ÜBER BÜHNE UND MUSIK
Nachwort zum Architekturschauspiel
Die Farbe
klingt, die Formen klingen ~ Farben und Formen als reine ungebrochene
Elemente
des Alls tragen den Ton. Die Geburt des Musikwerkes geschieht ohne
Zwang
aus
ihnen und ebenso zwanglos wird die Formen~ und Farbenschöpfung
aus dem
Musikwerk geboren. Keine gewaltsame Zusammenpressung von nur
vergleichsweise
verwandten Dingen, — sondern Farbe und Form der
hörbaren Welt trägt und erzeugt
in Wechselspiel und Widerwirkung Form und Farbe der sichtbaren Welt.
Der
Welt!.….eines umfassenden, alle vereinzelten, vereinzelnden,
das lch abtrennenden
und in sich spaltenden Empfindungen und
Gedanken aufhebenden Reiches. Hörbare, erschaubare
und erfühlbare
Formen verbinden sich frei und einfach
in der Sphäre des kosmischen Elements, gehen einen weder in
sich noch nach
außen abgegrenzten Bund ein, eine Verschmelzung innigster
Art.….treues Abbild
der Elemente in der realen Welt, Erde, Luft, Wasser, Feuer, Sonne,
Sterne.
Dieses Reich der Kunst duldet kein Hineintreten eines Einzelwesens,
wenn dieses
nicht als bloß untergeordnetes Glied des großen
Kosmos erscheint. Das Tier in
seinen Äußerungen momentaner Art als Triebwesen und
ebenso der Mensch in seinen
menschlichen Besonderheiten, seinem nur im Einzelvorgängen
darstellbaren
Seelenleben, seiner „Psychologie”, kann in diesem
Reich nur stören. In der
„Walküre” sprengt der Frühling
das Tor in Bild und Ton — aber Siegfried,
Schwert, Liebe? Kein Brustsprengen mehr. Rasch verchwindet
das kosmisch Erhabene unter der Stimme eines einzelnen Tieres von der
Gattung
Mensch.
Es
ist klar
: alles muß
die Bühne irgendwie stilmäßig gebunden
geben, und sei sie auch die Wagnersche Illusionsbühne. Da
taucht — alles andere
ist doch nur irgendwie Schein und Abbild — ein
„wirkliches" Wesen auf, ein
Mensch aus Fleisch und Blut, tritt in diese Scheinwelt hinein und sagt
seine
Freuden und Leiden. Daß
er sie nicht sagt, sondern
„unwirklich" singt, ist keine Brücke über
die Kluft, sondern ein
Verwischen der kristallreinen Elemente des künstlerischen
Alls. Schon wo das
Musikalische zurücktrat, im antiken Drama, wurde dem Menschen
durch Kothurn und Maske
eine Starrheit gegeben, die ihm das
„Natürliche" in Erscheinung und
Äußerung nahm. Und im Marionettentheater
wurde er konsequent nur zu einem bewegten Ding, genau
angepaßt
dem gesamten Vorgang. Und wo Musik hinzutritt, da empfindet man nur
dort die
Einheit, wo sie ihn wie an unsichtbaren Fäden hüpfen
und zappeln läßt,
wie in der Offenbachiade. Klar
treten die Grenzen hervor. Beim großen musikalischen
Zwischenspiel bleibt auch
in der bisherigen Oper die Bühne leer. Die Töne
verscheuchen alles Getier. Aber
sie rufen elementare Vorgänge herbei. Dunkel~ und Hellwerden,
Veränderung der
Farbe, Verwandlungen außeranekdotischer Art werden von der
Musik aus der Tiefe
des Bühnenraumes geradezu herausgezogen. Eine
Konsequenz aus dieser Beobachtung
stellt dieses Architekturschauspiel dar. Die Wirkung kann eine durchaus
dramatische sein : eine
innerlich logische, auf
Kausalität beruhende Handlung, deren Träger nicht ein
Mensch, sondern die ganze
Bühne ist. Natürlich bleibt alles, was Menschen tun,
anthropomorph, und auch
eine völlig kosmisch konzipierte Handlung muß
menschlicher Phantasie, menschlischem
Empfinden und
Denken entspringen. Projektion unseres menschlichen Seins in das All
mit dem
Wunsche, uns darin zu verlieren. Wehe der Kunst, wenn sie das
Triebhafte,
Ephemere des Menschenseins auf den Sternhimmel projizieren will! Allzu
menschlich bleibt trotzdem noch jede Form, und ein restloses
Sichverlieren gibt es
— leider — nicht. Die Kunst will ein
Abbild des Todes sein, die Grenze geben, wo gebundene lnteressiertheit
an Erdendingen sich löst im Schauen dessen, das hinter der
Todesschwelle sich
auftut. Kunst
ist Mitteilung von Empfindungen,
und darin liegt ihre Grenze. Sie duldet darum keine Abstraktion, die
nicht in
der Natur ihrer Mittel liegt. Eine darüber hinausgehende
Abstraktion
überschreitet die Grenze des Künstlerischen auf die
Gefahr hin, Erzeugnis des
Intellekts und nicht mehr der Phantasie zu werden. Danach
verwendet dieses Schauspiel alle
Elemente, sei es auch bis zur Illusion, so wie sie dem dramatischen
Gedanken
dienen. Das hinter den Dingen schaffende und auflösende
unpersönliche Prinzip,
der im Kosmos wirksame „Weltbaumeister” ist die
handelnde Person.—
Die
Zeichnungen können, ohne
unkünstlerisch zu sein, nur die einzelnen Phasen zeigen, die
mit einander in
einer gleichmäßigen, nicht ruckhaften
Wandlung
verbunden zu denken sind. Das Tempo der Wandlung, ein längeres
Verweilen eines
Bildes wird ganz von der Weite der Partitur an der einzelnen Stelle
abhängen.
Selbstverständlich soll die Musik auch hier nicht Programmusik
sein. Das Thema der Schauspiele ist darum die Architektur, weil sie in
ihren
Mitteln genau so wenig oder so sehr abstrakt ist wie die Musik. Sie
kann nicht
schildern, nicht psychologisch sein
und beruht ganz
und gar auf der Welt ihrer frei, ohne Nachahmung der Umwelt
geschaffenen Formen
wie die Tonkunst. Ein Aufgehen des Bildhaften in dem Musikalischen ist
hier in
dem Grade möglich, daß
sich in der Verbindung die
Grenzen ganz verwischen. Zweifel
an der Aufführbarkeit könnten
auftauchen. Diese Zeichnungen mußten
zunächst
möglichst deutlich die ldee
zeigen. Bei der
Vorbereitung des Stückes für die Bühne wird
die Anpassung an den Bühnenapparat
oft eine stilistische Vereinfachung und Verstärkung ergeben,
welche dem
Marionettentheater ähnlich ist. Farbe und Licht bringen eine
Fülle hinein,
welche hier kaum angedeutet ist, und werden das Fehlende im Sinne der
Illusion
überbrücken. Die Illusion als Naturnachahmung kann
ganz fortfallen. Es genügt
das Spiel der auftauchenden und vergehenden Formen und Farben,
getränkt in der
großen Flut der Töne. Nur der Raum der tiefen
Bühne kann nicht entbehrt werden.
Der Raum in seiner restlosen Tiefe ist der Schoß, der alles
gebiert, Formen,
Farben, Licht ~ wie der schwebende Ton des grenzenlosen Klingens, aus
dem die
Musik hervorquillt.
Bruno
Taut |