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Autor: Jessen, Peter
In: Die Durchgeistigung der deutschen Arbeit: Wege und Ziele in Zusammenhang von Industrie, Handwerk und Kunst. - 1. - 10. Tsd. - Jena: Diederichs. - 1912. - III., 116, 109 S.: zahlr. III. (Deutscher Werkbund: Jahrbuch des Deutschen Werkbundes; 1912)
 
Der Werkbund und die Grossmächte der deutschen Arbeit
 
VORWORT

Der Deutsche Werkbund erstrebt die Durchgeistigung der Arbeit im Zusammenwirken von Kunst, Industrie und Handel durch Erziehung, werbende Tätigkeit und geschlossene Stellungnahme zu einschlägigen Fragen. Das vorliegende erste Werkbund-Jahrbuch will besonders den weiten Kreisen der deutschen Industrie und des Kaufmannsstandes Einblick geben in diese für unsere Volkswirtschaft und für unsere Stellung unter den Kulturvölkern so bedeutungsvolle Bewegung. Deshalb kommen in erster Linie Praktiker zum Wort, die an diesem Zusammenwirken eng beteiligt sind: neben ausführenden Künstlern die Leiter von großen Unternehmungen der Möbelfabrikation, der Metallindustrie, der Linoleumbranche, des Buchgewerbes; neben Vertretern der Chemie und des Ingenieurberufes, Volkswirte und Männer der Verwaltung. Im illustrativen Teil des Jahrbuches wird aus der Menge hochstehender Leistungen, die bereits aus den Kreisen des Werkbundes hervorgingen, eine verhältnismäßig kleine Zahl von Arbeiten vorgeführt. Sie mögen als Beispiele für den modernen harmonischen Zusammenhalt von Industrien und Künstlern gelten, den wir auf immer weiteren Gebieten, auch auf dem der Massenfabrikation, erhoffen. Daß dieses Jahrbuch trotz seiner Vielseitigkeit und seiner reichen Anregungen weder die werkliche noch auch die gedankliche Bedeutung der Werkbundbestrebungen einigermaßen erschöpft, wird jedem Leser bewußt werden, der das Programm des D. W. B. aus den großzügigen Darstellungen von Peter Jessen und von Hermann Muthesius kennen lernt. Die Entwickelungen der Technik und die Erfordernisse des Weltmarktes bringen immer wieder neue Seiten unserer Aufgabe zutage. Die künftigen Jahrbücher des Deutschen Werkbundes werden versuchen, seinen Schritten im einzelnen gerecht zu werden.

HELLERAU, im März 1912
Dr. A. PAQUET


DER WERKBUND UND DIE GROSSMÄCHTE DER DEUTSCHEN ARBEIT
VON PETER JESSEN - BERLIN

EIN Spötter hat neulich die Deutschen das Volk der versäumten Gelegenheiten genannt. Das böse Wort war gemünzt auf unsere jüngste Politik und kann doch für weite Strecken unserer Geschichte gelten, vor und nach Bismarck. Und unsere Kultur? Kommen wir nicht auch da zu spät, oder sind wir endlich Willens, die Zeit zu verstehen und die Kränze festzuhalten, die sie dem Zugreifenden reicht? Über die großen Fortschritte im Leben der Völker pflegt eine einzige Generation zu entscheiden. Ist der Boden reif zum Anbau, so zieht er magnetisch die stärksten Kräfte an, die Saat zu bestellen; ob sie reift, entscheiden Sonne und Regen in kurzer Frist. Das nächste Geschlecht taugt nur dazu, die Ernte einzuheimsen. Das gilt am sichtbarsten im Reiche der Kunst. Seit Jahrhunderten ist jeder große Aufschwung, jede dauernde Stilbildung das Werk eines Menschenalters. Nun deutet alles darauf, daß eben jetzt eine solche Stunde des Schicksals für den deutschen Geschmack geschlagen hat. Seit einem Jahrzehnt stehen wir im Entscheidungskampf um einen zeitgemäßen Ausdruck unseres nationalen Lebens. Es ist eine Ehrensache für das deutsche Volk, daß es die große Stunde nicht verpasse. Die Vorzeichen sind günstig. Zu starken Taten weckt nur der heilige Zorn. Das Bestehende muß als unerträglich empfunden werden. Keine große Reform ohne einen revolutionären Einschlag; der darf niemanden schrecken. Heute schämen wir uns endlich, von den Fremden die Allerweltskopisten, die Japaner Europas gescholten zu werden. Wir schulden es unserer nationalen Würde, daß wir den Schutt hinwegschaufeln, den ein Jahrhundert der Unkunst über unser einst so fruchtbares Feld gebreitet hat. Wir brauchen einen Jungbrunnen der Kunstgesinnung für alle Schichten unseres Volkes. Ein schlechter Deutscher jedoch, der am Niederreißen seine Freude hätte. Es ist der Ruhm unseres jungen Kampfes, daß gleich an seinem Eingang die Tat steht: die Tat der Künstler, die an die ersten Versuche ihr Wollen, ihr Können, ihre Habe setzten. Aus ihren eigenen Mitteln haben sie sich die ersten Gelegenheiten geschaffen, vom Einzelstück auf das Ganze der Dekoration zu gehen. So hat sich die deutsche Reform von Anfang an auf die Raumkunst und ihre Schwester, die Baukunst, einstellen können. Heute gilt die leidenschaftliche Arbeit der gesamten künstlerischen Kultur, vom alltäglichen Gerät bis zum feierlich Monumentalen. Für die neuen Aufgaben reichen die alten Namen nicht mehr aus. Das »Kunstgewerbe« ist uns als Begriff und Wort zu eng geworden. Wir möchten die erweiterte Arbeit in das Wort »Werkkunst« zusammenfassen: Architektur und Kunstgewerbe, Handwerk und Industrie, Einzelstück und Massenware. Und ebenso braucht das neue Ideal neue Organe: seit 1907 sucht der »Deutsche Werkbund« die schaffenden und helfenden Kräfte zu einer tätigen Gemeinschaft zu vereinigen. Er will der neuen Gesinnung dort die Tore öffnen, wo das bisherige Kunstgewerbe vergebens angeklopft hat: bei den Großmächten unseres wirtschaftlichen Lebens. Bisher galt in den Geschmacksgewerken der Kaufmann als ein notwendiges Übel. Man erwartete das Heil von dem Kunsthandwerker mittelalterlichen Schlages. Der Werkbund ehrt die Romantiker, aber blickt der Gegenwart und Zukunft mutig ins Auge. In der heutigen Wirtschaft gibt der Unternehmer den Ausschlag; wollen wir vorwärts, so müssen wir ihn für uns gewinnen, ihn überzeugen, daß Geschäft und Geschmack nicht Feinde zu sein brauchen, sondern sich eng verbünden können zu beider Vorteil. Wir glauben an die jüngste Lehre der Volkswirtschaft: ein großes Industrievolk kann auf die Dauer nicht davon leben, daß es die anderen unterbietet; es muß sie überbieten durch die Güte seiner Arbeit. Die deutschen Geschmacksindustrien, wie einst die französischen und englischen, werden nur dann eine Weltmacht werden, wenn wir zu unserem technischen Geschick, unserem Unternehmungsgeist und unserer Wissenschaft auch einen eigenen reifen Nationalgeschmack einzusetzen haben, gegründet auf einer zeitgemäßen nationalen Kultur. Ohne die Kunst bleiben wir Stümper; mit ihr sind wir jedem Gegner gewachsen. Daß solcher Wille zur Qualität, zur Vorzugsarbeit, zur Auslese nicht nur Ehre, sondern auch Gewinn bringt, beginnt die Handelsstatistik zu beweisen. Die vorzügliche deutsche Ausstellung in Brüssel 1910, auf die der Werkbund und seine Mitglieder entscheidenden Einfluß haben ausüben können, hat uns selber überrascht und den Fremden die Augen geöffnet. Schon geben die deutschen Messen davon Kunde. Industrien, die an der Vertiefung ihrer Qualität arbeiten, wie unser Porzellan, sehen sich durch einen erfreulichen Aufschwung belohnt. Der Werkbund sucht zu fördern, was nur immer den Geschmack im Kunstgewerbe fördern mag, im engen Einvernehmen mit den verdienstvollen Kunstgewerbevereinen. Aber er möchte weiter und höher ausgreifen. Wollen wir eine einheitlich gerichtete Qualitätsarbeit, so müssen wir jetzt die großen technischen Industriezweige für die neue Kunstgesinnung gewinnen. Auch die Fabrikation der Rohstoffe, der Baumaterialien, der Farben, der Maschinen kann in Geschmacksfragen zum Bösen oder zum Guten neigen. Beharrlicher Ungeschmack kann auch diesen Industrien zum Verhängnis werden. Das haben zum Beispiel die Granitschleifereien schon mit einigen Sorgen erlebt. Jetzt beginnen die großen Werke, in denen die neuen Baustoffe für unsere Zeit erfunden und erprobt werden, bei der besten Kunst Hilfe zu suchen, um ihre Ware von Anfang an in zeitgemäßen Formen auf den Markt zu bringen. Ein glänzendes Zeugnis dafür war die imponierende Ausstellung der Ton-, Zement- und Kalkindustrie in Berlin 1910: hier hatte der Werkbund dazu beitragen können, daß einige der wichtigsten Aufgaben an führende Künstler der neuen Bewegung verteilt und sieghaft gelöst wurden. Um das Verständnis für Echtheit und Qualität aller Rohstoffe zu wecken, hat der Werkbund die Schaffung einer umfassenden »Gewerblichen Materialkunde« in die Hand genommen; der erste Band, »Die Hölzer«, herausgegeben von Dr. Paul Krais, im Verlag von Felix Krais in Stuttgart, ist 1910 erschienen; der zweite, »Die Schmuck- und Edelsteine«, von Dr. A. Eppler, erscheint in diesem Jahr. Die Farbkartenfrage, deren Bedeutung alle Kreise des Berufslebens kennen, wurde durch das Vorgehen des Werkbundes endlich einer praktischen Lösung nahe gebracht; die Flugschriften des DWB. über Echtfärberei weisen auf wichtige Errungenschaften der deutschen Farbenindustrie. Von den Mächten der Metallindustrie wachsen die großen Konstruktionswerkstätten mehr und mehr zu starken Trägern zeitgemäßer Zweckkunst heran. Ob der Ingenieur selber seinen Konstruktionen die endgültige, kunstreife Form zu geben vermag, ob er mit dem Berufskünstler Hand in Hand schafft, wird von den Persönlichkeiten abhängen. Wenn nur das Werk aus einem Guß ist und der Kern ohne wesensfremde Schale edle Gestalt gewinnt. Es handelt sich um die höchsten Aufgaben unserer Tage, die eigentlichsten Monumente unserer Epoche. Der Werkbund sucht zwischen den beiden Polen, zwischen Zweck und Form, die Leitung herzustellen. Er bringt durch seine Tagungen und Ortsgruppen die besten Kräfte aus beiden Lagern in persönlichen Kontakt. Was die Kunst und der Künstler für die technischen Fabrikationen bedeuten könnten, und was ein mannhafter Entschluß für die Veredlung einer ganzen Industrie zu tun vermag, hat als weithin leuchtendes Vorbild die Allgemeine Eltektrizitäts-Gesellschaft in Berlin uns gezeigt. Fabrikate und Installationen, Läden und Geschäftsdrucksachen, Fabrikgebäude und Arbeitersiedelungen aus Einem Geiste echtester Modernität: das schien vor wenigen Jahren ein kühner Traum und ist heute überzeugende Wirklichkeit. Es ist entscheidend für die kulturelle Geltung der deutschen Industrie, ob sie solch ein Beispiel versteht und ihm nachzustreben sich entschließt. Wird jeder einzelne begreifen, daß er sich entwürdigt, wenn er etwa im kleinen diese Muster zu kopieren versucht; daß es eine Ehrensache ist, eigene Wege zu gehen, indem er als Berater und Erfinder gleich starke Persönlichkeiten einsetzt? In die erste Reihe gehört nur, wer etwas macht, was vor ihm kein anderer gemacht hat. DEN gleichen Willen zur Kunst, wie bei allen Ausführenden, brauchen wir bei den Bestellern. Um den einzelnen Käufer zu erziehen, mühen sich in Deutschland allerorten Museen, Vereine, Zeitschriften. Der Werkbund seinerseits wendet sich auch hier vorwiegend an die mächtigen Gemeinschaften, die heute mit unheimlicher Gewalt über den Ruf ganzer Kulturgebiete entscheiden. Welch unauslöschlichen Schaden haben die deutschen Schiffahrtsgesellschaften dem Ansehen unseres Geschmacks getan, solange sie die großen Dampfer zu Tummelplätzen lächerlicher Protzenkunst erniedrigten! Und wieviel Dank sind wir dem Norddeutschen Lloyd schuldig, der unter Wiegands vorausschauender Führung der gediegenen Sachlichkeit unserer neuen Kunst die Kabinen und Säle öffnete! Davon sollten alle Deutschen wissen, und alle, welche gleiche Macht üben, sollten es sich zur Ehre und zum Gewinn rechnen, ihren Gästen nicht Französeleien dritten Aufgusses, sondern deutsche Kost aus bester Küche vorzusetzen. Es tut weh, darüber noch reden und schreiben zu müssen. Dieses Moralische sollte sich, wie beim »Auch Einen«, immer von selbst verstehen. Wären wir schon dahin gelangt, so würde der Werkbund freudig von seiner Wacht abtreten. Für die Verkehrsmittel zu Lande gibt seit Jahren die Hochbahn in Berlin das rühmlichste Beispiel neuer Gesinnung und Tat. Versuche zur Reform der Staatsbahnwagen hat schon 1906 der mutige und kunstgebildete bayerische Verkehrsminister gemacht. Auch unsere überwältigende Eisenbahnausstellung in Turin 1911, die weitaus stärkste, leider ungünstig gelegene deutsche Gruppe, gab einen erfrischenden Eindruck von der gestaltenden Kraft der führenden Werkstätten. Überzeugender freilich an den Lokomotiven als in den Abteilen. Bei der Heimkehr begrüßte uns in den Speisewagen unser alter Freund der Jugendstil. Den preußischen Staatsbahnen wäre ein Künstler not, der den Stubenmalern das Handwerk legte. Wie die Dampfer und die Bahnen, so sind die großen Hotels jahraus jahrein für die Hunderttausende aus dem Auslande der Wertmesser deutschen Geschmacks. Wir haben eine Reihe bester Häuser, von Künstlerhand musterhaft durchgebildet. Aber noch glauben gerade die größten Betriebsgesellschaften dem internationalen Publikum einen nichtssagenden, faden Allerweltsgeschmack vorsetzen zu müssen, damit man glaube, in Paris oder London oder Kairo, nur beileibe nicht in Deutschland zu sein. Friedrich Naumann hat dem Werkbund das Beispiel des Deutschen Sprachvereins vorgehalten, damit er helfe, daß solche Schmach ein Ende nehme. Je sieghafter sich die deutsche Organisationskraft gerade im Hotelwesen bewährt, umso schneller sollten die Direktionen versuchen, diesem Zweige deutscher Betriebsamkeit auch zum gebührenden äußeren Ausdruck zu verhelfen. Es stände besser um die großen Aufgaben dieser Art, wenn die mächtigen Baugesellschaften es endlich als Vorteil und Ehrenpflicht empfänden, ihrer trefflichen Technik auch eine starke, persönliche Kunst zur Seite zu stellen. Der deutsche Werkbund zweifelt nicht daran, daß auch hier über kurz oder lang gebildete, großdenkende Organisatoren die Bahn brechen werden. Stile pflegen zu entstehen, wenn eine nationale Kulturarbeit sich ihre Form zu prägen sucht. Es ist kein Trugschluß, wenn wir zu hoffen wagen, daß aus dem hinreißenden wirtschaftlichen Aufschwung des deutschen Volkes eine eigene Kunst, ein deutscher Stil sich werde bilden können. Die Entscheidung über diese Zukunft wird nicht in den Kirchen oder bei den Höfen noch in den Palästen der Reichen fallen, sondern auf den Stätten der wirtschaftlichen und sozialen Arbeit. Darum ist es nicht Kunstsport, nicht etwa bloße Heimatbündnerei, wenn wir das rasch wachsende Interesse an zugleich sachlichen und gefälligen Fabrikbauten mit Spannung verfolgen. Nur in Deutschland erscheint eine eigene Zeitschrift für den Industriebau; schon haben vor ganz Europa unsere deutschen Baukünstler die Führung auf diesem jungen Gebiete; eine Reihe weitblickender Fabrikanten aus Nord und Süd hat glänzende Aufträge gegeben. In diesen Bauten wird die Industrie nicht nur ihre Kapitalkraft, sondern auch ihr soziales Wollen, die Fürsorge für Luft und Licht, für gesunde Arbeitsräume kennzeichnen. Der Deutsche Werkbund sieht hier eine wesentliche Aufgabe: er hat auf seiner Tagung in Frankfurt 1909 eine Ausstellung vorbildlicher Fabrikbauten vorgeführt und seither mit dem Deutschen Museum für Handel und Gewerbe in Hagen eine Wandersammlung von Bildern solcher Industriebauten hergerichtet. Von der sozialen Arbeit des heutigen Deutschlands werden vor allem die rasch zunehmenden Kleinwohnungen, Arbeiterkolonien, Gartenstädte sprechen; weit besser als prunkvolle Versicherungspaläste. Wo diese Aufgaben in Künstlerhänden ruhen, entstehen Gebilde, die bald als Dokumente unserer Zeit Sehenswürdigkeiten bilden werden. In zehn Jahren wird man nach Essen reisen, um eine moderne Stadt zu genießen. Auch hierüber wird beim Werkbund Rat finden, wer für die eigenen Arbeiter oder für das Gemeinwohl bauen möchte und Nachweise sachlicher oder persönlicher Art sucht: Fabrikanten, Baugenossenschaften, Verwaltungskörper. NEBEN der Industrie in neidlosem Wetteifer der Handel. Daß der Typus des modernen Kauf- und Warenhauses auf deutschem Boden zur Kunst gestaltet worden ist, weiß jetzt die ganze Welt. Die Maßstäbe, die Messel aufgestellt hat, wird man einhalten, wenn man die Künstler nicht danach wählt, ob sie im Bureau des großen Meisters gearbeitet haben, sondern ob sie das Große aus eigener Kraft einzusetzen wissen. Sonst verfallen wir dem Virtuosentum und gleiten rasch bergab. Mit besonderem Nachdruck hat der deutsche Kaufmann begonnen, auch die kleineren Äußerungen seines Wirkens geschmacklich zu revidieren: die Läden, die Schaufenster, die Plakate, die Drucksachen, die Packungen. Dazu hat der Werkbund in den kurzen Jahren entscheidende Anregungen gegeben. Er hat den Anfang gemacht mit einer künstlerisch gerichteten Ausbildung von Schaufensterdekorateuren; das Museum in Hagen läßt lehrreiche Sammlungen geschäftlicher Drucksachen wandern. Um auf diesen vielen Gebieten je nach Bedarf anregen zu können, hat der Deutsche Werkbund vorweg enge Fühlung mit den Organen aller dieser Mächte genommen. Besonders erfolgreich mit den Handelskammern; sie haben durch Vermittlung des Werkbundes Vorträge und Vortragsreihen für die Geschmacksbildung der Kaufleute veranstaltet; denn mehr oft als der Chef herrschen ja Verkäufer und Verkäuferinnen, Reisende und Einkäufer über die Scheidemünze im Geschmacksleben; und auch hier wird der Pfennig, ob gut ob übel angelegt, zum Taler. Mit Vertretern der Handwerkskammern hat man grundlegende Beratungen über das verhängnisreiche Submissionswesen gepflogen, mit dem Verbande für das kaufmännische Bildungswesen Verhandlungen über die Geschmacksbildung der Schüler. Hier mußten sogar die Delegierten des Werkbundes den Übereifer der kaufmännischen Lehrkräfte bändigen; so warm und erfreulich ist dort die Sehnsucht nach künstlerischer Bildung. Daß die Stimme der Geschmacksansprüche jetzt auch in den ganz großen industriellen Verbänden bis in den Hansabund hinein zu Worte kommt, ist besonders erfreulich. Die Verbindung mit dem Künstler ist diesen weitblickenden Männern ebenso selbstverständlich, wie ihre längst bewährte enge Gemeinarbeit mit dem Gelehrten, der die deutsche Technik ihre Grundlagen verdankt. Wer dort auf die Professoren schimpfen wollte, würde nicht lange ernst genommen werden. ZU den Großmächten der deutschen Arbeit zählen heute, nicht an letzter Stelle, die öffentlichen Gewalten, die großen Gemeinschaften des Reiches, der Bundesstaaten, der Provinzen, Kreise und Stadtgemeinden. Was die deutschen Städte heute bauen und planen, ist eine der großartigsten Erscheinungen deutschen Lebens. Je mehr die kommunalpolitischen Aufgaben wachsen, um so vielseitiger und machtvoller die Bauten für die Verwaltung, Wohlfahrt, Gesundheit, Bildung. Wir dürfen stolz darauf sein, daß an den wichtigsten Posten starke, oft führende Künstler das Steuer der Kunst führen, und daß gerade solche städtischen Bauleiter im Werkbund zahlreich und maßgebend mitwirken zum Zeichen dafür, daß ihnen alle Zweige der Werkkunst wert sind. Auch die führenden Oberbürgermeister haben den Bund bei seinen Tagungen willkommen geheißen als einen Helfer für ihre kulturellen Zwecke, über welche letzten Endes die Gesamtheit der Bürgerschaft entscheidet. Wenn es gelingt, das werktätige Bürgertum in allen seinen Schichten mit dem Verständnis für Qualitätsarbeit zu durchdringen, wird es auch bei den städtischen Aufträgen das Beste und Gediegenste verlangen und zu bezahlen bereit sein. Dann hat die Submissionsnot ein Ende. Und die Gemeinden, große und kleine, werden immer schärfer zu unterscheiden lernen zwischen künstlerisch führenden Bauten, die der Stadt und ihrer Bürgerschaft über die Stadtgrenzen hinaus Ruhm eintragen, und dem kurzlebigen, oft recht anspruchsvollen und kostspieligen Mittelgut, an dem leider im deutschen Vaterland auch heute noch kein Mangel ist. Zu solcher Aufklärung können die Tagungen des Werkbundes helfen, wie sie in München, Frankfurt, Berlin und Dresden stattgefunden haben. Eindringlicher noch Ausstellungen gewählter Arbeiten aus dem Schaffensgebiete des Bundes, sei es örtlich beschränkt, wie es in Krefeld erfolgreich geschehen ist, sei es auf ganz Deutschland ausgedehnt, wie der Werkbund für die nächsten Jahre in der einen oder anderen deutschen Großstadt plant. In Düsseldorf nahm der Bund 1909 an der Ausstellung christlicher Kunst teil. Gerade in dem bedeutenden städtischen Aufstieg Deutschlands möchten wir alle Äußerungen der gestaltenden Künste unter die höhere Einheit neudeutscher Wirtschaftskunst stellen helfen. Es ist unser aller Sehnsucht, daß auch die Staatsbehörden und ihre Kunst im deutschen Leben den Rang einnähmen, der ihnen nach der äußeren und inneren Größe der Aufgaben zukommt. Es liegt an diesen Mächten selber, an ihrer Einsicht, ihrem Willen, ihrer Selbstkritik, ob sie sich in die werdende deutsche Kunst einreihen wollen. Es ist auf die Dauer ein Zustand, der niemanden befriedigen kann, wenn die größten Bauten an den wichtigsten Plätzen bestenfalls weder gut noch böse, weder warm noch kalt sind. Es ist nicht, wie man gern verbreitet und wohl gar selber glaubt, die Frage um alte oder neue Formen. Alfred Messel ist eines der ersten Mitglieder des Werkbundes gewesen. Sondern es entscheidet einzig und allein das Wort, das der Werkbund auf seinen Schild geschrieben hat: Qualität. Höchste, persönlichste Qualitätsarbeit der Allerbesten: das ist es, worauf das deutsche Volk Anspruch erheben darf, wenn man in seinem Namen bauliche Monumente aufführt die auf Jahrhunderte hinaus Ruhm oder Unruhm für unsere Zeit und alle Zeitgenossen bedeuten werden. Der Werkbund zählt darum mit besonderer Freude zu seinen Mitgliedern auch führende, berufene Meister staatlichen Bauwesens aus deutschen Bundesstaaten, den mittleren voran. Es wäre zu wünschen, daß auch die weiten Bereiche der preußischen Bauverwaltung und die Reichsbaubehörden wie die Post ihren Zusammenhang mit dem künstlerischen Leben unserer Tage durch Mitarbeit am Werkbund bekundeten. Für solche Mitarbeit haben wir den staatlichen Gewerbebehörden zu danken, voran dem preußischen Ministerium für Handel und Gewerbe. Wie der Deutsche Werkbund auch die führenden Künstler Österreichs in sich schließt, so hat auch das k. k. Gewerbeförderungsamt in Wien unsere Sache zu der seinigen gemacht. Im Juni 1912 wird der Bund in Wien tagen. »Die Veredelung der gewerblichen Arbeit im Zusammenwirken von Kunst, Industrie und Handwerk« hieß der erste Bericht des Deutschen Werkbundes, »Die Durchgeistigung deutscher Arbeit« der jüngste. Möchten wir demnächst schreiben dürfen: die neudeutsche Werkkunst, eine Weltmacht des Geschmacks.