DAS FELD, DIE FABRIK UND DIE WERKSTATT
Von Peter Kropotkin, Berlin 1901
Letzte Auflage bei Paul Cassirer, Berlin 1919

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Die gegenwärtige Tendenz der Menschheit geht dahin, eine möglichst weitgehende  Mannigfaltigkeit der Industrien Seite an Seite mit der Landwirtschaft in jedem Lande,  in jeder einzelnen Provinz beisammen zu haben. Die Bedürfnisse der Gemeinschaften  entsprechen so den Bedürfnissen der Einzelnen, und während eine vorübergehende  Teilung der Tätigkeiten am sichersten den Erfolg eines einzelnen Unternehmens verbürgt,  ist die dauernde Teilung zum Untergang verdammt und muß durch eine Mannigfaltigkeit von Betätigungen .. geistigen, industriellen, landwirtschaftlichen .. ersetzt  werden, entsprechend den verschiedenen Fähigkeiten des Einzelmenschen und ebenso  den mannigfaltigen Fähigkeiten innerhalb jeder Menschengemeinschaft.

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Die politische Ökonomie hat bisher hauptsächlich die Teilung betont. Wir verkünden  die Vereinigung, die Integrierung, .und wir behaupten, daß das gesellschaftliche Ideal  -. das heißt der Zustand, zu dem die Gesellschaft bereits unterwegs ist -. eine Gesellschaft mit vereinter Arbeit ist; eine Gesellschaft, wo jeder Einzelne zugleich geistig  und körperlich arbeitet; wo jeder Taugliche ein Arbeiter ist und jeder Arbeiter sowohl  im Feld wie in der industriellen Werkstatt arbeitet; wo jede Gemeinschaft von Menschen,  die groß genug ist, über eine gewisse Mannigfaltigkeit natürlicher Hilfsmittel zu verfügen - sei es ein Volk oder nur ein Stamm .- den größten Teil seiner landwirtschaftlichen  und industriellen Produkte selbst herstellt und selbst verbraucht. Solange natürlich die Organisation der Gesellschaft so bleibt, daß es den Grundbesitzern  und Kapitalisten erlaubt ist, sich unter dem Schutz des Staates und der historischer  Rechtseinrichtungen den jährlichen Mehrwert der menschlichen Arbeitskraft anzueignen,  kann keinerlei Anderung der Art von Grund aus durchgeführt werden. _ Aber das  gegenwärtige industrielle System, das auf eine fortgesetzte Spezialisierung der Tätigkeiten gegründet ist, trägt bereits die Keime seines eigenen Untergangs in sich. Die  industriellen Krisen, die heftiger und ausgedehnter werden und die durch die Rüstungen  und Kriege, die das jetzige System bedingt, noch schlimmer und heftiger werden, erschweren seinen Bestand mehr und mehr. Außerdem bekunden die Arbeiter die  deutliche Absicht, das Elend, das jede Krise mit sich bringt, nicht länger geduldig zu  ertragen. Und jede Krise bringt den Tag schneller heran, wo die gegenwärtigen Einrichtungen des Privateigentums und der Privatproduktion in ihren Grundlagen erschüttert  werden, und zwar unter innern Kämpfen, deren Heftigkeit von der größeren  oder geringeren Einsicht der jetzt privilegierten Klasse abhängen wird.

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Jedes Volk sein eigener Landwirt und Fabrikant; jedes Individuum Feldarbeiter und  irgend wie Techniker; jedes Individuum im Besitz wissenschaftlicher Kenntnisse und  handwerklichen Könnens -- dies ist nach unserer Behauptung die gegenwärtige Tendenz  der Kulturvölker.

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Es wäre ein grober Irrtum, wenn man annehmen wollte, die Abnahme der ausländischen  Einfuhr sei hauptsächlich hohen Schutzzöllen zuzuschreiben. Die Abnahme der Einfuhr ist viel besser mit dem Wachsen der heimischen Industrien zu erklären.

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Der Grund: billige Arbeitskräfte, der in Diskussionen über die „deutsche Konkurrenz",  die in England und Frankreich geführt werden, so oft angeführt wird, muß jetzt wegfallen, da viele neuere Untersuchungen wohl erhärtet haben, daß niedrige Löhne und  lange Arbeitszeit nicht notwendig billiges Produkt bedeuten. Billige Arbeitskräfte und  Schutzzoll bedeuten lediglich für eine Anzahl Unternehmer die Möglichkeit, ihre  Fabrikation mit veralteten und schlechten Maschinen fortzusetzen; aber in hoch entwickelten Hauptindustrien, wie die Baumwoll- und die Eisenindustrie, wird das  billigste Produkt erreicht durch hohe Löhne, kurze Arbeitszeit und beste Maschinen.  Wenn die Zahl der Handgriffe, die für je tausend Spindeln erforderlich sind, zwischen  siebzehn (in manchen russischen Betrieben) und drei (in England) schwanken kann,  dann kann keine Verbilligung der Löhne imstande sein, diesen ungeheuren Unterschied  aufzuwiegen. Infolgedessen sind in den besten deutschen Baumwollwebereien und  Eisenwerken die Löhne der Arbeiter wir erfahren es speziell für Eisenwerke aus der  oben erwähnten Enquete der British Iron Trade Association) nicht niedriger als in  Großbritannien.

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Wir haben einfach einen Akt der auf einander folgenden Entwicklung der Völker vor uns.  Und anstatt darüber zu schreien oder sich dagegen zu stemmen, wäre es besser, wenn die  zwei Pioniere der Großindustrie - England und Frankreich - sehen wollten, ob sie nicht  eine neue Initiative ergreifen und wiederum etwas Neues tun können; ob ein Ausgangspunkt für das erschöpfende Genie dieser zwei Völker nicht in neuer Richtung gesucht  werden muß. Nämlich der Nutzbarmachung sowohl des Landes wie der industriellen  Kräfte des Menschen zu dem Zweck, dem ganzen Volk anstatt einigen Wenigen den  Wohlstand zu sichern.

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Doch genug! Ich habe so viel Zahlen vor mir, die alle dieselbe Geschichte erzählen,  daß die Beispiele nach Belieben vermehrt werden könnten. Es ist Zeit, den Schluß  zu ziehen, und der Schluß ergibt sich für jeden Geist ohne Vorurteile von selbst. ,  Industrien aller Arten werden dezentralisiert und verstreuen sich über die ganze Erde,  und überall erwächst eine Mannigfaltigkeit von Gewerben, Arbeitsvereinigung statt  Arbeitsteilung. Dies sind die kennzeichnenden Züge der Zeiten, in denen wir leben.  jedes Volk wird der Reihe nach ein Industrievolk, und die Zeit ist nicht mehr weit  wo jedes Volk Europas, und ebenso der Vereinigten Staaten, und selbst die zurückgebliebenen Völker Asiens und Amerikas beinahe alles, was sie brauchen, selbst  produzieren werden. Kriege und derlei zufällige Umstände mögen eine Zeitlang die  Ausbreitung der Industrien aufhalten; sie werden ihr kein Ende machen, sie ist unvermeidlich. Für jeden Beginnenden sind nur die ersten Schritte schwierig. Aber sowie eine Industrie erst Wurzel gefaßt hat, ruft sie hunderte andere Gewerbe ins Leben, und sowie die ersten Schritte getan und die ersten Hindernisse überwunden sind, geht das Wachsen der Industrie in beschleunigtem Tempo weiter.

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Wehe Europa, wenn es an dem Tage, wo die Dampfmaschine ihren Einzug in China hält, sich noch auf fremde Abnehmer verläßtl Was die afrikanischen Halbwilden angeht, so ist ihr Elend keine Grundlage für den Wohlstand eines Kulturvolkes. Der Fortschritt geht in anderer Richtung, er geht dahin: für den heimischen Konsum zu produzieren. Die Abnehmer für die Baumwollwaren von Lancashire und die Messerindustrie von Sheffield, die Seidenstoffe von Lyon oder die Mühlenprodukte Ungarns leben nicht in Indien oder Afrika. Sie leben mitten unter den Produzenten des Landes. Es hat keinen Sinn, schwimmende Kaufläden mit deutschen oder englischen Putzwaren nach Neuguinea zu schicken, wenn es Unzählige, die Abnehmer für Putzwaren sein möchten, in England und Deutschland selbst gibt. Und anstatt daß wir uns das Hirn zermartern, wo im Auslande Abnehmer zu finden sind, wäre es besser, zu versuchen, die folgenden Fragen zu beantworten: Warum ist der britische Arbeiter, dessen industrielle Begabung in politischen Reden so hochgepriesen wird, warum ist der schottische Pächter und der irische Bauer, deren unermüdlicher Eifer, aus Torfmoor neuen fruchtbaren Boden zu schaffen, manchmal so viel gerühmt wird, warum sind sie keine Abnehmer der Weber von Lancashire, der Messerschmiede von Sheffield und der Bergleute von Northumberland und Wales? Ich frage nicht, warum die Weber von Lyon nicht in Seide gekleidet sind, ich frage nur, warum sie manchmal nichts zu essen haben? Warum verkaufen die russischen Bauern ihr Korn und sind vier, sechs und manchmal acht Monate lang Jahr für Jahr gezwungen, Baumrinde und Gras mit einer Hand voll Mehl zu mengen und daraus ihr Brot zu backen? Warum sind die Hungersnöte in Indien unter denen, die Weizen und Reis kultivieren, so häufig? Unter den jetzigen Verhältnissen der Teilung in Kapitalisten und Arbeiter, in Eigentümer und Massen, die von ungewissen Löhnen leben, ist die Ausdehnung der Industrien in neue Gebiete immer von denselben schauderhaften Vorgängen begleitet: erbarmungslose Unterdrückung, Kindersterben, Verarmung und Unsicherheit des Lebens. Die Berichte der russischen Fabrikinspektoren, die Berichte der Plauener Handelskammer und die italienischen Enqueten sind erfüllt von den nämlichen Enthüllungen wie die Berichte der Parlamentskommission von 1840-42 oder die modernen Enthüllungen über das „Schwitzsystem" in Whitechapel und Glasgow und die Armut in London. Das Problem, das „Kapital und Arbeit" heißt, ist so universell geworden, aber zugleich ist es auch einfach geworden. Rückkehr zu einem Zustande, wo Korn gepflanzt und Waren fabriziert werden zum Gebrauch eben derer, die sie pflanzen und produzieren - dies wird ohne Zweifel das Problem sein, das während der nächsten Zeit der europäischen Geschichte  zu lösen ist. Jedes Land wird sein eigener Produzent und Konsument der, Industrieprodukte sein. Aber dies schließt unweigerlich ein, daß es zugleich sein eigener Produzent  und Konsument in landwirtschaftlichen Erzeugnissen sein wird.

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Wer davon träumt, das technische Genie zu monopolisieren, ist fünfzig Jahre hinter der  Zeit zurückgeblieben. Die Welt -- die weite, weite Welt - ist jetzt das eigentliche  Gebiet des Wissens; und wenn jedes Volk in einem besonderen Zweige besondere  Fähigkeiten entfaltet, so wiegen die mannigfachen Fähigkeiten der verschiedenen Völker  einander auf, und die Vorteile, die aus ihnen fließen könnten, wären nur vorübergehend.

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Die Kennzeichen der neuen Verhältnisse sind deutlich und ihre Folgen sind leicht zu  verstehen. In dem Maße, wie die Industrievölker Westeuropas stets wachsenden  Schwierigkeiten begegnen, ihre Waren im Auslande zu verkaufen und dafür Lebensmittel einzutauschen, werden sie genötigt sein, ihre Lebensmittel im eigenen Lande zu  gewinnen; sie werden gezwungen sein, sich auf die heimischen Abnehmer für ihre Waren  zu verlassen und auf die heimischen Produzenten für ihre Lebensmittel. Und je eher  sie es tun, um so besser. Zwei große Einwände jedoch stehen der allgemeinen Annahme  solcher Schlüsse im Wege. Man hat uns von Seiten der Nationalökonomen und Politiker belehrt, daß die Länder der westeuropäischen Staaten so übervölkert seien, daß  es ausgeschlossen sei, daß sie all die Lebensmittel und Rohprodukte selbst gewinnen,  die für die Erhaltung ihrer stets wachsenden Bevölkerungen notwendig sind. Daher  schreibe sich die Notwendigkeit, Waren zu exportieren und Nahrungsmittel einzuführen.  Und man sagt uns noch dazu, daß, wenn es selbst möglich wäre, in Westeuropa all die für seine Bewohner nötigen Lebensmittel zu gewinnen, es doch nicht vorteilhaft wäre,  so zu verfahren, solange dieselben Lebensmittel im Auslande billiger zu haben seien.  Dies sind zur Zeit, die Lehren und Ideen, die in der Gesellschaft gang und gäbe sind.  Und doch ist es leicht zu beweisen, daß beides vollständig falsch ist: reichliche Lebensmittel für viel mehr als die gegenwärtigen Bevölkerungen könnten in Westeuropa gewonnen werden, und es wäre ein ungeheurer Vorteil, wenn dies geschähe.

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Die Ursache dieses allgemeinen Niederganges ist einleuchtend. Er kommt daher, daß  das Land verlassen und verödet wird. Überall, wo bei der Ernte menschliche Arbeit  erfordert wird, ist das Gebiet kleiner geworden, und ein Drittel der Landarbeiter ist  seit 1861 weggeschickt worden, damit sie die Armee der Arbeitslosen in den Großstädten vergrößern helfen, so daß die Felder Großbritanniens nicht nur nicht übervölkert  sind, sondern nach menschlicher Arbeit hungern, wie James Caird zu sagen  pflegte. Das britische Volk arbeitet nicht auf seinem Boden; es wird daran gehindert  es zu tun, und die angeblichen Nationalökonomen jammern, daß der Boden seine  Bewohner nicht ernähren könne!

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Aber ich hörte auf, mich zu wundern, als ich erfuhr, daß nur 1383000 Männer und Frauen  in England und Wales-auf den Feldern arbeiten, während mehr als 16 Millionen zu den  „in Gewerben, häuslicher Tätigkeit, unbestimmten Berufen oder gar nicht produktiv.

tätigen Klassen" gehören, wie die unbarmherzigen Statistiker sagen.

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Was die verschiedene Fruchtbarkeit des Bodens angeht immer der Stein des Anstoßes bei denen, die über Landwirtschaft schreiben .. so ist es Tatsache, daß in der Gärtnerei  der Boden immer' gemacht wird, gleichgiltig, was er ursprünglich gewesen ist.  Seite 82 jeder Tag erweitert frühere Schranken und eröffnet neue und weite Horizonte. Alles was wir jetzt sagen können, ist, daß 600 Menschen mit Leichtigkeit auf einer Quadratmeile leben können und daß mit Kulturmethoden, die schon jetzt in großem Maße  angewandt werden, 1000 Menschen .. nicht Faulenzer .. die auf 1000 Acres (1 acre =  4047 qm) leben, mit Leichtigkeit, ohne irgend eine Art Überarbeit, von diesem Gebiet  eine üppige tierische und pflanzliche Nahrung gewinnen könnten, und ebenso den Flachs,  die Wolle, Seide und die Häute, die für ihre Kleidung notwendig sind. Was unter noch  vollkommeneren Methoden erreicht werden kann .- die auch schon bekannt, aber noch  nicht in größerem Maßstab erprobt sind - so ist es besser, sich jeder Prophezeihung  zu enthalten; so unglaublich sind die neuen Verbesserungen der intensiven Kultur.  Wir sehen also, daß der Übervölkerungsschwindel nicht dem ersten Versuch, ihn einer  genaueren Prüfung zu unterziehen, stand hält. Nur die können von Entsetzen befallen  werden, wenn sie sehen, daß die Bevölkerung Englands alle 1000 Sekunden um ein  Individuum zunimmt, die jeden Menschen nur für einen neuen Verzehrer des materiellen  Reichtums der Menschheit halten und vergessen, daß er gleichzeitig zu diesem Reichtum  beiträgt. Aber wir die in jedem Neugeborenen einen künftigen Arbeiter sehen, der  viel mehr produzier kann als seinen eigenen Anteil am gemeisamen Gut .. wir begrüßen  seine Ankunft. Wir wissen, daß eine dichte Bevölkerung eine notwendige Bedingung  ist, ohne die der Mensch die produktiven Kräfte seiner Arbeit nicht vermehren kann.  Wir wissen, daß hochproduktive Arbeit unmöglich ist, so lange die Menschen in geringer  Zahl über weite Gebiete zerstreut und so nicht im stande sind, sich für die höheren  Erfordernisse der Kultur miteinander zu verbinden. Wir wissen, welche Summe von  Arbeit aufgewandt werden muß, um den Boden mit einem primitiven Pflug aufzuwühlen,'  um mit der Hand zu spinnen und zu weben und wir wissen auch, wie viel weniger  Arbeit es kostet, dieselbe Menge Nahrung und denselben Stoff mit Maschinen herzustellen. Wir sehen auch, daß es unermeßlich leichter ist, 200000 Pfund Lebensmittel  auf einem Acre zu bauen als auf zehn. Es ist ganz schön, sich vorzustellen, der Weizen  wachse auf den russischen Steppen von selbst; aber wer gesehen hat, wie der Bauer  in der Gegend der„ fruchtbaren" schwarzen Erde sich abrackert, wird nur einen Wunsch  haben: daß die Vermehrung der Bevölkerung den Gebrauch des Dampfpflugs und Gartenkultur in den Steppen erlauben möge; daß sie ihnen, die heute die Lasttiere der  Menschheit sind, erlauben möge, ihre Rücken zu erheben und endlich Menschen zu werden.

ÜBER AMERIKA:

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In wenigen Monaten war fast die ganze Weizenernte, von der man erwartete, daß sie  glänzender als alle früheren ausfallen würde, vernichtet; acht bis zehn Scheffel schlechten  Weizens pro Acre war alles, was geerntet werden konnte. Das Ergebnis war, daß die  "Mammuth Farms" in kleine Farmen zerschlagen werden mußten und daß die Farmer  von Iowa nach einer schrecklichen Krise von kurzer Dauer .- es geht alles schnell in  Amerika .. zu einer intensiveren Kultur übergingen.

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In der Tat wurde immer und immer wieder von Schaeffe, Semler, Oetken und vielen  andern Autoren betont, daß die Kraft der„ amerikanischen Konkurrenz" nicht in ihren  Mammuth Farmen liege, sondern in den unzähligen kleinen Farmen, auf denen der  Weizen genau so gebaut wird wie in Europa, d. h. mit Hilfe von Dünger, aber mit  einer besser organisierten Produktionsmethode und Erleichterungen des Verkaufs und  ohne daß sie gezwungen sind, dem Grundbesitzer einen Zoll von einem Drittel oder  mehr des Verkaufspreises eines jeden Quarters Weizen zahlen zu müssen. Indessen  konnte ich erst, nachdem ich selbst eine Tour in die Prärien von Manitoba gemacht hatte,  die volle Wahrheit der oben erwähnten Anschauungen einsehen.

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Die Stärke der „amerikanischen Konkurrenz" liegt also nicht in der Möglichkeit, hunderte  Acres Weizen in einem Block zu haben. Sie beruht auf dem Eigentum am Boden,  auf einem Bewirtschaftungssystem, das dem Charakter des Landes angepaßt ist, auf  einem weit gediehenen Genossenschaftsgeist und schließlich auf einer Anzahl Einrichtungen und Bräuchen, die dazu bestimmt sind, den Landwirt und seinen Beruf  auf eine hohe Stufe zu heben, die in Europa unbekannt ist.

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In jedem amerikanischen Staat und in jedem besonderen Teil Kanadas gibt es eine  Versuchsfarm, und alle Arbeit vorläufiger Versuche über neue Varietäten Weizen,  Hafer, Gerste, Futter und Obst, die der Landwirt in Europa meistens selbst zu machen  hat, wird mit den besten wissenschaftlichen Einrichtungen in der Versuchsfarm zunächst  in kleinem und dann in größerem Maßstab getan.

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Man lese die Beschreibung einer landwirtschaftlichen Ausstellung, der "State's fair"  in einer kleinen Stadt Iowas, wo an 70000 Farmer mit ihren Familien während der  Ausstellungswoche in Zelten kampieren und studieren, lernen, kaufen und verkaufen  und sich des Lebens freuen. Da sieht man ein Nationalfest, und man sieht, daß  man es mit einer Nation zu tun hat, wo die Landwirtschaft gelehrt wird.

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Wir wissen, daß zwar alle Herrschaft auf Gewalt gegründet ist, daß aber die  Gewalt selbst zu wanken beginnt, sowie sie nicht mehr von einem starken  Glauben an ihr eigenes Recht getragen wird.

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So daß es keine Übertreibung wäre, zu sagen, daß die Franzosen jetzt von  ihrem Boden mindestens sechs- oder siebenmal so viel gewinnen als vor hundert  Jahren. Die „Existenzmittel", die der Boden hergegeben hat, sind also fast  fünfzehnmal schneller gewachsen als die Bevölkerung.

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Es gibt ganze Länder.. Hessen z. B. .. wo man erst zufrieden ist, wenn die Durch  schnittsernte 37 Scheffel bringt, während die Versuchsgüter von Zentralfrankreich  Jahr für Jahr auf großen Landflächen 41 Scheffel auf den Acre produzieren, und eine  Anzahl Güter in Nordfrankreich geben regelmäßig, Jahr für Jahr, 45 bis 68 Scheffel  auf den Acre. Manchmal auf kleinen Gebieten mit besonderer Pflege sind sogar nicht  weniger als achtzig Scheffel erreicht worden.

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Die kleine Insel Jersey, acht Meilen lang und weniger als sechs Meilen breit, ist immer  noch ein Land der Freilandkultur; aber obwohl es nur 28707 Acres umfaßt, einschließlich der Felsen, ernährt es eine Bevölkerung von fast zwei Einwohnern auf den  Acre oder 1300 Einwohnern auf die Quadratmeile, und es gibt nicht einen einzigen  Schriftsteller, der über Landwirschaft geschrieben, der nicht nach einem Besudle dieser  Insel den Wohlstand der Bauern von Jersey rühmt und die erstaunlichen Resultate,  die sie auf ihren kleinen Gütern - zwischen fünf und zwanzig Acres -. sehr oft weniger  als fünf Acres .- durch eine rationelle und intensive Kultur erreichen.
Die meisten Leser werden wahrscheinlich erstaunt sein, wenn sie hören, daß der Boden  von Jersey, der aus verwittertem Granit besteht, mit keinen organischen Stoffen darin,  durchaus nicht von hervorragender Fruchtbarkeit ist und das das Klima, obwohl sonniger  als das Englands, manche Nachteile hat durch die geringe Menge Sonnenhitze im Sommer  und die kalten Winde im Frühjahr. Aber es ist in der Tat so, und zu Beginn dieses  Jahrhunderts lebten die Einwohner von Jersey hauptsächlich von importierten Lebensmitteln. Die Erfolge, die in letzter Zeit in Jersey erreicht wurden, sind völlig der  Arbeitsleistung zu verdanken, die eine dichte Bevölkeruug an das Land gesetzt hat,  einem System des Grundbesitzes, der Landübertragung und Erbschaft, die sehr verschieden -von denen sind, die sonst üblich, der Befreiung von Staatsteuern und  der Tatsache, daß Gemeinschaftseinrichtungen noch vor ziemlich kurzer Zeit bestanden  haben und daß eine Reihe Gemeinschaftsbräue und Gewohnheiten gegenseitiger  Unterstützung, die daher stammen, noch heutigen Tages leben.

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Fünfzig Pfund für landwirtschaftliche Produkte von jedem Acre des Landes ist gut  genug. Aber je mehr wir die moderne Vervollkommnung der Landwirtschaft studieren,  um so mehr sehen wir, daß die Grenzen der Ertragsfähigkeit des Bodens nicht erreicht  werden, auch nicht in Jersey.

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Es geht aus vielen verschiedenen Versuchen (erwähnt in Prof. Garola's vorzüglichem  Buch Le Céréales, Paris 1892) hervor, daß, wenn erprobter Samen von dem nicht mehr  als 6% bei der Aussaat verloren geht) in breitem Wurf gesät wird, so daß 500 Körner  auf den Quadratmeter kommen, von diesen nur 148 Pflanzen geben. jede Pflanze gibt  in diesem Fall zwei bis vier Halme und zwei bis vier Ahren; aber fast 360 Körner  sind völlig verloren.. Wenn in Reihen gesät wird, ist der Verlust nicht so groß, aber  noch immer beträchtlich.




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Fig. 1. Gerstenpflanze mit 110 Halmen, von Major Hallett aus einem einzigen geplanzten Korn erzilt.

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Aber das Wenige, was gesagt worden ist, ist genügend, um zu zeigen, daß wir  kein haben, über Übervölkerung zu klagen, und keinen Grund, sie in  Zukunft zu befürchten. Unsere Mittel, vom Boden alles zu verlangen, was wir  unter Klima und auf Boden, sind in letzter Zeit dermaßen verbessert worden, daß wir jetzt noch nicht vorhersehen können, was  die Grenze der Ertragsfähigkeit eines kleinen Stückes Land ist. Die Grenze verlischt mit unserer besseren Erforschung des Gegenstandes mehr und mehr und jedes Jahr verlieren wir sie mehr aus den Augen.

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Nicht nur die besten Landstriche werden diesem Zweck gewidmet, sondern sogar die Sandwüsten der Ardennen und Torfmoore werden in reiche Gärtnereien verwandelt  namentlich in Haeren werden für denselben Zweck bewässert und weite Ebenen Hier sehen wir eine einzige kleine Gemeinde, die 5500 Tonnen Kartoffeln und Birnen  nach Stratford und Schottland exportiert und für diesen Zweck  im Wert von 4000 ihre eigene Dampferlinie hat.

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Die verschiedenen Tatsachen, die auf den vorstehenden Seiten zusammengestellt worden  sind, machen mit dem Ubervölkerungsschwindel kurzen Prozeß. Gerade in den dichtestbevölkerten Teilen der Welt hat die Landwirtschaft in letzter Zeit solche Riesenschritte  gemacht, wie man es vor zwanzig Jahren schwerlich hätte ahnen können. Eine dichte  Bevölkerung, eine hohe Entwickelung der Landwirtschaft und des Gartenbaues gehen  Hand in Hand: sie sind unzertrennlich. Was die Zukunft angeht, so sind die Möglichkeiten der Landwirtschaft der Art, daß wir in der Tat jetzt nicht vorhersagen können,  was das Maximum der Bevölkerung wäre, die von den Produkten eines bestimmten  Gebiets leben könnte. Neuere Fortschritte, die bereits bis zu hohem Grade erprobt  sind, haben die Grenzen der landwirtschaftlichen Produktion bis zu ganz unerwarteter  Ausdehnung erweitert, und neue Entdeckungen, die jetzt erst in kleinem Maßstab  erprobt sind, versprechen diese Grenzen noch weiter in einem Grade, den wir nicht  kennen, hinauszurücken... Die gegenwärtige Tendenz der wirtschaftlichen Entwickelung in der Welt ist - wie wir  gesehen haben - mehr und mehr jede Nation oder besser: jedes Land -. im geographischen  Sinne genommen - dazu zu bringen, hauptsächlich sich auf die heimische Produktion  aller wichtigen Lebensbedürfnisse zu verlassen. Nicht den Weltverkehr zu verringern,  meine ich, er mag noch wachsen, aber ihn auf den Austausch dessen zu beschränken, was  in der Tat ausgetauscht werden muß, und zugleich den Austausch von Neuheiten, von  lokalen oder nationalen Kunstwerken, neuen Entdeckungen und Erfindungen, Kenntnissen  und Ideen außerordentlich zu steigern. Wenn das die Tendenz der gegenwärtigen Entwickelung ist, das ist nicht der geringste Grund, von ihr beunruhigt zu werden. Es gibt  nicht ein einziges Volk auf der Erde, das mit Hilfe der jetzigen landwirtschaftlichen  Kräfte nicht imstande wäre, auf seinem eigenen Gebiet alle Nahrung und das meiste  der Landwirtschaft entstammende Rohmaterial zu gewinnen, die für seine Bevölkerung  nötig sind, selbst wenn die Bedürfnisse der Bevölkerung sich schnell steigerten,  wie sie es gewiß tun sollten. Wenn wir die Kräfte des Menschen über das, Land und  über die Naturkräfte betrachten .. nicht anders, als wie sie heutzutage sind .dann können wir. behaupten, daß zwei bis drei Einwohner auf jeden bestellbaren  Acre Land noch nicht zu viel wären. Aber weder in dem dichtbevölkerteri England  noch in Belgien sind wir schon bei dieser Zahl angelangt. In Großbritannien kommt, grob gerechnet, ungefähr ein Einwohner auf einen Acre bestellbaren Landes. Nehmen wir also an, jeder Einwohner Großbritanniens wäre genötigt, von den Produkten  seines eigenen Landes zu leben, so wäre alles, was er zu tun hätte, erstens den Boden  seines Landes als gemeinsames Erbe zu betrachten, über das zum Nutzen von Allen  und Jedem bestimmtwerden muß .. das ist selbstverständlich eine unabweisbar notwendige  Bedingung. Und zweitens müßte er seinen Boden bestellen, nicht in irgend außerordentlicher Weise, vielmehr nicht besser als das Land bereits jetzt auf tausenden und  abertausenden von Acres in Europa und Amerika bestellt wird. Er wäre nicht gehalten, irgend welche neue Methoden zu erfinden, sondern könnte einfach die verallgemeinern  und erweitern, die die Probe der Erfahrung bestanden haben. Er kann es tun, und  wenn er es täte, würde er eine ungeheure Menge Arbeit sparen, die jetzt aufgebracht  wird, damit er seine Nahrung im Ausland kauft und all die Zwischenglieder bezahlt,  die von diesem Handel leben. Bei rationeller Kultur können ohne Zweifel die Lebensbedürfnisse und die Luxusgüter, die aus-dem Boden geholt werden müssen, mit viel weniger  Arbeit erlangt werden, als jetzt darauf verwandt wird, diese Annehmlichkeiten zu kaufen.  Ich habe an anderer Stelle (La Conquête du Pain) ungefähre Berechnungen für diese  Behauptungen gegeben, aber an Hand der Tatsachen, die in diesem Buch mitgeteilt sind,  kann jeder sich selbst von der Wahrheit dieser Behauptung überführen. Wenn wir in der  Tat die Mengen Produkte betrachten, die man bei rationeller Kultur erzielt, und wenn wir  sie mit der Menge Arbeit vergleichen, die aufgewandt werden muß, um sie bei unzweckmäßiger Kultur zu erhalten, sie im Ausland zu sammeln, zu transportieren und Heere von  Zwischenhändlern zu erhalten, dann sehen wir-sofort, wie wenige Tage und Stunden bei  richtiger Kultur auf die Gewinnung der menschlichen Nahrung verwandt werden müssen.  Um unsere Kulturmethoden in diesem Maße zu verbessern, haben wir es gewiß nicht  nötig, das Land in kleine Stücke, jedes einen Acre groß, zu teilen und zu versuchen,  unsere Bedürfnisse durch jedermanns besondere individuelle Leistungen zu befriedigen,  auf jedermanns getrenntem Stück Land, mit keinen besseren Geräten als dem Spaten:  unter solchen Umständen würde es uns ganz gewiß nicht gelingen. Die Leute, die so sehr von den erstaunlichen Resultaten, die man in der petite culture  erreicht hat, eingenommen sind, daß sie sich den Kleinbetrieb der französischen Bauern oder  des maraichen als Ideal für die Menschheit vorstellen, sind offenbar auf falschem Wege. Sie sind ebenso sehr wie jede Anhänger des andern Extrems, die jedes Land in eine kleine Zahl  riesenhafter Bonanza-Farmen verwandeln möchten, die von militärisch organisierten, „Arbeitsbataillonen" bestellt werden. In den Bonanza-Farmen ist die Arbeit des Menschen verringert,  aber die dem Boden abgewonnenen Ernten sind bei weitem zu gering, und das ganze System  ?st Raubbau, der sich nicht um die Erschöpfung des Bodens kümmert; während in der petite  culture, auf isolierten kleinen Grundstücken, die durch isolierte Individuen oder Familien  bestellt werden, zu viel menschliche Arbeitskraft verbraucht wird, obwohl die Erträge reich sind. Wirkliches Sparen des Bodens wie der Arbeit erfordert ganz andere Methoden, die  eine Vereinigung der Maschinenarbeit und der Handarbeit vorstellen. In der Landwirtschaft wie überall sonst ist die Vereinigung der Arbeit die einzig vernünftige  Lösung. Zweihundert Familien, jede von fünf Personen,-jede Familie im Besitze von fünf  Acres, ohne gemeinsames Band zwischen -den Familien, die nun gezwungen wären, ihr Leben  zu fristen, jede Familie auf ihren fünf Acres, das ginge fast sicher unglücklich aus. Selbst wenn  wir alle persönlichen Schwierigkeiten beiseite lassen, die aus verschiedener Erziehung  und verschiedenen Neigungen und aus dem Mangel an Kenntnissen hervorgingen, was nun  mit dem Land zu gesehen habe, selbst wenn wir provisorisch annehmen, daß diese Gründe  nicht mitspielen, so würde das Experiment doch fehlschlagen, bloß aus ökonomischen,  aus landwirtschaftlichen Gründen. Diese Organisation könnte eine noch so große Verbesserung -gegenüber den gegenwärtigen Zuständen bedeuten, die Verbesserung wäre nicht  von Dauer; sie wäre einer weiteren Umwandlung unterworfen oder würde verschwinden. Aber wenn sich diese selben zweihundert Familien, sagte wir: als Pächter der Nation  betrachten und die tausend Acres als ihr gemeinsames Pachtgut nähmen - die persönlichen Umstände lassen wir wieder beiseite - dann hätten sie, ökonomisch  gesprochen, vom landwirtschaftlichen Standpunktaus, alle Aussicht auf Erfolg, wenn  sie wissen, was die beste Verwendung des Landes ist. In diesem Falle .würden sie wahrscheinlich vor allen Dingen sich zusammenschließen,  um den Boden, der sofortige Besserung brauchte, fortgesetzt zu verbessern, und  würden es für nötig halten, jedes Jahr mehr davon zu verbessern, bis sie ihn ganz  und gar in einen vollkommenen Zustand gebracht hätten.. Auf einer Fläche von  340 Acres könnten sie sehr leicht alles Getreide - Weizen, Hafer usw. .- das für  die tausend Bewohner wie für ihr Vieh nötig wäre, - gewinnen, ohne daß sie zu  diesem Zweck verpflanzten oder gepflanzten Weizen bauen müßten. Sie könnten  auf 400 Acres, die besonders behandelt und, wenn nötig und möglich, bewässert  würden, alle Hackfrüchte und alles -Futter erlangen, das für die dreißig bis vierzig  Milchkühe nötig wäre, die sie mit Milde und Butter versorgten und die, sagen wir:  300 Stück Vieh, die sie brauchten, um Fleisch zu haben. Auf zwanzig Acres, von  denen zwei unter Glas wären, würden sie mehr Gemüse, Obst und Luxuspflanzen  ziehen, als sie verbrauchen könnten. Und angenommen, zu jedem Hause gehöre  ein halber Acre Land .. für besondere Liebhabereien und zum Vergnügen (Geflügel  oder Blumen und dergleichen) -.- so hätten. sie immer noch 140 Acres für alle möglichen Zwecke: öffentliche Gärten, Plätze, Fabriken und dergleichen. Die Arbeit,  die eine solche intensive Kultur verlangte, wäre nicht die schwere Arbeit des Leibeigenen oder Sklaven. Sie wäre für jeden zu leisten, ob stark oder schwach, Stadtoder Landkind; sie hätte auch überdies viel Reizvolles. Und die Gesamtarbeitsleistung wäre viel geringer als die Arbeitsmenge, die irgend welche tausend Personen,  aus der einen oder der anderen Nation, heute zu leisten haben, um jetzt ihre Nahrung  zu erlangen, die quantitativ und qualitativ viel schlechter ist. Ich meine natürlich  die technisch notwendige Arbeit, ohne die in Betracht zu ziehen, die wir jetzt aufbringen müssen, um unsere Zwischenhändler, Soldaten und dergleichen zu ernähren.  Die Arbeitsleistung, die bei rationeller Kultur notwendig ist, um unsere Nahrung  herzustellen, ist in der Tat so unbedeutend, daß die Bewohner, die wir angenommen  haben, notwendigerweise darauf kommen müßten, ihre Muße in industrieller,  künstlerischer und wissenschaftlicher Betätigung zu verwenden. Vom technischen Standpunkt aus steht einer solchen Organisation nicht das geringste  Hindernis entgegen; sie könnte morgen mit vollem Erfolg ins Leben treten. Die  Hindernisse sind nicht in der Unvollkommenheitder landwirtschaftlichen Technik zu  suchen oder in der Unfruchtbarkeit des Bodens oder im Klima. Sie bestehen lediglich in unseren Einrichtungen, in unsern- Überlieferungen und unserm aus der  Vergangenheit Ererbten -.in den „Gespenstern", die auf uns lasten. Aber bis zu gewissem Grade bestehen sie auch .- die Gesellschaft als Ganzes genommen in unsrer phänomenalen Unwissenheit. Wir zivilisierten Männer und Frauen wissen alles, wir haben feste Meinungen über alles, wir interessieren uns für alles. Wir wissen nur nichts davon, woher das Brot kommt, das wir essen -. selbst wenn wir vorgeben, wir wüßten doch etwas davon .- wir wissen nicht, wie es gewachsen ist, welche Mühsal es denen macht, die es herstellen, was geschehen kann, ihre Mühsal zu verringern, welche Art Menschen die sind, die uns bedeutende Personen ernähren wir sind in diesem Punkte unwissender als Wilde, und wir halten unsere Kinder davon ab, diese Art Wissen zu erlangen, selbst die von unsern Kindern, die solches. Wissen dem Haufen unnützen Krams vorzögen, mit denen sie in der Schule vollgestopft werden.

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Die zwei Schwesterkünste: Landwirtschaft und Industrie waren einander nicht immer so entfremdet, wie sie es heute sind. Es gab eine Zeit, und diese Zeit ist nicht so sehr weit zurück, wo beide eng verbunden waren: da waren die Dörfer die Sitze mannigfaltiger Industrien, und die Handwerker in den Städten hatten die Landwirtschaft nicht aufgegeben; manche Städte waren nichts anderes als Industriedörfer. Wenn die Stadt des Mittelalters die Wiege solcher Industrien war, die an die Kunst grenzten und dazu dienten, die Bedürfnisse der reicheren Klassen zu befriedigen, dann war es immer noch das ländliche Gewerbe, das für die Bedürfnisse der Massen sorgte, wie es noch bis zum heutigen Tage in Rußland und bis zu sehr hohem Grade in Deutschland und Frankreich der Fall ist. Aber dann kam die Wasserkraft, der Dampf, die Entwicklung des Maschinenwesens, und sie brachen die Brücke entzwei, die früher den Bauernhof mit der Werkstatt verbunden hatte. Fabriken kamen auf, und sie entfernten sich aus dem Bereich der Felder. Sie gingen dahin, wo der Verkauf ihrer Produkte am leichtesten war, oder wo die Rohmaterialien und die Feuerung am vorteilhaftesten zu erlangen waren. Neue Städte entstanden, und die alten vergrößerten sich schnell; die Felder waren verödet. Millionen von Arbeitern, die durch nackte Gewalt vom Lande getrieben worden waren, sammelten sich in den Städten auf der Suche nach. Arbeit, und bald vergaßen sie die Bande, die sie einst mit dem Boden vereinigt hatten. Und wir in unserer Bewunderung der Herrlichkeiten, die unter dem neuen Fabriksystem erreicht worden waren, wir übersahen die Vorzüge des alten Systems, wo der, der den Boden bestellte, zu gleicher Zeit industriell tätig war. Wir verdammten all die Zweige der Industrie, die früher in den Dörfern zu blühen pflegten, zum Untergang; wir duldeten keine Industrie, die nicht ein großer Fabrikbetrieb war. Freilich waren die Erfolge, - was die Steigerung der Produktivkraft des Mensen angeht, gewaltig. Aber sie stellten sich als gräßlich heraus, was die Millionen von Menschen angeht, die in unsern Städten dem Elend verfielen und in dürftigster Weise ihr Leben fristen musten. Noch mehr: das System als Ganzes brachte die abnormen Zustände hervor, die ich bemüht war, in den ersten beiden Kapiteln zu skizzieren. Wir sind also in die Enge getrieben; ein gründlicher Wandel in den gegenwärtigen Beziehungen zwischen Arbeit und Kapital wird immer mehr zur gebieterischen Notwendigkeit, und zugleich ist ein Neubau unserer ganzen industriellen Organisation von Grund auf ebenfalls unvermeidlich geworden. Die Industrievölker müssen zur Landwirtschaft zurückkehren, sie sind genötigt, die besten Mittel ausfindig zu machen, sie mit der Industrie zu vereinigen, und das müssen sie tun, ohne Zeit zu verlieren.

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Die Kleingewerbe sind so ein wichtiger Faktor im industriellen Leben auch Großbritanniens,  obwohl viele davon sich in die Städte gezogen haben. Aber wenn wir in Großbritannien so  viel weniger ländliche Industrien finden als auf dem Festland, so dürfen wir uns nicht einbilden, ihr Verschwinden sei allein der schärferen Konkurrenz der Fabriken zu verdanken. Die Hauptursache war die mit Gewalt bewirkte Auswanderung aus den Dörfern. '  Wie Jeder aus Thorold Rogers Werk oder wenigstens aus Toynbees Vorlesungen weiß, war  das Wachstum des Fabriksystems in England eng mit dieser zwangsweise herbeigeführten  Abwanderung verknüpft. Ganze Industrien, die im Lande blühten, wurden durch dieses  Bauernlegen erbarmungslos getötet. Die Werkstätten, noch mehr als die Fabriken, vermehren  sich überall, wo sie billige Arbeit finden; und der besondere Zug Englands ist, daß die  billigste Arbeit - das heißt, die größte Zahl verarmter Menschen - in den Großstädten  zu finden ist.

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Die Zeugenvernehmung vor dem „Sweating System Committee" hat gezeigt, wie sehr die  Möbel- und Konfektionspaläste und die „Bonheur des Dames"-Bazare in London oft bloße  Musterausstellungen oder Verkaufsmärkte der Produkte der Kleinindustrien sind. Tausende  von Schwitzmeistern, von denen einige ihre eigenen Werkstätten haben, während andere bloß  die Arbeit an Unterschwitzer verteilen, die sie wiederum an die Ausgebeuteten verteilen,  versorgen diese Paläste und Bazare mit Waren, die in den Wohnungen der Armen, den „Slums ",  oder in sehr kleinen Werkstätten verfertigt wurden. Der Handel ist in diesen Bazaren  zentralisiert - nicht die Industrie. Die Möbelpaläste und Bazare spielen so die Rolle, die  die Ritterburg früher in der Landwirtschaft spielte: sie zentralisieren die Gewinne -- nicht  die Produktion. In Wirklichkeit ist kein Grund, sich über die Ausdehnung der Kleingewerbe, dicht neben  den großen Fabriken, zu wundern. Sie ist eine wirtschaftliche Notwendigkeit. Daß die  Kleinindustrien von den großen Unternehmungen aufgesogen werden, ist Tatsache; aber  neben diesem Prozeß läuft ein anderer, der in der fortwährenden Erzeugung neuer Industrien besteht, die gewöhnlich in kleinem Maßstab anfangen. Seite 155 Es wird in der Tat geschätzt, daß die Hälfte der Bevölkerung Frankreichs von der Landwirtschaft  lebt und ein Viertel von der Industrie und daß dieser vierte Teil sich gleichmäßig zwischen  die Großindustrie und die Kleingewerbe verteilt, die also demnach etwa 1500000 Arbeitskräfte in Anspruch nähmen und 4-5 Millionen Mensen erhielten. Eine beträchtliche Zahl  Bauern, die eine Kleinindustrie betreiben, ohne die Landwirtschaft aufzugeben, müßten den  ebengenannten Zahlen beigefügt werden, und die Nebenverdienste, die diese Bauern in  der Industrie finden, sind so bedeutend, daß in mehreren Teilen Frankreichs der bäuerliche  Besitz nicht erhalten bleiben könnte, wenn ihnen nicht diese Hilfe von den ländlichen  Industrien käme. Die Kleinbauern wissen, was sie an dem Tage zu erwarten haben, wo sie Fabrikarbeiter in  einer Stadt werden, und solange sie nicht vom Geldverleiher von Land und Hof getrieben  sind und solange die Dorfgerechtsamkeit an den Gemeindeweiden oder dem Gemeindewald nicht verloren gegangen ist, halten sie an der Vereinigung der Industrie und der  Landwirtschaft fest.

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Man kann sogar von Frankreich sagen, was man von Rußland gesagt hat: daß, wenn eine  ländliche Industrie ausstirbt, die Ursache ihres Verfalls viel weniger in der Konkurrenz der  Fabriken zu finden ist -- in zahlreichen Orten wird die Kleinindustrie in solchen Fällen  vollständig modifiziert oder sie schlägt eine andere Richtung ein - als in dem Verfall der  Bevölkerung in ihrer Eigenschaft als Landwirte. Fortwährend sehen wir, daß erst, wenn die Kleinbauern durch eine Reihe von Ursachen als solche ruiniert worden sind - Verlust  von Gemeindewiesen oder abnorm hohe Pacht oder an manchen Orten Zusammenbruch  durch die marchands de bien (Schwindler, die die Bauern verleiten, Land auf Kredit zu  kaufen) oder durch den Bankerott irgend einer Aktiengesellschaft, deren Aktien auch Bauern  eifrig gekauft hatten • daß sie erst dann mit dem Land zugleich die ländliche Industrie  aufgeben und in die Städte ziehen. Andernfalls entsteht immer eine neue Industrie, wenn  die Konkurrenz der Fabrik zu heftig wird - eine erstaunliche, kaum zu erwartende Anpassungsfähigkeit wird dabei von den Kleinindustrien entwickelt; oder aber die ländlichen Handwerker gehen zu einer Form der intensiven Wirtschaft, Gartenbau etc., über, und in der  Zwischenzeit kommt irgend eine andere Industrie zum Vorschein.

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Ein anderes wichtiges Zentrum für ländliche Industrien war in der Nachbarschaft von Rouen,  wo nicht weniger als 110000 Personen 1863 in der Baumwollweberei für die Fabriken der  Stadt, die die Produkte dann fertig machten, tätig waren. Im Tal der Andelle im Departement  Eure war damals jedes Dorf ein industrieller Bienenkarb; jedes Flüßchen wurde benutzt,  um eine kleine Fabrik zu treiben. Reybaud beschrieb die Lage der Bauern, die die Landwirtschaft mit Arbeit in - der ländlichen Fabrik vereinigten, als sehr zufriedenstellend  insbesondere im Vergleich mit der Lage der Bewohner des Armenviertels in Rouen und er  erwähnte sogar einen oder zwei Fälle, wo die Dorffabriken den Dorfgemeinden gehörten.

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Landwirtschaft und Industrie gehen hier Hand in Hand und wie wichtig es ist, diese Vereinigung nicht zu trennen, kann vielleicht am besten in Loudéana, einem Städtchen in der Mitte  der Bretagne (Departement Côtes-du Nord) gesehen werden. Früher trieb man in den  Dörfern dieser Gegend Industrien, indem alle Gehöfte von Webern bewohnt waren, die die  bekannte Bretagner Leinwand herstellten. jetzt sind, da diese Industrie sehr danieder=  gegangen ist, die Weber einfach zum Boden zurückgekehrt. Aus einem Industriestädtchen  ist Loudéana ein landwirtschaftliches Marktstädtchen geworden, und. was sehr interessant  ist: diese Bevölkerung erobert der Landwirtschaft neues Land und verwandelt die früher ganz unfruchtbaren Landesteile in reiche Kornfelder; und an der Nordküste der Bretagne, um Dol  herum, wird jetzt auf einem Boden, den man seit dem 12. Jahrhundert der See abgewonnen  hat, die Handelsgärtnerei in sehr großem Maßstab für den Export nach England betrieben.  Alles in allem bemerkt man mit Erstaunen beim Durchlesen der kleinen Bände Ardouin  Dumazet's, wie Hausindustrien 'mit allen Arten des Kleingewerbes in der Landwirtschaft  Hand in Hand gehen - Gärtnerei, Geflügelzucht, Fabrikation von Obstkonserven und so  weiter, und wie alle Arten von Verkaufs- und Exportgenossenschaften mit Leichtigkeit eingeführt  werden. Mans ist, wie bekannt, ein großes Zentrum für den Export von Gänsen und Geflügel  aller Art nach England.

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In den waldigen Gegenden des Perche und des Maine finden wir alle Arten der Holzindustrie,  die offenbar nur auf Grund des Kommunalbesitzes an den Wäldern bestehen bleiben konnten. In der Nähe des Waldes von Perseigne liegt ein kleines Städtchen, Fresnaye, das völlig von  Holzarbeitern bewohnt ist. „Es gibt da kein einziges Haus", schreibt Ardouin Dumazet, „in  dem nicht Holzwaren fabriziert werden. Vor einigen Jahren war in ihren Erzeugnissen nicht  viel Abwechselung: Löffel, Salzfässer, Schäfereien (als Kinderspiel), Thermometer, verschiedene  Holzteile für Weber, Flöten und Hoboen, Spindeln, Holzmaße, Trichter und Holznäpfe  wurden bloß hergestellt. Aber Paris begehrte tausenderlei Dinge, bei denen Holz mit Eisen  verbunden war: Mausefallen, Garderobehalter, Kompottlöffel, Besen ..... Und jetzt hat  jedes Haus eine Werkstatt, die entweder eine Drehbank enthält oder einige Werkzeugmaschinen, um Holz zu schneiden, Laubsägearbeit zu machen usw. Eine ganz neue Industrie ist entstanden und die zierlichsten Dinge werden jetzt fabriziert. Dank dieser Industrie  ist die Bevölkerung glücklich. Die Einnahmen sind nicht groß, aber jeder hat Haus und  Garten und manchmal ein Stückchen Feld. In Neufchâtel werden Holzschuhe gemacht, und  das Dörfchen hat, wie man uns berichtet, ein sehr freundliches Aussehen. Zu jedem Haus  gehört ein Garten und nichts von dem Elend der Großstadt ist zu sehen.

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Trotz seiner Großindustrie und seinen Kohlengruben hat dieser Teil Frankreichs völlig sein .  ländliches Aussehen bewahrt und ist jetzt einer der bestbewirtschafteten Teile des Landes.  Was die größte Bewunderung verdient, ist -. nicht so sehr die Entwicklung der Großindustrie,  die, alles in allem, hier wie anderswo, bis zu hohem Grade in ihrem Ursprung international  ist - als die schöpferischen und erfinderischen Kräfte und die Anpassungsfähigkeit, die unter  den großen Massen dieser werktätigen Bevölkerung sich zeigt. Bei jedem Schritt, im Feld, in der Gärtnerei, im Obstgarten, in der Milchwirtschaft, in der Technik und ihren hunderten  kleinen Erfindungen -• überall sieht man den schöpferischen Geist des Volkes. In diesen  Gegenden versteht man am besten, warum Frankreich, die Masse der Bevölkerung ins Auge  gefaßt, als reichstes Lahd Europas gilt.

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Aber wo der Geist der Initiative auf dem einen oder andern Wege erweckt worden ist, da  sehen wir die Kleinindustrien in Deutschland einen neuen Aufschwung nehmen; wie wir  es eben hinsichtlich Frankreichs gesehen haben. Nun wird fast für alle Kleingewerbe Deutschlands die Lage der Handwerker und Arbeiter  einmütig als sehr elend geschildert, und die vielen Bewunderer der Zentralisation, die wir  - in Deutschland finden, unterstreichen immer dieses Elend; um das Verschwinden „dieser Reste aus dem Mittelalter" vorherzusagen und zu verlangen. Die Wahrheit ist jedoch, daß  wir, wenn wir die elende Lage der in den Kleingewerben Beschäftigten mit der Lage der  Lohnarbeiter in den Fabriken vergleichen, in denselben Distrikten und denselben Branchen,  daß wir dann sehen, daß unter den Fabrikarbeitern genau dasselbe Elend herrscht. Sie  leben von Löhnen zwischen neun und elf Mark die Woche, in städtischen Mietskasernen  statt auf dem Lande. Sie arbeiten elf Stunden den Tag, und sind noch dem Extraelend  unterworfen, das während der häufig wiederkehrenden Krisen über sie gebracht wird. Erst  nachdem sie alle Arten Elend im Kampf gegen die Unternehmer auf sich genommen haben,  gelingt es einem Teil der Fabrikarbeiter mehr oder weniger, hie und da, ihren Unternehmern  einen Lohn, von dem man leben kann, zu entreißen • und auch das nur in bestimmten Branchen.  Dies Elend zu begrüßen, in ihm die Wirksamkeit eines „Naturgesetzes" und einen notwendigen Schritt in der Richtung nach der notwendigen Konzentration der Industrie zu  sehen, wäre einfach absurd. Zu behaupten nämlich, daß die Verarmung aller Handwerker und  das Zugrundegehen aller Dorfindustrien ein notwendiger Schritt zu einer höheren Form der  industriellen Produktion wäre, das hieße nicht nur viel mehr behaupten, als man beim  gegenwärtigen unvollkommenen Stand des ökonomischen Wissens zu behaupten befugt ist,  sondern auch eine vollständige Verständnislosigkeit für die Naturgesetze und ökonomischen  Gesetze an den Tag legen. Im Gegenteil, jeder, der die Frage des Anwachsens der Großindustriellen besonders studiert hat, muß zweifellos Thorold Rogers zustimmen, der der  Meinung war, das Elend, das den Arbeiterklassen zu diesem Zweck zugefügt wurde, sei  nicht im geringsten notwendig gewesen und nur auferlegt worden, um den vorübergehenden Interessen der Wenigen zu dienen - keineswegs denen der Nation.

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Die moderne Fabrik zu idealisieren, um die sogenannten „mittelalterlichen" Formen der  Kleinindustrie herabzusetzen, ist natürlich - um das mildeste Wart anzuwenden - ebenso  unvernünftig, wie letztere zu idealisieren und zu versuchen, die Menschheit zur isolierten Hausspinnerei und Hausweberei in jedem Bauernhaus zurückzubringen. Eine Tatsache  beherrscht alle Untersuchungen, die über die Lage der Kleinindustrie angestellt worden sind.  Wir finden sie in Deutschland ebenso wie in Frankreich oder in Bußland. In einer außerordentlich großen Zahl Gewerben ist es nicht die Dberlegenheit der technischen  Organisation des Gewerbes in einer Fabrik und nicht die Ersparnisse an arbeitender Kraft,  die gegen die Kleinindustrien zugunsten der Fabriken wirken, sondern die vorteilhafteren  Bedingungen für den Verkauf der Produkte und für den Einkauf der Rohprodukte, die  von großen Geschäften bewerkstelligt werden. Überall, wo diese Schwierigkeit überwänden  worden ist, entweder vermittelst der Genossenschaft oder dadurch, daß für den Verkauf  der Produkte ein sicherer Markt zur Verfügung steht, hat man gefunden - erstens, daß die  Lage der Arbeiter oder Handwerker sich sofort verbesserte, und zweitens, daß die technische  Seite der Industrie sehr rasche Fortschritte machte: neue Verfahren wurden eingeführt, um  die Produkte zu verbessern oder die Schnelligkeit der Herstellung zu erhöhen; neue Werkzeugmaschinen wurden erfunden oder neue Motoren wurden eingeführt, oder das Gewerbe  wurde so reorganisiert, daß die Produktionskosten sich verringerten.

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Wenn man mit mehr als oberflächlicher Aufmerksamkeit das Leben der Kleinindustrien und  ihren Kampf ums Dasein untersucht, dann sieht man, daß, wenn sie untergehen, dies nicht  daher kommt, daß „durch Benutzung eines Motors mit hundert Pferdekräften anstatt von  hundert kleinen Motoren eine Ersparnis bewirkt werden kann" - dieser Umstand wird  unentwegt angeführt, obwohl man ihm in Sheffield, in Paris und vielen anderen Plätzen  dadurch begegnet, daß man Werkstätten mit Dampfkraft mietet und noch mehr, wie sehr  richtig von Prof. Unwin bemerkt wurde, durch die elektrische Kraftübertragung. Sie gehen  nicht unter, weil eine materielle Ersparnis in der fabrikmäßigen Produktion erzielt werden  kann - in viel mehr Fällen, als gewöhnlich angenommen wird, steht die Sache sogar umgekehrt - sondern weil der Kapitalist, der eine Fabrik errichtet, sich von den Groß- und  Kleinhändlern in Rohmaterialien emanzipiert, und hauptsächlich, weil er sich von den Käufern seiner Produkte emanzipiert und direkt mit dem Großkäufer und Exporteur in Beziehungen  tritt, oder aber er konzentriert die verschiedenen Fabrikationsstadien _ eines bestimmten  Produktes in einen Betrieb.

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Ihre gegenwärtigen Erfolge dagegen erklären sich vollständig aus dem Netzwerk von Konsumgenossenschaften, die zu ihrer Verfügung stehen. Der Verkauf ist vereinfacht worden und  die Produktion ist möglich geworden: dadurch, daß zuerst der Markt organisiert wurde. Das  sind ein paar Schlüsse, die aus einem Studium der Kleinindustrien in Deutschland und  anderswo gewonnen werden können. Und es kann hinsichtlich Deutschlands getrost gesagt  werden: wenn nicht Maßregeln getroffen werden, die die Bauern dermaßen von ihrem Land  vertreiben, wie es in England der Fall war, wenn sich im Gegenteil die Zahl der kleinen Grundbesitzer vermehrt, dann werden sie sich notwendigerweise neben der Landwirtschaft  verschiedenen Kleinindustrien zuwenden, wie sie es in Frankreich getan haben und noch  tun. *jeder Schritt, der getan werden kann, entweder zur Erweckung des geistigen Lebens  in den Dörfern oder zur Sicherung der Rechte des Bauern oder der Landwirtschaft auf Grund  und Boden, wird notwendigerweise das Wachstum der Industrien in den Dörfern fördern.

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Die unfruchtbaren Provinzen Zentralrußlands .sind seit undenklichen Zeiten der Sitz von  allen möglichen Kleingewerben gewesen, doch verschiedene Hausindustrien modernen  Ursprungs sind gerade in den Provinzen in der Entwicklung begriffen, die nach Boden und  Klima sehr günstig daran sind. So ist der Regierungsbezirk Stawropol im Nordkaukasus,  wo die Bauern eine Menge fruchtbaren Boden haben, der Sitz einer weitverbreiteten Seidenweberei in den Bauernhäusern geworden und versorgt Rußland mit billigen Seidenstoffen,  die die früher aus Frankreich bezogenen einfachen Seidenwaren völlig vom Markt verdrängt  haben. In Orenburg und am Schwarzen Meer ist die kleinindustrielle Fabrikation landwirtschaftlicher Geräte, die in letzter Zeit hochkommen, ein anderes hierher gehöriges Beispiel.  Die Fähigkeiten der russischen Hausindustriearbeiter zur genossenschaftlichen Organisation  verdienten mehr als eine flüchtige Erwähnung. Was die Billigkeit der in den Dörfern  hergestellten Produkte angeht, die wirklich erstaunlich ist, so kann sie nicht lediglich durch  die außerordentlich lange Arbeitszeit und die Hungereinnahmen erklärt werden, weil Ueber,  arbeit (12 bis 16 Arbeitsstunden) und sehr niedrige Löhne für die russischen Fabriken  ebenfalls charakteristisch sind. Sie kommt auch von dem Umstand, daß der Bauer, der seine  Lebensmittel selbst erntet, aber dem es fortwährend an Geld fehlt, die Produkte seiner  industriellen Arbeit zu jedem Preise verkauft. Daher sind alle Industrieprodukte, die die  russischen Bauern benutzen, außer der bedruckten Baumwolle, das Produkt ländlicher  Industrien. Aber außerdem werden auch viele Luxusartikel auf den Dörfern, besonders um  Moskau herum, von Bauern hergestellt, die fortfahren, ihre Grundstücke zu bestellen. Die  Seidenhüte, die in den feinsten Moskauer Läden verkauft werden und den Stempel  „Nouveautés Parisiennes" tragen, sind von den Moskauer Bauern gemacht; und desgleichen  die „Wiener" Möbel der besten „Wiener" Geschäfte, selbst wenn sie in Paläste verkauft  werden. Und was am meisten erstaunlich ist, das ist nicht die Handfertigkeit der Bauern -.  Feldarbeit ist kein Hindernis für die Erlangung industriellen Geschicks - sondern  die Schnelligkeit, mit der sich die Fabrikation feiner Artikel in solchen Dörfern verbreitet  hat, die früher nur Waren der rohesten Art hergestellt hatten. Hinsichtlich der Beziehungen zwischen Landwirtschaft und Industrie kann man die von den  russischen Statistikern gesammelten Dokumente nicht durchgehen, ohne zu dem Schluß zu  kommen, daß die Hausindustrie ganz gewiß die Landwirtschaft nicht schädigt, sondern im  Gegenteil das Mittel ist, sie zu verbessern, und das um so mehr, als der russische Bauer  mehrere Monate im Jahr nichts in den Feldern zu tun hat. Es gibt Gegenden, wo die  Landwirtschaft um der Industrie willen völlig aufgegeben wurde, aber dies sind Gegenden,  wo sie unmöglich gemacht war durch die sehr kleinen Anteile, die den befreiten Leibeigenen  bewilligt wurden, und insbesondere durch die schlechte Beschaffenheit oder den gänzlichen  Mangel von Wiesen, und ferner durch die allgemeine Verarmung der Bauern infolge hoher  Besteuerung und sehr Scher Ablösungstaxen. Aber überall, wo die Anteile genügend und  die Bauern nicht so sehr hoch eingeschätzt sind, fahren sie fort, das Land zu bestellen und  ihre Felder werden in besserer Ordnung gehalten und auch die Durchschnittszahl ihres  Viehstandes ist höher, wo die Landwirtschaft in Verbindung mit Hausindustrien betrieben wird. Selbst solche Bauern, deren Anteile klein sind, finden die Mittel, mehr Land zu  pachten, wenn sie aus ihrer industriellen Arbeit etwas Geld einnehmen. Was den verhältnismäßigen Wohlstand -angeht, so braue ich kaum hinzuzufügen, daß er immer auf  der Seite der Dörfer sich befindet, die beiderlei Arbeit verbinden. Vorsma und Pawlowo -.  zwei Messerschmiededörfer, von denen eines rein industriell ist, während die Einwohner  des andern fortfahren, den Boden zu beackern -- könnten als treffendes Beispiel für solche  Vergleichung genannt werden.

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Die Tatsachen, die- wir kurz durchgegangen sind, zeigen einigermaßen die Vorteile,  die aus einer Verbindung zwischen Landwirtschaft und Industrie entspringen könnten,  wenn die Industrie nicht in ihrer gegenwärtigen Gestalt einer Kapitalisten-Fabrik, sondern in Gestalt einer sozial organisierten industriellen Produktion aufs Dorf käme mit voller Unterstützung durch Maschinerie und technisches Wissen. In der Tat ist  es der auffallendste Zug der Kleingewerbe, daß ein relativer Wohlstand nur gefunden  wird, wo sie mit der Landwirtschaft verbunden sind: wo die Arbeiter im Besitz  des Bodens geblieben sind und fortfahren, ihn zu bestellen. Selbst unter den  Webern Frankreichs oder Moskaus, die mit der Konkurrenz der Fabrik zu rechnen  haben, herrscht relativer Wohlstand, solange sie nicht gezwungen sind, den Boden  zu lassen. Sowie anderseits hohe Steuern oder die Verarmung während einer Krise  den Hausarbeiter genötigt hat, sein letztes Stückchen Land dem Wucherer zu lassen,  schleicht das Elend in sein Haus. Der Schwitzer wird allmächtig, man hilft sich mit  fürchterlicher Uberarbeit und das Gewerbe geht oft zu Grunde.

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Aber es erhebt sich die Frage: Warum sollten nicht die Baumwollstoffe, das Wolltuch und  die Seidenwaren, die jetzt in den Dörfern mit der Hand gewebt werden, in denselben  Dörfern mit der Maschine gewebt werden, ohne daß die Dorfbewohner darum aufhören,  mit Feldarbeit in Verbindung zu bleiben? Warum sollten nicht hunderte von Hausindustrien,  die jetzt gänzlich mit der Hand betrieben werden, zu den arbeitsparenden Maschinen übergehen, wie sie es bereits in den Strickereigewerben und vielen andern tun? Es gibt keinen  Grund, warum nicht der kleine Motor viel allgemeiner als jetzt überall da verwendet  werden könnte, wo es nicht not tut, eine Fabrik zu haben; und ebenso gibt es keinen Grund,  warum nicht das Dorf seine kleine Fabrik überall da haben sollte, wo die Fabrikarbeit  vorzuziehen ist, wie wir es jetzt schon manchmal in französischen Dörfern finden. Noch  mehr: es gibt keinen Grund, warum nicht die Fabrik, mit ihrer motorischen Kraft und ihrer  Maschinerie, der Gemeinde gehören sollte, wie es schon hinsichtlich der Kraftanlage in den  oben erwähnten Werkstellen und kleinen Fabriken in dem französischen Teil des Jura der  Fall ist. Es ist offenbar, daß jetzt, unter dem kapitalistischen System, die Fabrik der Fluch  des Dorfes ist, da sie es dahin bringt, daß die Kinder sich überarbeiten und die männlichen  Einwohner verarmen; und es ist ganz natürlich, daß die arbeitende Bevölkerung sich ihr in  jeder Weise entgegenstemmt, wenn es ihr gelungen ist, die altüberlieferten Organisationen  ihrer Gewerbe zu erhalten (wie in Sheffield oder Solingen), oder wenn sie bisher noch  nicht dem nackten Elend preisgegeben sind (wie im Jura). Aber unter einer rationelleren  sozialen Organisation würde die Fabrik auf keine solchen Hindernisse stoßen: sie wäre ein  Segen für das Dorf. Und es ist schon jetzt eine unverkennbare Tatsache, daß eine Bewegung  in dieser Richtung in einigen Dorfgemeinden bereits im Gange ist. Die moralischen und physischen Vorteile, die sich für den Menschen aus einer Teilung  seiner Arbeit zwischen Acker und Werkstatt ergeben würden, liegen auf der Hand. Aber  die Schwierigkeit liegt, so sagt man uns, in der notwendigen Zentralisation der modernen  Industrien. In der Industrie wie in der Politik hat die Zentralisation so viele Verehrer!  Aber auf beiden Gebieten bedarf das Ideal der, Zentralisten dringend der Korrektur.  Wenn wir in der Tat den modernen Industrien auf den Grund gehen, dann finden wir bald  heraus, daß für einige allerdings das Zusammenarbeiten von hunderten oder sogar tausenden  auf demselben Fleck wirklich notwendig ist. Die großen Eisenwerke und Bergwerks,  unternehmen gehören 'entschieden zu dieser Kategorie; Ozeandampfer können nicht in  dörflichen Fabriken gebaut werden. Aber sehr viele unserer großen Fabriken sind nichts  anderes als Ansammlungen mehrerer verschiedener Industrien unter gemeinsamer Leitung;  während viele andere bloße Ansammlungen von hunderten von Exemplaren derselben  Maschine sind; so sind die meisten unserer riesenhaften Spinnereien und Webereien. Da die Fabrik ein streng privates Unternehmen ist, finden' es ihre Eigentümer vorteilhaft, alle  Zweige einer bestimmten Industrie unter ihrer eigenen Leitung zu haben; so häufen sie  die Gewinne aus den verschiedenen Verwandlungen des Rohmaterials. Und wenn mehrere  tausend mechanische Webstühle . in einer Fabrik vereinigt sind, findet der Unternehmer  seinen Vorteil dabei, da er dadurch imstande ist, den Markt zu beherrschen. Aber vom  technischen Standpunkt aus sind die Vorteile einer solchen Häufung unbedeutend und oft  zweifelhaft. Selbst eine so zentralisierte Industrie wie die Baumwollbranche leidet nicht  im geringsten darunter, daß der Produktionsprozeß einer bestimmten Warengattung in seinen  verschiedenen Stadien unter mehrere getrennte Fabriken verteilt wird: wir sehen es in  Manchester und seinen Nachbarstädten. Was das Kleingewerbe angeht, so hat man in einer  noch größeren Unterteilung bei den Werkstätten in der Uhrenindustrie und sehr vielen  andern keinen Nachteil finden können. Wir hören oft, eine Pferdekraft sei in einer kleinen  Maschine so teuer, und in einer zehnmal so starken Maschine so viel billiger; das Pfund  Baumwollgarn koste viel weniger, wenn die Fabrik die Zahl ihrer Spindeln verdoppele.  Aber nach der Meinung der besten Autoritäten im Ingenieurfach, wie z. B. Professor W.Unwin,  beseitigt die hydraulische und besonders die elektrische Kraftübertragung von einer Zentral,  station aus den ersten Teil des Argumentes. Was den zweiten Teil angeht, so taugen  Berechnungen dieser Art nur etwas für die Industrien, die das halbfertige Produkt für weitere  Umwandlungen herstellen. Was die zahllosen Warengattungen angeht, deren Wert hauptsächlich aus der Mitwirkung gelernter Arbeit stammt, so können sie am besten in kleineren  Fabriken hergestellt werden, die ein paar Hundert oder auch ein paar Dutzend Arbeiter  beschäftigen. Selbst unter den jetzigen Zuständen haben die Riesenfabriken große  Unzuträglichkeiten im Gefolge, da sie ihre Maschinerie nicht schnell den stets wechselnden  Anforderungen der Abnehmer entsprechend umwandeln können. Wie viele Zusammen,  brüche großer Unternehmungen sind auf diese Ursache zurückzuführen! Was die neuen  Industriezweige angeht, die ich zu Anfang des vorigen Kapitels erwähnt habe, so müssen  sie immer in kleinem Maßstab anfangen; und sie können im kleinen Städten ebensogut  vorwärts kommen, wie in der Großstadt, wenn die kleineren Gemeinwesen Einrichtungen  haben, die den künstlerischen Geschmack und die Erfindungsgabe anregen. Der Fortschritt  der in letzter Zeit in der Spielwarenindustrie erreicht wurde, ferner die hohe Vollendung, zu der die Fabrikation physikalischer und optischer Instrumente, die Möbelindustrie, die  Herstellung kleiner Luxusartikel, die Töpferei gelangte, sind hierher gehörige Beispiele.  Kunst und Wissenschaft sind nicht länger das Monopol der Großstädte, und in ihrer Zerstreuung  über das ganze Land werden weitere Fortschritte gemacht werden. Die geographische Verteilung der Industrien in einem bestimmten Lande hängt offenbar zu  großem Teil von einem Zusammentreffen von Naturbedingungen ab; es ist offenbar, daß es  Orte gibt, die für die Entwicklung bestimmter Industrien am besten geeignet sind. Die  Ufer des Clyde und des Tyne sind sicher für Schiffsbauwerften hervorragend geeignet, und  solche Werften müssen von einer Menge Werkstätten und Fabriken umgürtet werden.  Die Industrien werden immer gewisse Vorteile daran finden, bis zu einer bestimmten Grenze  den natürlichen Eigenschaften bestimmter Gegenden entsprechend sich zu gruppieren. Aber  wir müssen zugeben, daß sie jetzt nicht diesen Eigenschaften gemäß gruppiert sind. Historische  Ursachen - hauptsächlich Religionskriege und nationale Eifersucht - haben zu ihrem Wachsen  und ihrer gegenwärtigen Verteilung viel beigetragen, und noch mehr Erwägungen, die sich  auf die Leichtigkeit des Verkaufs und Exports beziehen; also Erwägungen, die eb,en dabei  sind, ihren Wert mit der wachsenden Erleichterung des Transports zu verlieren, und die  ihn noch mehr verlieren werden, wenn die Produzenten für sich selbst produzieren und nicht für weit entfernte Abnehmer. Warum soll in einer vernünftig organisierten Gesellschaft  London ein großes Zentrum der Marmeladen- und Konservenfabrikation bleiben, warum soll  es Schirme für fast das ganze Vereinigte Königreich herstellen? Warum sollen die zahllosen  Kleingewerbe Whitechapels bleiben, wo sie sind, anstatt sich über das ganze Land zu  zerstreuen? Es liegt nicht der geringste Grund vor, warum die Mäntel, die die englischen  Damen tragen, in Berlin und Whitechapel eher als in Devonshire oder Derbyshire genäht  werden sollen. Warum soll Paris den Zucker für fast ganz Frankreich raffinieren? Warum  soll die Hälfte der Schuhe und Stiefel, die in in den Vereinigten Staaten getragen werden,  in den 1500 Werkstätten von Massachusetts hergestellt werden? Es gibt absolut nicht den geringsten Grund, warum diese und ähnliche Sinnlosigkeiten bestehen bleiben sollen.  Die Industrien' müssen sich über die ganze Welt verstreuen, und ihrer Zerstreuung  urfiter alle zivilisierten Nationen wird eine weitere Zerstreuung innerhalb des Gebietes  einer jeden Nation notwendig folgen.

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Die Landwirtschaft kann nicht ohne. Extrakräfte im Sommer betrieben werden; aber noch  mehr braucht sie vorübergehende Hilfskräfte für die Verbesserung des Bodens, für die  Verzehnfachung seiner Ertragsfähigkeit. Der Dampfpflug, die Drainage und die Düngung  würden den schweren Lehm im Nordwesten Londons zu einem viel reicheren Boden machen, als es der in den amerikanischen Prärien ist. Um fruchtbar zu werden, braucht dieser Boden  nur einfache, ungelernte Menschenarbeit, wie sie erforderlich ist, um den Boden umzugraben,  Drainagerohre anzulegen, Phosphorfite zu pulverisieren und dergl.; und diese Arbeit würde  von den Fabrikarbeitern mit Freude getan werden, wenn sie in einer freien Gemeinschaft  zum Nutzen der ganzen Gesellschaft richtig organisiert wären. Der Boden verlangt diese  Hilfe, und er hätte sie in einer richtigen Organisation, selbst wenn es notwendig wäre,  manche Werke zu diesem Zweck im Sommer zu schließen. Ohne Zweifel würden es die  jetzigen Fabrikbesitzer für ihren Ruin halten, wenn sie ihre Werke mehrere Monate im  Jahr schließen müßten, weil von dem Kapital, das in einer Fabrik angelegt ist, erwartet  wird, daß es jeden -Tag und, wenn möglich, jede Stunde Geld heckt. Aber, das ist der  Gesichtspunkt des Kapitalisten, nicht der Gemeinschaft. Was die Arbeiter angeht, die die wirklichen Leiter der Industrien sein  sollten, so werden sie es gesund finden, nicht dieselbe monotone Arbeit das ganze  Jahr über zu verrichten, sie werden sie im Sommer gern verlassen, wenn sie nicht  etwa Mittel und Wege finden, den Betrieb der Fabrik aufrecht zu erhalten, indem  sie einander gruppenweise ablösen. Die Verteilung der Industrien über das Land .. sodaß die Fabrik mitten zwischen die Felder  gestellt wird, daß die Landwirtschaft alle die Vorteile genießt; die sie immer in der Verbindung  mit der Industrie findet (siehe die Oststaaten Amerikas) und daß eine Vereinigung von In- dustriearbeit und Landarbeit hergestellt wird .. das ist fraglos der nächste Schritt, der getan  wird, sowie eine Reorganisation unserer gegenwärtigen Zustände möglich ist. Man fängt jetzt  schon an, ihn zu tun, wie wir auf den vorhergehenden Blättern sahen. Diesen Schritt legt  die Notwendigkeit auf, für die Produzenten selbst zu produzieren; ihn legt die Notwendigkeit  auf, daß jeder gesunde Mensch einen Teil seines Lebens mit Handarbeit in freier Luft verbringen  soll; und er wird erst recht notwendig werden, wenn die großen sozialen Umwälzungen,  die nun unvermeidlich geworden sind, den internationalen Handel unserer Zeit in Unordnung  gebracht haben werden, so daß jedes Volk gezwungen wird, zu seiner Erhaltung zu den eigenen  Quellen zurückzukehren. Die Menschheit im ganzen wie jedes einzelne Individuum werden bei dem Wandel gewinnen und der Wandel wird eintreten. Indessen schließt eine solche Umwandlung auch eine vollständige Änderung in unserem gegenwärtigen Erziehungssystem ein.  Sie bedeutet eine Gesellschaft, die aus Männern und Frauen zusammengesetzt ist, von denen  jeder und Jede imstande ist, mit eigenen Händen wie mit eigenem Hirn zu arbeiten, und  das in mehr als einer Richtung zu tun.

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In alten Zeiten verachteten die Männer der Wissenschaft und insbesondere solche, die am  meisten getan haben, um die allgemeine Naturwissenschaft hochzubringen, keineswegs Hand  arbeit und Handwerk. Galilei machte seine Fernrohre eigenhändig. Newton lernte in seiner  Jugend die Kunst, mit Werkzeug umzugehen.

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Kurz, unsern großen Genies war das Handwerk kein Hindernis für abstrakte Untersuchungen ..  es begünstigte sie eher. Wenn anderseits die Handwerker von ehedem nur wenig Gelegenheit  fanden, sich wissenschaftlich zu betätigen, so war doch wenigstens vielen von ihnen der Verstand  gerade durch die Vielseitigkeit der Arbeit angeregt, die in den damals noch nicht spezialisierten Werkstätten vollbracht wurde.

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Kurz, es gibt nicht eine einzige Wissenschaft, deren Entwicklung nicht unter einem Mangel  an Männern und Frauen leidet, die einen philosophischen Begriff vom Weltall haben und bereit  sind, ihre Forschergaben einem bestimmten, wenn schon begrenzten, Gebiet zuzuwenden, und  die Muße haben, sich wissenschaftlicher Betätigung zu widmen. In einer Gemeinschaft, wie  wir sie annehmen, wären tausende Arbeiter bereit, jedem Aufruf zur Forschung Folge zu  leisten. Darwin verwandte fast dreißig Jahre dazu, für die Ausarbeitung der Theorie vom  Ursprung der Arten Tatsachen zu sammeln und zu untersuchen.

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Die Geschwindigkeit des wissenschaftlichen Fortschrittes wäre verzehnfacht, und wenn das  Individuum nicht dieselben Ansprüche wie jetzt auf die Dankbarkeit der Nachwelt hätte, so  hätte dafür die unbekannte Masse das Werk mit größerer Schnelligkeit und mit mehr Aussicht  auf weiteren Fortschritt vollbracht, als das Individuum sein ganzes Leben lang hätte tun können.  Die modernen Nachschlagewerke sind ein Beispiel für diese Art Arbeit - die Arbeit der Zukunft.  Es gibt jedoch noch einen andern Zug der modernen Wissenschaft, der noch stärker zugunsten  der Umbildung spricht, für die wir eintreten. Während die Industrie, besonders am Ende des vorigen und während des ersten Teils dieses Jahrhunderts in solchem Maße Erfindungen  gemacht hat, daß geradezu das Aussehen der Erde verändert worden ist, hat die Wissenschaft  ihre Erfinderkraft verloren. Die Männer der Wissenschaft erfinden nicht mehr oder sehr wenig.  Ist es nicht äußerst auffallend, daß die Dampfmaschine - ja sogar ihr Prinzip - die Lokomotive,  das Dampfschiff, das Telephon, der Phonograph, die Webmaschine, die Spitzenmaschine, der  Leuchtturm, die macadamisierte Straße, die Photographie, die Farbenphotographie und tausend  weniger wichtige Dinge nicht von berufsmäßigen Männern der Wissenschaft erfunden wurden,  obwohl keiner von ihnen sich geweigert hätte, seinen Namen mit einer der obengenannten  Erfindungen zu verknüpfen? Männer, die kaum ein bißchen Schulbildung erhalten hatten, die  bloß die Krumen des Wissens von den Tischen der Reichen aufgelesen hatten und die ihre  E)cperimente mit den primitivsten Mitteln anstellten -. der Schreiber eines Rechtsanwalts,  Smeaton, der Instrumentenmacher Watt, Stephenson, der die Fördermaschine bediente, der  Juwelierlehrling Fulton, der Maschinenbauer Rennie, der Maurer Telford und hundert andere,  deren Namen sogar unbekannt geblieben sind, waren, wie Mr. Smiles richtig sagt, „die eigentlichen Schöpfer der modernen Kultur"; während die berufsmäßigen Männer der Wissenschaft,  die alle Mittel besaßen, um sich Wissen und Erfahrung anzueignen, in der ungeheuren Reihe von Geräten, Maschinen und Triebwerken, die der Menschheit gezeigt hat, wie die Naturkräfte  zu benutzen und anzuwenden sind, wenig erfunden haben. Die Tatsache ist auffallend, aber ihre Erklärung sehr einfad; die Watts und die Stephensons - kannten etwas, was die Gelehrten nicht kennen: den Gebrauch ihrer Hände; ihre Umgebung regte ihre Erfinderkraft  an; sie kannten Maschinen, ihr Prinzip und ihre Arbeit; sie hatten die Luft der Werkstatt  und des Bauhofes geatmet.

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Der Name „angewandte Wissenschaft" ist ganz irreführend, weil in der großen Mehrheit der  Fälle die Erfindung durchaus keine Anwendung der Wissenschaft ist, sondern im Gegenteil  einen neuen Zweig der Wissenschaft erzeugt.

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...aber in der ungeheuren Mehrheit der Fälle ist die Entdeckung oder die Erfindung in  ihrem Anfang unwissenschaftlich. Sie gehört viel eher ins Gebiet der Kunst -. die Kunst  geht der Wissenschaft voraus, wie Helmholtz in einem seiner populären Aufsätze so schön  gezeigt hat - und erst nachdem die Erfindung gemacht ist, kommt die Wissenschaft und  interpretiert sie.

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Der geniale Flug, der die Arbeiter im Beginn der modernen Industrie ausgezeichnet hat, ist  unsern berufsmäßigen Männern der Wissenschaft abhanden gekommen. Und sie werden ihn  nicht wieder gewinnen, solange sie der Welt inmitten ihrer staubigen Bücherregale fremd  bleiben; solange sie nicht selbst Arbeiter sind, mitten unter andern Arbeitern, bei der Glut  des Hochofens, bei der Maschine in der Fabrik, bei der Drehbank in der Schlosserwerkstatt;  Seeleute unter Seeleuten und Fischer im Fischerboot, Holzfäller im Wald, Pflüger des Acker,  bodens. Unsere Kunstschriftsteller haben uns in jüngster Zeit wiederholt versichert, daß wir  keinen neuen Aufschwung der Kunst erwarten dürfen, solange das Handwerk bleibt, was  es ist; sie haben gezeigt, wie die griechische und mittelalterliche Kunst Töchter des Handwerks waren, wie sie einander gegenseitig nährten. Dasselbe gilt für Handwerk und Wissenschaft; ihre Trennung ist der Verfall beider. Was die große Inspiration angeht, die leider  ich den meisten jüngst gepflogenen Diskussionen über die Kunst unbeachtet geblieben ist  und sie ist der Wissenschaft ebenso abhanden gekommen - so kann ihre Wiederkehr nur  erwartet werden, wenn die Menschheit ihre gegenwärtigen Fesseln zerreißt, sich von neuem  auf die hohen Prinzipien der Solidarität besinnt und den jetzigen Zwiespalt zwischen Moral  und Philosophie entfernt. Es ist indessen klar, daß nicht alle Männer und Frauen sich in gleicher Weise der wissenschaftlichen Tätigkeit erfreuen können. Die Verschiedenheit der Neigungen ist so groß, daß  manche mehr Freude an der Wissenschaft haben, manche andere an der Kunst und wieder  andere an einem der zahllosen Berufe der Güterproduktion. Aber mögen die Beschäftigungen,  die Jeder vorzieht, noch so verschieden sein, Jeder wird in seinem Beruf um so nützlicher  sein, je mehr er im Besitz einer ernsthaften wissenschaftlichen Bildung ist. Und wer er auch.  sei .- Gelehrter oder Künstler, Physiker oder Arzt, Chemiker oder Soziologe, Historiker oder  Dichter - er würde gewinnen, wenn er einen Teil seines Lebens in der Werkstatt oder der  Landwirtschaft verbrächte (der Werkstatt und der Landwirtschaft), wenn er mit der Menschheit  in ihrer täglichen Arbeit verbunden bliebe und die Genugtuung hätte, zu wissen, daß er  selbst seine Pflicht als nichtprivilegierter Produzent von Gütern erfüllt. Wieviel besser würden  der Historiker und der Soziologe die Menschheit verstehen, wenn sie sie nicht bloß aus Büchern,  nicht in wenigen Vertretern, sondern als Ganzes in ihrem täglichen Erleben kennten! Wieviel  mehr noch würde die Medizin der Hygiene vertrauen, und wieviel weniger den Rezepten,  wenn die jungen Arzte die Pfleger der Kranken wären und die Pfleger die Erziehung der  Arzte unserer Zeit erhielten! Und wie sehr würde der Dichter in seinem Gefühl für die  Schönheit der Natur gewinnen, wieviel besser würde er das Menschenherz kennen, wenn  der Sonnenaufgang ihn, der selbst ein Pflüger wäre, unter den Pflügern auf dem Felde träfe, wenn er mit den Seeleuten auf dem Schiff gegen den Sturm kämpfte, wenn er die Poesie  der Arbeit und des Ausruhens der Sorgen und der Freuden des Kampfes und der Eroberung  kennte! Greift nur hinein ins volle Menschenleben! sagte Goethe; ein jeder lebt's • nicht  Vielen ist's bekannt. Aber wie wenig Dichter folgen seinem Ratel Die sogenannte Teilung der Arbeit .ist unter einem System groß geworden, das die Massen  dazu verdammte, den ganzen langen Tag und das ganze lange Leben sich mit derselben ermüdenden Arbeit abzuquälen. Aber wenn wir erwägen, wie gering die Zahl der wirklichen  Güterproduzenten in unserer Gesellschaft ist, und wie ihre Arbeit vergeudet wird, dann  müssen wir einsehen, daß Franklin recht hatte, als er sagte, fünf Arbeitsstunden am Tage  würden im allgemeinen genügen, um jedes Mitglied eines Kulturvolkes mit den Annehmlichkeiten zu versorgen, die jetzt nur den Wenigen erreichbar sind, vorausgesetzt, daß jeder  in der Produktion, soweit auf ihn kommt, seine Schuldigkeit tut. Aber wir haben seit Franklins  Zeit einige Fortschritte gemacht, und einige dieser Fortschritte in dem bisher am .meisten  zurückgebliebenen Produktionszweig sind in den vorhergehenden Kapiteln aufgezeigt worden.  Selbst in diesem Beruf kann die Produktivität der Arbeit ungeheuer verstärkt werden und  die Arbeit selbst leicht und freudig gemacht werden. Mehr als die Hälfte des Arbeitstages würde so einem jeden für die Betätigung in  Kunst, Wissenschaft oder jeder Liebhaberei, die ihm am Herzen liegt, verbleiben;  und seine Arbeit auf diesen Gebieten würde um so ersprießlicher sein, wenn er  die andere Hälfte des Tages in produktiver Arbeit verwendete .- wenn Kunst und  Wissenschaft lediglich aus Neigung betrieben würden, nicht zu Erwerbszwecken.  Überdies wäre eine Gemeinschaft, die auf dem Prinzip der Arbeit Aller aufgebaut  wäre, reich genug, festzustellen, daß jeder Mensch nach Erreichung eines gewissen  Alters -. sagen wir vierzig oder mehr .- von der moralischen Verpflichtung, einen  direkten Anteil an der Leistung der notwendigen Handarbeit zu nehmen, befreit und  so im Stande wäre, sich völlig dem hinzugeben, was er -. oder sie -- auf dem Gebiet  der Kunst oder Wissenschaft oder sonst irgend welcher Betätigung sich erwählt. Freies  Schaffen in neuen Zweigen der Kunst und des Wissens, und freie Entwickelung wären  so völlig gewährleistet. Eine solche Gemeinschaft würde kein Elend mitten unter  dem Reichtum kennen. Sie kennte nicht den Dualismus des Gewissens, der unser  Leben erfüllt und jedes edle Streben erstickt. Sie würde frei ihren Flug nach den  höchsten Zielen lenken, die dem Menschen erreichbar sind.

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Auf dem Gebiet der Landwirtschaft kann es als bewiesen genommen werden, daß .- wenn  nur ein kleiner Teil der Zeit, die jetzt in jedem Volk oder jedem Lande der Feldkultur  gewidmet wird, auf wohlüberlegte und sozial durchgeführte fortgesetzte Bodenverbesserung  verwandt würde - die Dauer der Arbeit, die künftig erforderlich wäre, um eine Durchschnitts,  familie von fünf Köpfen mit der jährlichen Brotnahrung zu versorgen, weniger.als vierzehn  Tage im Jahr betragen würde, und daß die für diesen Zweck erforderte Arbeit nicht das  schwere Abrackern des alten Sklaven wäre, sondern Arbeit, die für die Körperkräfte jedes  gesunden Mannes und jeder Frau im Lande erquicklich wäre. Es ist bewiesen worden, daß durch die Befolgung der Methoden der intensiven Gärtnerei -zum Teil unter Glas - Gemüse und Obst in solchen Mengen gezogen werden können, daß  die Mensen mit reichlicher Gemüsenahrung und einer Fülle Obst versorgt werden könnten wenn sie nur der Aufgabe, es zu ziehen, die Stunden widmeten, die jedermann gern mit  Arbeit im Freien verbringt, nachdem er den größten Teil des Tages in der Fabrik, dem  Bergwerk oder dem Studierzimmer verbracht hat. Vorausgesetzt natürlich, daß die Erzeugung  der Lebensmittel nicht das Werk isolierter Individuen sein wird, sondern die planmäßige und  vereinte Aktion von Menschengruppen. Es ist auch bewiesen worden - und wer geneigt ist, von sich aus die Wahrheit zu prüfen,  kann es leicht tun, wenn er den tatsächlichen Verbrauch von Arbeit beim Bau von Arbeiterhäusern einmal durch Privatunternehmer, das andere Mal durch die Stadtverwaltung nachrechnet - daß bei richtiger Arbeitvereinigung zwanzig bis vierundzwanzig Monate Arbeit  eines Mannes genügen würden, um einer Familie von fünf Köpfen eine Wohnung oder ein .  Haus mit allen Bequemlichkeiten, die moderne Hygiene und moderner Geschmack verlangen  können, für immer zu sichern. Und es ist durch den tatsächlichen Versuch nachgewiesen worden, daß es durch Anwendung  von Erziehungsmethoden, die seit langem empfohlen und zum Teil hie und da angewandt  worden sind, sehr leicht ist, Kindern mit Durchschnittsintelligenz, bevor sie vierzehn oder  fünfzehn Jahre alt geworden sind, eine umfassende allgemeine Kenntnis der Natur wie der  menschlichen Gesellschaft beizubringen; ihren Geist mit gesunden Methoden der wissenschaftlichen Forschung und der technischen Arbeit zu erfüllen und ihrem Seelenleben tiefe  Gefühle der menschlichen Solidarität und Gerechtigkeit einzuprägen. Und ferner, daß es  äußerst leicht ist, während der nächsten vier oder fünf Jahre ihnen eine tüchtige, logisch  zusammenhängende Kenntnis der Naturgesetze und eine sowohl logische wie praktische  Kenntnis der technischen Methoden zu verschaffen, die dazu dienen, die materiellen Bedürfnisse  des Menschen zu befriedigen. Weit entfernt, den „spezialisierten" jungen Menschen, die  unsere Universitäten fabrizieren, unterlegen zu sein, übertrifft sie der „völlige" Mensch, der  im Gebrauch von Hirn und Händen geschult ist, vielmehr in jeder Hinsicht, besonders als  Anreger und Erfinder in Wissenschaft und Technik. All das ist bewiesen worden. Es ist eine Errungenschaft der Zeit, in der wir leben  eine  Errungenschaft, zu der wir trotz der unzähligen Hindernisse gekommen sind, die jedem  Geist, der mit -frischer Initiative auf Neues sinnt, in den Weg gelegt werden. Sie ist erobert  worden durch die unbekannten Pflüger des Bodens, denen gierige Staaten, Grundeigentümer  und Zwischenhändler die Frucht ihrer Arbeit, noch ehe sie reif ist, unter den Händen weg nehmen; durch unbekannte Lehrer, die nur zu oft unter dem Druck der Kirche, des Staates,  der Konkurrenz von Erwerbsbeflissenen, Geistesträgheit und Vorurteil zusammenbrechen.  Und nun, angesichts all dieser Eroberungen - wie sehen die Dinge in Wirklichkeit aus?  Neun Zehntel der ganzen Bevölkerung kornexportierender Länder, wie Rußland, die Hälfte  der Bevölkerung in Ländern, wie Frankreich, die von im Lande erzeugten Lebensmitteln  leben, sind in der Landwirtschaft tätig - die meisten in derselben Weise, wie die Sklaven  des Altertums, nur um eine magere Ernte von einem Boden und mit einer Maschinerie zu  erzielen, die sie nicht verbessern können, weil die Steuern, die Pacht und der Wucher sie  immer ganz nahe am Rande des Hungers halten. Zu Anfang dieses 20. Jahrhunderts pflügen  ganze Bevölkerungen mit demselben Pflug, wie ihre mittelalterlichen Vorfahren, leben in  derselben Unsicherheit, was der morgige Tag bringen wird, und sind ebenso sorgfältig von  der Bildung abgeschnitten; und sie sehen; wenn sie ihren Anteil am Brot verlangen, ebenso  mit Weib und Kind die Bajonette ihrer eigenen Söhne gegen sich gerichtet, wie es ihren  Großvätern vor hundert und vor dreihundert Jahren ergangen ist. In industriell entwickelten Ländern würde die Arbeit von zwei Monaten oder gar noch viel weniger genügen, um für eine Familie gute und abwechslungsreiche tierische und pflanzliche Nahrung zu schaffen. Aber die Forschungen Engels (in Berlin) und seiner vielen Nachfolger berichten uns, daß die Familie des Arbeiters die volle Hälfte ihres Jahreseinkommens für die Ernährung ausgeben muß .- das heißt, sechs Monate Arbeit und noch mehr. Und was für eine Nahrungl Ist nicht Brot und Bratenschmalz die Hauptnahrung von mehr als der Hälfte der englischen Kinder? Ein Monat Arbeit im Jahr wäre völlig genügend, um dem Arbeiter -eine gesunde Wohnung zu verschaffen. Aber er muß 25 bis 40 Prozent seines Jahreseinkommens -. also drei bis fünf Monate seiner jährlichen Arbeitszeit .- ausgeben, um eine Wohnung zu erlangen, die in den meisten Fällen ungesund und viel zu klein ist; und diese Wohnung ist nie seine eigene, obwohl er im Alter von 45 und 50 Jahren sicher sein kann, von der Fabrik entlassen zu werden, weil die Arbeit, die er getan hat, zu der Zeit von einer Maschine oder einem Kind verrichtet wird. Wir wissen alle, daß das Kind zum mindesten mit den Naturkräften vertraut sein sollte, die es eines Tages anwenden soll; daß es gerüstet sein sollte, mit dem stetigen Fortschritt der Wissenschaft und Technik in seinem Leben Schritt zu halten; daß es Wissenschaften studieren und ein Gewerbe lernen sollte. jedermann wird das zugeben; aber was tun wir? Im Alter von zehn oder schon neun Jahren schicken wir das Kind in ein Bergwerk, wo es Kohlenwagen zu schieben hat; oder wir lassen es mit affenartiger Geschwindigkeit die zwei zerrissenen Fäden in einer Spinnmaschine zusammenknüpfen. Im Alter von dreizehn Jahren zwingen wir das Mädchen •- das noch ein Kind ist - die Arbeit einer „Frau" im Webstuhl zu tun oder in der vergifteten, überhitzten Luft eines Baumwollwerks zu schmoren oder vielleicht in den Todesräumen einer Töpferei in Staffordshire vergiftet zu werden. Was die angeht, die das verhältnismäßig seltene Glück haben, eine etwas bessere Erziehung zu erhalten, so beladen wir ihren Geist mit nutzlosen Überstunden, berauben sie bewußt aller Möglichkeit, selbst Produzenten zu werden, und unter einem Erziehungssystem, dessen Motiv „Profit" heißt und dessen Mittel „Spezialisierung", lassen wir die Lehrerinnen, die ihre Erziehungspflichten ernst nehmen, sich einfach zu Tode arbeiten. Welche Fluten zweckloser Leiden verheeren jedes sogenannte Kulturland der Welt! Wenn wir in vergangene Zeiten zurückblicken und da dieselben Leiden sehen, mögen wir sagen, daß sie vielleicht damals wegen der herrschenden Unwissenheit unvermeidlich waren. Aber uns hat der Menschengeist, von unserer modernen Renaissance getrieben, den Weg zu ' neuen Möglichkeiten gewiesen. Tausende von Jahren hintereinander war die Erlangung der Nahrung die Last, wenn . nicht der Fluch des Menschengeschlechts. Aber es braucht nicht länger mehr so zu sein. Wenn man sich den Boden und zum Teil auch die Temperatur und die Feuchtigkeit, die jede Anpflanzung braucht, selbst macht, dann wird man sehen, daß die Gewinnung der jährlichen Nahrung für eine Familie unter rationellen Kulturbedingungen so wenig Zeit erfordert, daß sie fast eine Erholung von andern Beschäftigungen bedeuten kann. Wenn die Menschen zum Boden zurückkehren und mit ihren Nachbarn zusammenwirken, anstatt hohe Mauern zu errichten, um sich vor ihren Blicken zu verbergen; wenn sie benutzen, was der Versuch uns bereits gelehrt hat, und die Wissenschaft und technische  Erfindung zu Hilfe nehmen, die sich unsern Anforderungen nie versagen man sehe  nur, was sie für die Kriegsführung getan haben - dann werden sie erstaunt sein, wie  leicht es ist, dem Boden eine reiche und mannigfaltige Nahrung abzugewinnen. Man  wird staunen, welch tüchtige Kenntnisse unsere Kinder an unserer Seite erwerben, wie  schnell ihre Intelligenz wächst, und wie leicht sie die Gesetze der belebten und unbelebten Natur erfassen werden. Habet die Fabrik und die Werkstatt dicht neben euren Feldern und Gärten und arbeitet  ' in ihnen. Natürlich nicht solche Großbetriebe, in denen riesige Massen Metall zu  verarbeiten sind, die besser an bestimmten Stellen stehen, wie sie die Natur angewiesen  hat, sondern die zahllosen verschiedenen Werkstellen und Fabriken, deren man bedarf,  um die unendliche Verschiedenartigkeit des Geschmacks unter zivilisierten Menschen  zu befriedigen. Nicht solche Fabriken, in denen Kinder das ganze Aussehen von  Kindern in der Atmosphäre einer Industriehölle verlieren, sondern die luftigen und  hygienischen und also auch wirtschaftlich zweckmäßigen Fabriken, in denen das  Menschenleben mehr gilt als Maschinen und das Herausschlagen von Extragewinnen,  Fabriken, von denen wir hie und da bereits jetfit ein paar Beispiele finden; Fabriken  'und Werkstätten, in die Männer, Frauen und Kinder nicht vom Hunger getrieben,  sondern von der Lust gezogen werden, eine Tätigkeit zu finden, die ihren Neigungen  entspricht und wo sie, vom mechanischen Triebwerk und der Maschine unterstützt, den  Beruf ausüben, der ihnen am besten zusagt. Diese Fabriken und Werkstätten mögen errichtet werden, nicht um durch den Verkauf  von wertlosen und schädlichen Dingen an geknechtete Afrikaner Profite zu erzielen,  sondern um Millionem von Europäern mit dem zu versorgen, was sie brauchen, aber  nicht haben. Und wiederum wird man staunen, wenn man sieht, mit welcher Leichtigkeit  und in wie kurzer Zeit die Bedürfnisse der Menschen nach Kleidung und tausend Luxusartikeln befriedigt werden können, wenn die Produktion im Gange ist, um wirklicheBedürfnisse zu befriedigen, anstatt Aktienbesitzer mit hohen Profiten zu befriedigen  oder in die Taschen von Gründern und Schwindeldirektoren Gold zu schütten. Sehr  bald werden die Menschen voller Interesse für diese Arbeit sein und werden Gelegenheit  haben, sich des Eifers ihrer Kinder zu freuen, mit der Natur und ihren Kräften vertraut zu  werden, die Mächte der Maschinerie kennen zu lernen und neueVerbesserungen zu erfinden.  So ist die Zukunft - die bereits möglich, bereits erreichbar ist; und so ist die Gegenwart • die bereits verurteilt und im Begriff ist zu verschwinden. Und was uns hindert,  dieser Gegenwart den Rücken zu kehren und dieser Zukunft zuzugehen, oder wenigstens  die ersten Schritte in ihrer Richtung zu tun, ist nicht der „Bankerott der Wissenschaft",  sondern vor allem unsere krasse Habgier - die Gier des Mannes, der die Henne  tötete, die die goldenen Eier legte -. und dann unsere Geistesträgheit .. die Denkfeigheit, die in der Vergangenheit so sorgsam gepflegt wurde. Jahrhunderte hindurch haben die Wissenschaft und der sogenannte gesunde Menschenverstand dem Menschen gesagt: „Es ist gut, reich zu sein, imstande, wenigstens die  materiellen Bedürfnisse zu befriedigen; aber das einzige Mittel, reich zu sein, besteht  darin, den Geist und die Anlagen so zu schulen, daß ihr imstande seid, andere Menschen Sklaven, Leibeigene oder Lohnarbeiter .- zu zwingen, für euch diese Reichtümer zu erzeugen. Ihr habt keine Wahl. Entweder müßt ihr in den Reihen der Bauern und  Handarbeiter stehen, die jetzt, die Nationalökonomen und Moralisten mögen ihnen für  die Zukunft versprechen, was sie wollen, von Zeit zu Zeit nach jeder schlechten Ernte  oder während ihrer Streiks zum Hungern verdammt sind und von ihren eigenen Söhnen  niedergeschossen werden müssen, sowie sie die Geduld verlieren, oder ihr müßt  eure Anlagen so ausbilden, daß ihr ein militärischer Befehlshaber der Massen seid  oder ein Rad in der Regierungsmaschinerie des Staates bilden dürft oder in Handel  und Industrie ein Unternehmer und Aufseher von Menschen werdet." Viele Jahrhunderte lang gab es keine andere Wahl, und die Menschen folgtem diesem  Rat, ohne ihr Glück darin zu finden, entweder für sich und ihre eigenen Kinder, oder  für die, die sie .- wie sie behaupten - vor schlimmerem Mißgeschick bewahrten. Aber das moderne Wissen kann denkende Menschen einen andern Weg weisen. Es sagt ihnen, daß sie, um reich zu sein, nicht andern das Brot vom Munde nehmen  müssen; sondern daß es ein vernünftiges Resultat gäbe, wenn eine Gesellschaft von  Menschen mit der Arbeit ihrer eigenen Hände und Hirne und mit Hilfe der bereits  erfundenen und noch zu erfindenden Maschinen sich alle denkbaren Reichtümer schaffen  würde. Die Technik und Wissenschaft werden nicht zurückbleiben, wenn die Produktion  eine solche Richtung einschlägt: Geleitet von Beobachtung, Untersuchung und Versuch,  werden sie allen denkbaren Anforderungen entsprechen. Sie werden die Zeit verkürzen,  die zur Herstellung von Gütern in jeder gewünschten Menge notwendig ist, sodaß  jedem Menschen so viel Muße bleibt, wie er begehrt. Sie können gewiß nicht das  Glück garantieren, weil das Glück ebenso sehr, wenn nicht mehr, vom Individuum selbst  abhängt, wie von seiner Umgebung. Aber sie garantieren wenigstens das Glück, das  in dem vollständigen und mannigfachen Gebrauch der verschiedenen Fähigkeiten des  Menschen gefunden werden kann, in der Arbeit, die keine übermäßige Arbeit zu sein  braucht, und in dem Bewußtsein, daß man sich nicht bemüht, sein Glück auf dem  Elend Anderer aufzubauen. Das sind die Aussichten, die diese nun beendete Untersuchung einem unparteiischen Geiste  eröffnet.

Das Land der Techniker.
Das Kommissariat'für Volksaufklärung in Sowjetrußland hat kürzlich auf dem Kongreß  der Vertreter der technischen Hochschulen bekanntgegeben, daß es beabsichtige, der  ganzen russischen Jugend eine technische Ausbildung zu geben. Auch das gehört zur  Arbeitsmobilisierung Sowjetrußlands. Kein Land der Erde hat jemals an eine derartige  Verallgemeinerung des technischen Fachunterrichts gedacht, wie man sie jetzt in Bußland  in Angriff nimmt, und zwar höchst realpolitisch, in Anlehnung an das Vorhandene.  Andererseits aber nicht engherzig fachtechnisch, sondern auf einer breiten allgemeinen  Bildungsgrundlage stehend. Man denkt nicht daran, ein Volk von Fachmenschen zu  schaffen, wohl aber ein Volk, das imstande ist, den Arbeitsprozeß wissenschaftlich zu  - verfolgen und somit seine Förderung energisch zu betreiben.


„DER WOHLSTAND FÜR ALLE" (la conquête du pain) 
von Peter Kropotkin.

Seite 149
Die Litteratur, die Wissenschaft und die Kunst müssen von Freiwilligen bedient werden.  Nur unter dieser Bedingung werden sie dazu gelangen, sich vom Joche des Staates, des  Kapitals und der bürgerlichen Mittelmäßigkeit, worunter sie heute ersticken, zu befreien.

Seite 154
Heute hat die Stadt aufgehört, ein Ganzes zu sein. Keine Ideengemeinschaft besteht mehr.  Die Stadt ist nur ein Haufen zufällig zusammengewürfelter Menschen, die sich nicht kennen,  die keine gemeinschaftlichen Interessen haben, ausgenommen das Interesse, sich zu bereichern,  und zwar auf Kosten der großen Masse; das Vaterland existiert nicht..... Welches Vaterland könnte auch der internationale Bankier und der Lumpensammler gemeinsam haben?

Seite 312
Wenn wir die Ziffern rekapitulieren, die wir über den Ackerbau gegeben haben, Ziffern,  die beweisen, daß die Bewohner der beiden Departements Seine und Seine-et-Oise voll=  kommen auf diesem Territorium leben können, indem sie im Jahre nur sehr wenig Zeit  darauf verwenden, um ihre Nahrung zu erzielen, so erhalten wir:

Departements Seine et Seine-et-Oise:
Zahl der Bewohner im Jahre 1886................................ 3600000
Oberfläche in Hektaren................................................... 610000
Durchschnittszahl der Bewohner pro Hektar...................... 5,90

Oberfläche, erforderlich bei der Einwohnerzahl:
Zum Bau der nötigen Cerealien...................................... 200000
Zur Erhaltung der notwendigen Wiesen......................... 200000
Zur Kultur der Gemüse und Lu)cusfrüchte (7000)........... 10000
Verbleibt für Häuser, Verkehrswege, Parks, Forsten..... 200000

Die Quantität jährlicher Arbeit, die notwendig, um die oben angegebenen Flächen zu ameliorieren und zu kultivieren (in Arbeitstagen ä 5 Stunden):
Getreide (Bau und Ernte)............................................ 15000000
Wiesen, Milde, Aufziehen von Schlachtvieh............... 10000000
Kultur von Gemüse und Lu)cusfrüchten etc............... 33000000
Unvorhergesehenes.................................................... 12000000
Summa........................................................................ 70000000

Wenn man annimmt, daß nur die Hälfte der Erwachsenen (Männer wie Frauen) sich mit  dem Ackerbau beschäftigen wollte, so müßten sich die 70000000 Arbeitstage auf 1200000  Individuen verteilen. Dies hieße für jeden dieser Arbeiter 58 Arbeitstage ä 5 Stunden.

Seite 313
Man sieht klar die neuen Horizonte, die der kommenden sozialen Revolution eröffnet sind  jedesmal, wenn wir von der Revolution sprechen, furcht der ernsthafte Arbeiter, der seine  Kinder einst ohne Brot gesehen hat, die Stirn und wiederholt uns: „Und das Brot?" Wird  man nicht dessen ermangeln, wenn jedermann nach Verlangen essen kann? Und wenn dasfladhe Land, unwissend, von der Reaktion bearbeitet, die Stadt aushungert, wie es die  schwarzen Banden im Jahre 1793 getan haben? Was wird dann werden? Möge es das flache Land nur versuchenl Die Großstädte werden des flachen Landes  entbehren können. Welcher Mühe sollten sich jene Hunderttausende von Arbeitern, die heute in den kleinen  Werkstätten und Manufakturen dahinsiechen, an dem Tage widmen, wo sie ihre Freiheit  erlangen? Werden sie auch nach der Revolution in ihren ungesunden Arbeitsräumen hocken? ',  Werden sie fortfahren, Luxusspielsachen für den Export zu produzieren zu einer Zeit, wo  sie sehen, daß das Getreide ausgeht, das Fleisch rar wird, das Gemüse aufgebraucht wird,  ohne durch neues ersetzt zu werden? Offenbar nein! Sie werden die Stadt verlassen, sie  werden auf die Felder ziehen! Unterstützt von der Maschine, die selbst den Schwächsten  unter uns gestattet, mit Hand anzulegen, werden sie die Revolution in die Landwirtschaft  einer sklavischen Vergangenheit tragen, ebenso wie sie dieselbe in die Institutionen und in  die Ideen getragen haben. Dann werden sich Hunderte von Hektaren mit Wärmhäusern bedecken, und Mann und  Weib werden daselbst die jungen Pflanzen mit behutsamen Fingern pflegen. Dort werden  andere Hunderte Hektare mit dem Dampfschälpflug bestellt und mittels Düngers oder künstlicher Erde, die man aus der Pulverisation von Felsen gewonnen, verbessert werden. Legionen  freudiger gelegentlicher Feldarbeiter werden auf diesen Hektaren eine bienenhafte Tätigkeit entfalten, geleitet, geführt bei ihrer Arbeit und bei ihren Versuchen zum Teil von denen,  die der Landwirtschaft kundig sind, hauptsächlich aber durch den großen und praktischen  Geist eines Volkes, das von einem langen Schlummer erwacht ist und welchem der Weg von jener herrlichen Leuchte erhellt und gewiesen wird - von dem Glücke Aller.

AUS DEM BRIEFE EINES CHINESEN
mitgeteilt von G. L. Dickinsson. („Republik", 23. 1. 19.)

„In einer Euerer Zeitungen las ich kürzlich, daß die Zivilisierung Chinas das Endziel  der westlichen Nationen sei. Die Frage, die mir immer vorschwebt, wenn ihr von  Zivilisation sprecht, ist diese:
„Was für Menschen hat Eure Zivilisation hervorgebracht?" "  Es ist möglich, daß jede Kultur, unsere sowohl wie Eure, nur ein oberflächlicher  Anstrich ist, und daß tief in den Höhlen des menschlichen Herzens das Raubtier  lauert, welches bereit ist, sich auf seine Beute zu stürzen, wenn durch Zufall oder Absicht die Tür seines Käfigs offen gelassen wurde ... Ich gehe deshalb von solchen Szenen zu den alltäglichen Lebensverhältnissen über. Welche Art Menschen, frage ich, sind wir, welche Art Menschen seid Ihr, daß Ihr es auf Euch nehmen könntet, uns Barbaren zu nennen? Welche Art sind wir? Die Frage ist schwer zu beantworten. Um Euch von dem, was ich im Sinne habe, einen Begriff zu geben, kann ich nichts Besseres tun, als, so treu es mir gelingt, ein Bild dessen zu malen, das mir immerfort in Erinnerung ist, während ich in trostlosen Wintertagen durch die rauchgeschwärzten Straßen Euerer Großstädte gehe. Fern im Osten, unter einem Sonnenscheine, wie ich ihn hier nie gesehen denn das Licht, das Ihr habt, verdunkelt Ihr mit rußigem Rauch, am Ufer eines breiten Flusses steht das Haus, wo ich geboren wurde. Es ist eines unter Tausenden; aber ein jedes steht in seinem eigenen Garten, einfach weiß oder grau angestrichen, bescheiden, freundlich und rein. Wohlhabende Bauern bevölkern die ganze Gegend, die Felder besitzend und bebauend, welche vor ihnen ihre Väter besaßen und bebauten. Vom Boden, den sie bearbeiteten, können sie behaupten, daß sie und ihre Vorfahren ihn selbst gemacht haben. Denn siehe! Beinahe bis zum Gipfel der einst unfruchtbaren Hügel weht es grün mit Baumwollpflanzungen und Reisfeldern, mit Zuckerrohr, Orangebäumen und Teesträuchern. Wasser, aus dem Fluß emporgepumpt, umgürtet die Abhänge mit einem Silberband, und in tausend kleinen Kaskaden, von Kanal zu Kanal fallend, in Zisternen plätschernd, den Boden tränkend und durchdringend, spendet er allen freigebig und in gleichem Maße Fruchtbarkeit und grünendes Leben. Wenn wir in China Manieren, Kunst und Moral haben, so ist die Ursache davon für die, die sehen können, nicht weit zu suchen. Die Natur hat uns gelehrt; und soweit haben wir nur mehr Glück gehabt als Ihr. Aber wir haben auch den Verstand gehabt, zu lernen, was uns gelehrt wurde; und dies, denke ich, kann man unserer Intelligenz zuschreiben. Denn bedenkt: in diesem lieblichen Tal leben Tausende von Menschen ohne irgendwelche Gesetze, außer jenen der Gewohnheit, ohne jede Herrschaft, außer jener ihres eigenen Herzens. Arbeitsam sind sie, von einem Arbeitsfleiß, wie ihn Ihr im Westen kaum kennt, aber es ist die Arbeit freier Menschen, die für jene arbeiten, die ihnen nahestehen, auf dem Land, welches sie von ihren Vätern übernommen, um es, bereichert durch ihre Arbeit, ihren Kindern zu überliefern. Sie haben keinen anderen Ehrgeiz, sie sind nicht bestrebt, sich Reichtümer zusammenzuscharren. Unter solchen Menschen kann es keinen wilden, unziemlichen Wettbewerb geben. Keiner ist Herr, keiner ist Diener, sondern die Gleichheit, die wirkliche tatsächliche Gleichheit regelt und erhält ihre gegenseitigen Beziehungen. Gesunde Arbeit, genügende Muße, offene Gastfreundschaft, eine Zufriedenheit, welche durch die Gewohnheit begründet und durch keinen unerfüllbaren Ehrgeiz gestört wird. Sinn für Schönheit, durch die denkbar schönste Natur wachgehalten und seinen  Ausdruck in anmutigen und ehrwürdigen Umgangsformen findend, und zum  Schaffen wunderbarer Kunstwerke anregend - das sind die wesentlichen Eigenschaften der Menschen, unter denen ich geboren bin. Malt meine Erinnerung ein allzu schönes Bild? Doch dieses eine weiß ich: daß  ein solches Leben, wie ich es beschrieben, entstanden auf der Grundlage der Arbeit  auf dem Lande, von Gleichheit und Gerechtigkeit, tatsächlich in ganz China  besteht und gedeiht. Was könnt Ihr uns dagegen bieten, die Ihr Euch anmaßt, uns zu zivilisieren? Euere  Religion? Ach, es ist in ihrem Namen, daß Ihr unnennbare Greuel verübt! Euere  Moral? Wo ist denn die zu finden? Euere Intelligenz? Wohin hat sie Euch geführt?  Was für ein Gegenbild könnt Ihr uns bieten zu dem, welches ich vom Leben  in China gezeichnet? . . . "


NIETZSCHE: VOM NEUEN GÖTZEN

Irgendwo gibt es noch Völker und Herden, doch nicht bei uns, meine Brüder:  da gibt es Staaten. Staat? Was ist das? Wohlan! Jetzt tut mir die Ohren auf, denn jetzt sage ich  euch mein Wort vom Tode der Völker. Staat heißt das kälteste aller kalten Ungeheuer. Kalt lügt es auch, und diese  Lüge kriecht aus seinem Munde: „Ich, der Staat, bin das Volk." Lüge ist's. Schaffende waren es, die schufen die Völker und hängten einen  Glauben und eine Liebe über sie hin: also dienten sie dem Leben.  Vernichter sind es, die stellen Fallen auf für Viele und heißen sie Staat: sie hängten ein Schwert und hundert Begierden über sie hin. Wo es noch Volk gibt, da versteht es den Staat nicht und haßt ihn als bösen  Blick und Sünde an Sitten und Rechten. Dieses Zeichen gebe ich euch: jedes Volk spricht seine Zunge des Guten und  Bösen: die versteht der Nachbar nicht. Seine Sprache erfand es sich in Sitten  und Redeten. Aber der Staat lügt in allen Zungen des Guten und Bösen; und was er auch  redet, er lügt und was er auch hat, gestohlen hat er's Falsch ist alles an ihm; mit gestohlenen Zähnen beißt er, der Bissige. Falsch  sind selbst seine Eingeweide. Sprachverwirrung des Guten und Bösen: dieses Zeichen gebe ich euch als Zeichen des Staates. Wahrlich, den Willen zum Tode deutet dieses Zeichen!  Wahrlich, es winkt den Predigern des Todes. Viel zu viele werden geboren: für die Überflüssigen ward der Staat erfunden!  Seht mir doch, wie er sie an sich lockt, die Viel-zu-Vielen! Wie er sie schlingt  und kaut und wiederkäut! „Auf der Erde ist nichts Größeres als ich: der ordnende Finger bin ich Gottes"  also brüllt das Untier. Und nicht nur Langgeohrte und Kurzgeäugte sinken  auf die Kniel Ach, auch in euch, ihr großen Seelen, raunt er seine düsteren Lügenl Ach, er  errät die reichen Herzen, die gerne sich verschwenden! ja, auch euch errät er, ihr Besieger des alten Gottesl Müde wurdet ihr im  Kampfe, und nun dient eure Müdigkeit noch dem neuen Götzen!  Helden und Ehrenhafte möchte er um sich aufstellen, der neue Götze! Gerne sonnt er sich im Sonnenschein guter Gewissen -- das kalte Untier! Alles will er euch geben, wenn ihr ihn anbetet, der neue Götze: also kauft er  sich den Glanz eurer Tugenden und den Blick eurer stolzen Augen.  Ködern will er mit euch die Viel-zu-Vielen: ja, ein Höllenkunststück ward da erfunden, ein Pferd des Todes, klirrend im Putz göttlicher Ehren! Ja, ein Sterben für viele ward da erfunden, das sich selber als Leben preist:  wahrlich, ein Herzensdienst allen Predigern des Todes! Staat nenne ich's, wo Alle Gifttrinker sind, Gute und Schlimme':. Staat,  wo Alle sich selber verlieren, Gute und Schlimme: Staat, wo der langsame Selbstmord Aller .- „das Leben" heißt. Seht mir doch diese Überflüssigen! Sie stehlen sich die Werke der Erfinder  und die Schätze der Weisen: Bildung nennen sie ihren Diebstahl -. und alles  wird ihnen zu Krankheit und Ungemach! Seht mir doch diese Überflüssigen! Krank sind sie immer, sie erbrechen ihre  Galle und nennen es Zeitung. Sie verschlingen einander und können sich nicht  einmal verdauen. Seht mir doch diese Überflüssigen! Reichtümer erwerben sie und werden ärmer  damit. - Macht wollen sie, und zuerst das Brecheisen der Macht, viel Geld, -diese Unvermögenden! Seht, sie klettern, diese geschwinden Affen! Sie klettern über einander hinweg  und zerren sich also in den Schlamm und die Tiefe. Hin zum Throne wollen sie alle: ihr Wahnsinn ist es als ob das Glück auf  dem Throne säßel Oft sitzt der Schlamm auf dem Thron - und oft auch der  Thron auf dem Schlamme. Wahnsinnige sind sie mir alle und kletternde Affen und Überheiße. Übel  riecht mir ihr Götze, das kalte Untier; übel riechen sie mir alle zusammen, diese  Götzendiener. Meine Brüder, wollt ihr denn ersticken im Dunste ihrer Mäuler und  Begierden? Lieber zerbrecht doch die Fenster und springt ins Freie.  Geht doch dem schlechten Geruche aus dem Wegel Geht fort von  der Götzendienerei der Überflüssigen. Geht doch dem schlechten Geruche aus dem Wege! Geht fort von'  dem Dampfe dieser Menschenopferl Frei steht großen Seelen auch jetzt noch die Erde. Leer sind noch viele Sitze für Einsame und Zweisame, um die der Geruch  stiller Meere weht. Frei steht noch großen Seelen ein freies Leben. Wahrlich, wer wenig  besitzt, wird um so weniger besessen: gelobt sei die kleine Armut  Dort, wo der Staat aufhört, da beginnt erst der Mensch, der nicht über flüssig ist: da beginnt das Lied des Notwendigen, die einmalige und  unersetzliche Weise. Dort, wo der Staat aufhört -- so seht mir doch hin, meine Brüder! Seht  ihr ihn nicht, den Regenbogen und die Brücken des Übermenschen?  Also sprach Zarasthustra.


LENIN, STAAT UND REVOLUTION

Von einer plötzlichen restlosen Beseitigung des Beamtentums an allen Orten kann keine  Rede sein. Dies wäre Utopie, aber den alten Beamtenapparat sofort zu zertrümmern und  gleichzeitig mit dem Bau eines neuen zu beginnen, der die allmähliche Beseitigung jeglichen  Beamtentums ermöglicht - das ist keine Utopie, sondern eine Erfahrung der Kommune, es  ist die direkte auf der Tagesordnung des revolutionären Proletariats stehende Aufgabe.


ENGELS

Der Staat ist nicht von Ewigkeit her. Es hat Gesellschaften gegeben, die ohne ihn  fertig wurden, die von Staat und Staatsgewalt keine Ahnung hatten. Auf einer bestimmten Stufe der ökonomischen Entwicklung, die mit Spaltung der Gesellschaft in  Klassen notwendig verbunden war, wurde durch diese Spaltung der Staat eine Notwendigkeit. Wir nähern uns jetzt mit raschen Schritten einer Entwicklungsstufe der  Produktion, auf der das Dasein dieser Klassen nicht nur aufgehört hat, eine Notwendigkeit  zu sein, sondern ein positives Hindernis der Produktion wird. Sie werden fallen, ebenso  unvermeidlich, wie sie früher entstanden sind. Mit ihnen fällt unvermeidlich der Staat.  Die Gesellschaft, die die Produktion auf Grundlage freier und gleicher Assoziation der  Produzenten neu organisiert, versetzt die ganze Staatsmaschine dahin, wohin sie dann  gehören wird: ins Museum für Altertümer, neben das Spinnrad und die bronzene Axt. 


ENGELS

in „Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft.
Das Proletariat ergreift die Staatsgewalt und verwandelt die Produktionsmittel zunächst  in Staatseigentum. Aber damit hebt es sich selbst als Proletariat, damit hebt es alle  Klassenunterschiede und alle Klassengegensätze auf und damit auch den Staat als Staat.  Die bisherige, sich in Klassengegensätzen bewegende Gesellschaft hat den Staat nötig,  das heißt eine Organisation der jedesmaligen ausbeutenden Klasse zur Aufrechterhaltung  ihrer äußeren Produktionsbedingungen, also namentlich zur gewaltsamen Niederhaltung  der ausgebeuteten Klasse in den durch die bestehende Produktionsweise gegebenen  Bedingungen der Unterdrückung Sklaverei, Leibeigenschaft oder Hörigkeit, Lohnarbeit).  Der Staat war der offizielle Repräsentant der ganzen Gesellschaft, ihre Zusammenfassung in einer sichtbaren Körperschaft, aber er war- dies nur, insofern er der Staat  derjenigen Klasse war, welche selbst für ihre Zeit die ganze Gesellschaft vertrat: im  Altertum Staat der sklavenhaltenden Staatsbürger, im Mittelalter des Feudaladels, in  unserer Zeit der Bourgeoisie. Indem er endlich tatsächlich Repräsentant der ganzen  Gesellschaft wird, macht er sich selbst überflüssig. Sobald es keine Gesellschaftsklasse  mehr in der Unterdrückung zu erhalten gibt, sobald mit der Klassenherrschaft und dem  in der bisherigen Anarchie der Produktion begründeten Kampf ums Einzeldasein auch  die daraus entspringenden Kollisionen und Exzesse beseitigt sind, gibt es nichts mehr  zu reprimieren (unterdrücken), das eine besondere Repressionsgewalt, einen Staat, nötig  machte. Der erste Akt, worin der Staat wirklich als Repräsentant der ganzen Gesellschaft  auftritt • die Besitzergreifung der Produktionsmittel im Namen der Gesellschaft .- ist  zugleich sein letzter selbständiger Akt als Staat. Das Eingreifen einer Staatsgewalt in  gesellschaftliche Verhältnisse wird auf . einem Gebiete nach dem anderen überflüssig  und schläft dann von selbst ein. An die Stelle der Regierung über Personen tritt die  Verwaltung von Sachen und die Leitung von Produktionsprozessen. Der Staat wird nicht „abgeschafft", er stirbt ab. Hieran ist die Phrase vom „freien Volksstaat" zu  messen, also sowohl nach ihrer zeitweiligen agitatorischen Berechtigung, wie nach ihrer  endgültigen wissenschaftlichen Unzulänglichkeit; hieran ebenfalls die Forderung der  sogenannten Anarchisten, der Staat solle von heute auf morgen abgeschafft werden. Das kommunistische Manifest von Fr. Engels fordert in Artikel 28, Absatz 6:  Beseitigung aller ungesunden und schlecht gebauten Wohnungen und Stadtviertel.


Aus „Friedrich Hölderlin, HYPERION", 1798.

Es ist auf Erden alles unvollkommen, ist das alte Lied der Deutschen. Wenn  doch einmal diesen Gottverlassenen einer sagte, daß bei ihnen nur so unvollkommen  alles ist, weil sie nichts Reines unverdorben, nichts Heiliges unbetastet lassen mit  den plumpen Händen, daß bei ihnen nichts gedeiht, weil sie die Wurzel des  Gedeihens, die göttliche Natur nicht achten, daß bei ihnen eigentlich das Leben  schal und sorgenschwer und übervoll von kalter stummer Zwietracht ist, weil sie  den Genius verschmähen, der Kraft und Adel in ein menschlich Tun, und Heiterkeit ins Leiden, und Lieb und Brüderschaft den Städten und Häusern bringt.  Und darum fürchten sie auch den Tod so sehr, und leiden, um des Austernlebens  willen alle Schmach, weil Höheres sie nicht kennen, als ihr Machwerk, das sie  sich gestoppelt. O Bellarmin! Wo ein Volk das Schöne liebt, wo es den Genius in seinen Künstlern  ehrt, da weht, wie Lebensluft, ein allgemeiner Geist, da öffnet sich der scheue  Sinn, der Eigendünkel schmilzt, und fromm und groß sind alle Herzen, und Helden  gebiert die Begeisterung. Die Heimat aller Menschen ist bei solchem Volk und  gerne mag der Fremde sich verweilen. Wo aber so beleidigt wird die göttliche  Natur und ihre Künstler, ach! da ist des Lebens beste Lust hinweg, und jeder  andere Stern ist besser, denn die Erde. Wüster immer,öder werden da die Menschen,  die doch alle schön geboren sind; der Knechtsinn wächst, mit ihm der grobe Mut,  der Rausch wächst mit den Sorgen, und mit der Uppigkeit der Hunger und die  Nahrungsangst; zum Fluche wird der Segen jedes Jahr und alle Götter fliehn. 


DAS VERKEHRTE EINER AUF GEWALT GEGRÜNDETEN LEBENSEINRICHTUNG
von Tolstoi

Warum ist das Christentum so verdorben, warum ist die Sittlichkeit so tief gesunken?  Das hat nur eine Ursache: es ist der Glaube an die wohltätigen Folgen der  auf Gewalt gegründeten Institutionen. Nichts ist der Verwirklichung des Reiches Gottes auf Erden so im Wege, wie die  Tatsache, daß die Menschen es durch Taten herbeiführen wollen, die ihm direkt  zuwiderlaufen, nämlich durch Gewalt. Nur wenn dem Bösen nicht mit Gewalt Widerstand geleistet wird, kommt  es dahin, daß an Stelle der Gewalt die Liebe trittl Dem Menschen ist nur Macht über sich selbst gegeben. Nur sein eigenes Leben  kann man so gestalten, wie man für gut und nötig findet. Dabei sind aber  fast alle Menschen damit beschäftigt, das Leben Anderer zu regeln, und um das  zu erreichen, unterwerfen sich die Menschen den Maßregeln, die Andere für sie ergreifen.  Die Beeinflussung des sozialen Lebens durch Gewaltmaßregeln, die nichts mit der  Arbeit am eigenen Innern zu tun haben, ist gerade so, wie das Wederaufbauen  eines eingestürzten Gebäudes aus unbehauenen Steinen ohne Kalk nach einem neuen  Plan. Wie man auch baut, es hat niemals Sinn; das Gebäude wird immer wieder  einstürzen.


Tolstoi, TAGEBUCH

2. Oktober 99. Anarchie heißt nicht das Fehlen aller lnstitutionen, sondern das Fehlen  von lnstitutionen, denen sich zu unterwerfen die Menschen durch Gewalt gezwungen  werden; nur solche Institutionen gelten, denen die Menschen sich aus freien  Stücken, aus Vernunft fügen. Es scheint, daß eine Gesellschaft von vernunftbegabten Wesen anders nicht sein könnte.

27. Oktober 99. Unser Leben ist Befreiung des Eingeschlossenen, Erweiterung  der Grenzen, in denen ein unendliches Prinzip wirkt.

18. Dezember 99. Die Grausamkeit hat vor allem auf Grund der neueren Arbeitsteilung zugenommen, die die Vermehrung der materiellen Güter des Menschen  fördert. .Alle sprechen von den .Vorteilen der Arbeitsteilung, ohne einzusehen,  daß eine notwendige Folge der Arbeitsteilung - außer der Maschinisierung  des Menschen auch die Ausschaltung aller Bedingungen ist, die einen menschlichen,  moralischen Verkehr unter den Menschen erzeugen.

6. Juli 98. Das Leben Christi ist besonders als Beispiel dafür wichtig, daß  der Mensch die Früchte seiner Arbeit unmöglich sehen kann. Und dies  um so weniger, je bedeutender sein Werk ist.

13. Januar 98. Eine Frage von ungeheurer Wichtigkeit, und ich müßte gut auf sie eingehen.  Die Frage der Organisation, jeder Organisation, die uns von irgendwelchen menschlichen, persönlichen, moralischen Verpflichtungen entbindet. Alles Übel der Welt kommt  davon. Menschen werden zu Tode geprügelt, prostituiert, betäubt .. und niemand  hat schuld. Dagegen-müssen die Anbeter der Macht vor der Macht zu Kreuze kriechen. 

5. Januar 97. Man mag einen Kristall stoßen, auflösen, drücken so viel  man will bei der ersten Gelegenheit nimmt er wieder seine alte Form  an. So wird die Gesellschaftsordnung dieselbe bleiben, welchen Veränderungen man sie auch unterwerfen mag. Die Form des Kristalles wird  erst dann eine andere werden, wenn in ihm eine innere chemische  Veränderung sich vollzogen haben wird. So ist es auch mit der Gesellschaft.  Niedergang der Volksdichtung und Musik; Versklavung des Volkes und - Buchdruckerkunst.  Wichtig ist der Inhalt, dann bildet sich die nötige Form von selbst. Das Leben ist eine Vermehrung von Liebe, eine Erweiterung unserer Grenzen.

Ludwig Rubiner.

Das Reich der Liebe, der geistigen Gemeinschaft, das Gottesreich, staatlos, grenzenlos,  gewaltlos - auf der wirklichen Erde aufgebaut: eine neue Unsterblichkeit tut sich auf.  Eine Unsterblichkeit, die nicht auf dem Ruhme des Einzelnen ruht, sondern auf dem  wissenden Einherschreiten im ungeheuren Zuge der Mitmenschen. Ein ewiges Leben  öffnet sich auf Erden; das ist: sich wissend als Blutstropfen fühlen, der durch den  Körper des Menschengeschlechtes rinnt.

Die Leitsätze der „Clarté".
1. Das soziale Gesetz, das unsre Gesellschaft beherrscht, ist schlecht. Es bedeutet: Vorrechte,  Willkür, Zusammenbruch und Mord.
2. Der größte Teil der Menschheit hat bis auf den heutigen Tag in Sklaverei gelebt, die  Willkür einiger Weniger, deren Stärke in der Zauberkraft der Uberlieferungen bestand, hat  sie zermalmt, hat sie gemetzelt. Also, daß die Unwissenheit sich stärker erwies, als die  wahre Kraft. Auf solchem Unsinn ist alles aufgebaut.
3. Die Mißbräuche stützen einander, die Fortschritte heben einander auf. Was zur Hälfte  schlecht ist, wird schlimmer. Wenn man nicht alles ändert, ändert man nichts.
4. Die Grundsätze einer gerechten Gesellschaftsordnung sind einfach. Alle großen Denker,  alle großen Sittenlehrer, alle Religionsstifter waren immer einig über die Grundsätze.  Die Wirklichkeit ist vernünftig.
5. Die Macht soll Allen gemeinsam sein, wie das Ideal. Nur die Arbeit ist ehrenhaft, gleichgültig, ob es die Hände sind, die sie verrichten, oder der Geist. Sie allein hat ein Recht  auf Entlohnung. Spekulation ist ein Verbrechen an der Masse, Erbschaft ist Diebstahl.
6. Die Gleichheit soll darin bestehen, daß für alle Mitglieder der Gemeinschaft genau die  gleichen sozialen Lebensmöglichkeiten bestehen. Das Ziel des Klassenkampfes ist die  Aufhebung der Klassen.
7. In der sozialen Gemeinschaft soll kein Unterschied des Geschlechtes gelten.
8. Wer einen Krieg vorbereitet, bereitet den ewigen Krieg vor. Die Landesgrenzen und die  wirtschaftlichen Grenzen sind, eine nach der andern, immer schlimmer, eine als die andere. 
9. Auf dieser Erde gibt es nur: persönliche Interessen und ein einziges gemeinsames Interesse.  In Wahrheit gibt es keine Ausländer. Logik und Moral sind international.
10. Das noch unsichere, aber so ergreifende Tasten der heutigen Völker nach mehr Glück  kündet ein neues Zeitalter an, das an Reinheit und Größe das christliche übertreffen wird. 
11. Durch den Geist sind die Dinge fortgeschritten. Die geistigen Menschen haben die Pflicht,  ihr Leben für den Fortschritt hinzugeben.
12. Wer nichts tut, kämpft für das Bestehende. 
Aus „Paul Scheerbart, Ich liebe dich" Verlag Schuster & Löffler, Berlin 1897.

Seite 14
„Herr Doktorl Sie wissen, daß sich in den letzten Jahren in den letzten Jahrzehnten unseres  Jahrhunderts - bei allen denen, die mit der Welt mitzuleben gewöhnt sind, eine merkwürdige  Hinneigung zum Landleben entwickelte. Wir wollen alle raus! Auch die größte Großstadt  ist für uns zu engl Der Zug nach dem freien Lande, nach dem freiliegenden Hause, ist, wie  Sie wissen, ein gewaltiger Zug unserer Zeit, und der hat mich naturgemäß auch ergriffen ..  mitgerissen! Es wurde mir daher vor ein paar Jahren so schrecklich klar, daß die Lösung  aller möglich= Fragen nur durch „eine radikale Dezentralisation der Menschen und ihrer  Wohnstätten" herbeigeführt werden könnte. Herr Doktor, Sie wissen auch, daß ich in  einem besonderen Buche, das leider auch heute noch nicht gedruckt ist, für die großen  Dezentralisationsideen leidenschaftlich ins Zeug ging. Diese Ideen ließen sich, wie ich ausführte, nur nach einer radikalen Umwälzung unserer Verkehrsverhältnisse durchführen. Sollten  die einzelnen Menschen in freier Natur im eigenen Hause :- ungestört von Nachbarn- und  Straßenlärm .- fern von allen Verkehrs-, Vergnügungs- und Arbeitszentren die besten Stunden  ihres Lebens verbringen, so müßten die einzelnen Menschen zu diesen Verkehrs-, Vergnügungsund Arbeitszentren mit den flinkesten Bahnen gelangen können, da ja die erwähnten  Zentren von den Wohnstätten sehr weit entfernt liegen würden. - Hören Sie, Herr Rechtsanwalt, noch einen Augenblick zu! Ich bin gleich zu Endel Ich trat bekanntlich ganz energisch  für eine Abschaffung sämtlicher Dampfeisenbahnen ein und wollte überall elektrische, wo möglich noch schnellere Bahnverbindungen. Diese zweifellos eklig revolutionären Ideen  und Forderungen erregten nun in gewissen Kreisen, die ich Ihnen leider nicht näher bezeichnen  kann, Furcht und Entsetzen. Das wird Ihnen ja ganz erklärlich erscheinen, wir haben ja oft  genug über meine „Muster-Revolution" gesprochen. Was war also die Folge, als ich mein  Buch endlich herausgeben wollte? Wissen Sie, was die Folge war? Zwischen Champagner  und Austern nahm man mir das Versprechen ab, mein Buch vorläufig in meinem Schreibtisch  noch weiter lagern zu lassen. Und damit ich meinen Haß gegen die Dampfeisenbahnen ein  bißchen abkühlen könnte, verpflichtete man sich, mir Fahrkarten erster Klasse für sämtliche  Länder der Erde zu überreichen, - wenn ich Reiselust verspüren sollte. Knausern taten die  Leute natürlich auch hierbei, denn ich bekomme immer nur Fahrkarten für meine eigene  Person, meine Begleitung will man mir nicht bezahlen. Infolgedessen sehen Sie mich anitzo  hier ganz allein Ihnen gegenüberl Ist Ihnen jetzt der ganze Rummel klar?" Müller begriff allmählich; ich zeigt' ihm noch einige Papiere und Briefe, die das Gesagte bewiesen. 

Seite 19
Die Lampen erlöschten. Das verschlafene Morgenlicht drang durch die offenen Fenster, und  ich erinnerte meinen Freund an meine Glaspaläste, von denen ich ihm schon öfters vorgeschwärmt hatte. Ich wollte ja mit meinen Dezentralisationsideen nicht zu bäurischer Einfachheit zurück im Gegenteill Der Zukunftsmensch sollte mitten im freien Lande, ungestört von Nachbarn und  Straßenlärm, auf den Glanz der üppigsten Kultur und Kunst nicht verzichten. Das Haus des  Zukunftsmenschen sollte palastähnlich mit dem kostbarsten Email und Mosaik, mit den entzückendsten Glasgemälden ausgestattet werden; gerade das Glas, das glänzendste Baumaterial  der Erde, sollte die erste Rolle in den Zukunftshäusern spielen.

Seite 202/3
Ich faßte also wieder mal meine Ansichten über die Bedeutung des Eremitentums zusammen.  „Wenn der Mensch," sprach ich, „ein Mensch ist und als solcher das Höchste leisten möchte  das Höchste .. so kann er doch heutzutage, wo die Menschen immer noch an der Ober fläche der Erde kleben, höchstens dieser Oberfläche der Erde ein anderes Aussehen geben er kann nur die Erdphysiognomie verändern wollen! Ich bin mir natürlich bewußt, das diese  Idee nicht meine Idee ist, sondern daß diese Idee von der Mutter Erde ausgeht. Mir scheint  es nun -. ich kann mich ja täuschen • aber es scheint mir, daß die Erde sich momentan auf  einer Entwickelungshöhe befindet, die ihr nicht mehr ganz recht ist; der Stern „Erde" ist nach  meiner Meinung zu idyllisch und zu ruhig in unserer Zeit; er möchte wieder sensibler werden.  Die Sensibilität eines kosmischen Wesens wird indessen durch eine Vervielfältigung und Verfeinerung seiner Organe herbeigeführt. Nehmen wir an, daß die Städte und Dörfer, die von  Menschen bewohnt werden, die vorzüglichsten Organe der Erde sind, so werden wir, wenn  wir eine Vervielfältigung und Verfeinerung dieser Organe erstreben, eine radikale Dezentralisation der Menschheit herbeizuführen suchen müssen. Hoffentlich ist Dir diese Titanenidee nicht zu stark!" Müller lachte und tat so, als könnte ihm jemand auf der Erde noch was Größeres und Bedeutenderes vorerzählen! Ich ärgerte mich beinahe, fuhr jedoch eifrig fort: „Sieh, Egon, ich geh' in die Einsamkeit, um den Leuten das Einsamleben vorzumachen, damit  sie's mir nachmachen und auf diese Weise die Dezentralisation durchführen! Verstehst du  nun? Ich gehe noch weiterl Soll die Sensibilität der Erde vergrößert werden, so ist es  nicht genügend, daß ihre Organe an allen Punkten einzeln vorstechen - ich meine: es ist  noch nicht genug, daß die Menschen bloß einsam leben - sondern sie müssen. in ihrer Einsamkeit auch sensibler werden. Um diese Sensibilität der Menschen zu erzeugen, befürwortete ich in der Architektur eine umfangreichere Verwendung des Glases, da dieses  glänzende und leicht herstellbare Material in intensivster Weise auf die menschlichen Nerven  einwirkt. Aus meiner Eremitenhöhle heraus werde ich daher für das Glas in der Architektur  eine lebhafte Propaganda machen. Das untätige Eremitentum liegt mir fern. Ich will ja  noch außerdem durch das, was ich schreibe und dichte, die Sensibilität der Menschheit  erhöhen. Weißt Du nun, warum ich in die Einsamkeit gehe und was ich da machen will?  Gut! Noch einmal hätt' ich's Dir auch nicht gesagt!"
„Von der Form des Menschen" 
U. Rukser in „Der Einzige"

Aber: diese Atomisierung der Menschheit geschieht nicht als Selbstzweck.  Vielmehr entsteht dann, wenn alle Menschen zu der ihnen gemäßen Form, d. h. zur  inneren Organisierung nach einem bestimmten Harmoniegesetz gelangen, etwas Allen Gemeinsames. Wenn übet und in Allen das Gesetz steht: sei dir selbst getreu, sei  du selbstl dann sind sie eben durch dies ihnen gemeinsame Prinzip verbunden. Ist aber  die Atomisierung so weit gelungen, daß dieses Gesetz, statt von außen gegeben zu sein,  in die Person herein genommen und eine Allen gemeinsame Bindung und Verwandtschaff vorhanden ist, dann muß gleichzeitig etwas entstehen, was auch der Sache nach  neu ist. Dann wird an die Stelle der durch zufällige Addition gebildeten Masse bei  Fortbestehen der Individualitäten eine durch innere Uebereinstimmung und  organische Notwendigkeit entstandene formale Wesenheit treten, eine  höhere Einheit als Staaten sein können, die Menschheit. Dann wird es erlebt werden,  daß diese nicht einfach eine Addition aller nur möglichen Menschentiere ist, sondern  ein Organismus auf einer höheren Existenzstufe, und erst in dem Sinne kann es heißen:  Nur alle Menschen machen die Menschheit aus, nur alle Kräfte zusammen die Welt.

Novalis.

Die Menschheit ist der,höhere Sinn unseres Planeten, der Nerv, der  dieses Glied mit der obern Welt verknüpft,-das Auge, was er gen  Himmel hebt. Wir sind auf einer Mission: zur Bildung der Erde sind wir berufen.

Aus „Paul Scheerbart, Glasarchitektur", Berlin 
Verlag „Der Sturm", 1914.

Seite 38
Die Großstädte sind in der jetzigen Form noch nicht fünfzig Jahre alt. Sie können  ebenso schnell verschwinden, wie sie gekommen sind. Auch die Schienenwege  der Dampfeisenbahn sind nicht unsterblich.

Seite 79
„... die unnatürliche Ansammlung von Menschen in größeren Städten..."  Die freien Sekten in Amerika werden mit dem Bau von Glastempeln wohl die ersten  sein, die auf religiösem Gebiete die Glasarchitektur einen guten Schritt vorwärts bringen.  Es wäre nötig, hier zu betonen, daß die ganze Glasarchitektur von den gotischen  Domen ausgeht. Ohne diese wäre die Glasarchitektur garnicht denkbar; der gotische  Dom ist ihr Präludium.

Seite 107

XCIV.
Das zukünftige „Reisen".
"In der-Zukunft wird man „reisen", um sich neue Glasarchitektur anzusehen, die an allen  Orten der Erde immer wieder anders aussehen wird. Der „Glasarchitektur" wegen zu reisen, hat doch jedenfalls einen Sinn; man darf doch an  anderen Orten sehr wohl neue Glaseffekte „erwarten". Es ist ja auch anzunehmen, daß  neun Zehntel der Tagespresse nur von neuen Glaseffekten berichten wird. Die Tagespresse „braucht" das Neue .• darum wird sie dem Glase nicht feindlich gesinnt sein.

Seite 115 Die Umwandlung der Erdoberfläche. Immer wieder klingt uns manches so märchenhaft, während es garnicht phantastisch oder  utopistisch ist. Vor achtzig Jahren kam die Dampfbahn und wandelte tatsächlich, wie niemand  leugnen wird, die ganze Erdoberfläche um. Nach dem bislang Gesagten soll also die Erdoberfläche abermals umgewandelt werden -- und  zwar durch die Glasarchitektur. Kommt sie, so „wandelt" sie die Erdoberfläche „um". Dazu  gehören natürlich noch andere Faktoren, die hier nicht erörtert werden sollen. Durch die Dampfbahn ist die heutige Backsteingroßstadtkultur erzeugt, an der wir  alle leiden. Die Glasarchitektur wird erst kommen, wenn die Großstadt in unsrem Sinne  aufgelöst ist. Daß diese Auflösung kommen muß, ist allen denen, die eine weitere  Entwicklung unserer Kultur im Auge haben, vollkommen klar. Darüber  zu reden, lohnt sich nicht mehr.

Seite 119
Wenn die Häuslichkeit so ist, daß in ihr auch die kühnsten Phantasieen realisiert erscheinen, so hört die Sehnsucht nach dem Anderen einfach auf.

C. Ballod in der „Freiheit"
vom B. Februar 1919:

Um die volle städtische Selbstversorgung mit allen Nahrungsmitteln und Faserstoffen (Flachs,  Wolle) zu erreichen, sind auch bei hohen Ernten (Ernten in der doppelten Höhe der bisherigen deutschen statistischen Durchschnittsernten) je ein Morgen gleich 1/4 ha Land auf je  einen Kopf der Bevölkerung erforderlich. Für Berlin brauchte man danach rund 1h Million  Hektar, für Groß-Berlin 900000 bis 1 Million Hektar. Das heißt also: einschließlich von  40 Prozent nichtlandwirtschaftlichen Bodens brauchte man für Groß-Berlin etwa ein Quadrat von  120 Kilometer Seitenlänge, um die volle reichliche Selbstversorgung zu ermöglichen. Die  Ränder eines solchen Quadrates würden reichen im Süden bis nahe an Wittenberg, im Norden  bis Schwedt und Neuruppin, im Osten bis zum Oderbruch, im Westen bis Brandenburg an  der Havel. Wir wollen uns aber zunächst bescheiden mit der Frage, eine wie große Landfläche etwa erforderlich ist, um der Bevölkerung ungefähr die heutige „Kriegsration" an  Nahrungsmitteln zu gewährleisten. Die Antwort ist, daß der Bodenbedarf dazu überraschend  klein ist, kaum über 120000 Hektar Felder und 30000 Hektar Wiesen, d. h. nur 30 Prozent der  für eine reichliche Ernährung in Aussicht genommenen Fläche. 120000 Hektar Adler bedeuten  allerdings fast das Vierzehnfache der heutigen „agtierten" Berliner Rieselfelder. Die Rieselfelder würden aber gerade noch ausreichen, um die für Höchsternten nötige Wassermenge  und die nötigen Dungstoffe zu verabreichen, Zuschüsse sind erforderlich an Kalidünger. 

(Hiernach erforderliche Landfläche für Groß-Berlin........ 24400   qkm
Einwohnerzahl von Groß-Berlin rund 31/2 Millionen
Gesamtfläche der Mark Brandenbur............................... 39836   qkm
Also bleiben für die 2112 Millionen Menschen außer
Groß-Berlin...................................................................... 39836 - 24400 qkm = 15436 qkm

Danach könnte sich die Mark Brandenburg einschließlich Berlin vollkommen selbst versorgen.)

In Deutschland kommen auf einen Kopf 7700 qm Land.
“    Belgien                “        “        “       “    3700   “      “
“    Holland                “        “        “       “    5300   “      “
“    England               “        “        “       “    6300   “      “
“    Frankreich           “        “        “       “  12800   “      “

Aus der “FreienwissenschafiLsoziaLAgrar-Correspondenz"
Max Dieckgräber.

In Belgien gibt es keinen Großgrundbesitz und in systematischer Weise ist hier der Grundbesit3 verteilt, zum Segen des Landes. Eine wohlüberlegte Einteilung hat zugleich dafür  gesorgt, daß je nach der Beschaffenheit des Bodens die Erzeugnisse gezüchtet werden, und  nach der Ernte findet ein entsprechender Austausch statt. Es ist demnach wohl verständlich, daß die Besitzer solcher befriedigender Lebensverhältnisse  entsetzt waren, als sie erfahren mußten, daß die Deutschen ihr lediglich auf rein friedliche  Entwicklung und die Wohlfahrt des Einzelnen bedachtes Gemeinwesen überfielen. Mit einem  uns heute wohl verständlichen Zorn versuchten die so überraschten Belgier vielfach, an in ihren  Händen befindlichen Angehörigen des deutschen Volkes, Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Noch im Süddeutschen findet man, daß dort ein Großgrundbesie zu den Seltenheiten gehört ,  doch schon ist dort der Besie nicht in gewissen Schranken gehalten, sondern ausdehnungsfähig, welches sich immer mehr verbreitet, je weiter wir nach dem Osten kommen. Mit dem  Großgrundbesitz  nimmt aber auch das Elend, die Unfreiheit und das Tierische, oder drücken  wir uns nachsichtiger aus: maschinenmäßige Betätigung der Volksmehrheit zu, während der  einzelne Herrenmensch immer brutalere Formen annimmt. In Rußland hat nun der Großgrundbesite eine ganz widersinnige Form angenommen, daß es gar nicht verwunderlich ist,  daß ein Zusammenbruch, der über kurz oder lang unabwendbar war, erfolgte. Nun erleben wir es aber, daß die Formen, welche den Großgrundbesitz aufzuteilen bemüht  sind, derartige sind, daß das Volksganze dabei zugrunde geht. Daher soll es wohl unser  Ziel sein, derartige Verhältnisse zu erlangen, wie sie z. B. in Belgien zu unserer Bewunderung  gefunden wurden, aber jedenfalls ist der Weg dahin und darüber hinaus doch ein anderer  und jedenfalls längerer, als einige Stürmer für gut befinden, denn die teilweise habsüchtige  und knechtische, von allem aber zum großen Teil bisher unfreie Natur der östlichen Bevölkerungsschichten, girrt lediglich zusammen und reißt nur nieder, anstatt an eine Herbeiführung  gesunder Verhältnisse zu denken. Die Mehrzahl dieser Menschen 'ist nur bemüht, nachdem sie selbst für sich etwas errafft hat,  andere in ihre Arbeitsfrohn wieder zu pressen. Wenn ich nur habel ist ihre Devise.  Darum erst nach der Erziehung dieser Zeitgenossen werden wir den Großgrundbesitz voll-.  kommen abbauen können, bis dahin aber dürfte ein solcher, wo er besteht, erhalten bleiben,  am besten allerdings in Form von Genossenschaften, welche möglichst den Großgrundbesitz  übernehmen sollten, denn nur einer klarblickenden und ruhigen Zeitepoche kann es vorbehalten  sein und bleiben, eine exakte Regelung dieser Frage herbeizuführen. Allerdings dürfte dann  der Besitz des Einzelnen kein größerer werden dürfen, als er allein zu bearbeiten, ev. mit  einem oder zwei Eleven zu bearbeiten imstande ist, freilich unter Berücksichtigung der  jeweiligen Bodenbeschaffenheit (schwer oder leicht etc.), mit dem ganz besonderen Verbot,  daß schulpflichtige Kinder zu keiner Landarbeit herangezogen werden dürfen, denn jedes Kind hat das Recht auf eine spielfrohe Jugend.


Walt Whitman, ZERSTREUTE NOTIZEN:

Im gewöhnlichen Erdboden, in Getreide, Vieh, Luft, Bäumen usw. und in der unmittelbaren Berührung damit liegt ein feines Etwas, welches das einzig reinigende und  ' dauernde Element für Individuum und Gesellschaft bildet. Ich würde es gerne sehen, wenn die unmittelbare Beschäftigung mit Landwirtschaft immer allgemeiner würde.  Ihre Ergebnisse sind die einzigen, auf welche Gott herabzulächeln scheint. Welche  anderen -.. welches Geschäft, welcher Profit, Reichtum ohne Makel? Welches Vermögen sonst .- welcher Dollar .- ist nicht mehr oder weniger Zeichen und Resultat  von Betrug, Lüge, Unnatur?

Leo Tolstoi, Mein Glaube. Kap. X.

Seite 255/6
Eine der ersten und von Allen anerkannten Bedingungen zum Glück ist ein  Leben, in welchem der Zusammenhang des Menschen mit der Natur nicht zerstört ist, d. i. ein Leben unter freiem Himmel, bei Sonnenlicht und freier Luft;  Gemeinschaft mit der Erde, mit Pflanzen und Tieren.

Aus „Gustav Theodor Fechner, Tagesansicht".

Die Schritte der Religion sind groß, aber langsam. Sie braucht Jahrtausende zu einem Schritt. Der zum Fortschritt aufgehobene Fuß  schwebt schon sich senkend in der Luft; wann wird sie ihn niederselten? 


DER TOD DES ROTEN REGIMENTS
(aus dem Englischen von Richard A. Schaefter)

Der Herausgeber einer Soldatenzeitung für die russische weiße Armee erzählte dem  Korrespondenten der in New-York erscheinenden antibolschewistischen jüdischen Zeitung  „Der Tag" folgende Begebenheit. Der Korrespondent versicherte wegen der Ungeheuerlichkeit  der Geschehnisse seinen Lesern ausdrücklich, daß er die Erzählung buchstäblich so wiedergebe,  wie er sie Wart für Wort von dem Russen vernommen habe. „ ... wie Sie wissen werden, änderten die Bolschewiki die Namen ihrer alten Regimenter,  So tragen die Moskauer Truppen z. B. alle die Initialen Karl Liebknechts auf ihren Schulterklappen. Wir nahmen einmal ein ganzes Regiment gefangen, das zu diesen Karl LiebknechtTruppen gehörte. Die Gefangenen wurden verhört. Diese Verhöre an der weißen Front  sind kurz und bündig: jeder Gefangene wird gefragt, ob er Kommunist sei, und wenn er es  zugibt, sogleich zum Tode des Hängens oder des Erschießens verurteilt. Und die Roten wußten  sehr wähl um dieses unser abgekürztes Verfahren! Leutnant K., der mit -der Exekution der Verurteilten betraut war, trat vor die Front des  Regiments und sagte streng und kalt: „Diejenigen unter euch, die wirklich Kommunisten sind,  können jetzt ihren Mut beweisen, indem sie zwei Schritte vortretenl" Eine entsetzliche, atemlose Pause ... die Gefangenen wußten, was diese Frage bedeutete..  Dann . . . erst zögernd, dann entschlossen, tat über die Hälfte des Regiments die beiden  verhängnisvollen Schritte. Ich hatte noch niemals vorher Gelegenheit, der Vollziehung eines solchen Urteils beizuwohnen.  Doch halt! Ich vergaß: ich sah schon einige Zeit früher einmal einen gefangenen Kommunisten.  Ihm hatte man den Vorzug gewährt, von hinten erschossen zu werden. Mit seinem Rücken  den Gewehren zugekehrt, wurde er erschossen und fiel vornüber in das hohe Gras . .  Und noch eine Episode hat sich meinem Gedächtnis eingeprägt: der Tod des Generals  Nikalajew, einer von Trotzkis befähigsten Armeekommandanten. Er wurde gefangen und  bekannte, Kommunist zu sein. Er wurde verurteilt, sich selbst zu hängen. Wir bereiteten  ihm den Galgen in Hamburg j. auf dem Marktplatze neben dem dortigen Karl Marx-Denkmal,  einer Kopie der in Moskau aufgestellten Statue...

Richard A. Schaefter.

Doch ja, das Regiment... Die Herausgetretenen wurden natürlich erschossen. Aber vorher  hatten sie noch ihr eigenes Grab zu graben. Gewöhnlich fand die Hinrichtung von Kommunisten  nach Sonnenuntergang statt auf einem Felde nahe der Kirche. Es ist Dämmerung, die Luft ist angefüllt mit Blumenduft und der grüne Turm der Dorfkirche  schaut über die Pappeln hinweg, die ihn umrahmen. Sie schlafen schon. Am Tage niemals  ruhend, stehen sie fett in der Dämmerung, da auch nicht das kleinste Lüftchen weht,  bewegungslos und scheinen sorgenvoll auf die hölzernen Kreuze des Friedhofs hinabzublicken.  Das traurige Geschehen hat eine Menge Zuschauer angelockt: Bauern, Frauen, Kinder, Soldaten.  Scheu zusammengedrängt stehen sie, wie Schafe bei einem Sturm. Die Verurteilten werden  aufgefordert, ihre Kleider abzulegen. Die Front ist arm und die Uniformen sind bitter nötig;  sie werden von den weißen Soldaten gebraucht. Und um die Uniformen vorm Beschädigen  durch die Kugeln und vorm Besudeln mit Blut zu bewahren, werden die Gefangenen gezwungen,  sich zu entkleiden, bevor man sie erschießt. Zögernd entledigen sie sich ihres Hemdes, rollen  ihre Kleider zu einem Bündel und legen es beiseite. Es ist sehr sonderbar: Man könnte  meinen, sie entkleideten sich, um zu baden. Dort standen sie frierend in dem Feld. und ihre Haut erschien im Mondlicht von ungewöhn,  licher Weiße, fast durchscheinend. Einige von ihnen erhalten Spitzhacke, andere Spaten, und  sie beginnen große gemeinsame Gräber auszuwerfen. Ich erinnere mich genau, daß mir der  Gedanke kam, wie entsetz1ich es sein müsse, das kalte Eisen des Spatens mit dem bloßen  Fuß in die Erde zu pressen; es muß ins Fleisch schneiden. Es dauerte geraume Zeit, bis die  Kommunisten ihre Gräber ausgehoben hatten. Nach einer Viertelstunde war erst ein halber  Meter Tiefe erreicht. Zufällig berührten meine Finger meine Seite. Ich fühlte, daß meine  Kleider vollständig feucht vom Tau waren, der gleich einem feinen milden Regen herabfiel.  Das Gras bog sich unter schweren Tropfen. Mit den Stiefmütterchen .. diesen kleinen  Blümchen in der Farbe von Menschenaugen - glich das Feld einem Teppich. Und in jedem  Auge hing gleichsam eine Träne. Und die nackten Kommunisten gruben... Als eine halbe Stunde vergangen war, befahl Leutnant K. seinen Leuten, beim Ausschachten  zu helfen. Er war sehr nervös und die ganze Sache schien ihm peinlich: das Graben, das  Warten, die ganze schreckliche Umgebung. Die Soldaten treten an die Seite der Verurteilten  Es wird dunkler und dunkler und ist immer schwieriger, die Nackten von den Uniformen zu  unterscheiden: nur noch ein Gewimmel wogender Glieder ist dort. Leutnant K. und ich treten  näher hinzu und nun erkenne ich die Einzelnen auch wieder. Hier haben drei oder vier ein  gemeinsames Grab ausgehoben. Ich kann nur ihre Schultern noch sehen, ihre Körper verbirgt  mir die Grube, in der sie stehen. Aber schließlich haben die Gräber die nötige Tiefe. Die Verurteilten seufzen vor Erschöpfung.  Viele von ihnen werfen sich auf die weiche feuchte Erde, um zu verschnaufen. Es ist ihre  letzte Ruhe. Jett erst sehe ich, daß viele von ihnen Verbände tragen: sie sind verwundet ...  Nervös und unzusammenhängend, beinahe als ob er stottere, fragt Leutnant K. nach ihren  letzten Wünschen. Ein paar streifen dünne Ringe von den Fingern und geben sie dem  Leutnant. Zwei waren von Petersburg. Einer hat Familie, der andere hinterläßt eine Frau . . .  Die. meisten haben keinen Wunsch mehr; ihr Gefühl ist schon tot, als ob sie längst gestorben  seien. Ich kann mir ihre völlige Ruhe und Gleichgültigkeit nicht erklären. Es ist eine typische  russische Gleichgültigkeit. Ich fragte einen von ihnen, was ihn zum Kommunisten gemacht. Eigentümlich kalt und  abweisend antwortete er: „Das verfluchte Leben. Die Welt braucht Glückt"

Richard A. Schaefter.

Die Soldaten halten ihre Gewehre schußbereit. Die nackten Kommunisten stehen an ihren  Gräbern, dicht aneinander; eine weiße Mauer im Mondlicht . . . Ein Kommando, ihm folgt  grelles Aufblitzen und Knall der Salve ... Sie stehen noch gerade und stolz aufgerichtet.  Eine zweite Salve ... Die Kugeln trafen einige in die Brust, Blut quillt hervor. Aber die  meisten sind nur leicht verwundet. jetfit folgt Salve auf Salve. Nach jeder eine kleine Pause,  in der ich tiefe wehklagende Seufzer höre. Es werden ihrer weniger und weniger. jetzt rufen  die noch Lebenden aus: „He, ihr cal Nehmt besser Ziell" Einige zeigen auf ihr Herz:  „Hierher zielen!" ... Und Schüsse knallen: Und Blut fließt ... Endlich sind alle tot ... Einige fielen am Rande der Grube, die meisten sind hineingefallen  in ihr Grab. Es ist alles vorbei. Nichts stört die Ruhe ...

Novalis.
„Es wird so lange Blut über Europa strömen, bis die Nationen ihren fürchterlichen  Wahnsinn gewahr werden, der sie im Kreise herumtreibt. ... Keine hoffe die  andre zu vernichten, alle Eroberungen wollen hier nichts sagen, denn die innerste  Hauptstadt jedes Reiches liegt nicht hinter Erdwällen und läßt sich nicht erstürmen ... Die anderen Weltteile warten auf Europas Versöhnung und Auferstehung, um sich anzuschließen und Mitbürger des Himmelreichs zu werden.  Sollte es nicht in Europa bald eine Menge wahrhaft heiliger Gemüter wieder geben? Sollten nicht alle wahrhaft Religionsverwandte voll Sehnsucht werden, den Himmel  auf Erden zu erblicken, und gern zusammentreten und heilige Chöre anstimmen?" 

Peter von Ulm in Claudels Verkündigung:
Gewiß ist Justitia schön. Aber um wie vieles schöner Ist dieser fruchtreiche Baum ,der Menschheit, der vom wachsenden Abendmahlssamen  (erzeugte Baum.  Er gibt eine einzige Gestalt, nach einem einzigen Punkte gerichtet. Ah, wenn doch alle Menschen den Bau gleich mir verstünden,  Wer möchte dann sich seinem Gesetz entziehen und seiner ihm von der Kirche bestimmten Stelle?

Aus „Friedrich Hölderlin, Hyperion".

„Du räumst dem Staate denn doch zu viel Gewalt ein. Er darf nicht fordern,  was er nicht erzwingen kann. Was aber die Liebe gibt und. der Geist, das läßt sich nicht erzwingen. Das laß er unangetastet, oder man nehme sein Gesetz  und schlag' es an den Pranger! Beim Himmell der weiß nicht, was er sündigt, der den Staat zur Sittenschule machen will. Immerhin hat das den Staat zur Hölle gemacht, daß ihn der Mensch zu seinem Himmel machen wollte. Die rauhe Hülse um den Kern des Lebens und nichts weiter ist der Staat. Er ist die Mauer um den Garten menschlicher Früchte und Blumen. Aber was hilft die Mauer um den Garten, wo der Boden dürre liegt? Da hilft der Regen vom Himmel allein. O Regen vom Himmel! O Begeisterung! Du wirst den Frühling der Völker uns wiederbringen. Dich kann der Staat nicht hergebieten. Aber er störe dich nicht, so wirst du kommen, kommen wirst du mit deinen allmächtigen Wonnen, in goldne Wolken wirst du uns hüllen und empor uns tragen über die Sterblichkeit, und wir werden staunen und fragen, ob wir es noch seien, wir, die Dürftigen, die wir die Sterne fragten, ob dort uns ein Frühling blühe -- fragst du mich, wann dies sein wird? Dann, wenn die Lieblingin der Zeit, die jüngste, schönste Tochter der Zeit, die neue Kirche, hervorgehen wird aus diesen befleckten, veralteten Formen, wenn das erwachte Gefühl des Göttlichen dem Menschen seine Gottheit und seiner Brust die schöne Tugend wiederbringen wird, wann .. ich kann sie nicht verkünden, denn ich ahne sie kaum, aber sie kommt gewiß, gewiß. Der Tod ist ein Bote des Lebens, und daß wir jetzt schlafen in unsern Krankenhäusern, dies zeugt von nahem gesunden Erwachen. Dann, dann erst sind wir, dann, dann ist das Element der Geister gefunden!" Alabanda schwieg und sah eine Weile erstaunt mich an. Ich war hingerissen von unendlichen Hoffnungen: Götterkräfte trugen wie' ein Wölkchen mich fort „Komm!" rief ich, und faßt' Alabanda beim Gewande, „komm, wer hält es länger aus im Kerker, der uns umnachtet!"

Emerson.
Die Städte sind für des Menschen Sinne zu eng.


Walt Whitman Pioniere!"
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Ruhen aus die alten Rassen?
Sinken. sie mit ihrer Lehre, müde hin jenseits der See?
Unser wird die ewige Arbeit und die Last und auch die Lehre,
Pioniere! Pioniere!
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Hinter uns liegt das Vergangene,
Vor uns eine neue weitere Welt und wechselvoller,
Frisch und stark ergreifen wir sie, Welt der Mühsal und des Marsches,
Pioniere! Pioniere!
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Senden unsere Bataillone
In die Schluchten, durch die Pässe, zu den Bergen steil empor,
Wir erobern, fassen, halten, wagen unbekannte Wege,
Pioniere! Pioniere!
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Fällen Urwald-Riesenstämme,
Quälen Ströme, dämmen Flüsse, reißen tief die Minen auf,
Messen weite Bodenflächen, furchen jungfräuliche Erde,
Pioniere! Pioniere!.
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Alle Pulse dieser Erde
Fallen ein und schlagen mit uns, mit des Westens Werdegang,
Einzeln oder allzusammen, stetig vorwärts, alle für uns,
Pioniere! Pioniere!
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Lebenswirren, Schaugepränge,
Alle Formen, alle Farben, alle Menschen an der Arbeit,
Die zur See und die zu Lande, Herren mit den Sklaven alle:
Pioniere! Pioniere!
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Alle, die aus Liebe leiden,
Die Gefangenen in den Zellen, die Gerechten und die Schlechten,
Die Beglückten, die Bedrückten, Lebende und Sterbende:
Pioniere! Pioniere!
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Ich, mein Leib und meine Seele,
Seltsam Trio, die wir tasten, -wandern unsern weiten Weg,
An den Küsten, durch die Schatten, wo Gestalten uns umdrängen,
Pioniere! Pioniere!
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Unsere Erde, rollend, kreisend,
Und die vielen Brudersphären, Nebelsonnen und Planten,
Glänzend helle heitere Tage und die traumerfüllten Nächte,
Pioniere! Pioniere!
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Sie sind unser, sie sind mit uns,
Für die erste Vorarbeit, weil noch Ungeborene warten.
Heute haben wir die Führung, bahnen Wege, legen Gleise,
Pioniere! Pioniere!
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O ihr Töchter aus dem Westen!
Junge Weiber, ältere Weiber, o ihr Gattinnen und Mütter!
Nicht getrennt, mit uns verbunden steht ihr fest und treu zusammen,
Pioniere! Pioniere!
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Sänger harren in der Prärie,
Tote Barden andrer Länder, ihr dürft ruhen nach der Arbeit.
Doch die Neuen hör ich nahen, singend unter unsern Scharen:
Pioniere! Pioniere!
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Nicht zu müßigem Behagen,
Polsterkissen und Pantoffeln; nicht der stille Fleiß und Friede;
Nicht den Reichtum sicher sammeln, nicht das Ausruhn im Genießen,
Pioniere! Pioniere!
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Schwelgen sie, die satten, Schlemmer?
Schlafen fest die fetten Schläfer? Riegeln ängstlich ihre Türen?
Unser bleibt die rauhe Nahrung, eine Decke, harter Boden,
Pioniere! Pioniere!
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Ist die Nacht herabgesunken?
War der Weg zu hart und steinig, hielten wir entmutigt inne?
Nun so rastet eine Stunde, ruht in seligem Vergessen,
Pioniere! Pioniere!
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Bis, zum Ruf der Morgenhörner
Weit, weither vor Tagesanbruch... Horch, wie laut und klar getragen!
Auf! Nun stellt euch an die Spitze. Schnell an die gewohnten Plätze:
Pioniere! Pioniere!
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