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Autor: Prestel, Jakob
In: Der Architekt - 3 (1897); S. 41 - 42
 
Die Architektur der Zukunft
 
vom Architekten Dr. Jakob Prestel (Mainz)



Gemäß dem eklektischen Sinne unserer neueren archäologischen Forschung, welche dir Kritik der Kunst aus dem Banne individueller Anschauung zu befreien sich bestrebte und heute in den Stilen nicht mehr abstract geschlossene Erscheinungen als vielmehr nur formal und zeitlich anders gestaltete Typen und Raumesbegriffe der Monumentalweise erblickt, kann für die nächste Zukunft von einer einseitigen stilistischen Kundgebung in der Architektur keine Rede sein. Von diesem Gesichtspunkte ist selbst die Mode, welche in jüngster Zeit nach wechselnder Laune frühere Stilkundgebungen auf die architektonische Tagesordnung setzt und solche mit mehr oder minderem Geschick dem jetzigen Comfort anzupassen beliebt, von nicht bestreitbarer Berechtigung, und wird diese artistische Maskerade voraussichtlich noch eine geraume Periode die Monumentalweise dominieren. Dass anderseits durch dieses unstäte Tasten einer modekranken Architektur für die Baukunst keine Grundlage einer fruchtbringenden Zukunft geschaffen werden könne, darf nicht minder als unleugbare Thatsache hingestellt bleiben. Dem denkenden Kunstfreunde muss sich bei Betrachtung der heutigen architektonischen Manier unwillkürlich die Frage aufdrängen, ob aus den obwaltenden Verhältnissen für die Zukunft sich überhaupt noch eine eigenartige Stilistik zu gestalten vermöge. Aus dem stets wachsenden architektonischen Chaos unmittelbar eine belebende Genesis der Kunst zu erwarten, verbietet die traurige Erfahrung, dass gerade in jüngster Periode mit der Zunahme der architektonischen Manieristik eine stetig sich mehrende Verrohung des ästhetischen Theiles der Stile, sowie ein Unverständnis ihrer gesetzlichen Ordnung zu verzeichnen ist, während in den baulichen Compositionen der Jetztzeit mehr eine technische Routine als eine logischharmonische Combination der Raumbegriffe zu Tage tritt. Ein Fortfahren auf dieser Bahn mag immerhin in Händen eines begabten Artisten eine eigenartige Wiedergabe des gewählten Vorbildes zu erzeugen imstande sein, eine Schule der Zukunft kann diese wesen- und ziellose Richtung niemals ins Leben rufen. Die Annahme, dass die Zukunft überhaupt keine selbstbewusste Monumentalweise mehr erzeugen könne, wäre gleichbedeutend mit dem Irrthum, den künftigen Geschlechtern ihre zeitliche Culturmission abzusprechen; und sie wird durch die historische Erfahrung widerlegt, welche beweist, dass jede Weltperiode nach ihrer spirituellen Richtung eine entsprechende Monumentaläußerung hervorgebracht hat. Da anderseits die Erfahrung lehrt, dass in dem Reiche der Architektur nichts aus sich selbst erstanden, vielmehr ein stetes allmähliches Hervorgehen des Werdenden aus den Elementen des früher Geschaffenen nachzuweisen ist, so muss auch die Baukunst unserer Zukunft aus den lebensfähigen Elementen der heutigen Weise sich erbilden. Die Frage, ob die Monumentaläußerung unseres Jahrhunderts noch die genügenden fruchtbringenden Keime berge und welcher Art diese seien, lässt sich nur beantworten, wenn wir auf die Prämissen zurückgehen, aus welchen unsere vergleichende Stilkunde und objective Kunstkritik sich im Wesen erbildet hat. Hier begegnen wir der Thatsache, dass der erweiterte Aufschwung unserer archäologischen Wissenschaft auf dem tieferen Studium der hellenischen Kunst basiert, wie zugleich die Frage nach Ursprung und Entwicklung der letzteren zu der ersten vergleichenden Betrachtung der vorzeitlichen Stile leitete. Mit dem fortschreitenden Studium der griechischen Version wurde die Kunstwissenschaft in die erweiterte combinierte Kunstwelt der Diadochenzeit und nach ihr in das gewaltige Gebiet der römisch-griechischen Weise übergeführt. Als integrierten Theil der römischen Almater fand man die antike christliche Kunst sich entfalten, aus deren Consequenzen unter Leitung neuer nationaler Culturprincipien die mittelalterliche Architektur resultierte.

Die romanische Version erwies sich ebenso als würdiger Nepote der römisch-christlichen Weise, als die Gothik, ihrer Wundergeburt enthüllt, mit ihrer formal structiven Tendenz für sich die strengste logische Folgerung des christlichen Kirchenschemas versinnbildlicht. In ähnlichem Sinne erkannte man in der Renaissance nicht mehr die Nachfolge der mittelalterlichen Richtung, als vielmehr eine Reaction gegen die zu sterile Stilistik der späteren Gothik durch die Rückkehr zum Zenite aller Baukunst, der classischen Antiken. Die Stilkunde hat aus diesen Ergebnissen die Erkenntnis einer allgemeinen geistigen Verwandtschaft aller architektonischen Richtungen geschöpft, welche in den alten Stilversionen, die, analog der Religion jener Völker, noch eng geschlossene nationale Kundgebungen waren, in geschiedener Art zur Darlegung kamen, deren Formensprache in der hellenischen Baukunst zum ersten in sich vollendeten Ausdrucke gelangte. Auch den Griechen waren ihre Stile noch etwas national Eigenthümliches, und es fanden die Typen ihres Tempelschemas erst in der späteren horaci-italischen Monumentalkunst eine objective Verwendung, indem man dieselben den reichen compositen Gedanken jener Bauschöpfungen dienstlich machte. Erst in der Hochrenaissance Italiens tritt das bewusste Streben nach völlig objectiver Verwendung der classischen Stilelemente und einer herauszugestaltenden, geläuterten Bauwelt zu Tage, welches ideale Ziel zu erreichen die frühe eintretende Richtung auf die Wirkung der Masse im Zopfstile behinderte. Den bahnbrechenden Mustern der classischen Baukunst in unserem Jahrhunderte bleibt das hohe Verdienst, diesen spirituellen Connex der Stile nicht nur erkannt, vielmehr zugleich in geistreichen Schöpfungen mustergiltig verewigt zu haben. Zu welch unübertrefflichen Resultaten diese freie Beherrschung der classischen Formensprache leiten könne, hat u. a. Gottfried Semper in seinen Wiener Burgbauten bewiesen, in denen die Antike in ebenso reiner wie verjüngt freier Weise zum Ausdruck gelangt. Wenn diese bis heute von wenigen Kunstkoryphäen im Wesen erkannte und befolgte Kundgebung der classischen Stiltypen, untrüglich in ihren Consequenzen, eine kaum erschöpfliche Fundgrube für neue, lebensbeseelte Gebilde in der Architektur eröffnen müsste, so sei keineswegs behauptet, dass die Baukunst einzig im Zurückgreifen auf die gräco-italische Stiltendenz zu frischen Resultaten gelangen könne. Nicht in der Wahl des stilistischen Vorbildes, als vielmehr in der Art, »wie« das neu zu Schaffende zu dem Gegebenen sich verhalte, ist die Richtschnur eines zukünftigen Schaffens zu suchen.

Zur Beantwortung dieser tiefernsten Frage sei bedeutet, dass zur Grundlage all dieses Schaffens eine möglichst erweiterte Erkenntnis der vergleichenden Stilistik gefordert werden müsse. Denn wenn wir allgemein giltige Formenlaute in der Architektur der Welt anerkennen, welche in den Stilen in geschiedenen Idiomen, und diesbezüglich in mehr oder minder vollkommener Formensprache sich äußern, so muss dem inventarischen Genie einer künftigen Architektur diese allgemeine Formensymbolik verständlich und geläufig sein. Nur eine objective Kundgebung der formal structiven Gedanken der Stilversionen, nicht die einseitige Betonung eines Stilidioms kann hier zu bahnbrechenden Folgerungen im Kunstgebiete leiten. Mit anderen Worten, nicht eine directe, wenn noch so geistreiche Imitation, als vielmehr eine auf Grundlage der in allen Stilen wiederkehrenden Gesetzlichkeit und Eurhythmie basierte Combination des Gegebenen, doch niemals Vermengung der Stiltypen kann bei ästhetisch makelloser Gestaltung der Formerscheinung neue lebensfähige Motive der Baukunst erzeugen, vorausgesetzt, dass in der Spätzeit andere Cult- und Lebensformen zugleich anderen architektonischen Ausdruck erheischen. Wenn die Monumentalweise als kosmogonischste der Künste stets die strengste Wahrung ihrer Regeln verlangen muss, so muss auch für die Zukunft als natürliche Grenze einer jeden künftigen Baurichtung die Scheu vor allem unstilistisch Willkürlichen als erste Regel bestehen, eine Klippe, an welcher gerade die neueste Architektur, welche im Grunde aus analogen Prämissen sich zu entwickeln begonnen hatte, so bedenklich scheiterte und heute von dem Strudel des Absurden in grundlose Bahnen geleitet wird.