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Autor: Taut, Bruno
In: Architektur-Schauspiel für symphonische Musik - 1. Aufl. Folkwang-Verlag, Hagen i.W. (1920)
 
Der Weltbaumeister
 
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ÜBER BÜHNE UND MUSIK
Nachwort zum Architekturschauspiel

Die Farbe klingt, die Formen klingen ~ Farben und Formen als reine ungebrochene Elemente des Alls tragen den Ton. Die Geburt des Musikwerkes geschieht ohne Zwang aus ihnen und ebenso zwanglos wird die Formen~ und Farbenschöpfung aus dem Musikwerk geboren. Keine gewaltsame Zusammenpressung von nur vergleichsweise verwandten Dingen, — sondern Farbe und Form der hörbaren Welt trägt und erzeugt in Wechselspiel und Widerwirkung Form und Farbe der sichtbaren Welt. Der Welt!.….eines umfassenden, alle vereinzelten, vereinzelnden, das lch abtrennenden und in sich spaltenden Empfindungen und Gedanken aufhebenden Reiches. Hörbare, erschaubare und erfühlbare Formen verbinden sich frei und einfach in der Sphäre des kosmischen Elements, gehen einen weder in sich noch nach außen abgegrenzten Bund ein, eine Verschmelzung innigster Art.….treues Abbild der Elemente in der realen Welt, Erde, Luft, Wasser, Feuer, Sonne, Sterne. Dieses Reich der Kunst duldet kein Hineintreten eines Einzelwesens, wenn dieses nicht als bloß untergeordnetes Glied des großen Kosmos erscheint. Das Tier in seinen Äußerungen momentaner Art als Triebwesen und ebenso der Mensch in seinen menschlichen Besonderheiten, seinem nur im Einzelvorgängen darstellbaren Seelenleben, seiner „Psychologie”, kann in diesem Reich nur stören. In der „Walküre” sprengt der Frühling das Tor in Bild und Ton — aber Siegfried, Schwert, Liebe? Kein Brustsprengen mehr. Rasch verchwindet das kosmisch Erhabene unter der Stimme eines einzelnen Tieres von der Gattung Mensch.

Es ist klar : alles muß die Bühne irgendwie stilmäßig gebunden geben, und sei sie auch die Wagnersche Illusionsbühne. Da taucht — alles andere ist doch nur irgendwie Schein und Abbild — ein „wirkliches" Wesen auf, ein Mensch aus Fleisch und Blut, tritt in diese Scheinwelt hinein und sagt seine Freuden und Leiden. Daß er sie nicht sagt, sondern „unwirklich" singt, ist keine Brücke über die Kluft, sondern ein Verwischen der kristallreinen Elemente des künstlerischen Alls. Schon wo das Musikalische zurücktrat, im antiken Drama, wurde dem Menschen durch Kothurn und Maske eine Starrheit gegeben, die ihm das „Natürliche" in Erscheinung und Äußerung nahm. Und im Marionettentheater wurde er konsequent nur zu einem bewegten Ding, genau angepaßt dem gesamten Vorgang. Und wo Musik hinzutritt, da empfindet man nur dort die Einheit, wo sie ihn wie an unsichtbaren Fäden hüpfen und zappeln läßt, wie in der Offenbachiade. Klar treten die Grenzen hervor. Beim großen musikalischen Zwischenspiel bleibt auch in der bisherigen Oper die Bühne leer. Die Töne verscheuchen alles Getier. Aber sie rufen elementare Vorgänge herbei. Dunkel~ und Hellwerden, Veränderung der Farbe, Verwandlungen außeranekdotischer Art werden von der Musik aus der Tiefe des Bühnenraumes geradezu herausgezogen. Eine Konsequenz aus dieser Beobachtung stellt dieses Architekturschauspiel dar. Die Wirkung kann eine durchaus dramatische sein : eine innerlich logische, auf Kausalität beruhende Handlung, deren Träger nicht ein Mensch, sondern die ganze Bühne ist. Natürlich bleibt alles, was Menschen tun, anthropomorph, und auch eine völlig kosmisch konzipierte Handlung muß menschlicher Phantasie, menschlischem Empfinden und Denken entspringen. Projektion unseres menschlichen Seins in das All mit dem Wunsche, uns darin zu verlieren. Wehe der Kunst, wenn sie das Triebhafte, Ephemere des Menschenseins auf den Sternhimmel projizieren will! Allzu menschlich bleibt trotzdem noch jede Form, und ein restloses Sichverlieren gibt es — leider — nicht. Die Kunst will ein Abbild des Todes sein, die Grenze geben, wo gebundene lnteressiertheit an Erdendingen sich löst im Schauen dessen, das hinter der Todesschwelle sich auftut. Kunst ist Mitteilung von Empfindungen, und darin liegt ihre Grenze. Sie duldet darum keine Abstraktion, die nicht in der Natur ihrer Mittel liegt. Eine darüber hinausgehende Abstraktion überschreitet die Grenze des Künstlerischen auf die Gefahr hin, Erzeugnis des Intellekts und nicht mehr der Phantasie zu werden. Danach verwendet dieses Schauspiel alle Elemente, sei es auch bis zur Illusion, so wie sie dem dramatischen Gedanken dienen. Das hinter den Dingen schaffende und auflösende unpersönliche Prinzip, der im Kosmos wirksame „Weltbaumeister” ist die handelnde Person.—

Die Zeichnungen können, ohne unkünstlerisch zu sein, nur die einzelnen Phasen zeigen, die mit einander in einer gleichmäßigen, nicht ruckhaften Wandlung verbunden zu denken sind. Das Tempo der Wandlung, ein längeres Verweilen eines Bildes wird ganz von der Weite der Partitur an der einzelnen Stelle abhängen. Selbstverständlich soll die Musik auch hier nicht Programmusik sein. Das Thema der Schauspiele ist darum die Architektur, weil sie in ihren Mitteln genau so wenig oder so sehr abstrakt ist wie die Musik. Sie kann nicht schildern, nicht psychologisch sein und beruht ganz und gar auf der Welt ihrer frei, ohne Nachahmung der Umwelt geschaffenen Formen wie die Tonkunst. Ein Aufgehen des Bildhaften in dem Musikalischen ist hier in dem Grade möglich, daß sich in der Verbindung die Grenzen ganz verwischen. Zweifel an der Aufführbarkeit könnten auftauchen. Diese Zeichnungen mußten zunächst möglichst deutlich die ldee zeigen. Bei der Vorbereitung des Stückes für die Bühne wird die Anpassung an den Bühnenapparat oft eine stilistische Vereinfachung und Verstärkung ergeben, welche dem Marionettentheater ähnlich ist. Farbe und Licht bringen eine Fülle hinein, welche hier kaum angedeutet ist, und werden das Fehlende im Sinne der Illusion überbrücken. Die Illusion als Naturnachahmung kann ganz fortfallen. Es genügt das Spiel der auftauchenden und vergehenden Formen und Farben, getränkt in der großen Flut der Töne. Nur der Raum der tiefen Bühne kann nicht entbehrt werden. Der Raum in seiner restlosen Tiefe ist der Schoß, der alles gebiert, Formen, Farben, Licht ~ wie der schwebende Ton des grenzenlosen Klingens, aus dem die Musik hervorquillt.

Bruno Taut