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Autor: Mies van der Rohe, Ludwig
In: Die Form - (1930); 1. - S. 406
 
Die neue Zeit
 
Schlußworte des Referats Mies van der Rohe auf der Wiener Tagung des Deutschen Werkbundes

Die neue Zeit ist eine Tatsache; sie existiert ganz unabhängig davon, ob wir "ja" oder "nein" zu ihr sagen.
Aber sie ist weder besser noch schlechter als irgendeine andere Zeit. Sie ist eine pure Gegebenheit und an sich wertindifferent. Deshalb werde ich mich nicht lange bei dem Versuch aufhalten, die neue Zeit deutlich zu machen, ihre Beziehungen aufzuzeigen und die tragende Struktur bloßzulegen.
Auch die Frage der Mechanisierung, der Typisierung und Normung wollen wir nicht überschätzen.
Und wir wollen die veränderten wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse als eine Tatsache hinnehmen.
Alle diese Dinge gehen ihren schicksalhaften und wertblinden Gang.
Entscheidend wird allein sein, wie wir uns in diesen Gegebenheiten zur Geltung bringen.
Hier erst beginnen die geistigen Probleme.
Nicht auf das "Was", sondern einzig und allein auf das "Wie" kommt es an.
Daß wir Güter produzieren und mit welchen Mitteln wir fabrizieren, besagt geistig nichts.
Ob wir hoch oder flach bauen, mit Stahl und Glas bauen, besagt nichts über den Wert dieses Bauens.
Ob in Städtebau Zentralisation oder Dezentralisation angestrebt wird, ist eine praktische, aber keine Wertfrage.
Aber gerade die Frage nach dem Wert ist entscheidend.
Wir haben neue Werte zu setzen, letzte Zwecke aufzuzeigen, um Maßstäbe zu gewinnen.
Denn Sinn und Recht jeder Zeit, also auch der neuen, liegt einzig und allein darin, daß sie dem Geist die Voraussetzung, die Existenzmöglichkeit bietet.