Den Eiffelturm der Pariser 1889er Weltausstellung darf
man von einem gewissen
Standpunkt aus als das Wahrzeichen der neuen Zeit ansehen, diesen
himmelanstrebenden Bau
aus Eisen, Wellblech und Glas, der weder Mauern noch Säulen,
sondern nur eiserne
Stützen, Rippen, Bänder und Streben kennt.
Und von demselben Gesichtspunkte aus darf diese Zeit in ihrem
Wappenschilde die
Eisenschiene führen. Freilich ist der Eisenbau selbst durchaus
nicht erst eine
Errungenschaft der jüngsten Zeit. In China, wo
Seilbrücken schon im III. Jahrhundert
bekannt waren, werden eiserne Brücken bereits im XVII.
Jahrhundert erwähnt. In Europa
ist die älteste gußeiserne Brücke die von
Abraham Darby, in den Jahren 1776-1779 nahe
bei Broseley über den Severn gebaut. Die zweite wurde von dem
großen Telford, dem
Erbauer des Kaledoniakanals in Schottland und des Götakanals
in Schweden, in Buildwas
errichtet, und zwar mit einem Stichbogen von 130 Fuß
Spannweite. Telford, der ganz
Großbritannien mit eisernen Brücken versah, hatte
feinen ästhetischen Sinn. Seine
Brücken, besonders die um 1820 gebaute Menaibrücke,
wirken in der Bogenkonstruktion
künstlerisch. Auf dem Festland wurde die erste eiserne
Brücke 1796 über das Strigauer
Wasser bei Laasan in Schlesien gebaut. Österreich und
Frankreich dagegen besaßen zu
Anfang des XIX. Jahrhunderts noch keine eiserne Brücke, und
erst im Jahre 1805 wurde
überhaupt die erste Eisenschiene gewalzt, während es
bis dahin nur Gußeisen und
geschmiedete Stäbe gab. Welchen ungeheueren Fortschritt danach
die Eisenproduktion
gemacht hat, erhellt am besten aus der Tatsache, daß die
Roheisenproduktion der Erde,
welche Anfang des XIX. Jahrhunderts nur etwa 85.000 Tonnen betrug,
heute nahezu 40
Millionen Tonnen erreicht hat. Und zugleich hat die Technik des Eisenbaues enorme Fortschritte
gemacht. Für die Kabel
von Hängebrücken wurde bis zum letzten Viertel des
XIX. Jahrhunderts Eisendraht von
höchstens 7000 kg (9 cm) Festigkeit verwendet, heute
Gußstahldraht von über 12.000 kg
Festigkeit. Die neue Hudsonbrücke bei New York, welche
Stützpfeiler in der Höhe des
Kölner Domes erhält, wird Bogen von einer Spannweite
von 945 m haben - Finlay mußte
sich bei der ersten schmiedeeisernen Brücke im Jahre 1796 noch
mit 21 m Spannweite
begnügen. Die Revolution der Architektur vermöge des Eisens erfolgte
aber erst, als dieses auch zum
Häuserbau verwendet wurde. Die erste eiserne Halle in
großem Maßstabe war der Palast
der Industrieausstellung des Jahres 1851, der jetzige Crystal Palace in
Sydenham, nach
Plänen von Sir Joseph Paxton ausgeführt.
Heute sind uns die eisernen Bahnhofshallen, Markthallen,
Maschinenhallen schon etwas so
Alltägliches geworden, daß leider die meisten
Menschen "achtlos durch die Hallen
schreiten" und die Eisenarchitektur keines Blickes würdigen,
während doch die
moderne Zeit von der alten sich kaum durch etwas anderes so sehr
unterscheidet, wie eben
durch diese Eisenarchitektur. Aber die Architektur ist im allgemeinen
das moderne
Stiefkind, das selbst in den Kunstausstellungen und Kunstzeitschriften
zu kurz wegkommt.
Desto mehr erscheint das notwendig, was der vortreffliche
Pädagoge Urbach seinen
Schülern empfahl: "Macht die Augen auf, wenn Ihr auf der
Straße seid, rennt nicht
bei den Häusern vorbei, ohne sie anzusehen, prägt
Euch ein, wie sie ausschauen, wie sie
gebaut sind." Und zumal erscheint dies notwendig bezüglich der
Eisenarchitektur, die
uns allen noch nicht so recht in Fleisch und Blut übergegangen
ist und die doch in
allerjüngster Zeit auch auf den Geschäftshausbau
angewendet wird. Vor allem muß man sich über die
grundsätzliche Verschiedenheit des Eisen- und
Steinbaues klar werden. Ob nun die älteste Architektur Höhlenbau in Stein
oder Pfahlbau in Holz war, so hat
jedenfalls die Steinarchitektur, als sie überhaupt erst einmal
ästhetische Formen
annahm, diese samt und sonders von dem Holzbau entlehnt; von der
Säule, dem Gebälk, dem
Giebel bis zu der Sima und Tropfenregula. Bei dem Eisenbau sind es ganz neue Prinzipien, die zur Anwendung
kommen. Bei dem Steinbau
haben wir es mit Massen zu tun, bei dem Eisenbau mit Rippen. Der
Steinbau kennt sozusagen
nur Fleisch, massives Fleisch, das den Raum umkleidet. Der Eisenbau
dagegen kennt in sich
selbst gar kein Fleisch, sondern nur Knochen und Rippen. Beim Steinbau
muß die Mauer, die
gemauerte Fleischmasse, nicht nur füllen, sondern tragen. Hier
lag ein Mangel der
Steinarchitektur vor. Selbst der Quader ist eigentlich Fleisch,
Füllmaterial, nicht
Knochen, nicht Tragschiene, wie beim Menschen das Schienbein. Die
Säule zwar erscheint
wie geschaffen dazu, zu tragen, und hat mit Ausfüllung nichts
zu tun. Aber für die
modernen architektonischen Aufgaben im Warenhaus-, Bahnhofshallen-,
Maschinenhallen-,
Brücken-, Markthallenbau genügt diese Säule
nicht mehr, um die bedeutenden Tragaufgaben
zu erfüllen. Die Eisenschiene vertritt ihre Stelle. Professor
Dr. Weyrauch hat
ausgerechnet, daß die Britanniabrücke heute weniger
als die Hälfte Eisengewicht
erfordern wurde, als vor 50 Jahren. Daraus kann man
schließen, wie bedeutend bei dem
heutigen Stand der Technik erst die Tragkraft des Eisens über
die des Steines sein muß.
In der Tat ist die zulässige Druckspannung des Eisens zirka
40- bis 125mal größer als
diejenige besten Betons bis gewöhnlichen Mauerwerkes. Man wird also darauf hingewiesen, den Eisenbau für alle in
größerem Maßstabe zu
errichtenden Bauten anzuwenden. Und niemals hat es in der Architektur
eine größere
Umwälzung gegeben als diese. Das Wahrzeichen der antiken
Architektur war die S ä u
l e. Das Wahrzeichen der kommenden Architektur wird
die E i s e n s c h i e n
e sein. Und die alte Architektur hat sicherlich ihren
Höhepunkt in der
Säulenarchitektur, in der Säulenordnung gehabt. In
der Folgezeit, als die Säule wegfiel
und als statt der Säule die Mauer zu tragen hatte, war eben
schon Füllmaterial als
Tragmaterial verwendet - man hatte es gewissermaßen mit
molluskenartigen Fleischgebilden
ohne Knochen und Rippen zu tun. Der Pfeiler dagegen, welcher die
Säule ersetzte, war nur
eine Art Surrogat, weder gewachsen, im vulkanischen Feuer gebrannt wie
die Säule, noch
gegossen oder geschmiedet wie das Eisen. Zwar versuchte die Gotik
vermöge der
Strebepfeiler und besonders der Strebebogen eine neue Art von
Traggliedern zu schaffen,
aber diese Strebebogen sind eigentlich nicht im Charakter des Steines
gedacht und sind
weit einfacher mit Hilfe des Eisens auszuführen. Die Mauer
aber ist für den gotischen
Stil lediglich Füllung, Füllmaterial. Das
Konstruktive des gotischen Stiles ist durchaus
nicht aus dem Geiste des Steinmateriales erdacht. Vielmehr kann man,
wenn man an dieses
System von Gewölberippen, Strebebogen und Strebepfeilern
denkt, die Gotik eine Art
cachierter Eisenarchitektur nennen. Und trotzdem haben wir sie heute
noch immer nicht -
ich meine - die E i s e n k i r c h e. Aber darauf
kommen wir später zurück.
Es zeigt sich nämlich beim Eisenbau eine große
Schwierigkeit. Wir sagten, die
Eisenschiene ist der Knochen und der Eisenbau ist Rippenbau. Wie aber
nun die Füllung
bewerkstelligen? Mit Stein? Oder ist eine Füllung gar nicht
notwendig? Der letztere Fall
tritt in der Tat ein bei allen Bauten, welche nicht dem Wohnen, sondern
dem Verkehre und
der Industrie dienen, also bei Bahnhofsbauten, Maschinenhallen,
Markthallen,
Brückenbauten, Warenhäusern. Auch für
Volksbadeanstalten gilt das Gleiche, wogegen die
neue Berliner Stadtbauverwaltung ihre neuen Volksbadeanstalten zum Teil
im Palazzostil
aufgeführt hat.
Und in der Tat sind unsere modernen Bahnhofshallen und Markthallen, mit
Ausnahme des
Sockels, durchgängig aus Eisen, Wettblech und Glas gebaut. Bei
einigen Bahnhöfen gibt es
allerdings noch Stützmauern. Aber hier ist man infolgedessen
in Verlegenheit geraten, wie
man Eisen und Stein verbinden soll, und das Ergebnis ist in dieser
Beziehung
unbefriedigend. Eher reüssiert hat man da, wo man, wie in
Berlin z. B. an den
Stadtbahnhöfen der Friedrichsstraße, des
Alexanderplatzes etc., auch die Stützmauern
fallen ließ, und der richtige Weg wird zweifellos der sein,
mit Ausnahme der Postamente,
durchgehend in Eisen zu bauen. Wie aber nun bei den G e s c h ä f t s h ä
u s e r n? Hier hat man sich
bisher damit begnügt, die Stützen und Tragbalken von
Eisen herzustellen und hat es im
übrigen bei der Steinarchitektur gelassen. Auch hier trat aber
alsdann wieder die
Schwierigkeit hervor, wie man Stein und Eisen verbinden sollte. Man
muß sich in der Tat
über die prinzipielle Frage klar werden, ob überhaupt
der Eisenbau organisch eine
Verbindung mit dem Steinbau verträgt. Und an diese Frage ist
mit großer Vorsicht
heranzutreten. Eisen wird geschmiedet und gegossen, der Stein wird
gehauen. Hierin liegt
schon ein Gegensatz, der die Möglichkeit einer Verbindung
ausschließt. Dazu kommt, daß
der Stein an und für sich ein viel zu massiges Material ist,
um lediglich als Füllung
beim Eisenbau verwendet werden zu können. D e
r S t e i n w i l l
s e l b s t w i e d e r g e t r a g e n s
e i n. Hier dagegen
kommt es auf ein Material an, das lediglich füllt, weder
trägt, noch getragen wird.
Ferner, was noch wichtiger ist, braucht der Eisenbau zur
Füllung nicht Massen, sondern
Flächen. Für die Auffüllung des Knochen-,
Rippen- und Netzwerkes eines Eisenbaues paßt
der massige Stein so wenig als für ein Spinnengewebe. Wir
brauchen ein weit
durchsichtigeres Material. Wir brauchen ein Material, das gegossen
wird, oder das
geschmiedet wird wie das Eisenblech, oder geblasen wird wie das Glas.
Das Glas, nicht nur
als dünne Fensterscheibe, sondern auch als fußdickes
Steinglas, scheint ein Material zu
sein, das in den Rippenbau und das Netzwerk des Eisens paßt.
Auch von diesem
Gesichtspunkt aus gewährt die Leipziger Straßenfront
des Tietzschen Warenhauses in
Berlin, das im Innern ein Eisengerippe und außen ein
Glasrahmenwerk zeigt, volle
Befriedigung. Die Pfeiler im Innern sind freilich noch viel zu massig
und zudem mit
Mauerwerk umkleidet. Aber man ist hier wenigstens schon klug genug
gewesen, die eisernen
Stützen, wie die Natur es bei den höheren Organismen
mit den Knochen macht, ins Innere
zu verlegen. Das ist ein Vorteil, erstens in ästhetischer
Beziehung.
Denn wenn die eisernen Stützen außen liegen, ist
eine einseitige starke Betonung der
Vertikalen die Folge, und zudem tritt aufs neue wieder die Verlegenheit
in der Verbindung
des Eisens und Steines hervor. Über die Betonung der
Vertikalen suchen diejenigen
Architekten, welche nachdenken, zwar auf alle mögliche Weise
hinwegzukommen, indem sie
die Horizontale durch stark vorspringendes Dach, breite, friesartige
Gesimse, attikaartige
Fensterbrüstungen etc. betonen - neuerdings hat ein Architekt
in einem Warenhaus der
Potsdamerstraße sich dadurch helfen wollen, daß er
die breiten Vertikalschienen mit
zierlichen Pilastern bekleidete - aber konstruktiv bleibt die starke
Betonung der
Vertikalen unter allen Umständen bestehen, sobald man eben die
eisernen Stützen außen
anordnet, wie es die Natur versuchsweise bei den Krustaceen gemacht
hat. Und auch die
andere Schwierigkeit der Verbindung des Eisens mit dem Stein, die immer
nur eine
gezwungene sein kann, bleibt vorhanden. Zweitens bedeutet die
Innenanlage der Träger
Ersparnis an Stützmaterial. Denn wenn die eisernen
Stützen nach außen liegen, wird ihre
Tragkraft nur nach innen, nicht nach außen,
gewissermaßen nach drei Dimensionen, nicht
nach vier Dimensionen hin verwendet. Wer daher die eisernen
Stützen innen anlegt, braucht
etwa ein Drittel weniger Stützmaterial, als wer sie
außen anbringt. Die ökonomische
Frage ist aber auch hier entscheidend. Mithin müssen wir uns
bei den Geschäftshäusern
dazu entschließen, einmal das eiserne Gerippe nach innen zu
verlegen und zweitens
durchgehends in Eisen, Glas und Blech zu bauen - die einzigen festeren
Materialien, die
vielleicht noch, aber mehr als Ziermaterialien, angewendet werden
könnten, scheinen uns
Schamotte, Terracotta, Fayence, Steingut und für
Schmuckglieder selbst Majolika zu sein. Das Gleiche gilt für den W o h n h a u s b a
u. Will man sich dazu
entschließen, zehnstöckige Mietskasernen zu
erreichen, so würde sich als Material das
Eisen immer noch mehr als der Stein empfehlen. Erstens einmal
konstruktiv. Denn Eisen
trägt besser, wie wir sahen, als Stein. Zweitens in
hygienischer Beziehung. Mit Hilfe des
Eisens lassen sich derartig helle und hygienisch einwandfreie Wohnungen
herstellen, wie
sie ein kaiserliches Gesundheitsamt sich nicht besser wünschen
könnte. Drittens in
ökonomischer Beziehung. Die Wohnungen werden billiger werden.
Und endlich können
derartige Mietkasernen, wenn sie aus Eisen erbaut werden, auch in
ästhetischer Beziehung
weit befriedigender wirken als Steinbauten.
Die nächste Aufgabe der Zukunft aber ist die E i s e
n k i r c h e. Sie ist
die große Sehnsucht schon so manchen Ingenieurs seit manchen
Jahren. Aber noch immer
scheinen wir nicht reif dazu zu sein. Denn wenn man erst einmal Kirchen
aus Eisen baut,
dann ist der Sieg des Eisenbaues entschieden. Aber es handelt sich nur
um Vorteile. Es
dauerte auch einige Zeit, ehe man es wagte, die Kirchen elektrisch zu
beleuchten. Wenn man
dagegen die Frage vorurteilsfrei - aber dazu gehört Mut,
intellektueller Mut -
betrachtet, muß man sagen, daß gerade zum
Kirchenbau das Eisenmaterial wie geschaffen
ist. Denn hier eben handelt es sich um die bedeutendsten Tragaufgaben.
Mit welchem
Materiale aber könnte man diese Aufgaben besser
erfüllen als mit Eisen? Wir sahen schon
oben, daß der gotische Stil, der gewiß nicht zu den
schlechtesten gehört, besonders was
den Kirchenbau betrifft, streng genommen, und zwar konstruktiv, nicht
aus dem
Steinmaterial komponiert ist, sondern sich weit besser - wir denken nur
an das
Konstruktive, nicht an Maßwerkverzierungen - für das
Eisenmaterial eignet. In der Tat
können wir heute nur ahnen, welche herrlichen Eisenbauten uns
noch die Architektur
bescheren wird. Der Eiffelturm ist nicht das Ende, sondern der Anfang.
Michelangelo in der
Peterskirche und Bär in der Dresdner Frauenkirche haben das
starre, massige Material des
Steines bezwungen und Dome geschaffen von wunderbarer
Raumgröße und Perspektive. Die
künftigen Eisenarchitekten werden den Vorsprung haben,
daß sie von Haus aus mit einem
Materiale arbeiten, das für Raumentwicklung und Perspektive
gewachsen zu sein scheint.
Sie werden uns ein Himmelsgewölbe in Eisen bauen und
Perspektiven in Rippen und Netzwerk
schaffen, die in der Natur kein Vorbild haben. Man fürchte
sich nicht vor den
Eisenkirchen. Auch das Eisen hat Gott wachsen lassen, und wenn Gott im
Stein lebt, so lebt
er auch im Eisen.
Heinrich Pudor |