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Autor: Hübsch, Heinrich
In: Karlsruhe: Müller (1828)
 
In welchem Style sollen wir bauen?
 
Beantwortet von H. Hübsch
Großherzoglich Badischem Residenz-Baumeister und Mitglied der Baudirection.

Mit zwei Kupfertafeln.

Karlsruhe,
Verlag der Chr. Fr.  M ü l l e r'schen Hofbuchhandlung und Hofbuchdruckerey.
1828.

D e n  K ü n s t l e r n
w e l c h e  s i c h  z u r  S ä c u l a r - F e i e r
A l b r e c h t  D ü r e r s
a m  s e c h s t e n  A p r i l  1828  z u  N ü r n b e r g  v e r s a m m e l n.

Liebe Freunde und Kunstgenossen!
Geschäfte halten mich ab, Euerer Zusammenkunft persönlich beizuwohnen. So möge denn gegenwärtige Schrift meinen guten Willen beweisen. Sie handelt - so gedrängt als es die Gründlichkeit erlaubt - über einen Gegenstand, der von allgemeinem Kunstinteresse ist. Euch insbesondere, die Ihr bei der Befreiung der Malerei und Bildhauerei von den Fesseln der Antike mitgewirkt habt, kann diese Schrift nicht unwillkommen sein, indem sie  d a s s e l b e  mit der Architectur beabsichtiget.Damit empfiehlt sich Euerem Wohlwollen
Karlsruhe, den 10. März 1828.

H. Hübsch.
§. 1.
Die Malerei und die Bildhauerei haben in der neueren Zeit längst die todte Nachahmung der Antike verlassen. Die Architectur allein ist noch nicht mündig geworden, sie fährt fort, den antiken Styl nachzuahmen. Und ob man gleich so ziemlich allgemein die Unzulänglichkeit desselben für die heutigen Bedürfnisse einsieht und mit den neueren in diesem Style ausgeführten Gebäuden unzufrieden ist, so beharren dennoch die Architecten beinahe allgemein darauf. Ein großer Theil derselben lebt wirklich in dem Glauben, daß die schönen Formen in der Architectur etwas Absolutes seien, was für alle Zeiten und Umstände verändert bleiben könne, und daß einzig und allein der antike Styl dieselben in ihrem vollkommenen Ideale darstelle. Viele Architecten, welche sehr wohl die Unzulänglichkeit des antiken Styls für die heutige Anwendung einsehen, beharren, da sie nun einmal mehrere Gebäude darin aufgeführt haben, dennoch aus unredlicher Eitelkeit daraus, und affectiren gleich falschen Propheten eine Inspiration der Schönheit, womit sie vorzugsweise beglückt worden seien, und wovon man weiter keine Rechenschaft geben könne. Ein anderer Theil von Architecten gesteht allerdings zu, es müsse erst bewiesen werden, daß die antike Architectur als Universal-Architectur für uns eben so zweckmäßig und schön sei, als sie es ehemals für ihr Vaterland war, und baut sich zu dem Ende mit unsäglicher Mühe und Selbsttäuschung ein System von Scheingründen aus. Dabei wird denn der gesunden Vernunft nur ein sehr beschränktes Feld eingeräumt: sie darf nur über Details entscheiden, und wird, sobald sie dem Wesentlichen zu nahe kommen will, schnell durch eine Autorität zurückgewiesen. Mancher hat endlich diese Scheingründe als nichtig erkannt, ist aber, weil er nichts Besseres an die Stelle zu setzen weiß, zugleich muthlos geworden, und verzweifelt daran, daß sich überhaupt feste und genügende Schönheitsprincipien aufstellen lassen. Er hält es demnach auch für unmöglich einen passenden Styl in der Architektur durch Reflexion erzeugen zu können, und baut so zu sagen in der Verzweiflung in dem antiken Style fort, wobei ihn wenigstens eine verjährte Autorität deckt.

Wer in der Architectur die Seite der Verzierung zuerst betrachtet, und sich etwa fragt, warum ihm an einem Capitäle dieses Laubwerk besser gefällt, als jenes, der wird leicht an der Möglichkeit sicherer Principien verzweifeln. Wer aber die Untersuchung mit der Seite des Bedürfnisses beginnt, der wird eine sehr sichere Basis finden. Denn da die Größe und Anlage eines jeden Gebäudes durch seine Bestimmung als der Grundursache seiner Existenz bedingt wird, und da ferner die Möglichkeit seiner dauernden Existenz von der physischen Beschaffenheit des Baumaterials und der hieraus sich ergebenden Zusammenfügung und Gestaltung der einzelnen Theile abhängt, so ist klar: daß eine doppelte Zweckmäßigkeit - nämlich Erfüllung der jedesmaligen Bestimmung (Bequemlichkeit) und dauernde Existenz (Festigkeit) den wesentlichen Theilen eines jeden Gebäudes die Grundgestalt und Größe gibt. Und solche in der Zweckmäßigkeit begründete Gestaltungsmomente sind doch so objectiv und handgreiflich, als nur irgend etwas sein kann. Indessen bestimmen dieselben die Größe und Grundgestalt der wesentlichen Theile keineswegs ganz genau: sie sind zwar ein sehr fester, aber nicht ganz enger Weg, der obgleich die Hauptrichtung klar anzeigend immerhin einen kleinen Spielraum gestattet. Es sei z. B. die Menschenzahl gegeben, die ein Saal fassen soll; so wird dadurch das Verhältnis seiner Länge zur Breite, geschweige denn zur Höhe nicht ganz genau bestimmt: oder es sei die Last gegeben, welche ein aus einem genannten Materiale bestehender Pfeiler von vorgeschriebener Höhe zu tragen hat; so geht hieraus dessen Durchmesser nicht gerade bis auf Zoll und Linien genau hervor,

Auch kann sich der Unbefangene nicht verhehlen, daß die Gestaltungsmomente der weniger wesentlichen Theile nicht so unumstößlich sind, sondern daß sie in dem Grade an objectiver Haltung verlieren, als sie mehr in das Detail übergehen. So wird z. B. der Grund, warum dieser Schaft einer Säule, welcher von oben bis unten gleichartig geformt ist, jenem vorgezogen wird, dessen obere Hälfte anders gestaltet ist als die untere, nicht jedem so handgreiflich erscheinen, als der Grundsatz daß der Säulenschaft überhaupt senkrecht stehen muß. Und wenn man sich gar fragt, ob von zwei Schaften der mit 20 oder mit 24 Kannelierungen verzierte der schönste sei; so möchte man seine Wahl kaum durch irgend einen Grund unterstützen können.

Hierdurch entsteht denn allerdings selbst in den Hauptformen etwas Schwankendes und Willkührliches, was vom beschränkten theoretischen Standpunkte aus betrachtet die Kunst gewisser Maßen herabzuwürdigen scheint. Daher die häufigen Abmühungen der Aesthetiker, Systeme aufzubauen, welche namentlich das Speciellere der architectonischen Formen begründen sollten, wobei natürlich immer leere Sophismen entstehen mußten.

Sieht man die Sache practischer an, so bekömmt man wieder Muth. Denn obgleich die Kunst durch dieses Schwankende und Willkührliche eine leicht ausartende Pflanze wird; so hat dies doch wieder seine Grenzen, und ist in der Wirklichkeit nicht so gefährlich, als es auf den ersten Anblick aussieht. Die Schönheit eines Gebäudes ist gleich der Schönheit einer Gegend oder einer Symphonie ein aus vielen Momenten Zusammengesetztes, und diese Momente sind in Bezug auf das Ganze von sehr ungleicher Wichtigkeit. Wie in einer Gegend mancher Baum fehlen oder durch einen andern ersetzt werden kann, oder wie in einer Symphonie manche einzelne Passage geändert werden kann, ohne daß der Totaleindruck dadurch verändert wird: ebenso können zwei ganz verschieden verzierte Capitäle für dieselbe Säule gleich schön sein, und selbst die Größe derselben ist, obgleich weniger gleichgültig, doch nicht so wichtig, als etwa die Entfernung der Säulen von einander, und diese ist endlich immer noch nicht so wichtig, als die Grundgestalt des ganzen Gebäudes. Doch ist damit nicht gesagt, daß bei der Wahl der unwesentlicherer Momente der blinde Zufall schalten könne: vielmehr wird hier das Talent und der Geschmack des Künstlers hauptsächlich in Anspruch genommen.

Wer die Baudenkmahle der verschiedenen Völker vorurtheilsfrei betrachtet, wird sich überzeugen, daß an jedem derselben Vieles blos nach dem so zu sagen unbewußten individuellen Geschmacke der einzelnen Künstler gebildet ist, und daß gerade hierin eine Lebendigkeit und Mannichfaltigkeit liegt, welche aufgehört hat, als man diejenigen Formen, wofür es ihrer Natur nach keine objective Entwickelungsgesetze gibt, unter die Vormundschaft conventioneller Regeln stellen wollte.

Was also zu keiner Zeit war und nie sein kann, das verlange man auch jetzt nicht. Man begnüge sich, daß die Bildung der Hauptformen aus objectiven Grundsätzen hervorgeht, und lasse im übrigen dem Geschmacke des Künstlers freies Feld.

Von diesem Standpuncte ausgegangen muß eine unbefangene  R e f l e x i o n,  welche überdieß immer ihre Resultate den Grundsätzen, die sich an den Denkmahlen früherer Zeiten und Völker wirklich kund geben, gegenüberstellt und also auch  h i s t o r i s c h  prüft, nothwendig zu einem genügenden Ziele führen. Und wer denn durchaus an der Erreichung desselben verzweifeln will, muß wenigstens gleich von vorne herein den sicheren aus dem handgreiflichen Bedürfnisse abgeleiteten Anfang zugeben, und mag denn, wenn ihm die Untersuchung nicht mehr objectiv genug zu sein scheint, auf halbem Wege stehen bleiben.
§. 2.
Um zuerst den Begriff von  S t y l  fest zu stellen, so zeigt der Gebrauch dieses Wortes - indem z. B. sämmtliche griechische Baudenkmahle im griechischen Style, sämmtliche maurische Denkmahle im maurischen Style gebaut heißen - daß unter Styl etwas  A l l g e m e i n e s  verstanden werde, welches allen Gebäuden eines Volkes zukommt, sie mögen zur Gottesverehrung, zur Staatsverwaltung, zum Unterrichte u. s. w. bestimmt sein. Nun ist die allgemeinste Anfoderung an alle verschiedenartigen Gebäude  A b s c h l i e ß u n g  eines bestimmten Raumes, so daß derselbe zugänglich und beleuchtet und, wie er innerlich einen geschützten Aufenthalt gewährt, auch der Dauer wegen äußerlich selbst wieder gegen das Wetter geschützt sei.

Hieraus ergeben sich folgende wesentliche Theile des Gebäudes. Zur Abschließung wird erfordert die  D e c k e  und deren Unterstützung, welche letztere entweder zugleich Abschließung gegen die Seiten durch  W ä n d e  ist, oder allein Unterstützung der Decke. Wenn nämlich entweder ein bedeckter Raum von solcher Größe verlangt wird, daß sich die Decke nicht von einer bis zur andern Umfassungswand frei tragen kann, oder wenn nur eine Decke und keine Abschließung gegen die Seiten, wenigstens nicht gegen alle Seiten verlangt wird (eine offene Halle); alsdann werden im ersten Falle zwischen den Umfassungswänden und im zweiten Falle an den offen bleibenden Seiten von Stelle zu Stelle  P f e i l e r  oder  S ä u l e n  errichtet, welche oben eine Verbindung untereinander erhalten. Auf dieser von Pfeifer zu Pfeiler reichenden Verbindung oder  P f e i l e r - U e b e r s p a n n u n g,  welche nach Umständen von verschiedener Höhe, aber gewöhnlich nur so breit ist, als die Pfeiler dick sind, findet die Decke ein fortlaufendes Auflager, wie auf einer Wand. Wenn die Decke aus Kreuzgewölben besteht, so sind deren Rippen als die Pfeiler-Überspannungen anzusehen.

Die der Zugänglichkeit und Beleuchtung halber in den Wänden angebrachten  T h ü r-  und  F e n st e r - O e f f n u n g e n erhalten Ueberspannungen, wie solche bei den Pfeilern statt finden, worüber sich alsdann die Wände beliebig fortsetzen. Wegen des äußerlichen Schutzes erhält die Decke eine  V e r d a c h u n g  (zuweilen eins und dasselbe mit ihr), deren vorspringender Rand das  H a u p t g e s i m s e  bildet - wenigstens ist dasselbe in den meisten Fällen Vorsprung der Dachfläche.

Diese aus der allgemeinsten Aufgabe der Architectur hervorgehenden wesentlichen Theile müssen demnach als die  E l e m e n t e  d e s  S t y l s  angenommen werden. Bei der historischen Untersuchung finden sich diese  a r c h i t e c t o n i s c h e n  E  l e m e n t e  wirklich als das Allgemeinere in allen verschiedenen Fällen gleiche Gestalt Behauptende vor: so daß der Unterschied zwischen den Denkmahlen eines und desselben Volkes und einer Zeit nur in der ihren verschiedenen Bestimmungen gemäßen mannichfaltigen Zusammenstellung und Anzahl von Wänden, Decken, Pfeilern oder Säulen, Thüren, Fenstern, Verdachungen und Gesimsen besteht, welche alle wieder in verschiedenen Dimensionen und in verschiedenem Grade verziert erscheinen und überhaupt nach der Wichtigkeit ihrer Bestimmung mehr oder weniger opulent gehalten sind. Außerdem geht ein gleicher Typus selbst bis ins Detail der Verzierung durch. Und endlich zeigt sich, daß auch die spezciellen Bedürfnisse insoferne beim Style mitwirken, als denselben bei dem einen Volke, trotz ihrer Verschiedenheit unter sich, dennoch gegen die gesammten Bedürfnisse eines andern Volkes ein gleicher Hauptcharacter zukommt.

Gegenwärtige Untersuchung befaßt sich also nur mit der allgemeinen Gestaltung und Zusammenstellung der architectonischen Elemente, nicht aber mit ihrer specielleren Gestaltung und Zusammenstellung nach der besonderen Bestimmung der Gebäude, worin hauptsächlich das Wirken des Künstlers besteht und worin sich sein Talent beurkundet. Und ihr Zweck geht nur dahin, dem Künstler seinen Gegenstand der Hauptsache nach klar zu machen, und eine sichere Basis für die Kritik zu geben, welche über Werke der Architectur deßwegen so verschieden ausfällt, weil man hier wirklich noch nicht einmal über das A b c einig ist.
§. 3.
Ist nun festgestellt, was unter Styl zu verstehen sei, so bleibt zunächst zu untersuchen, wie derselbe sich in den verschiedenen Original-Bauarten gestaltet hat.

Die Gestaltungsmomente desselben sind im Allgemeinen  C l i m a  und  B a u m a t e r i a l,  wie sowohl a priori zu schließen ist, als auch historisch sich bestätigt. Das Clima gibt erstlich, wie so eben erwähnt wurde, sämmtlichen verschiedenen Bedürfnissen etwas Ähnliches im Gegensatze zu denjenigen eines andern Landes. So sind in einem milden südlichen Clima alle Anforderungen von geringerem Umfange, als in einem rauhen nördlichen: sämmtliche morgenländische Gebäude zeigen etwas Offenes gegen die ängstlicher geschlossenen nördlichen Gebäude.

Zweitens wird, je nachdem das Clima rauher oder milder ist, das Äußere der Gebäude mehr oder weniger geschützt, was sich in der Form der Bedachung des Ganzen und selbst in der Gestaltung der übrigen Elemente ausdrückt. An den Gebäuden des regenlosen Ägyptens fehlt das Dach gänzlich; aber über die mittelalterlichen Gebäude des Nordens breitet sich ein hohes Dach aus, und überdieß sind alle Vorsprünge an den einzelnen Theilen so gestaltet, daß das Wasser leicht ablaufen kann.

Die Baumateriale, welche hauptsächlich auf die Gestalt der architectonischen Elemente einwirken, sind  H o l z  und  S t e i n.  Bei Gebäuden von einiger Wichtigkeit finden sich sogar in steinarmen Ländern nicht nur die Wände und Pfeiler, sondern auch die dem Wetter ausgesetzten Überspannungen der Pfeiler, Thüren und Fenster und häufig selbst die größeren inneren Decken der Dauer wegen aus Stein construirt.

Auf die Hauptgestalt der  W ä n d e  und  P f e i l e r  wirkt die Art des Materials weniger ein - sie müssen, ob aus Holz oder Stein construirt, senkrecht stehen und erhalten von unten bis oben beiläufig gleiche Dicke; aber mehr auf das Verhältniß ihrer Dicke zur Höhe, welche sich aus dem Widerstande den das Material gegen das Zerdrücken oder Zerknicken äußert (rückwirkende Festigkeit) bestimmt, so daß bei gleicher Höhe und Belastung und unter übrigens gleichen Umständen ein Pfeiler aus hartem Marmor eine geringere Dicke erhält, als ein Pfeiler aus weichem Tufsteine. Am meisten wirkt das Material auf die Hauptgestalt und auf die Verhältnisse der  Ü b e r s p a n n u n g e n  und  D e c k e n  ein. Das Holz ist gerade gewachsen, findet sich in bedeutender Länge und äußert sehr viel Widerstand gegen das Zerbrechen: daher ist die natürlich construirte Holzbedeckung immer nach einer  g e r a d e n  L i n i e  gebildet, und bedarf einer im Vergleich mit der freien Spannung nur geringen Dicke oder Höhe, d. h. ein leichtes Verhältniß. Der Stein bricht gewöhnlich mehr in würfelförmigen oder plattenförmigen Stücken und ist nur selten an vielen Orten gar nicht in längeren balkenförmigen Stücken zu erhalten; auch besitzt er wenig Widerstand gegen das Zerbrechen (relative Festigkeit) wozu überdieß noch sein beträchtliches specifisches Gewicht kommt. Daher trägt er sich bei horizontaler freier Lage nicht auf eine große Weite und muß im Vergleich mit letzterer dicker sein d. h. ein schwereres Verhältniß haben, als ein hölzerner gleichlanger Balken. Indessen findet hier bei verschiedenen Steinarten ein sehr großer Unterschied statt. An den griechischen Monumenten, welche meist aus Marmor (demjenigen Steine, der am meisten Elasticität und relative Festigkeit besitzt) gebaut sind, bestehen alle Säulen-Überspannungen (Architrave) und Decken der Hallen aus steinernen Balken und Platten: so daß, wie in Holz, so auch in Stein durchgängige  H o r i z o n t a l - Ü b e r d e c k u n g  statt findet, und zum Theil sehr leichte Verhältnisse bestehen. Es ist zu bemerken, daß die Verhältnisse an den architectonischen Elementen, wovon bisher die Rede war, eigentlich  t e c h n o s t a t i s c h e  V e r h ä l t n i s s e  zu nennen und von den aus der Bestimmung des Gebäudes hervorgehenden  H a u p t v e r h ä l t n i s s e n  zu unterscheiden sind. Zu letzteren gehört das Verhältniß der Breite zur Länge und Höhe beim ganzen Gebäude, und sofort bei dessen einzelnen Gemächern und Abtheilungen z. B. das Verhältniß der Breite (Tiefe) einer Halle zu ihrer Höhe.

In Ländern, wo die vorkommenden Steinarten gebrechlicher und nicht in so großer Länge zu finden sind, zeigen sich bald Versuche, die Ueberspannungen mit mehr als einem Stücke zu überdecken. Die Krone dieser Versuche ist das  G e w ö l b e,  mittelst dessen durch Beihilfe des Mörtels die größten Spannungen mit fast beliebig kleinen Stücken überdeckt werden können. Das Gewölbe übt nicht allein auf die Gestalt der Überdeckung einen großen Einfluß aus, indem dieselbe der natürlichen Construction gemäß nach einer  B o g e n l i n i e,  und nicht nach einer  g e r a d e n  L i n i e,  wie bei der Üeberdeckung mit einem Stücke, gebildet wird; sondern es bewirkt auch bei den Pfeilern und Wänden, worauf es aufliegt und einen Seitendruck ausübt, eine Umgestaltung, und somit fast bei sämmtlichen architectonischen Elementen, oder dem ganzen Style: so daß man aussprechen möchte, es gäbe wesentlich genommen nur zwei Original-Style - entweder mit  h o r i z o n t a l e r  g e r a d l i n i g e r  oder mit  g e w ö l b t e r  b o g e n f ö r m i g e r  Steinüberdeckung.
§. 4.
Da das Bauen eine Kunstfertigkeit ist, so muß sich dasselbe natürlicher Weise mit der Zeit vervollkommnen. Wie sich bei zunehmender Cultur die Bedürfnisse und Anfoderungen an Bequemlichkeit erweitern, und also die Ausgaben der Baukunst immer ausgedehnter werden; so wird man dieselben immer vollkommner und dabei mit wenigerem Aufwande von mechanischer Arbeit zu lösen trachten. Außer den Verbesserungen in der unmittelbaren Bearbeitung des Materials wird man sich erstlich bestreben, die erfoderliche Festigkeit mehr durch eine raffinirte Construction, als durch blose Anhäufung schwerer Massen zu erlangen. Zweitens wird man auch bei derselben Construction die Masse des Materials, welche überdieß bei der steigenden Anforderung an Bequemlichkeit immer hinderlicher wird, nach und nach zu verringern trachten, indem man die neueren Gebäude mit Sicherheit immer ein wenig leichter hält, d. h. leichtere technostatische Verhältnisse anwendet, als an den früheren Gebäuden, welche sich durch ihre Dauer als hinlänglich fest beurkunden. Dieses  F o r t s c h r e i t e n  d e r  t e c h n o s t a t i s c h e n  E r f a h r u n g,  oder um mich so auszudrücken des technostatischen Augenmaßes muß um so regelmäßiger statt finden, als namentlich bei demselben Volke keine frühere Erfahrung verloren geht, sondern in den erhaltenen Gebäuden den Nachkommen immer wieder vor Augen gestellt wird.

An den Baudenkmahlen der uns bekannten Völker zeigt sich dieses Fortschreiten im Verlaufe der Zeit wirklich ziemlich regelmäßig; ja es trägt sich selbst auf mehrere nach einander folgende Völker über, wenn dieselben mit einander in Verbindung standen. Bei verschiedenen Völkern ist natürlich die Schnelligkeit des Fortgangs, welcher von der anderen Seite auch wieder durch die Anfoderung der sicheren Haltbarkeit und durch die Macht der Gewohnheit gehemmt wird, sehr verschieden: je nachdem überhaupt mehr oder weniger Beweglichkeit und freie Entwickelung statt findet, oder auch je nachdem politische Ereignisse einwirken. Bei den Ägyptern, wo der Priesterkaste eine Menge von Arbeitern zu Gebot stand, ist der Fortgang sehr langsam: es sind alle Gebäude sehr massiv gehalten, und selbst in vielen Jahrhunderten zeigt sich kein merklicher Unterschied. Die freieren Griechen sind schneller vorwärts geschritten, so daß die Denkmahle, welche hundert bis zweihundert Jahre nach Pericles entstanden, mit bedeutend weniger Masse gebaut sind, als jene vor Pericles. Bei den Römern, welche die Architectur der Griechen fortpflanzten, und bei viel ausgedehnteren Bedürfnissen auch mehr auf Material-Ersparung und Geräumigkeit sehen mußten, nimmt die Leichtigkeit immer mehr zu und steigt endlich in dem mittelalterlichen Style auf das Höchste.

Obgleich sich die Verringerung der Masse und die kühnere Construction, oder die leichteren technostatischen Verhältnisse gleichmäßig über die Überspannungen, Decken, Wände und Pfeiler erstrecken; so tritt dieß doch bei den Decken und Wänden, deren Dicke wenig zum Vorscheine kommt, nicht so sehr hervor, als bei den freistehenden Pfeilern und bei den von Pfeiler zu Pfeiler reichenden Überspannungen, durch deren kühnere Weite eine fernere Stellung der Pfeiler entsteht. Dieß zeigt sich natürlich am ersten bei Hallen, wo die Pfeilerweite am wenigsten durch die specielle Bestimmung des Gebäudes bedingt ist.

Es hat sich aus diesem §. ergeben, daß die technostatischen Verhältnisse der architectonischen Elemente zwar vorerst hauptsächlich aus dem Baumateriale entspringen, daß sie sich aber durch die fortschreitende Erfahrung im Bauen immer weiter ausbilden und eigentlich einer fortwährenden Wandelbarkeit unterliegen. Im §. 3. wurde die  H a u p t g e s t a l t  der Elemente entwickelt: nun soll ferner gezeigt werden, wie der Fortgang, den die Architectur als schöne Kunst betrachtet nimmt, auf die  s p e c i e l l e r e  G e s t a l t  der Elemente einwirkt.
§. 5.
Die Architectur sollte nicht eine Schwester der anderen bildenden Künste, sondern die Mutter derselben heißen: denn sie geht voran und erzieht die anderen. Sie beginnt mit der nothdürftigen Befriedigung der nächsten Bedürfnisse, und schwingt sich erst später allmälig zur schönen Kunst empor, indem sie Gebäude hervorbringt, welche für einen höheren Zweck, als denjenigen des nächsten Bedürfnisses bestimmt sind. Dieselben werden auch bald in einer Ausdehnung angeordnet, und mit einer Opulenz und einem technischen Fleise ausgeführt, dessen man die Gebäude des nächsten Bedürfnisses nicht würdiget. Man gefällt sich dabei im freien Schaffen, nachdem dem Zwecke schon genug gethan ist - man bringt  V e r z i e r u n g e n  an, und glaubt durch diese unwesentlichen Zusätze, welche die ersten Töchter der Muße sind, gleichsam den Werth des Gegenstandes zu erhöhen. Zugleich entwickelt sich allmälig die feinere Ausbildung der architectonischen Elemente durch die  Z i e r l i c h k e i t,  welche mit dem erwähnten technostatischen Fortschreiten Hand in Hand gehend sich bestrebt, die sowohl hinsichtlich der Festigkeit entbehrliche, als hinsichtlich der Bequemlichkeit hinderliche Masse wegzuschaffen; jedoch als ein mehr freiwilliges Spiel, so daß dabei die Festigkeit und Bequemlichkeit mehr indirectes, als directes Regulativ ist.

Wie nun bei allem Menschlichen in derselben Kraft, welche zur Vollkommenheit führt, auch schon wieder der Keim des Untergangs liegt; so verliert die Architectur, indem sie sich von einer Seite durch regelmäßiges Fortschreiten der Technostatik, Verzierung und Zierlichkeit in allen Theilen immer mehr ausbildet, von der anderen Seite allmälig jene wahrhaft rührende Schlichtheit und Unbefangenheit der früheren Gebäude, welche immer nur das vorstellen wollen, was sie sind, und nicht mehr. Die Verzierung tritt über ihre Sphäre, welche gleichsam nur Bekränzung und nicht Überladung der wesentlichen Formen oder Elemente war, hinaus. Aber viel verderblicher, als die Überladung der Verzierung ist es: daß diese Elemente, welche nur in dem wahren Zwecke ihre Entstehung und Anwendung haben, und welchen nur, insofern sie diesen Zweck erfüllen und aussprechen, Bedeutung zukommt, endlich als bloses Machwerk an sich ein unmittelbares Wohlgefallen usurpiren - wie man ja oft über dem Wege das Ziel vergißt - und allmälig immer mehr als Verzierungen behandelt werden, oder vielmehr als Mittel, aus einem Gebäude scheinbar mehr zu machen, als es seiner Bestimmung nach sein kann.

Sie werden zuerst da angebracht, wo sie der wirkliche Zweck gar nicht verlangt, und wo sie nur einen Scheinzweck haben; endlich wird auch selbst dieser gar nicht mehr gefodert, und man begnügt sich gewissermaßen mit dem Schein vom Schein, mit der gänzlich todten Form z. B. mit blinden Thüren, Fenstern u. s. w. Es wird ein ganz conventionelles Schönheits-Forum postulirt, welches damit beschwichtigt, daß diese oder jene wesentliche Form wenigstens ursprünglich einmal aus irgend einem wirklichen Zwecke entstanden sei. Der Untergang der Kunst wird nicht wenig dadurch beschleunigt, daß ganz unabhängig von derselben die technostatische Erfahrung immer zunimmt, und also die gewagten Zusammenstellungen von Formen, so weit sie die Sucht zu variiren auch immer treiben mag, um so leichter ausgeführt werden können.

In der Wirklichkeit rollt sich diese Stufenfolge natürlich nicht so regelmäßig ab: manche Stufen werden durch politische Ereignisse sehr schnell herbeigeführt, auch finden manchmal sogar Rückschritte zum Besseren statt. Indessen wird jeder, welcher in dieser Beziehung die Monumente der früheren Völker betrachtet, in denselben den eben beschriebenen Gang anerkennen müssen. Die letzte Hälfte desselben findet sich leider immer am vollständigsten ein; die frühere bessere Hälfte dagegen findet sich selten ganz ungestört entwickelt: denn es war nicht leicht irgend einem Volke vergönnt, sich von seiner Kindheit an bis zum Mannesalter so ganz harmonisch in sich entwickeln zu können, ohne von außen fremdartige Eindrücke zu erleiden. Ja die meisten Völker sind in fremde Länder versetzte Ableger. Daher ist denn die architectonische Verzierung gewöhnlich  t r a d i t i o n e l l,  wie sie auch ihrer willkührlichen Natur nach kaum anders sein kann. Und da sich der Mensch nicht blos in ganz willkührlichen, sondern auch in weniger nothwendigen Dingen gerne an ein schon Gegebenes anschließt; so findet sich bei der feineren Ausbildung der architectonischen Elemente ebenfalls Manches traditionell angenommen oder vielmehr beibehalten, was seinem Wesen nach aus den gegenwärtigen Umständen eigenthümlich herausgebildet werden konnte. Im griechischen Style kommen solche fremdartige störende Reminiscenzen nicht leicht vor, aber in der früheren Periode des mittelalterlichen Styls erscheinen sie sehr häufig, wie wir weiter unten sehen werden.
§. 6.
Außer den in den drei vorigen §. §. näher entwickelten  n a t ü r l i ch e n  Bildungsmomenten sind keine andere mehr als wesentlich anzunehmen. Und wo andere  c o n v e n t i o n e l l e  Momente mitwirkten, wird gewiß Jeder diese Mitwirkung, sobald sie zu weit über die Sphäre der Verzierung hinaustritt, als feindselig für die Consequenz und harmonische Ausbildung des Styls ansehen. Die früher zu Gunsten der Xylomanie gäng und gäbe genesene Deduction: daß der Styl allerdings ein Resultat genannter Momente sei, aber nicht wie sie gegenwärtig statt finden; sondern wie sie in der Urzeit, wo man die erste Hütte baute, einmal gewesen - wodurch im vollsten Maße die Erbsünde in die Architectur gebracht wird, bedarf wohl hier keiner Widerlegung mehr. Ich verweise in dieser Hinsicht auf meine Schrift über griechische Architectur.

Wenn wir demnach einen Styl gewinnen wollen, welcher dieselben Eigenschaften, die wir an den als schön anerkannten Bauarten anderer Völker so sehr erheben, besitzen soll; so muß derselbe nicht aus einer früheren, sondern aus der  g e g e n w ä r t i g e n  Beschaffenheit der natürlichen Bildungsmomente hervorgehen: also erstens aus unserem gewöhnlichen Baumateriale, zweitens aus dem heutigen Standpunkte der technostatischen Erfahrung, drittens aus der Art von Beschützung, welche die Gebäude in unserem Clima für sich selbst der Dauerhaftigkeit wegen ansprechen, und viertens aus der allgemeineren Eigenschaft unserer Bedürfnisse, die in dem Clima, vielleicht auch zum Theil in der Cultur begründet sind.

Unser  M a t e r i a l  besteht, um mich vor der Hand nur auf Deutschland zu beziehen und um nur auf den Steinbau einzugehen, in Sandstein, oder in solchen Steinarten, welche hinsichtlich der relativen Festigkeit sehr weit hinter dem Marmor zurückstehen. Ein Balken kann, wenn er auch nichts als sein eigenes Gewicht zu tragen hat, seltene Ausnahmen abgerechnet, höchstens auf zwölf Fuß frei gelegt werden; und dabei bleibt immer noch zu fürchten, daß er später etwa bei eintretendem starkem Froste breche. Hat ein Stein nun gar außer seiner eigenen Last noch eine andere zu tragen, so muß er fast so hoch sein, als er der Länge nach frei liegt. Nimmt man ja selbst bei einer massiven Mauer die überall aufliegenden Ouadersteine nicht leicht über dreimal länger an, als sie hoch sind; und wenn ihre Lagerflächen gegen die Kanten hin mehr gedrückt werden, als in der Mitte, so splittern die Kanten ab. Welch ein Unterschied findet sich namentlich in dieser Beziehung beim Marmor! An den griechischen Monumenten sind, um die Arbeit des Abschleifens zu verringern, an den Lagerflächen der Ouadersteine meist nur schmale Riemen längs den Kanten auf einander passend geschliffen, während dem der mittlere Theil etwas vertieft und blos rauh bearbeitet ist, so daß gerade nur die Kanten zu tragen haben. An den ganz aus Marmor bestehenden Decken der Hallen finden sich Balken bis auf 20 Fuß frei gelegt, die kaum ein Siebtheil ihrer Länge hoch sind. Die noch bestehenden, auf 12½ Fuß freiliegenden Deckenbalken in der Vorhalle des Theseustempels zu Athen sind nur ein Eilftheil ihrer Länge hoch. Wir müssen über einen Fenstersturz, welcher nur 3 Fuß frei liegt, schon ein Gewölbe sprengen, um alles fremde Gewicht von ihm zu entfernen.

Was den Grad unserer  t e c h n o s t a t i s c h e n  Er f a h r u n g  betrifft, so haben wir die kühn construirten Gebäude des Mittelalters vor uns, und stehen in dieser Beziehung weit über den Griechen. Jeder Sachverständige würde heut zu Tage einen Pfeiler oder eine Säule, welche nur ein Eilftheil ihrer Höhe zum Durchmesser hat, ohne Bedenken (d. h. unter übrigens nicht ungünstigen Umständen) errichten, da hingegen selbst bei den schlankeren griechischen Säulen der Durchmesser selten weniger, als ein Achtheil ihrer Höhe beträgt: ferner würde er mittelst einer Bogenstellung (Fig. I.). eine Decke mit zwei Drittheilen der Pfeiler- oder Säulen-Zahl unterstützen, welche bei einer griechischen Säulenstellung (Fig. II.), die noch nicht einmal die nächste Säulenweite hat, auf dieselbe Länge verwendet wurden. Demnach bedürfen wir bei Anwendung des Gewölbes zur Deckenunterstützung bei Weitem nicht die Hälfte der in der griechischen Architectur verwendeten Masse, ohne dabei den Einsturz fürchten zu müssen, dem wir bei der Horizontalbedeckung mit unseren gebrechlichen Steinarten für die Dauer ausgesetzt sind. Da nun überdieß bei einem Bogen kleine Stücke anwendbar sind, ein Architrav aber aus einem einzigen Steinbalken bestehen muß, dessen Anschaffung und Versetzung an Ort und Stelle mit verhältnißmäßig großen Kosten verbunden ist; so kostet schon bei ganz gewöhnlichen Dimensionen eine Säulenstellung wohl  v i e r m a l  so viel, als eine ebenso opulent verzierte Bogenstellung. Und wie sehr der Unterschied bei größeren Dimensionen steigt, kann sich kein Sachverständiger verhehlen.
§. 7.
In unserem  n ö r d l i c h e n  C l i m a  müssen die Gebäude viel sorgfältiger gegen Regen und Schnee geschützt werden, als im Süden. Die Dachschräge darf bei der gewöhnlichen Eindeckung mit Schiefer oder gar mit Ziegeln nicht so flach angelegt sein, als an den griechischen Monumenten. Ferner muß an allen horizontalen Gesimsen oder dgl. die obere vorspringende Fläche wegen des Wasserabfalls stark geneigt sein, wenn nicht irgend ein Zweck es durchaus anders verlangt, wie z. B. der Fall eintritt bei Freitreppen oder solchen Vorsprüngen, worauf etwas gestellt werden soll.
Wenn die Fläche A B (Fig. III.) eines vorspringenden Gesimses nicht stark geneigt ist, so verwittert einmal diese Fläche selbst; hauptsächlich aber entsteht, weil das auf A B auffallende Wasser gegen den Mörtelbewurf B C zurückspritzt, und weil es nach vorübergegangenem Regen noch lange auf A B stehen bleibt und sich an dem Mörtelbewurfe B C hinaufzieht, hier eine baldige Auswitterung. Ferner zieht sich das herabströmende Wasser an der unteren Fläche des Gesimses bis zur Wand D hin und richtet hier ebenfalls Schaden an, wenn es nicht durch eine Aushöhlung der unteren Gesimsfläche gezwungen wird, bei E abzutropfen.

Was die  h e u t i g e n  B e d ü r f n i s s e  betrifft, so werden unsere Gebäude in einer Größe erfordert, welcher sich die Gebäude der Griechen auch nicht entfernt näherten. Wie klein würde selbst ein größerer griechischer Tempel einer heutigen Stadtkirche gegenüber stehen! Die weiteste in Stein überdeckte Spannung befand sich an der Decke der Propyläen zu Athen (was Pausanias als eine Seltenheit angibt) und betrug 20 Fuß. Was will dieß gegen unsere inneren freien Räume bedeuten, wobei überdieß die größtmögliche Schlankheit der Pfeiler und Weite der Pfeiler- Überspannungen verlangt wird. Wollte man z. B. in einer Kirche, welche durch zwei Säulenreihen in drei Schiffe getheilt ist, die Säulen auch selbst nach dem weitesten griechischen Verhältnisse (Fig. II.) stellen; so würden sogar bei einer bedeutenden Breite des Mittelschiff die Menschen in den Seitenschiffen schon von der dritten Säule an nicht mehr auf den Altar oder die Kanzel sehen können. Die Seitenschiffe würden nicht zu benutzen sein, wenn nicht wenigstens die Säulen so dünne wären und so weit aus einander stünden, als bei Fig. I.

Unsere Thorfahrten müssen schon an gewöhnlichen Wohnhäusern, geschweige denn an Stadtthoren und anderen öffentlichen Gebäuden so weit sein, wie sie an den griechischen Monumenten nie vorkommen, etwa die einzige Ausnahme bei der mittleren Säulenweite der Propyläen zu Athen abgerechnet.

Eine äußere Halle soll bei uns entweder eine trockne Unterfahrt, oder einen gegen Wetter geschützten Aufenthalt für Fußgänger gewähren. Im ersten Falle müssen die Pfeiler oder Säulen weit von der Wand abstehen, weil sonst die Wägen nicht dazwischen fahren können, und die Halle darf, damit nicht der geringste Wind den Regen bis an die Wand treibe, nicht viel höher als breit oder tief sein; aber ein hierzu zweckmäßiges Verhältniß gewährt selbst die entfernteste griechische Säulenweite nicht. Im zweiten Falle bietet eine Halle nur dann einen leidlichen gegen Zug geschützten Aufenthalt dar, wenn sie nur von einer Seite offen und von drei Seiten durch Wände abgeschlossen, nicht aber von drei Seiten offen ist, wie gewöhnlich die antiken Portiken. Endlich sind äußere Hallen überhaupt bei uns nur selten anwendbar, weih sie das Licht, welches meist im Innern sehr nothwendig ist, wegnehmen würden. Bei den Griechen war dagegen ein öffentliches Gebäude ohne reichliche äußere Säulenhallen kaum denkbar, und Fenster waren eine seltene Erscheinung. Ferner kommt bei uns nicht leicht ein Gebäude vor, welches nicht  m e h r s t ö ck i g  wäre; die auf uns gekommenen griechischen Monumente zeigen dagegen alle nur ein Stockwerk an.

Die heutigen Gestaltungsmomente sind demnach von jenen des griechischen Styls durchaus verschieden, ja geradezu entgegengesetzt. Denn was kann, um den Hauptinhalt der zwei letzten §. §. nochmals zu wiederholen, entgegengesetzter sein, als dort gute Steine, welche sehr viele relative Festigkeit besitzen und durchgängige Horizontal - Überdeckung gestatten - hier gebrechliche Steine, welche nur bei ganz kleinen Spannungen Horizontal - Überdeckung zulassen, wofür indessen das Gewölbe reichlichen Ersatz leistet; dort ganz kleine Bedürfnisse und dabei wenig Anforderung an Geräumigkeit - hier sehr große Bedürfnisse, wobei die möglichste Geräumigkeit verlangt wird; dort äußerlich reichliche Säulenstellungen, keine Fenster und nur ein Stokwerk - hier selten äußere Hallen, sehr viele Fenster und mehrere Stokwerke.
§. 8.
Und dennoch bauen wir, namentlich in der neusten Zeit wirklich im griechischen Style? - - Wie ist dieß möglich, wenn das bisher Gesagte wahr ist? - - Eine Untersuchung, auf welche Weise man griechisch baut, und in wieferne man dabei die heutigen Bedürfnisse befriedigt, wird das Räthsel lösen.

Die Erörterung des ersten Punctes wird am genügendsten aus einer kurzen Darstellung der Haupteigenschaften des griechischen Styls und seiner ferneren Gestaltung unter den Römern hervorgehen.

Die griechischen Monumente bis auf die Zeit des Pericles sind folgendermaßen gestaltet. Früher finden sich die Säulen A (Fig. IV.) weniger schlank, und stehen näher beisammen, als später. Sie sind auch früher mehr nach oben verjüngt, als später, was den statischen Zweck des Festerstehens hat. Das Säulencapitäl B ladet sich besonders bei der dorischen Säulenordnung bedeutend aus, um die freie Länge des Architravs zu verringern. Letzterer C besteht aus Balken, welche von Säulenmittel zu Säulenmittel reichen. Über demselben befindet sich der gleichhohe Fries D, welcher aus kleineren Stücken besteht und an seiner äußeren Fläche verziert ist. Über dem Friese springt außen das Kranzgesimse E vor, und ohngefähr in gleicher Höhe mit demselben liegt die gleichdicke Decke der Halle F, welche so construirt ist, daß immer nach der kleinsten Weite des ganzen zu überdeckenden Raumes von Stelle zu Stelle Balken liegen, deren Zwischenräume abermals nach der kleinsten Weite mit dünnen Steinplatten bedeckt sind. Sämmtliche zur Überdeckung gehörige Theile, als Architrav, Fries, Kranzgesimse und selbst die Decke begreift man unter dem Worte  G e b ä l k e.  Da wo ein Architrav auf einer Wand aufliegt, wie bei G, ist diese, welche nicht so dick als der Architrav breit ist, verstärkt, wodurch ein Wandpfeiler (Ante, Pilaster) II entsteht. Derselbe hat die Breite des Architravs, jedoch nur auf denjenigen Seiten, wo der Architrav aufliegt, auf der Seite I aber, wo diese Breite nicht mehr in Anspruch genommen wird, ist er ganz schmal.

Die griechische Architectur zeichnet sich durch eine große Einfachheit in der Anordnung, durch eine mit strenger Consequenz durchgeführte gleichmäßige Ausbildung aller Formen und eine weise Mäßigung der Verzierung aus. Das Erste geht aus ihrer einfachen Aufgabe hervor, und kann, sobald dieselbe verwickelter ist, nicht nachgeahmt werden. Aber das Übrige könnte und sollte unter allen Umständen erreicht werden. Jener solide Sinn, welcher sich nicht durch die vorhandenen Mittel verleiten ließ, jede leere Fläche mit Verzierungen zu bedecken, oder alles ohne Grenzen zu durchbrechen;welcher nicht blos durch die Masse zu imponiren suchte und durch große Dimensionen, die ganz über die Bestimmung des Gebäudes hinausschreiten, sondern vielmehr durch eine Genauigkeit und Nettigkeit der Ausführung, wovon wir heute kaum einen Begriff haben - ein solcher Sinn sollte die Kunst aller Zeitalter beleben! Wer Werke aus Pericles Zeit gesehen, muß gestehen, daß kein anderes Volk seine Denkmahle mit solchen Eigenschaften austattete. Alles besteht aus weißem Marmor, dessen, dessen Oberfläche spiegelglatt polirt wurde; die Stücke, woraus die Säulen zusammengesetzt sind, wurden so sorgfältig auf einander abgeschliffen, daß man selbst jetzt an vielen Stellen die Fugen noch nicht bemerkt. Die Wände sind aus Quadern aufgebaut, deren Fugen mit entzückender Regelmäßigkeit abwechseln und hier die passendste Verzierung sind. Heiteren ewigblühenden Blumen gleichen diese Denkmahle: Plutarch, welcher den Minervatempel und die Propyläen auf der Acropolis zu Athen fünf Jahrhunderte nach ihrer Erbauung sah, sagt "sie schienen eine für das Alter unempfindliche Seele zu haben" - und dasselbe läßt sich noch jetzt nach zwei Jahrtausenden sagen: denn was an diesen Werken zerstört ist, geschah nicht durch die Macht der Zeit, sondern durch die Hände der Barbaren.
§. 9.
Auf solcher Stufe stand die Architectur zu Pericles Zeit; doch wer sie in späteren Zeiten für unverändert hält, oder wohl gar die römischen Nachahmungen mit jenen Werken in eine Categorie setzt, weiß schlecht zu unterscheiden. Das Princip der früheren griechischen Kunst  ist  W a h r h e i t  im vollsten Sinne des Worts. Alle architectonischen Elemente sind so gestaltet und angewendet, wie es ihre wahre Bestimmung mit sich bringt: Säulen erscheinen nur da, wo sie ein wirkliches Gebälke zu unterstützen haben; Wandpfeiler nur da, wo die Wand, um den breiteren Architrav aufzunehmen, verstärkt werden muß, und sind ihrer von den freistehenden Säulen verschiedenen Natur nach auch anders als diese gestaltet. Der Architrav erscheint nur da, wo er wirklich zum Tragen der Decke gefodert wird, und hört, sobald er auf einer Wand angekommen ist, auf: denn die Decke kann nunmehr auf der fortlaufenden Wand aufliegen; und ein Architravbalken, welcher seiner ganzen Länge nach auf einer Wand aufliegt, hat keinen Sinn mehr, weil er seine Höhe und Gestalt nur danach erhalten hat, um von Säule zu Säule frei liegend stark genug zu sein. Die auf dem Kranzgesimse befindliche Rinnleiste M (Fig. IV.), welche über die Fläche der Dachbedeckung etwas übersteht, erscheint nur an den schrägen Giebelseiten, um an der Fronte das Abtropfen des Wassers zu verhindern, hört aber an den Ecken N auf, damit längs den Seiten des Gebäudes das Wasser freien Abfluß habe.

Und so wären noch viele Beispiele anzuführen, welche unwiderleglich beweisen, wie kein architectonisches Element pleonastisch angewendet wurde, und wie jedes seiner speciellen Bestimmung gemäß characteristisch gestaltet, aber nie nach irgend einer anderen etwas gegenüber befindlichen Form umgemodelt wurde, um mit letzterer besser in Harmonie zu stehen (wie man sich etwa jetzt ausdrückt) oder um mit ihr eine Art von blinder Symmetrie zu bilden. Die Verzierung war alsdann über diese consequente Zusammenstellung der Elemente ausgegossen, um sie zu bekränzen, nicht aber um dieses oder jenes zu maskiren.

An den Monumenten aus der Zeit Alexanders und bis zur Eroberung Griechenlands durch die Römer, zeigt sich eine große Abweichung von jenem natürlichen Sinne. Man konnte die schlichte Einfachheit nicht mehr ertragen und namentlich keine glatte Wand mehr sehen. Daher findet sich da, wo das Bedürfniß eine geschlossene Wand foderte und keine offene Säulenhalle zuließ, gewöhnlich als Surrogat eine auf der Wand blos in Relief angedeutete Säulenstellung, deren Säulen und Gebälke nur zur Hälfte vortreten. Diese  H a l b s ä u l e n  kommen schon bald nach Pericles vor, und sind die erste große Conventionalitäts-Lüge in der Architectur, welche in der Folge um so eher angewendet wurde, als man dabei in sehr große Dimensionen ausschweifen konnte, weil nun der Architrav nicht mehr wirklich frei lag, also aus beliebig kleinen Stücken bestehen konnte. Ferner kommen die Wandpfeiler nicht mehr blos da, wo ein Architrav aus der Wand aufliegt vor; sondern sie wiederholen sich häufig längs der ganzen Wand, immer jeder davorstehenden Säule gegenüber, und eben so läuft darüber das Gebälke in schwachem Relief fort - um mit der wirklichen davorstehenden Säulenstellung eine Art von Symmetrie zu bilden.

Indessen ließ sich der Genius der griechischen Schönheit nicht so schnell verdrängen, und wir können uns selbst an den spätesten griechischen Monumenten immerhin über die Einheit - indem wenigstens durchgängige Horizontal-Überdeckung statt findet - und über die geschmackvollen Verzierungen trotz ihrer Überladung erfreuen; zumal wenn wir damit die Mißgestaltung vergleichen, welche die griechische Architectur unter den Händen der Römer erleiden mußte. Diese hatten bereits vor der Eroberung Griechenlands die für ihre weitläufigen Wasserleitungen und Straßenbauten so vortheilhafte Bogenstellung angewendet, wobei die Pfeiler weiter aus einander stehen und wobei kleinere Steine gebraucht werden konnten, als bei der Horizontal-Überdeckung. Ob man nun gleich in Allem und also auch in der Architectur die Griechen sklavisch nachahmte, so mußte doch für die sehr ausgedehnten römischen Bedürfnisse die Horizontal-Überdeckung namentlich bei den hierzu weniger tauglichen Steinarten (Marmor wurde damals noch nicht zum Bauen verwendet) ungenügend sein. Das Gewölbe bot zu große Vortheile dar, um trotz aller Gräcomanie verabschiedet zu werden, und so ist denn die ganze römische Architectur nichts anders, als ein  S t r e i t  zwischen die den beiden  h e t e r o g e n e n  Constructionsarten, der Bogenstellung und der griechischen Säulenstellung.

Anfangs als die griechischen Muster noch in zu frischem Andenken waren, erscheint namentlich bei Tempeln am Äußern die griechische Säulenstellung noch rein und unvermischt mit dem Gewölbe, welches sich mehr in das Innere der Gebäude flüchtete, wo es, wenn durchgängige Steinbedeckung statt finden sollte, unentbehrlich war. Doch bald drängt sich dasselbe auch auswendig auf und zwar mitten zwischen die Säulenstellung hinein, so daß es hier den wesentlichen statischen Dienst allein übernimmt, und daß letztere zur blosen  S c h e i n -  und  P a r a d e - A r c h i t e c t u r  herabsinkt, wie z. B. an dem Theater des Marcellus oder dem Colosseum zu Rom, wie Fig. V. zeigt. Hier wird das Gebälke nur durch die Bögen getragen, nicht aber durch die Halbsäulen. Solche flache, nicht viel mehr als gemalte Halbsäulen und Pilaster können demnach nicht mehr als wirkliche architectonische Elemente gelten; aber als Verzierungen angesehen Drücken sie wahrhaftig nichts weniger als Reichthum, sondern vielmehr die größte Armuth der Phantasie aus. Denn als blose Verzierung ist doch die Arbeit des Steinmetzen - ein Pfeiler, ein Architravbalken u. dgl. - der ärmste Gegenstand, den es gibt, und muß der einförmigsten Laubverzierung nachstehen, geschweige denn den höheren Gebilden der Bildhauerei und Malerei. Sollte etwa die ganz glatte Seitenwand K des griechischen Tempels Fig. IV., an welcher oben ein fortlaufendes Figuren darstellendes Basrelief L erscheint, nicht reicher zu nennen sein, als eine Wand, woran die für das Basrelief erforderliche Summe für eine Pilaster-Stellung verschwendet ist? Es zeigen die Fig. IV. und VI. augenscheinlich, daß die griechische Säulenstellung und die Bogenstellung beide demselben Zwecke entsprechen; daß daher die Anwendung beider an  e i n e r  Stelle (wie bei Fig. V.) als der unglücklichste Pleonasmus, welcher nur möglich ist, erkannt werden muß.
§. 10.
Aus der in den beiden vorigen §. §. enthaltenen Darstellung ist leicht zu entnehmen, in welcher Art wir heute bauen müssen, wenn wir uns vorsetzen den griechischen Styl nachzuahmen. Was kann alsdann unsere Architectur vor der römischen voraus haben? Sie muß ihr sogar noch nachstehen, weil die Römer doch wenigstens dasselbe Clima und wiewohl ausgedehntere, doch ziemlich gleichartige Bedürfnisse mit den Griechen hatten, und später auch größtentheils in Marmor bauten. Man wähnt zwar in den neusten Zeiten, seit der näheren Bekanntschaft mit den griechischen Monumenten, weit über den Römern zu stehen; jedoch bezieht sich die für so wichtig gehaltene Verbesserung der neusten Architectur nur auf Details. Was will es am Ende bedeuten, wenn wir die flachen römischen Profilirungen der Gesimse mit den kräftigeren griechischen vertauschen, wenn wir statt des römischkorinthischen Capitäls das griechischkorinthische wählen, und überhaupt die einzelnen Theile der Säulenstellung nicht mehr nach den römischen, sondern den griechischen Monumenten copiren? Dieß heißt: die kleinen Fische fangen, und die großen schwimmen lassen. Können wir gleich den consequenten Griechen mit der Horizontal-Überdeckung ausreichen und das Gewölbe entbehren? Man gibt sich zwar alle Mühe und scheut keinen Umweg, um wenigstens an dem Äußern der Gebäude ohne Gewölbe durch zukommen; damit die grelle Inconsequenz nicht allzusehr in die Augen springe, und damit nicht, wenn hier eine Bogenstellung steht und daneben auf eine nicht halb so geräumige Säulenstellung die doppelte und dreifache Masse verwendet ist, jedes Kind sogleich frage: warum man statt letzterer nicht ebenfalls eine Bogenstellung gewählt habe, da man nun doch einmal wölben könne. Ist es indessen auch gelungen, die Façade ohne Gewölbe zu Stande zu bringen; so ist der Widerspruch nur aufgeschoben, nicht aber aufgehoben: denn welches Erstaunen ergreift den Beschauer, wenn er sich durch die engestehenden äußeren Säulenhallen hindurch gewunden hat, und im Innern plötzlich ganz geräumige Gewölbe antrifft!

Und genügt für unsere Gebäude  e i n  Stockwerk, wie für jene der Griechen? In welche Scylla oder Charybdis gerathen wir aber bei einem mehrstöckigen Gebäude! Entweder wir stellen ohne weiters mehrere Säulenstellungen über einander. Alsdann erhalten wir kein Ganzes, sondern so viele einzelne auf einander gehäufte Gebäude, als Stockwerke da sind, weil das schließende  H a u p t g e s i m s e  fehlt, welches alles darunter Befindliche zu einem Ganzen verbindet: denn das Kranzgesimse der obersten Säulenstellung kann nicht dafür gelten, da es nicht größer und weiter ausgeladen ist, als die Kranzgesimse der unteren Säulenstellungen. Ergreift man den anderen Ausweg, und gibt einem aus mehreren Stockwerken bestehenden Gebäude nur  e i n e  bis zum Dache reichende Säulenstellung; so ist dieß eben so falsch, und macht den Eindruck, als wenn die Säulenstellung früher für sich bestanden hätte, und die keinen Stockwerke später dazwischen gebaut worden wären - wie wirklich alte Monumente in Italien auf diese Weise benutzt sind.

Der  S ä u l e  muß alles Übrige nachstehen; sie wird als der einzige, der Schönheit fähige Theil angesehen und so zahlreich als nur immer möglich angebracht, so daß der große Eindruck eines freien Raumes gar nicht mehr gefühlt wird. Auch sucht man ihr immer die möglichste Größe zu geben, und glaubt dadurch den Eindruck des Gebäudes zu erhöhen, während dem hieraus gewöhnlich die entgegengesetzte Wirkung hervor geht. Nun können aber wirklich freie Säulenstellungen am Äußern unserer Gebäude, wo selten offene Hallen motivirt sind, nur selten angebracht werden; daher man denn in der Regel zu einer  B a s r e l i e f - A r c h i t e c t u r  d. h. zu Halbsäulen oder Pilastern seine Zuflucht nimmt.
§. 11.
Muß nun der Unbefangene erstaunen, wie man einen solchen  N o t h b e h u l f - S t y l  und  L ü g e n - S t y l  griechisch nennen und schön finden könne; so muß sich sein Erstaunen aufs Höchste steigern, wenn er näher betrachtet, welche Opfer man in Bezug auf Bequemlichkeit, Dauerhaftigkeit und Kostenaufwand dieser zusammen geborgten und geflickten Schönheit bringt.

Wie der Architect da, wo in einem natürlichen Style gebaut wurde, mit den Bedürfnissen seiner Zeit, als den unmittelbaren Urhebern seiner Schöpfungen gerne Bekanntschaft machte; so sieht er heut zu Tage unsere vielen Bedürfnisse als eben so viele Feinde an, die ihm in seinen Entwürfen hinderlich sind. Schon eine ganz gewöhnliche, an jedem größeren Wohnhause verlangte Thorfahrt setzt ihn beim Entwurfe zum größten Prachtgebäude in Verlegenheit. Denn wie kann er eine solche Geräumigkeit mit seinem griechischen Porticus vereinigen? Er überredet sich entweder, daß, ob ihm gleich in der That  e i n e  Einfahrt zu viel ist, zwei Einfahrten nöthig seien, welche er an die Seitenflügel, falls dieselben von Portiken verschont bleiben können, verlegt. Oder er bringt die Thorfahrt ganz an einer Nebenfaçade an: so daß die Hauptfaçade nur für die zu Fuße ankommenden Nebenpersonen bestimmt ist, und daß sich die zu Wagen ankommenden Hauptpersonen mit der Nebenfaçade begnügen müssen. Oder falls das Gebäude einen hohen Sockel verträgt, so findet etwa hier die Thorfahrt zu den Füßen der Colonnade ein Plätzchen. Sollte gar eine Halle verlangt werden, innerhalb welcher Wägen wenden können, so muß er geradezu verzweifeln, diese Aufgabe mit steinernen Architravbalken zu lösen.

In einer im antiken Style gebauten Kirche, sieht man von den Seitenschiffen aus selbst bei den schlanksten Säulen und deren weitester Stellung (wie schon oben gezeigt wurde) schon von der dritten Säule an nicht mehr auf den Altar oder die Kanzel. Und gewährt denn ein griechischer Porticus äußerlich in unserem Clima nur den geringsten Schutz? Da derselbe dem antiken Verhältnisse, gemäß von sehr geringer Tiefe im Vergleich mit seiner Höhe ist, so treibt der schwächste Wind den Regen und Schnee zwischen den Säulen durch bis an die Hinterwand.

Wie kann man doch behaupten, daß sich die Architectur seit den letzten Jahrzehnten eines großen Aufschwungs erfreue? - Die in Italien mit dem fünfzehnten Jahrhunderte wieder begonnene Nachahmung der antiken Architectur beschränkte sich anfangs nur auf untergeordnete Einzelnheiten; und als man nach und nach die ganze Säulen- und Pilaster-Stellung nachahmte; so gab doch die wahre Bestimmung des Gebäudes immer zuerst die Hauptformen an, welchen alsdann die antike Architectur blos fragmentarisch und äußerlich angeheftet wurde. Daher sind die Kirchen von Bruneleschi und größtentheils diejenigen aus dem nächstfolgenden Jahrhunderte  i n n e r l i c h  wirklich eben so gut brauchbar, als die älteren im mittelalterlichen Style gebauten: denn es bestehen bei ersteren ebenfalls gewöhnlich drei überwölbte, von sehr schlanken und ferne stehenden Säulen getragene Schiffe; und das Fehlerhafte liegt blos darin, daß die Hauptformen nicht analog ausgebildet und verziert sind, sondern daß denselben eine aus einer fremden Constructionsweise hervorgegangene Architectur (so gut es gehen mochte) aufgeheftet ist. Auch hätten wohl Bruneleschi und die nach ihm folgenden Architecten unmöglich durchsetzen können, von der fast beliebigen Geräumigkeit des mittelalterlichen Styls  a u f  e i n m a l  zu der Beschränkung, welche die antike Säulenstellung mit sich bringt, überzuspringen; mochten sie auch noch so sehr die Schönheit der antiken Architectur anpreisen. Der unbefangenen Menge ist es am Ende vor allem um die Brauchbarkeit des Gebäudes zu thun: und wenn klar vor Augen liegt, daß die sogenannte Architectur nicht die Schöpferin und die freundliche Begleiterin des Zwecks ist (wie es sein sollte und wie jeder Architect im Munde führt), sondern geradezu dessen ärgste Feindin; so muß dem natürlichen Gefühle eine solche Architectur als etwas Entbehrliches erscheinen.

Durch die blos als Verzierung behandelte willkührliche Anwendung der antiken Architectur wuchsen bald die Façaden bei dem später herrschenden Princip der abstracten Schönheitslinie bis ins Unsinnigste aus. Die Muster waren bisher die römischen Monumente, welche nicht selten ähnliche Ungereimtheiten darboten. Endlich öffnete die Entdeckung der besten griechischen Monumente die Augen über den bisher begangenen Gräuel. Man sah das Sinnlose der fragmentarischen Anwendung der einzelnen Theile ein, suchte dieselben mehr in einem zusammenhängenden Ganzen nachzuahmen, vergaß aber von der anderen Seite über der Vergangenheit die Gegenwart, wie bereits oben aus einander gesetzt wurde. - Ist nun der letzte Standpunct dem früheren vorzuziehen? Ein Gebäude mit einer maskirten Façade, das aber inwendig genau seiner Bestimmung entspricht möchte eher Liebhaber finden, als ein Gebäude mit einer sogenannten reinen Façade, das aber dieser zu Liebe inwendig durchgängig zu hoch oder zu niedrig ist, und dessen Zweck allenthalben durch die griechischen Verhältnisse beeinträchtigt wird.
§. 12.
In Betreffs des  K o s t e n a u f w a n d e s,  welchen die Ausführung des antiken Styls veranlaßt, tritt nicht selten der Fall ein, daß das eigentliche Gebäude weniger kostet, als seine Portiken. In §. 6. ist bereits näher angegeben, daß eine für uns ganz unbrauchbare Halle nach griechischer Art wenigstens  v i e r m a l  so viel kostet, als eine brauchbare ebenso reich verzierte Halle, wobei die Bogenstellung angewendet ist. Sehr im Widerspruche stehen damit die gewöhnlichen Klagen der heutigen Architecten über die pecuniäre Beschränkung bei Ausführung ihrer Entwürfe. Unbegrenzte Summen standen zu keiner Zeit zu Gebot: wenn aber gar für hinderliche Säulen und schwere um das ganze Gebäude herumlaufende Gesimse (wobei man so ganz dunkel zu fühlen glaubt, daß sie sich etwa gut ausnehmen würden) solche Summen verschwendet werden; so behält man freilich nichts mehr übrig, um Gebäude, die vor Allem feuersicher sein sollten, zu überwölben, oder um die dem Anstoßen ausgesetzten Ecken aus Hausteinen auszuführen u. s. w.

Mit der  D a u e r h a f t i g k e i t  steht es nicht weniger schlimm. Die freiliegenden Steinbalken brechen in unseren kalten Wintermonaten sehr leicht, und werden sich auf die Länge sehr schlecht halten, da der Stein durch das Alter mürbe wird. Gegen das Wetter sind aber die im antiken Style erbauten Gebäude so wenig geschützt, daß es Noth thäte, während der rauhen Jahrszeit wieder besondere Gebäude über solche Abkömmlinge eines südlichen Himmelsstrichs zu bauen, wie man die exotischen Gewächse bewahrt. An den vorspringenden Gesimsen kann, wenn nicht allzusehr gegen die antike Profilirung gesündigt werden soll, weder oben für den Fall noch unten für die Abweisung des Wassers durch eine sogenannte Wassernase gehörig gesorgt werden, wie es nach §. 7. erforderlich ist. Daher geht der Bewurf zunächst ober- und unter-halb dieser Gesimse sehr bald zu Grunde, das Wasser dringt leicht in die Stoßfugen ein und treibt die einzelnen Stücke aus einander.

Die antiken Giebelfelder sind so flach, wie unsere Dächer bei Schiefer- oder gar Ziegel-Bedeckung nicht sein dürfen, weßwegen man denn häufig zur Metall-Bedeckung, die leicht das Zehnfache und Zwanzigfache kostet, greifen muß. Da ferner bei der beträchtlichen Tiefe unserer Gebäude und ihrer verhältnismäßig geringen Höhe, wenn sie nämlich im antiken Style gehalten sind, die Dächer allzusehr zum Vorscheine kommen, was natürlich dem Wesen desselben widerstrebt; so nimmt man häufig die Zuflucht zu Plattformen, welche, wenn auch mit Kupfer gedeckt, immerwährender und zwar sehr sorgfältiger Reparaturen bedürfen, sonst wird das darunter befindlichen Holzwerk einem schnellen Untergange zugeführt.

Es ließe sich noch eine Menge ähnlicher Gebrechen anführen; aber am besten sprechen die neueren Gebäude selbst, welche fast ohne Ausnahme schon durch wenige Jahrzehnte in einen solchen Zustand versetzt worden sind, daß sie kaum den Anfang des zweiten Jahrhunderts erleben werden.
§. 13.
Nachdem ausführlich dargethan ist, daß sich mittelst des griechischen Styls die Aufgabe der Architectur für die heutigen Bedürfnisse und das nördliche Clima unmöglich auslösen läßt, und daß alle bisherigen Versuche weder den ersteren richtig nachahmten, noch die letzteren befriedigend lösten, so kehren wir um so zuversichtlicher zu dem Resultate zurück, welches nach §. 6. aus der gegenwärtigen Beschaffenheit der Gestaltungsmomente hervorgeht. Hiernach ist die Haupteigenschaft, welche den neuen Styl von dem griechischen unterscheidet: statt der Horizontal-Üeberdeckung im Steinbau  G e w ö l b - Ü b e r d e c k u n g,  oder statt der antiken Säulenstellung mit horizontalem Gebälke eine  B o g e n s t e l l u n g.  Durch das Letztere wird der Satz anschaulicher, ohne eigentlich an Allgemeinheit zu verlieren: denn die Formen der stellenweisen Unterstützung und deren Überdeckung geben, als die hervortretendsten und constructiv bedeutendsten bei jedem Style den herrschenden Character an; so daß bei der Bogenstellung die Horizontal-Überdeckung in Stein nur eine sehr subordinirte Anwendung findet, d. h: daß sie entweder nur ganz kleinen Weiten von  d r e i  bis  v i e r  Fuß vorkommt, oder ausserdem durch einen darüber befindlichen Bogen von der Einwirkung großer Last befreit wird.

Es möchte nun vielleicht Mancher der an der vollen Zweckmäßigkeit eines solchen Styls nicht mehr zweifeln kann, dennoch sich vorerst recht bequem darthun lassen, daß derselbe auch schön werden müsse. Allerdings wäre es hier nicht am unrechten Orte, aus einander zu setzen, worin die architectonische Schönheit bestehe und worin sie nicht bestehe. Indessen müßte dabei zu viel von Gefühlen gesprochen werden, wodurch diese Abhandlung leicht eine allzu subjective angreifliche Seite erhalten könnte. Denn das Gebiet der Kunstgefühle ist ein chaotisches Reich, worinn sehr viel verjährter schwachköpfiger Eigensinn und wenig Aufrichtigkeit herrscht, weil man hier nie auf Lügen ertappt werden kann; auch kann sich  w i r k l i c h  der Mensch unglaublich viel einbilden zu fühlen: und endlich ist, so leicht sich kalte Reflexionen mit der Zeit in warme Gefühle verwandeln, dieß doch nicht augenblicklich zu erzwingen. Daher wird es am klügsten sein, vor der Hand eine directe Erörterung über den Sitz der Schönheit, worüber so viele verschiedene Meinungen herrschen, zu vermeiden, und blos indirect folgendergestalt zu argumentiren.

Obgleich nicht alles Zweckmäßige schön ist, so kann doch das Zweckwidrige unmöglich als schön angenommen werden, wenn man die Architectur nicht zu einer Art von Crocodillschluß machen will, wo die Unmöglichkeit der genügenden Auflösung schon im voraus in den Prämissen liegt. Demnach müssen sich alle, welche den bisherigen Resultaten nicht widersprechen können, entschließen: dem antiken Style den Abschied zu geben, und wenigstens die  B a s i s  des neuen Styls anzunehmen, woferne sie nicht beweisen können, daß die Bogenlinie absolut häßlich, oder weniger schön als die gerade Horizontallinie sei. Und dieß möchte denn selbst den blindesten Anhängern der Theorie der abstracten Schönheitslinie nicht gelingen: denn hiernach ist bekanntlich die Wellen- oder Schlangen-Linie die schönste, welcher sich die Bogenlinie doch mehr nähert, als die gerade Linie.

Ist aber einmal die Basis des neuen Styls angenommen, so verträgt sich das Weitere mit den verschiedenartigsten Ansichten über Schönheit. Wer dieselbe nur in der Verzierung sucht, und als eine von der Zweckmäßigkeit unabhängige Formenbildung ansieht, wozu die Hauptformen oder architectonischen Elemente nur den Rahmen hergeben; der kann dieß bei der Bogenstellung eben so gut, als bei der antiken Säulenstellung bis zur größten Ueberladung treiben. Nur muß er freilich Gegenstände wählen, die wirkliche Verzierungen sind, und nicht gerade aus blos in Relief erscheinende Pilaster und Gebälke versessen sein - welche ja auch selbst nach seiner eigenen Ansicht nicht schön sein können: denn wenn er den Hauptformen (wozu wohl Gebälke und Pfeiler gehören) da, wo sie wirklich aus dem Zwecke hervorgehen, keine Schönheit zugesteht, so können dieselben Formen blos fingirt doch eben so wenig schön sein, oder die Schönheit müßte als directes Gegentheil des Zweckes definirt werden.

Wer die architectonische Schönheit hauptsächlich in der Symmetrie, Eurythmie und den Verhältnissen sucht, kann sich alles dieß bei der Bogenstellung eben so gut realisiren, als bei der Säulenstellung.

Wer die architectonische Schönheit mehr in dem Zwecke selbst, in dem characteristischen Aussprechen und in der opulenten Erfüllung dieses Zweckes sieht, als in den einzelnen Formen an sich; der wird sich natürlich am ersten zurecht finden.

Um auch die zu Gebot stehende Autorität für den neuen Styl zu vindiciren, so ist seit den letzten Jahrzehnten die mittelalterliche Kunst in ziemlich allgemeinen Credit gekommen; so daß jetzt nicht leicht mehr eine Stimme die Schönheit der selben zu lästern wagt. Nun kann aber eine Bauart, welche vorerst schon die Basis - nämlich vorherrschende Gewölb-Construction - mit der mittelalterlichen gemein hat, und ihr also in keinem Falle sehr unähnlich werden wird, nicht leicht häßlich ausfallen.

Endlich möchte es vielleicht Manchem die Augen öffnen, wenn ich auf eine große Inconsequenz in dem Schönheitsgefühle so Vieler aufmerksam mache. Man hört nämlich selbst die einseitigsten Anhänger der antiken Architectur die eigenthümlichen Formen der ländlichen Gebäude, welche unbefangen aus dem gegenwärtigen Zwecke und aus der natürlichen Construction hervorgegangen sind, als schön preisen. Und dieselben Leute wollen bei Stadtgebäuden durchaus nichts von unbefangener Einwirkung der Gegenwart wissen, sondern gedenken hier die Schönheit durch sklavische Nachahmung einer durchaus fremden Vergangenheit zu erreichen!!
§. 14.
Nachdem die Basis des neuen Styls auf jede Weise begründet ist; so bleibt noch übrig, die  G e s t a l t  d e r  a r c h i t e c t o n i s c h e n  E l e m e n t e  n ä h e r  z u  b e s t i m m e n.  Hierzu greifen wir die Geschichte wieder auf, um zu sehen, welche Gestaltungen das Gewölbe allmälich angenommen, und welchen Einfuß es auf sämmtliche Elemente gehabt hat; und verfolgen dieß bis zur Zeit, wo alle Reminiscenzen der antiken Architectur gänzlich erloschen, und alle Elemente ganz organisch nach dem Gewölbe ausgebildet sind, was in der mittelalterlichen Bauart endlich zu Stande gebracht ist.

Wir haben in §. 9. die römische Architectur als eine Zwitter-Architectur verlassen, worin zwei einander sich ausschließende Constructionsarten - die griechische Säulenstellung und die Bogenstellung -  b e i d e  an  d e r s e l b e n  Stelle erscheinen (siehe Fig. V.). Als später die von den früheren Monumenten abstrahirten Regeln immer mehr veralteten und die Gegenwart freier dominirte; sehen wir das Gebälke in so weit verschwinden, daß nur noch ein kurzes Stück davon gleichsam zur Probe über jeder Säule aus der Wand hervortritt, worauf alsdann das Gewölbe aufsitzt, wie in den Bädern des Diocletian und am sogenannten Friedenstempel. Endlich verschwindet auch dieses, und der Bogen sitzt unmittelbar auf dem Capitäl der Säule auf; welche Construction meines Wissens zuerst an dem Pallaste des Diocletian zu Spalatro vorkommt, sich aber bald allgemein an den ältesten christlichen Kirchen Italiens, namentlich Roms angewendet findet.

Diese Kirchen mußten dem neuen Gottesdienste gemäß die gesammte Gemeinde im Innern aufnehmen, und waren gegen die heidnischen Tempelcellen von außerordentlicher Größe. Sie bilden gewöhnlich ein länglichtes Viereck, dessen Decke durch zwei oder vier Pfeiler-Reihen unterstützt ist, wodurch drei oder fünf Schiffe entstehen. An der vorderen häufig mit einer geräumigen Vorhalle versehenen Querwand brachte man einen oder mehrere Haupteingänge an; hinten wird das Mittelschiff durch eine große Niesche, die das Chor bildet, geschlossen, vor welchem sich der Altar und das Präsbyterium mit den Kanzeln befinden. Die Decke des breiteren Mittelschiffs liegt höher, als die Decke der Seitenschiffe; und in den durch diesen Unterschied entstehenden, auf die Bogenstellung gesetzten Wänden sind Fenster angebracht. Zu den ersten Kirchen wurden die römischen Gerichtssäle, welche Basiliken hießen und eine ähnliche Anordnung hatten, verwendet; daher sich denn der Name  B a s i l i k a  auch auf die eigends gebauten christlichen Kirchen übertrug.

Es waren zur Erbauungszeit derselben zugleich mit der politischen Herrschaft des Heidenthums auch die Schönheitsregeln der antiken Architectur erstorben, so daß man ganz unbefangen mittelst der damals innehabenden Technik auf dem nächsten Wege den Hauptzweck befriedigte: trotz dem Verfalle der antiken Architectur war man in der technostatischen Erfahrung nicht zurückgegangen, und wagte hohe schwere Wände auf eine Reihe dünner Stützen zu stellen. Indessen erhielt diese Bauart manches Heterogene in den Details durch die Anwendung der von antiken Monumenten genommenen einzelnen Theile: namentlich verwendete man als Stützen die einmal in Menge vorhandenen, aus trefflichen Steinarten bestehenden antiken Säulen, welche man der Räumlichkeit halber so weit als man für sicher hielt, aus einander stellte und mit Bogen aus Backsteinen, dem damals allgemein angewendeten Baumateriale, verband. Es gibt nur wenige Ausnahmen, wo man statt der Bogen, Architravbalken welche gerade vorhanden waren, anwendete. Diese leichte Bogenstellung trug die Wand, worauf die Decke des Mittelschiffs auflag, und worin die ebenfalls mit Bogen über spannten Fensteröffnungen befindlich waren. Letztere wurden statt der Glasscheiben gewöhnlich mit dünnen Marmorplatten, worin sich wieder kleinere wahrscheinlich mit einem ganz durchsichtigen Materiale versehene Löcher befanden, geschlossen. In einigen Basiliken werden die Schiffe durch doppelte, über einander stehende Bogenstellungen getragen, und die obere derselben bildet Emporbühnen. Die Decke wurde aus Holz construirt und zwar sehr einfach, indem sie mit der Dachbedeckung (die noch jetzt in Italien sehr sorgfältig mit einer doppelten Ziegellage verwahrt wird) eins und dasselbe war, so daß alles Balkenwerk der ganzen Dachrüstung zum Vorscheine kam.

Unter den mir bekannten Kirchen, welche in dem eben beschriebenen  B a s i l i k e n - S t y l e  erbaut sind, ist diejenige der  h e i l.  B a l b i n a  auf dem Aventin zu Rom die einzige, wobei keine antike Fragmente verwendet sind, und woran der Gewölbstyl ganz rein und in seiner einfachsten Gestalt erscheint. Diese Kirche von mäßiger Größe hatte ursprünglich drei Schiffe, deren Unterstützungspfeiler gleich den darauf befindlichen Bogen und Wänden aus Backsteinen bestehen, und viereckig und ziemlich dick sind; daher sie auch weiter aus einander stehen, als die antiken Säulen in den übrigen Basiliken. Die hierüber sich erhebenden Wände sind da, wo ein Durchzug der Decke oder vielmehr ein Bundgespärre aufliegt durch Wandpfeiler, welche nach außen vorspringen, verstärkt. Die Fenster sind fast ebenso weit, als die Öffnungen der Bogenstellung. Das Kranzgesimse des Langhauses ist mit kleinen Kragsteinen verziert, dasjenige des Chors wird durch mehrere Schichten von verschiedenartig gelegten Backsteinen gebildet, wie dieß in diesem Style gewöhnlich vorkommt.

Eine von der eben beschriebenen abweichende Art von christlichen Kirchen bildete sich im oströmischen Reiche. Hier erlaubte der günstigere politische Zustand einen größeren Aufwand, daher begnügte man sich nicht mit einer hölzernen Decke, sondern überwölbte das Innere durchgängig. Man wählte das Kuppelgewölbe, welches insoferne sehr vortheilhaft ist, als es ganz ohne eigentliche Rüstbogen verfertigt werden kann und keiner so dicken Widerlagmauern bedarf als das Tonnengewölbe von gleicher Spannung. Hiernach wurde der mittlere Theil der Kirche kreisförmig angelegt und erhielt vier Anbaue, so daß das Ganze kein längliches Viereck, wie bei den Basiliken, sondern ein gleicharmiges griechisches Kreuz bildete, in dessen Armen jedoch gewöhnlich, wie bei den Basiliken, Bogenstellungen angebracht waren. Das erste und zugleich größte in diesem  a l t b y z a n t i n i s c h e n  S t y l e  errichtete Gebäude war die Sophienkirche zu Constantinopel, welche alsdann vielen anderen zum Muster diente, und selbst von den Mohamedanern nachgeahmt wurde, in deren Bauart noch jetzt die Kuppeln eine Hauptrotte spielen.

So richtig auch die Anordnung und Gestaltung des altbyzantinischen Styls im Allgemeinen war; so kam doch dadurch ein großer Wirrwarr in denselben, daß man anfangs viele antike Fragmente benutzte und alsdann später ihre Formen mechanisch nachahmte. In dem ärmlicheren Basiliken - Style des westlichen Reichs, wo die größte Einfachheit herrscht und die architectonische Verzierung sehr sparsam erscheint, konnte dieß nicht so viel einwirken. Aber der Reichthum des östlichen Reichs wurde wie in der Hand eines Kindes dazu mißbraucht, die Hauptformen gleich einer Musterkarte mit Verzierungen zu bekleben, wozu man namentlich die Säulen nahm, welche sich an den antiken Monumenten in Menge und meist aus sehr kostbarem Materiale vorfanden. Dieselben konnten nicht zur Unterstützung der großen Kuppeln und Gewölbe dienen, wie dieß die leichten Holzdecken der Basiliken zuließen; sondern sie wurden häufig zu ganz überflüssigen Bogenstellungen, zwischen den schweren Pfeilern und Gewölben, verwendet. Wenn die Schafte nicht lang genug waren, so setzte man mehrere auf einander (daher sich wohl die spätere ringartige Verzierung schreibt), oder legte noch ein Stück Gebälke zur Erhöhung auf, oder zerrte den gemauerten Bogen in die Höhe: oft kuppelte man zwei bis vier Säulen neben einander, ja an der Marcuskirche zu Venedig sind je vier kleinere Säulen auf eine größere gestellt. Am meisten bespickte man aber, um die großen Wandflächen, worin sich nur kleine Fenster befanden, zu füllen, das Äußere der Gebäude mit Säulchen, welche durch Bogen unter sich verbunden kleine Gallerien bilden, die jedoch meist so schmal sind, daß kaum ein Mensch dahinter Platz findet und die häufig gar keinen Zugang haben. Es finden sich Gebäude, deren ganze Façade aus lauter solchen über einander stehenden Gallerien besteht. Diese kleinen Säulen haben hier ganz andere Verhältnisse, als da, wo sie in größeren Dimensionen vorkommen: besonders sind Capitäl und Base gegen den Schaft sehr groß, weil wohl sonst deren Verzierungen sehr unsichtlich geworden wären; und das Capitäl ladet sich sehr weit aus, um das verhältnißmäßig sehr schwere Bogenstück aufzunehmen. Das letzte Verhältniß mag daher rühren, weil die Säulenschafte ursprünglich aus sehr festem Materiale bestanden.

Indessen finden sich auch sehr einfache Gebäude in Griechenland und Italien, deren Elemente namentlich von dem störenden Einflusse der antiken Architectur ziemlich befreit sind. So sieht man z. B. an einer Cisterne zu Constantinopel, welche wohl aus einem späteren Jahrhunderte stammt und von den Türken die tausend Säulen genannt wird, sogar ganz unverjüngte schlanke Säulen mit dem an den späteren Gebäuden des Westens so häufig vorkommenden Würfelcapitäl, welches ein ähnlicher einfacher Übergang aus dem Runden ins Viereckige ist; wie das griechisch-dorische Capitäl.
§. 15.
Die Gebäude des altbyzantinischen Styls weichen zwar von jenen des Basiliken-Styls der Haupt-Anordnung und Gestalt nach ab, aber die Elemente beider sind eigentlich nicht von einander verschieden. Und wie auch selbst früher in Betreff der Länder keine strenge Trennung wahrzunehmen ist, so finden sich bei den Kirchen, welche im westlichen Europa vom zehnten Jahrhunderte an in dem sogenannten  n e u g r i e c h s c h e n,  v o r g o t h i s c h e n -  o d e r  R u n d b o g e n - S t y le  erbaut wurden, gewöhnlich beide Anordnungen mit einander vermischt. Sie haben Kuppeln, bilden aber kein griechisches Kreuz mit vier gleichlangen Armen, sondern ein lateinisches Kreuz; indem durch den einen bedeutend verlängerten Arm ein Langhaus, gleich einer Basilika, entsteht, welches durch zwei Pfeilerreihen in drei Schiffe getheilt ist. Die Decke dieses Langhauses wurde früher noch häufig aus Holz construirt, aber später gewöhnlich mit Kreuzgewölben überwölbt. In dem ersten Falle stehen die Pfeiler, welche die Wände des Mittelschiffs, das immer höher ist als die Seitenschiffe, tragen, näher beisammen, wie in den Basiliken; und sind bald viereckig, bald sind es runde Säulen.

Im zweiten Falle stehen die Pfeiler weiter aus einander, und sind dagegen um so dicker, weil sie dem auf sie allein reducirten Seitendrucke der Kreuzgewölbe begegnen müssen. Der Kern dieser Pfeiler ist gewöhnlich viereckig und so dick, als die darüber sich erhebende Wand des Mittelschiffs. An der hinteren Seite des Pfeilers springt eine Halbsäule vor, worauf sich die Rippen der über dem Seitenschiffe befindlichen Kreuzgewölbe vereinigen, und zu demselben Zwecke befindet sich auf der andern Seite des Seitenschiffs ein ähnlicher Vorsprung an der Wand. Die Glieder an der Capitälplatte dieser Halbsäule, oft die ganze Capitäl-Verzierung ziehen sich um alle Seiten des Pfeilers herum. Da wo im Mittelschiffe die Rippen der Kreuzgewölbe, welche letztere fast immer doppelt so groß sind als jene in den Seitenschiffen, und also immer einen Pfeiler überspringen, zusammen treffen; tritt an der vorderen Pfeilerseite ebenfalls eine Halbsäule hervor, welche sich aber über dem Capitäl oder Kämpfer des Pfeilers auf der darüber befindlichen Wand bis zum Vereinigungspuncte der Rippen fortsetzt. Diese halbsäulenförmigen Vorsprünge oder Wandpfeiler, welche die Rippen der Kreuzgewölbe unterstützen, sind keineswegs mit den nichts tragenden Halbsäulen oder Pilastern der antiken Architectur in eine Categorie zu setzen.

An der äußeren Wandfläche treten da, wo inwendig die Rippen oder Gräthe der Kreuzgewölbe anstoßen und auf welche Puncte sich aller Seitendruck der Gewölbe allein reducirt, Strebepfeiler vor, welche gleiche Breite und gleichen Vorsprung beibehaltend bis an das Hauptgesimse reichen. Das letztere wird längs den Zwischenweiten derselben durch Reihen kleiner Bogen getragen, welche gerade so viel als die Strebepfeiler vorspringen, und für den Dachrand eine gerade Linie herstellen. Ursprünglich sind diese Bogen aus der Construction hervorgegangen, wie wir an alten Burgen sehen, wo sie zur Unterstützung der vortretenden Zinnen bestehen, und aus kleinen Steinen meist Backsteinen gemauert sind; so daß dadurch der Vortheil erlangt wurde, auf die ganze Länge nur wenige große Steine, nämlich die Kragsteine, worauf die Bogen aufsitzen, zu brauchen. Nachher behielt man auch da, wo diese Bogen kleiner vorkommen und alles aus Quadern besteht, dieselben bei. Übrigens finden sich auch andere zum Theil sehr reich verzierte Formen angewendet. Nahe unter dem Hauptgesimse des Langhauses, des Chores, der Kuppel und der Thürme zieht sich häufig eine von kleinen Säulen getragene Bogenstellung oder Gallerie hin, wie wir sie an den Gebäuden des altbyzantinischen Styls im Ueberflusse sehen. Dieselbe wird natürlich immer durch die bis zum Hauptgesimse reichenden Strebepfeiler unterbrochen, und nimmt eigentlich den zwischen der senkrechten äußeren Wand und dem inneren Deckengewölbe entstehenden leeren Raum ein.

Die Fenster sind durchgängig mit Bogen überspannt, und sind meist sehr lang gegen ihre Breite; doch kommen auch nicht selten ganz runde Fenster oder Rosen und selbst halbe Rosen vor. Damit das Fenster nach seiner Größe möglichst viel Licht einlasse; so erweitern sich von der Glasfläche an nach außen und nach innen die Fenster-Leibungen, welche entweder ganz glatte Flächen darbieten, oder mit verschiedenen Gliedern verziert sind, doch so daß diese nicht vor der Wandfläche vorstehen. An denjenigen Fensteröffnungen, welche nicht mit Glas geschlossen, sondern offen gelassen wurden, und weniger zur Erhellung des Innern dienen, erweitert sich die Leibung nicht. Es sind hier meist zwei Öffnungen zusammen gekuppelt; so daß sich deren Bogenüberspannungen auf einen gemeinschaftlichen Pfeiler, oder häufiger auf eine Säule (auch zwei nach der Dicke der Wand hinter einander stehende Säulen) stützen. Selbst drei Fensteröffnungen finden sich auf diese Weise zusammen gekuppelt; und über dieselben ist häufig ein größerer Bogen gesprengt, um von den kleinen Säulen die Last der darüber befindlichen Wand zu entfernen.

Die Eingänge, besonders die Haupteingänge sind mit sehr breiten reich verzierten Einfassungen geschmückt, welche sich gleichsam zum Eintritte einladend von der weit zurückliegenden Thürfläche an (viel mehr, als die Fenster-Leibungen) nach außen erweitern. Die äußerste Einfassung tritt häufig etwas über die Wandfläche vor, und erhält dann oben eine kleine Verdachung. Weil sich ein viereckiger hölzerner Thürflügel leichter construiren, und ohne weitere Vorkehrungen beim Öffnen bis an die Leibung zurückschlagen läßt; so ist die engste Einfassung oder das eigentliche Thürgewand oben nach einer geraden Linie überdeckt: um aber hievon alle fremde Last abzuwenden, sprengt sich darüber ein Bogen hin, welchen alle Glieder der erwähnten Einfassungen concentrisch befolgen. Der dadurch über der Thüre entstehende leere Halbkreis ist, wenn er nicht als Fenster dient, durch eine Steinplatte, worauf Bildhauerei angebracht ist, geschlossen.

Die seit dem Gebrauche der Glocken errichteten Thürme sind im Vergleiche mit der Höhe des Langhauses und der Kuppel gewöhnlich nicht sehr hoch, aber in großer Anzahl vorhanden. Sie sind mit kleinen, nach der eben beschriebenen Art gekuppelten Fenstern durchbrochen, bestehen aus vielen nicht sehr hohen Stockwerken (nach der Zahl der über einander folgenden Fenster und herumlaufenden Gurten gerechnet), haben eine runde oder viereckige Grundform, und sind in der Regel mit ganz steinernen nicht sehr hohen Dachspitzen versehen. Die Dachfläche des Langhauses und der Kreuzarme ist meist in einem Winkel von 45 Grad geneigt.

An den in diesem Style errichteten weltlichen Gebäuden finden sich ebenfalls häufige offene, durch Säulchen unterstützte Gallerien und durchgängig überwölbte, meist sehr kleine Fenster angewendet.
§. 16.
Diese Eigenschaften, insoweit sie hier detailirt wurden, haben wohl alle im westlichen Europa befindliche Denkmahle des Rundbogen-Styls mit einander gemein; allein in der specielleren Gestaltung der architectonischen Elemente weichen sie sehr von einander ab. In der Regel finden sich später die Elemente immer mehr eigenthümlich nach der gegenwärtigen Gewölb-Construction ausgebildet, als früher; und die Übertragungen aus dem altbyzantinischen oder vielmehr antiken Style in den Details verlieren sich immer mehr. Auch wird die Construction kühner, indem die Gewölbe weiter gesprengt, mit weniger Masse zu Stande gebracht, und indem deren Unterstützungspfeile oder Säulen schlanker gehalten werden. Indessen verdienen nicht selten in dieser Hinsicht ältere Denkmahle den Vorzug vor späteren, welche von unselbständigen Baumeistern, die die Principien ihrer Lehrer gedankenlos wiederkäuten und falsch anwendeten, gebaut wurden.

Sind nun selbst hinsichtlich der objectiveren Seite der Architectur, nämlich der Gestaltung und Ausbildung der Elemente, die Denkmahle von sehr verschiedenem Kunstwerthe, je nachdem sie von besseren oder schlechteren Baumeistern (deren jeder Zeit die meisten waren) herrühren; so gilt dieß noch weit mehr hinsichtlich der Anordnung des Ganzen, der Zusammenstellung der einzelnen Theile und der Verzierung. An vielen Gebäuden herrscht eine wahrhaft gedankenlose Zufälligkeit: es sind Fenster, Gallerien, Gesimse ganz bunt durch einander angebracht, ohne die geringste Beziehung auf einander; so daß man glauben möchte, es hätten mehrere Baumeister, deren keiner von dem anderen etwas gewußt, zugleich daran gebaut. Dagegen finden sich wieder viele Gebäude, welche in Bezug auf einfache Anordnung zu den gelungensten Kunstwerken gehören, und mit den griechischen Monumenten wetteifern. Überhaupt herrscht in mancher Beziehung in dem Rundbogen-Style derselbe Geist, welcher den griechischen Styl belebt: viele glatte Wände, welche bei vorhandenen Mitteln nicht mit überflüssigen Gesimschen, Leisten u. d. gl. überfüllt sind, sondern vielmehr durch eine schöne sorgfältige Quaderconstruction imponiren. Die Verzierung bleibt meist nur Bekränzung, nicht Bedeckung der wesentlichen Theile; die Glieder und einzelnen Verzierungen sind gegen die Theile, welche sie bekränzen, sehr klein gehalten, was den Character von zierlicher Größe und Nüchternheit hervorbringt.

In der höchsten Ausbildung erscheint der Rundbogen-Styl an der zu Ende des zwölften Jahrhunderts erbauten Kirche der  B e n e d i c t i n e r - A b t e i  L a a c h  ohnweit Coblenz. Hier sind die Pfeiler der Schiffe so schlank und so weit aus einander gestellt, wie in den späteren Kirchen des Spitzbogen-Styls. Die ganze sehr große Kirche mit fünf Thürmen, einer Kuppel und einem Vorhofe ist nach  e i n e m  Plane in der sorgfältigsten Quaderconstruction wie aus einem Gusse aufgeführt. Alle Verzierungen, welche so häufig unbegreiflich plump angetroffen werden und die Denkmahle dieses Styls eher verschänden als verschönern, sind hier mit vorzüglichem Geschmacke gedacht und ausgeführt. Ich muß diese Kirche für die schönste erklären, die ich je gesehen; und wenn mir auch hierin vielleicht nicht Jeder beistimmt, so wird er doch zugeben, daß dieselbe im Rundbogen-Style das Höchste ist, wie dieß die pericleischen Monumente im griechischen Style sind. Leider befindet sich diese Kirche bereits in dem traurigsten Zustande, so daß sie, wenn nicht das Dach reparirt und einige Schlaudern eingezogen werden (was einen sehr geringen Kostenaufwand erfordern würde) in wenigen Jahren zusammen stürzt. Glücklich würde ich mich schätzen, wenn vielleicht diese Zeilen veranlaßten, daß Se. Majestät der  K ö n i g  v o n  P r e u ß e n,  welcher so viel für die Erhaltung mittelalterlicher Kunstwerke thut, auch dieses dem nahen Untergange entrisse !
§. 17.
Mit dem dreizehnten Jahrhunderte erscheint der sogenannte  n e u g o t  h i s c h e  oder  a l t d e u t s c h e  Styl, worin die Bogen und Gewölbe nicht mehr nach einem Halbkreise oder Rundbogen, sondern nach einem aus zwei Kreisstücken zusammengesetzten sogenannten Spitzbogen gebildet sind - daher die Benennung  S p i tz b o g e n - S t y l am passendsten ist - worin ferner alle Theile sehr leicht gehalten und auffallend in die Höhe gezogen sind. Durch diese dem älteren Style fremden Eigenschaften, deren Ursprung hier dahin gestellt bleiben kann, und durch die eigenthümliche Art der Verzierung, welche besonders in einer spitzenartigen Durchbrechung und Auszackung besteht, unterscheidet sich der neuere Styl allerdings sehr bestimmt von jenem. Doch ist der Unterschied nicht so wesentlich als er bei oberflächlicher Betrachtung erscheint, da in der Construction und Zusammenstellung der Elemente dasselbe Princip beibehalten ist. Auch ist in der Übergangszeit, wo sich oft beide Style an demselben Gebäude in einander verschmelzen, der Spitzbogen noch nicht so spitz und von dem Rundbogen abweichend; und ebenso ist die Leichtigkeit, Durchbrochenheit und das Emporstrebende nicht gleich anfangs in dem Maße vorherrschend, als dieß der Spitzbogen-Styl in seiner späteren Ausbildung zeigt.

Die Kirchen sind, wenige Ausnahmen abgerechnet, alle mit Kreuzgewölben überdeckt, so daß deren Seitendruck auf einzelne Puncte reducirt wird. Die stark vorspringenden Gewölbrippen, welche von den Pfeilern oder Säulen gleich Ästen von dem Stamme ausgehen, sind hier in größerer Anzahl vorhanden als im Rundbogen-Style: sie durchkreuzen sich auf mannichfache Weise, die Gewölbfläche in kleinere Felder abteilend, deren jedes wieder für sich ein ganz flaches gegen die Rippen gestütztes Gewölbe, das gewöhnlich außerordentlich dünne ist, ausmacht. Die Grundgestalt der Pfeiler ist mannichfach - oft ein Viereck, oft ein Achteck und überhaupt ein Vieleck, oft ein Kreis. In den reicheren Kirchen bildet der Pfeiler ohngefähr ein nach der Diagonale gestelltes Viereck, dessen Seiten mit so vielen Säulen umgeben sind, als oben Gewölbrippen davon ausgehen; so daß derselbe einem Büschel von unendlich schlanken Säulen gleicht, die jedoch nicht wirklich frei stehen sondern hinten mit dem Kerne des Pfeilers zusammenhängen. Wenn die Seitenschiffe niedriger sind, als das Mittelschiff, was meist der Fall ist; so hört die größere Anzahl dieser Säulen da auf, wo die ihnen correspondirenden Rippen des Deckengewölbes des Seitenschiffs und die Glieder der Bogen, auf denen sich die Wände des Mittelschiffs erheben, aufsitzen, und ist daselbst mit Capitälen verziert. Aber die Säulen, welche für die Rippen des höheren Mittelschiffs bestimmt sind, laufen weiter an dessen Wänden in die Höhe bis zum Anfange dieser Rippen.

Die Wände sind sehr dünne, und werden durch die Strebepfeiler gehalten, welche deßwegen mehr als im Rundbogen-Style vor die Wandfläche vortreten, und sich auf verschiedene Weise endigen. Entweder verbinden sie sich, wie im Rundbogen-Style, mit dem Hauptgesimse, was man namentlich in Italien fast durchgängig antrifft; oder sie hören schon unter dem Hauptgesimse auf, und haben eigene Verdachungen; oder sie ragen über den Dachrand hinaus, und endigen sich in verzierte Spitzen. Von den Strebepfeilern der äußeren Wände der Seitenschiffe sind gewöhnlich steigende Bogen gegen die auf den inneren Kirchenpfeilern stehenden Wände des höheren Mittelschiffs hinauf gesprengt, wodurch der Seitendruck der Gewölbe des Mittelschiffs ebenfalls auf die Strebepfeiler der Seitenschiffe reducirt wird. Das Hauptgesimse, welches im Wesentlichen aus einer großen, häufig mit Blättern verzierten Hohlkehle besteht, verkröpft sich um jeden darüber hinausragenden Strebepfeiler und das Dach ist etwas zurückgesetzt, so daß zwischen demselben und der auf dem Rande des Hauptgesimses befindlichen Brüstung ein schmaler Gang entsteht, worauf das vom Dache herabströmende Wasser in eingehauenen Rinnen zusammen geführt und stellenweise durch Kändel ausgegossen wird.

Die sehr hohen Thürme sind unten meist viereckig und gehen weiter oben ins Achteck über: ihre Dächer bilden spitze achteckige Pyramiden, die an den reicheren Kirchen immer aus Stein construirt sind. Alle übrigen Dachungen und Giebel sind ebenfalls sehr hoch und steil.

An vielen Kirchen sind die Fenster so groß, daß sie allen Raum zwischen den Strebepfeilern einnehmen. Die häufigen steinernen Fensterfüllungen, welche sich mannichfach unter sich verbinden und durchkreuzen, und die farbigen Glasscheiben lassen dem Innern dieser Kirchen trotz den großen und vielen Fenstern dennoch nur ein sehr gedämpftes Licht zukommen. Die Kirchenfenster sind meist sehr in die Höhe gezogen und mit Spitzbogen überdeckt, doch gibt es auch ganz runde Fenster oder Rosen und solche, die mit einem flachen Kreisabschnitte überdeckt sind. An den schmäleren Fenstern der Wohngebäude finden sich gewöhnlich gerade Sturze angewendet; und es sind hier häufig zwei bis drei Fenster zusammen gekuppelt. Die Leibungen erweitern sich gleich jenen des Rundbogen-Styls nach außen und sind oft mit vielen Gliedern verziert, welche nicht über die Wandfläche vorstehen. Die Haupteingänge sind ebenfalls wie im Rundbogen-Style gestaltet, nur ist statt des Halbkreises immer der Spitzbogen angewendet. Bei kleineren Thüröffnungen finden sich häufig gerade Sturze, ohne daß ein Bogen darüber gesprengt ist; doch ist meist die freie Spannung des Sturzes durch zwei Kragsteine, welche unmittelbar darunter in die Weite der Thüre herein springen, verringert.

Die große Anzahl der von allzu handwerksmäßigen Baumeistern herrührenden Gebäude (woran selbst noch viel mehr Unordnung als an den verwirrtesten Gebäuden des Rund bogen-Styls herrscht, da so manches willkührlichere Gesimschen u. dgl. um so leichter dazu verführte) abgerechnet; so muß gewiß Jeder die besseren, worunter namentlich der Kölner Dom obenan steht, als Kunstwerke von der höchsten Schönheit anerkennen - einem auf das Feinste ausgefeilten Gedichte vergleichbar, worin auch bei keiner Sylbe die geringste Kakaphonie laut wird. Jedoch herrscht, wie der Unbefangene sich nicht verhehlen kann, gewöhnlich eine große Überladung, da namentlich äußerlich die wesentlichen Formen des eigentlichen Gebäudes unter der Unzahl von Verzierungen gar nicht mehr durchscheinen; es herrschet eine zu weit getriebene Durchbrochenheit, da selbst die Thurmdächer ganz durchlöchert sind, so daß darunter andere eigentliche Dächer angebracht werden mußten; es sind manche Formen bereits ganz conventionell angewendet, indem z. B. sehr häufig falsche Wasserkändel und nicht selten blinde Giebel und Fenster vorkommen. Der Rundbogen-Styl steht gegenüber, wie ein  v o r-raphaelisches Bild einem  n a ch-raphaelischen: in ersterem stört zwar häufig die mangelhafte Zeichnung, aber in letzterem, wo diese Seite kaum etwas zu wünschen übrig läßt, sucht man dagegen vergebens die rührende Schlichtheit des ersteren.

Indessen  b e l e h r e n  wir und vielmehr durch nähere Betrachtung der unbestreitbaren Vorzüge des Spitzbogen-Styls - der bis ins kleinste Detail  d u r ch g e f ü h r t e n,  o r g a n i s ch  n a ch  d e r  G e w ö l b - C o n s t r u c t i o n  v o l l e n d e t e n  A u s b i l d u n g,  welche dadurch erlangt ist, daß die im Rundbogen-Style hie und da noch  s t ö r e n d e n  R e m i n i s c e n z e n  d e r  a n t i k e n  A r c h i t e c t u r  allmälig ganz  a u s g e s c h i e d e n  sind.

Zuerst  v e r s c h w i n d e t  d i e  V e r j ü n g u n g  d e s  S ä u l e n s ch a f t e s,  welche selbst schon im Rundbogen-Style meist fehlt. Die konische Gestaltung des Schaftes, welche demselben einen festeren Stand gibt, gehört einer früheren Stufe von technostatischer Erfahrung an, worüber der kühne Gewölb-Styl längst hinaus ist. Dieselbe verträgt sich nicht mit der hier gefoderten Geräumigkeit; oder wenn man den unteren größeren Durchmesser des Schaftes als den nothwendigen annimmt, so wird durch die Verringerung des oberen, die Spannung des bis zur nächsten Säule reichenden Gewölbes zwecklos vergrößert. In den meisten Fällen aber kann auf einen für sich hinlänglichen Widerstand der Säule gegen den verhältnißmäßig großen Seitendruck des Gewölbes gar nicht mehr gerechnet werden, wie in der griechischen Architectur auf den Widerstand der Säule gegen Erdbeben oder dergleichen zufälligen Seitendruck Rücksicht genommen wurde; sondern die Säule hat, indem sich der Seitendruck der von mehreren Richtungen kommenden und auf ihr aufsitzenden Bogen gegenseitig aufhebt, nur mit ihrer  r ü c k w i r k e n d e n  F e s t i g k e i t  zu tragen, welche nichts weniger als eine Verstärkung des  u n t e r e n  Durchmessers verlangt.

Ferner finden sich die Bogen solcher Gestalt profilirt, daß sie da, wo sie auf dem Pfeiler aufsitzen,  n i r g e n d s  b e d e u t e n d  ü b e r  d i e  G r u n d g e s t a l t  d e s  P f e i l e r s  h i n a u s s t e h e n.  Denn ein ganz freies, nicht durch Tradition befangenes Streben nach Zierlichkeit, welche einen viereckigen Pfeiler (Fig. VII.) durch  A b f a s u n g  der Ecken in einen achteckigen oder runden verwandelt, muß an dem auf dem Pfeiler aufsitzenden Bogen ebenso dieselbe Abfasung oder wenigstens eine homogene Profilirung fortsetzen, wie bei Fig. VI.; damit der Bogenanfang über Eck angesehen nicht so sehr über den Pfeiler hinausstehe, wie Fig. VIII. zeigt, was bei der großen Belastung wirklich gebrechlich ist. In dem Rundbogen-Style findet sich dieß (etwa wenige Ausnahmen abgerechnet) noch nicht beobachtet, sondern die Art des altbyzantinischen oder Basiliken-Styls ist beibehalten, wo rohe aus Backsteinen gemauerte scharfkantige Bogen auf den runden zu Stützen verwendeten antiken Säulen sitzen, wodurch sich denn das Auge an diese Formen-Zusammenstellung gewöhnte, ohne den Mangel an Übereinstimmung zu fühlen.

Hiernach wurde denn die  C a p i t ä l p l a t t e  statt viereckig ebenfalls  v i e l e c k i g  gestaltet, so wie auch die Füße oder Basen der Pfeiler, wo das zu stark über das Runde hinaustretende Viereck die Geräumigkeit beeinträchtigt. Das  C a p i t ä l  l a d e t  s i ch  w e n i g  a u s,  weil dasselbe nicht mehr, wie in der antiken Architectur die freie Spannung des Architravs verringert und einen wesentlichen statischen Dienst versieht; sondern hier nichts zu unterstützen hat und eigentlich mehr eine Verzierung ist: daher fehlen Capitäl oder Kämpfer häufig ganz.

Der Giebel in der antiken Architectur wird nicht allein an den schrägen Seiten durch das Hauptgesimse begrenzt, sondern dasselbe läuft auch horizontal darunter hin (siehe E bei Fig. IV.). An den griechischen Monumenten ist das Letztere dadurch motivirt, daß es die Statuen des Giebelfensters trägt: sobald aber dieser Zweck wegfällt, wie gewöhnlich in der römischen Architectur; so ist es ein verwerflicher Pleonasmus, zwei gleich stark ausgeladene Hauptgesimse so nahe an einander anzubringen. In dem altbyzantinischen, dem Basiliken- und dem Rundbogen-Style findet sich dieser Fehler, welcher zwar bei der viel geringeren Ausladung der Gesimse nicht so sehr in die Augen tritt, sehr oft begangen; aber in dem Spitzbogen-Style ist er fast durchgängig vermieden: indem das  K r a n z g e s i m s e,  sobald es an den schrägen  G i e b e l s e i t e n  h i n a u f l ä u f t,  u n t e n  f e h l t;  oder indem, wenn dasselbe horizontal unter dem Giebel hinzieht, die schrägen Giebelseiten auf eine andere Weise begrenzt sind. Außerdem haben, was auch schon (wie eben gesagt) früher beobachtet ist, die Gesimse überhaupt eine  g e r i n g e r e  A u s l a d u n g,  als in dem griechischen Style, wo deren große Ausladung wohl eine Reminiscenz der Holz-Construction ist. Bei der specielleren Profilirung der Gesimse, welche im Rundbogen-Style jener der flachen römischen Gesimse noch ziemlich gleicht, ist an den im Norden befindlichen Denkmahlen des Spitzbogen-Styls immer der  F a l l  und die  A b w e i s u n g  des  W a s s e r s,  und zugleich durch tiefere Aushöhlung der Gesims-Glieder der Effect für das Auge besser berücksichtiget.

Endlich kann noch hierher gezählt werden; daß der Spitzbogen-Styl den in die Höhe strebenden Character der Thürme besser erfassend, dieselben nicht durch Aufeinanderstellen vieler niedriger Stokwerke, sondern durch wenige aber desto höhere Stokwerke und Fenster bildet.
§. 18.
Die in den vier vorigen §. §. enthaltene Darstellung der verschiedenen auf einander folgenden Gewölb-Style hat uns die Grundsätze, welche den architectonischen Elementen des neuen Styls ihre genauere Gestaltung geben müssen, so bestimmt vorgezeichnet, daß wir nicht leicht irren können.

Bei der aus Stein bestehenden  P f e i l e r - Ü b e r s p a n n u n g  kann, wie bereits in §. 6. dargethan wurde, von der Construction aus  e i n e m  S t ü c k e  nach Art des antiken Gebälkes nicht mehr die Rede sein. Dieselbe muß immer  g e w ö l b t  und nach einer  B o g e n l i n i e  gebildet werden; da die Pfeiler oder Säulen, welche bei der Deckenunterstützung im Innern und im Äußern (an der offenen Seite der Hallen) angewendet werden, natürlicher Weise immer möglichst weit, selbst bei dem beschränktesten Raume wohl über  s e ch s  Fuß von einander entfernt stehen. Wollte man statt des halbkreisförmigen Bogens den Spitzbogen wählen, so müßte eben so gut ein organischer Styl entstehen: indessen wird sich bald Jeder durch die Ausübung überzeugen, daß die stark in die Höhe strebenden Verhältnisse des Spitzbogen-Styls unseren Anforderungen nicht entsprechen, welche nicht selten eher zu dem Gegentheile, der Anwendung des gedrückten Bogens oder des Kreisabschnitts führen. In manchen Fällen mag jedoch der Spitzbogen den Vorzug verdienen. Die Kettenlinie ist nur bei Deckengewölben und zwar bei solchen mit Vortheil anzuwenden, welche durchgängig gleich dick gehalten und an denjenigen Puncten, wo der Kreisbogen am schwächsten ist und nach außen auszuweichen strebt, nicht hintermauert werden sollen. Wenn die Decke aus Holz besteht; so sitzen auf einem Pfeiler nur zwei Bogen auf (siehe Fig. I.), deren Leibungen  z u s a m m e n  ein mit der Grundgestalt des darunter befindlichen Pfeilers oder der Säule gleichartiges Profil erhalten müssen, wie aus dem vorigen §. hervorgeht. Die zwischen je zwei Bogen sich ergebenden Zwischenräume sind bei einem einstökigen Gebäude nur so hoch auszumauern, daß die Decke und an der äußeren Seite das Hauptgesimse ein gerades horizontales Auflager finden. Bei einem mehrstökigen Gebäude wird entweder auf die untere Bogenstellung eine zweite gestellt, für welche alsdann die Decke der ersten als Boden dient; oder es wird auf die Bogenstellung eine Wand gesetzt. Dieselbe muß natürlich gleich einer auf dem Boden stehenden Wand eine zu ihrer Höhe und freien Länge verhältnismäßige Dicke erhalten, welche letztere dem tragenden Bogen ebenfalls zu Theil wird. Je weiter der Bogen gespannt, je flacher und je mehr belastet er ist; desto beträchtlicher muß seine Dicke (welche nicht mit feiner nach der Dicke der Wand gerichteten Tiefe oder Leibung zu verwechseln ist) sein, und desto mehr Seitendruck übt er auf seine Widerlagen aus.

Die  a u s  H o l z  c o n s t r u i r t e  D e c k e  muß ihrer natürlichen Gestalt nach eine  g e r a d e  und keine gebogene Fläche bilden. Welche verkehrte Welt, daß man häufig Mühe und Material verschwendet, um hölzerne Decken nach einem Bogen zu gestalten, während man dagegen bei der Überdeckung in Stein den Bogen durch gerade Architrave zu umgehen sucht! Der natürlich Fühlende wird keinen störenden Contrast zwischen einer geraden Decke, die aus Holz construirt ist, und den bogenförmigen Pfeiler-Überspannungen, die aus Stein construirt sind, finden: er wird einer gewölbten Decke nicht wegen der mit den Pfeifer-Überspannungen gleichen Form, sondern wegen der größeren Dauerhaftigkeit und Opulenz den Vorzug geben. Bei einer  s t e i n e r n e n  D e ck e  sind alle verschiedenen Arten von Gewölben mit und ohne vorspringende Rippen oder Gurten, deren Aufzählung und Beschreibung zu umständlich ist, anzuwenden: je nachdem bald die eine, bald die andere dem zu überwölbenden Raume am angemessensten, oder aus sonstigen Rücksichten vorzuziehen ist.

Die  G r u n d g e st a l t  d e s  P f e i l e r s,  worauf die bogenförmigen Überspannungen bei hölzernen Decken, oder die vorspringenden Rippen der gewölbten Decken, oder die Gräthe der glatten Kreuzgewölbe aufsitzen, hängt mit derjenigen, welche dieselben da, wo sie aufsitzen, ihrer  G e s a m m t z a h l  nach beschreiben, zusammen. Es darf nämlich nach dem vorigen §. die Grundgestalt derselben nicht über jene des Pfeilers hinaus treten. Hiernach können die Pfeiler sehr verschieden gestaltet sein - rund, viereckig, achteckig und überhaupt vieleckig; ihre Grundgestalt kann auch selbst wieder eine Zusammensetzung aus den genannten sein, so daß nicht blos convexe, sondern auch concave Ecken entstehen. Indessen dürfte das Letzte nicht wohl so weit zu treiben sein, wie es im Spitzbogen-Style statt findet, wo die Oberfläche des Pfeilers so stark ausgehöhlt ist, daß derselbe einem Büschel stengelartiger Säulen gleicht, die so weit von dem Kerne abgelöst sind, daß sie frei zu stehen scheinen. Übrigens ist dieß dort mit der wahrhaft ins Wunderbare gehenden Leichtigkeit und Durchbrochenheit der übrigen Theile im Einklange.  V e r j ü n g t  kann der Pfeiler- oder Säulen-Schaft in keinem Falle sein, wie aus dem vorigen §. hervorgeht. Der Fuß oder die Base des Pfeilers darf die Geräumigkeit nicht beeinträchtigen, daher nicht zu viel ausgeladen sein und keine zu stark vorspringende Ecken darbieten, es müßte denn ein besonderer Zweck dieß anders verlangen. Dagegen braucht die Base die concaven Ecken des Pfeilers nicht ängstlich zu befolgen, sondern kann vielmehr die complicirte Grundgestalt wieder zu einer einfachen zurückführen, wie dieß im Spitzbogen-Style oft so schön gelöst ist. Das  C a p i t ä l  oder der  K ä m p f e r  erhalten nach dem vorigen §. nicht mehr die  st a r k e  A u s l a d u n g  des antiken Capitäls und können nach Umständen ganz fehlen. Die Capitälplatte, worauf unmittelbar die Bogen oder Rippen aufsitzen, darf sich nicht zu stark und ungleichmäßig über dieselben ausladen und sie verdecken.

Das  V e r h ä l t n i ß  der Dicke der Pfeiler zu ihrer Höhe bewegt sich nicht in so engen Grenzen, wie an den griechischen Monumenten, wo nur  e i n  Stokwerk statt fand und wo die Säulen immer eine verhältnißmäßig gleiche Last zu tragen hatten. Pfeiler, welche einen Seitendruck auszuhalten haben, müssen in demselben Verhältnisse, worin dieser zunimmt, dicker werden - natürlich um so weniger, als das Material des Pfeilers ein größeres specifisches Gewicht hat und als derselbe aus weniger Stücken construirt ist. Bei Pfeilern wobei sich (wie dieß gewöhnlich der Fall ist) der Seitendruck der von entgegengesetzten Richtungen kommenden Bogen und Rippen gegenseitig aufhebt, nimmt (bei übrigens unveränderter Länge) die Dicke in geringerem Verhältnisse zu, als deren Belastung und Entfernung von einander wächst: weil hier nur die rückwirkende Festigkeit, welche indessen bei den verschiedenen Steinarten sehr verschieden ist, in Anspruch genommen wird.

Wie der oberste Grundsatz in der Kunst Wahrheit sein soll, so darf man die leeren  W ä n d e,  welche aus der Bestimmung hervorgehen, nicht durch fingirte Constructionen verblenden. Man muß sich auf den Standpunct des älteren griechischen und des Rundbogen-Styls versetzen, welche die Schönheit und Opulenz der Wände nicht in häufigen Vorsprüngen, sondern in sorgfältiger dauerhafter Construction und reiner Bearbeitung der Fläche und innerlich (namentlich in Italien) in Wandgemälden suchten. Wenn übrigens eine Wand, wie es meist der Fall sein wird, nicht aus anderen Rücksichten ohnhin stark genug gehalten ist, um dem Seitendrucke der sich anlehnenden Gewölbe (wobei alsdann die vorspringenden Rippen auf vortretenden Kragsteinen aufsitzen wie bei A, Fig.VI.) zu widerstehen; so geht es aus der Natur der Sache hervor, daß bei solchen Gewölben, welche nur auf einzelnen Puncte einen Seitendruck ausüben, die Wände an diesen Puncten Verstärkungen erhalten. Dieselben können nun an der inneren Wandfläche, oder nur an der äußeren, oder an beiden zugleich vortreten. An der inneren Wandfläche stehen sie als  W a n d p f e i l e r  den freien Pfeilern gegenüber, tragen ohngefähr die Hälfte der auf letzteren aufsitzenden Rippen, und erhalten deßwegen auch die Gestalt der halbirten freien Pfeiler. Diese Wand- oder Halb-Pfeiler, welche wirklich etwas zu tragen haben, sind nicht mit den Halbsäulen- und Pilaster-Stellungen der antiken Architectur, welche gar nichts tragen, zu verwechseln. An der äußeren Wandfläche vortretend sind diese Wandverstärkungen  S t r e b e p f e i l e r,  welche entweder bis zum Hauptgesimse reichen und sich mit demselben verbinden, wie dieß als die einfachste Weise im Rundbogen-Style durchgängig und auch häufig im Spitzbogen-Style gefunden wird. Oder sie können auch schon unterhalb des Hauptgesimses aufhören und müssen alsdann eigene Verdachungen erhalten. Die an den reicheren Kirchen des Spitzbogen-Styls erscheinende Weise, wonach die Strebepfeiler über das sich um dieselben verkröpfende Hauptgesimse hinaus ragend in verzierte Spitzen auswachsen, steht nur dann, wenn alle übrigen Theile sich in Spitzen und Zacken zu verwandeln streben, mit dem Ganzen im Einklange. Es sei übrigens zum Troste derjenigen, welche demnach in dem neuen Style fast zu lange glatte Wände befürchten, gesagt: daß auch selbst wenn die innere Decke nicht gewölbt ist, und also kein Seitendruck auf einzelne Puncte der Wände statt findet, es dennoch in den meisten Fällen entschieden vortheilhaft ist, an den Ecken und längs den Wänden stellenweise Wandpfeiler vortreten zu lassen, weil alsdann die eigentlichen Wände viel dünner angelegt werden können. Der Sockel, welcher an den Umfassungswänden Hauptsockel des Gebäudes ist und dessen anständige Höhe das Ansehen des Gebäudes sehr hebt, kann oft gleich der Base des Pfeilers die concaven Ecken, welche durch kleinere Wandvorsprünge entstehen, ausgleichen.

Die  N e i g u n g  d e r  D a ch f l ä ch e  richtet sich nach der Bedeckungsart: wenn die Dachfläche mit Ziegeln auf die gewöhnliche Weise gedeckt ist, so darf sie nicht viel unter 45 Grad geneigt sein; wenn dieselbe mit Schiefer gedeckt ist, so kann deren Neigungswinkel selbst unter 30 Grad betragen; wenn dieselbe mit Metall gedeckt ist, so kann das Dach sehr flach sein. Die außerordentlich steilen Giebel und Dachungen des Spitzbogen-Styls, welche sogar oft mit Metall gedeckt sind, sind mehr eine Folge des sich über alle Theile verbreitenden Emporstrebens, und gehen keineswegs aus dem nördlichen Clima hervor, wie die weniger steilen Dächer des Rundbogen-Styls, welche sich bei einem mitunter sehr hohen Alter recht gut erhalten haben, beweisen.

Das  K r a n z g e s i m s e  kann, wenn es aus Stein besteht, nicht so weit ausgeladen werden, als wenn es aus Holz besteht. Es muß so ausgehöhlt werden, daß das Wasser gezwungen ist, an dessen äußerster Kante abzutropfen, woraus sich das Hauptprofil ergibt, welches Fig. III. zeigt, und welches durch untergeordnete Glieder vielfach bereichert werden kann. Zu dem Hauptgesimse sind auch dessen Unterstützungen zwischen den Strebepfeilern zu rechnen, welche im mittelalterlichen Style gewöhnlich auf die oben beschriebene Weise aus Reihen kleiner Bogen bestehen. Doch sind außerdem verschiedene andere oft sehr reich verzierte Formen angewendet; und es lassen sich leicht viele neue, welche hierzu geeignet sind, angeben; auch selbst Kragsteine allein sind passend, und finden sich an alten Kirchen vor. Wenn das Hauptgesimse aus Holz besteht und durch das Hervorstehen der Sparren oder Deckenbalken gebildet wird; so erhält es außer der weiteren Ausladung auch eine andere Gestalt, wobei sich die mannichfach ausgeschnitzten Sparren- und Balken-Köpfe hauptsächlich hervorheben. An den Fronten kann nicht  d a s s e l b e  Hauptgesimse zugleich  l ä n g s  d e n  s c h r ä g e n  G i e b e l s e i t e n  hinauf ziehen und  u n t e r  d e m  G i e b e l  horizontal hinlaufen, wie im vorigen §. aus einander gesetzt wurde.

Die Überspannungen der  T h ü r ö f f n u n g e n,  worüber sich die Wand fortsetzt, müssen gleich den Pfeiler-Überspannungen, etwa mit Ausnahme der schmäleren Öffnungen,  ü b e r w ö l b t  werden. Da aber die Thürflügel sowohl besser construirt, als auch geöffnet werden können, wenn sie viereckig sind; so wird man in den meisten Fällen besonders bei den Haupteingängen den von dem Bogen umschlossenen Raum von der eigentlichen Thüröffnung trennen. Dieser Raum dient alsdann entweder als Fenster, oder er wird ganz geschlossen und ist ein sehr geeignetes Feld für Inschriften, architectonische Verzierungen und Gegenstände der Bildhauerei und Malerei, welche hier von keinem Eintretenden übersehen werden können und zugleich geschützt sind, wenn die Thürfläche vor der Wandfläche zurücksteht. Die Leibung der Thüröffnung muß sich, um auch den von der Seite Kommenden einen bequemen Zutritt zu bereiten, von der Thürfläche an auswärts erweitern, was in einer geraden Fläche oder in Absätzen geschehen kann.

Die  g r ö ß e r e n  F e n s t e r ö f f n u n g e n  müssen ebenfalls  ü b e r w ö l b t  werden; allein bei den  k l e i n e r e n  bis zu vier Fuß breiten Öffnungen möchten, wenn die Fensterrahmen aus Holz bestehen und geöffnet werden sollen, in den meisten Fällen  g e r a d e  S t u r z e  anwendbarer sein. Dieß findet sich auch gewöhnlich an den Wohngebäuden des Spitzbogen-Styls, welcher in dieser subordinirten Anwendung der steinernen Horizontal-Überdeckung keine störende Inconsequenz sah. Die Leibungen der Fenstereinfassungen sind, um mehr Licht einzulassen, von der Glasfläche an sowohl nach außen, als nach innen zu erweitern, und bieten einen sehr schicklichen Raum für Verzierungen dar, was bei den Wohnhäusern um so mehr zu berücksichtigen ist, als die an der äußeren Fläche der Fenstereinfassungen angebrachten Verzierungen durch die geöffneten Läden bedeckt werden. Die Fensterbänke müssen, wenn nicht etwa Gegenstände darauf gestellt werden sollen, den an allen vorspringenden horizontalen Gesimsen, Gurten, Sockeln u. dgl. nothwendigen Wasserfall darbieten, und über die Wandfläche vorspringend eine Wassernase erhalten; damit das Regenwasser, welches den auf den Fensterrahmen, und der oberen Fläche der Fensterbank sitzenden Staub mit sich führt, nicht an der Wandfläche herab rinnend dieselbe verunreinige.

Bei der  P r o f i l i r u n g  der einzelnen Glieder wird durch Aushöhlung und rasche Biegung mit dem wenigsten Aufwande der größte Effect herbeigebracht, wie wir uns im griechischen und im Spitzbogen-Style, welche beide sich hierin wunderbar begegnen, belehren können. Die plastische architectonische  V e r z i e r u n g  ist, wenn keine Überladung herrscht, fast nur Bekränzung der wesentlichen Theile, und findet sich in jedem Style hauptsächlich an solchen Theilen angebracht, welche vorzugsweise ins Auge treten. So sind in dem griechischen Style die hinter den Säulen versteckten Thüreinfassungen ganz einfach verziert; da hingegen die Portale im mittelalterlichen Style, wo sie nicht durch äußere Hallen verdeckt werden, unter allen Theilen des Gebäudes am meisten verziert sind - was denn bei den heutigen Gebäuden ebenfalls zu beobachten ist.


Hiermit wäre das vorgesetzte Ziel erreicht und für den  n e u e n  S t y l   ein streng  o b j e c t i v e s  S k e l e t t  aufgestellt, welches, wie ich glaube, bestimmt genug ausgebaut ist, daß der Künstler dasselbe durch seine Individualität beleben kann.

Es wird Jeder sogleich erkennen, daß der neue Styl am meisten Ähnlichkeit mit dem Rundbogen-Style erhalten muß - ja daß er im Wesentlichen der Rundbogen-Styl ist, so wie dieser geworden wäre, wenn er sich ohne alle nachtheilige Rückerinnerung an den antiken Styl ganz frei und unbefangen hätte entwickeln können. Diese Ähnlichkeit ergibt sich aus der Natur der Sache, und wurde nicht durch den Einfluß von Autoritäten oder individueller Vorliebe herbeigeführt. Alle in dem letzten §. beschriebene Eigenschaften des neuen Styls sind entweder durch den Inhalt der früheren §. §. bereits begründet, oder beruhen auf statischen Gesetzen, deren Bekanntschaft der Kürze wegen vorausgesetzt ist. Wo  d i e s e l b e  Aufgabe mehrere Auflösungen zuließ, wurden sie alle aufgenommen; überall wurde der Wirklichkeit in ihren speciellsten Abstufungen Einfluß zugestanden; es wurde nie ein Satz, der nur für einige Fälle bewiesen oder nicht seiner Natur nach allgemein gültig war, so obenhin für alle Fälle als durchgreifender Grundsatz aufgestellt. Daher gleicht die hier gewonnene Kunsttheorie nicht jenen Stubentheorien, welche blos in einigen Puncten mit der Wirklichkeit Bekanntschaft machten und die hieraus abstrahirten Regeln ohne Weiteres zu allgemeinen Gesetzen machen; sondern sie ist durch und durch practischer Natur.

Der neue Styl wird demnach mit aller Geschmeidigkeit die verschiedenartigsten Aufgaben immer auf dem nächsten Wege zu lösen vermögen; während dem ihm die Gegner unter allen Fehlern wohl am wenigsten denjenigen der Buntschäckigkeit in Zusammenstellung der Hauptformen aufbürden möchten. Er wird sich frei in der Gegenwart bewegen und jeder billigen Anforderung ohne Scheu entsprechen. Der Architect wird sich dabei nicht mehr so verlassen sehen, als bei den beschränkten Mitteln der griechischen Architectur - gleich einem Maler, welcher die ausgedehnten Vorwürfe christlicher Kunst mit der armen Anzahl von antiken Physiognomien darstellen sollte. Die Gebäude werden nicht mehr einen historisch-conventionellen Character erhalten, so daß dem Gefühle, ehe es sich kund geben darf, zuvor archäologischer Unterricht ertheilt werden muß; sondern die werden einen wahren natürlichen Character erhalten, wobei der Laie dasselbe fühlt, was der unterrichtete Künstler.

Die Gebäude werden sich ganz nach der individuellen Phantasie der einzelnen Künstler, also sehr mannichfach verzieren. Indessen kann, wie bereits der erste §. erwähnt, daraus für den neuen Styl keine Gefahr erwachsen. Zeigt sich doch selbst bei Völkern, wo ein durchgängig gleicher und abgeschlossener Geschmack herrschte, in der Verzierung eine große Abwechslung; so kann dieß um so mehr bei uns, die wir alles fremdartige Vergangene und Gegenwärtige kennen und so sehr am Reize der Neuheit und Mannichfaltigkeit hängen, statt finden. Die aus einer glücklichen Phantasie hervor gegangenen Verzierungen werden ohnehin bald durch die nachahmende Menge vorherrschende Autoritäten werden. In jedem Falle werden die Gebäude, welche selbst mit den unglücklichsten Verzierungen begabt, aber in Betreff der Elemente consequent gestaltet sind, als Kunstwerke viel höher stehen, als die getreusten Nachahmungen der Antike.
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