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Autor: Scheffler, Karl
In: Berliner Architekturwelt - 5 (1903); S. 291 - 295
 
Ein Weg zum Stil
 
Eine Kunst, die Glied einer organischen Entwickelungsreihe ist, diskutiert nicht über Traditionen. Das künstlerische Schaffen geht dann aus Notwendigkeiten hervor, die jede analysierende Selbstbespiegelung, ja sogar die freie Wahl ausschliessen. Das Wesen einer wirkenden und in die Zukunft weisenden Tradition besteht darin, dass sie als ererbter Kulturtrieb die Anschauung leitet und, infolge einer physisch bedingten Gefühlsdisposition, nur einen stilistisch scharf bestimmten Formenkreis zulässt. Wie die von Eltern auf das Kind übertragenen körperlichen und geistigen Aehnlichkeiten von diesem als unlösliche Bestandteile seiner Individualität begriffen werden, so fühlt sich der auf dem Boden einer Ueberlieferung rüstig Schaffende als Erfinder, wo er nur Fortsetzer eines gegebenen Kulturgedankens ist.
Die Kunst der Gegenwart sucht rastlos nach Ueberlieferungen und beweist dadurch Richtungslosigkeit. Mit Hilfe des Verstandes möchte sie auffinden, was ihr an lebendigem Gefühl gebricht, müht sich vergebens mittels des Intellektes die unwägbaren Eigenschaften der Tradition - angesichts einer reich schimmernden Vergangenheit, zu der jede natürliche Verbindung abgebrochen ist - zu ersetzen und spekulativ zu konstruieren, was nur triebmässig wachsen kann. Wie sehr der Verstand auf solchen Wegen irre geht, lehrte uns eben jetzt die angewandte Kunst. Im rechten Gefühl für die Notwendigkeit eines Zusammenhanges mit dem Früheren, erklären die Künstler, denen es gelungen ist, Anfänge einer neuen Ornamentik zu schaffen, die Herkunft ihres Werkes aus dem Geiste der Gotik. Dem nicht von Tendenzen verwirrten Beobachter zeigt es sich aber deutlich, dass das in der neuen dekorativen Kunst wirkende Formenempfinden - abgesehen von vielen Nebeneinflüssen - geradenwegs vom Rokoko abstammt. Daran hatte vorher niemand gedacht, und doch schliesst sich so die Entwickelung mit Ende und Anfang organisch aneinander. Der Intellekt sträubt sich gegen diese Erkenntnis, weil solcher Weg dem allzu hastig den letzten Zielen zudrängenden Wollen nicht erhaben, nicht hoffnungsvoll genug scheint; doch erweist sich in diesem Vorgang eine Kraft wirksam, gegen die enge Begriffe nicht aufkommen, eine Kulturlogik spricht, deren Massstab von dem zeitlich Befangenen nicht auszumessen ist.
In einer schwierigen Lage befindet sich der Architekt unserer Zeit, weil er vor Aufgaben steht, die sich künstlerisch nicht ableiten lassen, deren profaner Zweckgedanke meist noch nicht einmal sozial präzise formuliert ist. Sein Bemühen, mittels des Verstandes Traditionen zu finden, um dem Schaffen Grundlage und Stetigkeit der Entwickelung zu gehen, kann nur zu einem Archaismus führen, der sich, je nach der Art der Persönlichkeit, künstlerisch qualifiziert. Jeder Architekt benennt seine Form des Archaismus mit dem stolzen Namen Tradition und es entsteht ein Streit der Meinungen, der nie möglich wäre, wenn lebendige Ueberlieferungen wirksam wären. Es ist sehr merkwürdig, dass in einer Zeit so ungeheuerer Bauthätigkeit das alle verbindende Stilgefühl in solchem Masse erlöschen konnte. Ein Stil, der unseren Lebensformen entspricht, sei er immer wie er wolle, wäre etwas Grosses gegenüber dem jetzt herrschenden Durcheinander, in dem alle schlechten Instinkte des Ungeschmackes frei hausen können. Auch die edleren neuen Bestrebungen werden durch diesen Zustand der Dinge gehemmt. Mancher wohlmeinende Führer gerät, im Drange natürliche Ueberlieferungen nachzuweisen, in die verderblichsten Irrtümer, lässt, was in der Architektur das Schlimmste ist, die im Sozialen wurzelnden Bedingungen einer modernen Profanbaukunst aus dem Auge und idealisiert die Aufgaben der Zeit nach falscher Richtung hin. Verführt durch die Anschauung englischer Verhältnisse, erklären z. B. die so einflussreichen Anglophilen die Kunst des Villenbaues für die der Zukunft und übersehen dabei, dass bei uns das städtische Etagenhaus noch immer und scheinbar immer mehr den Bedürfnissen der Menge entspricht. Man kann streiten, welche Form die höhere ist, das Wohnen auf der Etage oder im Landhaus; der Architekt hat jedoch nur mit der Thatsache zu thun, ihm nutzt die Schwärmerei für die leichter künstlerisch zu gestaltenden Aufgaben des Villenbaues garnichts, wenn er fast nur Mietshäuser zu bauen hat. Gerade von der Stadtarchitektur hängt die Zukunft unserer Baukunst ab und hier fehlt es am meisten an einer Tradition, die den Künstler Führerin sein könnte. Das Suchen danach ergiebt nur einen Archaismus, der, auf diese profanen Zweckbauten angewandt, doppelt peinlich wirkt. Es kommt also darauf an, einen Ausgangspunkt nicht willkürlicher Art zu suchen, einen Weg, auf dem sich die wachgebliebenen Ueberlieferungen wie von selbst dem Schaffen zugesellen können.
Der Ursprung der Schönheit bringt es mit sich, dass sie nicht aus bewusster Kunstarbeit allein hervorgeht. Ein altes Schulbeispiel mag für viele stehen. Wenn die nur vom Kunstgefühl gebaute Kuppel der Peterskirche sich hinterher als in allen statischen Massen wissenschaftlich richtig erwiesen hat, wenn also hier die geniale Anschauung des Künstlers die technische Rechnung vollkommen in sich schloss, so muss notwendig jedes konkrete Ergebnis einer statisch präzisen Rechnung einen Teil der Schönheit enthalten. Das Gesetz ist die Grundlage hier und da. Der Künstler erkennt es synthetisch und erläutert es durch anschauliche Gleichnisse frei gestalteter Kunstformen; der Tektone begreift es analytisch und konstruiert zweckvoll mittels der empirisch erkannten Kraft. Ein Gemeinsames ist aber trotz so verschiedener Ausgangspunkte vorhanden, eine Schönheit, die im Kunstwerk voll aufblüht, während sie sich in der Konstruktion oft in grotesker Form - als Keim verbirgt. Es liegt daher nahe, eine Schönheit, die in der Baukunst der Gegenwart nicht künstlerisch als Tradition wahrnehmbar ist, auf dem Wege wissenschaftlicher Logik zu suchen. Kann das so Gefundene auch nicht das Ziel bezeichnen, so kann es doch den Anfang des Weges ziemlich sicher angeben, denn da es direkt aus der phrasenlosen Nüchternheit des Bedürfnisses hervorgeht, wird es nicht mit falschem Schein - es will ja nicht repräsentieren - täuschen. Diese Schönheit wider Willen liegt stets im Gerüst. Damit ist zugleich die Schwierigkeit sie für die Kunst nutzbar zu machen erklärt, weil alles Konstruktive etwas Abschliessendes hat, das zu überwinden viel bildende Kraft erfordert.
Bezeichnend für den stilmüden Sinn des modernen Menschen ist es, dass zu ihm primitive Gerüstarchitekturen, Ruinenmonumentalität und phrasenlose Zweckkonstruktionen mehr sprechen, als alle noch so fleissigen und feinsinnigen Nachbildungen historischer Stile. Man hat diesen Vorgang dekadent genannt. Doch das ist nichts als ein Wort, erfunden um damit zu operieren. Die Kunstgeschichte kennt keine Dekadence, denn jedes Ende wird in ihr zum Anfang; nur die Träger der Kulturideen, die Völker, lösen sich ab, und solcher Wechsel will in dem lebendigen Zirkel der Weltkräfte nicht eben viel bedeuten. Es ist sehr ernsthafter Beachtung wert, wenn ein aufrichtig von seinen wahrsten Empfindungen Lernender die Beobachtung macht, dass das Arbeitsgerüst eines monumentalen Baues stärker auf sein artistisches Sensorium wirkt, als später das fertige, archaistische Kunstwerk. Vor dem Berliner Dom haben wir Aehnliches eindringlich erfahren; im Gerüst gab das Gebäude monumentale Impressionen, während es jetzt, wo es fertig dasteht, fast abstossend und kleinlich wirkt. Solche Anschauungsweise hat mit künstlicher Sensationslust nichts zu thun, sehr viel aber mit den Unterströmungen eines nicht durchaus ins Bewustsein getretenen, sich erneuernden Kunstgefühls.
Dem Problem des städtischen Mietshauses gegenüber erlebt man etwas ganz Aehnliches. Alle intellektuell heraufbeschworenen Traditionen versagen vor diesen Aufgaben profaner Nützlichkeit und es zeigt sich eine Schönheit, deren Ursprung in der Rechnung liegt, in Dingen die sich der Aesthetik vollständig entziehen. Das städtische Wohnhaus, wie es sich immer präziser ausbildet, hat mit dem ein, höchstens zweistöckigen Stadthause des achtzehnten Jahrhunderts wenig gemein. Die Baumeister, die es versucht haben, ihre Fassaden den schöngegliederten Fronten der städtischen Bürgerhäuser aus dem Anfange des vorigen Jahrhunderts nachzubilden, sind nicht zu Resultaten gekommen. Es ist gewiss einer ganzen Anzahl von Künstlern gelungen, mit Anlehnung an diese und andere historische Gebilde, Etagenhäuser zu bauen, die einen rein ästhetischen Anblick bieten und der Kunst des Erbauers grosse Ehre machen. Aber diese Häuser stehen inmitten der mit archaistischem Gipskleister versehenen Häuserreihen als Ausnahmen, sind Dokumente eines feineren Kunsturteils, Werke bewuster Absonderung. Das Problem des Etagenhauses liegt aber nicht in der individuellen Ausgestaltung einzelner Gebäudefronten, sondern darin, dass ein ganzes Bausystem geschaffen wird. Früher war es anders. Da bauten die Städte sich selbst. Jedes Haus diente einem bestimmten Zweck, gehörte einer Familie allein, und aus dem Nebeneinander der verschiedenen Bedürfnissen entwachsenen Gebäude, in deren Ausgestaltung sich doch überall ein gleiches Stilgefühl bekundete, enstand der reizvolle Wechsel, der den Strassen alter Städte das für den Nachgeborenen so Anheimelnde giebt. Diese Zeiten sind vorbei. Heute werden die Stadthäusern auf Vorrat gebaut, man wohnt während eines kurzen Lebens in zwanzig verschiedenen Wohnungen, die alle im Prinzip möglichst gleichartig angelegt sein sollen, damit die Lebensgewohnheiten keine Aenderung erfahren. Die Unterschiede im Grundriss verwischen sich immer mehr, ja, die ideale Forderung der städtischen Bauweise ist ein ganz uniformer Grundriss für Wohnungen gleichen Mietspreises.
Das ästhetische Entsetzen hilft hier garnichts: Diese Forderung ist eine natürliche Folge der sich gestaltenden Lebensformen moderner Stadthausbewohner. In Berlin wird in neuerer Zeit schon so gebaut, dass man sich, wenn nicht gerade eines jener "individuellen" Häuser in Frage kommt, in jeder Wohnung sofort zurechtfindet. Was dem Prinzip der Uniformität des Grundrisses noch widerspricht, ist nur Inkonsequenz; auf das Ziel der vollständigen Einheit treiben die Verhältnisse notwendig zu. Er mag sein wie er will: hierin äussert sich doch ein aus dem Sozialen hervorgehender Wille und wie jedem Willen ist auch ihm die Kraft eigen, sich eine ihm zusagende Form zu bilden. Nicht nur der Wille in der Natur baut sich Organismen, wie er sie braucht, auch der sozial thätige Wille weiss seinen Absichten Gestalt zu geben. Der uniforme Grundriss des Etagenhauses - nur Berliner Bauten dienen hier als Beispiel - manifestierte sich denn auch sehr deutlich in den Fassaden und von Jahr zu Jahr bildet sich sicherer ein Typus der grossstädtischen Mietswohnung aus. Man erkennt es bei einem Gang durch die neuen Strassen des Westens.
Und am deutlichsten erkennt man dort wiederum die Idee in den langen Reihen der im Rohbau unvollendet dastehenden Häuser. Denn die Architekten haben es noch immer eilig, ihre Fassaden mit archaistischem Ornamentkram zu bedecken und ihr Werk vom Nachbarhause durch einen im besonderen historischen Stil gehaltenen Gipsüberzug recht deutlich zu unterscheiden. Aber selbst solcher, gegen früher etwas verbesserter Unverstand vermag das Gerüst dieser Häuser nicht zu verdecken, und wenn man eine Strasse entlang blickt, hat man oft einen starken monumentalen Eindruck, nur durch die überall gleiche Gestaltung der Hauptmassen. Den Charakter giebt die Vertikale, geben die Gruppen der Erkervorbauten mit ihren energischen Gliederungen und die dadurch bedingte Fensteranordnung. Wo die Gebäude aber noch im Rohbau stehen, kein Putzornament, kein unorganischer Schmuck den starken Eindruck verdirbt, formuliert sich scharf ein wichtiger Zweckgedanke. Die Konstruktion zeigt sich unverhüllt und aus dem Ergebnis eines Bedürfnisses und trockener statischer Rechnung geht eine Art von Monumentalität hervor. Sie ist düster und traurig, aber doch charaktervoll, hat etwas Drohendes, entbehrt jedoch nicht einer gewissen inneren Vornehmheit. Noch mehr: in dieser Primitivität sind alle Elemente einer künstlerischen Ausbildung enthalten und aus der reich und unwirsch angedeuteten Schönheit kann ein Stil des Etagenhauses vollkommen entwickelt werden.
Es kann nicht Aufgabe des Schriftsteller sein, dem Architekten Mittel und Wege anzugeben, wie aus den Keimen der Rohbaumonumentalität architektonische Einzelformen abzuleiten sind. Dem Schaffenden theoretische Vorschriften machen zu wollen, ist stets lächerlich. Aber man darf fordern, dass endlich die Maskerade mit archaistischen Zierformen und deplazierten Baugliedern aufhöre und der Versuch gemacht werde, aus den gegebenen Bedingungen heraus logisch künstlerische Ausdrucksmittel zu entwickeln. Die originellen Einzelschöpfungen gelten wenig gegenüber einem solchen Versuch, der, wenn er glückt und der Entwickelung des Etagenhauses die Richtung bestimmen hilft, das gesamte Ergebnis der Darmstädter Ausstellung, und weit mehr noch, aufwiegt. Es ist nur nötig, den im Rohbau gegebenen Anregungen zu folgen. Dort wirkt, wenn man bereitwillig die rein malerischen Elemente abzieht, die von reizvollen Materialunebenheiten belebte Fläche, die harte, ungemilderte, stets einen Zweck offenbarende Linie, das natürlich entwickelte Verhältnis, das noch von falsch angebrachten Gesimsen nicht verdorben ist, die Wucht der Massen und ihre anschauliche Gliederung durch das eiserne Trägergebälk. Alle Bedingungen drängen den Architekten, das System der Steinbaukunst für diese Aufgaben zu verlassen, das organisch gewachsene Gerüst nicht durch fremdartige Gebilde alter, repräsentativer Monumentalkünste listig zu verdecken und artistisch zuzugeben, was doch nicht in Abrede zu stellen ist. Es ist nicht einzusehen, warum sich die eisernen Träger z. B. nicht durch Kunstformen sollten bezeichnen lassen, die die Funktionen dieses Materials künstlerisch veranschaulichen; und wieviel wäre damit dann schon erreicht! Auf diesem Wege würde sich die Tradition dann mit einem Male einstellen. Sobald die rechte Arbeitsweise gefunden ist, können die lebendig gebliebenen Ueberlieferungen sich bethätigen und teilnehmen an der organischen Entwickelung. Diesen Traditionen steht der Archaismus am meisten im Wege; wahrscheinlich würde es sich dann zeigen, wie lebhaft das Moderne im Werke Schinkels der Fortsetzung harrt. Es entstehen auch immer häufiger schon Beispiele einer gereinigten Mietshausarchitektur; doch fehlt überall die letzte Konsequenz und die logische Ableitung aus dem Gerüst.
Ist der Typus festgelegt, so ergiebt sich eine andere Folgerung fast von selbst. Schon jetzt gleichen sich die Häuser der westlichen Strassenzüge im wesentlichen und unterscheiden sich nur durch äusserlich angeklebten Schmuck. Das Ziel einer neuen Stadtbaukunst ist: Die Uniformität, das Zusammenfassen ganzer Häuserblocks. Aus der sozialen Forderung des uniformen Grundrisses geht die künstlerische hervor, alle Gebäude gleicher Art - der Mietspreis ist das Entscheidende - zu einer Einheit zu verschmelzen. Man hat in Hamburg z. B. bei Speicherbauten dieses Prinzip mit vielem Glück befolgt und es erscheint sicher, dass es eines Tages auch auf das städtische Wohnhaus angewendet wird. Das alte Stadtbild entsprach anderen sozialen Zuständen. Die demokratische Gegenwart mit ihren Ausgleichstendenzen, mit dem Drange nach Konzentration verbietet durchaus die pittoreske Bauart des Mittelalters. Unsere Städte werden einen Stil, und dieser wird Tradition haben, in dem Moment, wo der moderne Mensch Selbstgefühl genug besitzen wird, seiner Art zu vertrauen, ohne ängstlich die Vergangenheit um Erlaubnis zu bitten. Früher kleidete sich jeder Stand besonders, der Mensch deutete schon in der Tracht seine soziale Sonderstellung an; heute trägt jeder Mann dasselbe Kleid und auch die Frau wird es einst de facto thun, wie sie es im Prinzip schon jetzt thut. Dieser Menge, aus der sich keine Individualität äusserlich hervorhebt, entspricht die Tendenz des uniformen Städtebaues. Das Besondere zieht sich aufs Land, in die abgeschlossene Villa zurück. Die Stadttheile werden sich unterscheiden, nicht die einzelnen Häuser. Aus den verschiedenen Grundrissen der billigen und teueren Wohnungen ergiebt sich ein verschiedener Aufriss; aber die Häuser gleicher Art gehören in einen organischen Verband. So trennen sich denn die Stadttheile mit Monumentalbauten, Geschäftshäusern und Wohngebäuden verschiedener Disposition; die Verschiedenheit und Mannigfaltigkeit des Gipsornamentes verschwindet.
Diese Perspektive mag manchem schauerlich sein. Dann beklage er sich über die soziale Entwickelung, nicht über die Architektur, die den Bedürfnissen nur ein künstlerisches Gewand schafft. Kulturlosigkeit giebt es nur da, wo ein Volk nicht den Mut hat, sich zu seinen Lebensformen zu bekennen, wenn es halb im Alten, halb im Neuen und nirgend ganz heimisch ist, wenn es versucht aus seinem Tagesheim einen Palast zu machen und ganze Städte mit verlogenen Repräsentationsformen füllt, ohne einen anderen Zweck, wie den der Selbsttäuschung. Es kann nicht ausbleiben, dass die Logik des modernen, immer mehr demokratisch sich entwickelnden Lebens all diese Verkehrtheiten überwindet und sich einen Ausdruck in der Architektur schafft, der nicht heimlich und schön im romantischen Sinne, aber gewiss doch charaktervoll sein wird.

Friedenau - Karl Scheffler