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Autor: Redtenbacher, Rudolph
In: Allgemeine Bauzeitung - 42 (1877); S. 61 - 63; 78 - 80
 
Die Baubestrebungen der Gegenwart
 
Von Rudolf Redtenbacher

Seit der Zeit skrupulöser Zweifel, »in welchem Style wir bauen sollen«, seit den letzten 30 Jahren bis auf unsere mit Entschiedenheit der Renaissance zugeneigten Tage, hat sich das Interesse an der Baukunst in weitesten Kreisen gehoben. Vielleicht wird man einen Rückblick auf die Entwickelung der modernen Baubestrebungen in unserem, alle Kunstfreunde um sich versammelnden Blatte nicht unwillkommen heissen und die Befürchtung des Schreibers nicht für ungerechtfertigt erklären, dass diese Tendenz zur Renaissance aus inneren Gründen leicht dahin führen kann, diese hohe Kunstweise zur reinen  M o d e s a c h e  zu erniedrigen. Dass wir uns in die Baukunst mehr vertiefen lernen, als seither geschehen ist, dass wir uns vor Verflachung hüten mögen, dahin ist das Streben des Verfassers gerichtet.

Von der Mitte des XV. Jahrhunderts bis zum Erscheinen von  S t u a r t  und  R e v e t t's  epochemachendem Werk »The Antiquities of Athens and other Monuments of Greece«, 1761, galt den Baumeistern für klassisch die Architektur des römischen Alterthums; seit  S t u a r t  und  R e v e t t  fand eine Umgestaltung nicht nur unserer Ansichten über die antike Baukunst, ihrer ästhetischen Würdigung statt, sondern auch unserer Bestrebungen auf dem Gebiet der Baukunst selbst, die mit der Renaissance der hellenischen Baukunst durch  S c h i n k e l  begann. Durch  S t u a r t  und  R e v e t t  hatten wir die Baukunst der Griechen als der Originale kennen gelernt, welche die Römer nachzubilden gesucht hatten, und die somit selbst für die Meister der Renaissance auf indirektem Wege in erster Linie Anregung gebend war. Da erkannte man, dass die römische Baukunst und nach ihr wieder diejenige der Renaissance »abgeleitete« seien, zu denen sich die hellenische als die »organische« verhielt. Nun war sofort klar, dass man nicht aus der im Laufe der Zeit getrübten Fluth, sondern aus dem reinen Quell Wasser schöpfen müsse, die Baukunst erlebte ihren Läuterungsprozess durch die Formenwelt der griechischen Monumente. Die Renaissance der römischen Baukunst um die Mitte des XV. Jahrhunderts ist in ihrem Wesen vollständig verschieden von dem Wiederaufschwung der Kunst in unserem Jahrhundert; jene strebte nach einer Befreiung von dem Zwang mittelalterlicher konstruktiver und dekorativer Elemente, sie war vorwiegend praktisch in ihrer Tendenz; die Begründer der Baukunst unserer Zeit dagegen, von Hause aus einerseits Romantiker, andererseits von den Anschauungen der Hegel'schen Philosophie beeinflusst, strebten vor Allem nach einer Reinigung der im Barockstyl und Zopf verwilderten oder verknöcherten Architektur in formeller Hinsicht. Die Läuterung der Kunstformen, die theoretische Einsicht in die Bedeutung derselben zur Zeit ihres Entstehens bei den Hellenen war die moderne Aufgabe, welcher sich nicht nur  S c h i n k e l  als ausübender Künstler widmete, sondern welcher sich auch die Kunstforschung hingab, die unsere modernen Baubestrebungen sehr bedeutend unterstützte.

Diese ganze Umgestaltung unserer Ansichten über das klassische Alterthum, wie sie seit  S t u a r t  und  R e v e t t  stattfand, hat bei Künstlern und Kunsthistorikern eine Ueberschätzung des Werthes ursprünglicher Bauformen für unsere Zeit hervorgerufen und eine Ueberschätzung des Werthes der Reinheit und Strenge der Kunstformen überhaupt. Man beurtheilte und taxirte schliesslich die Baukunst alter Völker nur noch nach dem Adel ihrer Formen und vergass oder übersah es meistentheils, dass in der Strenge der Formengebung nicht ausschliesslich der Werth architektonischer Schöpfungen liegt. Dadurch kam der Kunstwerth aller abgeleiteten Baustyle, der römischen Baukunst, wie der Renaissance in Italien und im Norden sehr in Misskredit, und diese Geringschätzung wiederholte sich später, als man nach der Wiederbelebung der Gothik deren Ursprünge erforscht hatte und nun ihre späteren Entwickelungsphasen ohne Weiteres als einen Verfall derselben hinstellte, ebenso wie man die Architektur des Barocco als den Verfall der Renaissance missachtete. Die Geschichtsschreibung der Baukunst, welche die modernen Baubestrebungen sehr stark beeinflusste und umgekehrt wieder durch sie Anregungen empfing, hat durch die aufgeworfene Frage, in welchem Styl wir denn eigentlich bauen sollen, eine vorwiegend praktische Tendenz angenommen, indem sie stets mit Rücksicht auf die Beantwortung dieses Problems die Baukunst aller Zeiten und Völker beurtheilte. Nun darf man wohl von der Baugeschichtsschreibung verlangen, dass sie sich von allen derartigen praktischen Tendenzen, als nicht zur Sache gehörig, vollständig freimacht und die Angelegenheit der Stylfrage unserer Zeit als eine für sich bestehende diejenigen erledigen lässt, welche die Baukunst selbst ausüben und lehren. Die Frage, wie unsere moderne Baukunst schliesslich noch verlaufen wird, ist noch keineswegs beantwortet und lässt sich auch nicht abschliessen; die Frage, inwieweit die Baugeschichtsschreibung ihr Ziel erreicht hat, inwieweit sie demselben sich überhaupt wird nähern können, ist noch niemals gründlich untersucht worden.

Die italienische Renaissance war auf der Voraussetzung der römischen Architektur, ihres Studiums und ihrer Weiterbildung entstanden. Sie hat sich, wie es scheint, noch viel enger an die Baukunst der Römer angeschlossen, als man gewöhnlich annimmt; so wenigstens möchte man bei Betrachtung der im XVI. Jahrhundert vorgenommenen Aufnahmen antiker, heutigen Tages nicht mehr bestehender Baudenkmäler schliessen, von welchen wir nur noch nach den Handzeichnungen der Architekten damaliger Zeit urtheilen können. Die Renaissance hat einen ganz bestimmten, nachweisbaren Entwickelungsverlauf genommen, welcher an ebenso hervorragende Künstler, wie Kunstwerke sich anknüpft. Mit des Meisters  F i l i p p o  B r u n e l l e s c h i  Namen ist die Gründung der neueren Baukunst verbunden;  B r a m a n t e  und  M i c h e l a n g e l o  B u o n a r o t t i  schufen zwei bestimmte Richtungen: eine strengere, die Hoch-Renaissance, welche in ihrer Fortbildung schliesslich dem verknöcherten Klassizismus sich nähert, und die wesentlich auf Vitruv's Lehre von den Säulenordnungen beruht; sodann jene, dem Barocco anheimfallende Bauweise, die wohl mit der Loslösung von den Vitruv'schen Fesseln beginnt und als Spät-Renaissance vorzugsweise bezeichnet wird. Den eigentlichen Verfall der Renaissance in den nüchternen Klassizismus und den Barockstyl kann man wohl erst nach  P a l l a d i o  datiren; vorher laufen beide Richtungen noch sehr rein nebeneinander her. Was  B r am a n t e  in der Baukunst anstrebte und leistete, wurde zunächst durch seine Schüler,  B a l d a s s a r e  P e r u z z i  und  R a f a e l  weitergeführt und ergänzt;  G a l l e a z z o  A l e s s i,  V a s a r i,  V i g n o l a  und  P i r r o  L i g o r i o  gelten als Fortbildner von Michelangelo's Bauweise.

Der ehemalige römische Rokoko, wie er sich an den Felsgräbern von Petrae und dem Tempel von Balbek zeigt, auch in den Wandmalerien zu Pompeji erkennbar ist, strebte wohl nach Aehnlichem, wie die Barock-Architektur des XVI, XVII. und XVIII. Jahrhunderts nach einer  M i l d e r u n g  d e r  S t r e n g e  antiker Bauformen, vermöge welcher eine viel grössere Gewandtheit in der Verbindungsweise derselben zu gefälligen Gestaltungen gewonnen, ja sogar alles Fremde assimilirt und umgearbeitet werden konnte. Der genialen, geistvollen Schöpfung des Rokoko gelang es bekanntlich, sich überall einzubürgern und festzusetzen, und wenn dieser Architektur Schwulst und Ueppigkeit vorgeworfen wurde, so muss man ihre, im Allgemeinen meist vortrefflichen Verhältnisse anerkennen, welche selbst da zur Geltung kommen, wo die Dekoration kaum die Hauptlinien der Architektur hervortreten lässt. Darin befindet sich die Baukunst des Rokoko in Uebereinstimmung mit jeder guten Architektur, die üppigsten indischen Tempel und Pagodenbauten ebensowenig ausgeschlossen, wie die reichsten spätgothischen Thurmanlagen. Vielleicht wird man mir zustimmen, dass selbst manche moderne Aufgaben sich nur mit einer mehr oder weniger starken Dosis des Barocken bewältigen lassen, will man nicht in den lächerlichen, fast an's Frivole streifenden Ton verfallen, profanste Dinge mit den edelsten und reinsten Formen zu schmücken, Gegenstände, die höchstens mit einigem Humor künstlerisch behandelt werden können, mit Pathos und dem Ernst des Erhabenen zu gestalten.  (H a n s e n  hat sich bis zu der Komposition eines Spucknapfes im rein klassischen Styl verirrt.) Und was hat man dem Barocco, diesem Scherzando der Baukunst entgegenzusetzen gewusst?

Nachdem das launenhafte und doch so liebenswürdige Kind seiner Zeit, das bei wenig tiefem Sinn in seinem malerischen und plastischen Kleid doch so echten Künstlergeist verrieth, uns über den Kopf gewachsen war und uns tyrannisirt hatte, suchte man den armen, neckischen und ausgelassenen Kobold durch den Gegensatz eines prätentiösen Philisterthums zu unterdrücken, dem es auch wirklich gelang, mit Stumpf und Stiel Alles auszurotten, was nur im Entferntesten noch an echte, phantasievolle Kunst erinnerte. Der nüchterne Klassizismus beim Beginn unseres Jahrhunderts war eine Barbarei, wie sie wohl grösser und bedauerlicher keine Zeit aufzuweisen hatte. Diese, mit so viel Biederkeit sich breitmachende Philistrosität, die sich bisweilen auch einen phantastischen Anstrich zu geben weiss, um ihre innere Leere zu verdecken, steckt noch in unserem ganzen modernen Leben; dieser Dämon spreizt sich mit allen möglichen Schlagwörtern, er ist Schuld, dass täglich noch unsere schönsten Baudenkmäler zu Grunde gehen und verpfuscht werden; er wechselt jeden Augenblick chamäleonartig die Farbe, streicht unsere Kirchen von Kopf bis zu Fuss mit weisser Tünche an, ist ebensogut auf dem Katheder zu treffen, als an dem grünen Tisch unserer Behörden und nicht etwa an einem harmlosen Zöpfchen zu erkennen, das ihm hinten anhängt, sondern an seiner grenzenlosen Feindschaft gegen Alles, was von Phantasie zeugt. Diese Philistrosität hat sich wie der alles zerstörende Hausschwamm eingenistet, unterdrückt und untergräbt noch heutigen Tages vielfach echtes Schönheitsgefühl und hält die Kunst in Banden.

Die Erscheinung Schinkel's ist wie ein glänzendes Licht, das unsere trübe Atmosphäre aufhellte.  S c h i n k e l  war eine der eigenthümlichsten Künstlernaturen, die je gelebt haben, in seiner schöpferischen Wirksamkeit einem  A b t  S u g e r,  B r u n e l l e s c h i,  B r a m a n t e  und  M i c h e l a n g e l o  ebenbürtig. Stets lag in solchen bahnbrechenden Künstlern Alles im Keim enthalten, was ihre Nachfolger zur Entwickelung brachten; alle die Wege, welche nach ihnen eingeschlagen wurden, seien sie zu einem Ziele führende gewesen, von welchem aus wieder neue Bahnen auslaufen konnten, sei es, dass sie abseits lenkten und sich in den Sand verloren, alle diese gingen von solchen leitenden Persönlichkeiten aus.  S c h i n k e l  hat noch etwas von den ehrwürdigen Meistern der Renaissance, die seltenste Vielseitigkeit der künstlerischen Anlage; man möchte fast sagen, er steht mit ihnen noch in mittelbarer Verbindung durch seinen berühmten Lehrer  G i l l y;  denn dessen Schule verdankt es wohl  S c h i n k e l,  dass er in seiner neu begründeten Richtung das Echte und Tüchtige, was jene sich noch bewahrt hatten, die guten Verhältnisse im Grossen wie im Einzelnen nicht übersah; ein Vorzug, von welchem die Berliner Schule oft und weit genug sich entfernte.  S c h i n k e l  war durchaus Romantiker, und nicht wenige seiner Schöpfungen im Gewande griechischer Formenwelt sind im besten Sinne des Wortes von dem Geist der Romantik angeweht, der schliesslich auch in  S c h i n k e l  den Gedanken und die erste Anregung zum Ausbaue des Kölner Domes erweckte. Dass  S c h i n k e l  nichts ferner lag, als sich geringschätzig gegen die Baukunst des Mittelalters zu verhalten, beweisen nicht nur seine eigenen Versuche der Wiederbelebung der Gothik, sondern auch seine Bestrebungen, die Vorzüge der Baukunst der Antike und des Mittelalters zu vereinigen. Dass er nicht blos die griechische Baukunst als diejenige betrachtete, von welcher allein alles Heil zu erwarten wäre, zeigen uns seine Bauten wie seine Entwürfe, und nimmt man noch seine Theater-Dekorationen, die so manchen grossartigen Baugedanken enthalten, zur Beurtheilung seiner Bestrebungen hinzu, so darf man wohl sagen, dass alle modernen Baurichtungen von  S c h i n k e l  ihren Ausgang nehmen. Ohne ihn wäre schwerlich an den verschiedensten Orten die Wiederaufnahme und Erforschung aller Bauweisen der Vergangenheit erfolgt; die Neubelebungsversuche der altchristlichen, romanischen, gothischen, ja sogar maurischen Baukunst, die alle ihre begeisterten Anhänger und Vertheidiger fanden, mussten gleichsam mit Naturnothwendigkeit erfolgen, nachdem man den Gewinn einer Vertiefung in die griechische Baukunst erkannt hatte. Während nun die verschiedensten Bauweisen nach Schinkel's Tod in Deutschland geübt wurden, waren auch die Kunsthistoriker nicht müssig; die Spezialforscher sowohl, welche einzelne Gebiete der Baugeschichte behandelten,  B ö t t i c h e r,  Julius  B r a u n,  S e m p e r,  Franz  M e r t e n s,  H ü b s c h,  A d l e r  und Andere, als auch diejenigen, die das Gesammtgebiet der Baukunst beleuchteten und erforschten,  K u g l e r,  S c h n a a s e,  L ü b k e  wirkten auf die Architektur-Bestrebungen der Neuzeit ein.

Nun hatte sich aus der Frage, in welchem der vielen Baustyle wir bauen sollen, als Antwort ergeben: entweder in Allen gleichzeitig oder in einem Erwählten, oder in einem Gemisch aller Style. Betrachten wir die verschiedenen Ansichten über Aufgaben und Ziele unserer modernen Baukunst im Einzelnen, so ist zunächst Karl  B ö t t i c h e r  mit seiner Tektonik der Hellenen zu erwähnen, deren starker Einfluss auf die Leistungen der Berliner Schule sich jetzt noch geltend macht. Aus dem Anschluss derselben an  S c h i n k e l  und die griechische Baukunst, sowie an Bötticher's Tektonik ergab sich für sie als das Problem der Architektur unserer Tage die Formel, so zu bauen, wie die Griechen jetzt bauen würden, wenn sie die Errungenschaften der im Laufe von Jahrhunderten fortgeschrittenen Bautechnik nutzen könnten und ihnen die heutigen Bau-Aufgaben vorlägen. Es ist nicht allzuschwer, die Unlösbarkeit eines solchen Problems einzusehen; wie würden die alten Griechen heutzutage Krieg führen, was würden sie glauben, wie denke, wenn . . . etc. - das sind müssige Fragen.

B ö t t i c h e r  nun findet den Kunstwerth eines Bauwerkes in der  F o r m e n g e b u n g,  welche als eine Symbolik zur Versinnlichung des Gedankeninhaltes jedes Bautheiles zu betrachten sei und die somit als eine Funktion der konstruktiven Systeme, des gewählten Baumaterials und seiner Festigkeitsverhältnisse aufgefasst werden müsse. Die drei in der Baukonstruktion massgebenden Verhältnisse, die relative, rückwirkende und absolute Festigkeit lägen dem Architravbau, dem Bogen- und Gewölbebau, endlich der Eisenkonstruktion zu Grunde. Die Verbindung horizontaler und vertikaler Massen, welche sich wie Last und Stütze zu einander verhalten, hätten die Hellenen in vollendetster technischer und künstlerischer Weise zu gestalten gewusst. Der auf Schub und Gegenschub beruhende, von den Römern schon mit virtuoser Technik geübte, im gothischen Styl zu höchster Entwickelung gebrachte Gewölbebau sei bis jetzt überhaupt noch nicht in einer dem griechischen Architravbau äquivalenten Weise mit der entsprechenden Formsymbolik versehen worden; somit liege  e i n e  für unsere Zeit bedeutungsvolle Aufgabe in der Erfindung von Kunstformen, welche das Wesen des Gewölbebaues zum Ausdruck brächten. Das Hauptziel unserer und der folgenden Generationen müsse indess sein, ein neues Konstruktionsprinzip in den Vordergrund zu stellen, welches sowohl der Antike als dem Mittelalter vollständig fehle; sie müsse Decken bilden, deren Halt im Gegensatz zu der sich freitragenden Flachdecke und dem sich gegenseitig stützenden Gewölbe auf den  Z u g s p a n n u n g e n  des Materials beruhe; also zur Erfindung von Kunstformen für den mittelalterlichen Gewölbebau fehle noch die tektonische Ausschmückung der modernen Eisenkonstruktion.

Wollte man diesen Gedanken mit Konsequenz weiter führen, so müssten die Zukunftsvölker Decken herstellen, welche auf der Torsionsfestigkeit und der Abscheerungsfestigkeit beruhen und auch da die nöthigen Formsymbole erfinden. Dann freilich bliebe der Nachwelt nichts mehr übrig, wenn diese denkbaren Konstruktions-Prinzipien einmal aufgebraucht wären und die Baukunst hätte ihr Ende erreicht. Eine Anzahl Anhänger dieser Kunsttheorie, alle der Berliner Schule angehörig, erfanden im Sinne von Bötticher's Tektonik Kunstformen, die nur den einen Fehler haben, dass ihr Sinn von Niemanden verstanden wird, der nicht Bötticher's Tektonik gelesen hat, und die deshalb von Fachgenossen ausserhalb der Partei nicht anerkannt werden.

(Schluss folgt)


DIE BAUBESTREBUNGEN DER GEGENWART
Von Rudolf Redtenbacher
(Schluss)

Bötticher's Kunsttheorie wird wohl in nicht allzulanger Zeit ein vollständig überwundener Standpunkt sein, ein Standpunkt freilich, der für die Entwicklung der baulichen Ideen die Bedeutung eines Gebirgspasses hat, der überschritten werden muss, ehe man wieder die gangbare Strasse erreicht, die einen stetigen Fortschritt gestattet. Das Problem, welches sich  B ö t t i c h e r  gestellt, war das Produkt der Verbindung baugeschichtlicher Forschung und ästhetischer Spekulation; der scharfsinnige Versuch seiner Lösung wird immer bedeutungsvoll und des Studiums werth bleiben, auch wenn er seine dogmatische Kraft, seine alleinseligmachende Wirkung verloren hat. Was den Werth seiner Kunsttheorie zum voraus in Zweifel stellt, das ist die Einseitigkeit, mit welcher sie um einer einzigen Kunstrichtung willen alle anderen in den Bann thut. Eine Kunstlehre, die wirklich bleibenden Werth haben will, darf ebensowenig schon in einigen Jahrzehnten mit der ausgeübten Kunst im Widerspruch stehen, als von den Leistungen der Vergangenheit nur eine bestimmte Reihe als mustergiltig hervorheben, die andern verwerfen oder ignoriren.

Ein grosses Verdienst hat sich  B ö t t i c h e r  schon dadurch erworben, dass er die erste Anregung zur praktischen Aesthetik, zur Erforschung des Wesens baulicher Kunstformen gab und der philosophischen Erkenntniss des Schönen nach dieser Seite hin mit Erfolg Bahn brach. Besonderes Gewicht legte  B ö t t i c h e r  auf die etymologische Erklärung antiker Kunstausdrücke und kam dabei zu interessanten Schlussfolgerungen. So führte die Auffassung von »Kymation« oder Welle als der Form, welche den Konflikt zwischen Stütze und Last ausdrücken sollte, zu der Vermuthung, der sogenannte Echinus des dorischen Kapitäls sei mit Blättern bemalt gewesen, die mit ihren nach unten gebogenen Enden als Symbol dieses Konfliktes zwischen Stütze und Last zu betrachten seien; an Kapitälen des Theseustempels entdeckte  B ö t t i c h e r   thatsächlich die Spuren dieser aufgemalten Blätter (L ü b k e  sagt sonderbarer Weise «B ö t t i c h e r  will entdeckt haben !« die Abgüsse sind ja im Museum zu Berlin zu sehen!), die er im jonischen »Eierstab« wieder erkennt. War hier ein richtiger Weg verfolgt, so dürfte doch die einfache Uebersetzung der antiken Kunstausdrücke nicht genügend sein, um in allen Fällen den Sinn der Formen zu erfassen, sondern erst durch sprachvergleichende Untersuchungen und Forschungen nach dem ursprünglichen Wortsinn würde sich ergeben, wie manche Ausdrücke zu verstehen sind. Bötticher's Kunsttheorie wurde auf einer falschen Voraussetzung auf gebaut, derjenigen nämlich, dass die ganze griechische Baukunst eine durchaus selbstständige, in gar keinem Zusammenhang mit der Baukunst der übrigen Völker des Alterthums stehende sei;  B ö t t i c h e r  wollte mit dieser Voraussetzung die Griechen von der Beschuldigung freisprechen, sie hätten nichts Neues geschaffen, sondern nur das längst Vorhandene in freier Auffassung und edler Gestaltung zusammengefasst und fortgebildet. Diese Voraussetzung zwang  B ö t t i c h e r  zu Hypothesen und führte zu Konsequenzen sonderbarster Art. Die Form des dorischen Kapitäls hat selbst alle möglichen Umwandlungen erlebt, es hat seine eigene Geschichte, welche wir nicht kennen, und die sich vielleicht niemals aufhellen lässt. Wir dürfen in dem dorischen Kapitäl der Blüthezeit griechischer Kunst nicht ohne weiteres eine feststehende Form erblicken, welche den Gedanken des Künstlers, der es schuf, zum Ausdruck brachte, sondern müssen es für eine traditionell beibehaltene archaistische Form betrachten, die in den Händen der Künstler modificirt wurde, während ihre Entstehungsweise oder vielmehr ihre erstmalige Einführung in die Architektur ganz dunkel ist. Dasselbe gilt vom jonischen Kapitäl. Nur zum Theil sind wir im Stande, die Einzelheiten der griechischen Baukunst richtig zu deuten. Erfolgreicher als  B ö t t i c h e r  hat  S e m p e r  wichtige Aufschlüsse über die, Kunst des Alterthums auf dem Wege gewonnen, dass er nach dem Zusammenhang der Kunstformen mit der Gestaltung der Erstlingsprodukte der Industrie forschte; er hat die Bauweisen der alten Völker in einen engen Zusammenhang zu bringen gewusst und einige der wichtigsten Gesetze aller Stylbildung in der Baukunst entdeckt.

Dass er der Baukonstruktion eine zu nebensächliche Stelle in der Baukunst zuschreibt, sie nur als den Kleiderstock betrachtet, an welchem die Baukunst ihre bunten Gewänder aufzuhängen habe, führte ihn zu einer vollständigen Verkennung der Gothik, welche wohl ebensowenig möglich gewesen wäre, wie Bötticher's einseitige Beleuchtung derselben, hätten beide Autoren die streng wissenschaftliche Forschung allein im Auge gehabt und sich nicht durch die praktische Tendenz, die Aufgabe der Baukunst unserer Zeit zu formuliren, leiten lassen. Es könnte überflüssig erscheinen, bei den Bestrebungen beider Autoren so lange zu verweilen, wären sie nicht die Einzigen, deren Theorieen die Praxis der Baukunst beeinflusst haben, und fänden nicht gerade die Mängel dieser Theorieen fast mehr Zustimmung bei Architekten und Kunstkritikern, als ihre Vorzüge: die Mängel, welche aus der Parteilichkeit der Autoren entspringen, erkennt der Parteimann schwer. Betrachten wir nun zunächst die anderen Baumeister zu und nach Schinkel's Zeit in Kürze, welche für die Kunsttheorie von Einfluss waren, so kommt zuerst  K l e n z e  an die Reihe. Er gelangt auf einem anderen Wege zu derselben Ueberzeugung wie  S c h i n k e l,  dass nämlich der Ausgangspunkt für die Baukunst der Zukunft diejenige der Griechen sein müsse. Sein Gedankengang ist etwa folgender: Zu allen Zeiten hätten die Gebäude zu gottesdienstlichen Zwecken die Baukunst beherrscht; dem Tempel- und Kirchenbau seien die Architekturformen entsprungen, und ebenso blieben die Gotteshäuser stets tonangebend für unsere Kunst. Wie die griechischen und römischen Künstler den reinsten Ausdruck ihrer Gestaltungskraft im Tempelbau gefunden hätten, so sei es die Aufgabe der Gegenwart, dem christlichen Glauben entsprechende Kirchen zu schaffen und sie im Geiste des Christenthums zu den erhabensten Kunstwerken zu gestalten. Der Geist Christi spreche sich aber am vollkommensten in dem ursprünglichen, von confessionellen Färbungen wie späteren Zuthaten noch freien Urchristenthum aus, und diesem sei die umgewandelte römische, sogenannte altchristliche Basilika am passendsten. Da die altchristliche Basilika aber durchaus die Formen römischer Baukunst an sich trage, diese aber eine Copie der reinen griechischen sei, so heisse unsere Aufgabe: die christliche Kirche im Gewande der geläuterten griechischen Formenwelt. Und da aller Profanbau vom Sakralbau abhänge, so sei jener heutzutage ebenfalls auf die Architektur des hellenischen Alterthums angewiesen. Auch diese Betrachtung über die Ziele unseres heutigen baukünstlerischen Schattens war berechtigt, und  K l e n z e  blieb seinen Grundsätzen stets getreu, erfasste seine Aufgaben so grossartig als nur Einer.  S c h i n k e l  und  K l e n z e  werden wohl als die bedeutendsten Vertreter des Hellenismus in Geltung bleiben. Ihnen folgt und reiht sich  H a n s e n  an.

Neben den Versuchen, der griechischen Baukunst die Alleinherrschaft zu erringen, unternahm man an verschiedenen Orten Deutschlands, und von sehr mannigfachen Gesichtspunkten Ausgang nehmend, die Wiederbelebung der mittelalterlichen Bauweisen. Es ist wahrlich nicht zu verwundern, dass mit der romantischen Schule und dem schwärmerischsten Verehrer der Kunst des Mittelalters,  S c h i n k e l,  eine allgemeine Interessirtheit für diese Kunstrichtungen sich verbreitete. Aus vermeintlichem Patriotismus erfolgte zur Zeit der Wiederentdeckung unserer deutschen Dome, Kirchen und Schlösser als wirklicher Kunstwerke das mehr oder weniger eingehende Studium dieser, ihrem Style nach für ächt deutsch gehaltenen Bauwerke, und als Resultat ihrer Erforschung gewannen sowohl die Geschichtschreiber der Kunst ein grosses, fruchtbares Feld ihrer Thätigkeit, als auch die Baumeister einen reichen Schatz an praktisch verwerthbaren Kenntnissen und Erfahrungen. Der Forschungs- und Schaffungstrieb wurde mächtig angeregt durch die Publikationen über deutsche Baudenkmäler, welche  B o i s s e r é e,  H e i d e l o f f,  H o f s t a d t  und  M o l l e r  uns wieder nahegebracht,  K u g l e r,  Franz  M e r t e n s  und  S c h n a a s e  in ihrem kunsthistorischen Zusammenhang mit den Bauwerken ausserhalb Deutschlands erklärt hatten.

Die dilettantische Schwärmerei für die »altdeutsche« Baukunst musste indess verschwinden vor dem Scharfblick des Kunstforschers Franz  M e r t e n s,  welcher zuerst den Ursprung der gothischen Baukunst in Frankreich nachwies; der enggesteckte Horizont des Publikums musste sich erweitern durch Kugler's Unternehmen, das Gesammtgebiet der bildenden Künste in ihrer geschichtlichen Entwickelung zu umfassen; mit dem Fortschreiten von Schnaase's Riesenarbeit, der denselben Gegenstand in nicht minder gediegener und von den weitesten kulturhistorischen Gesichtspunkten aus beleuchtenden, als ausführlichen Geschichte der bildenden Künste läuterte sich unser Verständniss, gewannen wir eine tiefere Erkenntniss des Wesens der Kunst überhaupt. An Stelle noch in dilettantischer Nachahmung von Aeusserlichkeiten der mittelalterlichen Baukunst befangener Architektur trat eine Reihe schöpferischer Künstlernaturen,  H a a s e,  S c h m i d t,  U n g e w i t t e r,  F e r s t e l  u.  A. Diese erfassten die gothische Baukunst in ihrem Wesen, und sowohl unter den kirchlich Gesinnten beider Konfessionen, als auch bei den Indifferenten neigten sich unzählige mehr oder minder begabte Künstler der Gothik zu, um ihrer Tüchtigkeit und Schönheit Willen. Unter den Schriftstellern, welche die Baukunst des Mittelalters spezieller erforschten, verdient Franz  M e r t e n s  besonders hervorgehoben zu werden. Er suchte zuerst der Baugeschichte des gothischen Styles einen festen Grund und Boden zu schaffen durch seine Bemühungen um die Chronologie der Bauwerke; seine vielen kleinen Schriften, welchen ein grösseres, oft angezeigtes, aber nie erschienenes Werk folgen sollte, sind, wenn auch vielleicht in vielem Einzelnen irrig, so doch voll klarer Erkenntnisse und hervorragender Gedanken. Endlich war es ausserhalb Deutschlands  V i o l e t  l e  D u c,  der mit seinen grossartigen Publikationen einen nicht geringen Einfluss auf unsere modernen Baubestrebungen ausübte.  V i o l e t  l e  D u c  behandelte zum erstenmal in seinem allbekannten »Dictionnaire raisonné de l'Architecture en France« die ganze Formenwelt der mittelalterlichen Baukunst im Zusammenhang mit ihren Konstruktions-Prinzipien, ohne deren Kenntniss jene unverständlich bleiben müssen; er beleuchtete in den »Entretiens sur l'architecture« eine Reihe wichtiger baukünstlerischer und technischer Fragen von neuen Gesichtspunkten und waren es besonders die Gothiker, welche Violet le Duc's Einfluss empfanden, so verdanken ihm ebensoviele Belehrung und Anregung die Geschichtsschreiber der mittelalterlichen Baukunst.

Eine dritte Baurichtung, die Renaissance, war nur an einem Orte in Deutschland nie vollständig ausgestorben; in Dresden allein erhielten sich die alten Traditionen noch ohne Unterbrechung, und dort wurde die Renaissance nicht aus freier Wahl als etwas Fremdes, ausser Gebrauch Gekommenes adoptirt, wie dies mit den übrigen Baustylen anderwärts in Deutschland geschah, sondern zuerst von  T h ü r m e r  weiter gehegt und gepflegt, dann von seinen Nachfolgern,  S e m p e r  und derzeit  N i c o l a i.  Durch  S e m p e r  ist wohl zum grössten Theil die Anregung zur Wiederaufnahme der Renaissance an anderen Orten in Deutschland gegeben worden, und  N i c o l a i  ist der Gründer einer weitverbreiteten Schule. Den an vielen Orten in Deutschland aufgetauchten Bestrebungen nach der Neubelebung der Renaissance folgten nun auch die Kunstschriftsteller, und  J a k o b  B u r c k h a r d t  wie  W i l h e l m  L ü b k e  verdanken wir die höchst schätzenswerthen Werke über die Geschichte der Architektur der italienischen, französischen und deutschen Renaissance. Die Baukunst des Cinquecento in den übrigen europäischen Ländern hat Lübke in seiner Geschichte der Baukunst, soweit es der Raum gestattete, mit berücksichtigt; sie verdiente, ebenso wie die Baukunst des Barocco und unserer Zeit, in einem sechsten Band und ausführlich behandelt, Kugler's grösserem Werke beigefügt zu werden.

Abgesehen von einigen vereinzelten Versuchen, auch die maurische Baukunst aufzufrischen, hätten wir zur Vervollständigung des Bildes moderner Bestrebungen auf dem Architekturgebiete in Deutschland noch zweier eigenthümlicher Erscheinungen zu gedenken, der Versuche, einen neuen Styl zu gebären. München hatte durch die Bestrebungen König Ludwig's, gute Vorbilder, Copieen aller Baustyle hinzustellen, damit sich das Auge des Künstlers an ihnen bilden solle, sich daran gewöhnt, am Verschiedensten Geschmack zu finden. Kein Wunder, wenn es sich auch mit dem Programm des Königs Max, einen neuen Styl aus dem Gemisch aller historischen Style zu brauen, zufrieden gab. Dem Münchener, glücklich überwundenen, Eklekticismus, einem kulturhistorischen Kuriosum, steht zur Seite ein anderer, welcher gottlob auch in den letzten Zügen liegt und mit dem Namen des mehr nüchtern verständigen, als phantasievoll begabten  H ü b s c h  in Karlsruhe verknüpft ist. Wenn München bewies, dass ein ohne alle Kritik und blos aus Laune und Willkür geschaffener Eklekticismus ein Irrweg sei, so kam  H ü b s c h  mit seinem, auf scharfer, aber einseitiger und vorurtheilsvoller Kritik beruhender Eklekticismus ebenfalls auf einen Holzweg; alle Architekten von einiger Bedeutung haben denselben verworfen.  H ü b s c h  sucht ähnlich wie  K l e n z e  nach Formen für den christlichen Kirchenbau und kommt ebenso wie dieser auf die altchristliche Kirche zurück; Hübsch's sehr geringer Formensinn führte ihn aber nicht weiter, er findet die Formenwelt der altchristlichen Baukunst vollständig genügend und entsprechend für die Aufgaben unserer Zeit und sucht mit doktrinärem Scharfsinn seine Ansichten zu begründen in dem Schriftchen: »Die Architektur und ihr Verhältniss zur heutigen Malerei und Skulptur«. (1847. Stuttgart & Tübingen, Cotta.)

Sein Inhalt ist kurz folgender: Nach einer Einleitung über das Verhältniss der Architektur zu den übrigen Künsten folgen einige Kapitel zur Feststellung der Grundbegriffe der Architektur und des Baustyles. Mit Hülfe der gewonnenen Kategorieen werden alle Baustyle einer Kritik unterworfen und das Resultat ist eine Verherrlichung der altchristlichen Baukunst, aus welcher der neue Baustyl sich entwickeln müsse. Es folgen nun Vorschläge, wie derselbe im Speziellen zu behandeln sei, und Hübsch's Bauten zeigen uns die praktische Anwendung seiner Theorie.  H ü b s c h  macht es nun gerade so, wie schon mancher Theoretiker gethan hat; Ausgangspunkt sind nicht seine ästhetischen Grundanschauungen, sondern eine vorgefasste Meinung leitet ihn bei Verfolgung seines Zieles und der Endpunkt seiner Beweisführung ist derjenige, von welchem er stillschweigend ausgegangen ist.  H ü b s c h  steht auf dem kirchlichen Standpunkt und hat in einer Zeit, da man Italien eigentlich nur zu dem Ende aufsuchte, um die  r ö m i s c h e n  Baudenkmäler zu studiren, fast alles Andere aber links liegen liess, das grosse und vernachlässigte Gebiet der altchristlichen Baukunst gründlich erforscht; das grosse, bekannte Werk über diese Denkmäler ist Hübsch's hervorragendste Leistung. Er findet in der altchristlichen Basilika und den Kuppelbauten eine weit vorgeschrittene Gewölbetechnik, welche weitgespannte Räume bei mässigem Materialaufwand feuersicher zu überdecken gestattete und erblickt darin die Hülfsmittel für eine Hauptaufgabe der modernen Zeit, die protestantische Kirche; diese weiträumig, mit geringen schlanken, dem Andächtigen nicht den Blick nach Altar und Kanzel versperrenden Stützen, feuersicher (was  H ü b s c h  ziemlich gleichbedeutend ist mit monumental), jedoch mit sparsamster Anwendung von Eisen zu gestalten, gilt ihm als oberstes Problem der heutigen Architektur. Das bescheidene Maass der Dekoration altchristlicher Kirchen genügt ihm, um die protestantische Kirche, und sei sie selbst ersten Ranges, zu schmücken; die Armuth jener Bauweise an Architekturformen findet er vollständig aufgewogen durch den Reichthum grossartiger Mosaik- und Wandmalerei, welcher er die passenden Flächen in seinen Kirchen bieten will. Für die protestantische Kirche hält er die dreischiffige, gewölbte Basilika ohne Strebepfeiler für die entsprechendste Anlage; als die Hauptaufgabe des Profanbaues bezeichnet  H ü b s c h  die offene, gewölbte Halle und die geschlossene Façade. Für alle drei Specimina hatte er das Glück, Vorbilder hinzustellen in der Kirche zu Bulach, der Trinkhalle zu Baden-Baden und der Kunsthalle zu Karlsruhe, drei Bauten, die ihm und seinen Anhängern für musterhaft gelten.

H ü b s c h  hatte mehr Sinn für das Konstruktive, als für die Dekoration; seine Bedeutung als Architekt liegt im ersteren, sodann in dem Streben nach Grossräumigkeit und guten Verhältnissen. Mit der Formenwelt verfährt er sehr eigenthümlich, er ist geradezu Antipode seines Freundes  B ö t t i c h e r.  Sie besteht nach ihm einestheils in Gliederungen der baulichen Massen, welche, den Gelenken des thierischen Körpers vergleichbar, die feineren Abstufungen der Konstruktion andeuten, anderntheils in verbrämenden und ausfüllenden Verzierungen, »die meist ohne Inhalt sind«. Bei dem geringen Formensinn Hübsch's ist seine Gleichgiltigkeit und Geringschätzung aller Zierde eines Baues erklärlich, ebenso begreiflich aber auch, dass er mit vieler Verbitterung gegen unsere Zeit in seinem obenerwähnten Werk nun alle Baustyle Revue passiren lässt, sie prüft, ob sie den »drei Hauptaufgaben der Baukunst« genügt haben, und schliesslich nur in der altchristlichen Baukunst, von welcher er ja ausgegangen war und der er seine ästhetischen Grundanschauungen entlehnt hatte, wirkliche Kunst findet. Seine Kritik der Baustyle läuft im Grunde auf eine Vertheidigung seines eigenen baulichen Schaffens und seines Eklekticismus hinaus, den er einen »einheitlichen« nennt gegenüber dem Münchener »produktionslos-kompilatorischen«. Man kann kaum einseitiger, hämischer, lieblos anmassender und philiströs absprechender die Leistungen der Baukunst aller Zeiten und Völker beurtheilen, als es  H ü b s c h  in seiner Schrift gethan. Hübsch's Eklekticismus hatte in Folge seiner Einseitigkeit zu keinem Ziele geführt; betrachtet man die Baustyle vom Standpunkte eines schon ausgewählten aus, ohne die anderen genauer zu kennen, so wirft man ein falsches Licht auf sie, man ist Parteimann, und das war  H ü b s c h.
Um die Konfusion in der modernen Baukunst noch zu steigern, wurde von mancher Seite der Vorschlag gemacht, man solle alle Baustyle gleichzeitig, aber streng von einander geschieden, in Anwendung bringen, also etwa Museen jonisch, Wachthäuser und Kastelle dorisch, Paläste korinthisch bauen, protestantische Kirchen im altchristlichen und romanischen, katholische im gothischen, Synagogen im maurischen, endlich Theater, Wohnhäuser und Villen im Styl der Renaissance.

Die Baubestrebungen der Gegenwart gehen, wie wir gesehen haben, nach vier Richtungen auseinander, als deren Vertreter wir 1. die Fanatiker irgend welchen Baustyls, 2. die Renaissanceler, 3. die Eklektiker, 4. die Neutralen bezeichnen können. Die oft wiederholte Bemerkung, dass wir keinen eigenen Baustyl haben, ist eine sehr richtige; wenn man aber damit unserer Zeit einen Vorwurf machen will, so ist das sehr wenig berechtigt. Zu allen Zeiten klagten die Künstler über den raschen Wechsel der Moden, dem all unser Streben auf dem Kunstgebiete unterworfen sei. Baustyle waren niemals eine reine Modesache; sie wurden auch nur wenig von der Mode influirt, sie entwickelten sich langsam und stetig. Ein Baustyl kann nur langsam und unter geordneten, stabilen Verhältnissen sich konsolidiren; er gleicht darin dem trüben Wasser, welches nur durch Ruhe sich klären kann; jedes gewaltsame Hervorrufenwollen eines Baustyls wird nur zu Missgeburten führen, wie ja auch die Entwickelung eines Samenkorns sich nicht beliebig beschleunigen lässt. Wie, fragen wir einmal, kamen vergangene Zeiten zu einem Baustyl?

Die Römer bildeten eine, unmittelbar von den Griechen erhaltene Bauweise weiter aus und gestalteten sie um; in diesem Verhältniss steht auch die gothische Architektur zur romanischen, sie wirthschaftete mit einem ererbten Kapital. Die direkt wirkenden Traditionen ermöglichten einen neuen Baustyl. Die Renaissance, welcher ähnliche unmittelbare Traditionen nur in der langen Blüthezeit der italienischen Gothik gegeben waren, fand sich bei dem, den romanischen Völkern angeborenen, so intensiven Kunstgefühle leicht und rasch in die Formenwelt römischer Architektur hinein, die den Künstlern Italiens ja nie ganz fremd wurde. Eine Mischung zweier Baustyle, einen Eklekticismus im wahren Sinne des Wortes, finden wir beispielsweise in der italienischen Gothik selbst, die sich in eigenthümlichster Weise von nordischer Gothik unterscheidet und auf einem Zusammenfliessen wenig verstandener germanisch-mittelalterlicher mit verunstalteten lokal-antiken Elementen beruht. Ihr Gegenbild ist die Renaissance im Norden; hier stürzte sich die üppige Spätgothik, die keinen Ausweg mehr fand, der Renaissance in die Arme und wurde nach und nach ganz von dieser absorbirt. Auch in früheren Zeiten kam es bekanntlich vor, dass Architekten in zwei Richtungen zugleich thätig waren; ich erinnere nur an Baldassare Peruzzi's zwei Projecte für S. Petronio in Bologna, das eine italienisch-gothisch, das andere in den Formen der Renaissance. Wir heutigen Künstler unterscheiden uns von denen früherer Zeiten wesentlich darin, dass wir die jeweiligen Entwickelungsphasen der Kunst und ihren historischen Zusammenhang kennen, von dessen Existenz früher Niemand eine Ahnung hatte. Die Künstler aller Zeiten verwertheten was ihnen gut schien, ohne nach dem chronologischen Datum zu fragen, sie waren stets Eklektiker, insofern sie sich das ihnen Sympathische anderer Kunstweisen assimilirten und in ihrem Sinne umgestalteten. Jeder Baustyl enthält fremdartige Elemente, die ihm allmälig ebenso eigenthümlich wurden, wie unseren Sprachen eine Zahl von Fremdwörtern. Niemals hat aber vor unseren Tagen ein Eklekticismus an und für sich bestanden, vielmehr befanden sich die Künstler stets mitten drinn im Fahrwasser irgend welchen Entwickelungsstadiums eines Baustyls. Und das gerade fehlt uns; wir irren ebenso sehr, wenn wir, durch unser kunsthistorisches Wissen verleitet, glauben, chronologisch Getrenntes stets auch in der Praxis streng auseinanderhalten zu müssen, als wenn wir uns einbilden, aus allen möglichen Einzelheiten verschiedener Bauweisen durch beliebiges Zusammenwürfeln ein Ganzes schaffen zu können.

Unsere moderne Baukunst kann erst dann zu dem gelangen, was man  S t y l  nennt, wenn sie sich in  e i n e n  Baustyl ganz fest eingewurzelt hat und unter dieser Voraussetzung eklektisch und kritisch zugleich verfährt; sie muss, was sie nur an fremden Elementen aufbraucht, umzugestalten wissen im Sinne eines Baustyls; sie hat sich nicht aus Rücksichtnahme für irgend welche historische Bauweise in ewig abgeschlossenem Kreislauf zu bewegen, ohne irgend welche Auffrischung sich zu Gute kommen zu lassen, sie darf aber auch nicht immerfort und gewaltsam Neues gebären wollen, welches in keinem Zusammenhang mit der Vergangenheit und dem wirklichen Leben steht. Wer sich nun mit ganzem Herzen dem Studium eines Baustyls hingibt, wird sich schliesslich so sehr von seiner Vortrefflichkeit überzeugen, dass er von ihm allein alles Heil erwartet. Es geht ihm wie Jedem, der als Kenner eines einzigen philosophischen Systems dieses für unumstösslich und für ewig hält; studirt man die anderen ebenfalls gründlich, so erkennt man auch ihre Ueberzeugungskraft und geräth in einen Zwiespalt mit sich selbst. Wer einen Baustyl in seinem Kern erfasst hat und mit gleicher Tiefe in das Wesen der übrigen einzudringen versteht, wird einen Ausweg aus dem Dilemma, in welches er gerathen muss, nicht in einem allgemeinen Stylwirrwarr suchen. Er wird finden, dass gerade das Verständniss des einen dasjenige des anderen Baustyls befördert und entweder sich einer erwählten Richtung desto vorurtheilsloser anschliessen oder nach neuen Gesichtspunkten streben, die ihm als Richtschnur für sein künstlerisches Schaffen dienen können.

Will man eine Kritik der Baustyle üben, so muss man das, was an ihnen mangelhaft ist, klar zu unterscheiden wissen von demjenigen, was wir für unsere Zwecke brauchen oder nicht brauchen können. Man hat seither zu sehr den ästhetischen Werth der Bauformen und Gedanken nach ihrer Brauchbarkeit für die Gegenwart beurtheilt oder andererseits den Irrthum begangen, alles Wohlgefällige in der Baukunst für nachahmenswerth zu halten; man urtheilte: »das für uns Brauchbare ist schön« oder »alles Schöne ist auch für uns brauchbar«. Von einer Kritik der Baustyle hängt nun allerdings ab, welchem von ihnen unsere Zeit sich direkt anschliessen soll; aber diese Kritik, welche ein praktisches Ziel im Auge hat, setzt eine gründliche Kenntniss der Baustyle voraus und einen allgemeineren Standpunkt ihrer Beurtheilung, der ihnen allen in gebührender Weise Rechnung trägt. Ich möchte nun glauben, dass eine vorurtheilslose Kritik etwa zu folgenden Ueberzeugungen führen muss:

1. dass jede Bauweise der Vergangenheit die Schönheit angestrebt und einen Theil derselben erreicht hat;

2. dass jede einen allgemein giltigen Theil von bleibendem Werth enthält und einen, nur der Zeit ihres Gedeihens entsprechenden, historisch bedeutsamen, aber praktisch werthlosen Rest;

3. dass kein einzelner Baustyl die Schönheit vollständig dargestellt hat, dass in jedem noch entwickelungsfähige Keime sich finden lassen; unsere Aufgabe ist es, ein neues Stück der Schönheit hervorzubringen, eine Aufgabe der Menschheit überhaupt wird es sein und bleiben, das Schöne zu schaffen in der Kunst;

4. dass in jedem Baustyl einzelne Formen zeitweise auftreten und wieder verschwinden, dass diese aber unter passenden Bedingungen mit voller Berechtigung wiederkehren können; nicht die ursprüngliche Entstehungsweise der Formen entscheidet für ihre Wiederanwendung, sondern der Zweck, dem sie dienen sollen;

5. dass die Formen der Baukunst einem ewigen Veränderungsprozess unterlagen, ohne welchen eine Entwickelung der Formenwelt überhaupt unmöglich gewesen wäre, dass also eine »Reinheit der Baukunst« nicht blos auf der Reinheit der Formen beruht, dass wir somit ausser nach dieser, in Zukunft auch noch nach der Erfüllung anderer Anforderungen an ein Kunstwerk streben müssen.

Von diesen Ueberzeugungen ausgehend, kann man unmöglich die gehässige Stimmung theilen, in welcher die Vertreter der zwei modernen Baurichtungen, der Gothik und der Renaissance Tür ihre Sache Partei nehmen; ebensowenig kann man aber den Tadel der Kunsthistoriker und Kritiker berechtigt finden, welche bald nach dieser, bald nach jener Seite hin die Architekten mit Vorwürfen überschütten. Was beiden modernen Richtungen gleichmässig fehlt, das ist, dass wir uns aus der Fähigkeit, in fremden Sprachen mit Geläufigkeit sprechen zu können, noch recht wenig zu einer höheren, zum  D i c h t e n,  emporgeschwungen haben. Die grosse Masse moderner Bauwerke im gothischen wie im Renaissancestyl steht weit zurück an Kunstwerth im Vergleich zu den ächten und ursprünglichen Werken, deren Kleid sie tragen. Es fehlt uns an  V e r t i e f u n g  in die Arbeit, an Klarheit in der Disposition über unsere Kunstmittel, wie an Liebe in der Vollendung des Einzelnen. Demnach möchte ich die Bestrebungen der Gothiker wie der Vertreter der Renaissance für gleichwichtig und werthvoll für die Gegenwart sowohl wie für die Zukunft halten; beide Bauweisen, so die des entwickelten Mittelalters, wie die des Cinquecento haben grossen, künstlerischen Werth, beide weisen ebensoviele Vorzüge als Mängel auf, beide bieten uns einen grossen Reichthum umgestaltungsfähiger Formen, mit welchen wir unsere Bauaufgaben ausschmücken können. Mit der einen wie mit der anderen Stylrichtung ist unsere moderne Zeit noch durch so viele Fäden verknüpft, dass es schwer fällt, die eine vorzuziehen, die andere zu ignoriren. Ob eine Verschmelzung beider Gegensätze jemals möglich wird, lässt sich kaum sagen, aber Eines glauben, dass man in der Architektur der Zukunft die prinzipiellen Vorzüge beider finden wird. Ein gründliches Verständniss beider Bauweisen war ohne ihre praktische Ausübung unmöglich, daher kann man nur froh sein, wenn sie parallel nebeneinander hergingen; erfreulich ist es, dass wir uns in beiden auf eine höhere Stufe der Reife emporgehoben haben, bezeichnend und bedauerlich aber, dass diese modernen Richtungen ohne einen eigentlichen Entwickelungsgang geblieben sind.

Wenn es nun die Aufgabe der Architektur unserer Zeit ist, sich zu klären und zu konsolidiren, an Tiefe zu gewinnen und von Vorurtheilen sich zu läutern, so möchte man auch der Geschichtschreibung der Baukunst einen ähnlichen Läuterungsprozess wünschen. Auch sie, die während der Zeit der modernen Baubestrebungen aufgetaucht ist und sich ausgebildet hat, leidet noch an bedenklichen Mängeln, welche zu überwinden, ihr Ziel sein muss. Sie muss wissenschaftlicher werden, aus den Kinderschuhen des Dilettantismus herauszukommen, von Tendenzen aller Art sich zu befreien suchen.