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Autor: Redtenbacher, Rudolph
In: Allgemeine Bauzeitung - 46 (1881); S. 1 - 4; S. 17 - 20
 
Die Baukunst der Vergangenheit und ihre Stellung zu derjenigen der Gegenwart
 
Von Rudolph Redtenbacher

Wer irgend welche Bauweise der Vergangenheit richtig beurtheilen will, muss sich darüber Klarheit zu verschaffen suchen, welche Stellung sie im Ganzen der Entwickelung der Baukunst, zu ihren Vorläufern und Nachfolgern einnimmt. Wollten wir von einem einzelnen Standpunkte aus, von demjenigen der Antike, des Mittelalters oder der Renaissance die übrigen Baurichtungen beleuchten, so würden wir nicht das finden, was wir eigentlich suchen, sondern das, was wir in die Sache hineingelegt haben, wir würden vorurtheilsvoll den verschiedenen Baurichtungen gegenübertreten, sie nicht unparteiisch beurtheilen können. Eine richtige Abschätzung der hinter uns liegenden Bauweisen wird nur möglich sein, wenn wir sie von einem allgemeinen Standpunkte aus beleuchten, oder wenn wir sie relativ gegen einander abwägen, wenn wir sie mit anderen Worten von allgemein gültigen, ästhetischen Gesichtspunkten aus betrachten und uns die Frage stellen, was jede von ihnen fürs Ganze geleistet, und worin sie im Vergleiche mit ihren Vorgängern einen Fortschritt gemacht hat. Die Beurtheilungsmethode der Baukunst der Vergangenheit muss also eine vergleichende und kritische sein; von dem Ergebniss der Untersuchung hängt dann ab, welche Stellung die Architektur der hinter uns liegenden Zeiten zu derjenigen der Gegenwart einnimmt, hängt es ab, ob und wie viele Fortschritte oder Rückschritte wir im Vergleich zur Vergangenheit gemacht haben. Versuchen wir nun mit kurzen Strichen eine vergleichende Darstellung dieser Leistungen der Architektur im Allgemeinen zu geben.


DIE GRIECHISCHE BAUKUNST

Wenn wir hier zunächst die Urgeschichte der Menschheit und die Leistungen derjenigen Völker auf dem Gebiete der Baukunst übergehen, über welche geschichtliche Ueberlieferungen mangeln, so finden wir im vorgriechischen Alterthum zwar eine kolossale Bauthätigkeit, sowohl nach der Anzahl als der Grösse der Monumente, wir finden den Backstein- wie den Steinbau zu grosser Höhe der Vollkommenheit entwickelt, wir finden die Haupt-Gebäudearten festgestellt: den Tempel, den Palast und das Grabmal; selbst die wesentlichen Elemente der Dekoration und der architektonischen Gliederungen sehen wir im Keime vorhanden; aber, wie weit steht trotz grosser Verdienste einzelner Völker um die Baukunst die Gesammtleistung der vorgriechischen Zeit zurück hinter der Kunsthöhe der Hellenen! Mag die Wissenschaft sich noch so sehr bemühen, die griechische Baukunst aus derjenigen ihrer Vorläufer in Asien und Afrika abzuleiten, das Verdienst der Hellenen um die Baukunst wird dadurch keineswegs geschmälert; nicht darum handelt es sich, ob die Griechen in Kunst und Kultur Autochthonen sind, sondern darum, dass sie Lebensgüter hervorbrachten, welche der gesammten Menschheit zugute kamen und auch für die Zukunft von bleibendem Werth sind. Die Egypter wie die Assyrier haben für uns kaum eine andere als eine prähistorische Bedeutung, sie schliessen die Vorgeschichte der Menschheit ab; kaum etwas haben sie trotz ihrer entwickelten Kultur der fernen Nachwelt überliefert, was diese direkt in Bewegung setzen könnte, und was Werthvolles sie hervorbrachten, hat das klassische Alterthum absorbirt.

Die Anregungen, welche die Hellenen von aussen empfingen oder aus sich selbst schöpften, haben dieses gottbegnadete Volk nach allen Seiten hin zu grossartigem Schaffen getrieben. In Politik und Geschichte, in Wissenschaft und Kunst sind sie unsere Lehrmeister geblieben, theilweise unerreichbare Vorbilder. Genial sind sie gegenüber allen ihren Vorgängern in der Erschaffung des Schönen, sei es in der Poësie, sei es der bildenden Kunst, und das genügt, um ihnen den ersten Rang unter den Völkern des Alterthums niemals streitig zu machen. In der Architektur haben die Griechen zum erstenmale die Grundrissbildung der Gebäude in vollkommener Weise gelöst; die Gebäude der Assyrier hatten kaum eine Axen-Entwickelung aufzuweisen, die Egypter kannten eigentlich nur eine Hauptaxe, an welche wie an einen Faden die Einzelnbauten grösserer Komplexe aneinandergereiht wurden. Die Griechen vereinigten zuerst die Gebäude zu einer Gruppe mit mehreren gleichwerthigen Axen. Die Propyläen, das Erechtheion auf der Akropolis zu Athen sind solche Gruppenbildungen. Die Griechen erfanden wohl die ersten Zentralbauten; Rundbauten, im wahren Sinne des Wortes, wie das Lysikrates-Monument, oder Polygonalbauten wie der Thurm der Winde, waren vor ihnen kaum bekannt.
Sie bereicherten die Anzahl der seither üblichen Gebäudearten beträchtlich, bauten Theater, Versammlungssäle zu den verschiedensten Zwecken, Rennbahnen, Wasserleitungen und Anderes. Tempel und Grabmal gestalteten sie, abgesehen von spezifisch einem bestimmten Kultus entsprechender Zweckdienlichkeit, in allgemein gültiger, typischer Weise, so dass die Grundformen des Grab- und Ehrendenkmales, wie des Gotteshauses für alle Zeiten massgebend blieben, selbst bei vollständig veränderter Formgebung und verschiedenem religiösen Kultus.

Die Griechen haben zwar nicht zuerst, aber am vollkommensten die Theile eines Baues unterschieden und künstlerisch gestaltet, Decke und Unterbau, Wände und Stützen, Thür- und Fensteröffnungen; sie haben drei Bauweisen, vergleichbar mit Tonarten, eingeführt und zuerst nacheinander, später gleichzeitig verwendet, Tonarten, die schon in der egyptischen Kunst angedeutet waren: die Bauweise der Kraft und der Macht in der dorischen, der Anmuth und Würde in der jonischen, der Pracht und Fülle in der korinthischen Ordnung. Unterstützt durch ihr schönes und vortreffliches Baumaterial, den Marmor, brachten die Griechen die Detailgliederungen und die ornamentale Skulptur auf eine, früher kaum gekannte, später nur selten wiedererreichte Stufe der Vollendung. Die Griechen waren vielleicht die Ersten, welche zum Zwecke der Heranbildung ihrer Kunstjünger einen Kanon für die architektonische Komposition feststellten, sie waren die ersten Architektur-Schriftsteller. Fasst man die Leistung der Griechen auf dem Gebiete baulichen Schaffens zusammen, so darf man wohl sagen, dass sie an künstlerischem Werth kaum jemals übertroffen wurde.


DIE RÖMER

Erben und Nachfolger der Griechen waren die Römer; vergleicht man ihre Verdienste um die Kunst mit denjenigen ihrer Vorgänger, so scheinen sie sehr hinter ihren Lehrmeistern zurückgeblieben zu sein; schätzt man die Leistungen der Römer nach ihrem praktischen Werthe, so sind sie ausserordentliche zu nennen. Hatten die Griechen den Steinbalkenbau auf die höchste Stufe gebracht, so waren sie doch nicht im Stande gewesen, weite Räume mit freigespannten Steindecken ohne Stützen abzuschliessen; hatten sie zwar in der Grundrissbildung malerisch wirkende Gruppen zu entwerfen gewusst, so bestand doch noch ihre Gruppirung vorzugsweise in einer Aneinanderreihung und Nebeneinanderstellung einzelner Gebäude, jedes mit besonderem Dach und von dem anderen verschiedener Höhe. Waren alle Bautheile in der Form und in den Verhältnissen von tadelloser Schönheit, so waren sie doch fast nur für den herrlichen Marmor und den ewig blauen Himmel geeignet, welche die zartesten Gliederungen zum Ausdruck kommen liessen. Die Griechen hatten unter beschränkten Verhältnissen das denkbar Höchste in der Baukunst geleistet, die Römer erweiterten ihr Feld, begnügten sich mit weniger Vollendetem, das aber auf alle Verhältnisse passt. Die Römer waren nicht  b l o s e  Nachahmer der Griechen, sie brachten auch in der griechischen Architektur nur im Keime angedeutete Elemente zur Entwickelung. Vor Allem bemächtigten sich die Römer des Gewölbebaues und setzten die wichtigsten Gewölbearten, das Tonnen-, Kreuz- und Kuppelgewölbe fest; sie führten diese Gewölbe in so kolossalen Dimensionen aus, wie sie nach ihnen nur noch die Renaissance in Anwendung brachte.

Mit Hülfe des Gewölbebaues war eine Ausbildung der Grundrissformen möglich, welche weit über alles bis dahin Geschaffene hinausgeht. Die Nische und der Rundbau, überdeckt mit halben oder ganzen Kuppeln, mischen sich mit quadratischen und oblongen Räumen. Der Rundbau wird in Verhältnissen ausgeführt, welche die Unendlichkeit des Himmels und der Erde abbilden zu wollen, das Tonnen- und Kreuzgewölbe überdeckt Hallen, die für ein Riesengeschlecht bestimmt zu sein schienen. Ungeheuere Baukomplexe und ganze Stadtviertel werden planmässig entworfen, Baugruppen von zahllosen, unter sich organisch verbundenen Räumen hergestellt. Räume, wie das Pantheon oder die Konstantins-Basilika, streng durchgeführte Grundpläne, wie diejenigen der Thermenanlagen oder des Forum romanum, waren vor den Römern unmöglich. Die Römer erweiterten auch das Repertoire an öffentlichen Bauten, sowohl was Grossartigkeit als was Vielseitigkeit der Aufgaben anbelangt. An Reichthum und Pracht der Ausstattung von Palästen und Bädern, Theatern und Tempeln übertreffen die Römer das ganze Alterthum, und selbst die Bedürfnissbauten ermangeln nicht eines, wenn auch einfachen, architektonischen Schmuckes. Ihrem Material, dem Marmor, verdankten die Griechen, dass sie vorzugsweise Plastiker waren, selbst in ihrem architektonischen Schaffen; dem vorzüglichen Mörtel und den derben Gesteinen die Römer, dass sie Maurer und Konstrukteure par excellence wurden.

Mit Unrecht wird von den Römern stets in dem Sinne gesprochen, als ob ihnen ein feineres Formengefühl gefehlt hätte; dagegen wird ihr Verdienst nicht hervorgehoben, dass sie die Bauformen der Griechen je nach den ihnen zu Gebote gestandenen Baumaterialien umgebildet haben; mit den vorherrschend im Gebrauch gewesenen Travertin- und Peperinsteinen konnten die Römer die Feinheit griechischen Details nicht erreichen, sie gewannen dafür an Kraft und Wirkung durch Umbildung der Profilformen, an Sicherheit und Korrektheit derselben, wenn sie sie nicht dem Gutdünken der Steinhauer überliessen, sondern durch geometrische Hülfsmittel (Zirkelschläge) festsetzten. Die Römer verfügten über einen grösseren Formenreichthum als die Griechen, wie ihn eine kolossale Bauthätigkeit erforderte, sie bedurften einer geschmeidigen Formenwelt, die sich allen profanen wie Kultuszwecken anpassen liess. Die Fenster- und Thüröffnungen wussten die Römer zu bedeutenden Architekturstücken zu gestalten, mit Hülfe der Wölbungskunst sogar bei den Triumphbogen den Gedanken des Thores zu majestätischer Pracht zu entwickeln. Während die Griechen bei ihren architektonischen Kompositionen sich immer in engem Kreise bewegen, vorzugsweise zum Raffinement des Details hinneigen und selbst im Ornament über gewisse Typen nicht hinausgehen, entfalten die Römer ein unerhörtes Kompositionstalent, und wenn bei der Masse der Bauausführungen nicht selten das Detail und die Verhältnisse nothleiden, so ist doch in der Dekoration der Gedankenkreis ein ungemein erweiterter, im Vergleich zu der griechischen Architektur.


DIE ALTCHRISTLICHE BAUKUNST

Kulturepochen, welche durch die Stiftung neuer Religionen oder durch bedeutende politische Ereignisse hervorgerufen wurden, brachten stets auf allen Lebensgebieten neue Probleme mit sich, die der Lösung bedurften. So regte das Christenthum die Kunst wie die Kultur auf's mächtigste an, es stellte der Architektur neue Aufgaben und bot der Plastik, Malerei und Poësie neue Stoffe, welche der Verbildlichung und künstlerischen Gestaltung fähig waren. Mit der Verbreitung des Christenthums über ganz Europa fällt gleichzeitig die Stiftung unzähliger Kirchen zusammen. Im Anschluss an die römische Baukunst entschied sich das frühe Christenthum in seinem Kirchenbau für die dreischiffige Basilika und den Zentralbau. Erhob sich zwar die altchristliche Kunst in wesentlichen Dingen nicht über diejenige der Römer, so führte sie doch ein neues Element in die Architektur ein, den Thurmbau. Thurmartige Anlagen kannten die Römer nur bei manchen Grabdenkmälern, in Festungsbauten und in den durch Wendeltreppen bis in ihre obersten Theile zugänglichen grossen Denksäulen, wie die Trajanssäule. Erst die altchristliche Kunst baute Thürme im eigentlichen Sinne des Wortes, von schmaler Grundlage, quadratischer oder kreisförmiger Querschnittsform und bedeutender Höhe. Varianten und Kombinationen der von den Römern gegebenen Grundrissmotive schuf die altchristliche Baukunst durch die Umgestaltung der Basilika in die Anlage nach der Form des lateinischen und durch die Pläne nach dem Schema des griechischen Kreuzes, sowie durch die basilikalen Zentralbauten. Die wichtigste Leistung der altchristlichen Baukunst aber, in welcher sie das Alterthum überflügelte, war die gewölbte dreischiffige Basilika. Von neuen architektonischen Motiven, welche die altchristliche Baukunst einführte, verdient die Durchbrechung der Giebel an Langhaus oder Querschiff durch Rundfenster der Erwähnung. Der Sinn für Grossräumigkeit, der sich in den römischen Rauten in so entschiedener Weise geäussert hatte, verlor sich in der altchristlichen Kunst keineswegs; Räume, wie solche die Sophienkirche zu Konstantinopel, San Paolo fuori di mura in Rom und die Markuskirche zu Venedig aufweisen, sind den grossartigsten Römerwerken ebenbürtig. Das Aeussere der Kirchen hat einen grossmassigen, wenig gegliederten Charakter, nur der orientalisch-christliche und der byzantinische Kirchenbau zeigt einen reicher gegliederten Aussenbau.


DER ROMANISCHE STYL

Der sogenannten romanischen Baukunst war es vorbehalten, das zu leisten, was die altchristliche Baukunst nicht vollbracht hatte. Die Grundrisse altchristlicher Basiliken bestanden meistens aus einfach, der Länge und Quere nach aneinandergelegten Hallen, die sich nach Osten in eine Apside erweiterten; der romanische Styl schafft kompaktere, reicher gegliederte Anlagen durch die engere Verbindung von Querschiff und Langhaus mit Hervorhebung der Vierung, durch das Hineinziehen der Thürme in den Kirchenbau, die in der altchristlichen Kunst stets frei standen, und durch die Anordnung mehrerer Apsiden. Neue Motive werden eingeführt in der Fortsetzung der Seitenschiffe um Querschiffe und die Chorapsis, in den Querschiffapsiden und den geraden Chorschlüssen, in der Anlage zweier Querschiffe, und in Verbindung damit, der Doppelchöre und Vierungsthürme. Der Grundriss, vorherrschend in der Form des lateinischen Kreuzes angelegt, wird je nach den Bedürfnissen erweitert oder vereinfacht, und so ein ungemein reicher Wechsel an Grundrissformen gewonnen, die einen und denselben Gedanken den verschiedensten Verhältnissen anpassen. Wie der Grundriss, so erfährt die Innen- und Aussenarchitektur eine Organisation aller Theile, wie sie weder das Alterthum, noch die altchristliche Architektur kannte; alle Aneinanderreihung und Nebeneinanderstellung weicht einer klaren Massenvertheilung, deren Bedeutung auf der Ueber- und Unterordnung der Einzelmassen je nach ihrer Wichtigkeit beruht, und deren Organisation in der kompakten Geschlossenheit des wirkungsvoll gruppirten Ganzen, den meisterhaften Verhältnissen und der lebendigen Gliederung zum Ausdrucke kommt. Einheitlichere Gruppen und ein malerisches Zusammenwirken von Langhaus, Querschiff und Seitenschiffen, Thürmen, Chorapsiden, Vorhallen, Kapellen und Sakristeibauten, wie wir sie an den nordischen Domen sehen, gab es vor der Zeit des romanischen Styles kaum; organisch fügt sich ein Theil an den anderen, streng und feierlich zeigt er sich in der Erscheinung, klar kommt seine Gliederung zur Anschauung, und aus einem Grundgedanken entwickelt sich ein unendlicher Reichthum möglicher Kombinationen. Gesetzlichkeit und Freiheit, Einheit in der Mannigfaltigkeit herrschen in allen Bauten des romanischen Styles. Ausser der dreischiffig basilikalen Anlage erscheinen schon im romanischen Styl zweischiffige Räume, sowie dreischiffige mit gleichhohen Schiffen.

Im Gewölbebau hatte sich die altchristliche Baukunst wenig von der römischen entfernt, auch der romanische Styl schloss sich an die römischen Gewölbearten an; das Kreuzgewölbe aber erfuhr eine Vervollkommnung sowohl durch die Einführung kreisförmiger Gewölberippen, bei kreisförmigen Gurtbögen, auf denen die Kappen lasteten, als auch durch die Erfindung mehr als viertheiliger Kreuzgewölbe. Die erste Neuerung hatte zur Folge, dass das Kreuzgewölbe nun nicht mehr aus der Durchdringung zweier Tonnengewölbe entstanden war, wie das römische, sondern dass die Orthogonal- und Diagonalbögen auf einer Kugelfläche lagen und die Ausmauerung der Kappen Kuppelflächen bildete. Dank diesen beiden Erfindungen wurden die Gewölbe bei geringerer Dicke stärker in ihrem Zusammenhalte und die Lasten auf einzelne Punkte vertheilt, so dass die Mauern, anstatt tragende Massen zu sein, nur noch raumabschliessende Wände bildeten. Durch das quadratische Kreuzgewölbe mit Diagonalrippen wurde aber gerade diese strenge Grundrissgestaltung veranlasst, deren Abtheilungen nicht mehr beliebige Dimensionen hatten, sondern Ein- oder Vielfache eines Grundquadrates waren. Die Stützen, anfangs häufig noch Rundsäulen, werden vollständig durch den viereckigen Pfeiler verdrängt, der zur Aufnahme der Gewölbgurten und Rippen durch rechteckige Vorlagen, Halb- und Dreiviertelsäulen verstärkt wird.

Die Gliederungen und Ornamente lösen sich fast ganz von der römischen Formenwelt los. Jene, aus Rundstäben, Hohlkehlen und deren Verbindungen unter sich, wie mit vertikalen und horizontalen Plättchen gebildet, trennen und verbinden zwar die baulichen Massen, leiten sie ein, oder schliessen sie ab, wie das die antiken Gesimsgliederungen auch gethan haben; aber die romanischen Gliederungen erscheinen weniger als künstliche und absichtliche Zuthaten von Menschenhand geschaffen, um die Gegensätze der Bautheile hervorzuheben, als vielmehr wie natürliche, aus der sich gleichsam selbst organisirenden Materie des Baues hervorgehende Verbrämungen, Abgrenzungen und Krönungen. Fenster und Thüren scheinen nicht blos Durchbrechungen der Mauer zu sein, sondern sich freiwillig zu öffnen und den klargelegten Kern des Mauerwerkes seinem Wesen entsprechend sich ausgestalten zu lassen. Dieses Wesentliche des romanischen Bauwerkes liegt aber darin, dass seine ganze Masse, der organischen Welt vergleichbar, eine sich selbst entwickelnde und beschränkende, beseelte Materie zu sein scheint, und dem entsprechend wirkt die ganze Ornamentik des romanischen Styles mehr durch ihre eigenthümlichen Verhältnisse und durch ihr taktvolles Auftreten an den Stellen, wo die innere Kraft des Bauwerkes sich äussern muss, als durch ihre Form. Das romanische Ornament, als ein Gemisch römischer, byzantinischer und altchristlicher Reminiscenzen, bereichert durch nordisch einheimische Motive, bliebe an Werth weit zurück hinter dem Ornamente des klassischen Alterthums, brächte es nicht in ebenso vortrefflicher Weise das Wesen seines Baustyles zur Anschauung, wie jenes in seiner Art es thut. Bisweilen erhebt sich das romanische Ornament trotz seines theils phantastischen, theils typischen Charakters zu klassischer Schönheit.

Die architektonischen Motive des Stützens, die Pfeiler und Säulen werden fast ganz von antiken Reminiscenzen befreit und entweder als gegliederte Häusermassen auf gefasst, welche die Gewölbebogen zu tragen haben, oder, wenn sie runde Säulen und Pfeiler sind, als festere Theile der Mauermasse selbst, die den Druck der Lasten auf die Fundamente überleiten. Die Kämpfer werden durch Gesimse angedeutet, oder durch Kapitäle von mächtiger oberer Breite zur Aufnahme der Last und zu ihrer Uebertragung auf die verhältnissmässig dünnen Stützen ausgezeichnet. Die Fenster- und Thüröffnungen vertiefen sich, lichtöffnend, in Schrägen oder in rechtwinkeligen Absätzen nach dem Mauerkern, die Rundfenster erweitern sich zu prächtigen, strahlenden Rosen, die Farbengluth der Glasmalereien im Vereine mit der Wandmalerei, die nicht mehr wie in der altchristlichen Architektur blos leere Wandflächen bedeckt, sondern die ganze Architektur belebt, dämpft das Tageslicht zu feierlich stimmendem, sinnberauschendem und gemüthbewegendem Farbenschein. In seiner Gesammterscheinung ist der romanische Styl von unvergleichlicher Schönheit, grossmassig und reich gestaltet, kräftig und klar gegliedert, von unübertrefflichen Verhältnissen. Solche energische Hülfsmittel, um die Horizontale auszudrücken, wie sie der romanische Styl in seinen Zwerggalerieen anwendet, hatte nur der dorische Styl im Triglyphenfries aufzuweisen. Die Harmonie aller Einzelnheiten, der Gliederungen, der Verhältnisse von Flächen und Massen zu einander und zum Ganzen, zeigt stets von einem sehr hochentwickelten Kunstgefühl der Meister des romanischen Styles.

(Schluss folgt)


DIE BAUKUNST DER VERGANGENHEIT UND IHRE STELLUNG ZU DERJENIGEN DER GEGENWART
Von Rudolph Redtenbacher
(Schluss)


DIE GOTHISCHE BAUKUNST

Es könnte ein Ding der Unmöglichkeit zu sein scheinen, dass eine so vollendete, durchgebildete Architektur, wie diejenige des romanischen Styles, noch einer Weiterentwicklung fähig wäre, und doch hat die gothische Baukunst diese Möglichkeit bewiesen. Die romanische Architektur enthält alle wesentlichen Elemente der gothischen im Keime. Die Höhendimensionen des romanischen Kirchenbaues waren schon zu überwiegend geworden, als dass der kräftige Horizontalismus der Gliederungen sich mit ihnen gut vertragen hätte; selbst in den Horizontalmassen der Aussenmauern von Langschiff, Querschiff und den Seitenschiffen war durch die, den Gewölben entsprechenden Lisenen ein Vertikalismus angedeutet, der anstatt einer Auflösung in frei endigende Massen durch die Hauptgesimse gewaltsam abgeschlossen wurde. Die Thürme hatten sich zu bedeutender Höhe entwickelt und den grossen Horizontalmassen ein Gegengewicht geboten, sie hatten sich von der Gedanken- und Phantasie-Armuth der altchristlichen Glockenthürme befreit, aber noch nicht von der Zerstückelung in niedrige Stockwerke, die sich beliebig vermehren oder vermindern liessen. Die so klar und gesetzmässig ausgetheilten Grundrisse leiden unter dem Zwange quadratischer Kreuzgewölbe, die eine freiere Bewegung verhindern. Die wenig Licht gebenden Fensteröffnungen, die schweren, ungeheuere Massen von Baumaterial verschlingenden Mauern haben etwas Unbehülfliches; dem ganzen Systeme fehlt es an Geschmeidigkeit. Die Ornamentik des romanischen Styles erfüllte zwar vollständig ihren Zweck und genügte, das Wesen dieser Baukunst zum Ausdrucke zu bringen, aber sie war doch ein Sammelsurium von allerlei verbrauchten antiken, altchristlichen, altgermanischen Elementen, vermischt mit naturalistischen, der Bekleidung und den Waffen entlehnten Formen.

Im mittleren Europa, sowohl in Frankreich als in Deutschland, sehen wir in der zweiten Hälfte des XII. Jahrhunderts an den verschiedensten Orten nicht nur ein Hinneigen der romanischen Baukunst zu baroker Ueberladung, sondern auch ein Streben, ihre Mängel zu beseitigen. Wären diese Mängel blos konstruktiver Natur, handelte es sich blos um eine Befreiung des Kreuzgewölbes von dem Zwang, den die quadratische Grundform seiner Verwendung auferlegt, so wäre der gothische Styl ganz unnöthig gewesen und die Lösungen des sogenannten Uebergangsstyles hätten genügt. In Frankreich, wo die politische, kirchliche und materielle Macht gegen Ende des XII. Jahrhunderts sich steigerte und grosse Kirchenneubauten erforderlich waren, wurden die Bestrebungen nach einer Regeneration des romanischen Styles am eifrigsten und erfolgreichsten betrieben. Die französischen Einflüsse verbreiteten sich überall hin und durchsickerten gleichsam den ganzen Boden, aus welchem die mittelalterliche Kirchenbaukunst emporgewachsen, so dass er schon vollständig mit den Elementen der neuen Bauweise imprägnirt und auf ihr Erscheinen vorbereitet war, als mit einem Male die hochgeltende Woge der rasch in Blüte geschossenen und zur Reife gediehenen Gothik vom Herzen Frankreichs aus ganz Deutschland und alle Länder Europa's überfluthete.

Die Versuche des Uebergangsstyles, das Kreuzgewölbe auf oblonge Grundformen anzuwenden, fanden endlich in der Verwendung des Spitzbogens ihren Abschluss, und mit der Lösung dieses lange bearbeiteten Problems war nicht nur eine Mannigfaltigkeit und ein Reichthum der Gestaltung seither bekannter Grundrissmotive möglich, welche der Phantasiefülle der Meister des XII. bis XV. Jahrhunderts in unerschöpflicher Variation entsprangen, sondern auch der Aufriss-Entwickelung. Der Spitzbogen entsprach ästhetisch mehr wie der Rundbogen dem Vertikalismus des Kirchenbaues; als Grundform für Gewölbe-Konstruktionen stabiler, und bei gleicher Spannweite von geringerem Seitenschub, wie jener, gestattete er eine Ersparung an Mauerwerk, wofür man an Steinmetzarbeit etwas Uebriges thun konnte. Die eigenthümlichen geometrischen Verhältnisse des Spitzbogens liessen ihn zu rein dekorativen Zwecken verwendbar erscheinen und Schmuckformen ersinnen, über welche keine andere Baukunst verfügte. Die Fensterbildung mit ihren Masswerken, die Strebebögen und Fialengruppen, die Thurm-Entwickelungen sind ohne ihn kaum denkbar. Der Umschwung in der Architektur, den sie dank der Einführung des oblongen, spitzbogigen Kreuzgewölbes und seiner Konsequenzen erlebte, liess sie alle seitherigen Fesseln abstreifen und blieb auch für die Ornamentik nicht ohne Einfluss. Die Kreuzzüge, welche einen Verkehr des Occidents mit dem Orient herbeiführten, vermittelten auch die Kenntniss der griechischen Sprache; »man lernte griechisch und wurde dadurch in den Stand gesetzt, die Schriften des Aristoteles, die man bisher nur durch arabische Vermittlung besessen, in der Ursprache zu lesen, zu übersetzen und zu verarbeiten« *).
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*) Weber, »Lehrbuch der Weltgeschichte«, I., Seite 775.


Die Lehre des Aristoteles regte zur Naturbetrachtung an, und die ganze Schöpfung wurde von nun an in die kirchlich-philosophische Lehre des Mittelalters hineingezogen. Durch den Gegensatz einer südlichen Flora, welche durch die Kreuzzüge dem Abendland bekannt wurde, lenkte die Naturbetrachtung auf die einheimische Pflanzenwelt ihr Auge; und schmückte man zu Ehren der zurückgekehrten Orientpilger die ehrwürdigen Kirchen- und Heiligenbilder mit dem vaterländischen Blumenflor, so mochte dieser als ein Zeichen der Erinnerung eine bleibende Bedeutung gewonnen haben, und so trat an Stelle der romanischen Ornamentik allmälig die Zierde einer steinernen Pflanzenwelt. Die Gothik hat mit diesem Naturalismus ganz dasselbe gewollt, was die egyptische und die griechische Baukunst seinerzeit gethan hatten, als sie die dort einheimischen Lotosblumen oder Akanthusblätter in der Ornamentik verwendeten, eine Verewigung dessen in der Kunst, was dem Menschen im Leben werthvoll geworden war. Das Wesen der Gothik bestand in einer noch vollständigeren Organisation aller baulichen Massen, als im romanischen Styl, die selbst in der Ornamentik zum Ausdruck kam und auf Grund deren sie ihren höchsten Triumph im Thurmbaue feiern konnte, der als ihre äusserste mögliche Leistung in unerreichter Pracht und Herrlichkeit dasteht. Durch die Unterordnung - keineswegs Verdrängung - der Horizontalen unter die Vertikale, die im gothischen Styl zur Dominante wurde, konnte man die Thurmbauten in wenige Stockwerke von verschiedener Bedeutung zerlegen: den Unterbau mit der Eingangshalle, die nach dem Schiff sich öffnende Empore, das Glockenhaus und die krönende Spitze, Abtheilungen, die in reicher Entwickelung nach oben sich abstufen und in immer leichterer Gestaltung in den Kreuzblumen endigen, welche gleichsam zum Schlusse nochmals den Grundgedanken des ganzen Baues aussprechen.

Nirgends am ganzen Bau wird die Vertikalrichtung, wenn es nicht nöthig war, durch Horizontal-Gliederungen gestört, mit aller Entschiedenheit aber, wenn auch nur andeutungsweise, die horizontale Schichtung des Baues betont, sei es durch Strebepfeiler-Absätze oder die Fenster-Masswerke, den Zierrath der Fialen, die Galeriebrüstungen oder den reichen Schmuck der geschichteten, durchbrochenen Thurmhelme. Nirgends bemerken wir einen Kampf des Horizontalismus gegen den Vertikalismus, wie im romanischen Styl, nirgends ein Unterdrücken des einen oder des anderen, sondern stets stehen beide Prinzipe in einem feinen Einklang und ein taktvolles Abwägen beider, je nach dem Zweck der Bautheile, manifestirt sich bis hinauf zur letzten Kreuzblume. Wo bedeutende Perioden in dem Thurmaufbau statthaben, wird durch entschiedene Horizontalmassen ihr Uebergang charakterisirt, sei es durch Gesimsgliederungen, durch Galerieen, durch die Formen des Ueberganges vom Viereck in's Achteck, oder durch krönende Giebel und Fialenkränze. Mit dem Reichthum an Formen, welche die Kirchenbaukunst aufbrachte, Formen, die bei aller Strenge eine Unendlichkeit der Variationen und Kombinationen zulassen und zur Lösung der einfachsten wie komplizirtesten Aufgaben sich eignen, ohne jemals an Uebereinstimmung mit dem Grundgedanken einzubüssen, konnte man alle Profanbauten mit gleicher Sicherheit gestalten, Schlösser wie Wohnhäuser, Rathhäuser und Klosterbauten, Denkmäler und Brunnen, kurz alle vorkommenden Gebäudearten. Der gothische hat ebenso wie jeder andere Styl seine Entwicklungsphasen durchgemacht, vom Ernsterhabenen, aber naiv Unbehülflichen zum freien Reichthum bei gesetzlicher Einheit und zum Ueppigen, Pikanten bei schematischer, handwerklicher Trockenheit. Auch fällt in der Blütezeit des gothischen Styles ebenso wie des griechischen und der Renaissance die höchste Entwickelung von Architektur, Malerei und Bildhauerei zusammen.

Eine kolossale Bauthätigkeit, wie sie die Spätzeit des klassischen Alterthums, der Gothik und der Renaissance erlebte, führte stets zu einer Vernachlässigung und Trockenheit der Formen einerseits, wie zur Ueberhäufung derselben anderseits; je reicher sich die Phantasie entwickelt und das Formenrepertoire erfüllt, desto mehr neigt die Architektur sich dem Bizarren zu, wenn das Kunstgefühl nicht in gesetzlichen Schranken gehalten wird. Der gothische Styl scheint in seinen reichsten Bauanlagen das Weltall abbilden zu wollen, sowohl durch seine Unendlichkeit an Formen als auch durch die Gesetzmässigkeit, nach der sich die eine aus der anderen entwickelt; er will nicht nur ein Gotteshaus schaffen, sondern dieses soll selbst die unendliche Fülle des göttlichen Geistes zur Anschauung bringen. Und diese Absicht hat die Gothik auch erreicht. War nach der Gothik noch ein Fortschritt möglich, nachdem in ihr ein gleichsam unübersteiglicher Höhenpunkt der Baukunst geschaffen war, war die Renaissance nöthig? Die strenggläubigen Gothiker verneinen die Frage, erblicken in der Renaissance nur eine Rückkehr zu dem längst überwundenen Heidenthum.


DIE RENAISSANCE

Die Gothik hatte ein Problem gelöst, welches die romanische Architektur nicht zu lösen vermocht hatte, die Vertikaltendenz des ganzen Baues in den Architekturformen zum Ausdruck zu bringen durch Erhebung der Vertikalrichtung zur Dominante. Die italienische Gothik, in ihren Unternehmungen kühn, aber in ihrer Leistungsfähigkeit weitaus hinter der nordischen Baukunst zurückgeblieben, gab den ästhetischen Vorzug dieser auf und neutralisirte die mächtigen Vertikalmassen durch eine kräftigere Betonung der Horizontale, so dass sich nun zwei Prinzipien widersprechen und unversöhnt bleiben. Die italienische Gothik strebte überhaupt nicht nach konstruktiver Klarheit ihres Systems, aus welcher die ästhetische Wirkung hervorgehen müsste, sondern fast nur nach dekorativen Effekten, die rein äusserlich, durch auf die Backstein-Mauermassen aufgeklebte Marmorzierrathen erreicht wurden. Wie den eng und hochangelegten Kirchen des Nordens eine Architektur am besten entsprach, welche die Vertikale zur Dominante machte, so war für die weiträumigen Bauten Italiens, bei welchen stets die Breitendimensionen die Höhenverhältnisse überwogen, eine Architektur nöthig, welche die Horizontale herrschen liess; und wenn die Gothik in ihren höchsten Leistungen, den Domen, ein Bild des Weltalls in seinem ganzen Reichthume geben wollte, so scheint die Renaissance in ihren edlen, harmonischen Kirchenbauten beabsichtigt zu haben, des Himmels unendliche Räume abzubilden, in denen der göttliche Geist wohnt und weht. Die Weiträumigkeit und die Erhebung der Horizontalen zur Dominanten finden ihren höchsten Ausdruck in den mächtigen Zentralkuppeln der Renaissance, die zwar nicht minder wie die gothischen Thürme zu ungewöhnlicher Höhe sich erheben, aber in breiten Massen sich aufbauen, deren vorherrschender Horizontalismus auch in den Formen und Gliederunken sich aussprechen muss.

Dasselbe Problem des romanischen Styles, welches in der Gothik durch die Vertikale beherrscht wurde, fand in der Renaissance seine Lösung durch die Horizontale als Dominante. Die Höhenverhältnisse sind in der Renaissance von der Weiträumigkeit und Breite der Bauwerke abhängig, während in der Gothik das Umgekehrte der Fall ist, die Höhe zur Bedingung der Breite wird. Doch gilt das nur im Ganzen und Grossen. Die Bauten der Renaissance können sehr bedeutend in die Breite wachsen, ohne dass ihre Höhe wechselt, diejenigen der Gothik nach der Höhe bedeutend zunehmen, ohne dass die Breite sich ändert. Die ganze Haltung der Renaissance ist indess undenkbar ohne ihr Zurückgreifen auf die römische Architektur. Dem Mittelalter verdankt die Renaissance immerhin die klare Grundriss-Disposition im Kirchenbaue, wie im Palastbaue, sowie eine sehr entwickelte Gewölbetechnik, welche weite Räume mit leichten Decken feuersicher zu überspannen gestattete. Das mittelalterliche Kreuzgewölbe mit besonderen Diagonalrippen gibt die Renaissance aber fast ganz auf und wölbt mit Vorliebe, Kuppeln und Tonnengewölbe mit einschneidenden Kappen, oder verwendet das rippenlose, römische Kreuzgewölbe. Die Renaissance fühlte sehr deutlich den Zwang, welchen das mittelalterliche Kreuzgewölbe mit allen seinen Konsequenzen der Architektur auferlegte; war zwar das gothische Kreuzgewölbe und seine reicheren Gestaltungen der Spätzeit des Mittelalters geeignet, um alle gebräuchlichen Raumanordnungen feuersicher zu überdecken, so war es doch mit einem ganzen Apparat von Architekturformen belastet, welche man beibehalten musste, wollte man seine struktiven und ästhetischen Vorzüge ausnützen.

Das gothische Kreuzgewölbe hatte sich in seiner Entwickelung von selbst den römischen Gewölben einigermassen genähert. Die Gewölberippen wurden von nothwendigen, tragenden Gliedern durch eine Umwandlung der Wölbungstechnik zu überflüssigen, rein dekorativen Theilen, die wohl als Lehrbögen das Einwölben erleichtern halfen, aber einen eigentlichen struktiven Zweck nicht mehr hatten. Die reichfigurirten spätgothischen Gewölbe wurden schliesslich Rippensysteme, die auf Tonnen- oder Kuppel- und Kreuzgewölbeflächen projizirt waren, sich mit Mauerwerk ausfüllen liessen und dreieckige Felder zwischen sich enthielten, welche man ebenso gut nach römischer Weise durch vertiefte Kassetten hätte schliessen, als nach gothischer Weise mit Backsteinen hätte ausmauern können. Die gothischen Kreuzgewölbe veranlassten nicht nur in konstruktiver Hinsicht eine Steigerung der Höhenverhältnisse der kirchlichen Räume, sondern verlangten eine solche auch aus ästhetischen Gründen. Mit der Flachkuppel, der vollen und der Hängekuppel fielen alle diese Uebelstände weg, und anstatt Aussen sichtbarer Strebepfeiler konnte man diese in's Innere des Baues ziehen und in Mauermassen umwandeln, welche durch halbrunde Nischen verbunden waren. Mit dem Zurückkehren auf die antiken Konstruktions-Prinzipien war auch ein solches auf die Kunstprinzipien des Alterthums geboten; mit ihnen allein konnte die Renaissance ihre Aufgaben lösen.

Es ist keineswegs wahr, was von Seite der einseitigen Gothiker der Renaissance vorgeworfen wird, sie habe die Konstruktion vernachlässigt; in der guten Zeit der Renaissance wird auf die Konstruktion ein ganz besonderer Werth gelegt und erst ihrer Verfallszeit gehört all' das Scheinwesen an, welches man mit Recht tadelt. Die Renaissance hat sich auch keineswegs blos nachahmend gegen das Alterthum verhalten; sie entlehnt ihm wohl die Gedanken, gestaltet sie aber durchaus neu, sie entnimmt ihm die Formenwelt, bildet sie aber ganz selbständig um. Ihr Gedankenkreis ist so ausserordentlich erweitert, dass jede Aufgabe, die ihr vorliegt, eine ungewöhnliche Erfindungsgabe zu ihrer Lösung voraussetzt. Die Säulenordnungen mit ihrem ganzen Detailapparat werden zwar ohne Weiteres nach den alten Monumenten und der Lehre Vitruv's gezeichnet, aber zu durchaus neuen Kompositionen und in neuen Anordnungsweisen verwendet, und vor Allem sind die Verhältnisse der Renaissance etwas durchaus Anderes, als diejenigen der Antike.


DIE MODERNE BAUKUNST

Jede Architektur enthält Motive, welche deshalb unentwickelt blieben, weil der Umfang der ihrer Zeit vorliegenden Aufgaben ihre Entwickelung nicht verlangte; so hat die römische Baukunst Motive der griechischen, die Gothik solche des romanischen Styles, und nicht minder die Renaissance solche der römischen Baukunst weiter ausgebildet und uns, die wir sowohl auf der Kultur des Mittelalters, wie der der Renaissance unsere eigene Kultur haben aufblühen sehen, einen reichen Schatz verwerthbarer und unseren Verhältnissen entsprechender Gedanken hinterlassen. Wir haben im Vorhergehenden in einer knappen Skizze zu zeigen gesucht, dass die Baukunst der Vergangenheit sich mittelst der vergleichenden kritischen Methode betrachten lässt, welche das Ziel verfolgt, das allgemein Werthvolle jeder Baukunst ausfindig zu machen und es von dem blos historisch Bedeutenden zu trennen. Würden wir die Baukunst der Vergangenheit in ihrem ganzen Umfange nach dieser Methode verfolgen, so würden wir einen allgemein gültigen Theil ausschälen können, zu welchem jedes Volk und jede Zeit ihr Schärflein beigetragen haben, und einen rein historischen Rest, der kein praktisches, sondern nur ein wissenschaftliches Interesse bietet. Das Ziel aller Darstellungen der Baustyle der Vergangenheit kann daher ein doppeltes sein, ein praktisches oder ein rein wissenschaftliches Bedürfniss zu befriedigen; in der Darstellung selbst aber lässt sich die eine oder andere Seite nicht scharf trennen, das praktische Interesse führt zu wissenschaftlicher Vertiefung, das wissenschaftliche Erkennen nützt dem praktischen Bedürfniss. Wenn wir daher auch die Ziele unserer Darstellung nicht klar auseinander halten können, so werden wir doch die Methoden streng zu sondern wissen und weder das wissenschaftlich Interessante nach einseitig praktischem Maassstab abschätzen, noch umgekehrt es um seiner selbst willen für praktisch werthvoll erklären wollen.

Wissenschaftlich bedeutend ist jede Einzelerkenntniss, welche den Fortschritt der Wissenschaft ermöglicht und beschleunigt. Was praktisch werthvoll ist, können wir nicht im einzelnen Moment entscheiden, darüber urtheilt die Geschichte in ihrem Verlauf. Was heute veraltet erscheint, kann morgen ein neues praktisches Interesse erregen, was uns jetzt für praktisch gilt, in Kurzem unbrauchbar werden. Unsere heutige Baukunst kann sich nicht auf einen willkürlichen Standpunkt stellen, wir gehören immer doch der Neuzeit an, die mit der Renaissance der Kunst, mit der Reformation des Glaubens, mit der Freiheit des Denkens, mit der Erfindung der Buchdruckerkunst und der Entdeckung der Welt und des Menschen begann. Wir stehen immer doch auf dem Standpunkte, den wir ganz allgemein als Renaissance bezeichnen dürfen und wir können die Geschichte nicht ungeschehen machen, nicht zum Mittelalter zurückkehren. Aber wir müssen aus der Geschichte lernen, wir müssen trotzdem, dass unser Standpunkt gegeben ist, eklektisch verfahren, die noch brauchbaren Ideen und Formen der Vergangenheit ausbeuten. Unsere Zeit stellt uns Aufgaben, die keine Baukunst kannte, sie gab uns Bedingungen zu ihrer Lösung, wie sie niemals vorhanden waren, aber die Vergangenheit liefert uns die Mittel zu ihrer wirklichen Erfüllung. Früher war es auch niemals anders, so lehrt uns die Entwickelungsgeschichte der Baukunst im Allgemeinen.


PROGRAMM EINER ALLGEMEINEN TEKTONIK

Wenn wir uns nun zur Renaissance bekennen und trotzdem eklektisch verfahren wollen, so müssen wir allgemein gültige tektonische Grundsätze aufstellen, ohne welche eine Klarheit über das, was wir thun und lassen sollen, nicht möglich ist. Wenn wir unter Tektonik im Allgemeinen überhaupt die künstlerische Gestaltung der menschlichen Gebilde und Gefüge verstehen, welche nicht dem Gebiete der Bildhauerei angehören, so umfasst die Tektonik die Aufgaben der Architektur, des Ingenieurfaches, des Maschinenbaues, des Schiffbaues und der Kunstindustrie. Die Gebilde und Gefüge der vier ersten Gebiete haben das Gemeinschaftliche miteinander, dass sie von dem Prinzipe der Schwere beherrscht, daher gebaut werden, während die Gegenstände des Kunstgewerbes nicht von dem Prinzipe der Schwere beherrscht, daher nicht gebaut, sondern angefertigt werden. Die Tektonik als Lehre der künstlerischen Gestaltung der menschlichen Gebilde und Gefüge ist daher die Lehre der Formengebung; diese aber ist von verschiedenen Faktoren abhängig; sie setzt in erster Linie die Formen an sich, die geometrischen Grundanschauungen voraus, ohne welche eine Formgebung überhaupt nicht denkbar ist und die in der Verbindung der Punkte auf der Linie, in der Fläche und im Raume bestehen. Die Formengebung hängt aber ferner von den Zwecken ab, denen die menschlichen Gebilde und Gefüge dienen, und von den Stoffen, mit welchen sie verwirklicht werden.

Die Tektonik hat also, wenn sie die genannten fünf Gebiete der Architektur, des Ingenieurwesens, des Schiffbaues, des Maschinenbaues und des Kunstgewerbes umfassen soll, die geometrischen Grundanschauungen, sowie das Verhältniss von Form, Zweck und Stoff zu lehren. Es gibt aber noch eine Formenwelt, welche nicht vom Zwecke und vom Stoffe abhängt und ohne die Tektonik nicht möglich wäre, weil die Berücksichtigung der Zweck- und Stoffverhältnisse uns nur soweit führen würde, als die Natur zu ihren Gestaltungen zu gehen vermag. Die Tektonik soll die künstlerische Formgebung der menschlichen Gefüge und Gebilde lehren, wir können daher die künstlerischen allgemein als symbolische Formen bezeichnen, die entweder Beziehungsformen oder Schmuckformen sind; die Beziehungsformen sind aber Begrenzungsformen und Verbindungsformen. Da wir uns keine Stoffe ohne optische Eigenschaften vorstellen können, ebenso wenig als ohne Grössenverhältnisse, so hat die Tektonik schliesslich auch der Farbengebung und der Proportionen zu gedenken.

Eine Formenlehre, wie wir sie hier im Auge haben, setzt aber endlich allgemein gültige ästhetische Prinzipien voraus. So baut sich also eine allgemeine Tektonik in folgenden Abschnitten auf: I. Aesthetische Prinzipien; II. das geometrische Element in der Tektonik; III. die Formengebung; IV. die Proportionen; V. die Farbe; VI. die Aufgaben der Tektonik. Der Abschnitt III, die Formengebung, welcher uns am meisten interessirt, zerfällt aber, wie wir sahen, in folgende Unterabtheilungen: A. die Form an sich; B. das Verhältniss von Form und Zweck; C. das Verhältniss von Form und Stoff; D. die symbolischen Formen. Ueber das Verhältniss von Stoff und Form lässt sich sehr Vieles sagen, was unter besondere Gesichtspunkte fällt; wir haben da zu berücksichtigen: a) die Festigkeitsverhältnisse der Materialien; b) und c) die Stoffe, ihre Verarbeitung und Zusammenfügung; d) die Beleuchtungsverhältnisse. Die Verarbeitung und Zusammenfügung der Stoffe umfasst folgende Gebiete: alfa.JPG (779 Byte))  G e f ü g e:  1. die Baukonstruktionen, deren oberstes Prinzip die Schwere, 2. die Werke der Schlosserei und Tischlerei, deren oberstes Prinzip die Festigkeit ist, 3. textile Gefüge, 4. mosaikartige Gefüge; ß)  G e b i l d e:  5. die Metallotechnik, 6. die Tektonik im engeren Sinne des Wortes, 7. die Schmelzkunst, 8. die Keramik, 9. die Formkunst.

Die Baukonstruktionen sind Stein-, Holz- und Metall-Konstruktionen. Die Steinkonstruktionen sind Verbände von Bausteinen zu Wänden, Stützen, Decken, Fussböden. Die Holzkonstruktionen sind Verlängerungen, Verstärkungen, Verbreiterungen, Verknüpfungen von Bauhölzern zu Wänden, Stützen, Decken, Böden, Rahmwerken allerlei Art, Fachwerken und anderen Gebinden. Metallkonstruktionen sind vernietete, verschraubte, durch Bolzen und Keile zusammengehaltene Verbindungen, welche im Ingenieurwesen zu ähnlichen starren Gefügen und zu ähnlichen Zwecken, wie die Holzkonstruktionen hergestellt werden, im Maschinenbau vorzugsweise zu beweglichen, Kraft und Bewegung übertragenden Organisationen.
Die Werke der Tischlerei sind leichte Konstruktionen aus Hölzern von geringem Querschnitt zu Rahmwerken, Gestellen, Gitterwerken und mosaikartigen Gefügen. Die Werke der Schlosserei, ebenso wie diejenigen der Tischlerei, bestehen aus Gefügen vorzugsweise stab- und plattenförmiger Körper, aus Armirungen und Garnirungen, Gitterwerken und Gestellen.
Die textile Kunst stellt aus biegsamen, zähen, faserigen Stoffen Flechtwerke, Gewebe, Stickereien, gestrickte und verknüpfte Netzwerke, Verkettungen und Verfilzungen her.
Mosaikwerke sind durch ein Bindemittel zusammengehaltene Gefüge.

Die Metallotechnik umfasst vorzugsweise die Kleinkünste in edlen oder unedlen Metallen.
Die Tektonik im engeren Sinne liefert geschnitzte, gedrehte und eingelegte Arbeit in hartem Stoff.
Die Schmelzkunst, hauptsächlich Glas- und Lackfabrikation, liefert gegossene, gepresste, aufgeschmolzene und Filigranarbeit.
Die Keramik ist vorzugsweise Gefässbildnerei.
Die Formkunst als reine Plastik bedient sich der verschiedenen plastischen Stoffe, sowie der allmälig erhärtenden zur Herstellung der verschiedenartigsten Gegenstände.

Diese Gruppeneintheilung der Gefüge und Gebilde scheint in mancher Beziehung keine ganz strenge zu sein, in anderer Beziehung aber hat sie vieles für sich; so rechnet man die Werke der Tischlerei und Schlosserei zu den Baukonstruktionen, in Beziehung auf ihre Formgebung aber ist ein wesentlicher Unterschied durch das herrschende Prinzip der Schwere oder der Festigkeit vorhanden. Baukonstruktionen sind festgegründet auf einer ruhenden oder beweglichen Unterlage; dieselbe ist stets wagrecht gedacht im Vergleich zu dem, nach dem Erdradius sich richtenden Aufbau. Der Zusammenhang des Gefüges würde in der Regel aufgehoben, wenn man die Baukonstruktionen aus ihrer natürlichen Lage brächte. Die Werke der Tischlerei, zu welchen man selbst den Kahn rechnen könnte, ebenso diejenigen der Schlosserei können dagegen in der Regel in jede beliebige Lage gebracht werden, ohne dass der Zusammenhang des Gefüges leidet. Zur textilen Kunst gehören, der Art des Gefüges nach, auch manche Lattengitterwerke, trotzdem man diese den Tischlerarbeiten oder Holzkonstruktionen zuzählt; zu den Mosaikwerken wieder kann man sowohl die Fliesenfussböden als auch die Parquetfussböden rechnen, welche in anderer Hinsicht unter die Werke der Keramik und der Tischlerei eingereiht zu werden pflegen. Aehnlich ist die Metallotechnik kein streng abgrenzbares Gebiet; die Metalle der Baukonstruktionen würden einer allgemeinen Metallotechnik zuzuweisen sein; die Metallotechnik im engeren Sinne des Wortes umfasst allen Schmuck und alle Geräthschaften aus Metallen, selbst die Gefässe und die geprägten Münzen. Das Gleiche gilt von der Tektonik im engeren Sinne, welche bald in die Metallotechnik, bald in andere Industriezweige hinübergreift; ihr eigentliches Gebiet ist die Verarbeitung von Elfenbein, Horn, Nussschalen, harten Hölzern und anderen harten Stoffen inklusive der Steinschneiderei und so fort. Das Zweckmässige dieser Gruppeneintheilung kann man erst bei der Ausarbeitung des hier vorgeführten Programmes einer allgemeinen Tektonik deutlich machen.


PROGRAMM EINER ARCHITEKTONIK

Der allgemeinen Tektonik untergeordnet, oder besser gesagt eingeordnet, ist die Architektonik, die Lehre vom baukünstlerischen Schaffen. Sie umschreibt das ganze Gebiet der Architektur im Einzelnen und im Ganzen. Die Aufgaben der Architektur sind im Einzelnen die raumbildenden Theile, Wände, Decken, Stützen, Fussböden, ferner die Wandöffnungen; die Verbindung der Theile zu Ganzen umfasst den Stockwerksbau mit seinen Gliederungen, das Nebeneinander und Uebereinander, sowie den inneren Ausbau. Nach der Art der verwendeten Baumaterialien ergibt sich der Steinbau, der Backsteinbau, der gemischte Stein- und Backsteinbau, der Holzbau, der gemischte Steinrespektive Backstein- und Holzbau, der Metallbau und seine Kombinationen mit den genannten Bauweisen. Die Gebäude als Ganzes bedürfen mancher allgemeiner Erörterungen, welche sich nicht bei Gelegenheit der Einzeltheile und ihrer Verbindungsart erwähnen liessen. Nach der Verschiedenheit der Zwecke, denen sie dienen, schliesst sich der allgemeinen Gebäudelehre die spezielle an; jene haben wir hier in ihre Unterabtheilungen gegliedert, diese behandelt die einzelnen Gebäudearten. Die Gebäude bilden im Zusammenhange die Städteanlagen, und diese erfordern wieder die Verkehrsanlagen. An beide reihen sich die Gartenanlagen und die Festdekorationen. Somit haben wir die allgemeine Tektonik und die Architektonik in ihrem Wesen gegliedert. Die Ausführung des Programmes erfordert den Raum eines ganzen Buches, zu dessen Erscheinung diese Abhandlung als Vorläufer dienen soll.