VON J. A. LUX - DRESDEN
Wir verstehen unter Qualität nicht nur ein-
wandfreie Materialien und sachgerechte, solide
Werkarbeit, sondern auch die mit diesen
Hilfsmitteln durchgeführte organische Idee
der künstlerischen Raumgestaltung. Lux.
Ein Japankenner erzählt uns in seinen
Reise-Schilderungen von einer Teezeremonie, in der zum Schluß
die geleerte Teekanne von
Hand zu Hand ging und durch die Feinheit ihrer Arbeit die Bewunderung
der Gäste erregte.
Der Genuß künstlerischer Schönheit bildete
den Höhepunkt der Zeremonie. Dieser Fall
soll durchaus nicht ungewöhnlich sein, sondern zur
täglichen Gewohnheit gehören, im
Leben ein besonderes Augenmerk auf die Qualität und die von
ihr unzertrennliche
künstlerische Arbeit zu richten. Den heutigen
Europäern kommen solche Zustände geradezu
märchenhaft vor. Für unseren Kulturstand ist es
kennzeichnend, daß das große Heer der
sogenannten Gebildeten, das Publikum schlechthin, kein Organ besitzt,
den Qualitätsmangel
in unserer Erzeugung wahrzunehmen. Die Mehrzahl der Menschen ist naiv
genug, das
beschämende Eingeständnis unverhohlen zu machen,
daß sie von Kunst nichts verstehen und
auch nichts wissen wollen. Diese Leute ahnen wahrhaftig nicht,
daß diese Äußerung
ebenso ungeheuerlich ist, als wenn sie sagen würden, sie
wollen nichts von Gerechtigkeit,
Lauterkeit des Charakters und edler Gesittung wissen. In der Tat beruht
diese
Kunstfeindlichkeit in einer durchaus mangelhaften Gesinnung. Ich will
damit nicht sagen,
daß diesen Menschen gewisse pedantische und schematische
Begriffe, die ihnen als
Kunstbegriffe erscheinen, abgehen. Sie sind in der Tat geneigt, gewisse
Äußerlichkeiten
vergangener Kunstepochen anzuerkennen und diese
Äußerlichkeiten als die sogenannten
Stile für ihre Dekorationszwecke in immer wiederholter
und schließlich gänzlich verfehlter Anwendung
auszunützen.
Wenn die Frage des Stils beantwortet ist, so ist für sie in
der Regel auch die Frage nach
der Kunst gelöst. Aber diese Geschmacksverwilderung hat in
künstlerischer, moralischer
und wirtschaftlicher Beziehung solche Schäden hervorgebracht,
daß schließlich wieder
die Frage brennend geworden ist, was wir tun können, um den
drohenden Gefahren unserer
Zivilisation Halt zu gebieten. Es zeigt sich immer klarer,
daß wir in unserer geistigen
Entwicklung jene werktägige und tief menschliche Gesinnung
vernachlässigt haben, die mit
dem Begriff einer lebendigen Kunst untrennbar verbunden ist. Wenn also
Menschen von sich
sagen können, daß sie von der Kunst nichts verstehen
und nichts wissen wollen, so
bedeutet das im Grunde genommen, daß sie nicht imstande sind,
die Gerechtigkeit zu
lieben, die Würde der Arbeit und des Menschen zu achten und
die Schönheit zu
verwirklichen, von der es abhängt, ob wir in dieser Welt ein
glückliches oder ein
unglückliches Dasein führen. Ein Volk, das nicht
unaufhörlich den Grundsatz der Qualität und der
Arbeitsveredlung pflegt und entwickelt und
nicht die ganze menschliche Bildung des Geistes und des Herzens in den
Dienst der Sache
stellt, hat keine Kunst, weil die Kunst von diesen Voraussetzungen
nicht zu trennen ist.
Sie ist nicht eine Sache für sich, die man sich extra als
Aufputz irgendwo her
verschreibt, sondern sie ist eine bestimmende Kraft im Leben und tritt
notwendig immer
dann in Erscheinung, wenn die Sehnsucht nach sinnfälliger
Gerechtigkeit, Schönheit und
Harmonie werktätig wird. Sie ist der Inbegriff dessen, was wir
Qualität nennen und der
Maßstab, inwieweit ein Volk bei seiner Arbeit menschlich und
zugleich wirtschaftlich
glücklich geworden ist, denn auch in wirtschaftlicher und
sozialer Hinsicht kann die
Produktion eines Volkes auf die Dauer nicht ersprießlich
werden, wenn die Qualität als
Grundbedingung fehlt. Ein Volk von Produzenten und Konsumenten, das
sich mit einem
gewissen bornierten Heroismus rühmt, von Kunst nichts wissen
zu wollen, gesteht
unwillkürlich ein, daß ihm an Qualität
nichts gelegen ist und daß ihm daher auch an wahrhaft
menschlicher Gesittung und am dauernden
Erfolg seiner Wirtschaft nichts gelegen sei.
Wir stehen schließlich dem Zerrbild einer Kultur
gegenüber, wo die besten Kräfte und
Anlagen, die technischen Erfindungen und wissenschaftliche Entdeckungen
zu einem
unerhörten Mißbrauch ausgenützt werden. In
dieser Zeit sehen wir den Begriff einer
qualifizierten Arbeit immer mehr schwinden und einer auf
äußerliche Schönheit und
Täuschung berechneten Erzeugung Platz machen, in der sich die
große Dienerin der
Menschheit, die Maschine, als Tyrannin auf spielt.
Schließlich ist der Markt mit Gütern
überschwemmt, die durch gewisse täuschende
Äußerlichkeiten und namentlich durch die
stechende Billigkeit das Feld behaupten und nach und nach dem ganzen
Leben bis in das Heim
in unsere innerste Seelenverfassung hinein ein neues, wenig
erquickliches Gepräge gibt.
Wir sehen anfangs mit Staunen eine Unmenge neuer Dinge, die uns auf den
ersten Blick
kostbar als Material und als anscheinende Handarbeit vorkommen; die
große Masse des
Publikums, von diesem Schein angelockt, sehnt sich gierig
darnach mit Kinderaugen und mit Kinderhänden, und alsbald
befestigt sich die
Scheinwahrheit: Das Publikum verlangt es so und nicht anders. Aber
über Nacht schon
entpuppen sich diese Rübezahlgeschenke in ihrer wahren Natur.
Wir erkennen nach näherer
Prüfung, bei einiger Erfahrung, daß die meisten
Dinge schleuderhafte und unreelle
Nachahmungen der Handarbeit durch die Maschine darstellen.
Verfälschungen von Stoffen und
die geradezu betrügerische Absicht, eine Sache anders und
besser erscheinen zu lassen,
als sie wirklich ist. Nach und nach kann eine solide und
sachgemäße Herstellung diesem
Ansturm einer mächtigen unlauteren Konkurrenz nicht
standhalten. Wir verlieren allgemach
bis auf wenige Ausnahmen wichtige, von dem Qualitätsbegriff
nicht zu trennende
kunstgewerbliche und künstlerische Erzeugungen, die mehr und
mehr durch industrielle
Nachahmungen ersetzt werden. Wir haben heute im eigentlichen Sinn keine
Goldschmiedekunst
mehr, keine Schnitzkunst, und in der Keramik, in der Buchbinderei, in
der Glasmalerei,
Druckerei, Weberei sind die wahrhaft hochstehenden Erzeugnisse zu einer
solchen Seltenheit
geworden, daß sie fast als Raritäten anzusehen und
durchaus unvolkstümlich geworden
sind.
Dagegen hat die Industrie, anstatt die technischen und
künstlerischen Merkmale ihrer
Erzeugnisse zu suchen, sich darauf beschränkt, alle Merkmale
einer hochstehenden alten
Handwerkskunst in uneigentlichen schlechten Materialien im maschinellen
Herstellungsweg
nachzuahmen. Auf diesem Weg sind wir zu einem neuzeitlichen
Gütersegen gekommen, der
Kacheln aus Blech, Ledertapeten aus Papier, Schuhsohlen aus Pappe,
Leinenpapier aus
Holzstoff und all die unzähligen Fälschungen
hinsichtlich der Stoffe, der Formen und der
Technik bescheert. Wir finden Schnitzereien, in herkömmlichen
Stilformen, die durchaus
Maschinenarbeit sind, Goldschmiedearbeiten die ausnahmslos von der
Maschine gestanzt und
von den sogenannten kleinen Goldarbeitern nach Art der
Uhrenbestandteile montiert werden,
wir finden Marmorimitationen und künstliche Maserungen,
Stofftapeten, die Papier sind und
Bronze, die Gips ist, die Unmenge von sogenannten Galanterie- und
Luxuswaren, die den
üblichen Wohnungsschmuck bilden, wo die Nachahmung
französischer Bronzen aus Zinnguß
eine Hauptrolle spielt. Wir können alle Stilarten von
Öfen und Kacheln haben, aber nur
die eine richtige Stilart nicht, die sich als reines
Handwerkserzeugnis, oder als reines,
glattes Maschinenerzeugnis ausdrückt. Wir sind nun keineswegs
darauf erpicht, an unseren
Einrichtungen und Anschaffungen bloße edle Handarbeit zu
sehen, was bei dem Stande des
Massenbedürfnisses und der heutigen Produktionsart durchaus
nicht im ganzen Umfang
möglich ist. Wir müssen vollauf die Berechtigung der
Maschinenarbeit und ihren Segen
anerkennen, aber wir dürfen verlangen, daß diese
Herstellungsart ihrem Wesen getreu und
bei aller Sachlichkeit und Schlichtheit künstlerisch geadelt
sei. Es ist nicht zu
verwundern, daß die Schundproduktion vergiftend bis auf die
Quellen zurückwirkt und die
Gewinnung der Rohmaterialien dem gleichen Grundsatz der
Täuschung und Verschlechterung
unterwirft. Wir haben es schließlich so herrlich weit
gebracht, daß selbst eine
wiederbeginnende solide Arbeitsweise in Frage gestellt wird durch die
enorme
Schwierigkeit, unverfälschte und einwandfreie Materialien zu
erlangen.
Lederarten, die nicht durch chemische Prozesse, durch
künstliche
Narbungen und ähnliche, auf Täuschung abzielende
Behandlungsweisen qualitativ in Frage
gestellt, sind kaum mehr oder nur mit allergrößten
Schwierigkeiten zu erlangen.
Echtfarbige Stoffe gehören zu den Seltenheiten und
müssen in der Regel aus dem Ausland
bezogen werden. Die Pflege feiner heimischer Holzarten für den
Bedarf der Kunsttischlerei
ist derart zurückgegangen, daß wir auch in dieser
Hinsicht auf das Ausland angewiesen
sind. Bis in die Natur hinein und in das Landschaftsbild macht sich die
Verschlechterung
der Qualität geltend und es hat fast den Anschein, als ob der
deutsche Wald nur mehr für
den Bedarf der Papierfabriken bewirtschaftet würde.
Allmählich
hat sich die Meinung festgesetzt, daß Industrie und
Gewerbefleiß eines Landes in der
fortschreitenden Entwicklung gleichbedeutend ist mit der
Verschlechterung des gesamten
wirtschaftlichen Haushaltes und daß die Industrialisierung
mit dem Begriff von
Schunderzeugung eng verwachsen ist. Die Tatsachen geben dieser
Auffassung allerdings
recht, wenngleich immer wieder gesagt werden muß,
daß die Industrie durchaus nicht das
Odium der Schundproduktion zu dulden braucht. Eine Erzeugung jedoch,
die fortwährend auf
Verschlechterung hinarbeitet, und sich schließlich immer nur
durch Preisunterbietungen
halten kann, arbeitet auf Kosten vorhandener wertvoller
Materialgüter und auf Kosten der
zu höheren Aufgaben berufenen menschlichen
Arbeitskräfte. Trotz vereinzelter
vorübergehender Hochkonjunkturen der Handelsumsätze
muß notwendigerweise eines Tages
die Krisis eintreten, die die schlimmen Folgen des
Mißbrauches von Natur- und Menschenkräften
über uns verhängen wird. Die
Produktions-Verschlechterung und Preis-Unterbietung geht immer auf
Kosten des arbeitenden
Volkes, des Konsumenten und der an sich wertvollen Naturstoffe.
In der Tat empfinden wir schon vielfach die sich notwendig ergebenden
schlimmen Folgen,
die sich in dem wirtschaftlich, moralisch und hinsichtlich seiner
Leistungen
heruntergekommenen Arbeiterstande und in unserer immer
größerwerdenden Abhängigkeit von
dem Ausland äußern. Wir müssen die
Rohprodukte und namentlich die besseren Qualitäten
zu hohen Preisen einführen und sind gezwungen, unsere
Schund-Produktionen auf dem
Weltmarkt zu den niedrigsten Preisen anzubieten, wenn
wir unsere Fabriken beschäftigen wollen. Bei dem teuren
Einkaufen und dem billigen
Verkaufen muß sich notwendigerweise ein Defizit ergeben, das
nicht unbedingt in der
Handelsbilanz zum Ausdruck kommt. Im Gegenteil. Die Handelsbilanz kann
uns diese Krisis
auf Zeiten hinaus durch anscheinend immer günstigere
Zahlenverhältnisse verbergen. Die
tatsächlich enormen Verluste werden hier gar nicht gebucht,
denn sie werden von einem
Faktor getragen, der nicht in diese Rechnung kommt. Diese enorme
Verlustdifferenz wird von
dem arbeitenden Volk selbst getragen und die Hungerlöhne, die
wirtschaftliche
Hilflosigkeit des Proletariats mit allen daraus entspringenden sozialen
Schäden stellen
das Verlustkonto dar, auf dem die Nation ihren Rechnungsfehler
büßt. Hier ist die Lage
so hoffnungslos, daß selbst die durch Streiks und
andere Mittel der Selbsthilfe bewirkten Lohnerhöhungen sofort
durch eine
unverhältnismäßig hohe Steigerung der
Lebensmittel illusorisch gemacht wird. Hieraus
folgt die Tatsache, daß das fleißigste
Industrieland den teuersten Lebensunterhalt
gewährt, und daß jene, die am schwersten arbeiten,
und am wenigsten verdienen,
verhältnismäßig ihren Unterhalt am
teuersten bezahlen müssen. Abgesehen von den sich auf volkswirtschaftlichem Untergrunde
abspielenden Krisen bewirkt
die mangelhafte Gesinnung in der industriellen und gewerblichen
Erzeugung eine geradezu
kulturfeindliche Wirkung auf das äußere Lebensbild.
Wir sind gewohnt zu sagen, daß sich
in der Bauweise eines Volkes die Beschaffenheit seines Charakters
zeige. Wir können
diesen Satz als erwiesen hinnehmen, denn der heutige
volksmäßige Ausdruck in der
Bauweise stimmt vollends mit der erwähnten, in der sonstigen
nationalen Arbeit
betätigten Gesinnung überein.
Auch in der Architektur sehen wir das gleiche Streben einer auf
Täuschung abzielenden
Werktätigkeit. Falsche Quadern, falsche Rustika, falsche
Türme, nicht zugänglich und
nicht zum Zweck der Ausschau, auf allen Zinskasernen, Konsolen und
Stützen, die nichts
stützen, sondern selber getragen sind, Scheinskulpturen aus
Gips gegossen,
Steinarchitektur aus Blech mit Mörtelverputz und
ähnliche Erscheinungen, die einen
sogenannten herrschaftlichen Anstrich geben sollen, einen Anstrich,
hinter dem sich das
ganze sattsam bekannte Wohnungselend unserer Städte
verbirgt. Im Kunstgewerbe, das ja auch einen Teil der Architektur
bedeutet, herrschen ganz
ähnliche Erscheinungen, künstliche Maserungen,
zwecklose Beschläge, Dekorationen im
Jugendstil oder in historischen Stilen, Zierrat und kein Ende und in
der Regel ein
völliges Mißverstehen von wahrhaft sachlichen
Grundsätzen und Forderungen, die das
Leben nötig hat. Diese sichtbaren Züge unseres Lebens sind der Ausdruck einer
inneren Verfassung und es
ist folgerichtig, daß sie in intellektueller und sozialer
Hinsicht ein ähnliches
Schauspiel darbieten. Es ist das gleichartige Streben der heutigen
Menschheit, einen
Vorrang auf der sogenannten Stufenleiter des Lebens
einzunehmen, wobei in der Stufenleiter der Grad des Einkommens und der,
in der Regel von
diesem Einkommen abhängige Titel maßgebend ist.
Vorwärts zu kommen ist das moderne Gebot des gesunden
Menschenverstandes, worunter ein
Vorwärtskommen in materieller Hinsicht vorwiegend verstanden
wird. Weil in der Tat in dem
erbitterten Konkurrenzkampfe niemand in diesem Sinne vorwärts
kommen kann, der in der
Wahl der Mittel heikel ist, so ist dieses Vorwärtskommen in
der Regel auf eine
Unterdrückung, Vergewaltigung und offenbares Unrecht
gegründet. Die notwendige Folge ist
Unterwürfigkeit, Kriecherei und Augenaufschlag nach oben,
Härte, Gewissenlosigkeit und
Bedrückung nach unten. Der gesunde Menschenverstand herrscht
allmächtig und dieser
gesunde Menschenverstand bestimmt die Moral, die schließlich
immer auf den Grundsatz
hinausläuft, zuerst ich und dann Du. Es ist klar,
daß auf Grund dieser Verfassung jede
Tat lediglich nach ihrem äußeren Erfolg beurteilt
wird. Wir wissen zwar alle recht gut,
wie in der Regel die äußeren Erfolge zustande kommen
und welchen schweren Stand das anspruchslose innere Verdienst dagegen
hat.
Aber wir sind nichtsdestoweniger bereit, den äußeren
Erfolgen gegen unser besseres
Gefühl Beifall zu zollen und ihnen das höchste
Maß von Ehren entgegen zu bringen. Ja
wir sind in unserer moralischen Laxheit jederzeit entschlossen, den
äußeren Erfolg als
Maßstab des inneren, oft völlig mangelnden Wertes zu
betrachten. Wir dürfen uns daher
nicht wundern, wenn nun alles Streben in jener krankhaften Sucht darauf
gerichtet ist, auf
eine höhere Stufe der sogenannten Rangordnung zu gelangen und
daß die wahrhaft
menschliche Größe, die sich überall und in
der Regel fern von diesen Rangordnungen
entfalten kann, als etwas Unzeitgemäßes,
Unpolitisches und Halblächerliches betrachtet
wird, in einer Zeit, die »Unwert schweigendem Verdienst
erweist«. Wissenschaftliche Dogmen sind heute im Dienste
nationalistischer
Lebensauffassung zu einer solchen unumstößlichen
Herrschaft gelangt, wie im Mittelalter
etwa die religiösen Glaubenssätze, mit dem
Unterschied jedoch, daß diese Glaubenssätze
inmitten eines rauhen und harten Lebens ein Schutzdach für
wahrhaft edle Menschlichkeit,
für die Entfaltung eines uneigennützigen,
ehrfurchtgebietenden Heroismus und für die
Kraft göttlicher Begeisterung gewährte. Der gesunde
Menschenverstand und die von der
einseitigen Verstandestätigkeit entwickelte Wissenschaft,
wonach nichts Bestand hat, was
nicht zählbar und wägbar für die
unmittelbaren Bedürfnisse des Individuums in Betracht
kommt, haben diese egoistische, engherzige Ordnung festgelegt und sich
zum Wächter ihrer
Moral gemacht. Wir befinden uns heute in einer
religiösen Krisis, die zugleich eine moralische ist, denn es
scheint, daß jener
mystische Quell, aus dem die Menschheit ewig ihre Kraft und
Schönheit schöpfen wird, in
der herrschenden Geistesverfassung keine Rolle spielen soll.
Wir wollen alle unseren Pflichten leben in der Meinung, damit alle
Fragen und Forderungen
des menschlichen Geistes zu befriedigen, aber wir vergessen ganz,
daß wir diese Pflichten
nach Maßgabe dieses gesunden Menschenverstandes auf
egoistischer Grundlage aufgebaut
haben und sind wirklich der Meinung, daß es
vollständig für das menschliche Glück
ausreicht, nach den Gesetzen zu leben. Wenn wir nun immer tiefer
heruntersteigen zu den
psychologischen Grundlagen, aus denen unsere sichtbare Kultur und
unsere Arbeitsweise
hervorgewachsen ist, so finden wir, daß der Begriff des
Rechtes, den uns der gemeine Menschenverstand vorgezeichnet hat,
vollkommen der
Auffassung entspricht, die unser ganzes Tun, unser Denken, Arbeiten und
Handeln leitet.
Alle unsere Einzelbestrebungen, eine Wendung zum Besseren
herbeizuführen, müssen
notwendigerweise an der Beschaffenheit unseres Rechtes scheuern. Hier
ist in der Tat die
Wurzel der herrschenden Gesinnung und die Krankheit ist eine
Wurzelkrankheit. Wir sehen,
wie dieser Rechtsauffassung nach die Mehrzahl der arbeitenden
Menschheit von der
eigentlichen Grundlage allen ersprießlichen Arbeitens, von
dem Recht des
unveräußerlichen Bodens ausgeschlossen ist. In der
Krisis, die uns beschäftigt, spielt
die Bodenfrage und die Wohnungsfrage eine eminente Rolle. Solange diese
Frage nicht gelöst ist, werden wir die Schwierigkeiten nicht
überwinden. Der ungeheure Komplex von Problemen, die auf
Wirkung und Gegenwirkung
beruhen, kann nicht von der Kraft eines Einzelnen bewältigt
werden. Das ganze Volk muß
sich schließlich geistig an dem Gedanken entzünden,
der in unserer Forderung der
Qualität liegt. Nicht zufällig ist dieser Gedanke in
die Welt gekommen. Er hat stets
gewirkt und wirkt im Verborgenen auch bei uns in der Seele jener
Menschen, die über die
Gehäbigkeit des Alltags hinaussehen und mehr wissen,
als der gesunde Menschen-Verstand sich in seinem kleinlichen Egoismus
träumen läßt.
Unsere Bildung muß dahin kommen, daß sie die
Menschen befähigt, den Blick aufs Ganze
offen zu halten und in dem kleinsten Dinge, das durch menschliche
Arbeit hervorgebracht
ist, die Wirkung einer Kraft zu sehen, die das höchste
Maß von Glück und Schönheit
erstrebt. Es ist, um es mit einem Wort zu sagen, die elementare
künstlerische Kraft, und wenn es heute Menschen gibt, wie die
übergroße
Mehrzahl unserer Gebildeten, die nichts von Kunst verstehen und nichts
wissen wollen, so
ist das nur der überzeugende Beweis eines tiefen moralischen
Verfalles, der unser ganzes
inneres und äußeres Leben mit der Verwahrlosung, der
Entartung und der Verarmung bedroht. Wir stehen ja heute in den
Anfängen einer neuen
Bildung, die dort einsetzt, wo die positive Arbeit des Volkes im
Dienste der Schönheit
und der Veredlung beginnt. Ich meine das moderne Kunstgewerbe. Hier ist
ein ganz
deutliches Beispiel gegeben, welche enorme wirtschaftliche, moralische
und darin eben im
tiefsten Sinne künstlerische Bedeutung, die Pflege der
Qualität hat. Der Fortschritt des
Kunstgewerbes hängt von der Pflege der Qualität ab.
Die Qualität ist das Ergebnis einer Veredlung der Arbeit;
Veredlung und Fortschritt sind
nur möglich auf gewerblicher Grundlage. Hier wird der
künstlerische Gedanke bei der
Arbeit des Volkes werktätig, aber er kann bei dieser einzelnen
Erscheinung nicht stehen
bleiben, denn er umfaßt die ganze sichtbare, von Menschenwerk
abhängige Welt und die
bestimmende, moralische und geistige Verfassung des Menschen. Die
Wirkung, die sich auf einem Gebiet, wie im modernen Kunstgewerbe,
äußert, muß
notwendigerweise nach alten Richtungen ausstrahlen.
Was hier geschieht, wird auf allen Gebieten geschehen, wenn die
Entwicklung zum Segen
führen soll. Die neue Bildung wird das Weltbild
verändern. Sie wird vor allem die
geistige Struktur ändern und die Rechtsauffassung mit dem
künstlerischen Begriff der
Qualität und ihrer notwendigen Grundlage richtigstellen.
J. A. Lux |