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Autor: Schatteburg, Heinrich
In: Allgemeine Bauzeitung - 55 (1890); S. 60 - 61
 
Das Eisen im Hochbau vom Standpunkte der Architektur
 
Das Ziel des Strebens unserer Zeit geht in der Konstruktion von Hochbauten immer mehr darauf hinaus,  d o r t,  wo die Architektur eines Gebäudes im Aeusseren oder Inneren es zulässt, das Eisen zur Anwendung zu bringen, und zwar meist aus  d e m  Grunde, weil es bei Billigkeit und relativer Feuersicherheit zugleich die  A n n e h m l i c h k e i t  gewährt, anderem Materiale gegenüber unter gleichen Verhältnissen und zu gleichem Zwecke  w e n i g e r  R a u m  einzunehmen als dieses. Wo nun das Eisen als solches später nicht zu Tage tritt, sondern lediglich als Konstruktionstheil in einer Umhüllung liegt, da wird man die Form nur so wählen, wie sie der Zweck erfordert; wo jedoch das Eisen mit der Gesammtarchitektur dauernd in die Erscheinung tritt, da soll es auch der Gesammtarchitektur in der äusseren Erscheinung angepasst werden. Das aber muss in seiner Eigenart geschehen, dem Materiale in seinen natürlichen Eigenschaften angepasst, der Charakter des Materials darf nicht vertuscht werden. Wie wir auf allen Gebieten des geistigen Lebens nach dem "Wie und Warum", nach dem Charakteristischen energisch und rücksichtslos fragen, so auch hier. Das Ideal unserer Tage ist nicht das, was man gewöhnlich unter Ideal versteht, nicht eine Vorstellung, die über das menschliche Erreichungsvermögen hinausgeht, sondern es ist immer noch etwas Erreichbares, wenn auch mit starker Anspannung des Geistes. Was die Naturwissenschaften in den letzten Jahrzehnten geleistet haben, ist mehr oder weniger in alle Volksschichten gedrungen und hat  h i e r  mehr,  d o r t  weniger das Gefühl beeinflusst und umgestaltet, und dasselbe vorherrschend auf das Zweckmässige gerichtet. Am meisten tritt dieses hervor bei der Ingenieurwissenschaft, die, getrieben von den herrschenden Strömungen der Zeit, in unentwegter Konsequenz voranschreitet, um mit den geringsten Mitteln die grössten Leistungen zu erreichen. Und wie steht es mit der Aesthetik dabei?

So lange wir es  n u r  mit den Erzeugnissen der Ingenieurwissenschaft zu thun haben, bedürfen die einzelnen Konstruktionstheile nicht überall, nicht unbedingt eines besonderen schönen Ausdruckes, da die Erscheinung schon durch ihren Ausdruck der Thätigkeiten ästhetisch genügt, weil die Klarheit und Kühnheit, die sichtbare Zweckdienlichkeit, die Sicherheit der Konstruktion, die aus dem ganzen Werk hervorleuchtet, uns schon befriedigen können. Diese Befriedigung ist freilich keine unbedingt vollkommene. Die Natur selbst gibt ihren Schöpfungen ausser dem Zweckdienlichen auch noch Schönheit, wobei die Zweckmässigkeit und Wahrheit immer sichtbar bleibt. Sobald aber der Architekt hinzutritt, da wird nicht blos reale, sondern auch ideale Wahrheit verlangt. So gross und kühn auch die konstruktiven Gedanken aus einem Bauwerk hervorleuchten,  d i e s e  Eigenschatten  a l l e i n  befriedigen ihn nicht. Hier gilt es, dem neueren Material Formen und Ausdrücke anzupassen, Formen der Vergangenheit, deren Wesenheit uns bekannt ist, die wir hier aber anders zu gestalten haben. Auf einmal lässt sich dieses freilich nicht erreichen, darüber können Jahrzehnte vergehen, aber die Zeit wird es schon hervorbringen. Die Eigenthümlichkeit des Materials muss begriffen werden, ehe man die Grenzen für die ästhetischen Formen feststellen kann. Selbstverständlich haben diese Formen in verschiedener Weise auf  S c h m i e d e e i s e n  und auf  G u s s e i s e n  Rücksicht zu nehmen. Das Schmiedeeisen ist biegsam, streckbar, und ist demnach in anderer Weise zu formen, als das starre Gusseisen, das massiger zu gestalten ist und mit flachen Reliefs versehen werden kann. Die Arbeiten aus Schmiedeeisen können viel mannigfaltiger als aus Gusseisen hergestellt werden, da das Gusseisen der Architektur beschränkende Bedingungen stellt. Dem Schmiedeeisen kommt besonders seine Biegsamkeit und seine Elastizität zu Gute, und ausserdem die Möglichkeit des Zusammensetzens einzelner Theile eines Ornamentes zu einem Ganzen. Aus Schmiedeeisen werden wir demnach meist alles Leichte, Zierliche zu verfertigen haben, da es jede leichte Bewegung herzustellen ermöglicht. Wo aber Massenwirkung verlangt wird, da ist Schmiedeeisen nicht am Platze, wie zum Beispiele im Monumentalbau.

Mit der Heranbildung des neuen Baustyles, dem wir über kurz oder lang entgegengehen werden, werden die diesen Materialien innewohnenden mannigfachen Formgesetze sich immer mehr ausbilden und jedenfalls auch dem Baustyle ein eigenartiges Gepräge verleihen. Unsere Anschauungen von den Dingen, wie sie sind, haben sich gegen früher sehr geändert, auch diese Anschauungen werden zur Ausbildung des Neustyles das Ihrige beitragen, nachdem wir wenigstens grösstentheils aus den Stylen der Vergangenheit das Wesen der letzteren erkannt haben. Die ästhetische Erscheinung hängt mit den Eigenthümlichkeiten der Materialien innig zusammen. Letztere treten in verschiedener Weise zu Tage, sie sollen den Charakter des Baues hervorheben und dessen Beziehung zu den übrigen Baumaterialien und zu den Bauverhältnissen begreiflich machen. Die Formen des Gusseisens, seine Ornamente müssen zeigen, dass man es hier mit Gegossenem, Erstarrtem, plötzlich Gewordenem zu thun hat. Beim Schmiedeeisen hingegen muss man sehen, dass es mit Hammer und Amboss bearbeitet ist, gebogen, gestreckt, gedreht u. s. w. ist.

Jedes Material redet auf diese Weise seine eigene Formsprache; das Schmiedeeisen wird als Vollkörper hergestellt, das Gusseisen meist als Hohlkörper. Je dünner das Schmiedeeisen ist, desto technisch vollkommener lässt es sich bearbeiten und desto vollkommener lässt es sich in ästhetischer Hinsicht zum Ausdrucke bringen. Das Gusseisen wird, abgesehen von Füllungen, seiner Eigenschaft nach mehr zu stützenden Bautheilen, als: Säulen, Konsolen u. s. w. verwendet, und zwar dann hohl. Die Gestaltungsfähigkeit ist dabei ziemlich gross, wird aber anderseits durch die statischen Verhältnisse desselben und durch die grössere Kostspieligkeit im Vergleich zu anderem Material wieder eingeschränkt. Es muss zierlich und fest zugleich erscheinen. Die Darstellung seiner Körperlichkeit ist der des monumentalen Baumaterials ähnlich, da es zu ähnlichen Zwecken verwendet wird. Es fungirt freilich aus eigener Kraft selbstständig für sich und muss durch seine Erscheinung in künstlerischer Hinsicht sein eigenes, inneres Leben bekunden, das ja ganz ein anderes ist, auf ganz anderen Prinzipien sich aufbaut, als das in gewisser Hinsicht ihm verwandte monumentale Baumaterial. Der Zweck, dem die gusseiserne Säule in jedem einzelnen Falle zu dienen hat, ist natürlich massgebend für seine Gestaltung. Schwer belastete Säulen werden eine andere Gestalt haben müssen, als leicht belastete. Der Charakter wird freilich stets ein zierlicher und zugleich fester sein müssen. Je nach dem Verhältniss der Last zur Stütze wird dieses am Fusse und am Kapitäle auszusprechen sein, was hier in Gusseisen eben in sehr charakteristischer Weise geschehen kann, wobei der selbstständige, dem Eisen eigene Organismus zu wahren ist, einerlei, ob es mit Holz, Stein, oder sonstigem Material in Verbindung tritt. Nie soll die gusseiserne Säule den Charakter des Steines oder des Holzes zeigen. Wird letzteres nicht beachtet, tritt die gusseiserne Säule nicht als solche in die Erscheinung, sondern erweckt in uns den Gedanken, sie bestände aus Stein oder Holz, so wird sie uns nicht ästhetisch befriedigen, weil ihre im Vergleich zur Belastung dann zu geringe Stärke uns nicht ausreichend zu sein scheint, mithin in uns das Gefühl der Unsicherheit erweckt, was nicht ästhetisch befriedigt. Erkennen wir die Säule hingegen als gusseiserne, so wird die erfahrungsmässige Gewissheit, die wir von der Festigkeit des Eisens haben, unserem Gefühle die Ueberzeugung geben, dass sie trotz geringerer Dimension die ihr aufgebürdete Last zu tragen vermag. Jedes Material wird aber in solchen Fällen in uns nur dann das Gefühl der Schönheit erwecken, wenn es als das, was es ist, sichtbar hervortritt und seiner bekannten Festigkeit nach in Anspruch genommen zu sein scheint.

Ebenso aber wie eine richtig dimensionirte eiserne Säule zu schwach erscheinen wird, wenn sie in den Formen einer hölzernen oder steinernen in die Erscheinung tritt, so wird sie uns auch zu stark erscheinen, wenn sie in der Architektur wegen  n i c h t  s i c h t b a r e r  Konstruktionstheile so stark  w i e  e i n e  s t e i n e r n e  sein müsste, die mit ihr sichtbar in Reihe und Glied steht, scheinbar dieselbe Last trägt, als die eiserne, und nun letztere nicht als Steinsäule charakerisirt ist, sondern als eiserne. Wir glauben dann, weil die auf ihr lastenden Konstruktionstheile versteckt liegen, ein Uebermass von Kraftaufwand zu bemerken, das uns ebensowenig befriedigt als Kraftmangel. Tragende und getragene Bautheile müssen eben  s i c h t b a r  in einem Verhältniss stehen, wie wir es für gewöhnlich je nach dem Materiale als erprobt richtig zu sehen gewohnt sind, ohne dass dabei genaue Untersuchungen darüber angestellt werden. Das Urtheil über die Richtigkeit des erwähnten Verhältnisses wird dem Gefühle jedes einzelnen Beschauers überlassen bleiben und deshalb nicht immer  g l e i c h  ausfallen, jedoch sich innerhalb gewisser Grenzen decken, welche Grenzen meist dem Vielfachen der Sicherheit, mit welcher man Konstruktionen auszuführen pflegt, entsprechen werden.

Aehnlich wie bei der Säule, verhält es sich auch beim Träger. Soweit derselbe als solcher sichtbar bleibt, muss er seine Beziehungen zur Last und Stütze klar kennzeichnen; so dass er mit ihnen ein sichtbar organisch zusammenhängendes Ganzes bildet. Der sichtbare Theil muss ästhetisch der scheinbaren Belastung entsprechen, versteckte Konstruktionen, die das Bauwerk erfordert hat, kommen dabei nicht in Frage, da man sie ja nicht sieht. Die Konstruktion braucht  n u r  d o r t  gezeigt und ästhetisch gelöst zu werden, wo in Wirklichkeit oder scheinbar die Möglichkeit des Zusammenhanges des Ganzen davon abhängt. Das Verständniss des ganzen Werkes in ästhetischer Hinsicht darf also nicht beeinträchtigt werden. Die  W a h l  der Art der Konstruktion wird jeweilig davon abhängen, ob sie leicht ästhetisch durchzubilden ist oder nicht. Es kommt hier eben auf die ästhetische Durchbildung des Konstruktions-Gedankens an. Die reale Wahrheit darf nie unberücksichtigt gelassen werden. Wo immer bei einem ästhetisch durchgebildeten Bauwerk Träger und Säulen vorhanden sind und sichtbar ihre Thätigkeiten ausüben, da muss man ihre gemeinsame Arbeit zu gemeinsamem Zwecke herausfühlen; isolirtes Tragen und isolirtes Stützen ist nicht zulässig. Die Decke bedarf in gewisser Beziehung der  s e l b e n  Berücksichtigung wie der Träger; durch sie wird getragen, gestützt, sie steht also zur Stütze in Beziehung und bedarf dementsprechende Behandlung. Die Deckengliederung muss künstliche Momente zeigen, welche bekunden, dass jedes Material in seiner Kraft besiegt ist und die Decke auf ihren Stützer frei zu schweben vermag.

Dieses Freischweben muss sich aber in irgend einer Weise deutlich ausgesprochen zeigen, ohne dass man die Hülfsmittel der Konstruktion der Decke, die ohne Beziehung zur Wand sind, zu sehen bekommt. Anders liegt die Sache, wenn Wand (Stütze) und Decke aus Eisen sichtbar ein System von Stützen und Trägern mit Zwischenfüllungen bilden, und zwar in  d e r  Weise, dass jeder Theil sichtbar und deutlich seine Thätigkeit, seinen Zweck bekundet. Das ganze Machwerk muss also auch hier wie ein lebendiger Organismus erscheinen, dessen Eigenart durch das Material bedingt ist, klar im Einzelnen, klar im Ganzen. Dass das sichtbare eiserne Dachgerüst den  s e l b e n  Bedingungen in Hinsicht ästhetischer Lösung unterworfen ist, als die eiserne Decke, ist wohl selbstverständlich. Die Bildung ganzer Gebäudewände aus Eisengerippen mit Steinfüllung wie beim Fachwerk, das hat in ästhetischer Hinsicht seine Schwierigkeiten, schon aus dem Grunde, weil hier  n u r  d i e  E i s e n t h e i l e  als aktiv belebend, als thätig in der Wand auftreten, wo hingegen das Füllmaterial sich in ästhetischer Hinsicht objektiv dem Eisen unterzuordnen hat. Die Hauptthätigkeiten der vertikalen eisernen Stützen und der horizontal verbindenden Eisentheile müssen deutlich ausgesprochen werden, so dass das Ganze als standfähig und in sich fest und ästhetisch wohl geordnet erscheint. Immerhin aber soll man sich hüten, um nicht die ästhetische Wirkung eines Bauwerkes zu beeinträchtigen, Kunststücke mit dem Eisen zu machen, selbst wenn die Eigenart des Eisens hinsichtlich seiner Festigkeit es zuliesse.