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Autor: Eitelberger von Edelberg, Rudolf
In: Sammlung wissenschaftlicher Vortäge: gehalten während der Monate Februar und März 1858 im großen ständischen Saale zu Wien (10. März 1858); S. 2 -37
 
Über Städteanlagen und Stadtbauten
 
Ein Vortrag von Prof. Rudolph Eitelberger v. Edelberg

Unter allen Massregeln, welche in der jüngsten Zeit ergriffen worden sind, hat keine in so hohem Grade das Interesse der Bevölkerung Wiens erregt, als jene, welche sich auf die Erweiterung der inneren Stadt bezog. Als es zur Gewissheit wurde, dass dem kaiserlichen Willen zufolge die Stadtmauern fallen, die Glacis in Boulevards verwandelt, der Raum am Donaukanal, gegenwärtig der bescheidene Landungsplatz oberösterreichischer Zillen und Fischernachen, in einen Quai umgebaut werden soll, da fühlten Alle, dass ein Stück des alten Wiens begraben, und ein neues, ein kaiserliches, erstehen wird. Wie jede andere Massregel, die Allen so ganz an der Zeit erscheint, geht auch diese aus der Zeit und aus den tiefsten Strömungen derselben hervor, und hängt mit grossen Fragen der Staatsweisheit, mit Elementen, die eigentlich staatenbildend genannt werden können, auf das Innigste zusammen. Auf der anderen Seite berührt sie auch das künstlerische und gewerbliche Leben auf das Tiefste, das nicht erst heut zu Tage in den Städten ihren Mittelpunkt gefunden hat. Uns erscheint heut zu Tage das Städtewesen als eine jener wichtigen Organisationen des gesellschaftlichen Lebens, die zwar zu ihrer Ergänzung des Landlebens bedarf, zu dem wir Germanen seit unvordenklicher Zeit eine tiefe Zuneigung haben, die aber an und für sich als die Grundlage des geistigen, politischen wie kirchlichen Fortschrittes betrachtet werden muss. Die scharfen Gegensätze zwischen Stadt und Land haben sich gemildert, der Strom von Land zu Stadt ist eben so mächtig, als der Gegenstrom von Stadt zu Land, und so neidlos der Städter auf die Hebung der Landeskultur blickt, eben so neidlos sieht der Landmann gegenwärtig auf den Flor der Städte, er erblickt in ihnen nicht mehr seinen Gegner, so wenig als umgekehrt. Bei den grossen Fragen der Gegenwart nun, die sich an Stadt und Land anlehnen und alle Geister beschäftigen, ist es begreiflich, dass auch die, welche der Vergangenheit angehören, in den Vordergrund treten, da es für jeden gebildeten Geist von hohem Interesse ist, den historischen Ursprung unserer Stadt- und Landverfassung kennen zu lernen. Denn das merkt ein Jeder sogleich, dass Stadt und Land in ihrer ganzen Grundlage nicht ein Werk von heute sind, und dass man tief in den Boden der Geschichte graben muss, wenn es gelingen soll, die Fundamente dieses Baues blosszulegen. Und es waren auch tüchtige Kräfte gewesen, die in unseren Tagen sich dieser Arbeit unterzogen haben, Männer wie Savigny, Hüllmann, Mommsen, Bethmann-Hollweg, Hegel, Arnold u. s. f. Ihren Bestrebungen verdankt man es, dass die Rechtsgrundlage unserer Stadt- und Landverfassung wohl auf dem grössten Theile des Kontinentes bereits ein Gemeingut der gesammten gebildeten Welt geworden sind. Anders ist es, wenn wir uns nach den Bauformen, nach den architektonischen Grundformen einer Stadt in unseren Geschichtsbüchern umsehen; da finden wir vieles lückenhaft, und gerade das nur gelegentlich oder gar nicht erwähnt, was Wien gegenwärtig in so hohem Grade interessirt. Der Geschichtsschreiber der Kunst hat es der Natur der Sache nach mit einzelnen Kunstwerken, den Meisterstücken der Malerei, Skulptur und Architektur zu thun, und hat nur selten Gelegenheit das zu erwähnen, wo die gesammte Nation als ein werkthätiges Ganzes auftritt und der Künstler, selbst der grösste, nur als Glied eines grossen Kunstorganismus, als die Spitze der tektonischen Thätigkeit einer Gesammtheit erscheint. Wohl entwickelt die Kunst, wo sie losgeschält ist von den Bedürfnissen, den materiellen Interessen des Alltagslebens, ihre schönsten Blüthen, ihre reifsten Früchte; denn dort ist die Kunst der Kunst wegen da und genügt sich selbst. Aber in den Fällen, wo sie sich an Städtebauten und Städteanlagen anknüpft, da ist sie ein Kind der Noth, eine Frucht der Bedürftigkeit des menschlichen Geschlechts, und vermag sich nicht all' den Folgen zu entziehen, die daraus entspringen - und  d a r f  sich ihnen auch nicht entziehen. Da soll sie zeigen, dass sie den Zwecken der Gesellschaft dient, da muss sie in jedem ihrer Werke auch diesen Zweck an der Stirne tragen. -

Doch welchen Bedürfnissen, welchen Lebenszwecken, werden Sie mich fragen, hat sie sich unterzuordnen und welcher Natur sind diese, veränderlicher oder konstanter, sittlicher oder materieller? Und allerdings werde ich mich der Beantwortung dieser Fragen nicht entziehen können. - Die Elemente, aus denen eine Stadt  w i r d,  sind verschiedenartiger Natur. Sie sind veränderlicher Natur, je nachdem die gesellschaftlichen Verhältnisse des Lebens, die Anschauungen der Nationen, diese selbst sich ändern; sie sind konstanter Natur, insofern Berg und Thal, Fluss und Meer, Nord und Süd konstante Grössen sind, und bestimmte unveränderliche Anforderungen an alle stellen, die sich dauernd an sie anschliessen müssen; sie sind materieller Natur, da das Bauen eben Stoffe, Materien verlangt, der Stoff einen ganz bestimmten Charakter auch in der Form hat und unsere Gebirgsstädte mit den Holzhäusern ganz anders aussehn, als die holzlosen Steinhäuser in den Städten der Gebirge Italiens, in den Abruzzen, wo sich eine Stadt von ferne für den Beschauer kaum von dem Felsen der Gebirge absondert; diese Elemente sind endlich sittlicher, ethischer Natur, und dieses in ganz vorzüglichem Grade. Sie sind das nicht bloss desshalb, weil Städte aus dem Bedürfniss nach Sicherheit entstehen, aus jenem Drange der Noth, sein Hab und Gut, sein Leben und Lieben in rauhen Zeiten, in ernsten Tagen, an gesicherten, ummauerten Orten zu schützen, sondern auch dadurch, dass eben durch die Gemeinsamkeit des Lebens das Zusammenwohnen und Zusammengehören, ich möchte sagen, die Sittlichkeit sich gesteigert, höhere sittliche Aufgaben zur Erscheinung gekommen sind. Die Einführung dieses höheren sittlichen Elementes im Städteleben verdanken wir nach seiner allgemein-menschlichen Seite den Griechen, nach seiner juristischen Seite hin den Römern. Der Grieche, dem Staat und Stadt untrennbare Begriffe gewesen, Begriffe, die er nicht zu scheiden wusste, für die er in seiner Sprache dieselben Worte hatte, hat ein klares Bewusstsein, wie sich die Entwicklung des Volks durch die Familie, die Dorfanlage g16.jpg (2687 Byte) zur Stadt- und Staatsgemeinschaft g26.jpg (2805 Byte), g36.jpg (3175 Byte) gipfelt; sein grösster Philosoph nannte den Menschen ein g46.jpg (2629 Byte) g56.jpg (3502 Byte) d. h. ein von Natur aus zur Stadtgemeinschaft, zum Staatsleben bestimmtes Wesen; der Grieche hat auch das Bewusstsein von einer inneren Gliederung der Gesellschaft in dem Stadt- und Staatsleben gehabt, von einem belebten Organismus, in dem jedes Glied, wie es einem grossen sittlichen Ganzen dient, so eben um diesen Zweck zu erreichen, auch der spontanen Bewegung derselben bedarf. Dieser sittliche Zweck, diese innere lebendige Organisation macht sich natürlich im Städtebau, in Stadtanlagen geltend und scheidet den orientalischen Stadtbau von dem occidentalen, den barbarischen von dem hellenischen in festen Zügen. Die grossen Stadtbauten von Babylon und Ninive werden uns durch die heiligen Bücher des alten Testamentes und die griechischen Schriftsteller, und zwar übereinstimmend, als Anlagen von kolossaler Ausdehnung "drei Tagereisen gross" geschildert, "wo der Prophet eine Tagereise tief in die Stadt eindrang, um zu predigen." - In diesen Städten ist kein Gegensatz von Stadt und Land, Feld- und Gartenwirthschaft wurden neben Handel und Gewerben getrieben. Wie sie in dem grossen Leben der Nationen untergehen, denen sie angehören, so haben sie auch in ihrer architektonischen Physiognomie mehr den Charakter von befestigten Völkerlagern, in deren Mitte dei Herrscher seinen Sitz aufgeschlagen hat und wo in ruhigeren Zeiten sich Handel und Gewerbe rasch entwickelten - aber ihre ganze Organisation lag eine Stufe tiefer als die ist, auf welcher wir die griechischen erblicken. Die Phönizier bilden den Uebergang, von den orientalischen zu den occidentalen Städteanlagen, doch wissen wir von ihrem Städtebau nur so viel, um ihre Kunst im Hafen- und Burgbau und im Allgemeinen ihren Einfluss auf die Griechen zu konstatiren. - Als Führer in die Stadtbauten und Städteanlagen der Griechen dient uns Aristoteles, sicher der beste Führer, den man wünschen kann. Er zeigt uns, was nothwendig ist, um in einer Stadt sicher zugleich und glücklich zu leben. In unseren Tagen sind die einfachen primären Bedürfnisse, die zur Sicherheit und Glückseligkeit führen, uns durch eine sehr lange Zeit schon entrückt, obwohl wir sie selbst in keinem Augenblicke entbehren können; den Griechen und Römern, die neue Städte zu gründen, Kolonien in entfernte Länder zu senden, in der Heimat selbst, bei der Eifersucht einer Stadt gegen die andere, für Sicherheit zu sorgen hatten, stunden diese näher. Einmal legt der Grieche grosses Gewicht auf die Nähe des Meeres; ihn führte die Erfahrung dahin, die Stadt mit dem Meere zu verbinden, wie wir in unseren Tagen sehen, dass jene Städte mächtig aufstreben, die eben an einem glücklichen Punkte am Meere oder an Strömen gelegen sind, die mit der See in direkter Verbindung stehen. Wir haben in unseren Tagen die Anstrengungen gesehen, die gemacht werden, Berlin und Paris die Vortheile des Seeverkehrs zu sichern; die rheinländischen, belgischen, holländischen Städte sehen wir blühen durch ihre Verbindung mit dem Meere. Für die Zukunft Wiens ist es nicht minder von grossem Belange, dass die Eisenbahnen es mit den deutschen Seeemporien in Nord und Süd, Hamburg und Triest, dass die Donau es in direkte Verbindung mit dem schwarzen Meere und dem Orient bringt. Der alte Aristoteles formulirt es (Polit. VII. 6) als ein Gebot, "dass eine Stadt zugleich mit dem Meere und dem Landgebiete in Verbindung stehen soll," dann, erörtert er weiter jene vier Elemente, die ihm bei einem Stadtbau von Wichtigkeit sind:  e r s t e n s  Gesundheit,  z w e i t e n s  Festigkeit,  d r i t t e n s  die Rücksichten für Religion und Staatsleben und  v i e r t e n s  die für Markt- und Verkehrsleben. Da diejenigen Dinge, sagt er, die wir am meisten geniessen, auch den meisten Einfluss auf unser Wohlbefinden haben, so ist für reichliches Wasser und gute Luft zuerst Sorge zu tragen. Die Berganhöhen, die gegen Osten zu gelegen sind, den Nordwinden entgegen, werden für Städteanlagen empfohlen; das Trinkwasser und fliessendes Wasser soll in reicher Menge vorhanden sein. Wir kennen die kolossalen Anlagen, welche die Alten gemacht haben, um diese Bedürfnisse zu befriedigen. Und so alt diese Sorge für gutes Wasser ist, so jung ist sie im Grunde für jede Generation, und für uns speziell wird sie ein Gegenstand besonderer Vorsorge sein, wenn der neue Stadttheil seine Wasserleitung verlangen wird und der Donaukanal nicht mehr als offene Kloake wird dienen können.

Die Sorge für die Festigkeit und Sicherheit eines Ortes war die  z w e i t e  Rücksicht, die von den Griechen bei Stadtanlagen beachtet wurde. Ohne allen Zweifel gab die Nothwendigkeit, sich selbst, sein Hab und Gut zu sichern, die erste Veranlassung zur Gründung von Städten, von Bauten gemeinsamer Art und zu gemeinsamen Zwecken. Die ersten Städte waren befestigte Punkte, und die ältesten Städte, die wir gegenwärtig in Europa finden, sind ohne Zweifel jene, die auf griechisch-italischem Boden zu diesem Zwecke entstanden sind, ich meine jene Akropolen, die wir in Griechenland und Italien auf den Höhen der Berge heut zu Tage noch sehen, jene kolossalen Mauerbauten, die schon in der homerischen Zeit zu den Werken einer älteren gewaltigen Generation gerechnet wurden, jene cyklopischen Bauten, die den Reisenden jetzt, wie den vor 2500 Jahren mit dem gemischten Gefühl der Bewunderung und des Staunens erfüllen. Noch heut zu Tage stehen die 25' starken Mauern von Tirynth am Golf von Nauplia, mit den inneren Gängen, die schon die Ilias kennt, die einst die Inachosebene schützten, wie Argos, und Mykenae, der Herrschersitz des alten  Geschlechtes der Atriden, mit ihren Burgmauern, Thoren und Schatzhäusern. Noch heut zu Tage sieht man Ueberreste der altberühmten Akropolen von Athen, Korinth u. s. f. Viele der heutigen Städte verdanken diesen uralten Befestigungsbauten ihren Ursprung, Perugia, Volterra, Cortona u. s. f. Alle diese Bauten liegen, wie unsere mittelalterlichen Burgen,  auf den Höhen der Berge, auf nicht leicht zugänglichen Plateaus. Später zogen sich die Städte gegen die Ebene herunter, und erst in vollkommen gesicherten Zeiten wurden sie direkt an Meeren und Flüssen ohne Schutzwerke gebaut. Diesem Gesetze folgte Athen, dessen Hafenstadt, der Piräus, der jüngsten Baugeneration angehört, Korinth, mit den Häfen Kenchreae und Lechaeon, Rom mit seiner Hafenstadt Ostia u. s. f. Die Sicherheit und die Nothwendigkeit, durch militärische Bauten Sicherheit herbeizuführen, gibt, wie den Ursprung vieler Städte, so vielen auch einen eigenthümlichen Charakter. Auf diesen architektonischen Charakter haben auch die Vertheidigungs- und Angriffsmittel einen sehr grossen Einfluss ausgeübt, und wie in Griechenland nach der Zeit der Perserkriege die verschiedenen neuen Kriegsmaschinen eine neue Art der Vertheidigung nöthig gemacht haben, so hat auch im Mittelalter die Erfindung des Schiesspulvers die Formen der Stadtbefestigung und daher auch den Charakter der Städte und Stadtanlagen wesentlich umgestaltet. Mittelalter und Alterthum haben ferner darin etwas Gemeinsames, dass sie sich eine Stadt ohne Ummauerung, ohne Befestigung nicht denken konnten, während in unseren Tagen offene Städte zu den regelmässigen, befestigte Städte hingegen, Festungen im eigentlichen Sinne des Wortes, zu den Ausnahmen gehören. Der Begriff des modernen Staates geht weit über den Begriff der Stadt hinaus; die Vertheidigung des Staates wird nicht mehr an jedem Punkte, wo eine Stadt liegt, gesucht, sondern nur an jenen Punkten, die ihrer eigentlichen Lage nach wirklich strategische Punkte sind, und in den anderen Städten werden militärische Bauten nur zur innern Sicherheit errichtet. Wo daher diese Mauern und Wälle an nicht strategischen Orten in neuerer Zeit fallen, da fällt ein Stück des veralteten Stadtbegriffes, da beginnt eine neue Kultur, und in diese tritt gegenwärtig Wien; mit dem Aufgaben der Wälle betritt es den Boden der neuen Zeit.

Aristoteles verlangt weiter von einer Stadt, dass die den Göttern geweihten Gebäude, die Hauptversammlungsorte der Behörden an einem passenden Orte vereint sein sollen; ein solcher Platz soll ein durch seine Lage auffallender, vorzugsweise geschützter und der Würde des Gebäudes entsprechender sein. Die öffentlichen Gebäude für Kultus- und Staatszwecke gehörten in den Augen der Alten so sehr zu dem architektonischen Begriffe einer Stadt, dass Pausanias bei Beschreibung eines phocischen Städtchens (Panopeä) meint, man könne etwas gar nicht eine Stadt nennen, wo es keine Gebäude für die Behörde, kein Gymnasium, kein Theater, keine Agora und keine ordentlichen Brunnen gibt. Und diese aristotelische Vorstellung einer Stadt ist, wie wir wissen, kein Produkt philosophischer Theoreme, sondern die Frucht einfacher klarer Anschauungen des Lebens und so sehr verwachsen mit der ganzen antiken Weltanschauung, dass wo immer wir eine grössere antike Stadt aus Beschreibungen oder Ruinen kennen, wir auch auf Gebäude stossen, die eben dem öffentlichen Leben der Griechen angehört haben. Von derselben Anschauung ging auch das ganze Mittelalter aus. Es gibt keine Stadt Europa's, deren historisches Leben in das Mittelalter zurückreicht, die nicht ihre Kirche und ihr Rath- oder Stadthaus in so hervorragender Weise gebaut hätte, wie das Alterthum; aber es gibt keine moderne Grossstadt, die sich mit dem künstlerischen Glanze und der Pracht messen könnte, die Rom am Kapitole, seinen Foren und dem Marsfelde, Athen an der Akropolis, der Tripodenstrasse und der Pnyx entfaltet hatten. Und dieser althistorische Begriff einer Stadt, der durch fast drei Jahrtausende der grossen historischen Völkergeschichte uns gleich ehrwürdig, als unvergesslich geworden ist, ist auch bei uns wieder zu Ehren und in vollem Sinne zu Ehren gekommen. Denn sie werden sich erinnern, dass die grosse Massregel, auf die ich mich im Beginne meiner Vorlesung beziehen konnte, einer Reihe von öffentlichen Gebäuden erwähnt, die eben, weil sie der Oeffentlichkeit angehören, berufen sein werden, sich nicht bloss durch eine Aufschrift oder ein Schildwachhaus, sondern durch ihre Kunstform von den Privatgebäuden zu unterscheiden.

Der klare Sinn der Griechen scheidet von diesen dem Staate und dem Kultus angehörigen Gebäuden und Bauformen jene aus, die dem Verkehre, dem Handel und Gewerbe angehören. Die Griechen haben nicht bloss die altorientalischen Bazars, die engen Handwerker- und Verkaufsgassen der Bibel, die in Griechenland zuerst in den kleinasiatischen Städten vorgekommen sind, gekannt; sie haben auch verschiedene Arten von Plätzen und Bauten für Verkehr und Handel gehabt, die ganz bestimmte und sehr interessante Bauformen hervorgerufen haben. Der Platz, der für öffentliche Bedürfnisse bestimmt war, die eigentliche Agora, war geschieden von dem Markte der Bedürfnisse, dem sogenannten Thessalischen für den Privatverkehr bestimmten; die ältere griechische Form der Märkte war verschieden von der späteren, der sogenannten jonischen, und die griechischen Märkte überhaupt wieder von den römischen verschieden. Die Stoen, Basiliken und Foren waren griechisch-römische Kunstschöpfungen für die Zwecke des Marktes und Verkehres. Säulen und Säulengänge spielten da eine gros8e Rolle; Monumente zu Ehren der grössten Männer, der Wohlthäter der Gesellschaft, fanden auf ihnen ihren naturgemässen Platz, Tempel für die ewigen Götter, die Wächter des Rechtes, Prytaneién, Gerichtshöfe waren in ihrer Nähe; aber es fehlte nicht das frische Grün der Pflanzenwelt, der schattige Baum, die Platane, die Cimon zuerst an der Agora pflanzte und der Athener als eine so grosse Wohlthat erkannte, dass sprichwörtlich «eine Platane pflanzen" so viel hiess, als Jemand eine Wohlthat erweisen. Von diesen alten Plätzen haben wir noch ein vortrefflich erhaltenes Bild in den Ruinen Pompejis, allerdings nur ein Bild in einem engen Rahmen, aber doch ein deutliches und bedeutsames Bild. Und dennoch bleibt der Eindruck, den diese Anlagen in Pompeji auf jeden gebildeten Geist machen, ein bleibender und nachhaltiger. Der Reisende betritt in der Regel Pompeji von der Eisenbahnstation aus, die zwischen dem Meere und der Stadt Pompeji liegt. Durch eine schmale Strasse, in der er sogleich die erhöhten Trottoirs und die Wagengeleise in dem alten festen Pflaster gewahrt, tritt er sogleich auf das forum civile, dem eigentlichen Mittelpunkte des alten Pompeji. Er hat vor seinen Augen eine prächtige regelmässige Stadtanlage, ein Parallelogramm mit seinen Schmalseiten gegen Ost und West gewendet. Eine Doppelkolonnade umgibt den ganzen Platz, der durch Bronzegitter von den Strassen abgesperrt und in einen zu Festspielen und Festkämpfen geeigneten Raum verwandelt werden konnte. Dort war die Basilika gewesen, ein schönes mit Emporien versehenes Gebäude zur Abschliessung von Börsengeschäften, Handelsgerichten u. s. f., dort war die Lesche, ein geschmückter Raum für Geschäftskonversation, dort waren in besonderen Gebäuden die Amtssitze der Stadtbehörden, das Senaculam und die Kurien; die Wechslerbuden waren hart an der Kolonnade gewesen; in denselben Säulenhallen standen die öffentlichen Masse und Gewichte für trockene und flüssige Objekte zur Handhabung der Marktpolizei. Dort standen öffentliche Monumente, Reiterstatuen verdienter Männer, an der Mitte einer Schmalseite zwischen Triumphpforten der Tempel des Jupiter, dessen Peribolos gewissermassen das Forum selbst war, der als Gott des Eides, als Bestrafer übertretener Verträge, ungerechter Richter, als Beschützer der Armen, flüchtiger und blutbefleckter Schuldbeladener am Forum sicher ein passendes Heiligthum fand. Es ist ein prachtvoller Anblick von der Tiefe des Forums aus gegen den Zeustempel hin, an diesem stillen verlassenen Orte einst so geräuschvoll, jetzt so schweigsam, einst ein Bild des Lebens und jetzt des Todes - wenn wir dort im Hintergrunde die Rauchsäule des Vesuv aufsteigen sehen, welcher diesem kleinen Städtchen sein tragisches Ende bereitet hat. In Pompeji haben wir noch andere Marktanlagen, einen kleinen dreieckigen Platz, das sogenannte forum triangulare in der Nähe des Odeons, und sicher haben wir noch einen anderen Markt, das forum nundinarum an einem anderen Punkte Pompejis zu suchen. - Wenn diese Stadtanlagen in einem kleinen Städtchen von kaum 30,000 Einwohnern schon so bedeutend, so künstlerisch geordnet gewesen sein mögen, was haben wir uns erst von den Anlagen ähnlicher Art in Athen und Rom, Alexandrien und Konstantinopel zu denken, welchen Reichthum von Formen müssen wir dort nicht suchen, welcher Reichthum von Bedürfnissen fand dort nicht seine Befriedigung? Doch davon später - so viel nur, um die Grundelemente einer Stadt zu erklären, wie sie uns Aristoteles schildert. Und war nicht etwa auch dieses Element des Marktes und Verkehrs im Mittelalter ebenso entwickelt, nicht ebenso durchgebildet, wie im Alterthum, kennen wir Eine der mittelalterlichen Städte, die nicht ihren Platz oder Ring hätte, nicht Kaufhäuser oder Markthallen, mit bestimmt ausgesprochenem architektonischem Charakter? Gehören die verhältnissmässig wenigen Ueberreste mittelalterlicher Stadtanlagen, die sich in unserer Monarchie, vorzugsweise im lombardisch-venetianischen Königreiche erhalten haben, nicht mit zu den schönsten Denkmälern bürgerlichen Gemeinsinnes, künstlerischer Vollendung? Wer kennt nicht die fondaco dei Turchi und dei Tedeschi in Venedig? die piazza dei mercanti in Mailand, die Loggia dei Consoli in Cremona, die Stadthäuser in Prag, u. s. f., und wüsste nicht einiger berühmten Werke des Auslandes, des palais de justice zu Rouen, des Handelsgerichtes in Perugia mit den prächtigen Fresken des Lehrmeisters von Raphael, des Pietro Perugino, zu erwähnen?

Fassen wir noch einmal das zusammen, was Aristoteles von einer Stadtanlage als solcher verlangt, so sehen wir den Ausdruck von gesellschaftlichen Gesammtinteressen, die begründet auf den positiven Boden geographischer Elemente, zu gleicher Zeit das physische Wohlergehen der Einwohner, als das sittliche, staatliche und religiöse Gedeihen befördern. Diese Elemente konstituiren in einer  Stadt einen geistigen Organismus, den die Kunst, speziell die Architektur, zu durchdringen und zu klären berufen ist. Das Mittelalter wie das Alterthum, die mit gleich künstlerischer Konsequenz, wenn auch von verschiedenen künstlerischen Prinzipien ausgehend, die Stadtbauten als Objekte der Kunst behandelten, haben von diesem Beruf der Kunst eine klare und deutliche Vorstellung gehabt. Nachdem wir nun so an der Hand des alten Stagiriten ein Bild einer Stadtanlage in weiten grossen Zügen erhalten haben, gehen wir einen Schritt weiter und fragen, wann und unter welchen Umständen ist die Anlage einer Stadt eine spezielle Aufgabe von Architekten geworden, wann und unter welchen Umständen sind diese zur Lösung einer solchen Anlage mit klarem Bewusstsein geschritten? Wir übergehen absichtlich bei Beantwortung dieser Fragen jene Städteanlagen, von denen uns in der alten Geschichte des Orientes, in Egypten, an den Ufern des Euphrat und Tigris erzählt wird, da wir zu wenig positiv-künstlerische Nachrichten haben, um daraus ein allgemeines Resultat zu erzielen; wir übergehen ebenso absichtlich die neuen Städte Amerikas, Australiens, nicht aus dem Grunde, weil wir keine Nachrichten über sie hätten, sondern desswegen, weil bei ihrer Anlage so vorherrschende Bedürfnisse materieller Art, Interessen des Momentes der ersten Noth zu befriedigen waren, dass das künstlerische Resultat vorerst nur als ein sehr geringes, für unsere europäischen Interessen, in keinem Falle massgebendes bezeichnet werden muss. Wir bleiben bei unseren Betrachtungen auf dem alt-historischen Boden Europa's stehen und fragen da, hat es bei uns eine Zeit gegeben, welche die Stadtanlagen mit klarem Bewusstsein sich zur Aufgabe gestellt hat, etwa wie wir es in Wien gegenwärtig sehen, wie es unsere Zeit in einem Theile Münchens, Hamburgs, Athen, Paris, oder etwas früher Karlsruhe, Nancy u. s. f. gesehen hat. - Der erste Architekt, der Städteanlagen in einem kunstgemässen Systeme durchgeführt hat, war (Aristot. Polit. II. 5.) ein Grieche, Zeitgenosse des Perikles, ein Milesier von Geburt, Hippodamos, der Sohn des Eurykoon. Hippodamos war Sophist gewesen. Wie alle Aufklärer und Encyklopädisten - denn das waren doch eigentlich die Sophisten - war Hippodamos bemüht, in alle irrationalen Verhältnisse seiner Zeit Mass und Regel zu bringen. Auf theoretisch-staatsrechtlichem Gebiete war seine Thätigkeit ohne praktischen Erfolg; von grösserem war sie auf einem positiveren Gebiet, dem der Stadtanlagen gewesen, wo der Grundsatz der Sophisten, dass der Mensch das Mass aller Dinge sei, eine natürliche Anwendung hat. In der Entwicklung einer jeden grösseren Stadt tritt ein Stadium ein, wo der hergebrachte Zustand gebrochen werden muss, wo man das Anlegen von Häusern und Strassen nicht mehr dem Zufalle, also einem natürlichen Kristallisationsprozesse anheimstellen kann, sondern wo der menschliche Wille und die menschliche Einsicht positiv eingreifen müssen. Die Zeit, in welcher solche Ereignisse fallen, sind überall Wendepunkte im staatlichen und geistigen Leben der Völker gewesen. Es war diess in Griechenland und speziell in Athen die Zeit nach den Perserkriegen nach Alexander dem Grossen gewesen, in Rom die der Imperatoren, in Byzanz die Konstantin des Grossen. Paris hat mehr, als einmal, zuletzt in unserer Zeit, einen solchen Prozess durchgemacht. Wien geht in diesem Momente in seine entscheidendste Bauperiode ein.

Die Bauart der altgriechischen Städte hat in der Perikleischen Zeit nicht mehr den Bedürfnissen der Bevölkerung entsprochen. Die Plälze waren unregelmässig, die Strassen eng und krumm, so dass sich Fremde in derselben schwer zurechtfinden konnten. Die dorischen Städte speziell waren bei dem vorherrschenden Sinn der Bevölkerung für Landleben nichts weniger als schön gebaut, aber auch Athen fing erst an seine Pracht in Tempeln, Staatsgebäuden und öffentlichen Monumenten zu entfalten, während die Privatwohnungen klein, oft unter Gartenanlagen verschwanden; der damaligen bewegten Zeit, der zunehmenden Bevölkerung, dem wachsenden Handel und Verkehr hat die alte Stadtanlage mehr Genüge gethan, insbesondere seitdem die lange Mauer den Piräus mit der alten Handwerkerstadt des Theseus in Verbindung gebracht, die Bewegung des Meeres sich der Bevölkerung Alt-Athens mitgetheilt hat. In diesen Zeiten war ein neues organisirendes Talent in der Stadt-Architektur nöthig und dieser Mann war, wie gesagt, Hippodamos von Milet gewesen. Es ist nicht unbedeutsam, dass Hippodamos von Milet zu Hause war; denn dort und an der ganzen Küste Klein-Asiens lernte er die Vortheile kennen, welche geregelte Stadtanlagen dem Handel und der Bevölkerung boten, von dort her scheint er den Sinn für neue Anlagen, regelmässige architektonische Bauten auf den altgriechischen Boden zurückgebracht zu haben, und von der Zeit an datirt sich eine Reihe von architektonischen Bauten auf diesem Gebiete in Griechenland. Ihm wird speziell die regelmässige Anlage der Strassen zugeschrieben, g116.jpg (3887 Byte), wie sie die Griechen nennen und wie er sie im Piräus beim Bau der Agora in Anwendung gebracht hat; eine Reihe von Städten wird uns genannt, die ebenfalls eine grosse Regelmässigkeit in ihrer Anlage gezeigt haben, Thurion, Rhodus, das in Form eines Theaters angelegt war, Smyrna, Halikarnas, Kos, Mytilene u. s. f.

Jedoch auch in den damaligen Zeiten scheint es Leute gegeben zu haben, welchen die altväterische Sitte der unbequemen winklichen Strassen ebenso sehr behagt hat, wie es bei uns Leute gibt, die im Rothgässchen und Blutgasse den Sinn für die Annehmlichkeiten von Sonne und Luft verloren haben. Auch das sind wir berechtigt zu sagen, dass eine all zu regelrechte Stadteintheilung dem Griechen nichts weniger als behaglich war, dass es aber auch damals Architekten gegeben hat, die mit Zirkel und Lineal manövrirten, als wären diese zwei Instrumente der einzige künstlerische Massstab bei der Anlage einer Stadt. Wir schliessen diess aus den Worten des Wahrsagers in den Vögeln des Aristophanes, der eben in Wolkenkukkuksheim eine regelmässige Stadt projektirt. «Nehmen wir den Reiszeug, ruft Meton dem Peisthhetäros zu und setzen hier den krummgebogenen Fuss des Zirkels ein, und nun lege ich das Lineal an und bilde ein Viereck aus dem Kreis, hier in die Mitte da kömmt der Markt und alle Strassen führen schnurgerade zum Mittelpunkt und gehen wie Strahlen von ihm als kugelrunden Stern gerade aus nach allen Winden.» Glücklicherweise scheint das antike Karlsruhe nur in der Komödie des Aristophanes gewesen zu sein. Denn die grosse Reihe von Städteanlagen, welche die Griechen an den Küsten der Kulturmeere der alten Welt, am mittelländischen und schwarzen Meere, vorgenommen haben, und die wir jetzt noch in ihren Ruinen beurtheilen können, sind ein lautredendes Zeugniss für den Takt in der richtigen Auswahl des Ortes und für den feinen Sinn in der architektonischen Anlage selbst.

Eine neue Periode in der Entwicklung des griechischen Städtewesens trat mit Alexander dem Grossen ein. Dieser zweite Achilles, der den alten Kampf Griechenlands mit dem Oriente zu Ende brachte und den Strom occidentalischer Kultur über den ganzen Orient lenkte, leitete auch jene grossartige Bewegung ein, welche dem Oriente eine Reihe neuer Städteanlagen verdankte. Wenn wir die grosse Stadtanlage von Antiochia übergehen, die Anlage der Städte Antigonea, Philadelphia, Stratonikia, Seleukia, Kassandria, Thessalonike u. s. f., so müssen wir doch bei zwei Städten verweilen, von denen die eine nur Projekt blieb und vielleicht der bizarrste Gedanke war, der je aus dem Gehirne eines Architekten entsprungen ist, die Andere zur Anlage einer noch heut existierenden Stadt führte, die beide aber durch denselben Architekten projektirt oder zur Ausführung gekommen sind. Wir meinen den Architekten Deinokrates (Vitrur. II. praef.), der sich im Lager Alexander des Grossen in dem phantastischen Kostüme des Herkules präsentirt hat und dessen kühne Kombinationen mit den grossartigen Ideen Alexander des Grossen Hand in Hand gingen. Dieser Architekt legte dem König Alexander von Macedonien das Projekt vor, den ganzen Berg Athos in den Koloss einer menschlichen Gestalt zu verwandeln, von solcher Grösse, dass man in der einen Hand dieses Kolosses eine ganze Stadt anlegen könnte; in die andere Hand aber wollte er ihm eine Schale geben, welche die gesammten Wässer des Berges Athos sammeln und mit Einem Strahle in das Meer führen sollte. Diesen Mann benützte Alexander der Grosse nebst andern Architekten zur Anlage der Stadt Alexandria in Egypten, deren architektonische Regelmässigkeit, deren prachtvolle Palast-, Strassen- und Hafenbauten wir ziemlich genau kennen. Die Anlage dieser Stadt erfüllte eine grosse welthistorische Frage; es concentrirte sich in ihr nach der Zerstörung von Tyrus der Strom des Welthandels nach dem Oriente, den die heutige Welt durch die Anlage des Suezkanals auf dieselbe Bahn gelenkt wissen will, und es erfüllten sich in ihr zugleich die welthistorischen Geschicke von Egypten, das in seinen Städteanlagen an den Ufern des Nils von Süden nach Norden, über Theben und Memphis nach Alexandria, das heisst, nach dem mittelländischen Meere drängte, um in demselben Momente, wo es den Zweck dieser historischen Wanderschaft erreichte, auch in das Grab seiner historischen Grösse zu steigen.

War die Zeit Alexander des Grossen, so wie früher die zu Perikles und die der jonisch-dorischen Colonialgründungen, die fruchtbarste in Städtegründungen für eine gewisse Periode und für grosse Landstriche der gebildeten Welt, so war Italien und die Römerherrschaft für Städtebau nicht minder wichtig gewesen. Ich muss es mir versagen auf die etruskischen Stadtanlagen, die theilweise heute zu Tage noch erhalten sind, auf das Wiederkehren derselben grossen Gesetze aufmerksam zu machen, welche sich auch in diesen Anlagen zeigen, um auf jene Stadtanlage Italiens zurückzukommen, die den Ruhm in sich schliesst, aus ihrem Schoosse das grösste Weltreich geboren zu haben, das je existierte und die Mutter von unzähligen Städteanlagen und wichtigen Stadteinrichtungen zu sein, ich meine nämlich die Anlage Roms der «terrarum domina gentiumque, cui par est nihil, nihil secundum.» Die älteste Anlage Roms liegt unserer Aufgabe ferne. Das Capitolium, die Acra Alt-Roms, mit dem Quellhause, dem Tullianum, die alten halbmythischen, halb historischen Ansiedlungen an den Hügeln, die ersten Schutzmauern durch Wall und Graben, der sevianische Wallbau, sind es nicht, was Rom von vielen anderen Grossstädten unterscheidet. Als Bauanlage interessirt uns hier in erster Linie das kaiserliche Rom. Doch das muss bemerkt werden, dass die italischen Völker schon in sehr früher Zeit einen grossen Sinn für Beachtung praktischer Lebensverhältnisse gezeigt haben und dass Strabo (V.) gerade darin einen charakteristischen Unterschied zwischen griechischen und italischen Städten findet. Wie sie es gewesen sind, die zuerst den concentrischen Steinschnitt in Uebung gebracht, Ueberwölbungen und Bogenbauten ausgeführt haben, wie sie es waren, die, statt wie die Griechen den langen Kampf der Sonne und des Lichtes mit den Sümpfen in poetische Mythen zu erklären, an Entsumpfungen, Kanal - und Wasserbauten thätig Hand angelegt haben, so waren es auch sie zuerst gewesen, die für gepflasterte Strassen sorgten, welche Markt- und Baupolizei in geregelter Weise handhabten, und in ihrem Budget eine grosse Summe, nach Angabe des Polybius im Ganzen zwischen durch10.JPG (817 Byte) bis 1durch5.JPG (789 Byte)sämmtlicher Revenuen zu Bauanlagen verwendeten und eine Reihe von Stadtbauten für das öffentliche Wohl ausführten.

Uns interessirt vorzugsweise das kaiserliche Rom auch wegen der eigenthümlichen Verwandtschaft, die zwischen den damaligen Zuständen und den jetzigen stattfindet. Die Bevölkerung Roms war in massenhafter Zunahme begriffen, sie schwankte zwischen 1,300.000 und 2 Millionen. Einheimische und Fremde, Freie und Sklaven, Patrizier und Plebejer drängten sich auf einen verhältnissmässig kleinen Raum; die Reichen hatten ihre eigenen Paläste, die Wohnhäuser der Bürger und Aermeren die insulae - in der augusteischen Zeit 44000 - wurden unter August auf die Höhe von 70', unter Trajan auf 60' beschränkt. Dort wohnten, in engen Strassen 6-7 Stockwerke hoch, unten Stein-, oben Holzbauten, die Bürger Roms; da traten aber auch für die Lenker der Stadt bei einer an politische Parteiungen, an öffentliches Staats- und Gerichtsleben gewöhnten Bevölkerung, ernste Anforderungen zur Befriedigung der Bedürfnisse derselben, durch grosse architektonische Anlagen in den Vordergrund. Der neronische Brand hat dem Stadtbau Roms eine noch grössere Bedeutung gegeben. Wie heut zu Tage ein Theil der Bevölkerung von Paris aus dem Centrum der Stadt, ihren alten mit Jahrhundert langen Gewohnheiten zusammenhängenden Wohnsitzen vor die Barrièren hinaus, nach Vaugirard, Grenelle, Batignolles verdrängt wird, um im Innern der Stadt für Prachtbauten Raum zu machen, so musste nach dem neronischen Brande ein grosser Theil der Bevölkerung des inneren Rom mit Hab und Gut das Centrum der inneren Stadt verlassen und sich in die Umgebung derselben ziehen. Die Dichter spielten damals auf den Entschluss der Plebejer nach der gallischen Zerstörung an:

Rom wird ein einziges Haus: nach Veji wandert Quiriten
Wenn nicht auch Veji bald wird nur ein einziges Haus.

Die Zeit Augustus, der neronische Brand, die Bauten der Flavier bis in die Zeit Marc Aurels hinein, machten aus Rom eine Stadt von architektonischer Grösse und Majestät wie keine zweite weder vorher noch nachher. Was aber dieses Rom für uns besonders anziehend macht, das sind die Zwecke, die Interessen des öffentlichen Wohles, welchen diese Bauten theilweise dienten, und die Formen, welche sie zu diesen Zwecken kunstvoll anwendeten. Wer erinnert sich da nicht mit einem Male der zahlreichen Basiliken, Foren, Thermen, Aquaducte, Theater, Portiken, Triumphpforten und wie die Gebäude alle heissen, welche in dieser Richtung gebaut wurden. Die römische Architektur hatte längst schon aufgehört dem keuschen Dienste der Grazien zu opfern, sie war längst schon Bedürfnissen entwachsen, die durch eine naive stille Poesie befriedigt werden konnten; sie war eine Architektur der Massen für die Bedürfnisse von Massen gewesen und hat die Formensprache in der Kunst fixirt, die auf vielen Gebieten des Lebens nöthig ist, wenn diese eben massenhaft auftreten. Vom Standpunkte der Kunst und im Vergleiche zur Kunst der Griechen mögen Einwendungen gegen sie ihre vollkommene Berechtigung haben; aber vom Standpunkte des öffentlichen Lebens, in Momenten, wo wieder massenhafte Bedürfnisse herantreten, da erinnert man sich wieder ganz unwillkürlich der majestätischen Grösse der alten Römerbauten und mehr als einmal hört man bei Viadukten unserer Eisenbahnen, die sich kühn von einem Berge zum andern überbrücken, den Ausruf: «das sind Bauten der alten Römer würdig.» - In solchen öffentlichen Urtheilen liegt die grösste Rechtfertigung der römischen Architektur; und wer heut zu Tage weiss, dass von den dreizehn alten Wasserleitungen Roms gegenwärtig drei hinreichen, um die heutige Stadt mit Wasser in einer Fülle zu speisen, wie es keine moderne Stadt der Welt aufzuweisen hat und wer hört, dass eine ähnliche Wasserleitung zu Spalato, nachdem sie vierzehn Jahrhunderte unter der Erde gelegen ist, zu zwei Drittheile so praktikabel ist, dass sie wieder zu öffentlichen Bedürfnissen verwendet werden kann, der wird bei genauer Ueberlegung finden, dass gerade für städtische Anlagen, gerade für das physische Wohl grosser Bevölkerungsmassen in Rom bereits in der vollendetsten Kunstform gesorgt wurde, während man, in London und Paris heutigen Tags die ersten Versuche zur Lösung so wichtiger Stadtbauten nach dieser Richtung hin macht.

Die Bedeutung Roms für Städteanlagen und Stadtbauten liegt aber nicht bloss in dem, was innerhalb des Weichbildes der ewigen Stadt geschah, sondern noch mehr in dem grossartigen Colonial-System, welches von Rom ausgehend sich über ganz Italien verbreitete und sich nach und nach auf das ganze Gebiet des römischen Weltreichs erstreckte. Italien wurde schon in sehr frühen Zeiten auf diesem Wege zu einem Complexe von Stadtgebieten, das jedes für sich mit einer Reihe kleiner umliegender Ortschaften ein Ganzes bildete, später wurden die Provinzen in ähnlicher Weise gegliedert und durch allgemeine, nach gewissen Hauptgruppen sich sondernde Rechtsinstitutionen mit dem Centrum des Reiches in Verbindung gebracht. Die Colonien, Municipien und oppida latina des weiten römischen Reiches haben natürlicher Weise für uns nicht bloss dadurch ihre Bedeutung, dass sie in die celtisch-germanischen Barbarenländer, in die Donauländer und am Rhein eine Reihe von neuen Rechtsanschauungen verpflanzt, sondern auch dadurch, dass sie die Kunst des Bauens, die Kunst einer Stadtanlage und all' den Comfort nach den nördlichen Gegenden führten, den die Römer bereits in Italien kennen gelernt haben. Natürlich wurden an vielen Orten bei der Colonisation schon vorhandene Ansiedelungen benützt, aber an vielen anderen Orten wurde durch die Agrimensormen der Raum ausgemessen in Form eines Vierecks mit zwei grossen Strassenanlagen, die von Norden nach Süden, von Osten nach Westen gehend, eine neue Stadtanlage nach den Ritualvorschriften und den Grundsätzen bei Lagerabstechung in vier Quartiere schieden.

Den Werth dieser römischen Bauanlagen in Mittel-Europa und der damit verbundenen Cultur lernen wir erst jetzt genau kennen, wo wir den Zustand der celtischen und germanischen Völker übersehen, und aus dem Ueberreste selbst den Umfang dieser Stadtanlagen beurtheilen können. Ein grosser Theil der österreichischen Monarchie, der südlich von der Donau, die heutige Woiwodina und Siebenbürgen, sind voll von solchen Ueberresten, und unser Wien selbst, das Vindobona der Römer, war eine von jenen römischen Anlagen, deren vier Seiten noch in den späteren Anlagen aus der romanischen Bauperiode herausgefunden werden.

Mit der Völkerwanderung aber trat ein neues Stadium wie im Völkerleben so auch im Städteleben ein. Der Sturm der Jahrhunderte, der das schon innerlich zerfressene römische Reich in Mittel- und Ost-Europa aus dem geschichtlichen Leben vertilgt hat, hat neuen Völkern, neuen Staaten und neuen Städten ihre Entstehung gegeben. Wie die alten Lautsprachen untergegangen sind oder sich mit den Sprachen der jungen Völker zu neuen Sprachen verbunden haben, so ist auch die altrömische Bausprache zu Grunde gegangen und nur wenige und theilweise unverstandene Formen haben sich erhalten, glücklicherweise gerade so viel, als nothwendig war, um das Entstehen neuer Formen auf dem Gebiete der Architektur möglich zu machen. Die Völker, die den altrömischen Boden in Besitz genommen haben, hatten eine andere Anschauung vom Leben und wir möchten gleich sagen, vom Hause aus eine tiefere, als sie sich in der alten Welt gezeigt hat. Die germanischen Stämme, die in der Völkerwanderung die hervorragendste Rolle spielen, und in späteren Jahrhunderten durch Fixierung des Stadtrechtes einen so mächtigen weit über die deutschredenden Stämme hinausgehenden Einfluss genommen haben, waren, wie wir aus Tacitus Germania wissen, Städten nicht hold gewesen; - sie sahen in den Städten die Feinde der Freiheit - aber sie hatten von Anfang an schon den Begriff eines Gemeinwesens gehabt, der über den Begriff der Stadt hinausgehend später ein Staatsleben in grösserer Ausdehnung möglich gemacht hat, als es bei den Griechen und Römern der Fall war, denen Staat und Stadt identische Begriffe gewesen sind. Bei den Germanen nahmen daher die Städte selbst im elften und zwölften Jahrhunderte eine abgesonderte möglichst unabhängige Stellung ein, ganz geschieden vom Lande und der Landbevölkerung. Trotz dieser feindlichen Stellung der neuen Völker haben die römischen Städte und Stadt-Institutionen die schwere Prüfung der Völkerwanderung rühmlich überstanden. In vielen Ländern allerdings sind diese Städte völlig zerstört worden, an vielen anderen haben sich die germanischen Stämme dieser Städte selbst bedient und sie zu ihrer eigenen Vertheidigung benützt, es war dies insbesondere der Fall bei den Longobarden, die, nachdem sie den Boden Italiens betreten haben, mit eben der Sorgfalt für die Erhaltung und Ausbesserung der alten Städte zu Werke giengen, als sie den Werth der Städte erkennend, die Mauern feindlicher Städte zerstörten.

Ein anderes Schicksal als bei den Longobarden, Ost- und Westgothen hatten dieselben Rechtsinstutionen im Reiche der Franken, Angelsachsen, Allemannen u. s. f. Die reindeutschen Städte stunden aber durchwegs auf selbstständigerem, nationalerem Boden als es bei den italienischen der Fall war, wenn sie auch verhältnismässig viel später als diese gegründet worden. Ein gelehrter Kenner des mittelalterlichen Städtewesens unterscheidet ihrem Ursprunge nach drei verschiedene Reihen von Städten. Eine Reihe ist jene, die nachweisbar aus römischen Anlagen hervorgegangen sind, wie unser Wien, Passau, Wels, Laibach, Triest, Altofen u.s.f. Eine zweite Reihe ist besonders im lnnern Deutschlands an jenen Orten entstanden, wo bischöfliche Sitze angelegt wurden. Man wählte absichtlich solche Punkte, die schon von Römerzeiten her irgend Bedeutung gehabt haben; wo das nicht der Fall war, legte man in der Mitte der Diöcese den Bischofssitz an, um den sich bald Einwohner sammelten, der oft befestigt werden musste und den Mittelpunkt eines städtischen Lebens abgab, wie wir diess in Bremen, Hamburg, Magdeburg, Münster, Paderborn, u. s. f. finden. Eine dritte Reihe von Städten entstand aus den königlichen Pfalzen, den Sammelpunkten der Heere. Sehr häufig waren auch diese Städte, wo eben Heere sich concentrierten, zu gleicher Zeit Mittelpunkte des Handels und Verkehrs. Diesen Städten reihen sich natürlicherweise die fürstlichen Städte an, und eine solche Stadt war Wien, das in der Mitte des zwölften Jahrhunderts von Heinrich Jasomirgott gewissermassen gegründet, von Herzog Leopold um 1198 sein ältestes Stadtrecht empfing. Wo diese drei Elemente zusammenwirken, da entwickelt sich am schnellsten ein grosses vielgestaltiges Stadtleben, wie in Köln, Mainz, Worms, Speier, Regensburg, Strassburg u. s. f.

Von diesen deutschen Städten Mittel-Europa's gieng ein Strom von Kolonisationen und Städteanlagen nach den östlichen Ländern aus, von denen keine berühmter sind, als jene, welche in Nordost von geistlichen Ritterorden unternommen wurden, für Oesterreich hingegen keine wichtiger als jene, welche in den slavischen Ländern und den Ländern der ungarischen Donauebene und Siebenbürgen sich erhoben. Entziehen sich auch die Rechtsinstitutionen, die sich auf diese Weise verpflanzt haben, den Blicken Vieler, so stehen die romanischen und gothischen Baudenkmale in jenen Gegenden als unabweisbaren Zeugen dieses Kulturstromes, als feste Grenzmarken zwischen der occidental-katholischen und der orientalisch-schismatischen Welt. Der bauliche Charakter aber der mittelalterlichen Städte war vorzugsweise durch drei Elemente bedingt: durch die eigenthümliche Natur der Befestigungen, dis schon in frühen Zeiten, theils durch innere Kriege, theils durch die Züge der Hunnen und Magyaren nothwendig gewesen sind; durch die kirchliche Architektur, die sich im Mittelalter ausgebildet hat, und endlich durch den specifischen Charakter des städtischen Lebens und den Einfluss desselben auf die Bauformen der militärischen Anlagen, die Burg- und Befestigungebauten des Mittelalters. Die der älteren Periode, zugleich die der romanischen Stylperiode nähern sich mehr der römischen Architektur, sind einfacher, rechtwinklig, wie wir es bei den Bauten von Como und in den noch erhaltenen Stadtanlagen von Montpazier von 1284, von Ville de Beaumont von 1272, von Villeneuve le roi sehen. Die späteren aus der Zeit der Gothik und nach dem Gebrauch des Schiesspulvers herstammenden Befestigungsbauten sind bewegter und die Linien vor- und rückspringend, wie die Festungsbauten in Krakau oder Salzburg; sie haben ein höchst malerisches Aussehen. Von der höchsten Wichtigkeit aber für die bauliche Physiognomie einer mittelalterlichen Stadt waren die kirchlichen Bauten. In der frühesten Zeit schon waren es die Klöster, vorzugsweise die Benediktiner gewesen (erst später die Minoriten und Dominikaner), die in den durch die Völkerwanderung verwüsteten Gegenden den Samen einer neuen Kultur und Gesittung ausstreuten und in ihren Klosteranlagen alle jene Elemente sammelten, die zum Bauen nothwendig sind.

Ein solches Kloster war in seiner Art eine kleine Stadt gewesen, da es für alle Bedürfnisse zu sorgen hatte, die eben aus dem Zusammenwohnen Vieler von selbst hervorgiengen. Diese Klöster waren auch vielfach Anlass von Städtegründungen gewesen, wie St. Gallen, Fulda, Corvey u. s. f. Der Bau der Kirchen ist später ein Gegenstand städtischen Ehrgeizes und Wetteifers geworden, und bei der tiefen und gesunden Frömmigkeit des ganzen Mittelalters waren es vorzugsweise diese kirchlichen Bauten in ihrer wunderbaren durch nichts übertroffenen Grösse gewesen, die einer mittelalterlichen Stadt einen charakteristischen Typus gegeben haben. Während die antiken Städte mit ihren flachen Giebeln sich gewissermassen den Linien der Berge, dem Vorbilde der Natur unterordnen, durchbrechen die mittelalterlichen Städte mit ihren Thurmbauten durch ihre vertikalen Massen diese Linien und folgen gewissermassen dem Zuge des menschlichen Geistes nach Oben, den das Christenthum tief in die Seele des Menschen gepflanzt hat. Von den kirchlichen Baustylen gingen die Formen auf das bürgerliche und gesellschaftliche Leben über. Der Reichthum von Formen, der in diesen Bauten vorkömmt, ist bekannt, und die Schönheit der Stadtbauten des Mittelalters sprichwörtlich geworden. Der Gemeinsinn des mittelalterlichen Bürgerstandes ist es nicht minder. Er brachte die Arbeit zu Ehren und den Werth der Intelligenz in ihr. Gegliedert, wie er war, in Zünfte und Korporationen, stund er zwischen den Hörigen und Adeligen in der Mitte. Doch die Städte waren verhältnissmässig klein, die Strassen waren enge, die Bevölkerung dicht. Vor dem zwölften Jahrhundert waren die Bürgerhäuser meist aus Holz und damals stunden, wie im 13. Jahrhundert, die Baumhäuser neben den steinernen Burgen, den Höfen des Adels, der patricischen Geschlechter und der Klöster. Oft und oft brannten ganze Städte nieder. Mit dem 13. und 14. Jahrhundert verbreitete sich die Gewohnheit des Steinbaues, der Fensterverschliessung mit Glas, und da entstunden in der Blüthezeit des gothischen Styles jene reizenden gothischen Häuser mit ihren Erkern und Zinnen, bestimmt für die Bedürfnisse einer Familie; da entstunden die zahlreichen schönen Brunnen, wie wir sie leider nur in sehr geringer Zahl besitzen, die prachtvollen Stadthäuser und Lagerhäuser für den Verkehr und den Handel, die Anlagen der Plätze; da entwickelte sich der Sinn für das städtische Leben und städtische Selbstständigkeit, der sich dem Landadel gegenüber am stärksten in den alten Statuten von Lübeck ausspricht: "Es soll kein Rittermässiger wohnen in unserem Weichbild."

Aber bald sollte das Städtewesen einer neuen Entwickelung entgegen gehen und anderen bewegenden Kräften der Geschichte dienen. Schon in der zweiten Hälfte des XV. Jahrhunderts ist ein Verfall städtischen Lebens, ein Erstarren der Zunftverhältnisse, ein Herabkommen der alten Geschlechter wahrzunehmen; schon früher ging ein ähnlicher Zersetzungsprocess auf dem Lande vor sich. Und so stark ist der Gegensatz zwischen den historischen und socialen Grundlagen des mittelalterlichen Städtewesens und des modernen, dass ein gründlicher Forscher auf diesem Gebiete, Wilh.  A r n o l d*),  geradezu erklärt, die Grösse und der Wachsthum der heutigen Städte beruhe auf ganz anderen Fundamenten, als der des Mittelalters und sei heutzutage, in unserer modernen Zeit proportional der Grösse und Macht der Staaten. Die Staatsidee und die der Kirche waren die einzigen gewesen, die sich aus dem Zerfalle der mittelalterlicher Institutionen gerettet hatten. Jene lehnt sich an das ursprüngliche Stammes- und Volksleben der Völker, an ihre, wie wir sahen, über den antiken Stadtbegriff von Hause aus hinüberschreitende Staatsanschauung. Aus dieser Bewegung entstunden die modernen Monarchien, die Ideen von concentrierten Staatsleben und daher auch die Idee von Hauptstädten, die dem Mittelalter fremd war. Aus den atomistischen Städteleben Italiens gingen auf diesem Wege kleinere Staaten, die Präponderanz einzelner Städte, Mailand und Venedig, Florenz und Verona hervor; auf dieser Grundlage entwickelten sich diesseits der Alpen hier früher, dort später Monarchieen mit Hauptstädten und überall, wo wir bis auf unsere Tage diese entstehen, die monarchische Staatsgewalt aus grossen Kämpfen siegreich hervorgehen sehen, erblicken wir auch Hauptstädte im modernen Sinn, so Petersburg und Berlin, München und Karlsruhe, Haag und Brüssel. Von sämmtlichen deutschen Hauptstädten gehen nur wenige in ihrem historischen Leben über das 13. Jahrhunderte zurück. Wie auf diesem Wege sich neue Grossstädte bildeten, so sehen wir überall, wo föderative oder republikanische Ideen in der Staatenbildung vorwalten, in der Schweiz, Nord-Amerika, diese Idee einer Hauptstadt entweder bekämpfen oder geradezu aufgeben. Dazu kömmt noch, dass nach dem Zerstören des Gegensatzes des städtischen und ländliches Lebens, dem Aufhören der Hörigkeit, dem Eintreten des Fabriks- und auf neuen Grundlagen ruhenden Verkehrslebens auch in anderen Städten, die sich nicht an die Staatsidee anlehnen, das Städtewesen eine neue Grundlage erhielt, die sich in den baulichen Anlagen wiederspiegelt.

*) In diesen Parthieen bin ich vorzugsweise Arnold und Heget, in späteren Guilhérmy, Arnd u. a. gefolgt.


Unter allen modernen Städten gibt es keine, die sich mit Paris an Bedeutung messen könnte. Es ist das Prototyp einer modernen Hauptstadt im eigentlichen Sinne; die architektonische Entwicklung dieser Stadt, die dort schon sehr früh grosse Dimensionen annahm, hat sich in allen Hauptstädten Europa's, die das Centrum grösserer Monarchien bilden, in ähnlicher Weise wiederholt. Die Ausbildung der Stadt Paris zur Hauptstadt Frankreichs reicht in eine verhältnissmässig sehr frühe Zeit zurück. Als Philipp August im Jahre 1188 zum Kreuzzuge auszog, gab er den Bürgern von Paris den Auftrag zur Erbauung einer neuen Umfassungsmauer mit Thürmen und Thoren. Er ist der erste und eigentliche Gründer, wie des Staates und der Idee Frankreichs, so auch der Hauptstadt von Frankreich. Wer heutigen Tags die weiten Räume dieser Weltstadt durchschreitet, der erinnert sich selten des Zustandes derselben zu der Zeit Philipp Augusts und noch seltener der alten Römerstadt Lutecia, des allen Imperatorenpalastes in der Nähe des Hotels Cluny und des alten Herrschersitzes der Nerowinger auf der Ile de la Cité. Lange Zeit blieb die Ile de la Cité das Centrum von Paris, das durch zwei Brücken (in der Nähe des heutigen Pont au Change und des petit Pont) mit dem nördlichen und südlichen Paris in Verbindung gewesen sind. Zur Vertheidigung der Ile de la Cité diente eine hohe Mauer, zum Graben das Flussbett der Seine. Um diese Stadt herum siedelten sich Klöster an, die mit den Vorstädten besonders in den Zeiten der Einfälle der Normannen oft zerstört worden sind. Louis IV., Abt Suger von St. Denis, dachten daran, das Werk der Ausdehnung von Paris mit dem Zunehmen der monarchischen Gewalt in Einklang zu bringen. Aber erst Philipp August vollendete das Werk seiner Vorfahren. Der Befestigungsbau von Paris war ein Glied in der Kette seiner grossen organisatorischen Gedanken über die Adminastration des Reiches, durch welche er sich über das ganze Heer kirchlicher und weltlicher Vasallen zum eigentlichen Herrn und Monarchen von Frankreich aufschwang; seine baulichen Anlagen in Paris waren das Siegeszeichen der modern-monarchischen Gewalt über die Feudalen. Die kirchliche Organisation unter Ludwig dem Heiligen vollendete die politische unter Philipp August. Noch war die le de la Cité die Residenz Philipp August's gewesen, wenn er nicht nach alter Gewohnheit auf seinen Domänen heute da, morgen dort sich aufhielt, noch war der eigentliche Schwerpunkt der Stadt Paris auf dem linken Ufer der Seine auf altrömischem Boden, jenem Orte, wo noch heut zu Tage im Faubourg St. Germain, im lnstitute, in der Universität sich Alles versammelt, was Frankreich in gesellschaftlicher und geistiger Beziehung an unabhängigen, den grossen Kulturzwecken der Menschheit lebenden Grössen besitzt. Diesen Schwerpunkt verrückte zuerst Philipp August.

Er erbaute am rechten Ufer der Seine ein festes Schloss auf bischöflichem Grunde ausserhalb der neuen Befestigungsmauer, den Louvre, im Jahre 1204. Dieser Bau war ein wichtiger Schritt, ein erfolgreicher für die ganze Bauentwicklung von Paris, welcher nachher die Präponderanz des ganzen rechten Theiles der Stadt bedingte. Unter Karl V. und Ludwig XIII. hat die Ausdehnung der Umfassungsmauer von Paris bedeutend zugenommen. Unter Ludwig XIII. wurde sie nach Nordwest beiläufig in der Richtung der heutigen Boulevards ausgedehnt, die Bastionen erstreckten sich schon bis jenseits der Tuilerien. Ludwig XIV. war eben jener Fürst gewesen, der seit den Zeiten Philipp August's der baulichen Physiognomie von Paris neue und grosse Züge aufprägte. Obwohl er selbst grösstentheils nicht in Paris, sondern in Versailles residierte und seine architektonische Thätigkeit vorzugsweise diesem seinem Lieblingssitze zuwendete, so hatte er nichts destoweniger unter allen Fürsten Frankreichs am meisten dazu beigetragen, Paris den Charakter einer Hauptstadt zu geben. Unter ihm fielen die alten Befestigungsmauern und nur mehr der Name der Boulevards, die in jener Zeit (und später 1760) mit Baumpflanzungen versehen wurden, erinnert an die ehemalige militärische Bestimmung derselben. Die Thore Saint Denis und Saint Martin, mit prachtvollen Ornamenten geschmückt, wurden aus Stadtthoren gewissermassen Triumphpforten; die engen krummen Strassen der Stadt - es waren viele so enge, dass kein Wagen in dieselben hineinfahren konnte - wurden erweitert und geregelt. Die Quais, die damals noch ungepflastert und ohne Ummauerung einen Theil von Paris Ueberschwemmungen Preis gaben, wurden, wie die theilweise sumpfigen und moorigen Gründe an den Ufern der Seine, geregelt; schon in den ersten Jahren der Regierung Ludwig XIV. wurden an der Südseite von Paris zwei grosse Hafen angelegt. Die alten Strassen und Plätze, die alten Brücken und Monumente verschwanden nach und nach, neue wurden erbaut. Von den vielen alten Plätzen sind nur mehr zwei aus der Zeit Heinrich V. übrig geblieben; von den alten Fontainen hat nur die am Platz des Innocents im Style der Renaissance, von den alten Strassen nur die Rue Hautefeuille ihren Charakter erhalten. Paris wurde im achtzehnten Jahrhundert grossentheils verändert, wie es im neunzehnten Jahrhundert wieder einer grossen baulichen Umgestaltung entgegen geht. Was aber Paris zu den Zeiten Philipp August's wie zu den Zeiten auch Ludwig XIV. zur eigentlichen Weltkapitale macht, waren die grossen Kulturzwecken gewidmeten Bauten, ohne denen heute Paris, wie Berlin, München und Florenz nichts anders als grosse Steinhaufen wären, bewohnt von einer in den Bedürfnissen des Tages untergehenden Bevölkerung.

Die Stiftungen Louis XIV. und seiner Zeit, die Schulen der Frères des écoles chrétiennes, das Seminar St. Sulpice, - bestimmt den französischen Klerus in der Staatsidee Frankreichs zu erziehen - die grossen Hospitäler: la Salpetriêre und Bicêtre, die Maison des enfants trouvés, das Hôtel des Invalides, das Colège Mazarin (mit ähnlichen Zwecken wie des seminaire St. Sulpice), die Bauten am Louvre, an den Tuilerien, die Errichtung des Observatoir, die Hebung des französischen Theaters, die Concentration eines zahlreichen Hofadels, eines Gelehrten- und Künstler-Standes, das sind die eigentlichen und nothwendigen Ergänzungen des Niederwerfens der Wälle gewesen. Das Werk Louis XIV. wurde bis auf unsere Tage, wenigstens was architektonische Elemente anbelangt, fortgesetzt und Jedermann weiss, was jede der vielen Regierungen, die dem ersten Sturze der Bourbonen gefolgt sind, dazu beigetragen hat, um eben aus Paris das zu machen, was es bis jetzt nicht bloss in den Augen der Franzosen ist. Es ist wahr, diese Lichtseiten in der Stadtentwickelung von Paris haben auch ihre Schattenseiten und in jeder Grossstadt vertheilen sich die Gegensätze von Licht und Schatten, von Gutem und Schlechtem, je nach ihrer Bedeutung, je nach dem Charakter ihrer Bewohner und je nach der geistigen Erziehung, die ihnen durch Jahrhunderte zu Theil geworden ist. Aber all diesen Bewegungen des städtischen Lebens, dem massenhaften Zunehmen der Bevölkerung, dem Zuströmen vom Lande her, dem Rückströmen der städtischen Beschäftigung auf das Land, den grossartigen Bauten liegt, so wie der Concentration der Staatsgewalt, ein Gesetz der Nothwendigkeit zu Grunde, dem man sich nicht widersetzen kann, sondern dem man sich, wie es bei allen grossen Dingen geht, die in ihrer letzten Entwickelung nicht mehr in der Hand des Menschen liegen, in Demuth fügen muss. Die Ueberzeugung aber, dass man in diesen Dingen einer höheren Gewalt gehorcht, stärkt die Kraft des Willens und fordert, da es müssig erscheint, über den Vortheil und Nachtheil grosser Städte zu sprechen, zum klaren Denken aber die Bedingungen auf, unter denen das leibliche wie das geistige Wohl derselben gedeihen kann. Aller Orten sind die Geister thätig, um diese Fragen zu beantworten, und auf dem Gebiete der Architektur sehen wir in unseren Tagen eben Wien mit der Lösung wichtiger Probleme, mit der Durchführung grosser Projecte beschäftigt.

Noch hat Wien, so sehr es eine grosse Stadt ist, nicht den Charakter einer Grossstadt; noch fehlt Wien eine Reihe von Gebäuden, gleich nothwendig für sein geistiges und materielles Wohl. Sie liegen nicht mehr in einer unbestimmten Form vor uns, sie liegen in ihren Gedanken schon vorgebildet und jedes kommende Jahr wird diesen Gedanken ein neues Moment hinzufügen. Aus der Römerzeit ist uns wenig mehr übrig geblieben, als einige Steine und ein allgemeines Bild der Lage Vindobona's. Das Mittelalter hat uns nur wenig Monumente, den grossen Stephansthurm gewissermassen als Wegweiser in das Jenseits, übrig gelassen. Die Renaissance ist spurlos an uns vorübergegangen, während die barocke Zeit tiefe Furchen in die architektonische Physiognomie Wiens gegraben hat. Die architektonische Schönheit Wiens liegt, wenn wir einige Bauten der jüngsten Zeit ausnehmen, ausschliesslich in den Gebäuden der Zukunft. Diese Gebäude, welche in unserer nächsten Zeit mit immer grösserer Bedeutung hervortreten werden, werden auch den Charakter der architektonischen Ideenbewegung derselben bestimmen. Die Zeit der Schöpfung neuer Style in der Architektur scheint nicht unsere zu sein. Je mehr Versuche auftauchen, einen neuen Baustyl zu erfinden, desto deutlicher wird es, dass der Beruf zu so positiven Schöpfungen nicht vorhanden ist. Je mehr es sich aber darum handelt, gegebene Baustyle, die Grundelemente schon fertiger Baustyle geistreich, sinnvoll mit neuen technischen Fortschritten in Verbindung zu bringen, desto glücklicher werden die Leistungen. Wo es sich also um einen Synkretismus von Bauformen, um eine Reproduktion eine Restauration des Geschmacks handelt; da ist unsere Zeit in ihrem Elemente, und bewegt sich mit Takt, Geschmack und Geschick. Die kirchlichen Bauten, wo diese mit einigem Bewusstsein über die Mission, die sie zu erfüllen haben, vollführt werden, ziehen sich auf die Baustyle des Mittelalters, die wie alle Styelemente aus kirchlichen Bauten hervorgegangen sind, zurück; die weltlichen Bauten, die sich an positive Bedürfnisse, festgestellte Aufgaben anschliessen, erweitern die Aufgabe der Architektur insofern, als sie immer sich erneuern und in unserer Zeit umfassende Dimensionen annehmen, grossen Interessen des öffentlichen Wohles dienen. Sie haben zu keiner Zeit neue Style hergerufen, aber sie haben zu allen Zeiten die Stylrichtungen ausgebildet, den Geschmack gefördert, den Ideenreichthum der Zeiten vermehrt.

In Wien wird die Architektur einen jungfräulichen Boden finden. Wo in neuerer Zeit Gruppierungen von Gebäuden, neue Strassenanlagen vorgenommen wurden, in der Nähe der Paulaner in der Vorstadt Wieden, am Rossauerglacis, zwischen den Weissgärbern und dem Postgebäude u. s. f. da ist die Kunst nicht zu Rathe gezogen worden. Der Geschmack hat sich mit einer regelrechten Führung der Gebäude in breiten Strassen befriedigt. Die Zukunft, hoffen wir, wird eine erfreulichere sein. Die vielen grossen Neubauten, die wir in den nächsten Jahrzehenden zu erwarten haben, lassen eine künstliche Lösung zu, ja sie fordern eine solche. Sie gehen aus so verschiedenartigen Bedürfnissen hervor, dass wir nicht zu fürchten brauchen, sie werden allzu monoton sein. Die ganze Formation des Terrains ist der Art, dass eine Vielgestaltigkeit der Bau-Gruppen möglich ist. Das Bauterrain bewegt sich nicht in viereckigen Formen, sondern geht in grossem Bogen von einem Ende des Donaukanals nach dem andern. Es lehnt sich hier an Wasser, gegen die Laimgrube an Hügel an, es hat selbst gegen die innere Stadtseite reich bewegte Formen. Diese Verbindung des neuen Wien mit dem alten wird in dem Gegensatze zwischen Alt und Neu selbst einen grossen Reiz gewähren, so schwierig sie in organischer künstlerischer Beziehung herzustellen sein dürfte. Es wird ferner die ganze Anlage am Kanal und am Donaustrom sowohl eigenthümliche Schönheiten, als grossen Nutzen gewähren, wenn diese ungebändigte Tochter der Gebirge in feste Schranken wird eingedämmt werden. Noch günstiger gestaltet sich die Aufgabe, wenn, wie es doch nicht zu vermeiden ist, das Terrain längst der äussern Circumvallation mit in den Kreis des Bauens gezogen wird *). Wer nur einmal das schönbewegte, an Aussichten so reiche Terrain um Wien, von den Anhöhen um Döbling, Währing, vom Lagerberg, oder dem Südbahnhofe bei Meidling betrachtet hat, der wird finden, dass keine Hauptstadt Europa's sich Wien im Reichthum von schönen Aussichten und Motiven zu architektonischen Anlagen vergleichen kann, und dass sich weder Paris von Montmartre und Pêre Lachaise, noch weniger das ungünstig gelegene Berlin oder München in dieser Beziehung mit Wien messen können. Ebene und Gebirg, Fluss und Hügelland wechseln in so wunderbarer Weise, dass die Wiener sich bei der Mutter Natur, die sie an diesen Punkt der Erde gebannt hat, zu beklagen wahrlich nicht Ursache haben. Es liegt nur an ihnen, den wichtigen Moment richtig ergreifen und vor Allem den Unverstand zu wehren, der bei planlosen Anlagen von Strassen, bei dem unsicheren Herumtappen, der Gleichgiltigkeit gegen architektonische Schönheiten sich leider schon mancher Punkte in bedauerlicher Weise bemächtigt hat.

*) Wenige Tage, nachdem diese Vorlesung gehalten wurde, erfuhren wir das Aufgeben des Bauverbotes an dem Linienwalle. Dadurch werden die Endpunkte der Strassen- und Verkehrs-Anlagen mit der inneren Stadt in direkte Verbindung gestellt. Es ist diese Massregel nur eine Konsequenz des "Auflassens" der Wälle der innern Stadt; sie ist in so ferne von grosser Wichtigkeit, als sie eine wirkliche konsequente Durchbildung des Projektes zum Neubaue möglich macht, aber sie legt auch allen, die für das Wohl der Vorstadtbevölkerung Wiens Sorge tragen, die Verpflichtung auf, für umfassende Garten- und Parkanlagen in der ganzen Umgebung Wiens Sorge zu tragen. In dieser Beziehung kann uns das zum Vorbilde dienen, was in der Umgebung von Paria durch den Architekten Varé jüngst geschehen ist.


Es darf bei allen diesen Punkten auch nicht ein Faktor übersehen werden, der für den ganzen Menschen von allergrösster Wichtigkeit ist, ich meine das Gemüth. Gott bewahre mich dafür, dass ich bei den Neubauten, beim Stadthause, den Quaianlagen, befestigten Kasernen oder Bibliotheken den Standpunkt des Gemüthes oder der Gemüthlichkeit in Anschlag bringen wollte. Im Gegentheil; - da ist das ächt wahre gesunde Gemüth nur mit einer vollendeten und charakteristischen Kunstform befriedigt. Aber anders ist es mit Wohngebäuden, anders mit der Frage, in wie weit Garten- und Baumanlagen mit Stadtbauten in Verbindung gebracht werden sollen. Da ist die Frage der physischen und psychischen Gesundheit sehr wohl in Ueberlegung zu ziehen. In einer Stadt soll es, wie in einem Hause, wohnlich sein, und damit sie wohnlich genannt werden kann, müssen die Formen, die Anlagen wohlthuend auf unser Gemüth wirken. Man darf den moralischen Einfluss der Wohnungen nicht unterschätzen, und gerade in unseren Zeiten, und in grossen Städten nicht. Das Wüste der Stimmung, die Leere des Gemüthes, die Unbehaglichkeit des Seins steht in genauer Wechselwirkung mit der öden Fläche der Strassen, der nüchteren geistlosen Form der Plätze, dem kahlen kunstlosen Schmuck unserer Kirchen. Es ist nicht gleichgültig, ob der Mensch ein Gefühl und zwar ein sehr lebhaftes und grosses seiner Heimath hat, und ob er dieses Gefühl in die weite grosse Welt mit hinausnimmt, in die gegenwärtig Jeder ohne Ausnahme geschickt wird. Der alte Athener und Römer, der moderne Pariser und Italiener brachte und bringt dieses Gefühl von seinem Boden mit; der Wiener hat es auch. Die Natur um Wien, seine rebenbekränzten Gebirge, seine reizenden Auen fesseln ihn an seine Heimat; der Stephansthurm ist in das Herz eines jeden Wieners als Symbol seiner Heimat gegraben; er vergisst um seinetwillen seine Heimat nicht. Die Schöpfung der Jahrtausende und die unserer Vorfahren im Mittelalter haben dafür gesorgt, dass uns unser heimatliches Gefühl nicht verloren gehe. Sollen wir in der Gegenwart bei unseren grossen Aufgaben minder sorglos mit diesem unseren Gute umgehen, minderen Beruf fühlen, unseren Nachkommen bei so grossen Gelegenheiten diesen grossen Denkstein unseres Sinnens und unseres Strebens zu hinterlassen? Wien muss sich in diesem Momente daran erinnern, dass es an der Grenze orientalischer und occidentaler Bildung als Wächter der wahren Kultur hingestellt ist; dass es den Beruf hat, für den Südosten Europa's das zu werden, was Paris für den Westen geworden ist; dass es grösstentheils von den Erfolgen, die es in einer bedeutenden Entfaltung der Kunst und Architektur anstreben muss, an die sich die der Gewerbe und Wissenschaft anschliessen, abhängt und abhängen wird, ob es unter den grösseren Städten Osteuropa's die  e r s t e  t o n a n g e b e n d e  sein wird, oder auf das Niveau von Städten zweiten Ranges Europa's herabsinkt. Denn so gewiss der Geist es ist, der die Welt beherrscht, eben so zuversichtlich lässt sich behaupten, dass nur jene Stadt die Suprematie in dem edlen Wettkampfe um politische und Kultur-Vorherrschaft erringt, die es versteht, das geistige Uebergewicht in die Wagschale der Völkergeschicke zu werfen.