ganz anderes verstehen. Fergusson
schreibt über die griechische Architektur in seiner "History
of Architecture" folgendes: "The system of definite Proportion, which
the Greeks employed in the design of their temples, was a cause of the
effect they produce even on uneducated minds. It was not with them
merely, that the height was equal to the width, or the length about
twice the breadth; but every part was proportioned to all those parts,
with which it was related, in some such ratio as 1 : 6, 2 : 7, 3 : 8, 4
: 9 or 5 : 10 etc. We do not quite understand the process of reasoning,
by which the Greeks arrived at the laws, which guided their practice in
this respect; but they evidently attached the utmost importance to it,
and when the ratio was determined upon, they set it out with such
accuracy, that even now the calculated and the measured dimensions,
seldom vary beyond such minute fraction, as can only be expressed in
hundredths of an inch. Though the existence of such a
system or ratio, has long been suspected, it is only recently, that any
measurements of Greek temples have been made with sufficient accuracy,
to enable the matter to be properly investigated, and their existence
proved, the ratios are in same instances so recondite and the
correlation of the parts at first sight, so apparently remote, that
many would be inclined to believe, they were more fanciful than real.
It would, however, be as reasonable in a person with no ear, or no
musical education, to object the enjoyement of a complicated concerted
piece of music, experienced by those differently situated, or to
declare that the pain musicians feel from a false note, was mere
affection. The eyes of the Greeks were as perfectly educated as our
ears. They could appreciate harmonies, wich are lost in us, and were
offended at false quantities, which our duller senses fail to perceive.
But in spite of ourselves, we do feel the beauty of these harmonic
relations, though we hardly know why; and if educated to them, we might
acquire what might almost be considered as a new sense. But be this as
it may, there can be no doubt, but that a great deal of the beauty
which all feel in contemplating the architectural production of the
Greeks, arise from causes, such as these, which we are only now be
going to appreciate." Ganz oberflächlich
wird nun die Existenz solcher griechischen Hauptverhältnisse
angedeutet; das übrige soll man aus den Vorlagen selber
ersehen. Aber auf die grosse Wichtigkeit dieses ganzen Modullsystems
als solches, eventuell für die ganze Baukunst, wird nicht
hingedeutet, und von einer eventuellen weiteren Entwickelung, ist
natürlich gar nicht die Rede. Man betrachtete diese
Wissenschaft als gänzlich verloren, und wenn man noch
vielleicht eine Ahnung davon hatte, wurde doch kein weiterer Wert
darauf gelegt. Jedoch "gar leichtiglich verlieren sich die
Künste, aber schwerlich und durch lange Zeit, werden sie
wieder erfunden" bemerkt schon Dürer in seiner Vorrede zu der
im Jahre 1525 in Nürnberg gedruckten "Unterweisung der
Messung, mit dem Zirkel und Richtscheydt, in Linien ebnen und ganzen
Corporen." Und so wird es auch jetzt
wieder gehen, denn eine solche Kunst hat nicht nur im klassischen
Altertum gelebt, und demzufolge auch in der Renaissance, obgleich sie
daselbst nicht in dem Masse Verwendung gefunden; nein, auch in der
mittelalterlichen Kunst soll ein vollkommenes, geometrisches System als
Grundlage zu den architekturalen Kompositionen gegolten haben. Ich sage
soll, denn von allgemeiner Bekanntheit scheint das nicht zu sein,
obgleich in letzter Zeit eifrige Versuche in dieser Richtung gemacht
wurden, um das sogenannte "Hüttengeheimnis" zu entdecken. Denn
es ist kaum denkbar, dass jene Kunst, welche in ihrem ganzen Wesen eine
geometrische Gestaltung zeigt, d. h. welche in ihren architektonischen
Formen und Verzierungen so deutlich den Zirkel und das Richtscheit zu
erkennen gibt, in ihren Verhältnissen willkürlich und
nicht ebenfalls nach festen Regeln bestimmt worden wäre. Gehen wir noch früher
zurück als zur griechischen Kunst, zur ägyptischen,
so ist uns zwar davon nicht viel bekannt, aber es ist nicht gewagt, aus
den grossen mathematischen Kenntnissen des ägyptischen Volkes
und aus dem Charakter ihrer Kunst den Schluss zu ziehen, dass zur
Bildung der letzteren die Geometrie jedenfalls nicht fremd gewesen. Untersuchungen haben
nachgewiesen, dass das ägyptische Dreieck, also der
Pyramidenschnitt mit dem Verhältnis von 8 Basislängen
zu 5 Höhenlängen, nach einer ganzen
"archäologischen Schule" sogar "der Schlüssel aller
Verhältnisse, das Geheimnis aller wirklichen Baukunst" sein
soll. Man meint ebenfalls, in
einzelnen Pyramidenbauten, den Goldenen Schnitt, nämlich als
Verhältnis der halben Basis zur Hypothenuse, nachgewiesen zu
haben. Zwar reden Müller und
Matties in ihrem archäologischen Wörterbuch von
diesen Sachen als von einem für Kunst und Architektur oft
"sehr ernst empfohlenen Blödsinn", aber bei Pythagoras spielt
dieser Schnitt eine grosse Rolle, und Kepler hat ihn sogar mit einem
Edelstein verglichen. Wie dem auch sei: die neueren Untersuchungen
führen zu dem Schluss, dass eine Absicht hinter den
Verhältnissen dieser gewaltigen Monumente wie der
ägyptischen Pyramiden stecken muss, und diese Meinung wird
verstärkt dadurch, dass in der Königskammer der
Cheops-Pyramide das Osiris, Isis und Horus geweihte Dreieck mit dem
Verhältnis 3 : 4 : 5, also dasjenige des Pythagoras,
zurückgefunden wurde. Und Dr. Petri schreibt: "The
most probable theory of its construction of Cheops is, that it was of
such an angle that the height was the radious of a circle, equal to the
circuit of the base. This is so exactly the case that it can hardly be
questioned." Und auch die Untersuchungen
von persischen Monumenten, u. a. von Dieulafoy, brachten einige
interessante Ergebnisse zu Tage. Er schreibt über eine
Kuppelkonstruktion "Quelle ne fut pas ma surprise, en constatant que
les rayons de courbure, la position des centres, en un mot, tout le
tracé de l'anse de panier, dérivait de l'employ
du triangle rectangle, si fameux dans l'antiquité
égyptienne, dans lequel les côtes sont entre eux
comme les nombres 3 . 4 . 5." Dieses Dreieck, also nicht das
eigentlich ägyptische, kann bei vielen persischen
Kuppelkonstruktionen nachgewiesen werden. Es scheint mir nun von
Interesse, von diesen verschiedenen Verhältnissystemen
Kenntnis zu nehmen, und indem das griechische Modull-System als von
allgemeiner Bekanntheit vorausgesetzt werden darf, das mittelalterliche
aber so wie das der Ägypter und Perser nicht, so will ich von
letztern Ihnen einige Beispiele vorführen: Wie ich schon
hervorhob und es nicht genug wiederholt werden kann, bedeutet eine
solche geometrische Grundlage nur Mittel, nicht Zweck. Da wir aber
wissen, dass die Griechen sich eines solchen bedient haben, wird man
wohl nicht mehr den Mut haben, es als unkünstlerisch
vorzustellen und eventuell dessen Benutzung zu verwerfen. Nur mache man
sich recht klar, dass die geometrische Grundlage allein noch nicht den
Künstler macht, weil die künstlerische Idee durch die
Geometrie nicht gezeugt wird. Nichtkünstler können
mit jenem System nichts, Künstler mit ihm alles machen, in der
Voraussetzung, dass sie das Mittel beherrschen und nicht dessen Sklave
werden. Es ist wie eine Waffe in Händen von Kindern und
Erwachsenen; im ersten Fall ist es eine Gefahr; im zweiten eine
höhere Leistungsfähigkeit. Verschiedene Studien der
mittelalterlichen Architektur haben gezeigt, dass die Baumeister der
romanischen und gotischen Dome die Mathematik und zwar die Geometrie
zur Bestimmung der Verhältnisse zu Hülfe genommen,
anfangs für die Lösung ihrer Grundrisse,
später auch für die Bestimmung der Aufrisse, und dass
dabei das Dreieck und das Quadrat eine Hauptrolle gespielt haben. Das Hüttengeheimnis
vom gerechten Steinmetzengrund von Dr. von Drach, Professor an der
Universität zu Marburg, berichtet darüber folgendes: Aus zwei Schriften von G.
Dehio, Professor der Kunstgeschichte an der Universität zu
Strassburg, "Untersuchungen über das gleichseitige Dreieck als
Norm gotischer Bauproportionen", Stuttgart 1894 und "Ein
Proportionsgesetz der antiken Baukunst und sein Nachleben im
Mittelalter und in der Renaissancezeit", Strassburg 1895, sind diese
Zeugnisse aus alter Zeit für die damals in Uebung gewesene
Triangulation zu erwähnen. Aus ihnen geht hervor, dass etwas
an der Sache ist, d. h. dass im Mittelalter der Triangel
tatsächlich als Norm für die Proportionierung gedient
hat. Ferner erläutert
Cesare Cesariano, der Verfasser der Vitruvübersetzung (Como
1521), den Begriff der "Orthographia" an dem Beispiel einer Grundriss-
und Querschnittzeichnung des Mailänder Domes, wobei er
ausführt, dass sie nach der "deutschen" d. i. gotischen Regel
trianguliert seien. Allein Cesarianos Angaben sind bekanntlich von der
jüngern Generation der Kunst- und Bauforscher
einmütig verworfen worden. Man hielt sich durch den
herrschenden Begriff der künstlerischen Freiheit dazu
verpflichtet, indem man also argumentierte: "Ein echtes Kunstwerk kann
ohne Freiheit nicht geschaffen werden; die gotischen Kirchen sind echte
Kunstwerke, folglich können sie nicht trianguliert sein, und
folglich ist auch die Angabe Cesarianos unglaubwürdig oder
mindestens ohne allgemeine Bedeutung." Diese unglaublich
oberflächliche und ohnehin noch auf den Kopf gestellte
Beurteilung, ebenfalls wie ich schon hervorhob, durch die allgemein
herrschende Meinung über die sogenannte Freiheit in der Kunst
hervorgerufen, wurde aber trotzdem durch ein 1875 erschienenes
vollkommen authentisches Dokument von bedeutend höherem Alter
zuschanden gemacht. Gleich im Anfangsstadium des
Mailänder Dombaues entstand nämlich zwischen den
einheimischen Architekten und den aus Deutschland berufenen ein
heftiger Streit. Unter den Sachverständigen, deren
Superarbitrium man einholte, befand sich der Piacentiner Gabriel
Stornaloco, "expertus in arte geometriae". Von diesem rührt
die beistehend in verkleinertem Facsimile (nach Beltramie)
wiedergegebene Zeichnung her, mit dem Datum 1391. Das erste Geschoss
ist nach dem Schema des Kölner Doms proportioniert, d.i. drei
neben einander gestellte, gleichseitige Dreiecke bestimmen einerseits
die Gesamtbreite der fünf Schiffe, andererseits die
Höhe der ersten Kämpferline. Die weitere Entwickelung
erfolgt nach einer anderen Idee als in Köln, aber immer streng
triangulatorisch. Inwieweit die wirkliche Ausführung dem
Schema Stornalocos entspricht, vermag ich, da mir eine
zuverlässige Querschnittaufnahme nicht zur Hand ist, nicht zu
sagen. Das zweite Dokument ist
ebenfalls unanfechtbar. Es ist ein auf den Bau von S. Petronio in
Bologna bezüglicher, im Jahre 1592 als Kupferstich
veröffentlichter Riss. Der Bau von S. Petronio, in den ersten
Vorbereitungen 1388 begonnen, und bestimmt, die grösste
gotische Kirche nicht nur Italiens, sondern der Welt zu werden, war im
Laufe des 15. Jahrhunderts in Stockung gekommen; gegen Ende des 16.
entschied man sich, nach den zahlreichen Projekten, die für
den Ausbau umsonst aufgestellt waren, für die Vollendung, wenn
auch in verkürzter Gestalt. Ausser dem Querschiff und Chor,
die definitiv aufgegeben wurden, fehlten noch die Hochwände
und Gewölbe des Mittelschiffs. Hierüber entspann sich
ein unter leidenschaftlicher Teilnahme der Bevölkerung
geführter Streit. Die eine Partei verlangte, dass die
ursprünglich beabsichtigte, der "deutschen" d.i. gotischen
Regel des gleichseitigen Dreiecks, entsprechende Höhe
beibehalten werde; die andere, an deren Spitze der leitende Architekt
Perribilia, wollte, teils aus dem bekannten Hass der
Renaissancekünstler gegen den gotischen Stil als solchen,
teils aus wirklich stichhaltigen Gründen die Gewölbe
niedriger haben, und diese blieb, wenn auch mit einigen
Zugeständnissen, Sieger. Auf unserem Kupferstich nun gibt ein
nicht näher bekannter Architekt, Siriano Ambrosino, eine
Parallele, wie er in der Beischrift ausführt, zwischen den
neuen und den trianguliert gewesenen Gewölben. Ausserdem enthält die
Beischrift die Behauptung, alle alten Teile seien trianguliert gewesen. Leider liefern die drei
Nachrichten, als schon der Zeit des Niederganges angehörig,
nicht den Beweis, dass in Deutschland zur Blütezeit der Gotik
eben dieselben Regeln der Triangulation gegolten haben; sie lassen uns
darüber im Unklaren, wann und wie die Methode erfunden oder
entstanden sei. Nehmen wir nun die
verschiedenen Untersuchungen zusammen, dann ergibt sich daraus, dass
die sogenannte Triangulation warscheinlich aus
Zweckmässigkeitsrücksichten zunächst in der
Praxis benutzt worden sein mag, ohne jegliche Gedanken an ihre
ästhetische Wirkung, die daher erst später entdeckt
worden ist. Diese Triangulation ergibt
sich sofort aus dem einfachen praktischen Verfahren, eine Senkrechte
auf fixe Gerade zu errichten, also einen rechten Winkel zu konstruieren. Aus des Meisters Lorenz
Lachers, der Pfalz Baumeister und Pixenmeister, im Jahre 1516
für seinen Sohn Moritz niedergeschriebenen "Unterweisungen und
Lehrungen, sein Handwerk desto besser und künstlicher zu
vollbringen" kennen wir das im späten Mittelalter, bei der
sogenannten Orientierung übliche Verfahren, durch die einfache
Konstruktion eines rechten Winkels. Auf Grund einer solchen
Voraussetzung ergibt sich aber die prinzipielle Idee zur Verwendung von
(gleichseitigen) Dreiecken als Normen für die Disposition der
Kirchen-Grundrisse auf einfache und natürliche Weise. Aus
einem gleichseitigen Dreieck ergibt sich aber, dass das
Verhältnis der Höhe zur Basis eine inkommensurabele
Zahl ist, nämlich bestimmt durch V 3. Zeigt sich daher, wie
das so oft konstatiert werden kann, dass in einem Bau zu einander
senkrechte Dimensionen, die mit der bei seiner Konstruktion zu Grunde
gelegten Masseinheit nicht ganzzahlig gemessen werden können,
oder wenigstens in einem einfachen Verhältnis zu einander
stehen, so weist dies sofort darauf hin, dass ihre Proportionierung
nicht auf arithmetischer Grundlage erfolgt ist, und das hätte
doch auf der Hand gelegen; sondern, dass man geometrisch konstruierend
dabei vorgegangen ist, möglicherweise triangulatorisch, d. h.
mit Anwendung von gleichseitigen Dreiecken. Aus diesem Vorgang kann man
auch die vielen Abweichungen erklären, die man an
mittelalterlichen Bauten zu konstatieren vermag. Aus der Zusammenstellung
zweier Dreiecke ergibt sich das sogenannte Pythagoräische
Hexagramm, und aus der Konstruktion der Höhenlinien in einem
Dreieck und der Verbindung ihrer Fünfpunkte die eigentliche
Triangulation, indem alle Punkte dieser Figur für die
Konstrukion brauchbar sind.
Die bei weitem wichtigste
Anwendung des gleichseitigen Dreiecks für die mittelalterliche
Architektur bestand aber in der Herstellung von triangulierten
Rechtecken. Neben dem Triangel kommt als
bedeutendste Figur das Quadrat in Betracht, und daher neben der
Triangulation die Quadratur. In der einfachen Form, d. h.
bei dem Gebrauch des Quadrats und der Verbindung der Seitenmittelpunkte
entstehen zwei Reihen konzentrischer Quadrate, welche aber jedesmal die
halbe Grösse haben und daher für den Gebrauch keinen
Erfolg bieten. Die Quadratur gewinnt erst an Bedeutung, wenn dabei auch
die Schwenkung vorgenommen wird, so dass zwei gleichgrosse Quadrate zum
Achtort verbunden sind. Aber auch hierbei ist es nicht der Umstand,
dass jetzt die beiden oben genannten Teilungen sich zu einer Skala als
geometrische Progression mit dem Exponenten 1 : V2 vereinigen, sondern
es liegt die Bedeutung darin, dass sich ein langgestrecktes
gleichschenkliges Dreieck bildet, auf welches sich eine sogen. : 4 Triangulatur gründen lässt. Dieses Dreieck kam in
Deutschland zuerst in Strassburg zur Verwendung, in dem fast
ausschliesslich in Frankreich verwendeten, herübergekommenen
gotischen Stil. In diesem Dreieck lässt sich nun ebenfalls
durch Verbindung der Fusspunkte der Höhenlinien ein Schema
einer : 4 Triangulatur-Figur
konstruieren, aus welchem man ahnt, dass darin ein Hülfsmittel
zu Bauproportionen gegeben ist; und in dieser Figur verhalten sich
diese Proportionen ebenfalls wie 1 : V2. Ehe Triangulation und
Quadratur systematisch ausgebildet waren, sind hie und da auch andere
Konstruktionsmethoden nachweisbar, aber der sogenannte goldene Schnitt
ist nirgends verwandt gefunden. Zu näherer Erklärung
will ich nun einige Beispiele anführen, an welchen die
Triangulation studiert und nachweisbar gefunden wurde. Das älteste Beispiel,
und zwar einer der ältesten mittelalterlichen Bauten, ist die
sogenannte Einhard-Basilika zu Steinbach im Odenwald aus dem Anfang des
9. Jahrhunderts. Sie ist ein getreues Abbild der altchristlichen
Basilikenbauten Italiens, aber keine geistlose Kopie danach: aus dem
Grundriss ist das gleichseitige Dreiecksystem zu entnehmen. Es lässt sich dabei
noch nicht nachweisen, dass eine feste Regel, sowohl für
Innenräume als auch für Aussenwände, zur
Anwendung gelangte. Einen zweiten Beweis aus dem 9. Jahrhundert, dass
die damaligen Baumeister tatsächlich trianguliert haben,
bietet der noch im Original erhaltene Bauplan für das Kloster
St. Gallen. Dohme, in seiner Geschichte
der deutschen Baukunst, sagt: "An Stelle der Steine redet ein
Pergament, einzig in seiner Art; der Bauplan, welcher dem Abt Gozbert
von St. Gallen von einem bauverständigen, auswärtigen
Freunde (die Unterstellung, dass Einhard dieser Berater gewesen sei,
ist längst aufgegeben) um das Jahr 820 zugesandt wurde." Und etwas weiter: "Zeichnet
man dem nach den Massen regelrecht konstruierten Plan verschiedene
gleichseitige Dreiecke ein, so lässt ein Blick sofort
erkennen, dass der Schöpfer des Plans von St. Gallen ebenso
wie Einhard mit der Triangulierung sehr wohl vertraut war." Ein Beispiel der sog:
: 4 Triangulation geben die St. Michaelskirche
zu Fulda, sowie das Octogon des Münsters zu Aachen und die
Kirche zu Ottmarsheim. Auch im Aufbau der ersten zeigt sich
Triangulation. Ein Beispiel von
gleichzeitiger Benutzung der Triangulation und Quadratur, und zwar
einer : 4 Quadratur, lässt
sich bei der Kirche des Klosters Breitenau nachweisen. Die Stiftskirche zu
Königslutter hat sogar eine Durchführung in der
Fassade, die beweist, dass, noch ehe der Uebergang zur Quadratur und
der : 4 Triangulatur sich vollzog
(in der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts), das : 4 Dreieck, mit den durch fortgesetztes
Höhenziehen darin sich ergebenden Schnittpunkten auf der
Mittellinie und den Teilungen auf den Schenkeln, erkannt und benutzt
worden ist. Zu dem Schluss berechtigt
ausserdem eine am Aufriss der Ostseite dieser Kirche
ausgeführte
: 4 Triangulatur. Die Klosterkirche zu
Lippoldsberg ist ein Beweis, dass die Methode, mit gleichseitigen
Dreiecken zu arbeiten, nach und nach verlassen und die : 4 Triangulatur verwendet wurde. Der erste bedeutende Bau, der
bezüglich der Triangulierung seiner Turmfassade eine
Prüfung gestattet, ist die Stiftskirche St. Peter zu Fritzlar. Sie erweist sich nach diesen
Untersuchungen, sowohl bezüglich der Breitenmasse als auch in
den vertikalen Abmessungen als ein Produkt einfacher geometrischer
Konstruktionen, denen dieselbe Strecke zum Ausgang gedient hat.
Dass man, bevor eine in dieser
Art prinzipiell einheitliche Durchführung gelang,
zunächst nur den Versuch gemacht haben wird, in den Aufrissen
des Kirchenäussern an einzelnen Stellen Triangulierung zu
benützen, ist selbstverständlich. Jedoch beweist der Dom von
Paderborn, dass auch schon vor dem Fritzlarer Bau die Architekten
bestrebt gewesen sind, in ihren Entwürfen noch einen Schritt
weiter zu gehen wie da, indem sie nicht nur durchweg ein und dieselbe
Konstruktionsmethode benutzten, sondern den ganzen Aufriss in einer
geometrischen Grundfigur, die in vorliegendem Fall ein durch
Doppeltriangulation über der Gesamtbreite erhaltenes Rechteck
(S x 2 p), abgibt, hinein komponierten; in ganz ähnlicher
Weise, wie dies auch bei der Grundrissbildung üblich geworden
war, wie bei Lippoldsberg durch ein Netz von Quadraten. Die St. Elisabethskirche zu
Marburg, im J. 1235 begonnen, wird in der Beschreibung der
Baudenkmäler im Regierungsbezirk Cassel, nächst der
Liebfrauenkirche zu Trier, das älteste unter den reingotischen
Bauwerken Deutschlands genannt. Sie zeigt eine in anbetracht der
langen, oft unterbrochenen Bauzeit wunderbare Einheit des Planes und
der Ausführung.
Jedoch zeigt die
Triangulierung, dass diese bezüglich des Bauplanes ein anderes
Resultat ergeben; sie beweist, dass die vielgerühmte Harmonie,
wonach das Ganze wie aus einem Guss hergestellt erscheint, insofern
nicht besteht, als die Turmfront im Anschluss an die während
ihrer Bauzeit, die gegen Ende des 13. Jahrhunderts beginnt, zur
Herrschaft gelangte
: 4 Triangulatur komponiert ist, während für den
Grundriss, sowie für den Aufbau der Chöre und des
Schiffes nur die Triangulatur mittelst des gleichseitigen Dreiecks
massgebend war: ein erneuter Beweis, wie die Alten sich nicht scheuten,
immer in dem Geist der Zeit zu arbeiten, immer also versuchten, weiter
zu bilden und von neuen Erkenntnissen Gebrauch zu machen. Hat nicht dies vielleicht
sogar dazu beigetragen, die Gebäude interessant zu machen, ja
zur Verschönerung vieler Monumente, welche sonst etwas
Langweiliges, etwas Trockenes haben würden, was die allzu
pedantisch durchgeführte Stileinheit unzweifelhaft zur Folge
hat, wie z. B. am Kölner Dom, dessen Baumeister peinlich die
geometrischen Gesetze befolgte, und wobei der Geometer den
Künstler unterdrückt hat. Die durch die gotische
Gewölbekonstruktion und die Anwendung von Nebenpfeilern
ermöglichte Verminderung der Mauermassen in den
Wänden sowohl als auch in den zu deren Stützung
erforderlichen Pfeilern machte sich am auffälligsten durch die
Auflösung der Wandfelder in grosse Lichtöffnungen und
die Anwendung von verhältnismässig dünnen
Trägern in Gestalt von Säulen und
Säulenbündeln bemerkbar. Dies hatte zur Folge, dass
bei den Abmessungen für Grundrisstriangulationen die
Pfeilerachsen massgebend wurden, während für die
Horizontalgliederung die Lichte Weite zwischen den Säulen
eintrat. Wie dabei auch öfters
die Achsen benutzt werden, beweist die Klosterkirche Marienstatt im
Westerwald, in unmittelbarem Anschluss an französische
Vorbilder. Im Innern ist z.B. bei den Arkaden der Anfang der
Scheidebögen durch gleichseitige Dreiecke in den Lichteweiten
der Säulen bestimmt; während für den erst
später aufgesetzten Oberbau die
: 4 Triangulatur angewandt erscheint und dabei die Achsen der auf jenen
Säulen aufsitzenden Wanddienste das Grundmass für das
Dreieck abgeben, wie dies mittlerweile in Deutschland üblich
geworden war. Ob in der
französischen Baukunst jener Zeit neben der Triangulierung mit
gleichseitigen Dreiecken, wie es für romanische Grund- und
Aufrisse aus Deutschland der Fall war, auch mit dem : 4 Dreieck gearbeitet worden ist, ist
zweifelhaft. Bei den von Dehio für seinen Zweck
herangezogenen, grossen frühgotischen Kathedralen wurden
derartige Dreiecke in den Grundrissen nicht gefunden, sondern nur
gleichseitige, und zwar sind sie in einer für die ersten
deutschen Bauten im neuen Stil massgebenden Weise bei den
Chorschlüssen benutzt. Viollet-le Duc gibt einige
Beispiele französischer Kathedralen und erbringt den Nachweis,
wie z.B. an der Kirche Saint-Sérnin in Toulouse, dass die
Höhen der markantesten Punkte, mittels Dreiecken von
45° und 60° bestimmt wurden. Es resultiert daraus, wie
er sagt, ein geometrisches Verhältnis zwischen den Teilen und
dem Ganzen; eine gewisse Art Kristallisation einer grossen harmonischen
Kraft. Das Resultat ist der Eindruck, den die Kirche macht. Auch an der
wunderschönen Sainte Chapelle in Paris weist er nach, wie die
Proportionen nach einem System von gleichseitigen Dreiecken bestimmt
sind, und nicht nur an Kirchen, sondern auch an profanen
Gebäuden nimmt er Untersuchungen vor und erkennt z.B. an dem
alten Krankenhaus von Compiègne aus der Mitte des 13. Jh.,
wie der Architekt sogar das ägyptische Dreieck benutzt hat, um
das Gebäude zu proportionieren. Die Fassade des Doms zu Rheims
zeigt einen Versuch nach Proportionierung durch
übereckgestellte Quadrate, erst neulich hergestellt, der
jedenfalls einen interessanten Beitrag zu dem betreffenden Gegenstand
liefert. Leider stimmt das Äussere nicht mit dem Innern
überein, wie die obige Figur zeigt.
Die schon obengenannte St. Elisabethskirche zu Marburg ist ein Beispiel
dafür, dass man bei genauer Untersuchung der Triangulation
mittels gleichseitiger Dreiecke anfangs meinen sollte, mit einer
Nachlässigkeit beim Bau zu tun zu haben; welche sich im
Gegenteil nachher als eine Folge der grossen Genauigkeit herausstellt,
mit der der Plan zur Ausführung gelangte; als eine ganz
korrekte Durchführung einer wohldurchdachten, lediglich auf
Anwendung der Triangulation mit gleichseitigen Dreiecken fussenden
Disposition. Auch der
Querschnitt der Schiffe ist vollständig mit dieser
Triangulatur hergestellt, und zwar teilweise mit der in der
französischen Frühgotik benutzten
Triangulationsmethode, wobei als Basis die Lichten Weiten zwischen den
Pfeilern erschienen. Der Bau-Anlage hat demnach, soweit bis jetzt
untersucht worden ist, das gleichseitige Dreieck als Proportionsnorm
gedient. Bei
den Türmen und den Fassaden wurde, wie bereits
erwähnt, dieses Verfahren aufgegeben und die : 4 Triangulatur benutzt, wie ein Blick auf die
Fassade zeigt. Sogar
sämtliche Masswerke in den Fenstern der Türme und der
Fassade sind nicht auf das gleichseitige Dreieck, wie dies bei den
sonst am Bau nur in den Mittelfeldern der drei Chöre
angebrachten Sechspässen der Fall ist, als Grundfigur
zurückgeführt, sondern auf das Quadrat, oder besser
ausgedrückt auf das Achteck. Auch hierin zeigt es sich, dass
die ältere Methode, die beim Beginn des Baues massgebend war,
bei Seite gesetzt wurde. Der Fassadenbau ist auf Grund der : 4 Triangulatur aufgeführt worden,
wenn es auch noch nicht systematisch und nach den ausgebildeten Regeln
geschah, wie sie der "Rechte Steinmetzengrund" später bot, und
wobei ein derartiger organischer Zusammenhang zwischen
sämtlichen Dreiecken besteht, dass ein einziges Grundmass den
ganzen Bau beherrscht. Die
erfolgreiche Durchführung eines solchen Strebens gewahren wir
in dem allerdings nur wenig umfangreichen Werke der Schlosskapelle zu
Marburg. Das
Wesen des "Gerechten Steinmetzengrundes" tritt jedoch in klarster Weise
zu Tage an der Pfarrkirche zu Frankenberg. Es
erhellt aus diesen Untersuchungen, dass die eigentliche : 4 Triangulatur das den Hüttenmeistern
allein bekannte und geoffenbarte Geheimnis vom Rechten Steinmetzengrund
bildete, und dass den Gesellen zwar die Hülfsfiguren und
Konstruktionsregeln bekannt waren, die Konsequenz aber, in diesen
Figuren enthalten, nicht. Die
verschiedenen, in der
: 4 Triangulatur auftretenden Punkte soll also der
kunstverständige Steinmetz für seine Konstruktionen
benutzen, ganz nach Belieben und ohne die künstlerische
Freiheit zu verlieren; weil er ja, falls ihm die sich zunächst
ergebenden nicht in seinen Entwurf passen, durch weitere Triangulaturen
im Rahmen des fundamentalen Netzes stets normierende Elemente sich wird
verschaffen können, die seinen Absichten genüge
leisten. Nur
in dieser, eine gewisse Harmonie der Verhältnisse seiner
Schöpfung sichernden Weise, dient ihm der "Steinmetzengrund"
zur Richtschnur, wie in der Musik die Tonart, in der er sich bewegt,
dem Komponisten bezüglich der Bildung von Melodie und Harmonie
völlige Freiheit lässt. Dass
der Gedanke eines jeden wahren Kunstwerkes, seinem letzten Grunde nach,
wesentlich mathematischer Natur sei, wird am leichtesten bei den
Schöpfungen der Baukunst zu erkennen sein und daher auch am
ehesten zugestanden werden. Der in jenem Satze ausgesprochenen
Forderung haben diese aber nicht nur als Ganzes zu genügen,
sondern es muss an ihnen auch bei der Zergliederung die auf
mathematischer Grundlage beruhende Gesetzmässigkeit sich
wahrnehmen und verfolgen lassen. Auf letzterer beruht die Eurythmie im
Sinne Vitruvs. Der
leitende Grundsatz für die Eurythmie überhaupt bedarf
wohl keiner nähern Begründung, weil er eine
Kunstregel von allgemeiner Gültigkeit ausspricht. Es
heisst, dass die mathematischen Gesetze, die bei einem
architektonischen Kunstwerk die Teile und ihre Verhältnisse
beherrschen, entweder genau dieselben sein müssen wie die,
nach denen das Ganze gebildet ist, oder nur solche sein
können, bei denen ein einfacher und klarer Zusammenhang mit
jenen sich erkennen und nachweisen lässt. Handelt
es sich also um die Triangulatur mit dem gleichseitigen Dreieck, so
wird dieses Proportionsgesetz auch für die Bildung der
Einzelheiten massgebend werden. Ist
dagegen das Quadrat und seine Ableitungen zu Grunde gelegt, so werden
auch alle Teile und Details danach zu bilden sein, und für die
Bauwerke aus der Zeit, in der die
: 4 Triangulatur dominierte, mussten zu gleichem Zweck Achtort und
Quadratur zur Anwendung kommen. Wie
dem auch sei, aus diesen Studien geht hervor, dass es
gleichgültig ist, welches System, ich möchte sagen,
um musikalisch zu reden, welche Tonart der Komposition zu Grunde gelegt
ist, wenn nur dann das Ganze nach demselben System gebildet wird. Es
liegt natürlich darin die Vorbedingung zur Einheit im Stil,
trotzdem, wie aus einzelnen Beispielen hervorging, eine Verwendung
verschiedener Systeme zugleich noch keine Dissonanz zu verursachen
braucht. Wenn
also jetzt diese Studien keinen Zweifel mehr an der Tatsache
übrig lassen, dass in den Zeiten der grossen Stilperioden die
Architektur nach dem System einer gewissen geometrischen Grundlage
gebildet wurde, so fragt man sich, ob es nicht an der Zeit
wäre, damit auch jetzt wieder einen Anfang zu machen, und das
umsomehr, als sich herausstellt, dass dieses System am bestimmtesten in
den am meisten konstruktiven Stilen Verwendung gefunden hat, dem
griechischen und dem mittelalterlichen. -
Ja, man könnte die
Frage stellen, ob nicht gerade deswegen diese beiden Stile die
konstruktivsten gewesen sind, und daher eine so grosse Uebereinstimmung
zeigen, trotzdem sie eine absolut verschiedene Formensprache haben und
sich geistig diametral gegenüberstehen. Beweist
dies aber nicht, dass es in der Kunst ewige Gesetze gibt, die die
Vorbedingung aller formalen Schönheit und daher
unabhängig von allen Geistesströmungen sind? Beweist
dies nicht, dass ohne Verwendung dieser Gesetze von einer stilvollen
Architektur nicht die Rede sein kann, indem sie sonst ein Produkt der
reinen Willkür wäre, d. h. Gesetzlosigkeit, eben
nicht die wahre Freiheit, sondern Schrankenlosigkeit und daher Armut;
dass dagegen Gebundenheit die wahre Freiheit und daher Reichtum
bedeutet. Denn
es ist nicht wahr, dass Gesetzlosigkeit die Phantasie, die
Einbildungskraft, jene künstlerische Göttergabe,
fördert. Im Gegenteil, man entdeckt die Unendlichkeit der
Formenvariationen erst recht bei vorher bestimmtem System, gerade wie
die Natur bei ihrer unendlichen Fülle doch sehr sparsam in
ihren Mitteln ist. Beweisen
nicht eben die orientalischen Völker, deren unglaubliche
Phantasie in Ornamentformen wir bewundern, die Notwendigkeit eines
solchen Systems, indem sie selbst, infolge ihrer Erfindungskraft in der
Bildung geometrischer Figuren so viel Erstaunliches geleistet haben?
Haben die Araber nicht eben deswegen ihre ornamentalen Kompositionen
mit einem Linienornament durchwoben; und würden sie ohne
dieses das geleistet haben, was uns jetzt mit Bewunderung
erfüllt? Und gibt es nicht zu denken, dass die Japaner und
Chinesen, deren Kunst, namentlich die der erstern, uns bewundernswert
erscheint, (welche Kunst sich aber fast ausschliesslich nach der
malerischen Seite, nach der Seite der freien Kunst entwickelt hat)
keine monumentale Architektur besitzen und leider jetzt anfangen mit
schlechten europäischen Vorbildern ihre Städte zu
verderben. Die
Tatsache allein, dass wir wissen, dass in den alten Zeiten nach einer
gewissen Methode gearbeitet wurde, sollte Anregung genug sein,
wenigstens auch nach einer Methode zu arbeiten, und das gerade in einer
Zeit, die sich vorzugsweise, und mit Recht, die wissenschaftliche
nennt, und daher danach streben sollte, auch in der Kunst etwas mehr
wissenschaftlich vorzugehen. Denn wie gesagt, das bedeutet keineswegs
etwas Unkünstlerisches; denn Kunst und Wissenschaft stehen
einander nicht feindlich gegenüber, im Gegenteil, sie sind von
derselben Mutter geboren. Und namentlich ist das bei der Architektur
der Fall, welche Kunst die Wissenschaft braucht, um zur
höheren Entwickelung gelangen zu können. Durchdringen
sich doch schon mehr und mehr die Baukunst des Ingenieurs und des
Architekten, Berufe, die früher auch nicht dermassen getrennt
waren wie jetzt. In
meinem letzten Vortrag über die wahrscheinliche Entwickelung
der Architektur, im vorigen Winter hier in Zürich gehalten,
hatte ich auch schon Gelegenheit dies hervorzuheben, indem ich zum
Schluss sagte, dass in der Zukunft gebaut werden wird, einerlei was,
ein Haus oder eine Halle, eine Fabrik oder ein Tempel, von einem
Menschen, der einen Namen führen wird, einerlei welchen, der
aber keinen Zweifel mehr an dem Beruf eines derartigen Kulturmenschen
übrig lassen wird. Ja
nun, dieser möge denn im allgemeinen Baumeister heissen; nur
habe ich damit sagen wollen, was ich jetzt wiederhole, dass in der
Zukunft Wissenschaft und Kunst sich wieder dermassen ergänzen
werden, dass ein architektonisches Kunstwerk beider Resultat sein wird. Und
ich wiederhole, in jedem Fall soll dieses architektonische Kunstwerk
nach einem gewissen geometrischen Schema entworfen sein; eine Methode,
welche sicher eine höhere Kunstform verbürgt, als die
für gewöhnlich übliche, die
willkürliche; "un malheur aujourd'hui dans les arts, - sagt
Viollet-le-Duc - et particulièrement dans l'architecture,
c'est de croire qu'on peut pratiquer cet art sous l'inspiration, de la
pure fantaisie, et qu'on élève un monument avec
cette donnée très vague, qu'on veut appeler le
gôut, comme on compose une toilette de femme". Und ein
gültiges Argument kann sogar aus dem Begriff des Stilisierens
im allgemeinen genommen werden. Wenn
wir Naturformen stilisieren, dann bedeutet das deren Uebertragung
innerhalb fixierte Grenzen, eine Festlegung nach Linien, die in der
Natur schon vorhanden waren, aber mit Vernachlässigung jeder
Zufälligkeit durch die Umstände bedingt. Bedeutet
das aber nicht ebenfalls eine Formgebung nach geometrischen Gesetzen?
Und weshalb soll das nur mit Ornamenten und nicht mit architektonischen
Formen geschehen? Im Gegenteil, erst dann kann von einer
Stilarchitektur im wahren Sinne die Rede sein, wenn damit
übereinstimmend auch die Architektur stilisiert erscheint.
Denn ist in letzter Instanz eine Fassade nicht ebenfalls eine
ornamentierte Fläche? Kommt es nicht darauf an, Fenster,
Gesimse, Skulpturen u.s.w. wie ein Ornament auf die
Mauerflächen zu verteilen? Und ist ein Gebäude nicht
zu vergleichen mit einem in der Natur in streng stereometrischen Formen
vorkommenden Kristall, d. h. mit einem Gebilde von Kristallen, daselbst
aber mit Abweichungen, durch die Umstände bedingt? Und
kommen wir daher nicht der Natur gleich, indem wir nach ihrem Vorbilde
streben, nach der Vervollkommnung unserer architektonischen Gebilde,
wie doch schon Ägypter, Griechen, Byzantiner, Römer
und die europäischen Völker im Mittelalter mehr oder
weniger ernsthaft in ähnlicher Weise getan, und daher
Resultate erzielt haben, die wir nicht erreichen können? Kommt
uns ein ägyptischer oder griechischer Tempel nicht vor wie ein
erhabenes Gebilde, völlig vom Irdisch-Stofflichen
losgelöst, und stimmt uns nicht immer und immer wieder ein
mittelalterlicher Dom zur Ehrfurcht, weil er sich durch den Stoff aus
dem Stoff losgerungen hat. Wie ekelhaft nüchtern, wie
grenzenlos trocken, wie beschämend geistlos sind dagegen unsre
modernen Gebilde, und namentlich die Gebäude, die demselben
Zwecke dienen sollen. Weshalb?
-
Ich
will jetzt nicht die religiöse Seite berühren, d. h.
inwiefern die mehr oder weniger in den Gemütern lebende
Religion den Charakter der kirchlichen Architektur beeinflusst, aber
jedenfalls bleibt jene Ursache die wahrscheinlichste, dass an den
Gebäuden die Stilformen nur als solche angebracht, ihnen als
eine äusserliche Hülle angehängt worden
sind, dass aber jener Architektur der innere Geist fehlt, weil sie
nicht wie früher, nach festen harmonischen Regeln aufgebaut
wurde. Es
ist nichts anderes als ein Wahn, aber dennoch scheint man der Meinung
zu sein, man schaffe ein Werk z. B. im gotischen Stil, wenn man ein
solches Werk mit sogenannter gotischer oder spitzbogiger Verzierung
versehe. Diese ist aber nur die äussere Schale; der innere
Kern besteht in der Konstruktion der Grundformen, die geometrischen
Figuren entnommen sind. *)
*)
Und da nun in der Architektur die Verzierung, das Ornament absolut
Nebensache, die Raumbildung und Massenverhältnisse aber die
Hauptsache sind, so ist infolgedessen leicht einzusehen, wo der Fehler
steckt.
Und
das ist nicht nur mit kirchlichen, sondern mit allen unsern modernen
Gebäuden der Fall, und für diese letzteren gilt nicht
der mehr oder weniger starke religiöse Einfluss. Jene
Gebäude beweisen nur, wie viel, oder richtiger, gesagt, wie
wenig das Schönheitsgefühl allein nützt,
ohne nähere Kenntnis der Regeln, nach denen die alten Meister
gearbeitet haben. Wenn solche Karrikaturen wie die meisten unserer
modernen gotischen Dome vermieden werden sollen, dann ist es notwendig,
auf die Regeln der alten Meister zurückzugehen, und den Faden
da wieder anzuknüpfen, wo er am Ende des fünfzehnten
oder im Anfang des sechzehnten Jahrhunderts abgerissen wurde. Wenn aber
diese Regeln, nach welchen die Alten arbeiteten, (da niemand
Steinmetzmeister werden konnte, wenn er nicht nach diesen Regeln
Modelle angefertigt hatte) so Herrliches geschaffen haben, dann wird
man zugestehen müssen, dass die in diesen
Steinmetzmeisterstücken und Meisterzeichnungen
enthüllte Arbeitsweise der alten Werkmeister ein
grösseres Gewicht hat, als die moderne Ansicht einzelner, die
sich gegen eine streng geometrische Konstruktion der Bildungen der
gotischen Architektur wie gegen einen unerträglichen Zwang
sträuben und nicht zugeben wollen, dass die Formen, die
allerdings durch das künstlerische Gefühl frei
hervorgerufen werden sollen und müssen, doch erst durch die
geometrische Begründung sowohl ihren festen Halt in sich als
auch eine harmonische Uebereinstimmung mit den Teilen, denen sie
angehören, erlangen. Und in der Tat, wenn heutzutage ein
Architekt sich unterstehen würde ohne geometrische
Hülfsmittel ein gotisches Gebäude zu errichten,
käme er sofort vor die grösste Schwierigkeit zu
stehen. Und
obgleich bis jetzt, soviel ich weiss, noch nicht festgestellt wurde,
inwiefern auch profane Gebäude aus früheren
Stilperioden nach festen geometrischen Regeln gebildet worden sind,
darf man doch annehmen, dass das ebenfalls der Fall gewesen, indem doch
immer, und namentlich im Mittelalter, der Einfluss der kirchlichen auf
die Profan-Architektur so stark gewesen, dass wahrscheinlich die
baulichen Regeln, die zur Herstellung der ersteren dienten, jedenfalls
für die Bildung verschiedener Bauteile an profanen
Gebäuden benutzt wurden, und die Grundriss-Einteilung
wahrscheinlich auch, obgleich diese viel schwieriger zu lösen
ist, weil abhängig von mehr komplizierten praktischen
Bedingungen. Ich erwähnte übrigens schon ein Beispiel
Viollet-le-Ducs in dieser Richtung. Wie
dem auch sei, ich hoffe Ihnen zur Genüge dargelegt zu haben,
dass ein Entwerfen nach bestimmten Regeln nicht nur empfehlenswert,
sondern zur Bildung wirklicher stilvoller Architektur eine
Notwendigkeit ist. Wie
das geschehen soll? So wie die Natur zur Bildung ihrer Kristalle schon
selbst die einfachen geometrischen und stereometrischen Figuren
für sich in Anspruch genommen hat und in früheren
Stilperioden in ähnlicher Weise gearbeitet worden ist, und
weil schliesslich diese Figuren von unveränderlicher
Schönheit sind, empfiehlt es sich, von neuem bei unsrer
Allmutter in die Lehre zu gehen. So wie schon Hegel bei seiner
Einteilung der Künste, was das sinnliche Material betrifft,
behauptet, dass die Architektur die Kristallisation bedeutet, so gibt
auch dieser Ausspruch die bezügliche Anregung. Wie
wir gesehen haben, arbeiteten die mittelalterlichen Meister
vorzugsweise mit dem gleichseitigen Dreieck, der daraus erfolgten
Triangulatur und den triangulierten Rechtecken. Also im geometrisches
Verfahren im Gegensatz zur griechischen Kunst, welche nach
arithmetischen Grundsätzen verfuhr. Aber
da die Geometrie und die Arithmetik Schwestern sind, bleibt das Prinzip
dasselbe. Die mittelalterliche Kunst kam zu diesem Verfahren, indem das
harmonische Prinzip von innen nach aussen wirkte. Die Griechen,
leidenschaftliche Bewunderer der äusseren Form, arbeiteten
nicht immer in dieser Weise, wohl aber die Römer in ihren
überwölbten Bauten and Basiliken. Wir
sehen am griechischen Tempel eine auswendige Ordnung, nach einer
wunderbaren Harmonie entworfen, aus der aber die innere
Proportionsskala nicht herzuleiten ist. Im Mittelalter, und das ist
wohl die grosse Errungenschaft dieser Kunst, kommt das
römische Prinzip zur vollen Geltung, dass der äussere
Aspekt nichts anderes sein soll als die Hülle der inneren
Zusammenstellung und mithin die innere Proportion auch diejenige der
äusseren sei. Der Raum soll proportioniert werden und seine
Proportionen auswärts zeigen. Denn die Architektur hat den
Zweck, Räume zu bilden, und soll daher vom Raum ausgehen. Und
jede Absicht, erst eine schöne Fassade zu bilden und nachher
das Gebäude dahinter zu komponieren, ist absolut verwerflich. Nun
hat zu diesem Zweck das geometrische Verfahren, die Triangulation und
die daraus erfolgenden triangulierten Rechtecke, den Vorzug. Einen
Schritt weiter bringt die sogen. Quadratur, die sich aus zwei
übereck gestellten Quadraten ergibt, mit der daraus
entwickelten sogen.
: 4 Triangulatur.
Bei
uns hat ein Architekt mit Namen de Groot sich von neuem für
die Sache interessiert und, nachdem er die alten Urkunden, namentlich
Hoffstadts Gotisches A. B. C. Buch studiert, selbst ein Werkchen
herausgegeben, das interessante Beiträge zu diesem Gegenstand
enthält. Er zog dabei ein Schriftchen zu Rate, das sogen.
Hüttengeheimnis vom rechten Steinmetzen Grund, von Dr. Alhan
v. Drach, das einige Jahre früher herauskam. Schon im Jahre
1896 erschien von de Groot ebenfalls eine Studie, die sich auf das
Flachornament bezieht, unter dem Titul "Dreiecke beim Entwerfen von
Ornamenten". Er zeigt darin, wie unendlich viele Variationen in bezug
auf rhythmische Flächeneinteilung mit den gewöhnlich
gebrauchten Dreiecken zu erzielen sind. Diese
Einteilungen bilden gewissermassen den Stramin, auf welchem die
Ornamente angebracht werden müssen, bilden schon selbst eine
Ornamentik. Aber prinzipiell sollen sie eine Anregung zur ornamentalen
Bildung sein, mit dem auch wirklich überraschenden Resultat,
dass sich unendlich viele Ornamentmotive wie von selbst daraus ergeben. Diese
Methode ist also gerade umgekehrt, d. h. indem man erst die
Fläche rhythmisch einteilt und nachher das Ornament
hineinzeichnet; im Gegensatz zu der gewöhnlich befolgten,
wobei man zuerst eine Form der Natur entnimmt und sich nachher dazu den
Rhythmus, die Stilisierung sucht. Wer
etwas schaffen will, darf nicht direkt entlehnen. Man soll Motive
wachsen lassen und alles anbringen, was zur Flächenteilung
nötig ist. Eine
solche Argumentierung hat etwas für sich und besonders, weil
es Ornamente gibt, die nicht ihr Vorbild in der Natur haben und
deswegen auch künstlerisch eine höhere Bildungsstufe
vergegenwärtigen, als die der Natur entlehnten. Ich
erwähne diese Methode, weil sie zur Ergänzung einer
vollständigen architektonischen Komposition dienen kann. Die
ersten Beispiele aus dem oben erwähnten Werkchen stimmen
überein mit den Ihnen vorhin gezeigten aus mittelalterlichen
Aufrissen, die nächsten aber sind von mehr Nutzen, da sie auf
der bekannten Quadratur basieren und zeigen, wie ein Körper in
seinen Verhältnissen gänzlich aus einer solchen
geometrischen Figur entnommen werden kann; d. h. wie infolge der
Uebereckstellung von Quadraten und der Ergänzung dieser Figur
durch die parallelen Kreise, die durch deren Schnittpunkte gezogen
sind, ein progressives System entsteht, mit dem bekannten
Verhältnis? 1 :ü2, woraus sich die Grundriss- sowie
die Aufrissmasse ergeben; daraus folgt, dass Grund- und Aufriss
durcheinander gezeichnet werden können, was natürlich
nicht nötig ist, aber den Beweis liefert, wie innerhalb dieses
Systems Grund- und Aufriss einander gewissermassen durchdringen, und
daher eine grosse Harmonie zwischen beiden existieren muss. Diese
Methode empfiehlt sich besonders für alle möglichen
freistehenden Gebäudeteile und Gegenstände, sowie
für kunstgewerbliche Sachen, und speziell für
Töpferwaren und Geschirr. Aber auch für
Möbel zeigt eine solche Methode sich von grossem Nutzen, was
ich Ihnen an ein paar Beispielen von mir zeigen werde. Erstens
an einem Stuhl. Der Sitz eines Stuhles kann mit ganz kleiner
Modifikation in einem Kubus konstruiert werden; nimmt man daher das
bekannte Höhenmass eines Stuhles, nämlich
± 43 cm, als das Mass des Grundquadrats an, dann ergibt sich
die vordere Breite, sowie die Tiefe ebenfalls als 43 cm. Die hintere
Breite, gewöhnlich schmäler als die vordere, ergibt
sich sowieso aus der Figur, gerade so wie die sonstigen feinen
Modifikationen aus den verschiedenen Kreisen, und Punkten, die in der
Figur enthalten sind. Für Gegenstände, höher
als die Diagonale des Grundquadrats, kann man mehrere Quadrate
übereinander stellen, wie z. B. für den Stuhl, wobei
man gerade mit zwei Quadraten auskommt. Ein
zweites Beispiel giebt ein Büffetschrank, wobei zwei Quadrate
nebeneinander, und vier übereinander gestellt sind.
Selbstverständlich
gehört Uebung und Geschmack dazu, von einer solchen Figur den
richtigen Gebrauch zu machen, so wie man allmählich zu der
Entdeckung gelangen muss, welche Punkte man gebrauchen soll, und welche
nicht. Man
wird aber dann sehr bald bemerken, welche grosse Bequemlichkeit eine
solche Methode verschafft, nicht nur zur Bestimmung der Masse und
Verhältnisse allein, sondern sogar der Verzierung, die sich
aus der Figur wie von selbst ergibt und daher in logischem Zusammenhang
damit steht. Mit Verzierung ist natürlich alles gemeint, die
zugehörige Linienführung, in die das Ornament
hineinkomponiert werden kann. Es
ist doch deutlich ersichtlich, wie harmonisch das Quadrat durch die
progressiven Quadrate und Kreise eingeteilt ist, aus welcher Einteilung
sich sofort eine Flächendekoration ergibt; und indem die
nämliche Quadratur sich auf den Flächen des
Gegenstandes befindet, kann man von dieser Teilung für
Verzierungszwecke den Gebrauch machen, der vom persönlichen
Geschmack eingegeben wird. Und gerade bei dem Gebrauch der Quadratur
wird man erst recht sehen, dass die Phantasie, anstatt
eingeschränkt, gefördert wird und man zu
Lösungen kommt, an die man sonst nicht gedacht haben
würde. Das erreicht man aber auch nur dann, wenn man sich, wie
gesagt, klar zu machen versteht, dass man nicht der Sklave eines
solchen Systems werden soll, d. h. wenn man nur von denjenigen Linien
Gebrauch zu machen weiss, die das Gefühl angibt, das
künstlerische Talent fordert, und wenn man, sagen wir ganz
offen, jenes System an den Stellen zu verlassen weiss, wo das
Gefühl, das Talent, sich allzueng fühlen
möchte, da das Gefühl schliesslich Gründe
haben kann, die der Verstand nicht begreift. Und gerade für
Flächeneinteilung, um darauf noch einmal zurück zu
kommen, zeigt die rhythmische Progression sich so ausserordentlich
bequem und harmonisch, dass es sich für ein
Flächenmuster, ich denke an Fussböden, Wandfliesen u
s. w. vorzüglich eignet.
Ich
sagte oben schon, dass erst dann Stil in ein architektonisches Werk
hineinkommt, wenn nicht nur die grosse Massenverteilung, sondern auch
die Details nach denselben System gebildet werden, wie z. B. im
Mittelalter, aber auch erst in der mittleren und späteren
gotischen Periode, während man in der ältern
selbstverständlich in der Verzierung zuerst noch eine blosse
Naturnachahmung wahrnimmt. Aber nachher gab es keine Laubverzierung,
die nicht wie jede Masswerk-Verzierung auf eine geometrische Grundfigur
sich zurückführen liesse. Ahnt man jetzt nicht, dass
in einer solchen Methode im allgemeinen der Keim zur Erreichung dieser
"Einheit in der Vielheit" liegt, die Stil heisst, eben weil man dadurch
zu einem einheitlichen Grundprinzip kommt, von wo aus das Ganze sich
nach einer festen Skala entwickelt. Es
mögen noch einige Beispiele von de Groot folgen; eine
Säulenkomposition, aus welcher deutlich zu ersehen, wie die
Verzierung des Kapitäls schon im Grundrisse festgelegt und
daher logisch stilrichtig entwickelt und aufgebaut ist. Das
folgende Beispiel ist eine klassische Säulenordnung, -
obgleich es nun absolut nicht feststeht, ja es sehr unwahrscheinlich
ist, dass die Renaissancemeister in irgend einer ähnlichen
Weise gearbeitet, sondern vielmehr die klassischen
Modullverhältnisse für ihre Schöpfungen zu
Rate gezogen haben, so ist doch aus diesem Beispiel deutlich
ersichtlich, dass diese Methode in vorzüglicher Weise darauf
anwendbar ist.
Ein
anderes Beispiel zeigt einen viersäuligen Aufbau, wobei man
sofort die Projektion übereck, d. h. nach der Diagonale,
studieren kann, eine äusserst wirksame Konsequenz, weil man in
gewöhnlichen Fällen nicht leicht zu einer solchen
Betrachtung kommt. Zum Schluss die Methode an einer klassischen
Triumphpforte. angewandt. Obgleich
ich Ihnen jetzt verschiedene Beispiele alter Monumente
vorgeführt habe, an denen Triangulatur und Quadratur
nachweisbar waren, und von den griechischen ein arithmetisches
Proportions-Gesetz authentisch ist, jedoch an diesen Monumenten
verschiedene Säulenverschiebungen, ungleiche Lichte Weiten u.
s. w. vorkommen, die nur aus Gefühlserwägungen
erklärt werden können, so bleibt trotz alledem noch
unsicher, ob in der Tat die Absicht von vornherein feststand, die alten
Monumente bis in die kleinsten Details nach einem einheitlich
geometrischen Ganzen zu bilden, ungeachtet der schon erwähnten
Systemänderungen während der langen Bauzeit. Aber nun
frage ich, was wäre dagegen, wenn wir für die jetzt
kommende Zeit feststellen sollten, dass eine architekturale Komposition
nur dann Anspruch auf eine solche erheben kann, wenn sie bis in das
kleinste Detail nach einem einheitlich geometrischen System gebildet
wäre, denn ich darf annehmen, dass das bis jetzt entweder gar
nicht oder nur in sehr unvollkommener Weise, und dann nur in der
Stilarchitektur, nach der klassischen Modulation stattgefunden hat. Mir
ist wenigstens von ausländischer Architektur, ich rede jetzt
als Holländer, nichts davon bekannt. Wohl darf ich annehmen,
dass Sie mit vielem von dem, was ich jetzt anführte, vertraut
sind, aber ich bezweifle, ob eine ähnliche Methode von Ihnen
bei Ihren Kompositionen verwendet worden ist. Ist
das trotzdem der Fall, dann mögen diese Auseinandersetzungen
um so mehr eine Anregung sein, in dieser Richtung fortzufahren ; wenn
nicht, dann mögen sie eine Anregung sein, damit anzufangen.
Denn ich wiederhole: was wäre dagegen einzuwenden, nach all
dem Vorhergegangenen eine solche Methode wiederum als Mittel zu
benutzen. Aber
als Mittel und auch nur als Mittel, was ich noch einmal betonen
möchte, und zwar im allgemeinen, will heissen: indem die
Geometrie selbst aus wenigen Grundformen unendlich viele Variationen
und Verhältnisse ermöglicht, wie schon aus der Natur
ersichtlich, so soll auch jede Aufgabe für sich nach einem
besonderen, dafür passenden Verhältnis
gelöst werden, umsomehr als es kein System gibt, das
für jeden besondern Fall passt. Das
erheischt Studium und Übung, aber ebenfalls Geschmack. "L'Architecture,
sagt Viollet-le-Duc, n'est pas l'esclave d'un système
hieratique de proportions, mais au contraire, peut se modifier sans
cesse et trouver des applications toujours nouvelles, des rapports
proportionnels, aussi bien qu'elle trouve des applications
variées à l'infini des lois de la
géometrie; et c'est qu'en effet les proportions sont filles
de la géometrie, aussi bien en architecture que dans l'ordre
de la nature inorganique et organique". Nur
Mittel, denn auch Hegel warnt schon in der Kunst davor, zu viel Wert
auf Zahlenverhältnisse zu legen, ein Ausspruch, den ich ohne
Kommentar wiedergebe. Er sagt: "Allerdings
ist zur Zeit der schönsten Blüte der gotischen
Baukunst den Zahlensymbolen grosse Wichtigkeit beigelegt worden, indem
die noch trübere Ahnung der Vernünftigen leicht auf
die Äusserlichkeit fällt; doch werden die Kunstwerke
der Architektur durch solcherlei immer mehr oder weniger
willkürliche Spiele einer untergeordneten Symbolik weder von
tieferer Bedeutung noch von erhöhter Schönheit, da
ihr eigentlicher Sinn und Geist sich in ganz anderen Formen und
Gestaltungen ausspricht, als in der mystischen Bedeutung von
Zahlenunterschieden. Man muss sich deshalb sehr hüten, in
Aufsuchung solcher Bedeutungen nicht zu weit zu gehen, denn
allzugründlich sein und überall einen tieferen Sinn
deuten wollen macht ebenso sehr kleinlich und ungründlich als
die blinde Gelehrsamkeit, die auch an der klar ausgesprochenen und
dargestellten Tiefe, ohne sie zu fassen, vorübergeht". Das
sind immerhin goldene Worte. Zum
Schluss füge ich hinzu: Sie
soll nur Mittel bleiben, denn wenn man die Absicht spüren
würde, würde der Glaube fehlen. Ich bin absichtlich
etwas weitläufig gewesen, da ich bei Ihnen die Ueberzeugung
habe wecken wollen, dass, was auch geschehen sein möge,
jedenfalls etwas in dieser Richtung geschehen ist, und dass es
für die zukünftige Architektur, will diese wieder
jene grosse Einheit der früheren Stile erreichen, dazu einer
prinzipiellen Methode bedarf. Ich
erwähnte oben, nicht damit bekannt zu sein, ob und inwiefern
die ausländischen Architekten schon in ähnlicher
Weise gearbeitet haben, aber ich kann Ihnen wohl sagen, dass viele
moderne holländische Baukünstler schon
längst einigermassen mit dieser Methode vertraut sind. An der
Kunstgewerbeschule zu Düsseldorf z. B. werden unter Leitung
des holländischen Lehrers Lauweriks alle Entwürfe
nach einer ähnlichen, aber sehr speziellen Methode
ausgeführt. Er geht allerdings darin am weitesten. Ich hatte
noch nicht genügend Gelegenheit, sie zu studieren, um
darüber ein Urteil abgeben zu können, kann Ihnen aber
ein paar Bilder davon zeigen. Ich führte Ihnen schon ein paar
Möbel vor, aber in der Architektur selbst kann ich Ihnen
ähnliche Beispiele zeigen.
Es
wird sich bei einer Grundrisseinteilung
immer praktisch erweisen, vom Quadrat auszugehen und daher den
Grundriss in Quadrate
einzuteilen.
Geht
das immer? werden Sie fragen. Natürlich nicht; d. h. nicht
immer in der äussersten Konsequenz; und das war, wie wir
gesehen haben, auch früher nicht der Fall. Es ist aber
wirklich staunenswert, wenn man es darauf abgesehen hat, wie fast immer
eine solche Einteilung gelingt. Es kommt nur darauf an, die richtige
Einheit, also das Grundquadrat, zu wählen, wobei
selbstverständlich, wenn nötig, auch eine
Unterteilung stattfinden kann. Was nun den Aufriss anbelangt, so stellt
sich bald heraus, dass eventuell die sogen. Vier-Quadratur nicht zu
verwenden ist, indem ein Gebäude dazu zu kompliziert ist. Es
stehen aber andere Systeme zur Verfügung, wie
übrigens aus den historischen Beispielen schon hervorgeht; z.
B entweder die einfache Triangulatur von gleichseitigen Dreiecken,
indem man die Höhenverhältnisse nach einem System von
gleichseitigen Dreiecken bestimmt, oder indem man z. B. die
Höhenverhältnisse nach dem Oktaeder nimmt, d. h. man
teile den Aufriss in Dreiecke, die durch die vertikale Projektion des
gleichseitigen Dreiecks bestimmt werden; oder auch indem man sonst
irgend ein einfaches Verhältnis wählt, dasjenige z.
B. des ägyptischen Dreiecks, am grossartigsten verwendet zur
Bestimmung der Höhen der Pyramiden, da deren vertikaler
Schnitt, wie bekannt, das entsprechende Verhältnis der
Höhe zur Basis, 5 : 8, zeigt. Und schliesslich kann auch ein
beliebiges Dreieck gewählt werden, wenn es nur einheitlich
durchgeführt wird; aber am schönsten wirken nun die
einfachen geometrischen und eventuell auch arithmetischen
Verhältniszahlen, indem das geübte Auge diese
spürt und daher versteht, eine Tatsache, die schon die
Griechen, wie ich erörterte, gekannt und daher auch verwendet
haben. Uebrigens hat man zu allen Zeiten die gefällige Wirkung
der einfachen Zahlverhältnisse zu würdigen gewusst
und sogar dazu wieder in der Natur die Vorbilder gefunden, indem es
bekannt ist, dass nicht nur die Verhältnisse des menschlichen
Körpers, sondern auch diejenigen verschiedener Tiere sich in
ganz einfachen Zahlen ausdrücken lassen.
Ich
will Ihnen jetzt an einigen Beispielen zeigen, wie dieses Prinzip
durchgeführt werden kann. Als
letztes Beispiel zeige ich Ihnen das Börsengebäude zu
Amsterdam, das gänzlich nach dem ägyptischen Dreieck
proportioniert ist. Es besteht also aus einem System von aufgebauten
Pyramiden mit dem Verhältnis von 8 : 5 und lässt sich
daher mit einer natürlichen Kristallgruppe vergleichen. Der
Grundriss wurde dazu in Quadrate von 3,80 m Seitenlänge
eingeteilt, welches Mass sich nach langem Suchen als das richtige
Grundmass herausstellte. Es ist auch das Achsenmass der Fenster
geworden. Ein
Blick auf die Zeichnungen wird Sie das alles deutlicher erkennen
lassen, als in einer Beschreibung möglich wäre. Als
praktische Folge einer solchen Methode zeigt es sich
wünschenswert, beim Zeichnen nicht die gebräuchlichen
Dreiecke von 60° und 45°, sondern ein mit dem
zugehörigen Verhältnis angefertigtes zu
benützen, indem sich die richtige Führungslinie
alsdann immer ergibt. Bei der Benutzung der 60° und 45°
Dreiecke arbeitet man faktisch nicht anders. Zur Herstellung der
Zeichnungen für die Börse sind nun Dreiecke mit dem
Verhältnisse von 5 : 8 benutzt worden; und da die
Führungslinie nun von selbst vor der Hand lag, und die
Stileinheit, wie wir gesehen haben, die Durchführung desselben
Grundsystems für alle Details wünschenswert macht,
kommt man auch von selbst dazu, diese Führungslinie
für alle Profile, so wie für die ornamentalen
Kompositionen zu gebrauchen. Es sind aus diesem Grunde auch alle
Ornamente, ohne Ausnahme, nach diesem egyptischen Dreiecksystem
entworfen.
Fast
alle Ornamente sind geometrisch; aber es gibt auch einige
vegetabilische, wie an den Pfeilern der Warenbörse, die oben
mit einem Astragalband umgeben sind, wofür die verschiedenen
Handelsprodukte, wie Tabak, Trauben, Reis u. s . w. als Motiv gebraucht
sind, und wie gesagt, nach der obengenannten Führungslinie
stilisiert. Und dasselbe ist bis zum kleinsten Möbeldetail,
geschehen. Ich
bin aber noch weiter gegangen. Es
gibt in dem Gebäude auch Skulpturen und Wandmalereien, die
teilweise nach demselben System entworfen sind. Teilweise; denn man
kann bei den heutigen Verhältnissen noch nicht alle
Künstler für diese Ansichten gewinnen, indem die
meisten sich noch für die "freie Kunst" erklären, und
eine bestimmte Linienführung tatsächlich als ein Netz
betrachten, in welches sie sich verwickeln würden. Sind denn
aber nicht Malerei und Skulptur ebenfalls Verzierung? Und soll diese
Verzierung daher nicht ebenfalls stilisiert werden, und zwar nach
denselben Gesetzen der sie beherrschenden Architektur? Und das heisst
wahrhaftig nicht Geringschätzung, sondern gegenseitige
Hochschätzung; während vielmehr die Staffeleimalerei
d. h. die freie Kunst, sich der Architektur gegenüber
geringschätzend verhält. Und
hiermit ist der Punkt berührt, der als eine der prinzipiellen
Ursachen der heutigen, künstlerisch ungenügenden
Resultate betrachtet werden muss. Man
erkennt es als ein Axiom an, dass Skulptur und Malerei die Architektur
stützen sollen; aber wie steht es, wenn es auf die
Ausführung ankommt? Diese
führt verhältnismässig zu guten Resultaten
bei Ausführung in sogenannter Stilarchitektur, da in dem Fall
der Baumeister immer sehr leicht Künstler finden kann, welche
in seinem Geiste arbeiten. Aber bei moderner Architektur geht das nicht
so leicht, indem eine feste Uebereinstimmung in Ansicht und
Können sich in den meisten Fällen noch nicht erzielen
lässt, aus dem einfachen Grunde, weil eine solche
Uebereinstimmung nicht existiert. Nur eine Tradition ist imstande,
diese Uebereinstimmung zu erreichen, und eine solche ist noch nicht
geschaffen. Der
moderne Architekt befindet sich daher in der unangenehmen Lage,
(abgesehen davon, ob er dazu im Stande is,) entweder selbst auch die
Skulptur und Malerei vorzeichnen zu müssen, in welchem Falle
er die betreffenden Künstler gewissermassen zu einer
Sklavenarbeit zwingt und daher nicht ihre beste Arbeit erhält,
oder darauf zu verzichten, wozu die betreffenden Künstler zwar
am besten aufgelegt sind, aber dafür kann der Baumeister bei
den heutigen Verhältnissen sicher sein, in seiner Architektur
kein einheitliches Ganze zu erreichen, indem alle Aussicht vorhanden
ist, dass Bildhauer und Maler nicht in seinem Geiste arbeiten. Das
liegt nicht an den Künstlern als solchen, sondern an der in
Kunstansichten noch ganz unreifen Zeit. Es steht aber fest, dass
entweder für die Salonfigur oder für das
Staffeleibild innerhalb der entwickelten Stilarchitektur im allgemeinen
kein Platz sein wird. Ich sage im allgemeinen, indem die Art und Weise
der Umrahmung, die Komposition und das Kolorit dabei immer mitreden,
und diese derartig sein können, dass sie sich trotzdem
fügen, und zuletzt auch schon wieder ein auf die Spitze
getriebenes System peinlich sein kann. Aber, offen gestanden, woher
kommt es wieder, dass die meisten modernen Wandmalereien sich in
empörender Weise aufdrängen? Weniger noch in Kolorit
als gerade in der Komposition? Woher kommt es, dass sie aus der Wand
herausfallen? Eben weil sie immer zu viel als Gemälde
behandelt sind, d. h. in der ganzen Linien-Zusammenstellung nicht den
straffen Linien der Architektur Rechnung tragen und daher immer unruhig
wirken. Die Ursache ist allein darin zu suchen, dass den
Dekorationsmalern das Staffeleibild noch zu sehr im Blut sitzt, und das
ist sehr begreiflich, da auf Akademien nur die eigentliche
Gemäldekunst und niemals die für einen gewissen Raum
bestimmte Dekorationsmalerei gelehrt wird. Die
Dekorationsmaler haben sich von dieser jahrhundertelangen Tradition
noch nicht losreissen können, und trotzdem sie ihre Malereien
mit Ornament-Umrahmungen versehen, bleiben sie Gemälde und
werden keine Wandmalereien so wie früher in architektonischem
Geist. Es
fehlt ihnen die in den Formen ruhige, in der Farbe harmonische
Gestaltung, die nur eine beiderseitige Beschränkung imstande
ist zu geben. Und
mit den Skulpturen ist ähnliches der Fall. Man weiss ganz gut,
was unter architekturaler Skulptur zu verstehen ist, aber trotzdem
entdeckt man den Zwiespalt zwischen Architektur und Skulptur, wenn's an
die Ausführung geht. Wie die Maler sind auch die Bildhauer
noch dermassen von der malerischen Tendenz befangen, dass auch sie sich
nicht von ihr loszureissen und durch eine streng gezügelte
Linienführung der Architektur anzupassen vermögen.
Und wie oft stellt sich nicht der Masstab als ganz verfehlt heraus.
Auch dagegen ist eine Schule im obigen Sinne vortrefflich, indem die
gegenseitigen Verhältnisse sich wie von selbst ergeben, wobei
natürlich das Gefühl wieder das erste, aber auch das
letzte Wort zu reden hat. Und
wie sieht es schliesslich mit den anderen technischen Künsten
aus, mit den mit einer architektonischen Schöpfung so innig
verbundenen Gegenständen, Möbeln,
Beleuchtungsapparaten und allem sonstigen Gerät? Auch
mit diesen Entwürfen hat es einen Haken. In
den grossen Stilperioden war es selbstverständlich nicht der
Baumeister, der diese Gegenstände zu entwerfen hatte; das war
nicht seine Sache, sondern die der betreffenden Gewerbe: Und das war
recht! denn man war dessen sicher, dass etwas Schönes und zu
der Architektur Passendes entworfen wurde, da das Kunstgewerbe mit dem
traditionellen Formenschema aufgewachsen war. Heutzutage sieht es nun
damit bös aus, wenn man die wieder ersehnte Einheitlichkeit
erreichen will. Die nämliche Ursache wie bei Skulptur und
Malerei ist hier im Spiel; denn beim Fehlen eines einheitlich formalen
Stils muss der Architekt alles selber tun, wenn er erreichen will, dass
äusserlich wie innerlich derselbe Geist sein Werk durchziehe.
Ist er dazu nicht in der Lage, dann kann er sicher sein, dass der
Möbeltischler, der sein individuelles Stilchen hegt und
pflegt, wenn er überhaupt eins hat, Möbel
hineinbringt, die der Architektur widersprechen; und dasselbe
wiederholt sich ebensoviele Male als wiederum ein anderer technischer
Künstler in den Raum hineinkommt. Dabei setze ich sogar noch
den günstigen Fall voraus, dass die betreffenden
Künstler, jeder in seiner Art und Weise, tüchtig sind. Vorläufig
muss daher der Architekt alles selber entwerfen, jedenfalls die
betreffenden Künstler nicht selbständig arbeiten
lassen. Ich sage vorläufig, indem auch jetzt wiederum danach
gestrebt werden muss, dass allen Kunstgewerben die zugehörige
Arbeit selbstständig überlassen werden
könne. Das kann aber nur dann der Fall sein, wenn einmal eine
Einigung im formalen Sinne erreicht sein wird. Der
Zweck des ganzen künstlerischen Schaffens unserer Zeit soll
nun dahin gerichtet sein, jenes Ziel zu erreichen, jene Einigung zu
erzielen, weil sie die Kunst des Raumes, die eigentliche Kunst der
Architektur, bedeutet. Erst
wenn diese Bedingung in ihrem ganzen Umfange erfüllt sein
wird, kann von einer Raumkunst die Rede sein, erst dann wird Harmonie
zwischen dem Ganzen und den verschiedenen Teilen, die Einheit in der
Vielheit, hergestellt sein. Und
eben das hat das 19. Jahrhundert vergessen, von innen nach aussen zu
arbeiten. Es hat vergessen, dass die Architektur die Aufgabe hat,
Räume zu bilden "qu'une édifice est une
nécessité enveloppée." Dagegen
hat es alle Kunst auf die Fassade - und was für eine Fassade!
- geworfen, und darüber das Innere vergessen. Es
hat gerade umgekehrt gearbeitet, von aussen nach innen, aber
dafür die Wirklichkeit dem Schein geopfert. Jetzt
aber hat die obengenannte Methode in jeglichem Sinne einen grossen
Vorzug. Erstens wiederum für den Architekten, wenn er darauf
angewiesen ist, das Ganze selber zu schaffen. Im allgemeinen, indem
durch das bestimmte geometrische Schema eine Raumeinteilung entsteht,
die ein schätzbares Hülfsmittel zur richtigen
Plazierung der Möbel und aller sonstigen Geräte
bietet, wodurch ihre Stelle gewissermassen von selbst angewiesen und
die gewünschte architektonische Straffheit erreicht wird. Im
besonderen hat aber diese Methode für den Architekten den
Wert, dass er dadurch für die Details der Geräte und
die architektonische Ausschmückung der Innenräume
ebenfalls die gegenseitige Einheitlichkeit gewissermassen in der Hand
hat, jedenfalls sich nicht allzu sehr verirren kann. Und wenn man noch
dazu für das Ganze die nämliche
Linienführung bestimmt, dann wird man gestehen
müssen, wie wertvoll diese ist. Aber
zweitens hat diese Methode den Vorzug, den Gewerbekünstlern
für den Fall, dass der Architekt das Ganze nicht in die Hand
nehmen kann oder will, die Gelegenheit zu geben, im Sinne des
Architekten zu arbeiten, d.h. wenn dieser, was das eigentlich Formale
der Details anbelangt, selbständig schaffen will, eine grosse
Einheitlichkeit durch die betreffende geometrische Grundskala und
Linienführung zu ermöglichen. Wenn
man schliesslich bedenkt, wie viele technischen Künste hinein
bezogen werden können, dann wird man hoffentlich zu der
Überzeugung kommen, dass, noch abgesehen von dem Endziel,
heutzutage, wenn auch vorläufig noch unter
ungünstigen Umständen, in der angestrebten Richtung
schon verhältnismässig viel erreicht werden kann.
Ich
habe Ihnen die Methode klar zu machen versucht, die m.E. die Grundlage
zu einer Vorschule der modernen Architektur im besonderen, zu einer
bildenden Kunst im allgemeinen sein könnte. Sie soll auf einer
geometrischen Basis beruhen, d.h. die Masse und Formen sollen zu
einander in einem einheitlichen Verhältnis stehen, sowohl im
grossen Ganzen als auch im Detail. Ich
hoffe dazu bei Ihnen die Überzeugung geweckt zu haben, dass
eine solche Methode künstlerisch nichts
Geringschätzendes oder Unwürdiges bedeute, im
Gegenteil nur eine Forderung zu einer höheren Auffassung, weil
die künstlerische Phantasie dadurch nicht getötet,
sondern gereizt wird. Wenn man den Zweck will, soll man auch die Mittel
wollen. Und
schliesslich liegt eine solche Methode ganz im Geiste unserer Zeit, der
wie von selbst daraufhin arbeitet. Auf allen Gebieten wird einer
gewissen Organisation zugestrebt, die am Ende wieder zu einer
bestimmten Kultur führen soll, denn Kultur ist sonst nichts
als die Übereinstimmung zwischen geistigen und materiellen
Bedürfnissen. Jetzt,
da wir eine Basis, eine Methode haben, müssen wir zum Aufbau
schreiten, d.h. wie soll die zukünftige Architektur sich
gestalten?
Die
schon erwähnte Tatsache, dass die Architekten des 19.
Jahrhunderts, sogar die allerbegabtesten, nicht weiter zu kommen
vermochten als zum Eklektizismus, hat ihnen in den letzten zwanzig
Jahren von den Modernen viele Vorwürfe eingebracht. Mit Recht?
Ja gewiss, aber auch mit Unrecht. Mit Recht, und das wurde in allen
Sprachen schon einmal gesagt, weil eine andere Zeit auch eine andere
Formengestaltung fordert. Nun kann man allerdings dagegen
anführen, dass die Renaissance damals, als sie die antiken
Formen übernahm, nichts anderes tat; aber diese Ansicht,
obgleich sie vieles für sich hat, ist doch eine zu
oberflächliche, denn es war ein ganz neuer Geist, der damals
durch die Welt ging, der nur die antiken Formen als Mittel und nicht
als Endzweck der künstlerischen Gestaltung betrachtete. Dagegen
sind im 19. Jahrhundert unsre Stilbemühungen nicht
über den Zweck hinaus gekommen, indem die ungeheure Kenntnis
an Stilmaterial, durch Archæologen und Kunstprofessoren
gesammelt, doch verwendet werden musste. "Der ästhetisierende
Kunstprofessor", sagt Muthesius beissend, "ein neuer Typus des 19.
Jahrhunderts, trat sein Amt an und belehrte, begutachtete, kritisierte
und systematisierte über Kunst. Er wurde um so
mächtiger, je schwächer der lebendige Pulsschlag der
Kunst wurde, je mehr das natürliche Kunstleben erstarb. So
sitzt an der Quelle der Künste des 19. Jahrhunderts nicht mehr
der Künstler, sondern der Kunstprofessor". Dieser
Ausspruch charakterisiert erschöpfend die Kunst des 19.
Jahrhunderts.
Ich
will Ihnen dazu noch einen hierauf bezüglichen Aufsatz eines
holländischen Architekten vorführen, der eine
Bestätigung der obigen Ansicht gibt, indem darin noch mehr die
Entrüstung über die Stil-Architektur ausgesprochen
wird. Nach
einem kurzen Rückblick sagt er: "Als man bemerkt hatte, dass
früher Dinge gemacht wurden, die schöner und
konstruktiver waren als die gegenwärtigen, hat man damit
angefangen, jene Werke anzuschauen und das äusserlich
Schöne daran zu studieren; jedoch ohne zu begreifen, dass es
sein Entstehen der Liebe zu verdanken hat, einer Liebe, die jetzt
fehlt; deshalb sagte man sich: Wenn ich jetzt etwas mache, was jenem
Gegenstand ähnlich sieht, wird es ebenfalls schön
sein." Und
man hat es jetzt soweit gebracht, dass alle Gegenstände,
welche durch die darauf verwandte Liebe schön sind, ohne Liebe
nachgemacht werden können; und man steht ganz verwundert, wenn
jemand kommt und den Leuten sagt, dass, obgleich das nachgemachte Werk
äusserlich dem ursprünglichen ganz ähnlich
sieht, trotzdem dieses schön und das andere unbedeutend ist.
Denn in der Baukunst ist der Begriff verloren gegangen, dass das
Äusserliche eines Werkes die Folge von etwas Innerlichem bei
dem Schöpfer sein muss. Oberflächliche Leute nun, die
dies nicht wissen, stehen ganz verblüfft, wenn sie das
hören. Sie verstehen nicht den Unterschied zwischen echt und
unecht, zwischen Wahrheit und Schein von Wahrheit.
Denn
weil z. B. in einem griechischen Tempel viel Schönes sein
muss, der Liebe zum Bau zufolge, der Liebe, die sich in konstruktiven
Gedanken äussert, eben deshalb braucht ein nachgemachter
griechischer Tempel noch nicht schön zu sein. Denn
wir können noch nicht den konstruktiven Geist besitzen, in dem
sich die Liebe der Griechen äusserte; und wenn wir die Liebe
haben sollten und dazu einen Begriff von Konstruktion, dann wird sie
notwendigerweise ganz anders sein als die ihrige, und mithin muss auch
ihre Äusserung sich ebenfalls ganz anders gestalten. Wir
können, nach allen unsern Irrungen, wohl wieder auf den guten
Weg gebracht werden; das wird aber weder durch Kunstakademien, noch
durch Bücher über Schönheitslehre geschehen. Nicht
durch Kunstakademien, da sie, was die Baukunst anbelangt,
Körperschaften sind, die sich am Schlendrian halten, ganz
getrennt sind vom Baufach, fortwährend zwanzig Jahre
zurück, immer Theorie lehrend, während die Theorie
des Baufaches in einem guten Begriff der Praxis besteht.
Nicht
durch Schönheitslehre, denn Philosophie über Kunst
wird von einem Künstler gehasst. Wir
Künstler, die das Leben lieben und wiedergeben wollen, hassen
alle Regeln von Philosophen, durch ihre archaeologischen Studien aus
dem Werke unsrer Vorgänger gezogen. Wir wissen, dass Regeln
mit Liebe nichts zu schaffen haben, und dass wir der
Schönheitslehre entbehren können, ohne Gefahr zu
laufen, unser Werk etwas weniger schön zu machen. Es
liegt in einem hölzernen Dachstuhl über einer
Heuscheune mehr Begriff von Schönheit und in einem Bauernhaus
mehr Begriff von Stil, als jemals ein Handbuch über Aesthetik
uns lehren kann. Das
Wort Aesthetik könnte ganz ruhig aus der Architektenwelt
verschwinden; denn, weil wir wissen, das Liebe und Hingebung die
Ursprünge schöner Werke sind, begreifen wir
ebenfalls, dass Schönheitslehre unsre Liebe nicht vermehren
kann. Bücher über Aesthetik sind in einer Zeit
erfunden, als die Menschen das Bedürfnis hatten über
Kunst zu reden, weil sie keine Kunst mehr machen konnten und diesen
Mangel hinwegreden wollten. Niemals ist unter den Händen
irgend eines Künstlers, der mit aesthetischen Betrachtungen
gesättigt war, etwas Schönes als deren Folge
entstanden. Niemals haben Philosophen, indem sie über das
Schöne philosophierten, es soweit bringen können,
dass sie infolge ihrer Theorien auch etwas Schönes
hätten machen können. Und
wie komisch ist nicht die Tatsache, dass noch niemals ein
Künstler von Bedeutung es gewagt hat, ein Buch über
die Lehre des Schönen zu schreiben. Und auch die
Kunstgeschichte kann uns wenig helfen. Wer
sich nicht mit halber Gelehrsamkeit zufrieden stellt und dadurch nicht
zu Torheiten verführen lässt, sondern wirklich nach
der Art und Weise sucht, worin sich die besondere Vorliebe eines
gewissen Volkes äussert, der wird infolge seiner Studien und
Kunstgeschichte lernen, dass Formen Äusserungen jener Vorliebe
sind, und, indem er weiss, dass er gerade diese Vorliebe nicht hat,
kann er auch jene Formen nicht gebrauchen. Wer nur einen Stil studiert
hat, was etwas ganz andres ist als die äusserliche Anschauung
der Werke in irgend einem Stil, der weiss, dass kein Künstler
sich in den Formen einer andern Vorliebe äussert. Aber
die Kunstgeschichte lehrt doch jedenfalls etwas von ganz besonderer
Bedeutung: dass Formen sich ändern, sowie die Liebe sich
verändert; dass aber das Konstruktive ewig ist und seinen Wert
behält. Das,
was uns auf den guten Weg bringen kann, ist unser Begriff vom
"Künstler sein". Ein Künstler ist ein Mensch, der das
Leben seiner Zeit inniger lebt als andre Menschen und dadurch das Leben
andrer im voraus lebt; ein Baukünstler ist ein Mensch, der
sein ganzes Leben arbeiten muss, den Bedürfnissen seiner
Zeitgenossen zu genügen, und danach strebt, seine Werke
schön zu gestalten, indem er sein eigenes Leben richtig
fühlt, und jenes Fühlen äussert, indem er
immer und so viel wie möglich danach trachtet, er selbst zu
sein. "Künstler
wissen, dass ein jeder, der ans Bauen geht, mit ein wenig Geschmack und
ein wenig Anpassungsgeist ganz gut imstande ist, ein Ganzes
zusammenzustellen aus Motiven, die den Werken andrer entlehnt sind; ein
Ganzes, dass in dem Falle zwar nicht die Eigenschaften der
ursprünglichen Werke, aber doch deren Schein besitzt. Künstler
kennen den Unterschied zwischen Wahrheit und Schein von Wahrheit,
zwischen Schön und Schein von Schön; sie wissen, dass
der Scheinbaumeister kein Baumeister, der Stilfabrikant nicht einer der
ihrigen ist. Und indem der Begriff der historischen Stile in die
Köpfe vieler eingedrungen ist, die es jetzt nicht anders
wissen, als dass ein Gebäude, soll es schön genannt
werden, in irgend einem Stil gebaut werden muss, so tut es not zu
sagen, dass "Bauen in irgend einem Stil nicht die Arbeit eines
Künstlers ist, dass Bauen in irgend einem Stil mit Kunst
nichts zu schaffen hat." Künstler
haben keine Achtung vor einem Scheinmaler, der seine Werke heute im
Sinne eines Holbein, morgen wieder im Sinne eines Velasquez und
übermorgen wieder im Sinne eines Watteau machen
würde; Künstler haben keine Achtung vor einem
Bildhauer, der von der Nachahmung irgend eines berühmten
Griechen, eines Michel-Angelo oder eines Peter Vischer lebt;
Künstler haben keine Achtung vor einem Architekten, der aus
irgend welcher Ursache seine Schöpfungen in irgend einem
nachgeahmten Kleid gestaltet und damit sich selbst und seine Zeit
verleugnet. Jemand,
der seine Zeit nicht begreift und demzufolge nichts als
Äusserlichkeiten zu er zählen hat, nur so einer kann,
um Geld zu verdienen, Gebäude in Stilarchitektur entwerfen;
denn Stilarchitektur ist nicht ein Kunstgegenstand, sondern ein
Gegenstand des Handels, aus dem Laden eines Architekt-Kaufmannes. Stilarchitektur
ist nicht die Arbeit von einem, der sich durch sein eigenes, von ihm
selber geprüftes Gemüt äussern will. Stilarchitektur steht, als etwas von einzelnen Angelerntes, ausserhalb
des Volkes, ist etwas Unnatürliches bei einem
Künstler. Stilarchitektur ist der Kunstgriff eines Pseudo-Architekten, ist die
Devise eines Kaufmannes in baukünstlerischen
Entwürfen, der seine Ware anpreist. Stilarchitektur ist etwas ausserhalb der Kunst Stehendes, und hat nur
den Schein mit der Baukunst gemeinsam. Stilarchitektur ist die Lüge eines Mannes, der für
einen Künstler gehalten werden will, ist das Treiben eines
Handelsmannes, der Architekt scheinen möchte. Stilarchitektur endlich ist der Handgriff eines Mannes, der Liebe
lügt, und Lügner und Künstler sind zwei
verschiedene Menschen. Stilarchitektur und Künstler sein geht nicht zusammen." Dieser
Artikel ist vom Jahre 1894, und obgleich der Verfasser selber
wahrscheinlich jetzt nicht mehr alles unterschreiben möchte,
so bleibt doch die Hauptsache, die Ansicht über
Stilarchitektur, unangefochten bestehen. Gegen diese Ansicht sind
jedoch nicht nur Milderungsgründe anzuführen, sondern
sogar Verteidigungsgründe für sie. Man
könnte sie kurz in der Erwägung zusammenfassen, dass
die Zeit zu einer Umwälzung noch nicht gekommen war. Welche
philosophischen Betrachtungen man auch dazu anführen
möge; entweder solche fatalistischer Natur mit dem Resultat,
dass alles doch so kommen musste, indem kein Mensch, und sei er noch so
stark, sich gegen den Zeitgeist zu widersetzen vermag; oder solche mehr
ideeller Natur, mit dem endgültigen Empfinden, dass man sich
in dem früheren Stile nur allzugut zu Hause fühlte
und die altvaterländische Renaissancekunst schliesslich doch
das trauteste Heim bot, die prinzipielle Ursache der Verwendung von
Stilarchitektur kann doch auf jenen Geist der Zeit geschoben werden,
auf ihre Unreifheit für Kunstanschauungen, die in die Zukunft
blickten. Hat denn unsere jetzige Zeit die Reife dazu? Auf diese Frage,
in solcher Kürze gestellt, gehört sich eine
vorsichtige Antwort; man kann sie zwar mit "Ja" beantworten; nur soll
diese Antwort insofern mit einiger Zurückhaltung gegeben
werden, als man nicht erwarten soll, dass die Hoffnung auf eine neue
Kunst, d.h. auf einen neuen Stil, schon in einigen Jahren in
Erfüllung gehen werde. Doch
hat das 19. Jahrhundert, das sich in der Architektur am deutlichsten
als das des chaotischen Durcheinanders aller Stile der Vergangenheit
kennzeichnet, wenigstens dieses Resultat gehabt: "eine völlige
Entwertung dieses Stiltreibens, und eine so weitgehende Ueberzeugung
von dessen Verkehrtheit, dass die blosse schulmässige
Anwendung eines geschichtlichen Architekturstils nicht mehr als
Verdienst gilt, ja kaum mehr unser Interesse in Anspruch nimmt. Es
steht heute ausser aller Frage, dass keiner der wieder aufgenommenen
alten Architekturstile als Gegenwartstil sich bewährt, dass
sich keiner von ihnen als lebenskräftig erwiesen hat.'' Soweit
wieder Muthesius. Also, allen Anstrengungen zum Trotz, hat das 19.
Jahrhundert nur das tragische Los, es erstens soweit gebracht zu haben,
dass durch die Ausbeutung aller Stile das Interesse für diese
gänzlich verloren gegangen ist, und zweitens bewiesen zu
haben, dass keiner der alten Architekturstile uns für unsre
heutigen Bedürfnisse genügen kann. Das
ist allerdings ein negatives Verdienst. Gibt es denn kein positives? Ich
glaube doch. Denn es gibt keine Zeit, und sei sie noch so verwirrend,
die nicht einige Ergebnisse von positivem Wert aufweisen
könnte. Und daher können unter den vielen
Kunstergebnissen des 19. Jahrhunderts doch wohl einige ausgenommen
werden, die sich für die Zukunft als sehr wertvoll erweisen
dürften, - nämlich die beiden Haupttendenzen, die
Neorenaissance und die neogotische Richtung. Jedoch bleibt nicht zu
leugnen, dass es prinzipiell der mittelalterlichen Kunst vorbehalten
blieb, uns den neuen Weg zu ebnen. Ich hatte schon früher
Gelegenheit diese Ansicht näher zu erörtern, und zwar
in einem Vortrag "Gedanken über Stil," so wie in ein paar
Vorträgen, die ich das Vergnügen hatte vergangenen
Winter in Zürich zu halten: "Einige kritische Betrachtungen
über alte Bau- und Kleinkunst." In dem ersten Vortrag heisst
es: Ich
habe die beiden grossen, praktischen Aesthetiker, Semper und
Viollet-le-Duc genannt, und glaube nun das Verdienst Viollet-le-Ducs in
dieser Beziehung jedenfalls nicht niedriger stellen zu müssen
als das Sempers; denn er hatte eingesehen, dass die mittelalterliche
Kunst prinzipiell für die moderne Zeit die richtige Grundlage
angeben konnte; sie steht nämlich nicht nur auf konstruktivem
Boden, sondern sie bildet gewissermassen den Faden zwischen Alt und
Neu, und wir müssen diesen Faden an der richtigen Stelle
wieder aufnehmen. Daher war die klassische Kunst, d. h. die
italienische Renaissance oder die ganze Neo-Renaissancebewegung um die
Mitte des vorigen .Jahrhunderts nur von vorübergehendem Wert. Die
Neubelebung einer Kunst, die selber schon nicht prinzipiell konstruktiv
war und daher sehr bald in eine rein dekorative Richtung verfiel, war
von vornherein bedenklich; denn da mussten ihre Apostel wohl bald auf
Widersprüche stossen. Diese blieben denn auch nicht aus. Sogar
Semper, von dem man erwarten sollte, dass er das Prinzip der
mittelalterlichen Kunst besser verstanden hätte, ist von
diesen Widersprüchen nicht frei geblieben. Und
die Tatsache, dass die Renaissance nicht prinzipiell konstruktiv war,
und daher sehr bald in eine dekorative Richtung sich verirrte, habe ich
in dem Züricher Vortrag zu entwickeln versucht; indem ich die
bedenkliche Verwendung des Säulen- und Pilasterschemas durch
die Römer hervorhob, nämlich eine Verwendung nicht
als freistehende Pfeiler und Säulen, sondern als ein gegen die
Wand geklebtes Dekorationsmittel, mit allen den bedenklichen Folgen von
Kapitälzerschneidung, verkröpften
Gebälkstücken, angeklebten Wasserrinnen u. s. w.,
wobei man nicht einmal so weit zu gehen braucht wie Hegel, der sogar
Halbsäulen schlechthin widerlich nennt, weil dadurch zweierlei
entgegengesetzte Zwecke ohne innere Notwendigkeit neben einander stehen
und sich mit einander vermischen. Und ich kann mich in dieser Beziehung
wieder auf eine Autorität wie Muthesius berufen, der in seiner
Schrift über die "erste Kunstrevolution," d. h. die
Renaissance, sagt: "Es kam die Zeit, dass die antike Welt, deren Geist
auch nach ihrem körperlichen Untergange in mächtiger
Grösse fortlebte, neue künstlerische Ideale
über den Norden brachte. Die Zeit des Humanismus in den
Geisteswissenschaften, der Renaissance in den Künsten, trat
ihre Herrschaft an und führte eine Blütezeit der
Künste herauf, die sich bezeichnender Weise besonders in der
Malerei und Skulptur zeigte. In der Architektur war sie durchaus nicht
in gleichem Masse vorhanden. Konnten damals in der Malerei und in
gewissem Sinne auch in der Bildhauerkunst die neuen Einflüsse
auf Vorhandenes einwirken, ein vorliegendes Frühalter zur
Reife bringen, so wurde in der Architektur mit einer vollentwickelten
Kunst barsch gebrochen, eine reichentfaltete
Kunstüberlieferung in die Ecke geworfen. Was man
dafür als Renaissancebaukunst erreichte, konnte doch nur ein
blasses Abbild einer besseren Originalkunst sein, worüber
jeder Italienreisende klar sein wird, wenn er bemerkt, wie ein einziges
antikes Bauwerk - etwa das Colosseum oder das Pantheon in Rom - die
ganze Renaissancebaukunst in den Schatten stellt. Wenn also die
Renaissancearchitektur schon nicht mehr als ein blasses Abbild des
ursprünglichen Stils hervorbrachte, wie soll es denn mit der
Neo-Renaissance aussehen? Denkt man dabei nicht unwillkürlich
an einen Grog, zu welchem irrtümlicherweise noch einmal Wasser
geschüttet wurde." Eine
zweite Autorität, auf die ich mich in dieser Angelegenheit
berufen kann, ist Karl Scheffler, der die Kunstentwicklung mehr vom
philosophischen Standpunkt betrachtet, und in seiner Schrift
über die »Konventionen der Kunst" die
Neo-Renaissancebewegung sogar einen Verzweiflungsakt nennt, eine
geniale Impotenz, eine Episode. Ich
habe neben Viollet-le-Duc Semper genannt, als den zweiten genialen
Architekten und Kunstgelehrten, der seine Ansichten über Kunst
in seinem unsterblichen Werke: "Der Stil in den technischen
Künsten" niedergelegt hat. Was
der erste in seinem »Dictionnaire Raisonné" und
seinen "Entretiens sur l'architecture", vielleicht das
Schönste, was jemals über Architektur geschrieben,
ausführt, das hat der letztere in seinem "Stil" entwickelt. Viollet-le-Duc
geht von der mittelalterlichen Kunst aus, die für ihn den
Inbegriff des prinzipiell reinsten baukünstlerischen Stils
vergegenwärtigt, und entwickelt aus ihm die für ihn
als allein richtig befundenen Stilbegriffe. Semper
dagegen ist mehr Philosoph, entwickelt seine Ideen über Stil,
zieht aber daraus keine "bestimmte Folgerung" und verfällt
demzufolge in gewisse Irrtümer, welche vielleicht teilweise
durch seine Erziehung erklärt werden können, die
schon von vornherein eine gewisse Sympathie für das klassische
Altertum bei ihm erweckte. Das
ist selbstverständlich an und für sich kein Fehler;
aber doch sollte diese, ich wage es gerade heraus zu sagen, sich
für die Baukunst des 19. Jahrhunderts als schädlich
erweisen. Diese Ansicht bedeutet aber wahrhaftig keine
Geringschätzung jenes Meisters, denn er bleibt der hochbegabte
Führer; aber leider ist er einer von all den »Opfern
des Genies", wie Scheffler sagt, »die keine Resonanz in ihrer
Zeit fanden, und dann auf alte Konventionen zurückgriffen,
konventionell wurden". Er, Semper, ist der grösste General
»auf den Schlachtfeldern der Kunst, welcher innerhalb einer
gefesteten Epoche Unsterbliches geleistet hätte, welcher dem
Masse der Energieentwickelung nach hinter keinem Meister der
Vergangenheit zurück steht, aber dessen Wirken doch nur
Episode bleiben kann". Und
hier berührt sich seine wirklich an und für sich
ebenfalls unsterbliche Arbeit mit dem Fatalismus aller Menschenarbeit
im allgemeinen, indem auch er nach Goethescher Ansicht
»mit einer Schwachheit an seiner Zeit zusammen
hängt". Denn wie gesagt, es ist unbegreiflich, dass Semper,
der Autor des Buches "Der Stil in den technischen Künsten",
das bezweckt, die Ursprünge der Kunst und ihre Entwickelung
aus natürlichen Ursachen zu erklären, alles
Ueberflüssige und allen falschen Schein, ja jede der Natur der
Gegenstände widerstrebende Äusserung zu verdammen,
und darin wirklich apostolisch auftritt, und mit ungemein scharfem
Verstand den Kunsthumbug des 19. Jahrhunderts geisselt, dass derselbe
zu einer architekturalen Inkonsequenz kommen konnte. Denn
er hat nicht wie Viollet-le-Duc Griechenland von Rom zu unterscheiden
gewusst und kam mit der fatalen Sympathie für das Italien der
Hochrenaissance zu der Ueberzeugung, der modernen Baukunst eine feste
Leitung geben zu können. Ich glaube aber, dass wir wohl jetzt
soweit gekommen sind, an dieser Leitung zu zweifeln, indess wir
bemerken, dass diese Periode nur eine vorübergehende sein
konnte. Und so kam ich dazu, den Ausdruck zu gebrauchen "Zum Schaden
für die Baukunst". Hätte
Semper, der in seinem "Stil" Dinge von unsterblichem Wert gesagt hat,
nur die Folgerichtigkeit in die Architektur gezogen! Wie anders
hätte dann unter seinem Einfluss die Architektur in
Deutschland und hier ausgesehen. Denn wie grossartig in der Auffassung
einerseits, und wie fein in den Details andrerseits, war nicht die
Kunst dieses Meisters! Und das Allerwichtigste wäre gewesen,
dass seine Kunst sich viel lebensfähiger gezeigt haben
würde, denn mit einer solchen Auffassung würde sie
die Keime für eine Entwicklung in der Zukunft in sich gehabt
haben. Wirklich tragisch ist es aber, jetzt erkennen zu
müssen, dass sie nur von vorübergehendem Werte
gewesen ist. Wäre aber schliesslich eine solche Vollkommenheit
in der damaligen Zeit nicht zu viel verlangt gewesen? Fassen
wir nun diese Betrachtungen zusammen, dann kommt man zu der
Schlussfolgerung, dass von allen Versuchen des 19. Jahrhunderts die
beiden Hauptrichtungen, die Neo-Renaissance und die Neo-Gotik wertvoll
gewesen sind, dass aber von diesen beiden nur die Neo-Gotik die
befruchtende gewesen, indem diese wieder den Blick nach der
mittelalterlichen Kunst gelenkt hat, die die Keime für die
Zukunft in sich birgt. Weshalb
sollten wir nun bei der mittelalterlichen Kunst in die Lehre gehen? Um
für die Zukunft etwas schaffen zu können? Und sollten
wir überhaupt bei früheren Stilen in die Lehre gehen,
während doch schon eingehend erläutert wurde, dass
Stilarchitektur eine Liebeslüge wäre, und obendrein
die Neo-Renaissance sich als eine Stilinkonsequenz herausstellte? Es
scheint nach dem unmittelbar Vorhergegangenen, dass diese Frage mit
einem absoluten Nein! beantwortet werden muss. Jetzt auch nichts mehr
von dem Vorhergegangenen, keine von all den abgeschwächten
Formen mehr. Das 19. Jahrhundert hat uns die Liebe zur Stilarchitektur
absolut vergällt; wir leben in einer anderen Zeit, die daher
eine besondere Kunst verlangt! Allerdings kann die richtige Antwort auf
diese Frage nur unter einer gewissen Zurückhaltung gegeben
werden, als es schliesslich lediglich auf das "Wie" ankommt. Man kann
ganz gut in die Lehre gehen, wenn man sich nur gut vorstellt, wie man
in die Lehre gehen soll. Und schliesslich muss man wohl in die Lehre
gehen, wenn man nicht anders kann! Was
ist der Fall? In
meinem schon obengenannten Vortrag "Gedanken über Stil''
zitierte ich einige Sätze aus Sempers Stil. Sie
werden erlauben, dass ich sie an dieser Stelle wiederhole. "Ja,
die Natur, die grosse Urbildnerin, muss ihren eigenen Gesetzen
gehorchen, denn sie kann nicht anders als sich selbst wiedergeben; ihre
Urtypen bleiben dieselben, durch alles, was ihr Schoss in den
Äonen hervorbrachte." Diese
Hegelsche Ansicht, welche Semper zu der seinigen machte, spricht auch
in Bezug auf die Kunst ganze Bücher. Sie sagt nicht mehr und
nicht weniger als folgendes: Bedenkt, ihr Künstler, wie die
Natur ihre Urtypen umformt, so könnt ihr selbst auch nur die
ursprünglichen Kunstformen umformen; neue machen
könnt ihr nicht, und versucht ihr das, dann werdet ihr
unnatürlich, d.h. unwahr. Denn,
weshalb sollte der Mensch mehr können als die Natur, indem er
doch selber der Natur gehorchen muss. Und in der Tat! Lehrt nicht die
ganze Geschichte der menschlichen Kultur, dass diese sich immer
wiederholt, dass nur das Formale sich ändert, aber die
gegenseitigen Verhältnisse dieselben bleiben; dass, kurz
gefasst, die Grundlage der Kultur dieselbe bleibt? Diese
Tatsache gibt nun, was die Kunst betrifft, auch sofort die Antwort auf
die obengestellte Frage, nämlich "Wie man in die Lehre gehen
soll?" Sie lautet: Nicht was das Formale anbelangt, sondern nur, was
die ewig dauernde Grundlage betrifft! Also, forscht daher nicht dem
Wesen, sondern dem Geist nach! Zieht man nun, was die Stilauffassung
betrifft, die richtige Folgerung, dann bleibt dem Künstler nur
folgendes zu sagen: Bilde deine künstlerischen Formen um, d.
h. kopiere sie nicht; denn das Kopieren ist verwerflich, weil du dann
nur an dem Äusserlichen hängen bleibst, und es in
solchem Fall nicht weiter bringen kannst, als nur ein blasses Abbild
vom Original zu geben! Die
kopierten Formen sind nicht die deinigen, sind nicht von deiner Liebe! Aber
tue wie die Natur, - forsche nach dem Geist, der den grossen Werken
früherer Zeiten innewohnt und ewig derselbe bleibt, aber bilde
das Formale um, d. h. wähle andere künstlerische
Formen, denn diese werden von deiner Liebe gezeugt sein! Die
Stilarchitektur des 19. Jahrhunderts nun hat sonst nichts vermocht, als
das bloss Formale der früheren Stile zu dem ihrigen zu machen. Sie
hat gemeint; indem sie das Formale gründlich studierte, auch
ihres Geistes teilhaftig zu werden, hat sich aber nur in die blosse
Stilauffassung verwickelt. Und
deshalb verblasste sogar früher schon die italienische
Renaissance der klassischen Kunst gegenüber, insofern sie,
wenigstens was die Baukunst betrifft, nur das Formale
übernahm; und deshalb war schon die römische Kunst in
gewissem Sinne bedenklich, weil in ihr sich nur das Formale der
Griechen und nicht deren Geist wiederspiegelte. Und dieser Geist ist
das ewig wahre, reine, konstruktive Baugesetz. Dieser
Geist ist daher nicht der originelle Teil einer Kunst, denn die
Originalität hängt vom Formalen ab. Hat man den Geist
gefasst, dann hat man noch nichts Originelles getan, sondern nur ein
ewiges Gesetz verstanden. Und hat man das Formale nur kopiert, dann hat
man nichts Besonderes getan. Hat man aber das Formale umgeformt, dann
hat man etwas Originelles zustande gebracht so wie die Natur, und zwar
mit einfachsten Mitteln, dasselbe tut und daher immer originell ist. Daher
sind für das Abendland nur zwei Stile originell zu nennen, der
griechische und der mittelalterliche, und sind es eben auch nur deshalb
diese zwei gewesen, die imstande waren, über alle
übrigen Kulturperioden weit hinaus zu gehen. "Von
historischen Zeiten", sagt Muthesius, "ragen in unserer westlichen
Kultur zwei Glanzperioden der Menschheit als vorwiegend
künstlerisch heraus; das griechische Altertum und das
nordische Mittelalter, das erste eine Höhenmarke in
künstlerischer Beziehung andeutend, die die Welt wohl kaum je
wieder zu erreichen hoffen kann, das zweite wenigstens jene vollkommene
künstlerische Selbständigkeit und jene unbedingte
Volkstümlichkeit der Kunst verkörpernd, die man als
Grundbedingungen einer künstlerischen Zeit voraussetzen muss. Die
griechische Kunst war so mächtig, so triumphierend, so
überlegen, dass nicht nur die gesamte Kultur ihres
Heimatlandes unter ihrem Einfluss stand, sondern dass auch das ganze
gewaltige römische Reich - künstlerisch selbst
unfruchtbar - lediglich von ihr lebte. Die
gotische Kunst, keineswegs ohne allen Zusammenhang mit jener, aber doch
eine vollkommen selbständige Kulturerscheinung, ist die
einzige Originalkunst, die in der abendländischen Welt neben
der griechischen Kunst entwickelt worden ist. Hing von der griechischen
Kunst das ganze Altertum ab, so ruhen in der Gotik die Wurzeln der
Kunst einer neuen Zeit, der Kunst der nordischen Völker, aus
denen sich in jener ersten gotischen Blütezeit eine so
herrliche Frühernte der Architektur und der von ihr
abhängigen Künste entwickelte. Das gotische
Mittelalter bildet den ersten Triumph einer von der klassischen
grundverschiedenen Kunst, hoch entwickelt, durchaus einheitlich in
allen ihren Erscheinungen, alle Leistungen der menschlichen Hand
durchdringend, und vor allem, in bestem Sinne, volkstümlich.
Es ist daher in seiner Art eine durchaus vollkommene Kunstzeit." Ziehen
wir nun hier wieder die Folgerung, bei Erwähnung der Tatsache,
dass es gerade diese beiden grossen Architekturen sind, welche nach
einem gewissen geometrischen Gesetz sich entwickelt haben, dann fragt
es sich, ob wir, indem wir den Geist fassen wollen, nicht ebenfalls
wieder mit einem geometrischen Gesetz anfangen sollen? Ich
glaube diese Frage in bejahendem Sinne beantworten zu müssen
und dabei diesen zweiten Punkt feststellen zu dürfen, sowie
den schon erwähnten, dass man keine Formen von
früheren Stilen kopieren soll. Es bleibt aber jetzt noch ein
dritter Punkt übrig, indem das geometrische Gesetz nur Mittel
ist und daher nur einen untergeordneten Teil des eigentlichen Geistes
des Stils ausmacht, den Hauptteil dieses Geistes hervor zu heben, zu
studieren, zu untersuchen. Es
ist, bei allen Betrachtungen über die Architektur in den
letzten Jahren, viel und immer wieder über "das Konstruktive"
geredet worden, und ich selber habe es jetzt in diesen
Vorträgen auch wieder genannt. Aber dieses Wort kann sehr
leicht zu Misverständnissen Veranlassung geben. Wenn ich zu
einem, der es nun einmal darauf abgesehen hat, mich nicht verstehen zu
wollen, behaupte, dass ein eiserner Pfeiler, der mit Stuck bekleidet
ist und nachher eine Säulenform im Geist der Antike bekommt,
nicht konstruktiv sei, wird er mich fragen: "Weshalb nicht? Das Ding
hält; ich kann ihm ja doch diejenige Form geben, welche ich
will, also ist es konstruktiv". Wenn
ich eine Halle betrete, etwa mit einer Säulenarchitektur, die
überwölbt d. h. deren Gewölbe aus Gipsmasse
hergestellt ist, über dem sich selbstverständlich ein
leerer Raum befindet, der vom Fussboden der oberen Etage abgeschlossen
wird, und ich würde zu ihrem Konstrukteur sagen, dass diese
Halle nicht konstruktiv sei, würde er wahrscheinlich sehr
bös werden, mich wiederum fragen: "Weshalb nicht?" und
hinzufügen, dass diese Konstruktion während
Jahrhunderten so gemacht wurde, und ob ich es denn besser machen wolle
als ein Sangallo oder ein Perruzzi. Und
wenn ich schliesslich den Baumeister einer Fassade, mit einem Turm
gekrönt, fragen würde, weshalb ich im Grundriss zur
Stütze dieses Turmes nur ein paar Pfeiler vorfinde, welche
durch einen eisernen Träger die Last des Turmes aufnehmen;
dann würde dieser Baumeister mich wahrscheinlich für
verrückt halten und sogar aus dem Grundriss gotischer Dome
herleiten, dass daselbst die vierte Ecke der Türme ebenfalls
auf einem Pfeiler ruhe. Ich
muss gestehen, dass ich in einem solchen Falle mit einer schlagenden
Antwort nicht sofort fertig bin; trotzdem ich weiss, wie pedantisch das
auch klingen möge, dass ich recht habe. Ich sage, mit einer
schlagenden Antwort nicht sofort fertig zu sein, indem man bedenken
muss, wie viele neue Konstruktionen heutzutage auftauchen, Erfindungen
der Industrie, die darauf hinzielen, immer praktischer bauen zu
können; Erfindungen, die aber eine solche Umwälzung
in der ganzen Bautechnik hervorrufen, dass eine Erläuterung,
was man unter einer sogenannten konstruktiven Bauweise, auf Grund der
Materialbenutzung, zu verstehen habe, nicht so ganz leicht ist. Ist
doch z. B. die Erfindung des armierten Betons eine derartige, und
deshalb eine solche Erläuterung nicht ohne Schwierigkeit. Ich
glaube nun, dass es sich beim eventuellen Misverständnis nur
um eine Wortfrage handelt und z. B. das Wort sachlich besser
gewählt wäre, welches ohnehin den Vorzug hat, auch
vom Laien besser verstanden zu werden. Nun
hat das Wort einen Nachteil, sich unkünstlerisch
anzuhören. Dieser Nachteil lässt sich jedoch
überwinden, wenn man sich nur vornimmt, das Wort "sachlich"
nicht mit "geschäftlich" zu verwechseln. Und alsdann frage man
sich, ob eine Kunst, die sachlich ist, keine Kunst sei. Ob es
unkünstlerisch ist, immer peinlicher zu erwägen,
welche Zusammenstellung am einfachsten ist, welche am logischsten sich
entwickelt; und dann sei damit natürlich nicht die
räumliche Einteilung des Gebäudes gemeint, indem ein
Streben in diesem Sinne als etwas Selbstverständliches
vorausgesetzt werden muss, sondern die künstlerische Form. Denn
es gibt nicht nur eine ökonomische, sondern auch eine
künstlerische Sachlichkeit. Ist es denn
unkünstlerisch, bei der Formgebung nicht zuerst an die
Verzierung, an das Ornament, sondern zuerst an eine
Linienführung zu denken, die sich so einfach wie
möglich aus der primären Form entwickelt? Ist es denn
unkünstlerisch, auch in der Formgebung alles
Überflüssige weg zu lassen, d.h. alles dasjenige, was
nicht direkt zu der architektonischen Konstruktionsnotwendigkeit
gehört, und den Masstab der Folgerichtigkeit daran zu legen,
wodurch der Satz Viollet-le-Ducs: "que toute forme, qui n'est pas
ordonnée par la structure, doit être
repoussée," seine richtige Anwendung findet ? So wie sich
denn immer in der "Beschränkung der Meister zeigt", so geht's
auch hier, ein Satz, der nebenbei den Beweis zur allgemein bekannten
Tatsache liefert, dass nicht die kompliziertere, sondern die einfachere
Form immer die grössten Schwierigkeiten macht. Und
Ihr seid Künstler genug, um zu begreifen, dass das
Gefühl dabei die Grenze zwischen Nüchternheit und
Einfachheit zu ziehen hat; d.h. die Unterscheidung zwischen
Nicht-Künstler und Künstler, indem die Arbeit des
wahren Künstlers, so einfach sie auch sein möge,
niemals nüchtern sich gestaltet. Also
eine sachliche, d.h. eine konstruktive Kunst, sei die Parole, und im
Falle des Zweifels bei diesem Ausspruch werden Sie es mir nach den
vorhergegangenen Betrachtungen nicht verdenken, wenn ich behaupte, dass
die beiden grossen Stile, der griechische und der mittelalterliche,
ebenfalls "sachlich" gewesen sind, indem gerade diese beiden den oben
gestellten Forderungen von einfacher verständlicher Formgebung
entsprachen. Und waren diese beiden Stile die am wenigsten
künstlerischen? Im Gegenteil. Denn
ist nicht das dorische Kapitäl, entwickelt aus dem
architektonischen Formenbedürfnis, das denkbar einfachste und
eben deswegen nicht das denkbar schönste? Und
ist nicht der dorische Metopenfries, ebenfalls aus der
architektonischen Grundform entwickelt, eine Verzierung, die niemals
langweilt, von ewiger Schönheit und doch von einer
verblüffenden Einfachheit. Und ist nicht ferner ein
romanisches Portal, einfacher kaum zu denken, mit der feinsten
künstlerischen Empfindung aus der Mauer ausgeschnitten, aber
deswegen von einer Schönheit, die sich kaum edler denken
lässt; und wird diese Regel nicht durch die Beobachtung
bestätigt, dass in allen Fällen, wenn diese Formen
sich allmählich zu einer reicheren Entfaltung entwickeln, auch
eine Schönheitseinbusze bemerkbar wird, wenn die Klarheit
getrübt wird, trotzdem diese bei der reichsten Entfaltung
vorhanden sein kann? Und
so wird jetzt klar, warum es gerade der Renaissance von vornherein
bestimmt war, architektonisch nicht zu befriedigen, weil sie das
ursprünglich klare Säulen-und Pfeiler-Schema als
Dekorationsform, also in unklarer Weise, nicht als eine aus dem
architektonischen Bedürfnis hervorgegangene Notwendigkeit
verwendete. "Nur hütet euch", ruft schon Goethe aus, "die
Säule ungehörig zu gebrauchen; ihre Natur ist frei zu
stehen. Wehe den Elenden, die ihren schlanken Wuchs an plumpe Mauern
geschmiedet haben!" Und
wie bekannt, waren es schon die Römer, die in dieser
Verwendung vorangingen. Wie gesagt, die Meister der Renaissance haben
nur das nicht originell formale Formenschema übernommen,
welches sie zwar mit einer wirklich originellen Verzierung, einem
sprudelnden Renaissanceornament, zu beleben, aber nicht zu retten
wussten. Daher ist auch ein ornamentloses Renaissance-Gebäude
das allerdürrste. Aus
alledem geht hervor, dass wir bei den beiden grossen Stilen, dem
griechischen und dem mittelalterlichen, in die Lehre gehen
müssen, namentlich aber bei dem letztern, da in diesem die
Wurzeln der Kunst einer neuen Zeit ruhen. Und das ist der Fall, weil
diese ebenfalls sachlich ist. -
"Denn," sagt Muthesius am Ende seiner
Schrift "Stilarchitektur und Baukunst", "auf eine sachliche Kunst
hatten im Grunde schon die unklaren romantischen Bestrebungen, soweit
sie in der Architektur sich äusserten, abgezielt; sie waren,
als höchst bezeichnendes Merkmal, im 19. Jahrhundert zum
ersten Male wieder auf jene Anschauung einer im Keim ihres Wesens
sachlich und wirklich empfindenden Kunst zurückgekommen, die
die gotische Zeit, ich stipuliere, in so grosser Klarheit
verkörpert. Nur der Umstand, dass sich die neugotische Schule
in derselben Weise in das äusserlich Formale, ich stipuliere
wieder, in die blosse Stilauffassung verwickelte, wie es die
klassizistische getan hatte, konnte den grossen Umbildungsprozess etwas
verdunkeln, der sich, trotz aller Schwankungen und Gärungen im
19. Jahrhundert mit steigender Folgerichtigkeit zu vollziehen begann;
der Ersatz des klassischen Schönheitsideals durch ein neues,
dem nordisch germanischen Geiste entsprechendes." Ich
sagte, dass wir den Geist der beiden früheren Stile studieren
sollten; jetzt sehen wir, dass dieser Geist in "Sachlichkeit" besteht,
die sich als identisch mit "klarer Konstruktion" heraus stellt.
Abgesehen nun noch von der allgemeinen Richtigkeit der ewig
gültigen "Baugesetze" ist es von Interesse zu bemerken, wie
gerade diese Zeit, sogar in leidenschaftlicher Weise, nach Sachlichkeit
drängt. Ich hatte in meinen vorigen Vorträgen in
Zürich schon Gelegenheit, diese Tatsache hervorzuheben, wie z.
B. deutlich zu erkennen ist, dass "die Zeitentwickelung auf Ablegung
des Schmucks hindrängt" und zwar mit entschiedener
Hervorhebung des rein Zweckmässigen, zu welcher
Bestätigung ebenfalls eine interessante Schrift von Muthesius
genügende Aufklärung gibt, die "Umbildung unserer
Anschauungen." Es
mag nun einerseits allerdings richtig sein, dass diese Tendenz durch
die grenzenlos übertriebene, absolut unmotivierte
Verzierungswut des 19. Jahrhunderts als Reaktion hervorgerufen wurde;
nicht zu leugnen bleibt, dass schon seit 10 Jahren ein Anfang mit der
Bildung von schmucklosen Gegenständen gemacht wurde; dass ihre
Erscheinung anfangs selbstverständlich eine scharfe Kritik zur
Folge hatte; dass man aber heutzutage doch schon so weit gekommen ist,
sie zu genehmigen. Und
dazu gesellt sich schon, wenn man will, eine schmucklose Architektur,
d. h. eine sparsam geschmückte, denn im Vergleich zur
früheren findet man diese jetzt schmucklos. Ich
zog aus diesen Erscheinungen jedoch nicht die äusserste
Konsequenz, nämlich die Behauptung, dass wir einer
schmucklosen Kultur zustreben. Im Gegenteil. Die Erscheinungen geben zu
erkennen, dass gerade heutzutage ein ganzes Heer von Ornamentisten sich
mit dem modernen Ornament beschäftigt, und daher scheint es
mir, dass die zukünftige Kunst nicht schmucklos sein wird,
weil schliesslich der innerliche Drang des Menschen gerade zum Schmuck
zuletzt doch siegen wird. Was
nun aber ebenfalls in der Verzierung, im Ornament, in Uebereinstimmung
mit der grossen Eigenschaft im allgemeinen, als führender
Geist wirksam sein sollte, das ist wiederum die Sachlichkeit; d. h. das
Ornament soll sich ebenfalls durch Klarheit in der
Linienführung, durch Einfachkeit in der Bildung auszeichnen. Aus
diesen Betrachtungen können wir daher folgenden Schluss
ziehen, der den Weg bestimmt, welchen wir jetzt einschlagen
müssen, den Weg, welcher für die Zukunft wertvoll
sein kann, und welcher uns zu einer neuen Kunst führen soll. Erstens:
Die Grundlage einer architektonischen Komposition soll wiederum nach
einem geometrischen Schema bestimmt werden. Zweitens: Die charakteristischen Formen früherer Stile sollen
nicht verwendet werden. Drittens: Die architektonischen Formen sollen nach der sachlichen Seite
hin sich entwickeln. Was
den ersten Punkt anbelangt, habe ich im Anfang darzulegen versucht,
dass die beiden grossen Stile sich ebenfalls auf einer geometrischen
Basis aufgebaut und eben deshalb ihre hohe künstlerische
Gestaltung erreicht haben. Und wenn auch nicht für alle
Fälle eine geometrische Formbildung nachzuweisen war, so
sollte uns das doch nicht hindern, eine solche gänzlich
durchzuführen. Denn es ist keine Gefahr vorhanden, dass man
durch deren Benutzung zu dogmatisch werde. Im Gegenteil; denn ein
Nicht-Künstler bringt es mit diesem System ja doch zu nichts,
und in den Händen eines Künstlers ist es eine
Triebkraft, indem er die geometrische Form zu beherrschen versteht, sie
Mittel bleiben lässt, und an richtiger Stelle dieselbe zu
verlassen weiss. Der wahre Künstler sorgt schon
dafür, dass mit dem Prinzip die Welt nicht zu Grunde geht.
Uebrigens gibt es bei den Alten Abweichungen, die einerseits nicht
anders als gerade aus der richtigen Konsequenz des Systems zu
erklären sind und daher den Beweis liefern, dass das System
selbst schon vor dürren Resultaten bewahrt, andererseits aber
auch aus dessen Preisgeben, wenn es eben zu schulmeisterisch zu werden
droht. Der
zweite Punkt spricht für sich selbst, indem darin gerade das
unselbständige Schaffen liegt. Es betrifft eben das
veränderlich Charakteristische, "the altering fashion", das
Individuelle, dasjenige, was einen Stil zu einem Stil macht. Denn mit
dem Kopieren alter Formen wird die Originalität absolut
preisgegeben. Der
dritte Punkt endlich enthält nun gewissermassen die Antwort
auf den zweiten, nämlich wie denn die neuen Formen sich
gestalten sollen. Und
diese Antwort kann selbstverständlich nur teilweise gegeben
werden, indem man das Individuelle nicht vorschreiben kann. Aber
wie war es denn, werden Sie fragen, in früheren Zeiten, als ja
doch z. B. jeder dorische Baumeister gewissermassen dasselbe dorische
Kapitäl machte, zwar mit geringen Abweichungen,
Ausbesserungen, aber doch in der Grundform dasselbe? Und schlieslich
sieht man in allen grossen Stilperioden doch keine so scharfen
individuellen Abweichungen wie heutzutage. Sie haben recht! aber die
Antwort auf diese Frage ist sofort zu geben. Der Unterschied zwischen
jetzt und früher liegt eben darin, dass ein grosser Stil die
Aeusserung eines ganzen Volkes ist und daher auf einer Tradition
beruht, innerhalb deren das Individuelle verschwindet; dass hingegen
eine Zeit ohne einen grossen Stil sich durch Individualisierung
kennzeichnet, d. h. dass das Individuum sich geistig dem ganzen Volke
mit seiner Tradition nicht untergeordnet fühlt, sondern jedes
für sich Anspruch auf besondere Auszeichnung, auf
Selbstäusserung macht. Solch eine Zeit ist eben eine Zeit
selbständiger Schulen, auf die der führende Meister
seinen Stempel drückt. In den Zeiten der grossen Stile kennt
man solche Schulen nicht. Die
Renaissance fängt damit an, denn es ist gerade der Humanismus,
das Wort sagt es schon, der diese Weltanschauung fordert. Aus diesem
Grunde war der gotische eben der letzte grosse Stil. In
der heutigen Zeit ist der Individualismus wohl am stärksten
ausgeprägt. Hatte man in der Renaissance-Zeit noch eine
gewisse Tradition, die in der Antike wurzelte, heutzutage hat man gar
keine. Jedermann für sich meint es allein zu wissen, und der
Unbedeutendste will sich noch selbständig äussern ;
wäre es in dem Fall nicht besser, wenn er
rücksichtslos seinen Nachbar kopieren würde? Es ist
aber gelungen zu beobachten, wie man eben das gar nicht
verträgt, nur derselben Ursache wegen. Und
was für Unheil diese
Persönlichkeitsäusserung gestiftet hat (denn beim
Fehlen einer Tradition will jederman originell sein, was einer
Tradition gegenüber, und sei sie noch so schlecht, immer noch
viel schlimmer ist), davon liefern leider unsere modernen Strassen den
greulichsten Beweis. Die künstlerische Anarchie ist der
grausamste Feind. Werden
wir daher nicht wieder zu einem grossen Stil gelangen, bevor wir alle
wieder nach einer gleichen Tradition arbeiten? -
Abgesehen nun von der
Frage, inwiefern es möglich sein wird, dass alle
Völker, die auf einer Kulturhöhe stehen, im selben
Sinne arbeiten, kann man ganz ruhig diese Frage .mit einem "Nein"
beantworten. Denn, was ist nicht alles dazu nötig? Bevor
ich dazu jedoch die Schlussantwort gebe, muss ich erst wieder zum
dritten Punkt zurückgehen, dass die architektonischen Formen
sich nach der sachlichen Seite entwickeln sollen. Den nicht eigentlich
individuellen Teil, der in dieser Forderung enthalten ist, kann man mit
dem ersten Punkt, dem der geometrischen Grundlage verbinden, er soll
der Einheit des Stils wegen mit jenem verknüpft werden. Ich
habe Sie auf die geometrische Grundlage der beiden grossen Stile
aufmerksam gemacht und Ihnen an einigen modernen Werken gezeigt, wie
ein gewisses System, ein uniformes mathematisches Verhältnis,
durch eine ganze Komposition durchgeführt werden kann. Es
handelt sich hier um die eusssprechenden architektonischen Formen, d.
h. Kapitäle, Gesimse, Leisten, kurz und gut, um die Verzierung
im allgemeinen. Und
da zeigt es sich, dass in dem geometrischen Plan die Triangulatur resp.
Quadratur für diese Details ebenfalls die zugehörige
Grundlage enthält, d. i. die Grundlage zu einer geometrischen
Ornamentik. Ich
zeigte Ihnen schon ein geometrisch gebildetes Kapitäl und
andere geometrische Formen. Können nun schliesslich die beiden
grossen Stile nicht ebenfalls geometrische Stile genannt werden nach
dem Charakter ihrer Ornamentik? Denn
kommt nicht in beiden, neben dem vegetabilischen, vorzugsweise ein
geometrisches Ornament vor, und zwar im Anfang fast ausschliesslich? Ist
das vegetabilische Ornament an dorischen Tempeln und an romanischen und
gotischen Domen nicht verhältnismässig unbedeutend im
Vergleich zum geometrischen, unbedingt vorwiegenden? Ist
diese Tatsache nun nicht ein Fingerzeig für uns, wiederum
damit anzufangen, unsere architektonischen Details von neuem
geometrisch zu bilden, und dann für jede architekturale
Komposition, je nach einem aparten Schema? Das
bewahrt nebenbei sofort vor dem allzusehr persönlichen
manchmal hässlich originellen Charakter, indem die
geometrischen Formen nicht individuell und an und für sich
immer schön sind. Mehr
als diese Anregung kann man vorläufig nicht verlangen, denn
die Ausarbeitung der Details muss wohl dem Individuum, jedem nach
seiner Art und Weise, überlassen bleiben. Denn wie gesagt,
eine einheitliche Grundform, auf die man sich geeinigt hat, gibt es
vorläufig nicht - ein Säulenschema, das den dorischen
Stil zum dorischen, den jonischen zum jonischen, den korinthischen zum
korinthischen macht, gibt es nicht, und doch war es schliesslich nur
ein einziges Kapitäl, das mit dem Akanthusblatt, das die
formale Kunstumwälzung hervorrief und hunderte von Jahren
überdauert hat. Die
Geometrie aber ist in ihren Formen unendlich, d.h. unendlich viele
Variationen sind nach einem einzigen Motiv möglich; und wenn
man dann die Grenze nicht zu eng zieht, d. h. die von den streng
geometrischen Linien abgeleiteten Formen, unter welchen die Spirale
wohl die bedeutendste, und schliesslich den Begriff geometrischer
Linien nicht allzu peinlich nimmt, dann wird man auf einmal sich den
Blick dermassen erweitern sehen, dass man die Grenzen der ornamentalen
Möglichkeit nicht bestimmen kann. Mehr
als diese Anregung kann man vorläufig nicht verlangen, sagte
ich oben. Ich hoffe nun, dass Sie das Wort Anregung nicht misdeuten
werden, indem Sie darin vielleicht eine Vorschrift sehen, sich auf ein
Ornament von Quadraten und Dreiecken zu beschränken. Ich kann
nicht genug wiederholen, wie fern das liegen soll und wie immer die
Geometrie nur Mittel und nicht Zweck bedeutet. Sie soll Mittel bleiben
zur Bildung des eigentlich formalen Schönen, zur Bildung
desjenigen, was einen Stil zu einem Stil macht. Und
daraus geht wieder deutlich hervor, dass wir heutzutage, sogar bei
Verwendung eines geometrischen Ornaments nichts anders als eine Anzahl
individueller Stile zu erwarten haben; denn obgleich diese geometrische
Grundlage an und für sich schon eine einheitliche Basis gibt,
und diese das zu stark Individuelle wegnimmt, es ist doch zu erwarten,
dass jeder Künstler für sich, jedes Ornament in
andrer Weise, nach persönlicher Art entwickeln wird. Und die
Beweise dafür sind schon da. Denn ist es nicht
merkwürdig zu beobachten, wie die modernen
Zierkünstler (und es ist ein ganzes Heer damit
beschäftigt) zwar alle mehr oder weniger in geometrischen
Formen, doch alle individuell arbeiten; einzelne nur in Quadraten und
Dreiecken, andere wiederum in freieren Formen; wiederum andere mit
Spiralen u.s.w.; aber trotzdem, gezwungen wie sie sind, fast unbewusst,
wiederum zurückgedrängt, möchte ich sagen,
zu dem Urquell eines richtigen Stilprinzips, zu der geometrischen Form. Es
gibt aber Ausnahmen. Es gibt moderne Künstler, die sich von
dem vegetabilischen Ornament nicht haben losreissen können, es
im Gegenteil in ganz freier Formbehandlung benutzen. Hat denn ein
solches Ornament keine Berechtigung mehr? Doch! Aber nur vom rein
individuellen Standpunkt betrachtet, d.h. es wird mit dem Autor
verschwinden, so wie das freie Linienornament gewisser
Künstler; eben weil es einem persönlichen Geschmack
entsprungen und daher nicht im Stande ist, zur Bildung eines formalen
Stils etwas Bedeutendes beizutragen. Es bildet nur eine
persönliche und daher eine vorübergehende Mode. Neben
dem geometrischen Ornament hat es, wie gesagt, in allen grossen Stilen
auch ein vegetabilisches gegeben, bald mehr, bald weniger vorwiegend.
Man kann sich dem grossen stilistischen Reiz der Pflanzen nicht
entziehen, umsoweniger als heutzutage wieder eine wachsende Liebe zur
Natur bemerkbar wird. Es
wird daher auch heutzutage die Pflanze ebenfalls zur Bildung von
Ornamenten benutzt, aber sie wird nur dann einen stilistischen Wert
haben, wenn sie sich der geometrischen Grundlage unterzuordnen
versteht; und es ist nicht eine einzige Pflanze, sondern wiederum die
ganze Pflanzenwelt, wie im Mittelalter, welche heutzutage von neuem das
Interesse der Künstler erregt. Denn es wäre nicht
denkbar, dass wie im egyptischen und griechischen Stil nur Palme und
Lotos, und wie im römischen nur der Acanthus, heutzutage
ebenfalls nur eine Pflanze allein im Stande wäre, das
Grundmotiv zur Verzierung eines zukünftigen Stils zu liefern;
geschweige denn zu den verschiedenen persönlichen Versuchen. Und
trotzdem auch schon das Tier, und sogar der Mensch, in die Ornamentik
hineingezogen werden, bleiben doch alle diese Versuche
vorläufig zurück hinter dem geometrischen, dem
gegenstandslosen Ornament, wie es van de Velde zu nennen pflegt. Nun,
das ist nicht nur recht, sondern selbstverständlich, indem
vorläufig noch jenes grosse "gewisse Etwas" fehlt, was in
letzter Instanz einen Stil zu einem Stil macht, und das ist die Liebe
zu einem Ideal. Rekapitulieren
wir, dann haben wir als Vorbedingung zu einem architektonischen Stil
die folgenden 3 Punkte:
1.
Die Festlegung einer architektonischen Komposition geschehe auf
geometrischer Grundlage.
2. Man soll die Formen früherer Stile nicht kopieren.
3. Die architektonischen Formen sollen ebenfalls geometrischer Natur
sein, nach freier Auffassung, aber in einfachster, sachlicher Weise
entwickelt, nach demselben Schema des Grund- und Aufrisses.
Durch
diese drei Sätze achte ich den Stil, den wir jetzt zu befolgen
haben, formuliert, indem ich nochmals besonders stipuliere, dass man
jetzt wie früher, ein Künstler, nach wie vor ein
schaffender Geist sein muss, um innerhalb dieses Grundgesetzes etwas
Bedeutendes zu leisten, indem nur ein Künstler im Stande ist,
das Gesetz, die ewige Wahrheit, d. h. den Geist vergessen zu machen,
und durch dieses Gesetz, aus diesem Gesetz heraus, eine neue formale
Schönheit zum Vorschein zu rufen. Die
ewige Grundwahrheit, der Geist, war in der Stilarchitektur des 19.
Jahrhunderts nicht vorhanden, er war verloren gegangen, und man hat nur
die formale Schönheit früherer Zeiten, ohne diesen
Geist, kopiert. Jetzt,
da der Geist wieder gefunden ist, braucht man die formale
Schönheit früherer Stile nicht mehr; im Gegenteil,
jetzt soll man mit der Umbildung der Kunstformen, mit einer neuen Liebe
anfangen. Diese
Umbildung, mit der verschiedene Künstler sich jetzt schon seit
einiger Zeit beschäftigen, kann heutzutage, wie ich sagte, nur
individuell sein, so wie das auch in der Renaissance der Fall war. Das
war die Ursache, dass die Renaissance zu keinem grossen Baustil
gelangen konnte und weshalb auch heutzutage noch viel weniger an einen
grossen Baustil zu denken ist. Denn ohne gemeinschaftliche Tradition
kann von einem grossen Baustil nicht die Rede sein; Tradition war bei
der Renaissance, durch die Nachbildung der Antike, noch vorhanden, aber
heutzutage arbeiten die modernen Künstler absolut
traditionslos, denn eine neue Tradition muss noch geschaffen werden.
Die modernen Künstler werden sich nach vielem Suchen und Irren
zuletzt zusammenfinden, gewissermassen eine künstlerische
Uebereinkunft treffen. Aber wird dann schon der grosse moderne Stil
geboren sein? Ich glaube kaum! Weil, wie ich sagte, vorläufig
noch jenes grosse Etwas fehlt, das in letzter Instanz einen Stil zu
einem grossen Stil macht, die Liebe zu einem Ideal. Man
kann zwar sehr weit kommen, wenn man sich auf eine formale
Schönheit geeinigt hat, wie z.B. das Akanthusblatt und mit ihm
das korinthische Kapitäl ein treffliches Beispiel dazu gibt,
aber da es nur eine formale Uebereinkunft war, konnte mittels ihrer
Hilfe zwar ein Stil, aber kein grosser Stil erreicht werden. Denn
jenes Schönheitsideal ist nicht formeller, sondern geistiger
Natur, und die Kunst ist in letzter Instanz nur Abspiegelung geistiger
Ideen. "Es ist einmal der Fall, dass die Kunst nicht mehr diejenige
Befriedigung der geistigen Bedürfnisse gewährt", sagt
Hegel, "welche frühere Zeiten und Völker in ihr
gesucht und nur in ihr gefunden haben; eine Befriedigung, welche
wenigstens von Seiten der Religion aufs innigste mit der Kunst
verknüpft war. In allen diesen Beziehungen ist und bleibt die
Kunst nach der Seite ihrer höchsten Bestimmung für
uns ein Vergangnes." Scheffler,
dessen Schrift "Konventionen der Kunst" ich schon zitierte, sagt, dass
"alle Kunst, insofern sie Sprache der Seele sein will, auf Konventionen
angewiesen ist und daran anknüpft", und etwas weiter:
"Für die bildende Kunst ist eine allgemein gültige
Konvention über die Grundidee des Lebens von grossem Wert". Also
auch er hebt hervor, dass, wenn eine Kunst Sprache der Seele sein soll,
sie es ohne Konvention nicht fertig bringt. Aber wie kann eine Kunst
Sprache der Seele sein, wenn die Liebe nicht vorhanden ist? Und ist
denn schliesslich eine Kunst wirklich eine Kunst, wenn sie keine
Sprache der Seele ist? Prüft man also diese
Aussprüche an dem Vorhergegangenen, dann wird man erst recht
zu der Ueberzeugung kommen, warum es heutzutage vorläufig an
einer grossen Kunst fehlt; aber es wird ebenfalls ersichtlich, weshalb
bei der Stilarchitektur die Liebe fehlt und fehlen muss, indem wie
erörtert von einer höheren Liebe bei der
Wiederverwendung des äusserlich Formalen nicht die Rede sein
konnte. Der
zweite Satz Schefflers geht aber der Sache auf den Grund. Denn
sogar, wenn die Künstler es so weit gebracht haben
würden, dass sie sich auf die formale Schönheit,
sowohl innerlich als auch äusserlich, geeinigt
hätten, gewissermassen zu einer formalen
Schönheitsübereinkunft gekommen wären; d. h.
zu einem konsequent durchgeführten Formensystem auf
geometraler Basis, dann noch würde in letzter Instanz keine
grosse Stilarchitektur da sein, weil geistig jene grosse Uebereinkunft
fehlt, welche ebenfalls eine Konvention fordert, eine Konvention,
welche in der Kunst ihre Abspiegelung finden muss. Man kann es zwar mit
der formalen Uebereinkunft weit bringen, die Kunst zu jener grossen
Lebensfreude hinaufführen, die die Menschheit braucht und sie,
so wie die Renaissance, auch gewissermassen befriedigen wird; aber jene
letzte grosse Befriedigung, die Ruhe der Seele, kann sie nicht geben,
wenn nicht ebenfalls die geistige Uebereinkunft getroffen wird. Und
wenn Scheffler sagt, dass für die bildende Kunst eine
allgemein gültige Konvention über die Grundidee des
Lebens von grossem Wert sei, möchte ich behaupten, dass die
bildende Kunst diese braucht, dass ohne sie ein grosser Stil nicht
wachsen kann. Und ich glaube, dass jeder Künstler, wenn er
sich nicht durch eine oberflächliche Betrachtung einerseits
und durch sich selbst genugtuende Ueberschätzung andererseits
hat betäuben lassen, zu dieser Erkenntnis kommen muss. Denn
steht man in letzter Instanz nicht ohnmächtig da, wenn man
sich formal, grosszügig ornamental, äussern will,
eben weil gerade der Gegenstand, die ideale Grundidee, zu einer solchen
Aeusserung fehlt? Und
es gehört zur Selbsttäuschung, wenn man meint, dass
die ideale Grundidee, die Religion, heutzutage noch dasselbe vermag wie
früher, aus dem einfachen Grunde, dass auch bei ihr keine
Uebereinkunft mehr gilt, eine solche wohl kaum mehr zu treffen ist,
indess innerhalb der beiden grossen christlichen Religionen eine
vielfache Zersplitterung stattfindet, und schliesslich, man kann sagen,
was man will, auch im Gottesdienst heutzutage der eigentliche Geist
fehlt und nur die formale Schönheit, die äusserliche
Form übrig geblieben ist. Und
es war eben die Reformation, die die Renaissance einläutete! Scheffler
sagt dazu: "Die
Geschlossenheit früherer Kunstepochen beruhte fast
ausschliesslich darauf, dass die Menschen sich auf eine Religion
geeinigt hatten, und die Zersplitterung in der künstlerischen
Produktion der Gegenwart ist ebenso aus dem Fehlen einer allgemein
anerkannten Weltidee zu erklären. Stil
entsteht nur durch Beschränkung, bedarf als Grundlage eines
Systems, ich stipuliere, ist selber System. Je bewusster die Menschheit
wird, desto umfassender fordert sie dieses System. In ihm sollen viele
Zweifel Antwort geben, und alle Widersprüche des Lebens
aufgelöst werden. Es
könnte von Interesse sein, tiefer auf diese Sache einzugehen,
und es wäre für einen Geschichtschreiber,
Kunstforscher, aber zugleich Künstler, ein sehr dankbarer
Gegenstand, einmal in diesem Sinn Gedanken- und
Formenschönheit als künstlerische Aeusserung zu
studieren, und aus diesem Studium vielleicht eine
Wertschätzung der verschiedenen Religionen zu ziehen." Ich
hoffe nur, dass aus diesen Betrachtungen nicht die falsche Folgerung
gezogen werde, dass die protestantische Religion als eine minderwertige
zu betrachten sei, indem ihre künstlerische Äusserung
eine minderwertige geblieben. Man soll sich immer davor hüten,
Ursache und Folge zu verwechseln. Aber beachtenswert bleibt jedenfalls
wiederum die Tatsache, wenn man nach der Ursache forscht, dass auch in
diesem Zusammenhang die individuelle Äusserung wahrscheinlich
als bezügliche Ursache zu betrachten ist, indem der
Protestantismus für die individuelle Gedankenfreiheit den
meisten Spielraum lässt. Es
ist hier nicht der Ort, diese Ideen näher zu entwickeln oder
auch nur den Versuch dazu zu wagen; sondern nur noch einmal diese
Tatsache festzulegen, dass alle möglichen Gottesdienste zu
allerhöchsten künstlerischen Äusserungen,
imstande waren, weil die Menschen sich auf eine Religion geeinigt
hatten. Mithin kann konstatiert werden, dass, was die geistige Liebe
anbelangt, wir in einer Zeit leben, die zwischen zwei Religionen, d.h.
geistigen Konventionen liegt und daher für die bildende Kunst
unfruchtbar ist; "denn da kein Vertrag", wie Scheffler sagt,
"über die Art des Ideals mehr gilt, weil
gemeinverständliche Symbole ihm, dem Künstler, nicht
zur Verfügung stehen, seine Empfindungen also aus sich heraus
neue Gleichnisse suchen müssen, so bleibt er, weil dasjenige,
was ihm seiner Erkenntnis nach, symbolisch erscheint, es andern aber
nicht ist, unverstanden." Das
klingt allerdings nicht sehr hoffnungsvoll. Es sagt also nicht mehr und
nicht weniger als folgendes: "Was wir auch schaffen, wie wir auch
ringen, wir können es höchstens zu einer Einigung in
formaler Schönheit bringen, höchstens zu einem
formalen Stil; aber zu einem Stil als Abspiegelung einer geistigen
Idee, eines geistigen Ideals, nicht. Und ist es das nicht, was wir
Kultur nennen? Es fehlt uns eine Kultur, denn Kultur setzt
Solidaritätsgefühl voraus, kann sich nur auf einer
geistigen Basis entwickeln, ist die Abspiegelung jenes geistigen Ideals. Es
fehlt der Kunst ein gemeinverständliches Symbol, denn was dem
einen seiner Erkenntnis nach noch symbolisch erscheint, ist es dem
andern nicht, und die Kunst bleibt unverstanden. Mithin, wenn in
letzter Instanz die Künstler sich schon auf eine gewisse
formale Schönheit geeinigt hätten; so würde
für diese formale Schönheit dennoch die geistige
Grundlage, das Symbol, fehlen, und damit auch die befruchtende Idee. "Die
Gegenwart lebt so zwischen zwei Zuständen, und alle
Erscheinungen der neueren Kunst lassen sich einerseits auf das Fehlen
der religiös-philosophischen Konvention
zurückführen, andererseits auf die Sehnsucht danach",
sagt Scheffler weiter, "in welches Dilemma sich die Künstler
teilen. Die einen bedienen sich alter Formen, sowohl heidnischer wie
christlicher, und suchen ihnen eine neue Erkenntnisform anzupassen; die
andern, die sogenannten Nutzkünstler, versuchen eifrigst Tisch
und Stuhl, Wohnhaus und Geschäftsgebäude,
vernünftig zu konstruieren; aber diese Zweckgedanken sind im
Grunde Kausalitätsidee, also Gottidee, und sind daher auf
Unterströmungen zurückzuführen, welche von
religiöser Sehnsucht bewegt werden". Es
ist nun dieser letzte Satz, der als das Endergebnis betrachtet werden
muss. Denn
rekapitulieren wir noch einmal, dann kommen wir zur folgenden
Betrachtung. Wenn man in der bildenden Kunst etwas schaffen will, was
Stil haben soll, dann muss das Ganze nach einem mathematischen
Grundschema aufgebaut sein und keine Form dabei der reinen
Willkür entspringen; die Formen früherer Stile sollen
jedenfalls nicht benutzt und daher beseitigt werden. Wenn man nach
diesem Prinzip arbeitet, dann strebt man zuletzt einem formalen Stil
zu, welcher Stil vorläufig noch des geistigen Impulses
entbehrt, bis dass wieder eine Weltidee geboren sein wird. Deshalb ist
die heutige moderne Bewegung nur als eine Formenumbildung zu
betrachten, die nach der Erschlaffung des 19. Jahrhunderts kommen
musste. Aber
wenn nur diese moderne Bewegung in vernünftiger konstruktiver
Form, d. h. im allgemeinen sachlich klar arbeitet, so wie es die beiden
grossen Stile getan haben, dann arbeitet sie ebenfalls mit einer
religiösen Tendenz, mit eine religiösen Sehnsucht,
bis zuletzt die Sehnsucht Wirklichkeit und eine neue Weltidee geboren
sein wird. Wie
die neue Weltidee sich kundgeben, welches geistige Ideal ihr zur
Grundlage dienen wird? Wer könnte darauf eine Antwort geben!
Das Christentum ist tot, und von einer neuen Form universaler
Weltbegriffe, wie sie in den Konsequenzen der naturwissenschaftlichen
Forschung liegen müsste, ist kaum ein leiser Anfang zu
spüren. Der Mensch verlangt aber eine gewisse ethische
Befriedigung, und in dieser Beziehung kommt doch wohl aus all den
Gärungen der heutigen Zeit dieser grosse Zug an die
Oberfläche, dass es sich um einen altruistischen Kampf
handelt. Es heisst doch entweder der einzelne, oder alle? Soll, mit der
Verneinung der Moral, das Individuum allein, oder sollen, mit dem
Gleichheitsprinzip, alle geschützt werden? Es
ist hier wiederum nicht der Ort die Mehr- oder Minderwertigkeit eines
solchen Prinzips auseinander zu setzen, aber nicht zu verneinen bleibt
die grosse ethische Absicht des Strebens nach der ökonomischen
Gleichheit aller Menschen; was zur Folge haben wird, dass sie dadurch
geistig unabhängig werden, und mithin eine Ausnutzung alles
geistigen Materials ermöglicht wird. Denn erst dann werden
einerseits in dem geistigen Welt-Kampf die nämlichen
Bedingungen gestellt sein, die zur Anstachelung der höchsten
Kraftentfaltung nötigen, indem das geistige Resultat
höher geachtet werden wird als jetzt das materielle; und
andrerseits wird durch die gegenseitige geistige Vereinbarung das
Resultat aufs höchste gesteigert werden, wogegen es jetzt,
durch den lähmenden Einfluss des Kapitals mit dem daraus
hervorgegangenen Klassenkampfe bis aufs niedrigste hinuntergeht. In
meinem schon zitierten Vortrag "Gedanken über Stil" habe ich
zu entwickeln versucht, wie der Kampf gegen die Stilarchitektur mit der
Arbeiterbewegung zu vergleichen ist, indem der erste als eine geistige,
die zweite als eine materielle Evolution einander parallel laufen, und
dass erst die politische Evolution vollzogen sein muss, um die
künstlerische zum Durchbruch kommen zu lassen, und dass von
diesem Moment an erst an dem Wachstum eines Stils gearbeitet werden
kann. Also:
wenn die modernen Künstler sachlich klar arbeiten, mit den
Vorbedingungen, die ich zu entwickeln versucht habe, alsdann werden sie
auch dem modernen geistigen Ideal, dem ökonomischen
Gleichheitsprinzip aller Menschen, zustreben, und dadurch der schon
evolutionierten, formalen Schönheit den Odem einhauchen, das
lebenbedingende Element, das in letzter Instanz ein Stil braucht, um
sich zur Höhe emporzuschwingen. Unter sachlich klarer Arbeit
verstehe ich das erneuerte Bewusstsein, dass die Architektur die Kunst
der Raumumschliessung und daher auf den Raum, in architektonischer
Beziehung, konstruktiv wie dekorativ, der Hauptwert zu legen ist und
dass infolgedessen ein Gebäude nicht in erster Linie
Manifestation nach aussen sein soll. Die
Kunst des Baumeisters besteht darin, Räume zu schaffen; und
nicht, Fassaden zu entwerfen. Eine Raumumschliessung wird durch Mauern
hergestellt; daher manifestiert sich der Raum, oder verschiedene
Räume, nach aussen als ein mehr oder weniger
zusammengestellter Komplex von Mauern. Auf die Mauer fällt
dabei in diesem Sinne wieder der gebührende Wert, dass sie
ihrer Natur nach flach bleiben soll, denn eine zu sehr gegliederte Wand
verliert ihren Charakter als solche. Unter sachlich klarer Arbeit
verstehe ich, dass die Architektur der Wand Flächendekoration
bleibe; dass die vorspringenden Architekturteile auf diejenigen
beschränkt bleiben, welche durch die Konstruktion geboten
werden, wie Fensterstützen, Wasserspeier, Rinnen, einzelne
Gesimse u. s. w. Aus dieser sogen. "Architektur der Mauer," wobei die
vertikale Gliederung von selbst wegfällt, folgt weiter, dass
die eventuellen Stützen, wie Pfeiler und Säulen keine
vorspringenden Kapitäle erhalten, sondern dass die
Entwickelung der Uebergänge sich innerhalb der
Mauerfläche abspielt. Die eigentliche
Flächendekoration bilden die Fenster die natürlich
nur dort anzubringen sind, wo nötig, und alsdann in den
betreffenden verschiedenen Grössen. Unter
sachlich klarer Arbeit verstehe ich eine solche, bei der die
bildnerischen Verzierungen nicht vorherrschen und nur an der Stelle
angebracht worden sind, welche zuletzt als Ergebnis des peinlichsten
Suchens sich als die richtige herausgestellt hat. Dem
Prinzip nach sollen sie Flachornamente bleiben, d. h. in der Mauer
vertieft, und Figuren sollen schliesslich verzierte Mauerteile bilden. Man
soll vor allen Dingen die nackte Wand wieder in all ihrer schlichten
Schönheit zeigen. Unter
sachlich klarer Arbeit verstehe ich eine solche, wobei alle
Ueberladenheit aufs peinlichste vermieden ist, keine unnützen
Gesimse und Leisten, Piedestale und Pilaster, Verkröpfungen
und Aufsätze vorkommen, kurz alle jene Architekturteile
parasitischer Natur. Unter
sachlich klarer Arbeit verstehe ich schliesslich eine solche, die
wiederum verstanden wird, wiederum Interesse erregt, indem nur
natürliche Einfachheit und Klarheit dazu imstande sind,
wogegen unnatürliche Kompliziertheit und Unklarheit
unverstanden bleiben, stutzig machen, aber kein Interesse wachrufen und
daher die Ursache wurden, dass die Baukunst, wie das im 19. Jahrhundert
der Fall war, ausserhalb der kulturellen Bewegung geschoben wurde. Die
sachliche, vernünftige und daher klare Konstruktion kann die
Basis der neuen Kunst werden; und erst dann, wenn jenes Prinzip
genügend durchgedrungen ist und auch allgemein verwendet wird,
werden wir an der Pforte einer neuen Kunst stehen; aber auch in
demselben Moment wird das neue Weltgefühl, die
gesellschaftliche Gleichheit aller Menschen manifestiert sein, ein
Weltgefühl, nicht mit seinem Ideal eines Jenseits, d.h. nicht
in diesem Sinne religiös, sondern mit seinem Ideal von dieser
Erde, also jenem entgegengesetzt. Aber wäre denn schliesslich
damit nicht das Endziel aller Religionen näher
gerückt, die christliche Idee nicht verwirklicht? Oder ist
nicht die ganze christliche Lehre eben auf diese eine Gleichheit
für alle Menschen zurückzuführen die erste
Bedingung eines idealen Strebens? Dann
wird die Kunst wieder eine geistige Basis haben, die sie braucht, um
sich als vollbewusste Äusserung dieses Weltgefühls
manifestieren zu können, indem sie dann auch ihre Kunstsymbole
haben wird, die der formale Stil als Abspiegelung der geistigen Idee
braucht. Dann
wird aber auch das architektonische Kunstwerk nicht einen spezifisch
individuellen Charakter haben, sondern das Resultat der Gemeinschaft,
in diesem Sinne aller, sein; dass bei der Führung des
Meisters, des geistig Hervorragenden, aber jeder Arbeiter ebenfalls
geistig daran mitarbeiten kann. Denn obschon wir wissen, dass in den
grossen Stilperioden, ausser der des Mittelalters, diese Art des
Zusammenwirkens nicht existierte: heutzutage weiss man, dass das
geistige Interesse des Arbeiters an seiner Arbeit völlig fehlt. Das
Verschwinden dieser Idee, des pedantischen Gefühls des
Individuums, zugunsten der eigentlichen Arbeit, als Äusserung
nicht einer Person, sondern eines Zeitgeistes, dessen Dolmetscher der
führende Künstler ist, scheint heute kaum
bekämpft werden zu können; und trotzdem wird wie von
selbst das Individuum zugunsten nicht der Gemeinschaft, sondern der
Idee in den Hintergrund gedrängt werden, so wie das
früher der Fall war. Denn
wer fragt schliesslich nach dem ersten Baumeister einer
mittelalterlichen Kathedrale, wer nach dem Namen eines
ägyptischen Architekten; man kennt allein die Namen der
Herrscher, unter deren Regierung die Bauwerke entstanden. Wie
dem auch sei, wir können konstatieren, dass ein Anfang mit dem
langen Weg gemacht ist, der zu einem architektonischen Stil
führt, einem Wege, von dem ich glaube, dass von ihm keine
Seitenwege mehr abbiegen werden. Und wenn ihr Architekten in obigem
Sinne arbeiten werdet, muss dieser Weg zu einem hohen Stil
führen, so wie das früher der Fall war. Es
scheint sogar, dass die Architektur die Kunst des 20. Jahrhunderts sein
wird, eine Ueberzeugung, die ich ebenfalls aus den gesellschaftlichen
und geistigen Erscheinungen der Gegenwart heraushole. Denn mit dem
Wachstum der Arbeiterbewegung wächst auch jene Kunst, die der
Mensch, das ganze Volk zusammengenommen, am wenigsten entbehren kann,
die ihm am nächsten liegt, und das ist die Baukunst. Die
Baukunst wird dann wieder den ersten Rang, unter den Künsten
einnehmen, gerade weil sie die eigentliche Volkskunst ist, nicht die
Kunst des einzelnen, sondern die Kunst aller, die Kunst der
Gemeinschaft, in der sich der Zeitgeist wiederspiegelt; denn zur
Herstellung eines Bauwerks ist doch die ganze Nutzkunst und mit ihr
sind doch alle Arbeiter nötig. Sie fordert ein Zusammenwirken
aller Kräfte; und diese können nur geistig verwendet
werden, bei ökonomischer Unabhängigkeit aller. Sie,
die Baukunst, ist die Manifestation des äussersten
Könnens eines ganzen Volkes. Denn nur beim Zusammenwirken
aller Kräfte zu einem idealen Zweck kann jene staunenswerte
Vollkommenheit erreicht werden, die das Geheimnis der höhern
Baukunst ist, und deswegen vom Individuum allein nicht erreicht werden
kann. Arbeitet
ihr Architekten in dieser Richtung, dann muss die Baukunst wieder die
bildende Kunst des zwanzigsten Jahrhunderts sein, sowie sie es das,
letzte Mal vor sechs Jahrhunderten gewesen ist, wobei die Malerei und
Skulptur wieder ihr dienend zur Seite schreiten werden, und, also
verwendet; zur höhern Entwickelung gelangen können;
sie werden aber ihren Charakter von heute, als Gemälde und
Salonfigur, verlieren, eben weil diese prinzipiell eine geistig
niedriger stehende Kunst vergegenwärtigen und daher erst in
zweiter Linie kommen; eine Prophezeihung, die aus der
gesellschaftlichen und künstlerischen Evolution der Gegenwart
hervorgeht; kann man doch schon beobachten, wie mit dem Wachstum der
Nutzkunst diese an Interesse gewonnen hat, und das Interesse
für Staffeleibild und Salonfigur jährlich abnimmt. Es
herrscht ein Streben nach Einheit in der Vielheit, nicht nur in der
Kunst, sondern auch in der Gemeinschaft, nach Ordnung, also wieder nach
einem hohen Stil. Ich finde es schön, auch von Stil in der
Gemeinschaft reden zu können, also von Kultur. Die
Künstler der Gegenwart stehen jetzt vor der schönen
Aufgabe, die künstlerische Verschönerung, d. h. den
grossen architektonischen Stil jener zukünftigen Gemeinschaft
formal vorzubereiten. Sie werden sich allmählich zusammen
finden, trotzdem sie jetzt noch ein Einsamkeitsgefühl
spüren werden, ein Gefühl, das das charakteristische
Merkmal eines jeden religiösen Interregnums bildet; sie werden
deswegen beschimpft, indem sie Träger von Kunstideen sind, die
ausserhalb der breiten Masse stehen, aber die kommenden Zeiten
vorausfühlen. Eine
schönere Arbeit gibt es wohl nicht, denn jene Zeit wird dann
wieder eine Kultur haben und daher Aufgaben stellen, so schön,
wie sie noch nicht da gewesen sind; denn um so viel geistig
höher jene Zeit der mittelalterlichen und allen
vorangegangenen sein wird, indem ihr Ideal, die gesellschaftliche
Gleichheit aller Menschen, an einer höhern Stelle stehen wird,
um so viel schöner wird auch ihre künstlerische
Abspiegelung, werden ihre architektonischen Monumente, wird ihr ganzer
Stil sein. Die glauben, übereilen sich nicht. Denn mag es auch
einerseits traurig sein zu wissen, dass wir von jener Zeit nichts mehr
sehen werden, andererseits bleibt der Trost des Traumbildes, das wir
schon am Horizonte heraufdämmern sehen, und das uns von neuem
in jene Zeit versetzt, wo Ulrich von Hutten ausrief:
Es
ändert sich die Zeit,
Die Geister regen sich.
Es ist eine Lust zu leben!
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