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Autor: Endell, August
In: Deutsche Kunst und Dekoration - 9 (1901 - 02); S. 289 - 296
 
Originalität und Tradition
 
Endell_Originalität und Tradition(166003 Byte) AUGUST ENDELL-BERLIN: »BUNTES THEATER«. Büffet im Foyer des ersten Ranges

Bis zum Überdruss wird gegen die neueren Kunst-Bestrebungen der Vorwurf erhoben, dass ihre Vertreter alle Traditionen missachten, dass sie unternähmen, ganz von vorn und ohne jedes Vorbild zu beginnen, dass sie auf alle vergangene Kunst-Übung mit Verachtung herabblickten und aus Grundsatz verschmähten, aus früheren Erfahrungen Nutzen zu ziehen. Immer wieder wird von neuem gesagt, es habe doch auch vor unseren Zeiten Kunst und Können gegeben und es sei lächerliche Originalitäts-Sucht, Hochmut und grenzenlose Selbstüberhebung, sich prahlerisch über alle diese vergangene Kostbarkeit hinwegzusetzen. Nun, ganz so schlimm sind die bösen Modernen nicht, aber das eine lässt sich nicht wegleugnen, dass sie in der That den Ehrgeiz besitzen, die Formen, die sie verwenden, selber zu erfinden, nicht aber sie aus Büchern oder gar mit Hilfe von Photographien oder Abgüssen zusammenzustellen. Ist das nun wirklich etwas so Unerhörtes? Einen Dichter, einen Komponisten, einen Maler oder Bildhauer würde man ohne weiteres auslachen, besässe er die Naivität, vorhandene Kunst-Werke ganz oder stückweise zu kopieren und dann für seine eigenen Werke auszugeben. In der Architektur aber soll das nicht nur erlaubt, sondern die einzig mögliche Form der künstlerischen Arbeit sein. Es ist ja zuzugeben, dass architektonische und kunstgewerbliche Arbeit eher zur Benutzung fremder Formen führt, als das auf anderen Gebieten der Fall ist; denn einmal ist der Bedarf an solchen Arbeiten vergleichsweise unendlich gross und wirklich originale Künstler hier wie überall selten.

Endell_Originalität und Tradition(116537 Byte) AUGUST ENDELL-BERLIN. »Buntes Theater«, Treppen-Haus

Dazu kommt die technische Schwierigkeit und die grossen Kosten der Ausführung, die ein Ausprobieren von Fall zu Fall stark beschränken oder fast unmöglich machen und es liegt nahe, dass wenn jemand einmal die künstlerische Lösung für die Überwindung einer technischen Schwierigkeit gefunden hat - beispielsweise für einen Thürsturz oder ein Gewölbe - leicht andere denselben Weg gehen. Und so findet sich in der That eine grössere Stabilität der Formen in der Architektur wie in anderen Künsten. Darum spricht man auch von Stilen im eigentlichen Sinne nur in Architektur und Kunstgewerbe. Aber schon eine eingehendere Betrachtung zeigt, dass diese Stabilität nur eine scheinbare ist, und dass in den Zeiten lebendigen Kunst-Geistes innerhalb des Stiles unzählige Variationen angetroffen werden. So wissen wir, dass noch in der Mitte des 19. Jahrhunderts der einzelne Tischlermeister seinen Ehrgeiz daran setzte, für jeden neuen Besteller eine neue Stuhl-Form zu geben. Das war eine durchaus gesunde Art des kunstgewerblichen Betriebes und gegen diese Art von Nachschaffen wird man niemals etwas ernstliches einwenden können, es liegt in der Natur der Sache. Aber nicht dagegen richtet sich die Polemik der Modernen, sondern gegen die abscheuliche »wissenschaftlich exakte« Nachahmung alter Stil-Formen. Denn einmal wird die Reproduktion selten genau werden und dem aufmerksamen Auge wird der Mangel an Liebe für das Geschaffene schwerlich entgehen. Es ist eben ein Unterschied, ob man Eigenes gibt oder Fremdes stiehlt. Das Stehlen ist keine mit Schaffensfreude verbundene Thätigkeit. Aber selbst wenn die Nachahmung exakt gelingt mit Hilfe »der vervollkommneten Mittel der Neuzeit«, so bleibt immer noch die Inkongruenz zwischen dem Gestohlenen und dem Selbstentworfenen, denn bedauerlicherweise waren frühere Zeiten nicht so liebenswürdig, für die Bedürfnisse der Enkel Häuser und Schränke in Muster-Beispielen zu bauen. Und so bleibt uns schon nichts anderes übrig, als wenigstens die Form der Räume und ihre Aufeinanderfolge selber zu entwerfen. Schon unser äusseres Leben ist von dem früheren tausendfältig verschieden durch die andere Art unseres Verkehrs, des Geschäftslebens und nicht zum wenigsten unserer entwickelten Beleuchtung. Wichtiger sind: die gänzlich andere soziale Schichtung, das eigentümliche Tempo unseres Lebens und die grundverschiedene Art unserer Lebens-Bilanz und unseres Glückes.

Endell_Originalität und Tradition(225825 Byte) AUGUST ENDELL-BERLIN. Heizkörper-Verkleidung aus dem Foyer des I. Ranges

All das verlangt nach eigenem Ausdruck und es ist wahrlich besser, unbeholfen und ungeschickt dem eigenen Sehnen und Wünschen Ausdruck zu geben, als mit gestohlenen Formen Kunstfertigkeit vorzutäuschen, prahlerische Gebäude zu errichten, die durch ihre Verlogenheit nur von den traurigsten Eigenschaften unserer Zeit Kunde zu geben geeignet sind. Es hilft also nichts, wir brauchen wirklich neue Formen.

Endell_Originalität und Tradition(129870 Byte) AUGUST ENDELL-BERLIN. Thür im »Bunten Theater«

Früher antwortete man darauf, die Formen seien erschöpft, Neues zu schaffen sei schlechterdings unmöglich. Das wagt man heute nicht mehr. Aber die ehemaligen Anhänger dieser Ideen erklären Einfachheit, vornehme Schmucklosigkeit für das einzig erstrebenswerte Ziel. Ornamente seien Nebensache, ja rohe Barbarei. Leider bringen die Verkünder dieser Lehre nicht viel Erfreuliches zustande, und das Wenige ist leider gestohlen, dem Biedermeier-Stil, den Engländern und den Amerikanern. Natürlich verblüfft die glatte Eckigkeit dieser Formen im Verein mit dem kostbaren Material. Doch empfindet man nach einiger Zeit diesen blasierten Skeptizismus, der im Grunde genommen zu feig zum leben und zum schaffen ist, als eine unfruchtbare Verirrung. Es ist eben gar nicht leicht, einfache Formen zu erfinden, und solche Formen können nicht Anfang, sondern nur Frucht langer und intensiver Bemühung sein. Erst müssen wir lernen, durch komplizierte Gebilde zu wirken, bis wir sicher genug sind, auch mit einfachen Mitteln viel zu sagen. Natürlich machen die Anhänger jener Richtung den Neueren Effekthascherei und Aufdringlichkeit zum Vorwurf. Nun ist ganz klar, dass jedes Neue, das ohne Vorbilder und auf Grund bis dahin nicht befolgter Prinzipien entstanden ist, überraschend wirkt, von allem Künstlerischen ganz abgesehen. Das Ungewohnte fällt eben auf und dem Betrachter fehlen alle Voraussetzungen und Kriterien, mit deren Hilfe er die Folgerichtigkeit des Einzelnen zu beurteilen vermöchte, da eben prinzipiell ein Neues gewollt ist und dieses Prinzip weder erkannt noch anerkannt ist. Doch ist es eine ziemlich schnöde Taktik, diesen Umstand den Neueren als niedrige Gefallsucht auszulegen. Natürlich will jeder Künstler beachtet sein, aber man darf nicht vergessen, dass auch ein wenig Mut dazu gehört, ein fremdes neues Prinzip sich als Gesetz für das eigene Schaffen aufzuerlegen, trotzdem Niemand den Effekt im voraus beurteilen kann und alles dadurch in Frage gestellt wird, der künstlerische Ruf und auch - das materielle Auskommen. Im übrigen sollte man aber diese Fragen von vornherein nicht immer gleich mit moralischen Erörterungen verquicken wollen.

Endell_Originalität und Tradition(124327 Byte) AUGUST ENDELL-BERLIN. Thür im »Bunten Theater«

Natürlich wird den Modernen vieles missraten, sie der Spottsucht älterer Kollegen blossstellen. Das liegt in den enormen Schwierigkeiten begründet, auf einem neuen Wege sein Heil zu versuchen. Es fehlt uns eben all und jede Hülfe und vor allem jede Tradition. Denn in Wirklichkeit liegt die Sache so: Nicht die Modernen haben die Tradition zerstört, sondern die Tradition war zerstört schon seit langer Zeit durch die bewussten Kopisten des 19. Jahrhunderts, durch die Hellenen- und Renaissance-Epigonen, die Gotiker und die anderen historischen Schulen. Denn Rezepte, wie man aus Zeichnungs-Vorlagen, Photographien und Abgüssen neue Bauten in endloser Variation zusammenstellt, haben mit künstlerischer Tradition wahrhaftig nichts gemein, es gibt nur eine Tradition für den Künstler und das ist die Tradition des künstlerischen Schaffens. Man muss durch persönliches Zusammensein gesehen haben, wie ein Künstler Probleme und Hindernisse überwindet. Nur durch solche direkte Überlieferung kann künstlerischer Sinn und künstlerisches Können von Generation zu Generation übertragen werden und sich im Laufe der Zeit zu immer grösserem Reichtum, grösserer Schärfe und Sicherheit entfalten. Überlieferung der handwerklichen Regeln und Gesetze, eine voll kommene und genaue detaillierte Handwerks-Tradition, denn Kunst ist Handwerk, zwar ein sehr kompliziertes, aber doch eines, das sich durch Unterricht vollständig lehren und erlernen lässt. Es ist nötig, das heute ganz besonders zu betonen, wo immer wieder Kunst als eine mystische Leistung, als ein Wunder in den Himmel gehoben und - verachtet wird, eine Anschauung, die unserem ganzen Kunst-Leben den allerärgsten Schaden zugefügt hat. Kunst ist ausschliesslich Arbeit und setzt einzig und allein eine vollständige detaillierte Kenntnis der künstlerischen Wirkung voraus, sie verlangt unbedingte leidenschaftliche Hingebung und Ehrfurcht. Sie ist aber nicht das Produkt fahrigen Genietums oder gar unverhofft hereinbrechender »Stimmungen«. An dem Bedürfnis nach Stimmung kann man den Dilettanten totsicher erkennen.

Endell_Originalität und Tradition(121414 Byte) AUGUST ENDELL-BERLIN. Bureau-Möbel der Firma Schiffer & Sohn
Endell_Originalität und Tradition(64044 Byte) AUGUST ENDELL-BERLIN. Lehn-Stuhl

Freilich ist die Erlernung des Kunst-Handwerks sehr erschwert dadurch, dass wir eben keine überlieferten Regeln und Gesetze haben, und es muss darum unser ernstestes Bestreben sein, dieselben zu gewinnen und für ihre allgemeine Verbreitung zu sorgen. Dazu gehört vor allen Dingen eine genaue Darstellung der Hilfsmittel und Methoden, wie man Natur studiert, wie man Anregung bei vergangenen und fremden Kulturen zu suchen hat, und vor allem eine systematische Formen- und Farben-Kenntnis. Natürlich keine allgemeine Sentenzen, auch nicht die bis zum Überdruss wiederholten ästhetisierenden Sprüchlein von der »Konstruktion«, von der »Einfachheit«, von der »Material-Echtheit«, von der »Zweckmässigkeit«, vom goldenen Schnitt und ähnlichen schönen Sachen mehr. Auch keine Philosopheme von männlicher und weiblicher Kunst, von der Darstellung der Ideale oder der Verkörperung welthistorischer Ideen oder gar des Kosmos selber und der Weltschöpfung überhaupt. Wir brauchen vielmehr klare, nüchterne Antwort auf die Fragen, die die Arbeit uns bringt. Wie macht man eine Linie hart, wie macht man sie weich, ruhig, vornehm, glatt, elegant, wie lässt man ein Ornament leichter erscheinen oder wie macht man es schwer. Wie sind die schweren Stellen in's Gleichgewicht zu bringen. Wie kann man eine Vertikal-Richtung in eine Horizontal-Richtung verwandeln. Wie kann man es erreichen, dass ein vorwärts fliegendes Ornament nach der entgegengesetzten Seite hinschwebt. Wie bereichert man eine Linie, wie verästelt man sie, wie hat man Linienbündel anzusetzen, wie weit darf man im Detail gehen, ohne die Gesamt-Wirkung aufzuheben u. s. w. Kurz, eine sichere Schulung des Auges für Formen- und Farb-Wirkungen. Nur systematische Übung, strenge Schulung kann dahin führen. Natürlich können wir Modernen zunächst nur unsere eigenen Erfahrungen weitergeben.

Endell_Originalität und Tradition(117872 Byte) AUGUST ENDELL-BERLIN. Schreib-Tisch im Bureau des Hauses Schiffer & Sohn
Endell_Originalität und Tradition(64775 Byte) AUGUST ENDELL-BERLIN. Schreib-Tisch

Aber wenn aus unserer Bewegung dauernder Gewinn und dauernde Kultur hervorgehen soll, so ist ein lehrendes Weitergeben unserer Erfahrungen eine unbedingte Notwendigkeit, und es ist kein Wunder, dass fast alle neueren Künstler sich in dieser Richtung zu bethätigen suchen. So Eckmann und Gross in staatlichen Stellungen. In München bahnen verschiedene Künstler, wie ich höre, privatim derartiges an, ich selbst gedenke meine kleine bisherige Schule kommenden Sommer zu vergrössern.

Endell_Originalität und Tradition(87979 Byte) AUGUST ENDELL-BERLIN. Bureau-Möbel

Natürlich finden die Gegner das lächerlich, es ist ihnen der Gipfel des Hochmuts, nicht nur die alten Formen zu verschmähen, sondern obendrein eine eigene Tradition künstlich schaffen zu wollen. Doch kann das uns in unserem Wege nicht beirren. Wir wissen auch ohne fremde Belehrung, dass wir die Sicherheit der durch Jahrhunderte lange Tradition gefestigten Volks-Kunst der Japaner, Chinesen und Indier nie erreichen können. Die Mühelosigkeit und Selbstverständlichkeit asiatischer Arbeiten ist uns versagt, das Persönliche und Suchende unserer Arbeiten muss als Ersatz dienen, die nach uns kommen, mögen Sichereres und Reinereres bringen.

AUGUST ENDELL; BERLIN