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Autor: Meyer, Hannes
In: Zentralblatt der Bauverwaltung - 51 (1931); 14. - S. 211 - 222
 
Bundesschule in Bernau bei Berlin
 
Der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund (ADGB) dankt dem Eifer, der freiwilligen Mitarbeit seiner Funktionäre in den Betrieben außerordentlich viel, und gleichzeitig steigen die Ansprüche, die der Gewerkschaftsbund an Bildung und Wissen dieser seiner Mitarbeiter stellt. Schon seit einiger Zeit hatten deshalb manche der großen Verbände, die Metallarbeiter, die Buchdrucker, Kurse zur Weiterbildung ihrer Mitglieder eingerichtet. Schließlich entstand der Plan, diese Weiterbildung in einigen großen Schulen von mustergültiger Anlage zu zentralisieren, und als die erste solcher Bundesschulen steht seit dem 1. Mai 1930 der Bau in Bernau da, dessen landschaftliches, technisches und künstlerisches Plus als ein Dank an den "unbekannten Mitarbeiter" der Gewerkschaften gedacht ist. Eine sehr schöne, leicht bewegte Lichtung im Bernauer Forst, 16 Morgen groß, mit einem kleinen See in der Senke, eine knappe Stunde vor dem Städtchen, wählte der Bundesvorstand für den Bau. Das Haus nimmt für je vier Wochen 120 Arbeiter und Arbeiterinnen jeden Alters zur Weiterbildung und zur Erholung auf. Für ihre Familien wird während der Dauer des Kurses von den Verbänden gesorgt. Die Unterrichtung erfolgt in Betriebslehre, Volkswirtschaft, Versicherungsrecht, Arbeitshygiene und verwandten Fächern.

Die Gewerkschaften haben schon viel gebaut, aber lange Zeit waren sie als Bauherren nicht sehr glücklich, es sei nur an das erste Gewerkschaftshaus in Berlin am Engelufer erinnert! -, und alle jene, die sich gerade von dem Zusammengehen der fortschrittlichen Arbeiterschaft mit den besten Architekten des Landes Bedeutendes für die allgemeine Kultur erhofften, wurden immer wieder enttäuscht.  Erst nach dem Kriege setzte ein Umschwung ein. Das neue Bürohaus an der Inselbrücke wurde von Max T a u t gebaut, dem bald darauf auch das neue Haus der Buchdrucker übertragen wurde. Und als die Pläne für die erste Bundesschule akut wurden, um deren pädagogisch-technische Vorbereitung sich Otto H e ß l e r verdient gemacht hat, erklärte der Bundesvorstand als sein Programm, daß der Bau ein Musterbeispiel moderner Baukultur werden müsse. Es sollte kein Schulhaus in traditionellem Sinne entstehen mit der erforderlichen Anzahl von Klassen, Seminaren, Wohnräumen usw. in einem Hause beliebiger Form, sondern es sollte das in jeder Hinsicht   Vorbildliche geschaffen werden: der Typ der neuen Schule, einmal, um dem Opfersinn der hier sich weiterbildenden Arbeiter die dankbare Gesinnung ihrer großen Organisation zu zeigen, zugleich aber auch, um ihnen, die doch alle aus engen häuslichen Verhältnissen, oft genug aus überfüllten und ungenügenden Wohnungen kommen, wenigstens für diese Wochen des Unterrichts die Ziele und Methoden moderner Wohnkultur in einer so reinen und zwingenden Form nahe zu bringen, faktisch erlebbar zu machen, daß sie von dem Beispiele für immer Nutzen und inneren Gewinn hätten. Ein Maximum von Lebensfreude, die Nähe der elementaren Lebensreize, sollte den Schülern hier vermittelt werden bei aller Schlichtheit und Knappheit des Baues. So war eine Aufgabe gestellt, die vom Architekten ein ganz besonderes Maß von Takt erforderte, denn so wenig der Bau eine Schulkaserne werden durfte, so wenig durfte er renommistisch in einen fremden äußerlichen  Luxus fallen.

Um den rechten Mann für den Bau zu finden, schrieb der ADGB einen engeren Wettbewerb zwischen sechs Architekten aus:
Max  B e r g , Alois K I e m e n t , Hamburg, Willy Ludewig, Erich Mendelsohn, Hannes M e y e r und Max T a u t. Preisrichter waren der Vorsitzende des Bundesvorstandes Theodor   L e i p a r t , der Bildungssekretär des ADGB Otto Heßler, die Architekten T e s s e n o w  und Martin  W a g n e r  und der  V e r f a s s e r. Hannes Meyer ging als Sieger aus dem Wettbewerb hervor, und der Bau wurde ihm übertragen*).

*) Vgl. a. Jahrg. 1928 d. BL, S. 397. - Alle Aufnahmen, mit Ausnahme der Flugzeugaufnahmen, sind "Bauhaus-Photos" von Peterhanns.
Am besten in den Flugzeugaufnahmen erkennen wir die in allen Gelenken locker spielende, flüssige Beweglichkeit dieses Hauses, das ohne Panzer jede Bewegung des Bodens und jede Bewegung des Sinnes mitmacht. Die Diktatur der Form ist abgebaut, das Leben ist siegreich und sucht sich seine Gestalt.
Hundertundzwanzig Schüler und Schülerinnen in 60 Zimmern erforderte das Bauprogramm. Dazu kommen noch Zimmer für Kranke, für Personal, für Gäste. Wie kann man diese Zimmer anordnen, ohne daß ein Hotel entsteht mit langen, lärmvollen Fluren?

Hannes Meyer erkannte, daß es sich ja hier nicht um 120 beliebige Einzelne handelt, sondern um Menschen, denen der Begriff der Gemeinschaft schon tief ins Blut gedrungen ist, und so gliederte er seinen Bau in Gemeinschaften. Seine Einheit ist nicht ein Einzelner, sondern eine Gruppe von je zehn Schülern, die auch beim Studium, beim Sport, beim Spiel und als Tischgesellschaft eine Gruppe bleiben. Je fünf Zimmer mit je zwei Betten sind seine Einheit. Diese fünf Zimmer haben einen Flur und je drei Zimmergruppen übereinander ein Treppenhaus für sich. Gegeneinander, dem Boden folgend leicht abgesetzt, reihen sich die Zimmergruppen aneinander, so daß niemals der Hotel- oder Kasernencharakter entsteht. Für den Durchgangsverkehr aber zur Straße, zur Verwaltung, zum Speisesaal, zu den Seminarien und zur Sporthalle hat Meyer einen glasgedeckten Gang ebenerdig vor die Flucht gelegt, auf den die Treppenhäuser münden. Es wohnen also faktisch hier immer nur zehn Menschen an einem Flur, unter Verhältnissen, die Arbeit und Kameradschaft begünstigen.

Den Höhenlinien des Geländes folgend steht der Haupttrakt, mit den 60 Zimmern nach Südosten gerichtet, gegen den kleinen See. Der Straße zu gliedern sich dem Wohntrakt an: der Speisesaal mit einem Spiel- und Erholungsraum, der einen wundervollen Ausblick auf den See hat; die Aula, die auch für kleinere Kongresse dienen soll; die Küche mit Wirtschaftsräumen; die Verwaltung und noch weiter an die nach Bernau führende Straße herangeschoben die Einfamilienhäuser der Lehrer mit ihren Gärten.

Am weitesten abgerückt von der Straße ist der eigentliche Schulbau, der im Erdgeschoß zwei Seminare und den Lesesaal und darüber drei Klassenzimmer enthält. Unter den Klassen liegt eine gedeckte Turnhalle. Wenige Schritte führen von hier zum See hinunter und zum Sportplatz.

Das reizvolle Terrain ist nahezu unberührt geblieben. Der weite freie Blick aus den Geselligkeitsräumen und Wohnzimmern ist unbeschreiblich schön, und es war eben dies einer der Punkte, die der Architekt am wichtigsten nahm: fern aller Repräsentation und Steifheit die allerintimste Verbindung zwischen Natur und Bau herzustellen.

Hannes Meyer glaubte dieses Ziel am ehesten zu erreichen, wenn er jede Form und jedes Material mit vollkommenster Unbefangenheit behandelte. Er ist auf keinerlei Stil ausgegangen, weder auf Landhaus noch auf Bauhaus, und er hat ein Haus geschaffen, das in aller Knappheit und Strenge liebenswürdig und bei aller fanatischen Durcharbeitung der Aufgabe bis in alle Einzelheiten selbstverständlich und natürlich dasteht. Mit einer kühlen, dabei feinen Exaktheit macht sich der Bau gut in der märkischen Landschaft. Man darf wohl sagen, daß er unsere beste Tradition, etwa von Schinkels Bauakademie her, auf neuer Basis und ohne Maske fortführt. In der Aula steigert sich die Klarheit, Frische und Prägnanz des Baues zu einem festlichen Klang.

Ueber alle technischen, konstruktiven und wirtschaftlichen Einzelheiten geben die Erläuterungen des Architekten genaue Auskunft. Der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund darf stolz auf diesen Bau sehen, der in vorbildlicher Form einer guten kulturellen Sache dient.

Berlin, Dr.AdolfBehne