Wer den Mangel an einem originalen Stil im
Kunstgewerbe unserer Zeit beklagt, dessen Gedanken werden immer und
immer wieder an der
Beantwortung der Frage sich abmühen: Wie könnten wir
zu einem solchen gelangen? Die mannigfachsten Vorschläge sind
in dieser Hinsicht gethan
und befolgt worden und haben
- auch wenn wir von dem hochkomischen Preisausschreiben weiland
König Ludwigs absehen -
zu keinem nennenswertem Erfolge geführt. Selbst das scheinbar
untrüglichste Rezept,
einen originalen Charakter in der Komposition zu erzielen, das
nämlich: die Gestaltung
irgend welches Gebrauchsgegenstandes, eines Stuhles z. B. ohne alle
Anlehnung an
Vorbilder, rein auf Grund eingehenden Studiums der Funktionen eines
solchen Möbels
vorzunehmen und dann erst, unter Wahrung der praktischen Anwendbarkeit,
demselben eine
wohlthuende Form zu geben - selbst dieses dem denkenden Menschen in der
That
nächstliegende Mittel hat wohl originelle aber nicht
originale, d. h. stilistisch
wahrhaft neue Schöpfungen zu Tage gefördert. Da gegen
das System d i e s e r Kompositionsweise
an und für sich nichts
einzuwenden ist, entsteht die Frage: Woher trotzdem der
Mißerfolg? Die Antwort lautet einfach: Wir sind nun einmal
mit Kenntnissen von den
verschiedensten
Stilarten so gänzlich überfüllt, so
vollständig in der Formensprache aller möglichen
Epochen bewandert und befangen, daß uns originale, naive
Einfälle gar nicht mehr
kommen k ö n n e n, daß unsere
Kompositionen, aller Vornahme und Absicht zum
Trotz, unwillkürlich, in dieser oder jener Stilweise sich
gestalten m ü s s e
n, daß sie, selbst wenn wir uns zwingen wollen,
original zu sein, zuletzt doch
darauf hinauslaufen, den Charakter irgend welcher Stilepoche
nachzuahmen, wenn sie nicht
gar - was am häufigsten, ja wohl meistens der Fall ist -
Sammelsurien von Formen aller
möglichen Stile, von mehr oder minderem Geschmacke sind.
Entsteht die weitere Frage: Wie wäre diesem alles Originale
erstickenden Reichtum an
Stilkenntnissen, diesem Ansturm von Formen vergangener Epochen auf die
künstlerische
Phantasie des Modernen zu wehren? Und hier ist die Antwort nicht so
leicht wie bei der vorhergehenden
Frage zu formuliren. Gewonnener Bildung sich plötzlich zu
entledigen,
dürfte ein unerreichbares Kunststück
sein, ganz abgesehen davon, daß es ein thörichtes
Unternehmen bliebe, Errungenschaften
aufzugeben, die unsere Erkenntnis von den Dingen gefördert
haben. Und darum kann es sich in dieser Frage nicht um die handeln,
deren
Bildung bereits eine
abgeschlossene ist, nicht um das gegenwärtig schaffende
Geschlecht; von ihm ist keine
Umkehr zu erhoffen und zu verlangen. Die Jugend ist es, die
heranwachsende, erst zu
bildende und nach jeder Richtung bildungsfähige, die einzig
und allein hierbei in
Betracht kommt. Und bezüglich dieser giebt allerdings die
Frage viel zu denken und regt
zu eingehender Erörterung an. Man hat oft, gewiß mit
Recht, Verwunderung darüber
geäußert, daß in der Gestaltung
und ganz besonders der Verzierung unserer kunstgewerblichen Erzeugnisse
die tausend und
abertausend Formen unserer heimischen Flora so gut wie gar nicht in
Anwendung kommen oder
höchstens in konventioneller, seit alten Zeiten bereits
geläufiger Auffassung. Gerade
bei den besseren Erzeugnissen, den sogenannten "stilvollen"
Gebrauchsgegenständen ist dieser Mangel ihrer
künstlerischen Erzeuger an eigenem Studium
der Pflanzen, dieser ewigen Vorbilder für den Ornamentisten,
höchst auffallend. Wie
anders verfährt dagegen der Japaner in der Anwendung der Flora
und Fauna seines Landes!
Es giebt kein noch so unbedeutendes Pflänzchen und Tierchen,
das er nicht zu verwerten
und durch Zusammenstellung mit anderen in einen für das Auge
und künstlerische Gefühl
wohlthuenden Gegensatz zu bringen wüßte! Wie
liebevoll eingehend hat er die heimischen
Gewächse, Schmetterlinge u. a. in allen ihren Erscheinungen
studiert! Die deutsche Flora
aber blüht für unsere Ornamentisten ganz vergeblich,
und die Versuche, die hin und
wieder aufgetaucht sind, neue Motive aus ihr dem Formenschatze unserer
Verzierungsweise
einzuverleiben, haben klägliches Fiasko gemacht und sind
längst wieder von der
Bildfläche verschwunden. Denn alle diese Experimente liefen
entweder darauf hinaus, in
jämmerlicher Äußerlichkeit das alte
Verzierungssystem beizubehalten und nur hier und da
an Stelle einer Palmette irgend ein fächerartiges
Blättchen, für einen Granatapfel
einen Distelkopf zu setzen, oder sie stellten die früheren
Stilgesetze in
gesucht-origineller Weise auf den Kopf und lieferten geschmacklose
Wunderlichkeiten, oder
aber sie versuchten Blumenstudien nach der Natur mit allen
unkünstlerischen
Zufälligkeiten und ohne jede Berücksichtigung des zu
verzierenden Gegenstandes, also den
alten Naturalismus, als Neuheit einzuschmuggeln. Die Autoren dieser
unglücklichen Versuche ermangelten
keineswegs immer des Talentes.
Verschiedene von ihnen waren treffliche Blumenmaler und gleichzeitig
geistvolle
Ornamentisten, s o b a l d s i e d i
e G e g e n s t ä n d e
i n d e r A r t d i e s e
s o d e r j e n e s S
t i l s z u b e h a n d e l n h a t t e
n. Sowie sie aber im Stil
n e u sein, Pflanzenformen, die noch nicht
verwendet, in denselben e i n
f ü h r e n wollten, gerieten sie in einen der drei
erwähnten Fehler und brachten
nichts Erfreuliches zu stande. Es stak ihnen eben die angelernte
Anschauung: die
Naturformen als e i n s und die Verzierungsformen
als anderes, jenem
gegenüberstehendes, anzusehen, so im Blut, daß es
ihnen mit dem besten Willen unmöglich
war, die beiden Elemente zu verquicken und damit etwa wirklich
Stilistisches zu schaffen. Dies aber bringt uns auf den Kernpunkt der
Frage. Es scheint uns
nämlich der große
Grundfehler unserer Kunstgewerbeschulen zu sein, daß schon
der S c h ü l e
r, ehe er überhaupt noch die Naturformen kennt und,
vor allem, ehe ihm das Wesen
der Form in ihrem Verhältnis zur verzierenden Kunst klar
geworden ist, die Formen der
alten Stilarten d. h. die doch aus der Natur entlehnten Ornamentformen
als ein G e g
e n s ä t z l i c h e s z u d e
n N a t u r f o r m e n auffassen
lernt und daß infolgedessen, wenn er später zu
eignem Erfinden gelangt, seine Phantasie
im Bann der überlieferten Verzierungsformen steht und er, wenn
es nun darauf ankommt,
eigenartig und neu zu sein, trotz aller Naturstudien, sich nicht zu
helfen weiß. Schon längst haben die Maler und
Bildhauer das alte
schädliche, zu konventionellen
Schaffen führende Prinzip über den Haufen geworfen:
erst alte Vorbilder und dann die
Natur zu studiren. Heut weiß jeder, daß er
daß eigne, naive, originale Sehen schädigt,
wenn er zuerst Formeln und Gesetze auswendig lernt, die früher
wohl gegolten, ihrer Natur
nach aber ewig wechseln müssen. Ein jeder weiß,
daß, wenn er erst in rechtem Studium
der Natur sein Auge geübt und Formen- und Farbenkenntnis
erworben, ihm dann einesteils
weit mehr die Schönheiten der Antike bewußt werden
müssen und daß er andernteils
n u r so seine Individualität, wenn er
sonst eine hat, zu behaupten vermögen
wird. Diese Erkenntnis ist der verzierenden Kunst seltsamer Weise noch
nicht
gekommen. Noch
immer wird den Schülern gleichzeitig mit dem Naturzeichnen
oder auch wohl gar v o r
diesem und leider in gar keiner Beziehung zu demselben der
überlieferte
Formenschatz aller Stilarten in den Kopf getrichtert, bis dann beim
Abgange von der
Schule, vor lauter Bildung jede originale Äußerung
glücklich in ihnen erstickt ist und
sie befähigt sind, in jedem erdenklichen Stile zu entwerfen,
nur nicht in dem, der ihnen
am nächsten läge, in einem eigenen. Das aber wird
stets das einzig-wahre System des verzierenden
Künstlers bleiben, wie es
das einzig-wahre der Künstler früherer Epochen von
ungetrübtem Stilgefühl war: d
i e N a t u r f o r m e n g l e i c h a u
f i h r e V e r w
e n d b a r k e i t a l s V e r z i e r u n g s m o
t i v e z u b
e t r a c h t e n u n d n i c h
t i m G e g e n s a t z
z u d e n O r n a m e n t f o r m e
n z u s e h e n.
Soll die Jugend, die sich der Ausübung verzierender Kunst
widmet, für diese
einzig-richtige Auffassung wieder gewonnen, der Stil, den Anforderungen
unserer Zeit
entsprechend, wirklich gründlich umgemodelt und ein im besten
Sinne moderner werden, so
müssen die Kunstgewerbeschulen das Hauptgewicht auf
e i n e g r ü n d l i c
h e B e l e h r u n g u n d A u f k l
ä r u n g d e r S c h
ü l e r ü b e r d i e F
o r m i n i h r e m V e r h
ä l t n i s z u d e r v e r z i
e r e n d e n K u n s t u n
d a u f e i n u n a u s g e s e
t z t z u b e t r e i b
e n d e s S t u d i u m d e r N a t u r f
o r m e n m i t
B e r ü c k s i c h t i g u n g i
h r e r d i r e k t e n V
e r w e n d u n g z u V e r z i e r u n g s z w e c
k e n legen und dann
erst, wenn der Schüler ganz in diesem Wichtigsten gefestigt
ist, ihn mit den besten
Motiven vergangener Stilarten bekannt machen. Dem Zug der Zeit,
dränge er nun nach Renaissance oder Rokoko
hin, ja selbst der Mode
innerhalb dieser Formensphären, widersetzt sich der einzelne
stets erfolglos. Aber ein
ganzes, heranwachsendes Geschlecht wird Mittel und Wege finden, seine
Ansichten nach und
nach geltend zu machen, sofern es nur in den Stand gesetzt ist, eigne
Ansichten zu haben
und diese Ansichten eine wirkliche Weiterentwicklung des Formenlebens
bedeuten. |