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Autor: Redtenbacher, Rudolph
In: Deutsche Bauzeitung - 19 (1885); 43. - S. 257 - 260; S. 270 - 271; S. 274 - 275; S. 283 - 284
 
Die moderne Baukunst vor dem Forum der Kunstgeschichte
 
von Rudolf von Redtenbacher

Franz v.  R e b e r s  Geschichte der neueren deutschen Kunst ist kürzlich in zweiter Auflage erschienen; F.  P e c h t  hat den dritten Band bearbeitet. Für den Verfasser war dies eine Anregung, nicht sowohl eine eigentliche Kritik des Buches zu schreiben, als vielmehr an diesem Leitfaden seinerseits einige Beiträge zur Darstellung einer sorgfältiger durchgeführten Geschichte der modernen Baukunst, welche ein Autor der Zukunft verfassen möge, zu liefern.

K u n s t z u s t ä n d e  i m  17.  J a h r h u n d e r t.  (Bd. I S. 15.) Für die Architektur wie für die Plastik des 17. Jahrhunderts ist Italien tonangebend gewesen. "Malerischer Effekt war mehr und mehr die Losung geworden, konstruktive Gliederung trat in den Hintergrund". Wir kennen ja genugsam alle die Eigenthümlichkeiten des Barockstils, der von Michelangelo seinen Ausgang nahm. Man mag gegen diese Baurichtung sagen, was man will, sie hat ihre Zeit beherrscht, weniger doch wohl deshalb, weil der "gewaltige Florentiner" die Anregung gegeben, als weil der Stil der treffendste Ausdruck seiner Zeit war, so gut wie jeder andere Baustil. Man müsste die Vorzüge dieser Bauweise vor der strengeren Renaissance, die ihr voraus ging, aufs Gründlichste studiren, um zu begreifen, warum eine so tolle Architektur, die "zu einem frivolen Spiel mit den traditionellen Formen geworden", ein Recht auf die Herrschaft hatte. Es sei zugegeben, dass der Barockstil in Rom selbst breit wird und einer ermüdenden Monotonie anheim fällt, so dass fast nichts von den zahlreichen Kirchen-Façaden und Kuppeln der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts in dem Gedächtniss hatten bleibt. Aber welche Fülle von Kunstgedanken ließ sich in ihm zum Ausdruck bringen vom Tiber an bis an die Spree und von der Seine bis an die Newa! Niemals gab es doch eine solche Verschmelzung der Plastik, Malerei und Architektur, wie im Barockstil und den von ihm abzweigenden Richtungen, in denen Männer wie Schlüter, Pöppelmann, Neumann, Decker ihren Ideenreichthum zeigen konnten, und niemand, der Sinn für das Malerische in der bildenden Kunst hat, wird den üppigen Pomp des Barockstils und seiner Nachfolger mit der gehaltvollsten, edelsten und keuschesten Langweiligkeit vertauschen wollen, die allem Klassizismus mehr oder weniger anhängt. Der Kunsthistoriker meint, er müsse alles hervor kehren, was sich zu ungunsten jener verwilderten Architekturen sagen lässt, damit dann ein gediegeneres Streben der Neuzeit recht vortheilhaft absticht; leider steckt nur im Können jener verwerflichen Zeiten mehr, als in unserm achtungswerthesten Wollen und die Kunstgeschichtschreibung späterer Tage wird über die "Genies", die wir aufzuweisen haben, ziemlich kühl urtheilen, kühler als die heutige es über die französische Baukunst vor dem Rococo thut. Spanien, die Niederlande und England werden langweilig, sobald sie anfangen, klassisch sein zu wollen; dazu fehlt es ihnen am Zeug.

Wie reizvoll und liebenswürdig nimmt sich die so lange verkannte deutsche Renaissance bei näherer Bekanntschaft aus, und wie weit steht sie zurück hinter der vornehmeren französischen und der importirten und spezifisch umgeformten italienischen, die uns auf deutschem Boden in Schlössern, Klöstern, Kirchen und Rathhäusern begegnet. Der gothische Rest, der in der deutschen Renaissance stecken geblieben ist, macht sie uns sympathisch, wie all' das mittelalterliche Spießbürgerthum mit seinen Vorzügen, seiner deutschen Innigkeit, Gemüthstiefe, Poesie und seinen Mängeln, die wir belächeln können. Was an dieser Bauweise italienische Zuthat war, ist doch nur Garnitur, und zu einer eigentlichen Verschmelzung der beiden einander fremden Stilrichtungen, wie wir sie an den französischen Schlössern sehen, kommt es bei uns nur in seltenen Ausnahmsfällen; wohl in tausenderlei Einzelntheilen oder kleineren Gegenständen, aber nicht an Gesammt-Anlagen größeren Umfangs, die der Mehrzahl nach aus späterer Zeit stammen, als die italienische Barock-Architektur schon auf verschiedenen Umwegen ihren Einzug in Deutschland gehalten hatte. Auch ist der Einfluss, den die niederländische Architektur auf Deutschland ausgeübt hat, viel stärker, als man sichs gewöhnlich vorstellt. Die niederländische Renaissance war viel mehr aus einem Guss, als die deutsche; sie tritt viel bestimmter auf, weil die Bedingungen ihrer Ausbildung beschränktere waren. Zu dieser Ansicht kann man nur kommen, wenn man die niederländische Architektur genauer studirt hat; man wird dann auch sich überzeugen, dass beispielsweise am viel gepriesenen Otto-Heinrichsbau zu Heidelberg nur das wirklich bedeutend ist, was unter niederländischem Einfluss steht. Meister wie Heinrich Schickhardt, die zu einer umfassenderen Bauthätigkeit Gelegenheit hatten, sind in der deutschen Renaissance vor Schlüter, Neumann und Fischer von Erlach sehr selten.

K u n s t z u s t ä n d e  d e s  18.  J a h r h.  b i s  c.  1770.  (I. Seite 28.) Da hier nur die Architektur für uns Interesse hat, so kommen wir sofort auf das "neuerlich manchmal über die Gebühr gepriesene, doch jetzt auch gehörig gewürdigte Rococo." Dass das Rococo von irgend welcher Seite "gehörig" gewürdigt wäre, das mag den Kunsthistorikern, die darüber schrieben, wohl so vorkommen. Unter den Architekten, die, ohne für dieses launenhafte Kind seiner Zeit gerade in Schwärmerei zu gerathen, doch für dasselbe ein objektives Interesse haben - objektiv nur in dem Sinne gemeint, um auch ihm gerecht in der Beurtheilung zu sein - wird es wohl wenige geben, die sich mit der Seite 34 zitirten Satz aus Sempers Stil begnügen. Semper ist zwar immer geistreich, wenn er etwas sagt, treffend und bestimmt. Aber nicht in allem hat er recht, und mit einem Schlagwort lässt sich nicht eine Kunstweise, die lange genug geherrscht hat und noch viele Leute berückt, abfertigen. Wenn wir aus dem Rococo nur einen einzigen Rahmen hätten, der "als ein organisch Belebtes die Füllung" umrankt, so wüssten wir doch genau, was Rococo ist. Die Vorwürfe, die gegen das Rococo erhoben werden, kranken ebenso wie die gegen die Barock-Architektur geltend gemachten, an der Tendenz moderner Beurtheiler, in doktrinärer Weise für irgend welchen modernen Purismus Propaganda zu machen. Diesen Purismus vertreten eben sowohl die Neohellenisten, als wie die Romantiker der Anhänger der Renaissance, welche tausende der schönsten Stuckaturen herab geschlagen, unzählige der reizvollsten Holzschnitzereien verbrannt haben und noch vertilgen. Was diese Leute noch bestehen ließen, das wird als "Zopf" verurteilt und bei passender Gelegenheit beseitigt. Der arme Zopf, warum sollen wir thun, als ob er nicht hinter uns gehängt hätte! Trotz aller treffenden Schilderung seiner Mängel bei Reber, giebt es nicht Künstler, die auch in ihm etwas leisten konnten? Liegt es am Stil des "Louis XVI.", oder nicht vielmehr an der Inferiorität seiner Vertreter, dass sie beschränktes Zeug lieferten? Wer sich bekehren will von solchen kunsthistorischen Vorurtheilen, wie sie uns aus Büchern und Vorträgen eingebracht werden, scheue die Reise nach dem reizend gelegenen Kloster Salem bei Meersburg am Bodensee nicht und sehe sich dieses Unikum einer "Zopf"-Dekoration in der Kirche an, das durch keine Abbildung richtig wiederzugeben und mehr werth ist, als die ganze steifleinene Gothik, welche die Cisterzienser dort verübt haben. Aus Furcht, dass auch diese Meisterwerke bald einmal nach England verkauft werden, führe ich es hier nur an, auch aus Furcht, dass die in ihrer Art sehr feine Chor-Dekoration im Münster zu Constanz, das Werk des d'Yxnard, des Erbauers der Kirche in St. Blasien, bald einmal unter den Hammer kommt; haben doch Bock, Essenwein und Schmidt die Beseitigung dieser Chor-Dekoration befürwortet. Die Zopf-Architektur Hollands verdient dagegen kein Lob, das man mit Genugthuung über Dresdens Neubauten von 1685-1738 gefällt findet, wo Rococo und Zopf gehaltvoller auftraten, als anderswo und weniger streng sich in die kunsthistorischen Rubriken einschließen lassen. Schlüter wird von anderer Seite in Berliner Kreisen vielfach das sonderbare Lob zuertheilt, ihm sei es zu danken, dass der Rococostil in Berlin nie Eingang fand. *)
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*) Er hat hier neben dem Barock und in Verbindung mit diesem so gut geherrscht, wie anderwärts. Die Red.


Schlüter brauchte sich dessen gewiss nicht zu schämen, dass er in seinen Dekorationen an den Rococostil heran streifte, ebenso wenig wie Balthasar Neumann, dessen Bruchsaler Schloss und Würzburger Residenz wir bewundern. Schlüter's Genialität verliert nicht dadurch, dass er durch die Strömungen seiner Zeit beeinflusst wurde. Der Zopfstil, der in Berlin darauf folgte, ist allerdings weit entfernt von dem feineren "Louis XVI " und trägt den ganzen verkommenen Charakter des holländischen Zopfstils an sich. Die Architektur unter Friedrich dem Großen ist dagegen im ganzen so tüchtig zu nennen, dass sie jeden unbefangenen Beschauer mehr erfreuen, als zur Kritik heraus fordern wird. Wer mehrmals nach italienischen Reisen nach Berlin zurück kam, und nicht gerade durch den Schinkel- und Bramantekultus kurzsichtig geworden ist, findet die Bibliothek und die Gensdarmen-Thürme in Berlin trotz aller Gegenrede der Kunstkritik sehr schön für ihre Zeit. Das begegnet allerdings Niemandem in Berlin, dass man sich in einzelnen Stadttheilen nach Rom versetzt glaubt, dem Rom des Barockstiles, wie das in Wien der Fall sein kann. Die liebsten Gebäude Wiens außer dem Stefansthurm können dem Architekten bei längerem Verweilen in der "einzigen" Kaiserstadt die Karlskirche und die Gloriette bei Schönbrunn werden. Gehaltvoll ist ja die Wiener Barock-Architektur keineswegs, auch die Münchener nicht, die Reber direkt auf jene folgen lässt, ohne der prachtvollen Abteien von Klosterneuburg, Mölk, St. Florian, Kremsmünster und vieler anderer an sie anschließender Bauten zu gedenken, die vom Bodensee an bis tief hinein nach Ungarn, südlich wie nördlich das Donaugebiet beherrschen. Aber, wer verspürte nicht etwas von dem echt italienischen Geist, der in diesen großgedachten Anlagen, ihren Hallen, Kirchenräumen, Treppenhausern, Bibliotheken, selbst in Küche und Keller uns an den Süden mahnt? Die Kunstgeschichte dieses Gebietes sollte man in Mölk, Klosterneuburg oder Salzburg schreiben, nicht in der Studirstube, sondern in den prachtvollen Bibliotheken, deren Schätze so anziehend sind.

Warum neben Neumanns Thätigkeit in Würzburg seine berühmte Kirche von Vierzehnheiligen, das Schloss zu Pommersfelden, das Kloster Ebrach bei Bamberg nicht Erwähnung fanden, verstehe ich ebenso wenig, als warum das Schloss in Brühl bei Köln, die Kuppelkirche von St. Blasien, die Bamberger Bauten und noch manche andere Werke aus den letzten zwei Jahrhunderten nicht angeführt wurden, die immerhin genannt zu werden verdienten. Wie sprechen uns doch alle diese Leistungen der spätesten Renaissancen, ihrer Verfallzeit, noch an im Vergleich zu dem kalten Klassizismus, der darauf folgte! Man muss sich Mühe geben, um auch nur einen heraus zu finden, dem man mehr als eine relative Achtung zollen kann. Da wirken denn Friedrich Gilly und der junge Schinkel mit ihrem Anflug von Romantik überaus wohlthuend. Dass Schinkel zunächst nicht von der Antike, sondern vom italienischen Mittelalter sich angezogen fühlte, nimmt kaum Wunder, war er doch eigentlich durch und durch Romantiker, den Ausdruck im besten Sinne des Wortes genommen, selbst in seinen meisten hellenisirenden Bauten. Der ausgeprägte malerische Sinn Schinkels macht sich in allen seinen Leistungen geltend und überwiegt den Sinn für das Konstruktive. Sein ausgebildeter Formensinn führt ihn einerseits zu ungewöhnlicher Vielseitigkeit, andrerseits aber auch zu einer Unterschätzung der Errungenschaften der Renaissance, deren Wiederentdeckung durch die Franzosen ebenso nothwendig wurde, wie von Schinkel die romantischen Baurichtungen Deutschlands ihre erste Anregung empfingen. Ob Schinkel "in nicht echt hellenischem Geiste" *) zu bauen verstand, wie seine unbedingten Verehrer so gern behaupten, das ist eine Frage, die zu beantworten doch wohl etwas verfrüht sein dürfte.
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*) Auf S. 259; No. 43 hat sich in der 2. Spalte, Zeile 16 von unten ein Druckfehler eingeschlichen; es ist daselbst natürlich: "in echt hellenischen Geiste "etc. zu lesen statt "in nicht hellenischem usw."


Dass die rein äußerliche Auffassung einer Bauweise der Vergangenheit zu nichts führt, haben Heideloff und seine Genossen bewiesen; es ist daher nicht allzu sehr zu verwundern, wenn die "hervor ragendsten Romantiker", wie sie Reber nennt, aus Weinbrenners Schule hervor gingen, in welcher sie außer der "klassizistischen Milch", die sie da eingesogen hatten, wenigstens einen guten Schulsack voll nüchterner, praktischer, konstruktiver Kenntnisse mitbrachten und ein lebendiges Interesse am Konstruktiven, das sie mehr oder weniger befähigte, in den Geist des Mittelalters einzudringen. Auch die Romantiker Hannovers gingen wie die Karlsruher mit Recht von der Ueberzeugung aus, dass Konstruktion und Material die ersten zu berücksichtigenden Dinge seien, wenn man zu einer gesunden Architektur kommen wolle. In München mochte man das nicht einsehen und blieb in der romantischen Richtung an reinen Aeußerlichkeiten hängen. Außerhalb Deutschland beginnt die romantische Richtung meistens mit der Erforschung und Wiederherstellung von Baudenkmälern, wie ja auch bei uns der Ausbau des Kölner Doms unter Zwirner die mächtigste Anregung zu einem tiefern Eindringen in das Wesen der mittelalterlichen Baurichtungen gab.

Der zweite Band ist ganz der Monumental-Periode der deutschen Kunst gewidmet, das 11. Kapitel insbesondere der Architektur. Hier kommt zunächst Schinkel in seiner Blüthezeit zu gebührender Geltung. Warum trotz Bötticher "die rasche Auflockerung von Schinkels Lehre in der Praxis unter dessen Schülern sich vollzog", dürfte am besten in den früher erwähnten Eigenthümlichkeiten Schinkels, dem vorherrschenden Sinn fürs Dekorative und in der Unterschätzung der Renaissance zu suchen sein. Die Schüler glaubten die Renaissance überbieten zu können und haben sie keineswegs erreicht. Schinkel ist und bleibt für seine Zeit eine Künstlergröße ersten Ranges; seine Richtung war aber unter Voraussetzungen verfolgt worden, die eine andere Richtung bedingten. Unser Klima eignet sich nun einmal nicht für die hellenische Bauweise, unsere Zeit stellt uns Aufgaben, die sich nicht durch eine vorgeblendete Schein-Architektur lösen lassen. Zement, Gips, Zinkblech usw. sind keine Materialien, mit welchen man bauen kann, und wollte man sich nicht mit einer Idealarchitektur begnügen, die bloß auf dem Papier oder als Theater-Dekoration Sinn hatte, sondern unter ähnlichen Bedingungen verwirklicht würde, welche der Formenwelt hellenischer Baukunst zu Grunde lagen, so musste man die hellenische Konstruktionsweise und das ihm entsprechende Material wählen, also mit einem unerschwinglichen Kostenaufwand bauen. Die Uebertragung der griechischen Bauwerke auf das nordische Backsteinmaterial war mit Konsequenz nicht durchführbar, so verdienstlich diese Anpassungsversuche an und für sich waren. Die modernen Bauaufgaben führten von selbst zu einer Rückkehr zur Renaissance, hinter der eben doch mehr steckte, als blos "verdorbene Formen", wie man sich in Berlin auszudrücken pflegte. Aber auch die Renaissance ließ sich nicht durch "keusch empfundene" - und wie derartige Ausdrücke lauteten - hellenisirende Profile und Ornamentchen verbessern, die ganze Spielerei mit Zement, Gips und Zinkblech musste endlich einmal langweilig werden.

Klenze hat in München mit viel mehr Glück als Schinkel eine Reihe von Gebäuden ausgeführt, die ihn als einen, Schinkel kaum nachstehenden Künstler erscheinen lassen. Man muss längere Zeit in Berlin sowohl, als in München gelebt haben, um Klenze ganz gerecht zu werden. Seine Glyptothek und Pinakothek bleiben für ihre Zeit vorzügliche Bauten, und wenn auch Klenze an Genialität Schinkel nachstand, wenn auch sein Klassizismus kein haltbarer war, seine Architekturen mehr oder weniger die Kritik heraus fordern, ein echter Künstler war er doch, der sich den ersten unseres Jahrhunderts anreihen lässt. Nicht dasselbe lässt sich von Gärtner sagen, ebenso wenig wie von Ohlmüller und Ziebland, Veit, Bürklein und wie sie alle heißen, die Vertreter der Romantik in München, der durch Neureuthers verdienstvolle Wirksamkeit ein Ende bereitet wurde. Er wie Lange gehören bekanntlich der modernen italienischen Renaissance-Richtung an. Der Wiener Architekten gedenkt Reber in passendster Weise, ebenso derjenigen Süddeutschlands, die außer München in Betracht kommen, endlich der Meister mittel- und norddeutscher Städte, um mit Semper diesen Band abzuschließen. Semper war jedenfalls einer der merkwürdigsten Künstler unserer Zeit, zugleich ein eigenthümlischer Mensch, dessen vielbewegtes Leben ebenso interessant ist, wie seine Thätigkeit packend auf seine Zeitgenossen wirkte. Stürmisch und leidenschaftlich, kraftgenial, originell, absonderlich, geistvoll, großartig und was sonst noch für Epitheta auf ihn passen, erinnert er an Michelangelo, an Schopenhauer, an Richard Wagner, wurde er bald unterschätzt, bald als das non plus ultra moderner Architekten und als der Ausgangspunkt aller Zukunfts-Architektur hingestellt. Wir begegnen ihm noch im 3. Band, wollen daher später auf ihn zurück kommen.

(Fortsetzung folgt)


DIE MODERNE BAUKUNST VOR DEM FORUM DER KUNSTGESCHICHTE
(Fortsetzung)

Im 3.  B a n d  beginnt der Theil, welcher der Architektur gewidmet ist, mit einer gerechten Würdigung der neueren  f r a n z ö s i s c h e n  A r c h i t e k t u r.  Worin uns aber die französischen Architekten in vielen Dingen überlegen sind, das ist nicht, "dass sie nicht bloß Konstrukteure, sondern Künstler im allgemeinen sind" wie Reber den Schülern Viollet-le-Duc's nachrühmt, sondern umgekehrt, dass sie unter allen Umständen mehr Werth auf die Konstruktion legen, das konstruktive Gefühl mehr entwickeln, als wir es gewohnt sind. Was in dieser Beziehung bei uns seltene, rühmenswerthe Ausnahme ist, verstand sich bei den Franzosen stets so zu sagen von selbst, weil in Frankreich alle Bedingungen, durch welche sich das Konstruktionswesen entwickeln konnte, günstiger waren. Erst in der neuesten Zeit sind wir in solchen Dingen den Franzosen mindestens gleich, wenn nicht vielfach überlegen, durch die Ausbildung unserer polytechnischen Schulen. Zugegeben daher auch, "dass die moderne Baukunst Frankreichs keinen internationalen Charakter gewinnen und für andere Länder füglich nicht maaßgebend werden kann", so ist sie doch für das Studium stets sehr lehrreich, mehr jedenfalls, als unsere moderne "Deutsch-Renaissance" für andere Länder sein kann.

Frankreich hat überhaupt das unbestreitbare Verdienst, zuerst in unserem Jahrhundert den Werth der italienischen Renaissance wieder erkannt zu haben, und wir alle, die wir für dieselbe uns begeistern können, sind mehr oder weniger bei den Franzosen in die Schule gegangen, auch wenn wir uns von ihnen emanzipirten. Percier et Fontaine, Grandjean et Famin, Letarouilly und Anderen danken wir mehr in dieser Beziehung, als wir gern zugestehen. Belgien und Holland, die Schweiz und Italien kommen trotz mancher achtenswerthen Leistungen und Bestrebungen auf dem Gebiet der modernen Baukunst wenig in Betracht. Entweder hängen sie von Nachbarländern ab, oder sie streben nach Hervorbringung einer nationalen Bauweise, was ihnen nicht recht gelingen will. Italien schließt sich an seine alten Baudenkmäler an, in deren Ergänzung oder Reproduktion es manches Tüchtige geleistet hat. *) England hat bekanntlich seine Gothik wieder neu zu beleben gesucht und am meisten noch außer Frankreich sich ein nationales Gepräge erhalten, trotz mancher "spleenhaften Wunderlichkeit, welche seinen sonstigen Vorzügen wohl immer ankleben wird," wie Reber sich ausdrückt. Ueber Amerika möge man das Kapitel Bd. II, S. 191 nachlesen.
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*) In neuester Zeit sollen die Leistungen der italienischen Baukunst nicht den Erwartungen entsprechen, die man von ihnen gehegt hatte, wenigstens in Rom nicht; in Turin soll es besser sein.


Mit dem Kapitel:  "D e u t s c h e  K u n s t  s e i t  d e m   A u f t r e t e n  d e r  r e a l i s t i s c h e n  R i c h t u n g"  beginnt der Antheil Pecht's an dem Reber'schen Buch (Bd. III, S. 204). Pecht entschuldigt sich S. 212 wegen einzelner Irrthümer in den "Personalien, besonders der Meister zweiter und dritter Klasse", die bei der "anscheinend genauesten Kenntniss vorkommen werden und unvermeidlich seien." Als geborener Badenser hätte Pecht doch wenigstens über sein eigenes Vaterland nicht unverantwortliche Unrichtigkeiten schreiben dürfen, wie sie in diesem Band stehen; Gedon soll mit seiner "Schackothek", wie sie der Volksmund nennt, die deutsche Renaissance in Deutschland wieder eingeführt haben, die von München ausgehend "mit besonderem Glück von Mylius und Bluntschli, Wallot u. A. in Frankfurt verwendet" worden sei. Pecht führt wohl Raschdorffs Restaurirung des Kölner Rathhauses als Ausgangspunkt der modernen Deutsch-Renaissance an, aber die Tendenzen zu dieser Richtung dürften doch an anderen Orten (in Berlin von Heyden, in Dresden von Nicolai) früher verfolgt worden sein. Semper hat mit seinem Stil nicht einen so unmittelbaren Einfluss auf das moderne Kunsthandwerk gehabt (wie Seite 314 steht), wie Pecht und Andere meinen. Sempers Verdienste liegen in allgemeinen Anregungen, die aber sehr langsam in die Menge dringen und längst durch die Praxis überflügelt sind. Die Deutsch-Renaissance-Bewegung ist auch ohne ihn und kaum zu seiner Freude in Fluss gekommen. Neureuther ist auch ohne Zweifel von Semper ebenso weit entfernt, als von der deutschen Renaissance. Diesen Eindruck machen wenigstens seine Bauten; wie er persönlich darüber denkt, weiß ich nicht. Bei aller Hochschätzung, die man für ihn hegen muss, bleibt Neureuther kalt in seinem Klassicismus; er ist weder mit Semper, noch mit Klenze auf eine Stufe zu stellen, die ihn an Großheit in der Auffassung ihrer Aufgaben übertreffen, wenn seine Werke auch im einzelnen sehr viel Liebenswürdiges und Anmuthiges haben.

Der zu früh verstorbene Gedon war gewiss ein sehr begabter, phantasievoller und vielseitiger Künstler, aber er ist doch kaum unter die Architekten zu rechnen, am wenigsten aber mit Giotto, Michel Angelo, Giuliano Romano, Holbein und Schlüter zu vergleichen, welche nicht deshalb Einfluss auf die Architektur ausübten, weil sie Maler und Bildhauer waren, sondern weil sie die Architektur ihrer Zeit durchaus beherrschten. Gedon war eine große dekorative Kraft ohne Zweifel, aber die "wuchtige Derbheit", die man in München überall trifft, hat mit deutscher Renaissance doch wohl nichts zu thun und wirkt keineswegs vortheilhaft auf die Kunst ein, zieht sie vielmehr herunter. Die Leistungen der neusten Zeit in Berlin, Wien, Dresden, Frankfurt, Stuttgart und anderen deutschen Städten sind denn doch etwas höher zu stellen als das, was Pecht von Jung-München rühmt. Auch in Bezug auf  B e r l i n  ist Pecht sehr im Irrtum, wenn er meint, Lucae habe sich durch Semperschen Einfluss der Renaissance zugewendet. Die Leistungen von Gropius & Schmieden sind trotz einer nicht zu leugnenden Manierirtheit, die durch Böttichers Tektonik in die jüngere Generation der Hellenisten hinein kam, doch immer noch respektabler und namentlich in den Interieurs interessanter, als der "Gründerstil", wie er in Berlin bezeichnet wurde, der sich mit Marmor, geschliffenem Granit und Bronce breit macht, als Gegensatz zu den früheren Stuck-, Zement- und Zinkblech-Architekturen. Dass der Rohbau in Berlin endlich zu siegen anfängt, ist sehr erfreulich, bedauerlich aber nur, dass nicht gar selten die Formenwelt der früheren Putzverkleidungen und Scheinkonstruktionen in Stein nachgeahmt wird. Bisweilen ist die ganze Steinfaçade mancher Bauten bloß eine vorgeblendete Maske dünner Platten, die allerdings länger dauern werden, als der ehemals beliebte Putz. Ende & Böckmann dürften in einer Geschichte der neueren deutschen Kunst doch besser vertreten sein, als durch das Café Bauer. Das ist denn doch zu wenig für diese tüchtigen Künstler. Manche der neuen Backstein-Rohbauten in Berlin sind gewiss sehr anerkennenswerthe Leistungen, aber der Backstein-Rohbau hat seine Grenzen. Das Beste darin sind immer noch die einfacheren Bauten mit sehr sparsamer Verwendung von Formsteinen.


DIE MODERNE BAUKUNST VOR DEM FORUM DER KUNSTGESCHICHTE
(Schluss)

Mit dem Jahr 1870, in welchem Gottfried Semper nach Wien berufen ward, nimmt die dortige Baukunst überhaupt eine neue noch kühnere Wendung". Mit diesen Worten beginnt Pecht seine Lobrede auf Semper, den er noch einmal bei Dresden erwähnt. Semper ist genug gepriesen worden, es ist daher wohl auch einmal erlaubt, ihn von anderen Seiten zu beleuchten, die es begreiflich machen, warum er lange nicht den Einfluss gehabt hat, den man ihm so gern nachträglich zuschreibt.

Als Sempers "Stil" erschien, war in Berlin die Majorität so sehr auf Seite Schinkels und Böttichers, dass die Anschaffung des Semper'schen Buches für die Bibliothek des Architektenvereins auf lebhaften Widerspruch stieß. Ich kannte dasselbe eben so wohl wie Böttichers Tektonik und Julius Braun's Geschichte der Kunst von Karlsruhe her, ja diese drei und die Hübsch'schen Werke: "In welchem Stil sollen wir bauen?" und "Die Architektur und ihr Verhältniss zur heutigen Malerei und Skulptur" führten mich 1862 zur Architektur über. Semper's und Bötticher's Werke waren damals als unbedeutend von keinem der damaligen Architektur-Professoren in Pacht genommen, Julius Braun so gut wie unbekannt, Hübsch's zweitgenanntes Buch als "schwerverständlich" kaum gelesen. So kamen diese Werke in meinen Gesichtskreis, da ich meine Architektur-Studien mit ihnen begann. In Berlin durfte man von Semper oder Julius Braun, vor dem ich schon in Karlsruhe als vor einem höchst gefährlichen Autor gewarnt worden was, in Gegenwart unseres damals hochverehrten Lehrers Bötticher nicht reden, wollte man es nicht mit ihm verschütten. Die Stimmung war gegen Semper und blieb es auch so ziemlich bis heute. Als ich zum ersten Mal 1863 nach Dresden kam, sah ich auch selbstverständlich dort nichts als "verdorbene Formen". Mein Freund Linnemann in Frankfurt war es, der mich 1865 veranlasste, in Dresden meine Studien bei Nicolai fortzusetzen, anstatt, wie ich vor hatte, zu Semper nach Zürich zu gehen. Dort lernte ich einmal die Renaissance gründlicher kennen, von der ich nur aus Adlers vortrefflichen Vorträgen gehört hatte. Nicolai war ein aufrichtiger Verehrer Sempers, trotzdem er stets ganz selbständig blieb und weder durch jenen beeinflusst war, noch es für gerathen hielt, sich überhaupt seiner Einwirkung auszusetzen. Das Marottenhafte Sempers wurde mir bei zweijährigem Aufenthalt in Dresden sehr klar. Von einer Ausbildung der Grundrisse war bei ihm wenig die Rede; er kümmerte sich nur um seine Spezialitäten, das andere überließ er andern. Bei seinem Züricher Polytechnikum soll nur der Mittelbau von ihm selbst herrühren und sein Interesse an seinen Bauten soll mit dem Hauptgesims aufgehört haben; was darüber war, konnte machen, wer wollte. (?) Semper kümmerte sich nicht nur nicht um das Konstruktive, er verwandte sogar den Schein der Konstruktion als dekoratives Hülfsmittel, machte Bossage-Quadermauerwerk mit Steinfugen an Stellen, wo in Wirklichkeit keine Fugen waren, während er die wirklichen Fugen, die sich aus der Nothwendigkeit der Konstruktion ergaben, unterdrückte. Bei aller Großartigkeit der Auffassung war doch seine Architektur rein dekorativ. Semper's "Stil" war damals auch in Dresden mehr dem Namen nach bekannt, als gelesen und verstanden. Einen wirklichen Einfluss hatte somit Semper in Dresden kaum, und alle die Architekten, die Pecht als Schüler von ihm in Dresden anführt, sind nicht seine, sondern Nicolais Schüler, selbst Grahl, der zum Abschluss seiner Studien auf kurze Zeit noch zu Semper nach Zürich übersiedelte.

Als ich 1865 nach Wien zu Schmidt ging, war an der dortigen Akademie Semper höchstens dem Namen nach bekannt; einer oder der andere hatte vielleicht einmal das Polytechnikum in Zürich gesehen, ja vielleicht sogar dort seine Studien begonnen. Aber die Renaissance-Richtung war vollständig von Sickardsburg und van der Nüll beherrscht, und als gar Hansen an die Akademie kam, war an einen Einfluss Sempers kaum zu denken, der erst durch Partei-Intrigue dort Boden und seine großartigen Aufträge gewann. Seine beiden Museen sind denn auch nicht, wie Pecht meint, das artistisch vollendetste und großartigste, was die neuere Zeit an Bauwerken hervor gebracht hat, sondern leider durch seinen Tod nicht das geworden, was sie werden sollten. Was Semper wollte, ahnt man nur, und was Hasenauer zufügte, ist nicht glücklich. Ob der ganze Gebäude-Komplex, der sich an die Burg anschließen soll, besser werden wird, mag die Zukunft entscheiden. Sempers Genius war nicht nur den Architekten des Opernhauses überlegen, sondern auch in noch höherm Grade seinem Nachfolger, der noch weitere große Aenderungen an Sempers Plane zum Hofburgbau gemacht hat, als am Burgtheater. Gegen Friedrich Schmidt ist Pecht eben so wenig gerecht gewesen, wie gegen die Gothiker überhaupt. Ungewitter und seine Schüler erwähnt er mit keinem Wort, trotzdem sie sich den tüchtigsten Architekten anderer Richtungen getrost an die Seite stellen können.

Schmidt ist ein Künstler im wahren Sinne des Wortes, das will sagen, er beherrscht eine Kunst vollständig; ohne sein "hervorragend struktives Talent" könnte er nicht der "berühmte Gothiker" sein. Er arbeitet nicht in der "spröden, klobigen norddeutschen Gothik", sondern hat sich an den formvollendeten Kathedral-Bauten Deutschlands wie Frankreichs gebildet und bei all seinen Bauten möglichst den lokalen Bedürfnissen Rechnung getragen. Ob man seiner Architektur Härte vorwerfen kann, mögen Andere, als ich, entscheiden; eine gewisse ihr eigene Strenge ist eher zu loben, als zu tadeln; sie war eine wohlthuende Reaktion gegen die frühere Formenspielerei, die uns allerorts als Gothik aufgetischt worden war. Was allen Schmidt'schen Entwürfen wie seinen ausgeführten Bauten nachgerühmt werden muss, dass sind Originalität ohne gesuchtes Wesen, in das die anderen Gothiker so leicht verfallen, mustergiltige Verhältnisse und Korrektheit des Details, dabei eine Entwickelung des Aeußeren aus dem Kern der Sache, aus der Aufgabe, den realen wie ideellen Bedürfnissen, denen zu genügen ist, und eine unübertreffliche technische Ausführung. So ist denn auch, ganz abgesehen von der stilistischen Seite, das Rathhaus das grandioseste und artistisch vollendetste Gebäude in Wien, wie selbst die Vertreter anderer Baurichtungen stets bereitwillig zugestanden haben. Das Liebenswürdige, Poesievolle, Naive, mit einem Wort das Anmuthige, welches den edelsten Bauwerken des Mittelalters eigen ist, uns an einer Elisabethkirche zu Marburg, dem Halberstädter Dom oder dem Kloster Maulbronn so wohlthuend berührt, das Capriziöse, Piquante, Reizvolle, kurz gefasst, das Interessante der besseren Bauten der Späthgothik dürfen wir freilich bei Schmidt nicht erwarten. Er ist unmusikalisch, so möchte ich in Erinnerung an die Redensart sagen, dass Architektur gefrorene Musik sei, auch wenn der Vergleich hinkt. Aber Poesie steckt doch in ihm, wie in jedem echten Schwaben, und der ist er doch im vollsten Sinne des Wortes.

Ob Schmidt, falls er zwanzig Jahre später auf die Welt gekommen wäre, sicherlich mit Leidenschaft der deutschen Renaissance sich zugewendet hätte, wie Pecht voraus setzt, darüber sich zu äußern, wollen wir Schmidt selber überlassen. Sein talentvollster Schüler unter denen, die Gelegenheit hatten, sich durch einen größeren Bau bekannt zu machen, A. v. Wielemans, hat in seinem trefflichen Justizpalast mehr der niederländischen als der deutschen Renaissance sich genähert. Was versteht überhaupt Pecht unter "deutscher Renaissance", die für ihn ein vages Ding ist? Unter diesen Begriff bringt er die heterogensten Sachen und Künstler. Neureuther, Semper, Hauberrisser, Bluntschli und weiß Gott wer kommen in ein und dieselbe Schachtel hinein oder müssen durch dasselbe Sieb hindurch. Dresden habe ich genügend erwähnt, kann daher mich mit wenig weiteren Worten begnügen. Geniale Menschen sind meistens keine guten Lehrer, obwohl man viel von ihnen lernen kann. So sind denn, wie schon gesagt, die zahlreichen Dresdener Architekten nicht aus Sempers großer Schule hervor gegangen, wie Pecht voraus setzt, sondern aus der Schule Nicolais. Der letztere war wohl der beste Lehrer der Renaissance, den Deutschland aufzuweisen hatte. Seine vielen Schüler blieben meistens in Sachsen oder gingen nach Berlin, wo sie als gut geschulte Detailarbeiter rasch beliebt wurden. Nicolai selbst, dem leider außer Privatbauten keine größeren Bauaufträge zufielen, hat an seinen Konkurrenz-Entwürfen sich als ein Meister von großen Ideen gezeigt, der nicht nur feinen Geschmack hatte und seine Kunst vollständig beherrschte, ja im Raffinement der Ausbildung seiner eigenen Entwürfe wie derer seiner Schüler bis zu den äußersten Grenzen ging, sondern auch auf begabtere Schüler sehr anregend wirkte. Unter den Letzteren ist mein schon genannter Freund Alexander Linnemann in Frankfurt a./M. in erster Linie zu nennen; sein Gebäude des Frankfurter Bankvereins sowie einige Villen und Wohnhäuser, ferner seine kunstgewerblichen Entwürfe aller Art lassen ein unzweifelhaft sehr bedeutendes Talent erkennen, das manchem Architekten in Frankfurt indirekt zu gut kam. Vergleicht man Wallot's ersten Bau in Frankfurt, eine städtische Villa im Gropius'schen Stil, mit allen seinen nachfolgenden Bauten, so sieht man, wie dieser Schritt für Schritt unter dem Einfluss des dortigen genius loci sich der deutschen Renaissance näherte, die er origineller als viele Vertreter derselben Richtung behandelt.

Bluntschli, der einzige hervor ragendere Schüler Sempers, aus dessen Züricher Zeit, verdient mit seinem Frankfurter Hof alles Lob, nur das Epitheton nicht, dass dies "deutsche Renaissance" sei. Dasselbe gilt in Bezug auf Durm, dessen Bauten nichts weniger als deutsche Renaissance sein wollen; Durm strebt in seiner Architektur nach dem objektiv Schönen, das über die Moden hinweg bleiben und Bestand halten wird und seiner Empfindung nach am meisten in der Antike und Frührenaissance erreicht worden ist, die er sich daher zum Vorbild nimmt, obwohl er dem Geiste unserer Zeit Rechnung zu tragen sucht. In den letzten 5 Jahren hat Durm in Karlsruhe das Dreyfuß'sche Haus, die Villa Bürklin, das Atelier Klose und das Palais Schmieder gebaut, in Freiburg das chemische Laboratorium im Auftrag des Staates, in Kaiserslautern die Villa Karcher und das Bankhaus Karcher & Böcking. Der vornehme, strenge Stil, die Formvollendung des Details, die man von Durm's früheren Bauten (dem Vierordtbad, der Synagoge, der Festhalle) her kennt, sind in diesen letzteren Arbeiten mit mehr Kraft und Großheit gepaart. Der Malschbrunnen ist nicht von ihm, sondern von Lang und Warth, die Landesgewerbehalle verwechselt Pecht mit der Festhalle, das Gebäude der vereinigten Sammlungen von Bergmüller (nicht Geymüller) mit dem Museum (einem Casinobau von Weinbrenner) und die übrigen in Karlsruhe thätigen Architekten nennt er nicht. So Kerler (jetzt als Hofbaumeister des Fürsten von Fürstenberg in Donaueschingen thätig), der außer einigen gediegenen Privatbauten und dem Umbau der katholischen Kirche die Gebäude des botanischen Gartens in Freiburg und Schloss Rodeck ausgeführt hat und auch eine strengere Renaissance vertritt; so Gustav Ziegler, der mit viel Talent aber weniger Ernst als jene in einer Anzahl von Privathäusern, die er erbaut hat, darunter einigen sehr hübschen Deutsch-Renaissance-Häusern, dieser Richtung sich annähert, so Warth, dem wir den Universitätsbau in Straßburg verdanken. Lang hat sich besonders durch ein großes Kaufhaus (Mödel) hervor gethan, im Privatbau Benzinger, Gambs, Keck, Kircher, Schweighart, Strieder. Weinbrenner hat sich durch die Restauration der Kapelle des fürstlich Fürstenbergischen Schlosses Heiligenberg verdient gemacht, eines wahren Schatzkästleins edler deutscher Früh-Renaissance. -

Diese Zeilen wollen, wie gesagt, keine Kritik des Reber-Pecht'schen Buches sein, sondern nur Anregung zu einer sorgfältigeren Bearbeitung der Baugeschichte unserer Zeit geben. Wer meine Ausführungen mit dem Buch selbst vergleicht, wird sich leicht darüber ein Urtheil bilden können, in wie weit sie eine Berechtigung haben, in wie weit nicht. Die Architekten haben ein Recht darauf, über ihre Werke selbst ein Unheil zu fällen und sind mehr oder minder verpflichtet, selbst die geschichtliche Entwickelung ihrer Kunst zur Darstellung zu bringen. Wie diese fernerhin verlaufen wird, muss abgewartet werden, es nützen da weder Prophezeihungen, noch gute Lehren. Mit der fortschreitenden Kenntnissnahme unserer Baudenkmäler, mit der Vertiefung in das Wesen der Baustile der Vergangenheit wird schon allmählich von selbst sich unsere Baukunst läutern und vervollkommnen. Die Regeneration kann da nicht von einem einzelnen Architekten ausgehen, sondern muss sich aus der Gründlichkeit der Studien, die wir betreiben, von selbst ergeben. Und diese Gründlichkeit möchte ich vor Allem darin wünschen, dass der Sinn und das Gefühl fürs Konstruktive mehr geweckt und gepflegt werde, als seither, dass die Beherrschung der Konstruktion namentlich an dem Studium der mittelalterlichen Baukunst, die, man mag über sie denken wie man will, das beste Lehrmaterial in dieser Hinsicht liefert, gereift werde. Nur wer die mittelalterliche Baukunst gründlich studirt hat, kann die übrigen Bauweisen der Vergangenheit richtig beurtheilen und eine bessere deutsche Renaissance produziren, als die echte alte, die nur die Spätgothik voraus setzte, nicht aber das ganze Mittelalter sammt der Antike kannte. Die echte alte deutsche Renaissance verfiel zu rasch in dekorative Schnörkeleien, weil ihr einerseits die gründliche Schulung fehlte, die ihr die Antike wie die strenge Hochrenaissance hätten beibringen sollen, und weil andererseits das konstruktive Gefühl bald verloren ging, das ihr nur durch die Spätgothik, nicht aber durch tieferes Studium der ganzen mittelalterlichen Architektur vermittelt worden war. Eine gesunde Entwickelung der Baukunst ist nicht denkbar, ohne dass den höchsten Leistungen der Vergangenheit Rechnung getragen wird; der Architekt darf sich nicht durch die Spielereien der Möbeltischler des 16. und 17. Jahrhunderts beherrschen lassen und sein Ideal in dem Blendwerk der Façaden-Arrangements erblicken, die dem Laien als sog. deutsche Renaissance angepriesen werden; er darf nicht die Auswüchse und Mängel der italienischen Spätrenaissance in seinen Werken wiederholen, ebenso wenig die Abnormitäten und Capricen anderer Stilrichtungen überbieten wollen. Er soll sich vielmehr an den klassischen Werken der Antike nicht minder als an denen der Blüthezeit des Mittelalters und der Renaissance heran bilden und sowohl die Einseitigkeiten bestimmter Stilrichtungen, wie die Zerfahrenheit jedes Eklektizismus vermeiden, dem nicht das gründliche Studium jener Bauweisen zu Grunde liegt.