In neuester Zeit hat man den Amerikanern die
Führung in
der Baukunst zugewiesen, als den Unbefangenen, die, nicht durch den
Ballast der Stile
früherer Zeit bedrängt, uns die neue Kunst geben
würden; vorher waren es die
Engländer, die in ihrer Gothik einer dauernden
Formüberlieferung folgen und dadurch uns
empfehlenswerth wurden; vorher das Barock und Rokoko, die
Deutsch-Renaissance als die
letzten starken Zeugen eigener Ueberlieferung. Jedesmal haben Eifrige
die Richtigkeit
ihrer Ansicht, den Werth des geraden modischen Vorbildes zu alleinigem
Recht steigern
wollen. Man benutzte einen Stil zum Knüppel gegen den anderen,
um den womöglich zu
erschlagen. Jetzt ist's der Amerikanismus. Ich für meine
Person war nie »drüben«, aber
ich kenne doch ein gut Theil amerikanischer Bauten. Man kann sich sehr
wohl über
amerikanische Kunst aus dem American Architect, American Builder; den
Building News, den
verschiedenen in jüngster Zeit in rascher Folge erschienenen
amerikanischen
Publikationen, der deutschen Veröffentlichung von P. Graef:
Neubauten in Nordamerika
(Berlin, Julius Becker), mit ihrer in deutsche Darstellungsweise
besonders umgearbeiteten
und daher für Deutsche verständlicheren Aufnahme, z.
Th. auch aus einzelnen Heften der
Innen-Dekoration von Alexander Koch, ein Urtheil über
amerikanische Kunst bilden. Ich
sehe da wohl eine kräftige Sonderart und viel lehrreiche
Anregungen*);
aber ich sehe ebensoviel historisches Studium.
*) Vgl. namentlich auch
November-Heft 1895 der »Illustr. kunstgewerbl. Zeitschrift
für Innen-Dekoration«, woselbst zahlreiche moderne
amerikanische Innen-Architekturen, Kamine, Möbel etc.
abgebildet sind; ferner in Koch‘s »Moderne
Innen-Architektur«, Bd. II. S. 50-76, eine Auswahl Arbeiten
amerikanischer Architekten. D. R.
Mit Eifer messen und publiziren die Amerikaner ihre eigenen
alten Werke, ihren »Kolonialstil«. Auch sie suchen
national-historisch zu sein. Auch sie
schauen nebenbei nach fremden Stilen aus. Sie sehen Europa von der
Ferne als Studienfeld
an und sind hinsichtlich der Wahl des Stiles weniger durch nationale
Grenzen beschränkt,
als wir; sie suchten Länder auf, wohin die Studien der
europäischen Völker weniger
drangen: Spanien, Südfrankreich und die Byzantinischen Lande.
Wer ihre ausgezeichneten
Publikationen kennt, wer des grössten ihrer Meister, des H. H.
Richardson, Werke
studirte, der findet, dass die südeuropäische Kunst
des 10.-13. Jahrhunderts heute in
Amerika die frühere Vorliebe für Japan
verdrängt hat: in jedem naturalistischen Blatt,
in jedem Profil, in der gesammten Auffassung des Aufbaues, der
Quaderung, der Gruppirung
findet man byzantinisch-romanische Anklänge. Nun ist es gewiss
sehr richtig, dass in
dieser Frühkunst, wie in jeder solcher viel Anregendes steckt,
eine gewisse Naivität,
eine gewisse Befreiung von der Regel. Wie der Prärafaelismus
segensreich wirkte, so thut
das auch der Prägothicismus - um ein abscheuliches Wort mehr
einzuführen. Es ist also
gut, den Anregungen von drüben zu folgen. Es ist aber nicht
gut, sie für besser zu
halten, als die, welche von den anderen
»primitiven« Kunstarten, der
Deutsch-Renaissance, der Spätgothik oder vom Japonismus
kommen, der ja auch in Amerika
ein starkes Wort eingeworfen hat. Mir will scheinen, als sei es sehr
thöricht, wollten
wir die bisher erlangten architektonischen Ausdrucksmittel beiseite
legen, für falsch
erklären, um uns von nun an aus Palermo, Toledo oder Tokio
über New York und Chicago
neue zu holen, die doch sicher nicht mehr die Unseren werden
können, als die Alten es
sind.
H.
CHRISTIANSEN. Verglasung für ein Schlaf-Zimmer
Ein Architekt, der jetzt viel genannt wird, ist Bruno
Schmitz. In welchem Stil baut er? Man kann antworten: Romanisch, wie
die Amerikaner.
Was ihn aber fähig machte, so romanisch zu bauen, wie er thut,
das ist die Kenntniss
unserer künstlerischen Gesammt-Entwickelung. Wer ihn kennt,
weiss, dass auch er
ebensowenig »naiv« ist, das heisst aus dem
architektonischen Nichts heraus neu schafft,
wie irgend einer der leitenden Amerikaner. Auch wer jenseits des Ozeans
Führer der
Modernen sein will, hat seine feste stilistische Schulung hinter sich.
Die Naiven,
künstlerisch Unausgebildeten bauen dort, wie Tausende von
Beispielen lehren, schlecht und
recht irgend einen historischen Stil; die Höchstentwickelten
allein machen sich vom Stile
frei oder überwinden in sich einen Stil durch den andern, um
so zum eigensten und daher
schlagendsten Formausdruck zu kommen. Wir stehen sichtlich inmitten eines Wandels im Geschmack. Das
Entscheidende in diesem ist
nicht der Wechsel der stilistischen Form, sondern der Kampf gegen die
alten; bisher als
schön, jetzt als langweilig empfundenen Verhältnisse;
gegen die durch Antike und
Renaissance festgestellten, in der Gothik in anderer Weise doch mit
gleicher Absicht
aufgestellten Regeln von lang zu breit und hoch sowohl in den
Baugliedern als in der
Raumgestaltung. Da liegt der Schwerpunkt des Neuen neben der
veränderten Auffassung des
Werthes der Farbe und der neuen Empfindung in der
Linienführung. Darin liegt auch das
Revolutionäre der neuen Kunst. Denn während seit
Vitruv die »Gesetze schöner
Verhältnisse« scheinbar feststanden, wenigstens
für feststehend gehalten wurden, sucht
man jetzt den Reiz im Durchbrechen dieser Gesetze zu Gunsten einer
für den besonderen
Zweck dienlichen Form. Die Säule - um ein Beispiel zu
wählen - soll nicht mehr nach
»Proportionen«, sondern in Beziehung zu der von ihr
getragenen Lasten gezeichnet werden,
vielleicht dick und kurz oder lang und schlank, je nachdem sie viel
oder wenig zu tragen
hat. Die Proportionen wurden im Laufe der Zeit durch
Angewöhnung des Auges festgestellt,
jetzt will man entschlossen dieser zuwider handeln, indem man auf das
Bedürfniss als
Meister der Form zurückgeht: also auf die Zeiten vor dieser
Feststellung der Gesetze.
HANS
CHRISTIANSEN-DARMSTADT.Grosses Rund-Fenster. In der Durchfahrt eines
Schlosses in der Charente (West-Frankreich)
Und eine solche ist die in Südfrankreich besonders
blühende romanische; eine solche ist aber in gewisser Form
auch die Spätgothik und das
Barock. Man hat seit ein paar Jahren nicht unmittelbarer empfinden
gelernt, das 20.
Jahrhundert wird uns nicht an jener kindlichen Schauens- und
Bildnerkraft übertreffen,
die man Naivität nennt. Wir sind nur noch viel
nervöser geworden, und die Amerikaner
sind es noch mehr als wir, sodass wir das Einerlei einer festgestellten
Form nicht
ertragen und am Vielerlei einer formalistisch tastenden Zeit unsere
Freude haben können. Beileibe möchte ich nicht den Anschein erwecken, als halte ich
dies für einen Fehler.
Immer vorwärts in der künstlerischen Freiheit! Sie
allein führt zur eigenen Form. Der
Amerikanismus kann gut auf unsere Entwickelung wirken, zwar sicher
nicht, wenn wir ihn
nachahmen; vielleicht aber dadurch, dass er Dinge, Regeln und Begriffe
entwerthet, an
denen wir jetzt noch hangen. Aber - wenn wir uns in der deutschen Bauwelt umsehen - wir hangen gar
nicht mehr so fest
an veralteten Gesetzen, wie die Meisten zu glauben scheinen, oder wie
die Verkünder des
neuen Stiles uns glauben machen wollen. Der Stil ist schon da, in der
Architektur da ohne
literarisches Accouchement. Vergleiche ich amerikanische und deutsche
Bau-Zeitungen, so
erscheint wahrlich nicht als feststehend, dass jene die unseren an
Frische übertreffen.
Ich bin in den letzten Jahren viel in Frankreich und England
herumgereist und habe dort
Mancherlei gesehen: Allen Respekt vor England! Aber jenseits der
Ardennen wird stark mit
Wasser gekocht, gibt's einige geistreiche Architekten, viele Macher und
noch mehr
Nachläufer. Nur baut Frankreich in Paris und weiss Frankreich,
von wem und was
in der Hauptstadt Paris gebaut wird.
HANS
CHRISTIANSEN. Kunst-Verglasungen
HANS
CHRISTIANSEN. Erker-Fenster
Bei uns dagegen baut man aller Orten. Es ist ja für den,
der die »Provinz« in Deutschland, Frankreich und
England kennt, nicht schwer gemacht, zu
sehen, wie einseitig, wie beschränkt das französische
Leben dem Deutschen und Britischen
gegenüber ist; einen wie viel geringeren Aufwand an geistiger
Kraft das Land dort
braucht, um in Paris den Anschein des Blühens zu erwecken,
weil es sich ganz auf eine
Stadt konzentrirt; und wie öde es in weiten Land-Strecken
aussieht. Als bei uns vor 30,
40 Jahren nur in Berlin, München und vielleicht Dresden und
Stuttgart gebaut wurde,
kannten wir die Namen unserer Architekten, spielte die Architektur ihre
Rolle in der
Kunstkritik und Kunstgeschichte. Jetzt fehlt schon seit Jahrzehnten
auch nur der Versuch
einer deutschen Architektur-Geschichte der Gegenwart. Nicht weil es
nicht der Mühe lohnt,
sondern weil sich Niemand fand, die Riesenleistung zu sichten und
kritisch zu bewältigen.
HANS
CHRISTIANSEN-DARMSTADT.Entwurf für Kunst-Verglasung
Wer unter den »Gebildeten« kennt z. B. Hugo Licht,
ausser etwa in Leipzig, wo er Stadtbaurath ist, und wie viele selbst in
Leipzig wissen
wohl, dass er unter seinen Fachgenossen für einen der Ersten
gilt? Er ist in seiner
Entwickelung bezeichnend für die Wandlung, welche die deutsche
Baukunst in den letzten
Jahrzehnten durchgemacht hat. Einst zeigte er mir ein Studienblatt, das er bei Strack an der Berliner
Bauakademie vor 30
Jahren gezeichnet hatte. Die sorgfältigste, in jeder Linie
ängstlich abgewogene Hellenik
alter Berliner Richtung, gezeichnet wie Kupferstich. Gewiss eine gute
Schule: Denn die
Berliner der alten Bötticher'schen Art, die Schinkelianer,
waren ganze Kerle! Einig mit
sich in ihrem Streben und ihren kunstphilosophischen Ueberzeugungen und
somit kritisch
unantastbar, so lange man ihre Lehre nicht widerlegen konnte. Wenn
gleich jetzt diese
längst als falsch erkannt ist, so zeigte sich an den alten
Berlinern, dass nicht der
Glaube seinem Inhalte nach, sondern dass die Gläubigkeit die
beruhigte Sicherheit des
Wollens und Schaffens gibt. Dann kam die Zeit Lucae's, die beginnende Hinneigung zur italienischen
Renaissance unter
der Führung der Wiener Meister und Sempers. In Berlin steht
nahe der Herkulesbrücke
jenseits des Lützowplatzes ein grosser Zinskasten mit
Sgraffitenschmuck, der gewiss
keinem der Vorbeiwandernden mehr auffällt: Er war in seinen
breiteren, vollsaftigeren
Formen uns jungen, gleichfalls aus Wien kommenden Architekten ein
Siegeszeichen der neuen
Richtungen über die »Tektoniker«. Damals
hörte man zuerst Licht's Namen als den des
Erbauers dieses Hauses unter den Fachleuten lauter nennen. Mehr geschah
das freilich durch
allerhand Sammelwerke, über die Baukunst der Gegenwart, die er
bei dem vor einiger Zeit
verstorbenen Verleger Ernst Wasmuth herausgab. Ich bin selbst einer der
»Autoren« dieses
merkwürdigen, unvergesslichen Mannes gewesen und weiss, wie er
solche Sammelwerke machte.
Er brauchte nicht die Arbeitskraft, sondern nur den Rath eines
Fachmannes, und er suchte
sich aus der Menge der Architekten den zum Autor aus, von welchem er
glaubte, dass er die
Zukunft und deren künstlerisches Bedürfniss errathen
könne. Und mit diesem wählte er
aus der Menge des Darstellbaren heraus, was den Langsameren
später gefallen werde. Auch
wenn er Altes veröffentlichte, dachte er als kluger
Geschäftsmann stets daran, ob es
etwa bald zu einem Zukünftigen werden könnte, wie
dies ja zuweilen vorkommt.
Hans
Christiansen. »Frühling« und
»Winter« Oberlicht -Fenster für ein
Restaurant
Und da war Licht der beste, den er finden konnte. In
rascher Folge machte Licht alle Wandel der Mode mit, ohne dabei je zu
einem langweiligen
»Stil-Echten« zu werden, das heisst, ohne je die
Herrschaft einer einzelnen Form-Art
über sich anzuerkennen. Im Leipziger Museumsumbau pflegte er,
durch das Bestehende
gezwungen, noch die Renaissance, doch mit einem Zug zur
späteren Abart, zu Sansovino; am
Konservatorium für Musik wurde er freier, dem Barock
zustrebend und sagte sich in der
Dekoration des reizenden Konzertsaales dieses Hauses schon vom alten
Schema der
Innen-Architektur völlig los; im Predigerhaus bei St. Nikolai
gab er sich in deutscher
Renaissance. Er hat wie so Viele versucht, in dieser monumental zu
werden. Das ist ihm
freilich so wenig geglückt wie einem anderen. Das 16.
Jahrhundert in Deutschland ist in
seiner 2. Hälfte im Kleinen gross, im Grossen klein. Aber
Licht hat doch das
herausgefunden was jener Zeit eigen ist: das Zusammenstellen grosser
ungeschmückter
Flächen mit reich verzierten und daher doppelt wirksamen
Einzelheiten! wenn er gleich
nicht wagte, nach alter Art hierbei mit der Einzelheit aus dem
Maassstab des Ganzen
herauszufallen.
HANS
CHRISTIANSEN. Fenster für ein Bade-Kasino
Am Polizeigebäude wurde er erst ganz er selbst. Die
undankbare Aufgabe, ein schlecht gelegenes Geschäftshaus ohne
viel Aufwand wirkungsvoll
zu gestalten, ist musterhaft gelöst und zwar im romanischen
Stil, wenn man so will,
amerikanisch, freilich nach Plänen vom Jahre 1886, also aus
einer Frühzeit, in der die
Leiter der neuesten Bewegung noch nicht aufgestanden waren. Die ganze
Frische einer
gesunden Nützlichkeitsrichtung, das heisst jener Realismus,
der über die anständige
Zweckerfüllung nicht hinauszugehen braucht, brachte dann die
Markthalle: Wer Freiheit in
der Verwendung der Stile für ein Merkmal der Leute von
drüben hält, der kann an diesem
Bau auf Anklänge an den Palazzo Vecchio in Florenz, auf
belgischen Backsteinbau,
süddeutschen Barock und modernste Eisen-Konstruktionsart sich
die reichste Auswahl der
Anregungen zusammensuchen. Wer aber weiss, dass der Architekt nur durch
typische Formen
reden kann und dass bei solchen Nutzbauten die schwerste Aufgabe ist,
den spröden Zweck
nicht zu verbergen, sondern erst recht lebendig wirken zu lassen; wer
nicht selbst mit
gelehrtem, also unkünstlerischem Sinn nach alten
Anklängen sucht, der wird gestehen,
dass hier eine Sicherheit und in sich geklärte Kraft die
Formen meisterte, in der ihn
kein Architekt irgendwelchen Landes übertrifft. Der Bau wurde
ja nicht »schön«, im
landläufigen Sinn, aber er wurde eine wahrhaftige Markthalle
und ein Ding, dem man
allezeit ansehen wird, dass sie ein Werk unserer Zeit ist: Bequem, der
Grösse der Stadt
entsprechend würdig, dem Zweck entsprechend nüchtern:
denn das ist eben der Witz, dass
eine Markthalle nicht wie ein Stillleben im Grossen, nicht malerisch
und nicht romantisch
aussehen soll, sondern wie eine Markthalle - und nichts
darüber und darunter!
HANS
CHRISTIANSEN-DARMSTADT. Kunst-Verglasung. Im Treppen-Hause eines
Pariser Hauses
Ein besonderer Trick der Amerikaner ist die freie
Behandlung der Rustika. Ich wüsste nicht, dass einer sie
geistreicher durchgebildet
hätte, als Licht am Grassi-Museum in Leipzig. Es ist wieder in
Renaissanceformen
gehalten. Es kann ja sein, dass wir einer Zeit entgegengehen, welche
sich völlig von den
historischen Gebilden frei sagt. Ich glaube aber nicht, dass dadurch
das Wesen der
Kunsterneuerung getroffen wird. Die selbständige Verwendung
der Form ist der
entscheidende, die Fähigkeit, den Zweck des Baues zur
Erscheinung zu bringen: Nicht durch
das Ornament, durch Embleme: Ob da Krautköpfe als
Kapitäle und Rüben als Zahnschnitte,
Marktweiber als Karyathiden verwendet werden, ist sehr
gleichgültig. Es handelt sich
darum, dem Bau in seinen Maassen eine Form zu geben, die den Zweck
bekundet und dabei die
Form über die gemeine Nützlichkeit hinaus
künstlerisch zu beleben und zu gestalten.
Nicht des Baumeisters Handschrift, sondern der Zweck soll dem Bau die
Eigenart geben.
HANS
CHRISTIANSEN Vestiaire-Fenster. In einem Schloss in der Charente
Es würde nicht eben schwer fallen, die Fassade des
Grassi-Museums ins Romanische umzustimmen, ohne wesentliche Aenderungen
in den Maassen
einzuführen. Man könnte auch die
Säulenknaufe mit naturalistischem Blätterwerk belegen
- warum nicht? - aber ich meine, dass damit der Bau nicht eigenartiger
würde oder
wenigstens nicht viel. Modern aber ist, wie Licht die
Innenräume wieder mit jener
Sachlichkeit ausstattete, die ihnen angemessen ist: Nüchtern,
wo sie Niederlagsräume
sind, wenn auch solche für Kunstgewerbe; so nüchtern,
dass selbst die Dümmsten in
Versuchung kommen, die ausgestellten Gegenstände anzusehen,
statt um sich zu starren.
Denn wenn jetzt das Stichwort ausgegeben wird, man solle die Kunstwerke
in Museen so
hängen und aufstellen, dass die Umgebung mit auf den Beschauer
wirke, also »stilvoll«,
so meine ich, dass das nur ein historischer Zopf mehr ist, der den
Kunstwerken und den
Museen angehängt wird. Man soll in den Tagen des Rufes nach
Wahrheit sich nicht scheuen,
auch in den Museen wahr zu bleiben: Ein Museum ist ein Speicher und
alle Dekorationskunst
wird ihn nur für die Schwersichtigen zu etwas Anderem machen.
Licht's jüngste Arbeit ist der Plan für das Rathhaus
zu Leipzig, mit dem er in einem
Wettbewerb siegte. Er siegte aber namentlich mit einem zweiten ausser
Wettbewerb
stehenden, das Programm umgestaltenden Entwurf. Ein paar Worte
über diesen, da er bezeichnend für die
Fragen ist, um welche sich jetzt
das Ringen in der Baukunst dreht. Zunächst kehrt der Plan sich
gegen das Einordnen der
Monumentalbauten in die Fluchtlinie der Strassen oder in deren Achse.
Er stellt den Bau
schräg zu den Strassen und schafft ihm dadurch eine Ansicht
übereck, welche ihn nicht zu
der jetzt so beliebten gewaltsamen Unsymmetrie zwingt. Er braucht nicht
»malerisch«
entworfen zu werden, da er ohnehin malerisch wirken wird. Die so sehr
vernachlässigte und
thatsächlich in Deutschland allein auf dem Tapet stehende
Frage des künstlerischen
Städtebaues findet hier zu einem ihrer Theile eine
interessante Lösung. Das ist ein
bemerkenswerther Sieg über die Vorherrschaft von Winkel und
Lineal, der grössten Feinde
des architektonischen Fortschrittes. Und dann ist das Gute an dem neuen
Plan die völlige
Zweckmässigkeit im Innern und Aeussern. Nirgends hinter
grossartiger Architektur das
Zimmer eines armseligen Stadtschreiberleins: Nur die Fest- und
Versammlungsräume sind
nach aussen schon durch ihre grossen Fenster kenntlich gemacht und
reicher entwickelt,
sonst herrscht wieder die Ehrlichkeit, ein Geschäftshaus als
solches zu kennzeichnen:
dadurch ruhige Massen, einfache Linien und die erhöhte Wirkung
des Auszuzeichnenden.
H.
CHRISTIANSEN. Vestiaire-Fenster. Für ein Schloss in der
Charente. (Sämmtl. Ausführungen in Opaleszent-Glas.)
Mir war es darum zu thun, einmal an einem deutschen
Baukünstler den Beweis zu erbringen,
dass wir Deutsche uns nicht in die Ecke zu stellen brauchen, wenn von
neuer Kunst die Rede
ist. Das Ding sieht aus der Nähe oft anders aus, wie von
draussen. Allen Respekt vor der
englischen und französischen Malerei. Ich habe mich nie
gescheut, ihren Ruhm nach besten
Kräften zu verkünden, darauf hinzuweisen, wo sie die
unsrige nach meiner Ansicht
übertrifft. Aber ich möchte mich gegen die neuen
Heine und Börne in der Kunst
verwahren, die von der Seine aus durch Schimpfen uns zu bessern
versuchen. Aus der alten
Unsitte, das Fremde für vornehmer zu halten als das Heimische,
haben wir wenigstens den
Vortheil geerbt, das Fremde ohne Voreingenommenheit würdigen
zu können. Aber wie ich
glaube, dass wir in der Malerei den Franzosen die Waage halten, bei
ihnen die Menzel,
Böcklin, Klinger auch nicht dutzendweise wachsen; mir scheint,
als verlaufe das englische
Kunst-Hochwasser sich mehr und mehr und komme hinter Watts und Holman
Hunt nicht eben ein
zu grosser Schwall neuer Kräfte; und so möchte ich
doch auch bitten, dass in der
Baukunst erst einmal Umschau bei uns gehalten werde, ehe man nach
fremden Errettern ruft. Hier war von Einem die Rede, nicht weil er ein Einziger sei, sondern
weil er auch Einer
ist, an dem sich die feste Kraft und die rasche Beweglichkeit der
deutschen Baukunst
erweist. Wäre er ein Franzose, wie sehr behagte er den
Neuesten! Nun aber lebt er in
Leipzig und ist Stadtbaurath: Da kann für sie doch um Alles in
der Welt nicht viel
dahinter stecken!
Cornelius Gurlitt |