*) Wir bringen den nachstehenden Artikel, der sich wie alle
übrigen des Verfassers durch tiefe Problemauffassung
auszeichnet, ohne der darin ausgesprochenen Meinung in allen
Einzelheiten beizupflichten.
D. R.
Die heutige Zeit kann sich einer fast unerschöpflichen
Erfindungsgabe rühmen, welche insbesondere in
mechanisch-technischer Richtung ein
Übergewicht über die Vorwelt besitzt. In diesem Sinne
sind die Erfindungen der Chemie
und Mechanik, gleichwie die Lösung physikalisch-mathematischer
Probleme hervorzuheben,
welche die bedeutenden Fortschritte in der positiven Wissenschaft,
vornehmlich Medicin,
Chirurgie, Naturkunde, Elektrotechnik und Maschinenwesen, ins Leben
riefen. Wenn diese theoretisch-praktischen Errungenschaften des
Menschengeistes gleich bahnbrechend für den erweiterten
Gesichts- und Schaffenskreis der
Nationen bezeichnet werden müssen, so darf nicht minder
geleugnet werden, dass durch die
wachsende Überhandnahme technischer Hilfsmittel, gleichwie der
Surrogate, an Stelle der
Naturgebilde eine gedankenlose Oberflächlichkeit in unseren
Tagen umsichzugreifen droht,
welche die Symptome des schlimmsten Verfalles, doch in keiner Richtung
das Grundelement,
sowie die Thatkraft einer künftigen, höher gearteten
Culturwelt in sich schließt.
Gerade für das Reich der Künste bleibt dieses
düstere, pessimistische Zukunftsbild
verheißungsvoll, indem in jenem, das reine,
natürliche Fühlen voraussetzenden Gebiete
menschlichen Schaffens jede Ablenkung von der idealen Tendenz
unheilbringend bleibt, also
die heutige Vorliebe für die Wiedergabe der Unnatur und
ästhetischen Dissonanz zu dem
trostlosesten Verfalle der Artistik leiten muss. Mag immerhin Zeit und
Geschmacksrichtung
einen berechtigten Wechsel in der Sphäre der Kunst verlangen,
so darf das neu Geschaffene
doch niemals die der Menschheit angeborenen, in den
Kunstäußerungen der Jahrtausende
bewährten Gesetze und Grenzen der Schönheit
überschreiten, ohne den Verfall in das
Absurde zu erzeugen. Der bewährte Satz der Ästhetik, dass
»schön die Idee der Erscheinung sei«,
schließt
in sich die Wahrheit, dass erst das idealisierte und harmonisierte Bild
den Wert eines
Kunstwerkes erfülle, wie bekanntlich die classische Antike in
diesem Sinne so streng
urtheilte, dass ihre Kritiker selbst der Genremalerei das Recht der
wahren Kunst
absprachen. Das Wirken des jüngsten Naturalismus in der bildenden Kunst
begann vielfältig jede
Grenze zu überschreiten, welche Natur und
Schönheitsgefühl unabänderlich den Menschen
gesetzt hat, indem dessen Bekenner, neben einer überaus
nüchternen Form- und
Phantasielosigkeit, in wirren, unverständlichen Zerrbildern,
sowie der Wiedergabe der
Natur in ihrem Schmutze neue Probleme zu erdenken und zu lösen
glauben. Unterstützt von einer Übermenge technischer
Hilfsmittel, welche, indem sie das Erlernen
einer schrankenlosen Reproduction erleichtern, den Lernenden von dem
mühsamen Wege des gründlichen Studiums der
natürlichen und
künstlerischen Vorbilder entrücken, wurde unter
anderem die jüngste deutsche Malerei in
eine Wiedergabe unnatürlicher Farbentöne nebst
Verzerrung der Lebensbilder und
geistloser Leere der vorstellenden Handlung geleitet, während
die Plastik, bei wachsendem
Unverständnis der ästhetischen Anatomie, in einer
gesuchten Übertreibung des
Formenspieles, gleichwie in Wiedergabe des rohen Sinnesausdruckes und
der wahnwitzigen
Caricatur ihre originellen Effecte erstrebt.
Was die Monumentalkunst anbelangt, so ist daselbst die sogenannte
materielle Richtung
keineswegs etwas Neues, vielmehr reicht eine solche in die erste
Hälfte unserer
Zeitrechnung zurück, daselbst deren Jünger die Idee
vertraten, dass die bauliche
Formenwelt aus den stofflich constructiven Bedingungen allein
hervorgegangen sei, und dass
eine neue Architektur einzig auf Grundlage der letzteren auferbaut
werden könne. Welche
Resultate diese Tendenz, die neben dem angeblich natürlichen
Stile des Ornamentierens
einen künftigen Eisen-Steinstil erträumte, erreichte,
ist allbekannt, und hat dieselbe
nach ihren nichtigen Erfolgen heute ihre letzten Verehrer
eingebüßt. Die neuesten Realisten und Veristen huldigen, zum Trotze all der
schön gedrechselten
Worte, der alten, unfruchtbaren Sentenz, »aus den todten
constructiven Systemen frische
Kunstmotive und Formen gestalten zu wollen«, während
dieselben in ihrer Theorie über
das »wie« ebenso unklar sind, als alle bis jetzt in
besagter Richtung erstandenen Productionen ein unverkennbares Anlehnen
an das ehedem
Geschaffene zeigen oder sich als Caricatur des letzteren darstellen. Gleichwie der Natur, so liegen auch der Baukunst nur
verhältnismäßig wenige
Normalformen und Typen zugrunde, welche dem angeborenen
ästhetischen Begriffsvermögen
der Menschheit entstammen und neben aller Variabilität der
stilistischen Kundgebungen in
der weiten Geschichte der Monumentalkunst stets als leitende Factoren
ihres ästhetisch
formalen Wesens, sowie der Grundmotive ihrer Raumesgedanken zutage
treten.
Indem der Baumeister diese psychischen Grundsentenzen
seiner Kunst, so die Regeln der Proportionalität, Richtung und
Symmetrie, die der Natur
abgelauschten Principien der Schönheitslinien in seinen Werken
zur reinen Geltung bringt,
ist derselbe Verist im besten Sinne des Wortes, wie anderseits derselbe
mit keiner
vollendeten älteren Stilweise in Controverse treten wird. Im
gleichen Sinne besteht das
ästhetische Gesetz, dass die Form dem Stoffe nicht
widersprechen soll, mit der
unabänderlichen Vorbedingung, dass in jeder wahren
Architektur die künstlerische Idee die Materie beherrsche, die
Kunstform die Emancipation
von dem realen Stoffe und der Structur erreicht habe.
Was den künftigen »Raumstil« betrifft, so
sei seinen Verehrern in Erinnerung gerufen,
dass auch die Raumesmotive der Baukunst, wenn nicht in ihrer
Combination, so doch in ihren
Grundelementen auf eine bestimmte Zahl zugeordneter Motive
beschränkt seien, welche nach
den sacralen und profanen Erfordernissen der Völker ihre
zeitliche Durchbildung fanden
und deren bahnbrechende Neugestaltung auch in der Zukunft niemals nach
Laune und Phantasie
des Einzelnen, als vielmehr auf Grundlage eines a n d e r
s geschaffenen Cult
und einer anderen Culturart der Nationen sich neu zu erbilden
vermöge. Wie die zukünftige Welt sich gestalten wird, ob die heute
allenthalben zutage tretenden
Symptome eines phantasielosen Egoismus und nüchternen
Materialismus dem großen
Culturschaffen der letzten Jahrhunderte ein jähes Ende
bereiten werden, oder ob diese
trüben Erscheinungen den Anlass zu einer Reaction gegen
erstere und den Anstoß zum
verjüngten Anlehnen an Natur und Aufblühen einer
verjüngten Kunst bilden werden, vermag
ebensowenig ein Sterblicher zu entscheiden, als kein ernst Denkender in
der absurden
Disharmonie der neuesten Kunstrichtungen einen Hoffnungsstrahl
für die Artistik der
Zukunft zu erkennen vermag.
Dr. J. Prestel |