Eröffnungsrede zu den
Vorlesungen über
modernes Kunstgewerbe an der Handelshochschule in Berlin
Es könnte vielleicht als ein
zufälliges Zusammentreffen
angesehen werden, daß die ersten Vorlesungen, die an einer
deutschen Hochschule über
modernes Kunstgewerbe gehalten werden, an eine Handelshochschule
fallen. Was hat das
Kunstgewerbe mit der Handelshochschule zu tun?
Und doch ist das Zusammentreffen kein rein zufälliges. Hier
laufen vielmehr zwei wichtige
moderne Bestrebungen zusammen, die beide im Geistesleben der Gegenwart
ihre Rolle spielen.
Der Gedanke des Kunstgewerbes sowohl, als das Bestreben des
Kaufmannsstandes, sich
universell zu bilden, sind Erscheinungen der neuesten Zeit. In beiden
Bewegungen betätigt
sich ein moderner Geist, beide berühren sich auf der
gemeinsamen Basis der Probleme der
Gegenwart. Allerdings wirkt auch ein äußerlicher
Grund mit. Die alten privilegierten
Hochschulen gehen ihren alten Gang; eine moderne Bewegung hat es nicht
leicht, sich in
ihren festumgrenzten Organismus einzufügen. Ein neues
Institut, wie die Handelshochschule
jedoch ist beweglich, anpassungsfähig und jugendfrisch genug,
um alles der Beachtung zu
würdigen, was sie unbefangen als in ihre
Interessensphäre fallend erkennt. Auf diese
Weise konnte es gerade der Handelshochschule vorbehalten bleiben,
zuerst die Bedeutung des
Kunstgewerbes zu entdecken und durch Heranziehung in ihr
Unterrichtsgebiet zu würdigen.
Worin liegt aber die Bedeutung des modernen Kunstgewerbes? Wie ist es
möglich geworden,
daß ein so kleines Spezialgebiet, von dem das
größere Publikum bis vor kurzer Zeit noch
nichts wußte, heute bereits zu einem akademischen Lehrgebiet
werden kann? Die Wichtigkeit
und Tragweite des Gegenstandes auseinanderzusetzen, soll das Ziel
meiner Vorlesungen in
diesem Semester sein. An der Hand der Entstehung und der inneren
Entwicklung des
kunstgewerblichen Gedankens wird sich die Bedeutung, die dem
Kunstgewerbe heute schon
zukommt, und die ihm in der Zukunft wahrscheinlich in vermehrtem
Maße zugesprochen werden
wird, logisch entwickeln lassen. Indessen ist es doch vielleicht von
Wichtigkeit, in
dieser meiner einleitenden Vorlesung das Gebiet, wie es heute vor uns
liegt, gleichsam mit
dem Scheinwerfer abzuleuchten, um die markantesten Punkte von
vornherein zu erkennen und
in ihrer Bedeutung zu verstehen. Die Einzeldeduktion wird dann um so
sicherere Zielpunkte
haben und das Schlußergebnis sich mit
größerer Klarheit aufbauen.
Die Bedeutung des modernen Kunstgewerbes ist gleichzeitig eine
künstlerische, eine
kulturelle und eine wirtschaftliche. Ich nenne die
künstlerische zuerst, weil sie
gewissermaßen selbstverständlich ist, und weil sich
die ganze kunstgewerbliche Bewegung
fast bis in die neueste Zeit herein in ihr erschöpfte. Die
kulturelle Bedeutung des
Kunstgewerbes ist noch nicht so deutlich sichtbar. Die hier
tätigen Kräfte fangen eben
erst an zu wirken. Und was die wirtschaftliche Bedeutung anbelangt, so
liegt diese fast
ausschließlich in der Zukunft. Es lassen sich aber vielleicht
Hoffnungen aussprechen, die
auf Parallelen in der Geschichte fußen.
Die künstlerische Bedeutung des Kunstgewerbes ist in
Deutschland aller Welt klar geworden
durch eine Dokumentation ersten Ranges, die sich in diesem Sommer
abgespielt hat. Soeben
haben sich die Pforten der III. Deutschen Kunstgewerbe-Ausstellung in
Dresden geschlossen,
die aller Welt bekannt gemacht hat, auf welchem Standpunkt das deutsche
Kunstgewerbe heute
steht. Es ist daher vielleicht angezeigt, diesen Standpunkt in ein paar
kurzen Worten zu
skizzieren.
Das, was jedem Betrachter in Dresden zuerst auffallen mußte,
war, daß alles, was
ausgestellt wurde, von der kleinen Kunststickerei bis zum
ausgestatteten Zimmer, eine
eigene künstlerische Sprache redete. Diese Sprache hat mit der
des alten Kunstgewerbes,
wie wir es in den achtziger und neunziger Jahren blühen sahen,
nichts mehr gemein. Eine
grundsätzliche Aenderung des Zieles ist eingetreten. Die
Verwendung der Aeußerlichkeiten
der alten Kunststile ist von der Tagesordnung abgesetzt, man bestrebt
sich, eine neue,
eigene, selbstständige, künstlerische Sprache zu
reden. Das ist das Auffallendste an den
Erzeugnissen des modernen Kunstgewerbes. Und in diesem Schritte, die
ausgetretenen Geleise
der letzten Jahrzehnte zu verlassen, die sich in Filtration und
Wiederfiltration der
historischen Kunst ergingen, ist gewiß eine Großtat
des modernen Kunstgewerbes zu
erblicken. Nur eine jugendlich bewegte, enthusiastische Zeit konnte
diesen Schritt tun.
Tatsache ist, daß ein derartiger Neuausgang auf stilistischem
Gebiete seit Jahrhunderten
nicht genommen worden ist. Als die Renaissance mit den Prinzipien der
Gotik brach,
herrschte zwar ein ähnliches enthusiastisches Streben nach
Neuem, wie wir es heute in der
modernen kunstgewerblichen Bewegung beobachten, allein damals hatte man
lediglich das
Ziel, sich die Formen der eben neuentdeckten Antike anzueignen. Man
blickte damals nicht
vorwärts, sondern rückwärts. Nun ist zwar
auf der Grundlage der antiken Formen, im
Zeitalter der Renaissance beginnend, viel Neues entwickelt worden.
Verschiedene sich
abwechselnde Richtungen haben auf Seitenwegen oder durch Einschlag von
anderen Elementen,
wie arabischen (Ornamentik der deutschen Renaissance), chinesischen
(Rokokokunst) usw.
eine zeitlich so festumgrenzte Formensprache erzeugt, daß wir
sie heute fast auf
bestimmte Jahrzehnte der Kunstgeschichte datieren können. Aber
immerhin handelte es sich
nur um Modifikationen eines ein für allemal durch die Antike
gegebenen Themas. Die
selbständigste dieser Modifikationen war die Rokokokunst, ein
plötzliches Aufflackern
eigenwilliger Gestaltungsziele, das sich noch am ersten mit den
revolutionären, alles
Bisherige verlassenden Tendenzen des modernen Kunstgewerbes vergleichen
läßt. Im
modernen Kunstgewerbe jedoch handelt es sich nicht um
Einschläge von Motiven vergangener
oder anderswo gewachsener Kunstrichtungen, vielmehr ist die
grundsätzlich selbständige
Gestaltung das Leitmotiv.
Welche Ansicht man nun auch über das Endergebnis dieses
Strebens der Vermeidung aller
historischen Anklänge haben mag, so steht doch heute schon
eins fest: es ist gelungen,
auf der Grundlage einer absolut selbstständigen Gestaltung
Werke von überzeugender
künstlerischer Wirkung zu schaffen. Freund und Feind
muß dies anerkennen. Und auch von
den Feinden der Bewegung hat niemand zu leugnen gewagt, daß
hier eine nationale Großtat
von nicht zu unterschätzender Bedeutung vorliege.
So sehr aber auch diese Außenseite der Sache in die Augen
fällt, so liegen doch die
eigentlichen Triebkräfte der modernen kunstgewerblichen
Bewegung nicht ausschließlich
oder auch nur vorwiegend in der Gestaltung in neuen, von der
historischen Kunst nicht
gekannten Formen. Sie sind vielmehr in einer völligen
Sinnesänderung zu erblicken, die
gegenüber dem kunstgewerblichen Bilden der achtziger und
neunziger Jahre eingetreten ist.
Damals gestaltete man in Verliebtheit in die alte Kunst. Diese
Verliebtheit war gerade so
weit entwickelt, um den innigen Wunsch hervorzurufen, ebensolche Werke,
wie die alte Kunst
sie darbot, zu schaffen. Dieses "ebensolche" bezog sich aber auf die
äußere
Erscheinungsform der alten Kunstwerke. Und man vergaß dabei,
daß diese Erscheinungsform
nur ein Ausdruck der in jenen Zeiten tätig gewesenen inneren
Einflüsse sein konnte. Man
vergaß, daß diese alten Gegenstände eben
gerade deshalb so vollendet waren, weil sie
eine markante Form der damaligen Bedingungen in geistiger, materieller
und sozialer
Beziehung war. Man kam nicht auf den Gedanken, daß die
geistigen, materiellen und
sozialen Bedingungen unserer Zeit total andere geworden waren, und
daß man daher, indem
man die äußere Erscheinungsform alter
Handwerkserzeugnisse imitiert, eigentlich
Falsifikate in die Welt setzte. In der Tat beweist der rasche Wechsel
der Stilmoden der
zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in welcher geringen
Beziehung die äußere Form der
neugeschaffenen Erzeugnisse zu dem Zeitgeist stand. Man könnte
das Kleid dieser
Stilerzeugnisse mit Maskeradenkostümen vergleichen, die man
nur einen Abend trägt und
nach Belieben wechselt.
Das Bestreben, von diesen Maskeradenscherzen loszukommen und sich rein
auf die Bedingungen
unserer Zeit zu stellen, ist die wichtigste Triebkraft der neuen
Bewegung im Kunstgewerbe.
Die Bedingungen der Zeit sind zunächst am deutlichsten
vorgezeichnet in der notwendig zu
verlangenden Gebrauchsfähigkeit. Die Gebrauchsanforderung an
alte Möbel und Geräte war
vielfach abweichend von den modernen Gebrauchsanforderungen. Die
Gestalt der Sitzmöbel
hängt mit den häuslichen und gesellschaftlichen
Gebräuchen, sowie mit der Kleidermode
zusammen. Die Sitte des Essens hat sich gegen frühere
Jahrhunderte ungemein verändert;
unser Reinlichkeitsbedürfnis ist enorm gesteigert und hat neue
Vorrichtungen geschaffen;
unser sanitäres Empfinden ist, man kann kaum sagen gesteigert,
sondern geradezu neu
entstanden. Die Form des Wohnens ist dadurch eine andere geworden. Zu
dem früheren
Bestand an Geräten ist eine ganze Anzahl neuer hinzugekommen,
andere sind in neuer
Grundform in weitem Umfange verändert worden, eine gute Anzahl
alter Geräte sind dafür
außer Gebrauch gekommen.
Die Umbildung unserer Lebensgewohnheiten ist noch in
fortwährendem Wechsel begriffen.
Will man also den Bedingungen der Zeit gerecht werden, so ist es
zunächst nötig, den
Einzelbedingungen jedes Gegenstandes gerecht zu werden. Und so bildete
es von vornherein
den Hauptinhalt des modernen Kunstgewerbes, sich den Zweck eines jeden
Gegenstandes
zunächst einmal recht deutlich klarzumachen und die Form
logisch aus dem Zweck zu
entwickeln. Sobald aber der Sinn nur einmal von der
äußerlichen Nachahmung der alten
Kunst abgelenkt war, sobald die Realität erfaßt war,
gesellten sich sogleich noch andere
notwendige Forderungen hinzu. Jedes Material stellt für die
Bearbeitung seine besonderen
Bedingungen. Stein erfordert andere Dimensionen und andere Formen als
Holz, Holz wieder
andere als Metall und von den Metallen Schmiedeeisen andere als Silber.
Zu der Gestaltung
nach dem Zweck kam also die Gestaltung nach dem Charakter des
Materials, und mit der
Rücksicht auf das Material war gleichzeitig die
Rücksicht auf die dem Material
entsprechende Konstruktion gegeben. Zweck, Material und Fügung
geben dem modernen
Kunstgewerbler die einzigen Direktiven, die er befolgt.
Das Ergebnis ist freilich nicht immer ein solches, daß die
Form des neu zu bildenden
Gegenstandes durch die Rücksicht auf diese drei
Gestaltungsgrundsätze restlos bestimmt
wäre. Denn es tritt zwischen den Verstand und die Hand des
Bildners das menschliche
Gefühl. Und es tritt ganz besonders dazwischen bei Werken, die
gefällig wirken sollen.
Vielleicht kann der Ingenieur das Gefühl ausschalten, obgleich
auch hieran zu zweifeln
ist. Jedenfalls wäre es völlig absurd, von einem
künstlerischen Gestalter zu verlangen,
daß er das Gefühl und in seinem Gefolge die
Phantasie unterdrückte, um in
mathematisch-logischer Folge Formen zu entwickeln. Der
Gefühlseinschlag ist auch beim
modernen Kunstgewerbe vorhanden und zwar in hohem Maße,
vielleicht sogar in höherem
Maße, als es beim alten Kunstgewerbe der Fall war. Aber es
ist doch ein Unterschied, ob
der Gefühlseinschlag sich von dem Bestreben leiten
läßt, das äußere Aussehen alter
Kunstwerke zu erreichen, oder ob er unabhängig von
historischen Reminiszenzen auftritt.
Jedenfalls ist in der Befolgung der eisernen Grundsätze der
Gestaltung nach dem Zweck,
dem Material und der Konstruktion ein Bollwerk gegeben, das davor
behütet, in historische
Sentimentalität und damit in Unsachlichkeit zu verfallen.
Die Bildung nach historischen Reminiszenzen brachte
beinahe
mit Notwendigkeit eine Verletzung dieser drei Grundsätze mit
sich. Das beweist das
Kunstgewerbe des Zeitalters der Stilimitationen, das heißt
also hauptsächlich der
zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Diese Zeit ist mit ihren
rasch wechselnden Stilmoden
gleichzeitig die Zeit der schlimmsten Verirrungen in sinnwidrigem
Aufputz und in
Materialvortäuschungen aller Art. Surrogate und Imitationen
feierten ihre Triumphe. Holz
wurde in gepreßter Steinpappe imitiert, Stein in Stuck, wenn
nicht in Zinkblech, Bronze
in Zinnguß. Man hatte alles Gefühl für die
einfachsten Regeln des Anstandes in dieser
Beziehung verloren. Und weshalb? Vorwiegend deshalb, weil man in die
äußere Form
vernarrt war und sie infolge jener historischen
Sentimentalität über alles liebte. Ueber
die Auffassung jener Jahrzehnte sind heute zwar die Anhänger
des modernen Kunstgewerbes
hinweg, nicht aber die Allgemeinheit. Publikum und niederes Gewerbe
sind noch durchaus in
ihr befangen. Das beweist z. B. deutlich der deutsche Stubenmaler, der
es als höchsten
Gipfel seiner Kunst betrachtet, Pappe oder Mauerputz wie
Nußbaumholz anzustreichen oder
eine Zinkbadewanne mit Malerei zu überziehen, die
täuschend Marmor imitiert.
Die Perhorreszierung dieser Imitationen und Surrogate wurde das
Leitmotiv des neuen
Kunstgewerbes. Keine Imitation irgend welcher Art, jeder Gegenstand
wirke als das, was er
ist, jedes Material trete in seinem eigenen Charakter in die
Erscheinung. So arbeitete
sich einer der bedeutungsvollsten Grundsätze der gewerblichen
Gestaltung heraus: der der
inneren Wahrhaftigkeit. Und in seinem Gefolge marschierte sogleich der
von ihm abhängige
Grundsatz der werklichen Gediegenheit. Denn die Gediegenheit ist nichts
anderes als die
äußere Kundgebung der inneren Wahrhaftigkeit. An der
Hand der einfachen Logik ist auf
diese Weise ein Prinzip wieder zur Geltung gebracht worden, das im
Getriebe der
industriellen Produktion des 19. Jahrhunderts fast verloren gegangen
war. Allerdings
sprachen bei diesem Verlorengehen noch andere, nämlich
wirtschaftliche und soziale
Umstände mit. Immerhin aber gebührt der
mächtig sich entfaltenden kunstgewerblichen
Bewegung das Verdienst, die Gediegenheit der gewerblichen Erzeugnisse
als allererste
Anforderung in den Vordergrund gerückt zu haben.
Und auf diesem Gebiete liegt vielleicht ihr
fruchtbarster
Beruf und ist vielleicht ihre weitreichendste Bedeutung zu erwarten.
Aber hier ist auch der Kampf mit den bestehenden Zuständen der
härteste. Denn sobald man
irgendwo, sei es auch nur auf gewerblichem Gebiete, die
Grundsätze der Wahrhaftigkeit und
Gediegenheit aufstellt, wird die ganze Lebensauffassung der Generation
berührt. Nur der
stellt Gediegenheitsansprüche, dessen Charaktereigenschaften
dahin entwickelt sind. Die
gewerbliche Produktion des 19. Jahrhunderts ist gerade deshalb von der
Gediegenheit
abgetrieben worden, weil die konsumierenden Kreise ihrerseits nichts
auf Gediegenheit
gaben. Im Kampf der Gesellschaftsklassen um die Vorherrschaft entstand
die
gesellschaftliche Prätension. Der zur Bedeutung gelangende
Bürgerstand empfand ein
Prunkbedürfnis, das er nur mit äußerlichen,
wenig kostspieligen Mitteln befriedigen
konnte, das er aber für nötig hielt, um mit den von
früher her bevorzugten Ständen zu
konkurrieren, wenn nicht sie zu überbieten. Das war
für den Bürger ein ganz neuer
Zustand. Die Prätension, die Sucht mehr zu scheinen, als man
ist, ist in den
bürgerlichen Kreisen des 19. Jahrhunderts geradezu zur
Gewohnheit geworden; wir leben so
in ihr, daß wir gar nicht mehr empfinden, wie sehr sie
vorhanden ist. Aber wir können
sie uns deutlich vergegenwärtigen, wenn wir das Zimmer eines
heutigen besser situierten
Bürgers mit dem eines solchen des 18. Jahrhunderts
vergleichen, etwa das Zimmer eines
modernen Berliners mit dem eines solchen zur Zeit Chodowieckis, oder
die Inneneinrichtung
einer in der "Woche" abgebildeten
Bühnengröße mit den Zimmern im Goethehause
in Weimar. Es ist nicht nötig, die Details auszumalen, jeder
kann sie sich selbst ins
Gedächtnis rufen. Hier Protzerei, dort
äußerste Anspruchslosigkeit und Bescheidenheit,
hier ein mit unechtem Prunk, mit Surrogaten vollgepfropftes Zimmer,
dort äußerste,
anständigste Zurückhaltung, hier eine imitierte, eine
Talmi-Aristokratenkunst, dort die
unverschleierte bürgerliche Gesinnung.
Leider beherrscht diese auf gesellschaftlicher
Prätension
beruhende Ausstattung der Wohnräume des Hauses unsere ganze
deutsche Gegenwart, und eine
mit Imitationen und Surrogaten arbeitende Kunstindustrie liefert das
Material dazu. Und
hier ist der Punkt, gegen den das moderne Kunstgewerbe
ankämpft und ankämpft bis aufs
Messer. Hier sind noch Berge zu stürmen und Festungsmauern
einzureißen. Wird das Ziel
erreicht werden? Diese Frage zu beantworten ist heute schwer. Aber eins
ist klar: das
Kunstgewerbe hat hier eine erzieherische Aufgabe von eminenter
Bedeutung vor sich. Und es
überschreitet hier bereits die Grenzen, die ihm nach
populärer Auffassung zugeschrieben
werden, es wird mehr als Kunstgewerbe, es wird ein kulturelles
Erziehungsmittel. Das
Kunstgewerbe hat das Ziel, die heutigen Gesellschaftsklassen zur
Gediegenheit,
Wahrhaftigkeit und bürgerlichen Einfachheit
zurückzuerziehen. Gelingt ihm das, so wird
es aufs tiefste in unser Kulturleben eingreifen und die weitesten
Folgen ziehen. Es wird
nicht nur die deutsche Wohnung und das deutsche Haus
verändern, sondern es wird direkt
auf den Charakter der Generation einwirken, denn auch die Erziehung zur
anständigen
Gestaltung der Räume, in denen wir wohnen, kann im Grunde nur
eine Charaktererziehung
sein, die die prätentiösen und parvenuhaften
Neigungen, die zu der heutigen
Zimmerausstattung geführt haben, unterdrückt.
So führt die Verfolgung der eigentlichen Grundsätze,
auf denen die neue kunstgewerbliche
Bewegung aufgebaut ist, von selbst zu einer Erweiterung, zur
kulturellen Bedeutung des
Kunstgewerbes. Aber auch auf dem eigentlich künstlerischen
Gebiete sehen wir bereits, wie
die anfänglich schmal gesteckten Grenzen des Kunstgewerbes an
sich überschritten werden.
Von der eigentlichen kunstgewerblichen Idee, der geschmackvollen
Gestaltung der
Handwerkserzeugnisse ausgehend, ist das Kunstgewerbe bereits zur
Umgestalterin unserer
Wohnung geworden. Es ist im Begriffe, eine neue Wohnungskultur
heraufzuführen. In dieser
Richtung liegt heute das eigentliche Ziel seines Wirkens. Von der
Gestaltung des
Innenraums aus bis zur Gestaltung des Wohnhauses, in welchem der
Innenraum auftritt, ist
aber nur ein Schritt. Und tatsächlich läßt
sich heute schon beobachten, wie der
Hausbau, zunächst der Bau des kleineren Landhauses, von dem
vom Kunstgewerbe ausgehenden
Gedanken beeinflußt wird. Die eben angetretene neue Bewegung
im Hausbau kann im ganzen
dahin definiert werden, daß an die Stelle der aufgeputzten,
mit allerhand historischem
Formenkram überladenen Villa ein einfaches Haus tritt, das
sich an die ländlichen
Baumotive anschließt und nach logisch sachlichen
Grundsätzen aufgebaut ist. Dieser
Wechsel in der baulichen Gesinnung ist aber derselbe Wechsel, der aus
dem alten, mit
historischen Formen arbeitenden Kunstgewerbe zum neuen auf sachliche
Grundlage gestellten
Kunstgewerbe geführt hat.
Die wenn auch unbewußte Beeinflussung vom Kunstgewerbe aus
ist augenscheinlich. Und die einfachen Gedankengänge des
Kunstgewerbes sind im Begriffe,
sich noch weiter in die Architektur hinein zu erstrecken. Die
veränderte Strömung im
Landhausbau ist nur der Anfang gewisser vereinfachender Tendenzen in
der Architektur
überhaupt. Bei der enormen Wichtigkeit, die der Architektur im
Kulturbilde einer Zeit
zukommt, kann man sagen, daß erst dann, wenn die
Grundsätze des Kunstgewerbes auf das
ganze große Gebiet der privaten und öffentlichen
Baukunst ausgedehnt sind, die wahre
Mission des Kunstgewerbes erfüllt sein wird.
Daß die mit so großer Energie einsetzende
kunstgewerbliche Bewegung auch auf den
Gebieten der Malerei und Skulptur Parallelen findet, sei hier nur
angedeutet. In der
Malerei ist das neuerdings wieder auftauchende Bestreben zu nennen, im
Sinne des alten
strengen Wandgemäldes zu komponieren. Wir treffen hier auf
einen stark ausgesprochenen
Zug unserer Zeit, der in gleicher Weise in der Plakatkunst, in den
graphischen Künsten,
in der Illustration wie in einem Teile der Malerei zu bemerken ist. Und
in der Skulptur
läßt sich erfreulicherweise in neuerer Zeit
ebenfalls ein Zug zum straffen Stilisieren,
zum Lapidaren beobachten, der die bisherige Genrerichtung und
Theaterpose verläßt. Das
erfreulichste Zeugnis dafür ist vielleicht das neue
Bismarckdenkmal in Hamburg.
Zieht so die neue Bewegung, die sich zuerst als rein kunstgewerbliche
Bewegung zu erkennen
gab, bereits in allen Künsten ihre Kreise, so daß
man heute schon sagen kann, daß sie
zu einer allgemeinen Kunstbewegung geworden ist, so ist auf der anderen
Seite doch nicht
zu verkennen, daß die Bewegung bisher eine fast
ausschließlich intellektuelle war, und
daß sie sich im besonderen im Wirtschaftsleben unserer Zeit
noch nicht wesentlich
bemerkbar macht. Die Bewegung ist von intellektuellen Kreisen
ausgegangen und bisher von
ihnen getragen worden, und ihre Fortpflanzung hat von Intellekt zu
Intellekt
stattgefunden. Auf einem Gebiete, das nicht nur künstlerisch,
sondern auch gewerblich
ist, wird es aber vor allem darauf ankommen, daß die neue
Bewegung auch die gehörigen
wirtschaftlichen Geleise findet. Hier beginnen die Schwierigkeiten. Sie
haben sich
scheinbar gerade neuerdings vermehrt, wo die materiellen Vertreter des
Kunstgewerbes, das
heißt, die Fabrikanten und Händler, laute
Protestkundgebungen gegen die neue Bewegung
und ihre Träger, gegen die Dresdener Kunstgewerbeausstellung
und gegen die
Kunstgewerbeschulen von sich gegeben haben. Bekanntlich ist eine
Demonstration mit
Hunderten von Unterschriften an die verbündeten Regierungen
eingereicht worden. Man
könnte nun annehmen, daß hierin eine ernstliche
Bedrohung des kunstgewerblichen
Gedankens zu erblicken sei, daß gewissermaßen ein
Gegner entstanden sei, der mit seiner
wirtschaftlichen Macht die künstlerischen Anläufe im
Gewerbe zerstören und vernichten
könnte. Solche Befürchtungen müssen indessen
wesentlich zusammenschrumpfen, wenn man
bedenkt, daß die kunstgewerbliche Bewegung eine aus dem
Geistesleben der Zeit
entstandene, aus einer inneren Notwendigkeit hervorgegangene Bewegung
ist, während die
Proteste der Gegner aus rein pekuniären Beweggründen
entstanden sind. In diesen
Protesten ist nichts weiter zu erblicken, als die Aeußerung
des Unbehagens darüber, daß
neue Ideen, die von Jahr zu Jahr mehr Macht im Geistesleben des Volkes
gewonnen haben, den
bisherigen Geschäftsbetrieb der kunstgewerblichen Produktion
aufgerüttelt, man könnte
sagen angerempelt haben. Die Antwort darauf sind die Proteste. Im
Grunde sind sie nur ein
erfreuliches Zeichen, daß die Bewegung, die sich bisher auf
einen kleinen Kreis von
Intellektuellen beschränkte, jetzt immer mächtiger an
die Pforten der kunstindustriellen
Fabrikation schlägt und ihren Unterbau da, wo er morsch ist,
gefährdet. Die Protestler
sind jene Elemente, die sich in dem alten Betrieb wohlfühlen,
nach welchem der Fabrikant
angeblich sich nach dem Geschmack des großen Publikums
richtete und das große Publikum
die albernen Stilmoden willig hinnahm, mit dem der Fabrikant seine
Abnehmer unterhielt.
Plötzlich fängt dies Abnehmerpublikum an,
selbstständig zu denken; es ist angeregt und
aufgerüttelt durch die Erzeugnisse der Künstler, es
hat Ausstellungen gesehen und
wundervolle, harmonische Innenräume erblickt, die von
Künstlern herrühren. Und es
zweifelt nun an dem Rat, den ihm bisher der Fabrikant und
Händler gab. Es ist nur
natürlich und menschlich verständlich, daß
der Fabrikant und der Händler zunächst
diese Unbequemlichkeit bekämpfen werden. Aber, daß
solche Proteste und Angriffe einer
großen geistigen Zeitströmung gegenüber
verhallen müssen, ist ebenso klar.
Und im übrigen kann man heute schon darauf hinweisen,
daß es keineswegs geschäftlich
aussichtslos ist, sich in den Dienst der modernen Bewegung zu stellen.
Eine Anzahl von
kunstgewerblichen Produzenten, die logisch und konsequent diesen Weg
verfolgt haben, ist
zu glänzender wirtschaftlicher Entwicklung gelangt. Es sei
hier nur an die "Dresdner
Werkstätten für Handwerkskunst" erinnert, die aus
kleinsten Anfängen sich im
Verlaufe von acht Jahren zu einem Betriebe entwickelt haben, der
Hunderte von Tischlern
beschäftigt und Millionen umsetzt. Allerdings gehört
eins dazu: daß der Produzent nicht
nur mit seiner Berechnung, sondern auch mit seinem Herzen bei der neuen
Bewegung ist. Dann
wird aber der Erfolg nicht ausbleiben. Ja man kann sagen, daß
den Fabrikanten, die nicht
Proteste gegen die neue Bewegung unterschreiben, sondern sich ihr als
Anhänger
anschließen, die Zukunft gehören wird. Denn sie
gehen mit der geistigen Bewegung der
Zeit, während die anderen den fruchtlosen Versuch machen, sich
gegen sie anzustemmen.
Jedenfalls ist die Lösung der wirtschaftlichen Seite des neuen
Kunstgewerbes die
dringendste Frage der Zeit. Sie ist nicht einfach damit erledigt,
daß die
kunstgewerbliche und kunstindustrielle Produktion nun statt der Sachen
in historischen
Stilen solche im sogenannten neuen Stile macht.
Diesen Versuch hat sie bereits unternommen, indem sie als
neuesten ihrer Stile den Jugend- und Sezessionsstil ausgab. Und sie hat
diesen Stil
bereits wieder gegen Empire- und Biedermeierstil umgewechselt. Die im
neuen Kunstgewerbe
liegenden Gedanken sind aber zu ernst, um sich in dieses leichtfertige
Spiel mit Stilmoden
einreihen zu lassen. Es kommt in der kunstgewerblichen Bewegung gar
nicht auf den
sogenannten modernen Stil an. Einen solchen zu proklamieren war
überhaupt eine
leichtfertige Uebereilung. Ein Stil entsteht nicht von heute auf morgen
und kann nicht
erfunden werden, sondern er ist das Ergebnis einer ernststrebenden
Zeitepoche, die
sichtbare Aeußerung der inneren geistigen
Triebkräfte der Zeit. Sind diese Triebkräfte
echt, so wird ein echter, das heißt ein originaler,
nachhaltiger Stil entstehen, sind sie
leichtfertig und oberflächlich, so wird etwas Aehnliches
entstehen wie die wechselnden
Stilimitationen der letzten fünfzig Jahre. Welcher Stil aus
den jetzigen ernsten
Bestrebungen des modernen Kunstgewerbes herauskommen wird, ist heute
nicht abzusehen. Er
kann nur vorausgeahnt werden. Es ist nicht unsere Aufgabe, den Stil
gewaltsam aus unserer
Zeit herauszupressen, sondern es liegt uns lediglich daran, mit voller
Hingabe und
Aufrichtigkeit so zu gestalten, wie wir es vor unserem besten Wissen
und Gewissen
verantworten können. Der Stil ist nicht etwas, was man
vorwegnehmen kann, sondern er ist
die große Zusammenfassung des aufrichtigen Strebens einer
Zeitepoche. Es wird die Aufgabe
der Nachwelt sein, herauszufinden, welchen Stil unsere Zeit hatte, das
heißt, welche
gemeinsamen Merkmale in den vollwichtigsten und ernstesten Bestrebungen
der Besten unserer
Zeit zu entdecken sind.
Von diesem Streben sind unsere heutigen Führer in der
kunstgewerblichen Bewegung beseelt,
und es ist daher zu erwarten, daß sie, ohne daß sie
es wollen, den Stil unserer Zeit
entwickeln, einfach, indem sie ernst vorwärts streben und
ihrem inneren Drange folgen.
Das Beste, was die materielle Produktion unserer Zeit tun kann, ist,
sich diesem ernsten
Streben anzuschließen. Das bedeutet freilich eine
Sinnesänderung von prinzipieller
Bedeutung. Denn der kunstindustrielle Produzent lehnte es bisher
grundsätzlich ab,
ethische oder moralische Ziele mit seinem Geschäft zu
verquicken, das er nach seiner
eigenen Angabe lediglich auf die angeblichen Anforderungen des
Publikums zuschnitt. Das
Resultat waren Dinge, die nach viel aussahen und nichts kosteten. Denn
auf diese Dinge
biß das Publikum in großem Umfange und in allen
Schichten an. Durch diese Praxis der
Industrie und das Daraufeingehen des Publikums ist eine gegenseitige
Demoralisierung
sowohl der Produzenten als der Abnehmer eingetreten. Denn welchem
Fabrikanten kann es
Freude machen, sein Leben in der Produktion von Schund hinzubringen,
und welcher Abnehmer
kann sich auf die Dauer über Sachen freuen, die nichts taugen?
Hier muß ein völliger
Wandel eintreten, und dieser Wandel muß beim Fabrikanten
beginnen. Dieser braucht nur die
anständigen Grundsätze, die er als Privatmann hat,
auf sein Geschäft zu übertragen; so
wie er als Privatmann nicht unanständig handelt, so darf er
als Geschäftsmann nicht
unanständig produzieren, das heißt, nicht Sachen
herstellen, die Imitationen und
Surrogate sind, Sachen also, die nach mehr aussehen, als sie sind. Wie
derartige
Grundsätze sehr wohl Allgemeingut eines Volkes werden
können, das weiß jeder, der
englisches Leben und englische Anschauungen kennt. Der englische
Fabrikant steht fast
durchweg auf dem Standpunkte, seiner besten Ueberzeugung zu folgen und
nur gediegene
Sachen zu produzieren. So sehr auch die deutsche gewerbliche Produktion
durch ihre
vielgerühmte Anpassungsfähigkeit in den letzten
Jahrzehnten in die Höhe gekommen ist,
so ist doch diese Anpassungsfähigkeit auf Gebieten, die sich
mit dem Kunstgewerbe und der
Kunstindustrie berühren, sehr vielfach direkt zum Unheil
geworden.
Glücklicherweise ist in neuerer Zeit in breiteren Schichten
auch des deutschen Volkes
jener Zug nach der Gediegenheit allgemeiner geworden, der in England zu
den
Selbstverständlichkeiten gehört, ein Umstand, der
allerdings mit dem vermehrten
Wohlstand des Volkes nicht unwesentlich zusammenhängt. Hier
berührt sich nun wieder der
Zug der Zeit mit den Grundprinzipien der kunstgewerblichen Bewegung.
Keine Imitation
irgend welcher Art, und jeder Gegenstand gebe sich als das; was er ist!
Würde sich hierin
die produzierende Industrie der kunstgewerblichen Bewegung
anschließen, so wäre ein
ungeheurer Schritt vorwärts getan. Denn es liegt auf der Hand,
daß durch die Produktion
von nicht genügend gediegenen Gegenständen bei aller
darauf verwendeten Arbeit der
Rohstoff nicht so ausgenützt wird, wie er ausgenützt
werden könnte, also einmal ein
kolossales Nationalvermögen im Rohstoff verschwendet und
zweitens unnütze Arbeit
angesetzt wird. Billige Sachen sind im letzten Ende in jeder Beziehung
kostspieliger als
teure.
Eine solche industrielle Produktion würde freilich
aufhören müssen, mit den schlechten Instinkten des
Publikums zu rechnen; sie müßte mit
den guten rechnen. Aber sie würde selbst bei
anfänglichem Mißerfolg eine Tat von
ungeheurer Tragweite tun. Denn sie würde durch Hebung der
Qualität der deutschen Arbeit
zugleich das Ansehen der deutschen Produktion auf dem Weltmarkte heben.
Die Qualität der
deutschen Arbeit hat sich ja in den letzten Jahrzehnten
ständig gehoben. Sie ist auf
einzelnen Gebieten der nationalen Produktion musterhaft, ja einzig in
der Welt. Es sei nur
an das Gebiet der optischen und wissenschaftlichen Instrumente
erinnert. Auf dem
kunstindustriellen Gebiete jedoch ist gerade die deutsche Produktion
noch tief im
Rückstande. Denn hier fehlte es an den wichtigsten zwei
Qualitäten, die für die
kunstindustrielle Produktion in Frage kommen, an selbständigem
Geschmack und an
überlegener nationaler Kultur. Hier hat die deutsche
Produktion fast nichts getan, als
den Richtungen anderer Länder nachzulaufen; sie hat ihre
pekuniären Erfolge damit
eingeheimst, daß sie die Originalleistungen anderer
Völker nachahmte und billiger
herstellte. So lohnend dieser Betrieb vom rein pekuniären
Standpunkte aus auch
ausgefallen sein mag, ehrenvoll ist er für Deutschland nicht
gewesen.
Zunächst blieb freilich kaum etwas anderes übrig, um
überhaupt auf dem Weltmarkte als
Produzent aufzutreten. Aber die starke geistige Bewegung, die wir in
den letzten zehn
Jahren im Kunstgewerbe erlebt haben, kann das Mittel an die Hand geben,
diesen Zustand zu
ändern. Denn hier ist zum ersten Male eine
selbständige deutsche Leistung aufgetreten,
die sich sehen lassen kann, hier ist etwas erzeugt, was
selbständigen Geschmack und eine
vom Ausland unabhängige nationale künstlerische
Kultur verrät. Freilich kann nicht
gehofft werden, daß die Folgen auf dem Weltmarkte schon von
heute auf morgen sichtbar
werden. Gerade der Kaufmann weiß, wie sehr das Renommee im
Absatz von Waren mitspricht.
Das erste, was zu tun ist, ist, das allgemeine deutsche
künstlerische Renommee zu heben.
Und das wird keine leichte Aufgabe sein. Denn in
künstlerischen Dingen traut uns das
Ausland bis heute noch fast nichts zu. So schrecklich und unnational es
für den Deutschen
klingen mag, jeder Mensch, der eine ausreichende Kenntnis des Auslandes
hat, weiß, daß
wir heute weder in der Malerei, noch in der Bildhauerei
mitzählen.
Unsere Maler, die wir in Deutschland für Heroen halten,
sind im Ausland nicht einmal dem Namen nach bekannt, während
die französischen
Impressionisten auf der ganzen Welt gesucht werden. Und selbst der
kunstliebende
Ausländer würde auf Befragen keinen einzigen
deutschen Bildhauer nennen können,
während die Namen MEUNIER und RODIN auf der ganzen Welt ihren
Klang haben. In der
Architektur gelten wir als die zurückgebliebenste aller
Nationen, wie denn überhaupt
nach dem Urteil des Auslandes der deutsche Geschmack auf der denkbar
tiefsten Stufe steht.
Der deutsche Ruf ist hier so tief gesunken, daß deutsch und
geschmacklos fast identische
Begriffe sind. Es hat keinen Zweck, dies zu verschleiern. Es ist
nötig, der nackten
Tatsache ins Gesicht zu sehen. Und wir können das heute um so
mehr, als wir jetzt durch
unsern kunstgewerblichen Aufschwung in die Lage kommen,
Märtyrer unseres schlechten Rufes
zu werden. Denn unstreitig ist gerade in den Leistungen des neuen
deutschen Kunstgewerbes
etwas erstanden, was das Urteil des Auslandes über uns im
Sturm umzubilden berufen ist.
Die deutsche kunstgewerbliche Ausstellung in St. Louis wirkte auf alle
Welt wie eine
Offenbarung, und man kann sagen, es spricht sich jetzt bereits auf der
ganzen Welt herum,
daß in Deutschland plötzlich eine wundervolle
Blüte im Kunstgewerbe ersteht. Allein auf
der Grundlage eines solchen Renommees kann sich eine Hebung der
kunstgewerblichen Ausfuhr
anbahnen. Nur wenn man nach uns fragt, und nach dem fragt, was wir
Eigenes leisten, werden
wir eine Stellung in der Kunstindustrie einnehmen, die sich auf dem
Weltmarkte in einer
respektvollen Achtung äußert.
Denn die Rolle, die wir mit Imitationen
französischer
Möbel spielen, wird immer nur eine solche zweiten Ranges sein.
Bestimmend für eine erste
Rolle ist nur der der Leistung innewohnende ideale Eigenwert, der
Kulturwert. Aus der
Kulturtat heraus, die das französische Kunstgewerbe in der
Zeit von Ludwig XIV. bis
Ludwig XVI. geleistet hat, erklärt sich die
maßgebende, ja dirigierende Rolle, die
Frankreich auf dem kunstgewerblichen Markte bis heute einnimmt. Und
daß England am Ende
des 18. Jahrhunderts, als es seine bahnbrechende, für die
bürgerliche Kultur
ausschlaggebende Möbelkunst entwickelte, bis zu einem gewissen
Grade auf dem Weltmarkte
mitsprechen konnte, verdankt es ebenfalls lediglich seiner
selbständigen nationalen
Leistung. Auch der neuere kunstgewerbliche Einfluß Englands
auf dem Weltmarkte ist
belehrend genug. Nur dadurch, daß England eigenes gab, wurden
seine Stoffe, seine
Teppiche, seine Möbel in den letzten zwanzig Jahren zu etwas,
was auf dem Weltmarkte eine
eigene Note darstellte. Der kommerzielle Erfolg marschiert im Gefolge
solcher
beherrschenden inneren Werte. Es wird auf der Welt Niemandem etwas
geschenkt. Kleine
Vorteile lassen sich auf Seitenwegen erreichen, große nur
durch große Qualitäten. Sind
diese aber zur Genüge vorhanden, so folgt nicht nur Lohn,
sondern auch Macht und
Freiheit. Bei großen künstlerischen
Qualitäten wird es einem Lande leicht, im
Kunstgewerbe als Führer aufzutreten, in Freiheit sein Bestes
zu entwickeln und es der
Welt gleichsam aufzuzwingen. Die Produktion braucht dann nicht mehr
ängstlich den
Modelaunen nachzuspüren, sie kann den Geschmack diktieren. Das
tut Frankreich bis heute
auf vielen Gebieten.
Ob der Weg, den das neuere deutsche Kunstgewerbe eingeschlagen hat,
jemals zu einer
ähnlichen weitreichenden Bedeutung führen wird, wie
das alte französische Kunstgewerbe,
vermag heute niemand vorauszusagen. Es liegt aber im deutschen
Interesse, dies zu erhoffen
und alle Kraft auf die Weiterentwicklung der glücklich
gemachten Anfänge zu verwenden.
Das neue Kunstgewerbe, das bereits seine engeren Grenzen
überschritten hat und zu einer
allgemeinen deutschen Kunstbewegung geworden ist, ja, das im Begriff
ist, zu einer
allgemeinen Kulturbewegung zu werden, muß, wenn es weiter
wächst, auch seine
wirtschaftlichen Folgen ziehen. Und von diesem Standpunkte aus wird es
hauptsächlich
meine Aufgabe sein, in meinen folgenden Vorlesungen seinen bisherigen
Entwicklungsgang zu
schildern.
LESEFRÜCHTE:
Deine Kunst sei dir der Weg, mit dem du dich durch deine
Zeit suchst und zur Höhe findest, dein Leben sei Deine Kunst.
Wer sich nicht selbst und
seinem ganzen Dasein als schaffender und gestaltender Künstler
gegenübersteht,
verfällt. Was du nach außen geben kannst, freilich,
sind immer Bruchstücke, und wenn
dir das Höchste glückt . . . Doch wenn sie echt sind,
werden sie in anderen wieder
volles Leben reifen. Cäsar Flaischlen |