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Autor: Trzeschtik, Ludwig
In: Allgemeine Bauzeitung - 54 (1889); S. 1-5, 14-16, 21-24, 31-32, 37-40, 47-48
 
Die moderne Architektur *)
 
KRITISCHE SCHWEIFUNGEN
von L. Trzeschtik, Architekt

I.
In den mannigfachen Besprechungen unserer modernen Architektur-Leistungen (besonders jener von Wien) in Tagesblättern, Fachjournalen, auch in öffentlichen Vorlesungen etc.**) begegnet man fast ausschliesslich Urtheilen, welche uns glauben machen, dass wir Neueren die Griechen und Römer sammt der ganzen Original-Renaissance längst überflügelt haben; wir werden völlig betäubt vom Haschisch des Lokal- und Zeit-Chauvinismus; ja wir werden am Ende selbst mithineingerissen in den Weihrauchtaumel. Aber der Versuch sollte sich lohnen, sich aus diesen Träumen einmal zu ermuntern und die Sache nüchtern in's Auge zu fassen; dabei zeigt sich dem vorurtheilslosen »Anatomen« nicht selten, dass die ihm vorgelegte mediceische Venus, in welcher angeblich volles, echtes Leben pulsiren soll, allenfalls nur eine hübsche Wachspuppe ist, oder dem gewissenhaft analysirenden »Chemiker«, der die Kunstleistungen unbeirrt in ihre Elemente und Atome zerlegt, dass nicht Alles Gold ist, was glänzt!
Der Zweck der nachfolgenden Zeilen ist es nun, den  V e r s u c h  zu machen, das Wahre und Falsche an der Sache möglichst auseinanderzuhalten, die Kehrseite der Medaille zu zeigen, darzuthun ferner, dass so Manches von dem, was Viele leider so häufig als das Ideal eines neuen Kunstaufschwunges der Architektur - resp. der Kunst überhaupt - betrachten, der die Alten und die Renaissance, die Romaneske wie die Gothik weit hinter sich lässt, eigentlich sehr häufig vor dem Richterstuhl einer unbefangenen, durch Rücksichtnahme unbeeinflussten Kritik eher als ein Zerrbild der Kunst erscheint; ferner dass so Manches, was den blinden Verehrern des Modernen als eine reine Götterthat, als höchste Vollkommenheit die Sinne verwirrt, nicht selten leider als eine Versündigung an der Kunst und am guten Geschmack anzusehen ist!
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*) Die vorliegenden Studien und Betrachtungen betreffen nicht blos die Wiener und österreichische Architektur speziell, sondern d i e m o d e r n e  A r c h i t e k t u r  i m  A l l g e m e i n e n ;  doch ist Wien dabei  b e s o n d e r s  in Beurtheilung gezogen. Diese Kritik beschränkt sich nicht allein auf das speziell Künstlerische, sondern greift auch auf das Gebiet des technischen Bauwesens über.
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**) So lesen wir z. B. in einem grossen Werke über die Wiener Architektur: »Die in jeder Hinsicht hochbedeutende Bauthätigkeit Wiens in den letzteren Jahren ist allen Architekten zum Theil aus eigener Anschauung bekannt. Die Eigenart des sogenannten »Wiener Styles« hat sich im Aeussern, den lokalen Verhältnissen gemäss, als eine moderne Nuance der Renaissance schön und prächtig entwickelt und entspricht noch in der inneren Einrichtung den strengsten Anforderungen feinsten Geschmackes und höchsten Komforts« (!?) - Ueber ein Gebäude in Wien, über welches ein grosser Theil des gebildeten Publikums längst so ziemlich den Stab gebrochen, weil es trotz seines pomphaften Schmuckes, von ferne gesehen, wie ein Möbel aus einer Gigantenstube dasteht, schreibt ein Kritiker, »es sei das hervorragenste Bauwerk des betreffenden Architekten (physisch allerdings; zum Glück hat derselbe Künstler Anderes und  B e s s e r e s  noch geschaffen!), welches die ganze Umgebung in den Schatten stelle (physikalisch wieder richtig!); »seine Schönheit springe Jedermann in die Augen  u. s. w. «  Am Ende aber kann der Kritiker doch nicht umhin, einiges an dem Bau nicht sonderlich schmackhaft zu finden, und so verzuckert er die bittere Pille schliesslich durch eine Tirade ganz freundschaftlich und mit obligater Rührungsthräne. Ueber ein zweites, sehr ähnliches Gebäude, des im Publikum ebenfalls nicht des besten Leumundes geniesst, äussert sich derselbe Kritiker noch lobender!. . . . . Ueber den Bauschwindel, über die »Häuserfabrikation« von Seite der Spekulanten und Unternehmer, die besonders von 1865 bis 1875 in Oesterreich und Deutschland blühten, schweigt jedoch derselbe Kritikus, warum?! Warum nicht nach diese Schattenseite des Bauwesens aufdecken?!


Man legt sich unwillkürlich die Frage vor: Ist das wirklich die Morgenröthe einer neuen Kunstphase?! (Vielleicht ist das, was so Viele als einen » Sonnenaufgang« betrachten, nichts als das letzte Aufflackern des verlöschenden Volks- und Zeitgeistes am Vorabende einer Weltkatastrophe!  » S o n n e n u n t e r g a n g ! « Wer will es bestimmt sagen? Wer will die moralische Verantwortung eines apodiktischen Ausspruches übernehmen? Fast will uns das Letztere nach der gesammten Weltlage wahrscheinlicher dünken, als das Erstere!. . . .
Es kann nun nicht geleugnet werden, dass wir seit zirka 25 Jahren erhebliche Fortschritte gemacht haben, und dass an  v i e l e n  Orten,  a u c h   i n   W i e n ,  v i e l e  schöne Werke geschaffen wurden, nicht allein von Künstlern ersten Ranges und verdienten hohen Rufes, sondern auch von Sternen zweiter und dritter Grösse. Die wirklichen Künstler stellen sich aber deshalb doch nicht auf den Kothurn, den nur kleinere Geister und ihre Anhänger sich anzuschnallen bemüssigt sind, meistens aber sind es gewisse Schriftsteller, welche die Verhimmelung besorgen, sei es, dass sie dafür Lohn erhoffen, oder aus anderen Gründen (z. B. Lokal-Chauvinismus). Aber wie wenige unserer modernen Baukünstler verfügen über die Phantasie der Renaissance, über die streng durchgebildete Zunftkunst der Gothiker, über die ideale Auffassung und Natur der Griechen. Ja wäre dies der Fall, so würden noch schönere Werke geschaffen, denen noch der Umstand zugute käme, dass wir überhaupt in der Gegenwart viel zierlicher und feiner arbeiten*), als man meist in früheren Zeiten gearbeitet hat, besonders zu einer Zeit, als die ersten Meister ihre Pläne nicht viel besser darzustellen wussten, als heutzutage ein Schüler einer guten Baugewerkschule es darzustellen vermag, geschweige in ganz alten Zeiten, in welchen man die Pläne auf Stein-, Holz- und Wachstafeln oder auf Pergament gezeichnet hat. Wir verstehen Alles sehr elegant zu machen, auf das feinste*); aber wo ist das selbstständige Formentalent, wo zeigt sich die produktive und schwungvolle Phantasie? Allerwärts, und so auch in der Baukunst, existirt eine grosse Schaar von Nachtretern und unselbstständigen Halbtalenten; diese  k o p i r e n   A l l e s ,  k o m b i n i r e n , aber  k o m p o n i r e n  nicht. Diese Gattung Leute schafft nicht, am allerwenigsten originell, sondern höchstens gesucht! Es ist leider auch in den anderen Künsten so, besonders in der Musik. Wenn nun auch ein wahrheitsliebender Tadel unangenehm berührt und gerne überhört wird, so muss man ihn dennoch aussprechen, das ist ja Pflicht der Kritik, weil wir sonst vor lauter Selbstberäucherung einschlummern, oder einer gesunden Selbstbeurtheilung gar nicht mehr fähig sind. (Ueber andere Faktoren, die besonders im Profanbau einen schädlichen Einfluss ausübten und noch ausüben, vergl. später Absatz V.)

*) Zierlichkeit und Eleganz sind aber noch nicht der Gesammtausdruck höchster und vollster Kunst und Schönheit, sondern nur Theilmomente, Elemente. So können den Nüchternen, den kunstwissenschaftlich-kunstphilosophisch Gebildeten, den gut geschulten Kunstkenner so wenig blenden, als die Masse, die Quantität, der hohle Prunk, der oberflächliche Pomp und Glanz, welche die Laien, das grosse Publikum fasciniren.

Dass die Dinge so stehen, daran ist zunächst, ganz abgesehen von dem verderblichen Schmeichlerthum von gewisser Seite,  u n s e r  L e h r g a n g  S c h u l d ; ein grosser Fehler ist auch der  M a n g e l  a n  w a h r h a f t e r,  f a c h v e r s t ä n d i g e r  K r i t i k  über Bauten; die gewöhnliche Kritik der Tagesblätter und mancher Journale über Bauwerke, besonders  e r s t e r  Meister *), ist meistens das gerade Gegentheil der fast allerwärts üblichen Theaterkritik; bei letzterer, wenn wir sie nicht in bezahlten Schmierblättern von gewissen Theater-Agenturen suchen, finden wir sehr häufig die vollste Rücksichtslosigkeit, ungeschminktes Urtheil, auf Sachverständniss beruhend, allerdings oft auch getrübt durch schnöde persönliche Rankune; aber bei jenen Baukritiken treffen wir fast stets auf mangelhafte Einsicht, daher auf die glimpflichste Beurtheilung, die schonendste Darstellung der Fehler, die liebenswürdigste und zartfühlendste Besprechung, so dass so manche Kritik einer Reklame, wenn auch sicher gar nicht beabsichtigt, täuschend ähnlich sieht! (Reklamen sind auch mit jenen Faktoren in innigem Konnex, die wir vorhin erwähnten, und die wir später Absatz V ausführlicher angeben; diese Faktoren zeigen sich an manchen Orten als ein wahrer Krebsschaden im Bauwesen und sind im Profan- und Privatbauwesen eine der Hauptursachen so mancher recht trüben Erscheinung.)
Was nun den Lehrgang vieler moderner Architekten oder Baumeister und ihre Ausbildung betrifft, so finden wir gegen frühere Zeiten, in welchen es an bedeutenden Bauproblemen just auch nicht mangelte, einen bedeutenden Unterschied!
Die Kunstjünger der früheren Epochen kamen schon als Knaben in die Ateliers der Künstler, woselbst ihnen der sprühende Kunstgeist eingeimpft wurde, und wenn sie dann auch später strengere scholastische Kollegien zum Behufe höherer allgemeiner Bildung durchmachten, so begleitete sie die Kunst von früher her als schützender Genius, der ihnen lächelnd verhiess, dass diese exakten Studien, dermalen doch nur ein Uebergangsstadium sind, ein nothwendiges Uebel und dass die Jünger aber bald bleibend in die Tempel der Kunst eintreten werden, um sich dann für immer beseeligend ihrem hehren Dienst zu widmen.
Dies war ziemlich der Fall bis selbst noch gegen 1850; auf diese Weise haben auch die meisten jener bedeutenden Architekten der Neuzeit, deren Werke wir bewundern, noch einen ganz anderen, viel erspriesslicheren, passenderen Studiengang durchgemacht als die meisten der ganz jungen Architekten und Anfänger. Das sind jetzt tempi passati.
Es gibt hiebei nur wenige Ausnahmen; und obgleich dieselben eigentlich zu beneiden sind ob ihres Glückes, so betrachtet man jetzt schon gewöhnlich derlei als Anomalie!
Der junge »Kunst«- Aspirant kommt gegenwärtig meistens gleich nach Absolvirung der Gymnasien (acht Jahre!) oder Realschulen etc. (zirka sechs Jahre!), in welchen er ohnedies schon einen zum Theil unnützen und unverdaubaren Wissenswust in seinen, bereits in andere ungünstige Bahnen gelenkten Kopf, aufnehmen musste, an eine technische Hochschule (fünf Jahre!) die für Kunst nicht viel thut, für den Kunst g e i s t  aber fast gar nichts! Es werden daselbst eigentlich mehr Ingenieurs als Künstler gebildet; auch das Burschenschaftswesen begünstigt nicht sehr die Kunst**).

*) Als ich einst einer Abendsitzung den - Vereines in X. beiwohnte, verbreitete sich Einer der ersteren Architekten über seinen bevorstehenden Neubau und erklärte seine Pläne. Viel hätte es da auszusetzen gegeben! Und es hätte ja in fragender und sehr diplomatischer Form geschehen können, aber trotzdem der Künstler die Kollegen wiederholt aufforderte, ihre Meinung ganz ungescheut auszusprechen, sagte doch kein einziger der Anwesenden ein Sterbenswort. Eine Zeit lang herrschte nun eine drückende Todtenstille im Saale. Ich, damals eines der jüngsten Mitglieder, konnte es mir natürlich nicht beifallen lassen, mit meiner Meinung herauszurücken. Die Fehler aber blieben unerörtert!

**) Die polytechnische Hochschule in Wien machte, wenigstens zeitweise, eine relative Ausnehme und pflegte nach Kräften die Baukunst, soweit es eben ging; als weil. Prof. v. F e r s t e l  an diesem Institute als Lehrer der Architektur thätig war, wirkte er für Pflege des Kunstsinnes an der Bauschule, was unter den obwaltenden Umständen möglich war. Der Mangel an Kunstsinn bei vielen Frequentanten, sowie der Mangel an eventueller Kunstpflege überhaupt, liegt nicht eigentlich an den Persönlichkeiten - ausgenommen etwa jener famose Major, den man in der Aera der Hochdruck-Reaktion als Direktor (!?) einsetzte und der beständig mit dem Haslinger herumfuchtelte! - es liegt mehr an den Grundverfassungen aller derartigen Institute, weil sich eben ein p o l y t e c h n i s c h e s  Institut und eine  K u n s t akademie, wenngleich verbindende Faktoren vorhanden sind, de facto doch schwer vereinigen lassen.

(Auch im Publikum ist bereits eine solche falsche Auffassung verbreitet, dass man nach den Kunststudien eines jungen Architekten gar nicht mehr fragt, sondern nur nach dessen technischem Studiengang! (Staatsexamen!) Dem Publikum ist also die Kunst Nebensache geworden und doch freut es sich, wenn einmal ein wirklicher Baukünstler demselben einen schönen Bau herstellt.  W i e  n a i v !)
D e r  A s p i r a n t  t r i t t  j e d o c h  a l s  d i p l o m i r t e r  A r c h i t e k t  a u s !
So ausgestattet, kommt er dann eventuell (!) mit etwa 18 bis 25 Jahren, oder noch später, an die Akademie (einst 1 bis 2 Jahre, jetzt 3 bis 4 Jahre!) - Der Studiengang in Wien, resp. Oesterreich, findet beinahe ohne Ausnahme in dieser Weise statt. Fast erscheint nun unserem angehenden Architekten die Akademie überflüssig, glaubt er doch schon übermüthig, Alles zu kennen, Alles zu wissen. Auch hier herrscht dermalen mitunter ein mehr steifer Ton; die alte bauakademische Gemüthlichkeit ist, wie es scheint, so ziemlich alle geworden! Dann kommt die»obligate« Romfahrt, wenn sich der junge Künstler überhaupt noch dazu entschliesst. Und was für Nutzen zieht er aus dieser, jung und unreif, ungenügend vorbereitet, wie er sie unternimmt? *)
Das ist eines der Grundübel, welche verschulden, dass so mannigfach nicht das wirklich geleistet wird, was angeblich und unter anderen Umständen geleistet werden könnte. Niemand erdreistet sich, wie gesagt, den bedeutendsten Architekten und Baumeistern der neueren Zeit Talent und geniale Anlagen abzusprechen, aber wenn wir die Leistungen der Künstler der Renaissance und des klassischen Alterthums betrachten und die damaligen geringen Lehrmittel bedenken, so müssen wie umsomehr mit Verwunderung nach der Quelle schauen, welcher die reiche Phantasie, der Geschmack und das Talent der alten Meister entströmte, so wie deren Gabe, den Zweck und die nothwendige Raumvertheilung und Anordnung mit dem Aeussern und dem Styl in Einklang zu bringen, ohne Zwang weder nach der einen noch nach der anderen Seite. Was sehen wir heutzutage aus unserem Schulbrunnen fliessen?! Nun allerdings fehlt es auch heutzutage nicht an vielen Künstlern, welche viel Geschmack und, hohe Befähigung besitzen, aber im Allgemeinen bemerkt man mehr Freiheit und Eleganz in der  k u n s t g e w e r b l i c h e n  oder  g e w e r b l i c h - t e c h n i s c h e n  Ausführung und en détail, was jedoch mehr Verdienst und Fortschritt des kunstgewerblichen Unterrichtes ist; mehr Kühnheit in der Konzeption   i n t e r e s s a n t e r  K o n s t r u k t i o n e n,  was auf Rechnung der grösseren Pflege der technischen Fächer kommt; dafür aber bemerken wir bei so vielen unserer Bauten weniger Freiheit und Phantasie in der Anlage und in den Hauptformen; es erscheint Alles gezwungen, einander abgezwackt, gedrungen, verschnitten, überladen oder verflacht, gedrückt oder zu überhöht, ohne hübsche Gruppirung, ohne Formenharmonie, ohne hübsche Verhältnisse, ohne malerischen Reiz. Am markantesten tritt das bei so vielen neueren Theaterbauten hervor **).

*) Ein bekannter Kunstschriftsteller bemerkt einmal in dieser Beziehung sehr treffend: »Wer wird sich der Täuschung hingeben, dass ein junger Mann, nachdem er durch mehrere Jahre an der Realschule sich die Vorbildung zum Eintritt in die Technik angeeignet hat und an Letzterer wieder mehrere Jahre hindurch seinen Fachstudien oblag, nunmehr schon in's Mannesalter getreten, weiters Lust und Liebe übrig hat, noch eine Reihe von Jahren die Architekturschule an der Technik oder die Akademie zu frequentiren, um des nachzuholen, was ihm in den abgelaufenen elf, resp. dreizehn Jahren (die Volksschulen gar nicht gerechnet!) nicht geboten wurde!? Wie selten ist der Kunstdrang so überwältigend zu  s o l c h e m  Entschlusse?!  U n d  w a s  w i r d  d e r  E r f o l g  s e i n ?!
Die Kunst ist keine Blüte, die in jeder Jahreszeit sich entfaltet; lässt man die Zeit der jugendlichen Empfänglichkeit verstreichen, so gewinnt der Geist ganz andere Anschauungen; die Kunstentwickelung lässt sich später nicht mehr hervorzaubern. Die Früchte hievon sind leicht zu sehen, weil sie leider nur zu zahlreich sind.«

**) Ein schöner Bau wäre das für München projektirt gewesene, leider Projekt gebliebene Wagner'sche Festtheater geworden, da es gegen eineinhalb bis zwei Millionen gekostet hätte; hierauf entschied sich das Konsortium und der Meister für den Bayreuther Holzbau. Ein Holzbau mit Riegelwänden statt eines Marmorbaues! Mir sind die Namen der Verfasser beider Entwürfe zur Stunde nicht bekannt.

Ueber einer Menge technischen Krimskrams und Spintisirungen (vielfach eine Folge moderner baulicher Eigenthümlichkeiten, localer Verhältnisse, Bauverwohlfeilungsbestrebungen, bautechnischer Erfindungen etc.) vergisst man zu leicht darauf, dass man auch Bau- K ü n s t l e r , nicht blos Bau- I n g e n i e u r  oder   Bau- T e c h n i k e r  ist! Der echte Künstler sucht aber, sucht vor Allem seine ideale Phantasie zu entfalten, wenn er eine hat und  d a n n  kommt erst die Technik! Freilich trifft es sich auch, dass der Baukünstler wirklich Phantasie besitzt, vielleicht in Hülle und Fülle, sie aber nicht entfalten darf, weil es dem Bauherrn zu viel kostet, weil dieser kein Verständniss hat für die wahre Kunst, für des Künstlergeistes Weben und Drang. Ach, wie wenige Bauherren gibt es, welche wahres, echtes Künstlerverständniss besitzen und für die Kunst auch Opfer zu bringen bereit sind!


II.

Im Wege der Gegeneinanderstellung von Einst und Jetzt werden wir uns verständlich machen, unsere Behauptungen erwiesen sehen:
Die Inder und Aegypter hatten zwar einen sehr zyklopischen Styl, welcher uns heutzutage mehr durch die Massen imponirt, als durch die Details gefällt; allein es liegt etwas darin, ein eigenthümliches Gepräge, Originalität, praktische Anschauungen, Prunkliebe; es ist Einheit darinnen, sie wussten, was sie wollten, und konnten auch, was sie wollten. Bei uns hört man nur immer: »Der Baukünstler lehnte sich bei seinem Werke an die besten Vorbilder der französischen und italienischen Renaissance an«, oder: »er nahm seine Motive vom Louvre, Palais royal, vom Palast Farnese, Borghese« etc.; oder wir lesen in allen Zeitungen: »Der Baukünstler bereiste den ganzen Norden Frankreichs, Spaniens, auch Holland und Italien, nicht minder England, um »Studien« für seine demnächst zu erbauende Kathedrale zu X, zu sammeln«; man baut eine Universität, eine Bibliothek, ein Rathhaus, ein Museum, ein Curhaus! Wieder reist der betreffende Künstler die ganze Welt aus, um passende Motive zu holen, Studien zu sammeln, u. s. w. (Die Architekten des Alterthums und der Renaissance konnten nicht bei jeder Gelegenheit reisen, um zu sehen, wie es Andere machen, sie schufen aus Eigenem!*) Tüchtige, wirkliche Künstler thun dies wohl auch noch heute.)

*) Vergl. die baulichen Leistungen von  M i c h e l - A n g e l o,  R a p h a e l   u. A., die gar nicht einmal speziell Architekten, sondern mehr Maler waren! Ferner Leonardo da Vinci; ferner die eigentlichen Baukünstler der Renaisscance; die Baumeister der Gothik etc. Und wo nahmen die Architekten des Alterthums die schönen Verhältnisse her? Es ist dies und bleibt ein ästhetisches Räthsel!

Die Erfindungsgabe der Inder und Aegypter war zwar roh, ungeschlacht, aber es war eben - Erfindung; wir erfinden heutzutage grossartige, selbst gewagte Konstruktionen, da stellen wir unsern Mann; aber was die eigentliche Kunst betrifft, so müssen bald dieser bald jener Baumeister oder Architekt - im Ganzen nicht wenige - stets bei Anderen, künstlerische Anlehen machen, wenn sie nur, wenn schon geborgt sein muss, wenigstens Gold und Silber borgten, sie borgen aber echt modern nur Papier oder gar nur Kleinmünze!
Wie die Forschungen  Dr.  S c h l i e m a n n 's  neuerdings beweisen, bildete sich das berühmte Volk der Hellenen aus einem Konglomerat verschiedener Völkerstämme, ägyptischer, indischer, pelasgischer, ja selbst teutonischer - phrygischer - Provenienz; trotzdem, dass also langehin die ethnographische Einheit fehlte, bildete das Volk  H o m e r 's  die Künste zu hoher Vollkommenheit aus, die wir noch bewundern; sie schufen ein Eden der Kunst und des Lebens im Eden der vorhandenen herrlichen Natur! Aus der unbildsamen, steifen egyptischen Pfaffenkunst schufen sie die Idole der nachmals so hochverehrten griechischen Kunst, unseres Vorbilds immerdar.
Ein so freisinniges Volk, welches die Idole der anderen Völker zwar übernahm, aber weitaus, hochpoetisch veredelte, dessen Gesetz vor Allem und in Allem nur die Aesthetik, das heisst  d i e  S c h ö n h e i t  war, konnte nur Werke schaffen, welche das Höchste bezeichnen, was bis dahin wenigstens in der Kunst überhaupt geschaffen wurde. Die Götter hatten all' ihre Gaben über dieses Volk der Hellenen ausgegossen, welches lange Zeit hindurch sozial, politisch und religiös unverdorben sich erhielt; auch sonst waren diese Kinder Jovis von den unsterblichen Göttern begnadet, denn sie trugen den Himmel in sich selbst und durch schöne Gestalten, oft unverhüllt, begeisterten sie die Künstler!
Wenn man nun die Bauwerke der Hellenen betrachtet, so ist man erstaunt über diese fast zur Andacht stimmende, rührende Einfachheit, die dennoch einen solch' prächtigen Eindruck macht, wie Aschenbrödel beim Tanze; die wahre Kunst erreicht, wie die Natur, mit wenig Mitteln Grosses. Allerdings griffen sie auch vielfach zur Polychromie, und in der korinthischen Baukunst entfaltet sich selbst Prunk: aber wie sieht sich dies Alles an!? Man glaubt wahrhaftig im Olymp zu sein und in Jupiters Gemächern zu wandeln; welches hohe Verständnis der Verhältnisse, wie nirgends sonst, zu keinen Zeiten, bei keinen anderen Völkern!
Für unsere Massenbauten und auch in Betreff der Natur der Gebäude passt, aussen angewendet, Polychromie nur in sehr beschränktem Maasse - beim Wiener Parlamentsbau von   H a n s e n  ist sie leider noch immer nicht durchgeführt! - und auch mit Säulenhallen wissen wir nicht viel anzufangen; nichtsdestoweniger enthalten die griechischen Bauformen noch immer sehr viel, was wir verwenden und verwerthen können (Vergl. darüber später mehr!) aber nur Wenige verstehen es, das Gute der griechischen Kunst herauszufinden und es mit unseren Bau-Aufgaben passend und geschmackvoll zu verweben, zu amalgamiren, ohne in's Mosaikartige oder Ollapotridahafte zu verfallen.
Die Römer brachten neue Formenelemente in das Bauwesen und auch eine neue Bautechnik; dadurch erweiterte sich das Gebiet der Baukunst wesentlich, es gewann an Reichthum, Kraft, Universalität, an Pomp; die römischen Bauten sind imposant, prächtig; aber die Architektur hat vom Baume der Erkenntniss genascht! Die unschuldsvolle Reinheit und würdevolle Naivetät - oder naive Würde - der griechischen Baukunst ist nicht mehr vorhanden; die Unschuld ist fort, entflohen! Die römische Baukunst tritt mit Bewusstsein, mit Aplomb, mit Majestät auf.
In der Neuzeit hat man selten mit Glück versucht, die Römer pure et simple zu imitiren; ja Manche sehen aus, wenn sie sich in die Römermaske stecken wollen, wie die verhungerten Statisten einer Vorstadtbühne, die in blecherner oder Papierrüstung »auftreten« als »Ritter von der traurigen Gestalt«; in der Regel aber kopirt man auch die Römer selbst gar nicht, sondern man kopirt die Kopie, das heisst die sogenannte Renaissance; wie? Näheres darüber ebenfalls später.
Die Bauten des romanischen und byzantinisclen Styles haben im Allgemeinen manches Hübsche und Werthvolle, einen eigenthümlichen Reiz, aussen und innen nach der Form, innen besonders auch durch Farbe; es liegt viel Malerisches in den Formen und Silhouetten der alten Burgen, Schlösser und selbst der Privatbauten, ebenso auch bei den Kirchen; allerdings ist der Styl etwas grobkörnig, mehr derb, aber er schliesst eine vielfache Anwendbarkeit nicht aus; mancher Neubau zeigt auch, dass man mit Verständniss und Glück auf diese alten Formen zurückgegriffen hat, aber im Grossen und Ganzen will er bei unserem Publikum und auch bei vielen Künstlern meistens nicht recht verfangen; warum, ist nicht bekannt.  H a n s e n  in Wien hat hierin manches schöne Werk geschaffen: wir nennen nur die griechische Kirche am alten Fleischmarkt in Wien, mit interessanter Lösung der Thurmpartie oberhalb des Portales, und die protestantische Kapelle auf dem evangelischen Friedhofe; sie hat bei aller Würde ein sehr malerisches Gepräge und ist jedenfalls eines der hübschesten Bauwerke des genannten Meisters; das k.k. Arsenal ausserhalb der Südbahn und Belvedere-Linie, ebenfalls romanisch-byzantinisch, mit angelsächsischen Anklängen, stammt in seinen verschiedenen Gebäuden aus verschiedenen Ateliers, der Herren  V a n  d e r  N ü l l  und  v.  S i c c a r d s b u r g ,  H a n s e n ,  L.  v.  F ö r s t e r  und  R ö s s n e r .  Die Perle unter diesen schönen, originellen und interessanten Baulichkeiten ist das Waffenmuseum, die Schöpfung  H a n s e n 's.
Bei dem Hôtel zu den »Pumpen« in Hamburg von Architekt  H a u e r  ist der romanische Styl nur imitirt; warum derselbe statt reiner romanischer Bögen überall fast Flachbögen, die mehr für Fabriksbauten passen, angewendet hat, ist nicht recht erfindlich und stört sehr; auch die Zwölf-Apostel-Kirche in Berlin ist nur im imitirten romanischen Style gehalten, nicht prinzipiell; doch ist der Gesammteindruck, trotz der gar nicht stylgemässen Fenster (hyper-, Hübsch- und Eisenlohr-mässig, wenn man so sagen darf?!) sehr angenehm, gediegen, solid. Getreue romanische Imitation ist die neue Garnisonskirche in Stuttgart. Der sogenannte Rundbogenstyl ist eine Erfindung von  H ü b s c h ,  aber nichts als ein Spülicht von romanischen
und Frührenaissance-Elementen und wurde in den Jahren 1840 bis 1860 nicht selten angewendet; doch kommt er mitunter auch jetzt noch vor, doch prononziren die Neueren mehr den Frührenaissance-Antheil; so zum Beispiel ist das Gebäude des pathologisch-anatomischen Institutes in Wien mehrweniger in diesem Style gehalten; der Eindruck dieses Gebäudes ist äusserst einfach und bescheiden. Solche Bauten, wobei der Renaissance-Antheil überwiegend ist, werden wir später noch einige anführen. Das Hauptland, wo der romanisch-byzantinische Styl sehr gepflegt wird, ist Rumänien; ähnlich auch Serbien und Bulgarien. Berühmt ist die neue fürstliche Burg (Sommersitz) unweit Bukarest.
Von romanisch-byzantinischen Bauten aus den ersten Jahren unserer Epoche (von 25 Jahren) ist noch als hervorragendes Objekt der Neubau des Wiener Nordbahnhofes zu nennen; der Entwurf stammt im Allgemeinen vom Architekten Th.  H o f f m a n n ;  besonders das Vestibule ist sehr schön; über die äusseren Flankenthürme wurde seinerzeit viel gespottet; in der That sind sie leider zu schlank auf ihre bedeutende Höhe ausgefallen. Der Styl des Bahnhofes ist spätromanisch, stark mit byzantinischen Anklängen versetzt. Die interielle Ausstattung ist sehr geschmackvoll und reich.
Viel beliebter war von jeher die Gothik.
In der That zeigt der gothische Styl in seinen zahlreichen Varianten eine fabelhafte Verbreitung und eine Fülle der schönsten und meisterhaftesten Bauwerke, leider oft manche der älteren nicht ganz ausgeführt; der gothische Styl gehört mit dem romanischen und byzantinischen zum sogenannten Romantizismus, als Gegensatz zum Klassizismus. Diese beiden Kunstrichtungen entfachten von jeher einen müssigen Streit (wie über  S c h i l l e r  und  G o e t h e !), welche vorzuziehen sei, welche die bessere wäre!? Als ob das Klassische nicht  a u c h  romantisch, und das Romantische nicht  a u c h  klassisch sein könnte?! Das Klassische ist eben die höchste, vollkommenste Kunststufe; wenn nun ein Werk der romantischen Kunst diesen Rang einnimmt, und dies ist ja leicht möglich, so ist es auch klassisch; wenn dagegen ein anderes Werk der klassischen Richtung zugleich ein ganz besonderes, eigenthümliches, kontrastvolles farben- und formenreiches Gepräge hat, so jedoch, dass die Harmonie und Konsonanz, das Maassvolle und der Eindruck des Einheitlichen, Ruhigen und Würdevollen oder Edlen nicht alterirt erscheint, so ist es auch romantisch! (Im Allgemeinen bezeichnet nur das Klassische mehrweniger eine Präponderanz der Konsonanzen in Wesen, Form und Farbe; das Romantische mehrweniger ein Präponderanz der Dissonanzen.)
Trotz der vorhandenen, wahrhaft mustergiltigen, bezaubernden gothischen Bauwerke und der hochuniversellen Modifikations- und Akkommodationsfähigkeit des gothischen Styles gelangen viele unserer Modernen zu keiner recht glücklichen Beherrschung der Gothik; die alten Kathedralen sind bei mancher Mangelhaftigkeit bei weitem schöner, sprechen weit mehr an, als so manche der modernen Kirchen, die den Beschauer kalt lassen; jene zeigen viel hübschere Proportionen, Detailsformen und sind auch meistens viel malerischer gehalten, phantasie- und abwechslungsreicher im Detail. Aber zur Zeit ihres Erbauens gab es auch keine technischen Hochschulen!
Nichtsdestoweniger ist es gerade der gothische Styl, dem sich Viele mit wahrer Begeisterung in die Arme geworfen haben und ist es mir angenehm, über einige sehr gelungene gothische Gebäude bei dieser Gelegenheit berichten zu können; freilich verdanken sie ihren Ursprung den Begabtesten unter der Schaar.
Da haben wir vor allem Anderen das neue Wiener Rathhaus von Oberbaurath Prof.  S c h m i d t ; es ist nach dem englischen Parlamentshause in London einer der grössten neueren Bauten im oft so verpönten gothischen Style; nachdem es fertig dastand, war aber Alles versöhnt; es macht mit seinem schlanken Thurme einen imposanten Eindruck; aber während uns fast Alles dabei konvenirt, hatten wir es wohl lieber gesehen, wenn der Thurm, hervorgehend aus einem mehr markirten Portalbau, aus der Horizontalität der Nebenpartieen (Flügel) vermittelter herauswachsen würde; einigermassen erinnert es uns in Manchem an die ebenfalls gothischen Rathhäuser in Ypern und Brüssel in Belgien; bei denselben ist der Thurm noch viel unvermittelter (es sind dies aber alte Bauwerke). Ganz interessant ist die Kirche unter den Weissgärbern (III. Bezirk in Wien) von demselben Baukünstler; bemerkenswerth ist hierbei der Thurm mit dem Portal vereinigt; das Innere ist polychromirt, das Sanktusthürmchen dagegen entspricht leider, obwohl diese Form sehr gebräuchlich ist, meinen Anschauungen über kirchliche Symbolik*) - welche ich in einem früheren Jahrgange dieses Journales veröffentlichte - keineswegs.

*) Sehr hübsch sind auch zwei neuere Villen in Oesterreich: Eine fürstlich   L i e c h t e n s t e i n ' s c h e (Schloss Fischhorn bei Zell am See) von Oberbaurath  S c h m i d t  und die Villa vom Grafen  B r e u n e r   in Grafenegg, beide im gothischen Style; Architekt der Letzteren mir unbekannt. Weniger glücklich war  S c h m i d t  mit dem Bau des akademischen Gymnasiums in Wien, welches ein bekannter Kritiker mit einem von Trappistenmönchen bewohnten Militär-Lazareth vergleicht!

Ein dritter grosser Bau von einer gewissen Berühmtheit ist die Wiener Votivkirche von weil. Prof. Baron  F e r s t e l ; in der That ist dieser Bau so zierlich, dass man mit Recht an die bekannten »Brüsseler Spitzen« (Goethe-Heine!)erinnert wird, nur ist auch hier der Anforderung der Symbolik durch stärkere Markirung der Altarpartie (Presbyterium) nicht entsprochen; in Bezug auf die Feinheit und Eleganz der Faktur dieses schönen gothischen Baues steht derselbe, im Vergleich mit vielen anderen neuen und alten gothischen Kirchen von Ruf, wenn nicht dieselben übertreffend, doch mindestens ebenbürtig da. Auch das »Sühnhaus« an Stelle des abgebrannten Ringtheaters in Wien von Oberbaurath  S c h m i d t ,  im gothischen Style, ist ein hübscher Bau mit vielen gelungenen Details und guten Verhältnissen.

Ausser in Oesterreich findet die Gothik in Deutschland, Frankreich und Italien etc. wenig Verehrer zur Zeit, ausser für Kirchenbauten; dagegen ist sie in England nach wie vor trotz der hie und da anstürmenden Renaissance ein gern gehätscheltes Schoosskind, und dies oft mit ziemlichem Glück,  b e s o n d e r s   i m  P r o f a n b a u ; da ich mit Beispielen nicht Bände vollschreiben kann und auch nicht aus allen Welttheilen das nöthige umfassende Material mir gerade vorliegt, so muss ich mich leider nur hie und da auf sogenannte »Stichproben« beschränken. So ist zum Beispiel unter vielem Anderen zu nennen unter den Profanbauten Londons: »The new grand german Hôtel,« ein imposanter Bau, aber zu stark und unvermittelt mit romanisch-byzantinischen Elementen durchsetzt. Das Museum in Oxford hat zwar gothische Maske vorgenommen, ist aber nach Konstruktion und Wesenheit nicht ganz echtfärbig. Der Villenbau im gothischen Style zeigt in ganz England manches sehr schöne Werk.
Fast hätte ich auf die Münchener Gothik vergessen! Die Münchener Künstler lassen sich, besonders in Profanbauten, die Pflege der Gothik, trotz der gräkophilen Antezedenzien einer früheren Epoche, sehr angelegen sein, sie haben manches hübsche Werk geschaffen, doch dürfte sich nicht Jedermann mit der Münchener Gothik sogleich befreunden; in Fachjournalen ist man auch im Allgemeinen mäuschenstill darüber. Stuttgart hat zwei schöne neuere gothische Kirchen von den Oberbauräthen  L e i n s  und  E g l e . Und so noch mancherorten.


III.

Die aufkeimende Renaissance brachte in ihrer Verquickung mit der Gothik oder gar mit romanisch-byzantinischen Elementen (nota bene! Spätgothik, Spätromaneske, Uebergangsstyl etc.) manches sehr originelle und interessante Bauwerk zu Stande und es finden sich davon in Deutschland (als sogenannte deutsche Frührenaissance, Gothisch-Deutschrenaissance, Deutsches Barokko etc.) und auch in Frankreich (Paris, Reims, etc.) sehr gelungene Beispiele davon vor. Leider nehmen sich von den Neueren die meisten nur die deutsche Barockrenaissance oder die Bauwerke des Zopfes und des Rokoko, die hauptsächlich in den Niederlanden vorfindigende Abart, zum Muster. Ja, wenn das Modethum auch in der Kunst noch weitere Fortschritte macht, so bin ich überzeugt, dass wir am Ende gar noch, dem unausweichlichen Ernüchterungsbedürfnisse folgend, eine zweite Auflage der Empire-Franziskäischen Schattenkunst erleben, dann kann Rabbi Ben Akiba wieder ausrufen: »Alles schon dagewesen!». . . . Die Mehrzahl der neuesten Profanbauten (Privatbauten) in Wien und Provinz, aber auch an vielen Orten in Deutschland, Frankreich etc. wird jetzt fast nur in diesem (mir unleidlichen) Style der deutschen Barockrenaissance mit Zopfelement aufgeführt. Manches Gebäude dieses Styles ist allerdings nicht ohne Geschmack ausgeführt, aber die Mehrzahl derselben , besonders gewisse  g e w e r b l i c h e  D u t z e n d w a a r e  zeigt wohl haarsträubende Produkte baulichen Ungeschmackes und - Unverstandes! Man sollte glauben, dass das Publikum für diesen Styl besonders eingenommen ist; mit nichten; er wird uns förmlich oktroyirt! Die Wenigsten verlangen sich denselben; es ist Modesache, ein Zweig der Zeitströmung, die ja überhaupt jetzt für Renaissance en général schwärmt; dabei aber gefallen dem gemeinen Mann wie dem Hochgebildeten die besseren Werke der  Früh- und Hochrenaissance doch viel besser, als die oft so wüsten Erzeugnisse der Deutschrenaissance-Nachahmungssucht. Wir halten uns jetzt nicht länger bei diesem Spezialgenre auf, sondern gehen in unseren Betrachtungen weiter und werden die Beispiele pro und contra aus der Renaissance überhaupt am Schlusse des Absatzes zusammenfassen.
Die Renaissance selbst brachte es bekanntlich zu grossartigen Leistungen, nicht allein in der Architektur, sondern in allen Künsten und Wissenschaften; es brach ein neuer Kunstfrühling und Sommer mit den herrlichsten Blüten und Früchten herein; man müsste Bände vollschreiben, um alle Werke dieser Epoche zu beschreiben. (Vergl. Lübke und Anderer Schriften.) Nun ist auch niemals noch mit der Renaissance, besonders den späteren Phasen derselben, ein solcher Götzendienst getrieben worden, als jetzt, und was sehen wir?!
Was ist das Resultat dieser Protektion und Vorliebe?
Eine nicht geringe Anzahl von Architekten und Baumeistern findet es für gut, ziemlich nüchtern und schablonär, sich gerade die minder gelungensten Bauwerke, besonders aus der französischen Renaissance zum Muster und Vorbild zu nehmen; je gräulicher und toller oft diese alten Bauten aus dem Zopf, dem Barokko und dem Rokoko aussehen, um desto eher werden die Motive davon wie heilige Reliquien verehrt und angestaunt! Es wäre zum Lachen, wenn es nicht eigentlich traurig wäre. Die echten Perlen lässt man links liegen; es ist unverzeihlich!
Die Renaissance besonders in Italien und in den ersten Phasen als Früh- und Hochrenaissance zeigt Prachtstücke der Architektur, und so Viele treffen trotzdem für ihre Motive eine so schlechte Auswahl! Dort sehen wir Poesie,  e d l e   Gruppirung und Formirung, malerische Anordnung, Vereinigung des Prakschen mit dem Idealen in den Haupt- und Nebenformen, eine gewisse Gediegenheit; es steht das Werk da wie aus   e i n e m  Gusse! In der Reproduktion der Renaissance in unseren Tagen sehen wir aber öfter leider, als uns erträglich erscheint, vollständige Missverkennung des ästhetischen Prinzips, Poesiemangel, unmalerisches Gepräge, Missverständniss in der Anordnung der Gruppen, Geschmackslosigkeit, Zweckwidrigkeit bei allem Hasten nach Zweckausdruck und Jagd nach Konstruktionsformen*); ferner fehlt es nicht an Fällen der Blendung der Fachgenossen und Laien durch charlatanistische, imponirende Effekte der Masse, des Details, der Zierlichkeit derselben oder der Kostbarkeit des Materials, durch bestechende Ausschmückung (z. B. Bemalung aussen, Sgrafittos, Goldgrundgemälde etc.); dies wirkt auf den grossen Haufen ganz hysterisch! Dabei fehlen aber gewöhnlich alle malerischen Umrisse (Silhouetten) und wir gewahren fast überall Disharmonie, Disproportion! Dennoch aber jubeln diverse Tagesblätter - besonders die Börsejournalistik - für und für über die Pracht der Ringstrasse von Wien und Pest; die meisten Wohnungen sind aber stets leer, weil viel zu gross und viel zu theuer! - Dass die Ringstrasse von Wien z. B. eine bedeutende Anzahl schöner, kunstwürdiger, die Aufmerksamkeit mit Recht auf sich lenkender Gebäude aufweist, wird ja Niemand in Abrede stellen, der ein Auge für Schönheit und Geschmack hat; die Ringstrasse ist aber sehr gross und zeigt eine grosse Anzahl von Bauten aller Art; das Erstaunliche an denselben betrifft aber grösstentheils die Monumentalbauten erster Künstler, z. B. das Rathhaus, das Parlamentshaus, die Universität, das Hoftheater etc.; die Profan- (Privat-) Bauten jedoch, rekte Zinskasernen, zeigen wohl mit wenig Ausnahmen im Verhältniss zur Gesammtzahl den Fabriksstempel der Schablone oder der Spekulation;  e i n z e l n e   von diesen Privatbauten sind also als ganz gelungen zu bezeichnen, und drückt man bei Manchen ein Auge zu, so mögen auch einige der weniger Gelungenen hingehen, aber einer sehr strengen, objektiven, unnachsichtigen Kritik gegenüber erscheint so Manches, was von Unverständigen, Vorurtheilbehafteten und seichten Modeenthusiasten zuweilen sogar als »Meisterwerk« angestaunt wird, nicht als Solches, ist eher vielleicht - (in einigen Fällen wenigstens) - eine Karikatur zu nennen! Das wirklich Schöne, Erhabene, Poetische, Malerische etc. ist also sehr selten gegenüber dem Wuste des Gewöhnlichen; wir begegnen so häufig bei Neubauten überhaupt einem impotenten Haschen nach Originalität, ohne deren Schatten zu erreichen; es ist ein schwacher Trost, dass die Freude um so grösser ist, wenn man einmal wieder auf etwas Gediegenes trifft.

*) Das kommt von unserer Sklaverei in den technisch-ökonomischen Bauverhältnissen, vom Zwang moderner Raumeintheilung, wucherischer Raumausnützung - (angesichts des oft unsinnig theuren Grundpreises etc). - aus der Rücksicht auf die Baukosten überhaupt, vom Ueberwiegen der praktischen vor den ästhetischen Anschauungen auch im Publikum, bei den Bauherren etc.Daraus entsteht dann das, was ich schon in älteren Jahrgängen dieser Zeitschrift als »Konstruktions-Styl« bezeichnet habe, er stigmatisirt gewöhnlich die Ohnmacht, das Praktische mit dem Idealen in Harmonie zu bringen.

Sehen wir uns nun einmal auf dem Gebiete der modernen Renaissance etwas genauer um.
Nehmen wir zunächst einen der älteren Baue unserer 25jährigen Epoche vor.
Es ist dies die Wiener Hof-Oper (Ringstrasse) von  V a n  d e r  N ü l l   und von  S i c c a r d s b u r g  (die Beide leider ein so tragisches Ende fanden!).
Der Bau wurde nach deren Tode fortgesetzt von Professor  J.  S t o r c k   und Architekt  G.  G u g g i t z , welche übrigens mehr die innere Ausschmückung übernahmen und die Ausführung des Planes der Erstgenannten zum Abschlusse brachten und überwachten.
Ein bekannter Kunstschriftsteller sagt darüber in einer Brochüre:
»Der ganze Bau sitzt zu tief und erscheint wie eingesunken.«
Das ist wirklich der Eindruck, den alle Welt dabei hat, und dazu kommt noch, dass die eliptischen Bogen der Arkaden aussehen, als ob die Last darüber zu schwer gewesen wäre und sie eingedrückt habe; der Kunstschriftsteller sagt aber weiter mit Recht, »dass kostbare, zierliche Steinmetzarbeiten gerade da angebracht sind, wo sie Niemand sucht und sieht, dass viele Partieen aus Furcht vor Monotonie, kleinlich, unruhig und verworren erscheinen und dass das an sich oft interessante und reizvolle Detail überwuchert.« Dies ist nun allerdings, was den äusseren Bau betrifft, sehr relativ zu nehmen, und zwar nicht in dem Sinne der Ueberladung, denn es macht sich eher das Gegentheil bemerkbar, sondern insofern etwa, als der Haupcharakter durch ein ihm  f r e m d e s  D e t a i l   häufig durchsetzt erscheint; so dürfte dies zu verstehen sein. Der Styl soll französische romanisirende Frührenaissance sein. Die Hauptverhältnisse sind im Ganzen nicht glücklich; der Gesammteindruck ist mit  A u s n a h m e  d e r  h ü b s c h e n  L o g g i a  trocken, kalt, nüchtern, steif; Symbolik prekär.
Von  V a n  d e r  N ü l l  stammt auch das Waarenhaus der Gebrüder   H a a s  am Stock-im-Eisenplatz in Wien; es ist ein ziemlich effektvoller Renaissancebau aus den Jahren 1867/69.
Ein sehr gelungenes Werk, leider durch den ungünstigen, knappen Bauplatz sehr beschränkt, ist das neue Gebäude der österr.-ungar. Bank*) und der ehemaligen Börse zwischen Freiung und der Herrengasse in Wien von weil. Prof.  F e r s t e l , ein schöner Sandsteinbau in Frührenaissancestyl mit romanischen Elementen; der Eindruck ist im Ganzen äusserst gediegen; besonders hübsch, ja musterhaft erscheinen die Verhältnisse; dagegen sind die Pilaster an der Hauptfaçade störend.

*) Durchhaus; jetzt ist im Parterre das Cafe Central untergebracht, es stammt aus den ersten Jahren unserer Epoche und wurde 1862 gänzlich innen und aussen vollendet.

Von demselben sind unter Anderem auch das Gebäude des Kunstgewerbe-Museums und die Universität mit der Bibliothek. Die Fensterverhältnisse bei dem Ersteren sind nicht glücklich. Der Gesammteindruck des Universitätsgebäudes ist ein guter; manche Details und Proportionen wollen uns jedoch nicht gefallen; die Räume sind alle sehr gross und lassen sich schwer heizen; die Fenster der meisten Parterre- und anderer Räume sind so gross wie grosse Hausthore. Der Styl ist in den Prinzipien der Hochrenaissance gehalten; es macht sich im Innern theilweise eine grosse Raumverschwendung geltend, wodurch dann dort, wo Raum nöthig gewesen wäre, mit demselben gespart werden musste; über die architektonische Eintheilung der Bibliothek ist ein grosser Theil des Publikums und der Beamten sehr unzufrieden; auch fand man betreffenden Ortes für gut, sich um das Votum der Bibliotheksbeamten nicht zu kümmern!
Eines der schönsten Bauwerke  H a n s e n 's  sollte das neue Parlamentshaus am Ring werden, im überwiegend gräzisirenden Style, mit projektirter Polychromie, die bis jetzt wegen der Kosten unterblieb; H a n s e n  wollte hier sein Lieblingswerk schaffen, dessen Ausführung er mit vollster Hingebung seines künstlerischen Wesens oblag; es macht trotz mancher unliebsamer Momente einen vortrefflichen Eindruck; der Mangel der Polychromie wird mehrfach bedauert und die Rampenaffaire ist so gut als möglich beglichen.
Ueber den Styl des Konservatoriums in Wien von  H a n s e n  spricht sich die Kritik seinerzeit gar nicht so recht frisch von der Leber weg aus: er ist im Charakter der italienischen Renaissance gehalten; nach innen überwiegt der Gräzisismus in den Details. Der Gesammteindruck innen ist angenehmer als der äussere. Eine gewisse Berechtigung hat allerdings die Stimme des Publikums, welches es unbehaglich findet, dass man zuerst eine der beiden hohen Treppen hinansteigen müsse und dann wieder Stufen hinabzusteigen habe, um in den grossen Saal zu gelangen; vielleicht hätte sich dies doch anders arrangiren lassen? Auch hätte man von mancher Seite lieber einen Saal gehabt im Style des Nordbahnvestibules*).

*) Man findet in der Kritik auch den Umstand hervorgehoben, dass eigentlich das Konservatorium nach aussen und innen im Gegenhalt eine gewisse Stylverschiedenheit zeigt; innen überwiegen nämlich die griechischen Motive, die noch durch Polychromie heraustreten; doch ist der schöne Gesammteindruck der Säle besonders bei Beleuchtung, allemein anerkannt; statt der fast ausnahmslosen Anwendung von Lisenen (siehe später darüber mehr) hätten wir lieber eine andere Detailform, zum Beispiet Vollsäulen etc. gesehen. In Betreff der inneren Einrichtung wurden die engen Korridore getadelt und die Mezzanine, deren kleine Fenster auch nach aussen keinen hübschen Effekt machen.

Bei dem Gebäude der Akademie der bildenden Künste von  H a n s e n  im Renaissancestyle mit griechischen Motiven wäre das auszusetzen, dass wohl ein grosses Portal von Säulen vorhanden ist, die aber den Meisten wohl wie angelehnt erscheinen, ohne Bedeutung; man vermisst vielfach seitens unabhängiger Kunstverständiger einen risalitirten kräftigen Portal b a u ,  der mehr organisch motivirt aus dem Ganzen herauswächst; überhaupt erscheint (auch angeblich nach Kritiken ausländischer Fachblätter) das ganze Gebäude zu sehr als Masse ohne markante Gruppirung und Detachirung. Doch enthält es, wie nicht anders zu erwarten, innen und aussen schöne Einzelheiten und Partieen und macht immerhin, von einem gewissen Standpunkt aus betrachtet, einen mächtigen, imposanten Eindruck. Doch macht ein anderer Bau desselben Meisters, des Freundes griechischer Baukunst, Oberbaurath  H a n s e n ,   nämlich die neue Wiener Börse, durch sehr hübsche Partieen und gute Verhältnisse, vortheilhafte Gesammtanlage, einen sehr guten Totaleffekt. Nur behagt nicht Jedermanns Augen das verschiedene Kolorit des Obergeschosses im Gegensatze zu dem unteren Geschosse. Der Styl ist Renaissance.
Von anderen Bauten der Renaissance wollen wir noch folgende besprechen. (Stichproben.)
Da haben wir zum Beispiel das Haus der Architekten  W i e s e r  und  L o t z  (Wien, II, Czerningasse).
Wir sehen da nicht üble italienische Renaissance (Parterre) mit Zopf, Barokko und deutscher Renaissance (in den oberen Geschossen; nach nicht sehr glücklichen Motiven) verwoben. Der an sich sonst gefällige Gesammteindruck ist leider durch die obere Partie sehr beeinträchtigt; auch geben versetzte Fenster [wie dies auch bei einem sonst sehr netten Hause des Architekten  E r n s t  (in der Plösslgasse, IV., Wien) der Fall ist] nie einen günstigen Prospekt; auch letzteres Gebäude ist in deutscher Renaissance gehalten.
Zu den weniger erfreulichen Neubauten Wiens gehört dem Style nach auch die neue Sternwarte in Wien, in italienischem Frührenaissancestyl (nach Anderen ist es Hochrenaissance! Beweis genug für die eigenthümliche Faktur, dass solche verschiedene Bestimmungen möglich sind), man könnte es beinahe Diplomatenstyl nennen, denn es ist ein Schweigen in Formen, doch sind die Hauptverhältnisse passabel; umso unschöner erscheinen manche kleine Partieen und Detailverhältnisse. Ein anderes Bauwerk sehr eigenthümlicher Faktur ist das Palais von Nathaniel  R o t h s c h i l d ,  es ist französischer Provenienz; es hat viele hübsche Details, aber die Gruppirung und Formirung der Hauptpartieen ist - verstimmend. Der Styl ist französische Renaissance. Mehr darf ich darüber nicht sagen . . . .
Einer der am häufigsten genannten Profanbauten in Wien ist der sogenannte »Heinrichshof« von Oberbaurath H a n s e n , offiziös ist der Styl als italienische Renaissance angegeben; er enthält jedoch viele ganz moderne Elemente und greift auch in die Frührenaissance französischen Genres und in romanische Details über; der Bau ist imposant im Ganzen, wir konstatiren mit Vergnügen hübsche Verhältnisse und so manches Hübsche und Gelungene im Detail. Die Vergoldungen und Malereien im oberen Stockwerke sind Geschmackssache; im grossen Publikum haben sie seinerzeit grossen Anklang gefunden. Die Risalite machen sich bei der kolossalen Masse des Ganzen fast nur durch ihre Emporführung über das Hauptgesims bemerkbar und somit entfällt ein bedeutender formeller Effekt, der hiebei von den Meisten sehr schmerzlich vermisst wird. Kräftigere Risalitvorsprünge werden behördlich nicht genehmigt.
Der städtische Kursalon im Wiener Stadtparke vom Architekten  J.  G a r b e n   ist ebenfalls in ziemlich reicher italienischer Renaissance gehalten; der Gesammteindruck ist recht hübsch, die Flankenkuppeln erscheinen jedoch zu versenkt und zu käseglockenartig; die sonstigen Verhältnisse sind ganz zufriedenstellend, man erblickt allenthalben hübsche Motive und ein harmonisches Gepräge.
Das Gebäude der Handelsakademie in Wien (vom Jahre 1863) stammt vom Architekten  F.   F e l l n e r  und ist in einer Art Rundbogenstyl gehalten; dieser Bau macht in seiner fast unangenehmen Bescheidenheit und respektiven Monotonie eher den Eindruck einer Markthalle oder einer Fabrik. Die neueren Bauten  F.  F e l l n e r s ,  des Sohnes des Ersteren, welche unter wesentlicher Mitwirkung des Architekten   A.  H e l l m e r  entstehen, zeigen viel mehr und besseren Geschmack,  b e s o n d e r s  i m  D e t a i l . (Marmor-Eisenhaus, Kärnthnerstrasse, Wien; das  e i n s t i g e  W i e n e r  S t a d t - T h e a t e r  ein recht gelungener, hübscher Bau. Vergl. später Abschnitt V und an anderer Stelle etc.)
Die Hofmuseen in Wien zeigen uns leider so gar nichts Neues; der Bau ist von   H a s e n a u e r  und  S e m p e r  im Renaissancestyl ausgeführt. Totaleffekt genügend. Details, trotz eleganter Faktur, vielfach nicht besonders angenehm, nicht gut gewählt; die an sich netten Flankenpavillons in der Höhe wollen uns, weil zu wenig vermittelt und gegen den Gesammtgebäudekörper fast verschwindend, nicht behagen; überhaupt vermissen wir eine eingreifendere Gruppirung und Detachirung nach horizontaler und vertikaler Richtung. Schöner im Detail ist jedenfalls das neue Hofschauspielhaus von denselben, hauptsächlich von  H a s e n a u e r ;  aber auch hier will uns die Hauptgruppirung nicht gefallen; reich an Dekoration.
Das Hôtel de France (I., Schottenring) ist im Renaissancestyl gehalten. Die Mansarden an den Flanken wollen vielen Freunden echter, edler und einfacher Baukunst nicht gefallen; die Ansichten sind eben verschieden; diese Flankenmansarden sind hier noch ganz bescheiden gehalten, aber manche Bauten zeigen hievon solche Ungethüme, die im Interesse des guten Geschmackes nie an das Tageslicht hätten kommen sollen. Faktur ziemlich gewöhnlich, aber nett.
Der »Stephanshof« in Wien von Architekt  O.  T h i e n e m a n n ,  an sich von sehr feiner Faktur, bewegt sich aber in sehr bekannten Geleisen der Renaissance mit Barokko- und Zopfelementen; auch fehlen Lisenen nicht (Flachsäulen), eine Form, welche man füglich aus der architektonischen Detail- und Mustersammlung gänzlich ausscheiden sollte. (Vergl. darüber später.) Das Parterre gehört zu den modernen Bauformationen mit Verquickung von Waarenhaus und Miethhaus. (Vergl. später.)
Das neue Kurhaus in Baden bei Wien ist ein ganz hübscher, durchwegs geschmackvoller Renaissancebau vom Architekten  C.  F a s s b e n d e r  in Wien. Die innere Einrichtung lässt an Komfort wohl Einiges zu wünschen übrig, doch ist dies wohl auf Konto des Bauprogrammes zu setzen. Der Bau war eigentlich nicht dringend nöthig, weil Baden einen sehr hübschen Redoutensaal (jetzt Museum) besass.
Von Renaissancebauten in den Provinzen und im Auslande heben wir wieder nur wenige Proben hervor.
In den Bauten ragt seit 1866 nach Wien von allen österreichisch-ungarischen Städten am meisten Pest durch seine Bauten hervor; es besitzt einige sehr genial veranlagte Baukünstler; sehr viele seiner anderen grösseren Bauwerke zeugen von bedeutenden Talenten, umsomehr stechen dann oft die gewöhnlichen Profanbauten und Privatgebäude ab, womit nicht gesagt sein soll, dass sich nicht auch darunter so manches gelungene Bauwerk findet; eine solche bessere Ausnahme ist zum Beispiel unter manchem Anderen das Haus in der Andrassystrasse in Pest nach dem Plane des Architekten  K a l l i n a ;  es hat hübsche Details, angenehme Verhältnisse, und macht im Ganzen einen sehr günstigen Eindruck; der Styl ist Renaissance mit romanisch-gräcisirenden Elementen. Der Dom von Gran und einige andere kirchliche und profane Neubauten grösserer Art sind bedeutende Werke ungarischen Kunstschaffens.
In Deutschland ist die Erfassung der Renaissance und Reproduktion ihrer Phasen von jener in Wien nicht viel verschieden, doch im Ganzen trifft man vielfach auf eine nüchternere Faktur.
Das neue Postgebäude in Stuttgart macht keinen besonderen Eindruck; es erinnert in seiner Schmucklosigkeit fast an franziscäische Bauten; der Styl ist nicht besonders ausgeprägt und enthält verschiedene Motive, besonders der Frührenaissance.
Das neue Museum in Dresden stammt aus den ersteren Jahren unserer Epoche; es ist ein älterer Bau von  S e m p e r,  und zwar eines seiner besseren Werke; das neue Rathhaus in Berlin ist im romanisirenden Frührenaissancestyl gehalten. Der Totaleffekt ist nicht übel, aber der Bedeutung eines Rathhauses von »Spree-Athen«, wo ein  S c h i n k e l  schuf (!), nicht sehr entsprechend; zu viel Fabriks- und Bahnhofelemente und Markthallen- oder Kasernenmotive. Das neue Museum in Gotha von Architekt  N e u m a n n  in Wien, zeigt schöne Verhältnisse, proportionirte , kräftige Gruppirungen und Gliederungen; die Fensterzwischenpfeiler der I. Etage haben sonderbarerweise eine Basis, aber kein Kapitäl, während doch der Künstler sich an anderer Stelle vor regelrechten Pilastern nicht scheut.
Das neue Universitätsgebäude in Königsberg ist im angeblichcn Frührenaissancestyl gehalten, aber sehr stark mit romanischen Elementen verwebt und hat ausserdem sehr viel Modernes; der Totaleindruck ist günstig. Das sogenannte  P a n n' sche Haus in Landshut, gebaut von Prof.  G.  H a u b e r r i s s e r  in München, ist in barockisirender sogenannter Deutschrenaissance gehalten und hat interessante und vielfach gelungene Details; doch ist die starke Asymmetrie im Parterre, durch praktisch-ökonomische Umstände wahrscheinlich bedingt, sehr störend für den Totaleffekt; das ist sehr schade.
Im Allgemeinen, wenn man die grosse Masse aller modernen Bauten in Deutschland zusammennimmt, ist das Bild architektonischen Schaffens nicht so erfreulich, als es zu erwarten gewesen wäre. Das Mindergute überwiegt! Auch hier betrifft dies vor Allem die Privat-Profangebäude, als: Palais, Villen u. dgl.  In dieser Richtung überwiegt der Zahl nach leider fast überall die gewerbliche oder gar fabriksmässige Dutzendwaare der Bauspekulanten und dergleichen Leute; das wirkt sehr schädlich auf den Geschmack des Publikums zunächst und wieder zurück auf junge Baubeflissene.
In Frankreich hat man bei manchen Privatgebäuden, besonders in der Provinz, vielfach eine eigenthümliche Variante der rheinisch-holländischen Bauweise mit obstrusen Elementen der verschiedenen Renaissancephasen vermengt, besonders im Villenbau; im städtischen Privatbau trifft man noch häufig das sogenannte »Neo-grec«, eine seltsame Mischung von renaissancehaften Elementen mit in's Groteske verzerrten Motiven, der griechischen, ägyptischen und indischen Architektur; sonst ist allenthalben auch die französisch-italienische Hoch- und Spätrenaissance an der Tagesordnung.
Ein berühmtes Beispiel der Pariser Bauwerke ist unter vielem Anderen auch die neue Pariser Oper von Charles  G a r n i e r ;  die Haupträume sind zwar nach aussen streng modern stark markirt, aber in den Formen unvermittelt aneinander gesetzt; noch immer ist das Ei des Kolumbus des Theaterformsymbolismus nicht gefunden! Man sollte es nicht glauben! Die Gruppirung macht im Ganzen keinen zufriedenstellenden Eindruck trotz der pomp- und prunkhaften Faktur im Renaissancestyl mit überwiegenden Elementen der Spätrenaissance (Zopf, Barokko, Rokoko etc.*), Dekoration überreich.

*) H.  v.  F e r s t e l  (weil.) schrieb seinerzeit selbst über die französische Architektur: Die grosse und glänzende Baubewegung der letzten Dezennien scheint die Kräfte momentan erschöpft zu haben. Das letzte Aufflackern der napoleonischen Glanzperiode äussert sich in Ueberladung und Forçirung aller Dekorationsmittel. Mit der Anwendung bizarrster Formen geht eine förmliche Missachtung kostbarer Materialien Hand in Hand; die grosse Oper in Paris ist gleichsam der Schlusseffekt dieser Periode; doch irrt man, wenn man glaubt, es ist auch das wirkliche Ende dieser Richtung; sie scheint eher zu weiteren Fortschritten auf dieser gefährlichen Bahn zu ermuntern. Eine Umkehr wäre schon dem Bildungsgange der französischen Architekten nach leichter zu gewärtigen, er kann sich in Folge grösserer Spezialisirung der Arbeit mehr der eigentlichen Kunst hingeben; bei uns aber - so spricht  F e r s t e l  - ist der Künstler zu vielfach getheilter Thätigkeit gezwungen und verliert das Hauptziel aus dem Auge, was er unverwandt verfolgen sollte. Würden daher bei uns auch solche Kunsterscheinungen auftreten, wie in Paris unter Napoleon III.,
s o  m ü s s t e  m a n  a n  d e r  K u n s t  v e r z w e i f e l n.

Von den Italienern, welche an den berühmten Quellen der Kunst sitzen, muss man fort und fort das Beste erwarten; doch treten hier dieselben Erscheinungen zu Tage wie allerwärts; es fehlt nicht an Gutem, Schönem und Ausgezeichnetem, aber es bleibt in der bedeutendsten Minorität.
Wir wollen noch schnell, um endlich mit diesem Theile unserer Diskussionen fertig zu werden, hinüberschweifen nach Amerika, in die Vereinigten Staaten.
Von amerikanischen Gebäuden sind unter Anderem zu nennen: New-York Stock Exchange, City Public Buildings, ein Privatpalais in New-York in der Nähe des New-York Herald; Museum of fine arts in Boston; ferner ist unter Anderem auch interessant die Hauptanlage des Broad Street Depots in Philadelphia, Grand Central Depot of New-York, Thurm der Independence Hall in Philadelphia; Einzelpartieen des Masonic Temple in Philadelphia; Pennsylvania University, Post Office in Boston, Academy of fine arts in Philadelphia etc.
Viele der übrigen neuen Gebäude bieten entweder nichts Besonderes oder zeigen gar ein mehrweniger ungünstiges Gepräge. Es mangelt allenthalben nicht an manchen gelungenen Einzelheiten, manche müssen als Kuriosa genommen werden. An solchen Gebäuden, welche Alles zu wünschen übrig lassen, ist natürlich auch drüben kein Mangel. Doch zeigen die amerikanischen Architekten im  D u r c h s c h n i t t e  sehr viel Phantasie und Geschmack,  m e h r ,  als sich der Laie gewöhnlich von diesem praktischesten Volke der Erde erwartet.


IV.

Wer die Bauten der Renaissance jemals durchstudirt hat, dem muss ein eigenthümlicher Umstand aufgefallen sein. Die Römer hatten ihre Baukunst von den Griechen und Etruskern und bildeten sie allmälig ganz selbstständig aus. Die Renaissance aber ignorirte diese griechische Wurzel der römischen Baukunst, welche letztere sie allein cultivirte, vollständig! - Das ist wirklich seltsam! Nur in den Interieurs und deren Dekoration wurden, wie Herkulanum und Pompeji zeigen, die griechische Art und Weise mehrweniger beibehalten.
Meister  S c h i n k e l  war es, welcher die Lücke, so die Renaissance der Baukunst gelassen oder geschaffen, erkannte. Aber als er diese schönste Phase baukünstlerischen Schaffens - nämlich die griechische Baukunst, den griechischen Baustyl - für unsere modernen Verhältnisse praktikabel machen wollte und versuchte, sie mit unseren gegenwärtigen Bedürfnissen in Harmonie zu bringen, da versagte ihm schier die Kraft! Die Gestaltung wurde ziemlich nüchtern! Man sollte nun denken, was Einem nicht gelang, gelinge Anderen, wenn nur einmal der zündende Funke des Prometheus vom Olymp geholt ist. Nur wenige Künstler erreichten jedoch hie und da eine zusagende Gestaltung in diesem neuen Styl oder vermochten dessen neue Formen in passende Anwendung zu bringen, - verhältnissmässig nur wenigen Künstlern gelang es ferner, diesen beiden Fehlern, die Ignorirung der griechischen Bauformen, welche durch die Renaissance der italo-französischen Kunst (eigentlich besser gesagt der antiken - römischen - Baukunst in Italien und Frankreich) verschuldet wurde, einerseits, und der Dürftigkeit der   Sc h i n k e l 'schen Schule andererseits entgegenzuwirken oder geschweige sie gänzlich zu heben. Nur wenige Architekten brachten es so weit fertig, diese an sich nicht mit Gold zu bezahlende  S c h i n k e l 'sche Idee der sogenannten » griechischen Renaissance« mit den Bauformen der italienisch-französischen - römischen - und deutschen Renaissance zu verschmelzen, so dass ein neues, vollkommenes, der Neuzeit und ihren diversen Bestrebungen congeniales,  v o l k s t h ü m l i c h e s , anderen gelungenen Leistungen ganz ebenbürtiges Werk dastünde, auf welches man mit Stolz und Freude blicken könnte.
Nichts von alledem bei der Mehrzahl der übrigen Baukünstler!
Wie kommt dies, wie kam dies? Da sich unter dieser Mehrzahl von Architekten und Baumeistern viele tüchtige, geniale Köpfe befinden, an deren Befähigung zu einer solchen Aufgabe füglich nicht gezweifelt werden kann, so muss der Grund besagter Erscheinung anderswo zu suchen sein;  w o  a b e r ? !
Die Erklärung dürfte in Folgendem zu suchen sein:
Nämlich ein ziemlich grosser Theil lehnte die ganze  S c h i n k e l 'sche Idee einfach ab; ein anderer verstand sie nicht recht, oder fasste sie schlecht auf; ein dritter Theil warf sich lieber der Gothik in die Arme, ein vierter der landläufigen Renaissance, der Mode  u. s. w.  Dazu treten noch allerlei Zeit-, Lokal- und sachliche Umstände, Verhältnisse und Einflüsse.
Doch wir wollen auch  S c h i n k e l 's  Verdienste nach keiner Seite hin schmälern.
Er legte einen guten Grund und lieferte mit seiner »griechischen Renaissance« - allerdings zu einer sehr günstigen Zeit*) - den Beweis, dass man in der That  e i n e n  S t y l  e r f i n d e n  könne! Einen Styl, der sogar einer gewissen Entwickelung fähig ist, wie dies unter Anderem viele der modernen Berliner Bauten trotz aller ihnen etwa und oft anhaftenden Nüchternheit zeigen. (H a n s e n  in Wien hat besonders in der Innenarchitektur viel Gelungenes und Schönes geschaffen in dieser Richtung.)
*) Allgemeiner Hellenenkult der Jahre 1820 bis 1830, griechische Freiheitskämpfe, protegirt von England (vergl. Biographie Lord Byron's), Deutschland (B a y e r n ! !), Frankreich, ja von ganz Europa und Amerika, natürlich mit Ausnahme der benachtheiligten Türkei! Auch das allgemeine politisch-soziale (relative!) Wohlbefinden nach dem Kongresse (1815), die gräcisirenden Literaturphasen, das Griechenthum der vorangehenden französischen Revolutionen in der Mode etc. waren den 
S c h i n k e l 'schen Stylbestrebungen äusserst günstig. -

Geringer begabte Baukünstler jedoch, deren »künstlerische« (?) Ammen noch dazu die technischen Schulen  a l l e i n  sind, an deren Brüsten sie gewöhnlich keine Poesie schlürften, sondern ausser kaltem theoretisch-praktischem  W i s s e n  etwa noch Kneipenbier, Politik und veralteten Mummenschanz, kurz alles Mögliche, aber gewöhnlich keinen Kunstsinn, werden kaum je im Stande sein, oder waren kaum je im Stande, die künstlerische Hinterlassenschaft  S c h i n k e l 's  im angedeuteten Sinne zu benützen, zu verwerthen und - z u  v o l l e n d e n ,  weil ihnen meistens der S c h i n k e l 'sche hellenische Formensinn, der akademische Schliff, der den Diamant erst zum wahren Edelstein macht, d. h. machen soll, und die nöthige kontemplative, konspektive und perspikative Natur fehlt - welche sich nicht erlernen lässt und die angeboren sein muss, was nicht so häufig der Fall ist - d. h. mit anderen Worten die Gabe der künstlerischen Zusammenfassung der antiken, kulturellen und zeitgemässen Potenzen, Momente und Elemente; sie ist ihnen nicht kongenial. Was nützen dann auch ein paar Jährchen Akademie und die berüchtigte Romreise?! Das Gift der nihilistischen Blasirtheit des modernen Hörsaales ist einmal im Blute und die Luft der Akademie und Roms macht's nicht besser!
Sie können daher natürlich keinen Styl schaffen, wie die Alten oder jene verhältnissmässig wenigen Neueren, welche entweder  d i r e k t e n   Kunstunterricht genossen oder von Haus aus schon die himmlische Flamme des Genius in sich trugen. Daher sagen sie jetzt seit langer Zeit her schon immer unisono, der Einzelne kann keinen Styl schaffen, das kann nur das Volk, das Volksbedürfniss oder die Grossmama Zeit!

G r u n d f a l s c h ! -

Die Zeiten bringen allerdings gewisse Köpfe hervor, welche wieder gewisse neue Formen schaffen; die Zeit muss allerdings dazu passen und ihren Bedürfnissen muss Ausdruck gegeben werden; man hat neues Material, man braucht neue Konstruktionen etc. Aber man werfe die neuen Materialien, die neuen Bedürfnisse, die neuen Zeitanschauungen, die neuen Konstruktionen (als rein technische nämlich), ferner auch einige typische Repräsentanten der Zeit in Form von Kritiken (bezahlte oder unbezahlte!?), Kunstfreunde, Mäcens etc. meinethalben in den dampfenden Hexenkessel und koche dieses Zeug lang durcheinander, es kommt doch im  Leben kein neuer Baustyl heraus, wenn nicht ein Künstler herantritt, der das Arkanum seines Genies hineinwirft; dann erst fährt die Zauberflamme heraus, zum Zeichen, dass der Brei gargekocht ist, früher aber nicht! Alles Andere aber ist nur täuschendes Surrogat und Mephisto stösst eventuell, übellaunig vielleicht mit Recht, den Kessel mit dem Fusse um, der Sud fliesst am Boden dahin, die Hexe (die Charlatanerie!?) jammert und flucht! . . . .
Unsere Zeit aber steckt (wie ein echtes altes Weib die mühselig ersparten Thaler) ihre Ideale,  m ü d e  v o n  d e r e n  e r f o l g l o s  w i e d e r h o l t e n  R e a l i s i r u n g  (in jeder Richtung!), in einen Strumpf, gewebt aus Hirngespinsten und Unsinn! Unsinn aller Art, politisch, religiös, staatskundlich, wissenschaftlich, sozial etc. etc. . . . .
»Wir degeneriren!« sagen die Pessimisten, und sie scheinen, nach Manchem zu urtheilen, vielleicht nicht ganz Unrecht zu haben?!
Aber wir verlangen da, wird man sagen, Unmögliches!?
Gelingt es doch oft manchen bedeutenden Baukünstlern nicht, die Nüchternheit der S c h i n k e l 'schen Gräco-Urrenaissance zu erwärmen, anmuthiger und reizvoller zu gestalten. Merkwürdig ist es aber, dass  S c h i n k e l ,  der bekanntlich auch als Dekorativkünstler für Interieurs, sowie als Staffeleilandschafter und Theaterdekorationsmaler schöne Leistungen aufwies, in seinen Bauten nicht mehr auf das malerische Moment hielt?! Trotzdem aber lässt sich nicht bestreiten, dass  S c h i n k e l  ein feiner, poetischer Geist war.
Ehre seinem Andenken!
Ganz anders erscheint uns  S e m p e r ,  der mehr eine wissenschaftliche als poetische, eine mehr kühle als schwärmerische Natur zu haben schien, nach so manchen Momenten seiner Schriften und seines Lebens, ohne ihm deshalb in seiner unbestrittenen Künstlerschaft nahe treten zu wollen. Altmeister weil. G.  S e m p e r 's Kunst will und wollte uns jedoch immer erscheinen, wie die Schönheit mancher Frauen, von welchen man sagt: »Ja, schön ist sie wohl, aber lieben könnte ich sie nicht, diese kalte, schroffe, nüchterne Person ohne jeden Liebreiz*).«

*) Einzelne von  P a l l a d i o 's Bauten erinnern gewissermassen an  S e m p e r 's Baugenre; so zum Beispiel die Villa »la Rotonda« bei Vicenza mit ihrer eigenthümlichen Einfachheit, aber es ist doch ein Unterschied. Es liegt etwas in den Formen und Verhältnissen der meisten besseren Bauten  P a l l a d i o 's (von seinen oft bezeugten Schwächen abgesehen), was uns nicht unangenehm berührt und uns mit der oft krassen Nüchternheit, Flachheit oder eventuell wieder einmal Abstrusität versöhnt; sein Styl muthet uns nicht selten recht traulich und heimlich an mit seiner ruhigen, edlen Formenharmonie, ohne Phantasie-Extase allerdings, aber noch meistens ohne abstossende Pedanterie, Prüderie und Steifheit, wie wir bei manchen  S e m p e r 'schen Bauten finden.

Das ist nicht mehr blos die berühmte »steinerne Musik«, von der so viele Aesthetiker in Ermanglung von Besserem gefaselt haben, das ist in Steinen formirte reine Mathematik, ganz nach  S c h o p e n h a u e r , dem ja die Baukunst nichts gewesen, als das todte Spiel statischer Kräfte. Gegen das Aeussere seines Hoftheaters in Dresden sind unsere Wiener Hoftheater (deren Schattenseiten natürlich ausgenommen!) und die Pariser Oper von Ch.  G a r n i e r  (ausgenommen den über sie verschwenderisch ausgestreuten Barokko-, Zopf- und Rokoko-Schwulst) wahre Prachtobjekte der Baukunst. Sein im Jenseits schwebender Geist möge mir verzeihen, aber wenn man die Dresdener Oper der wenigen Zierrathen ornamentaler oder figuraler Natur entkleidet, so haben wir nichts als einen simplen Zirkus, eine Menageriebude oder ein Panoramagebäude vor uns, aber ja keine Oper; es ist ein öder Zweckbau ohne harmonische Vermittlung, ohne Schönheit, ein unliebenswürdiges Werk; da sind mir faktisch die reizlosen flachen Zylinderkästen der Amphitheater von Pola oder anderer römischer Gegenden noch lieber.
Aber nicht allein aus dem spricht der Unterschied der beiden Künstler.
S c h i n k e l  hat Schule gemacht, hat Schüler herangebildet;  S e m p e r 's Styl ahmt Niemand  r e i n  nach; seinen »Kunstwein« muss man wässern mit anderen Elementen, sonst schmeckt der Trank zu herbe.


V.

Wir wenden uns jetzt anderen fachlichen Momenten und Details ästhetischer Natur zu *).
Nach der künstlerischen Impotenz des Empire's  I. vom Schlusse des 18. bis zum 3. Dezennium des 19. Jahrhunderts [das ist in den letzten Athemzügen der Spätrenaissance und des Zopfes und dem seichten Antikizismus (»Restaurationsblüthe«), dessen oft so bedauernswerthe Wässerigkeit besonders in Oesterreich aus den Zeiten des franziscäischen Regimes (und Kaiser Franz that sich doch auf seine architektonischen Kenntnisse nicht wenig zu Gute!) selbst Laien auffällt] war man überrascht, als allmälig durch die freieren Bewegungen der Künstler, belebt durch »frischere Luft«, welche ihnen der Genius der neueren Zeit mit mächtigen Schwingen zufächelte (an Wind fehlt es uns jetzt gerade auch nicht!?), andere Gestaltungen in den Künsten, hier also in der Architektur auftauchten. Es wurden alsbald alle möglichen Stylversuche unternommen, romanisch, gothisch (in Berlin blieb man mit wenig Ausnahme bei  S c h i n k e l !) bis wir endlich, besonders in Wien, in neuester Zeit (aber auch an anderen Orten), bei den innigstgeliebten Spätrenaissanceformen des  Z o p f e s , des Barokko und des Rokoko angelangt sind, deren äussere Schale diverse Architekten, Baumeister und Kunstjünger oft mühselig kopiren, ohne je die Verve und den malerischen frischen Wurf der Vorbilder zu erreichen; so Manche denken wohl, es genüge, irgend welche Zopf- und Barockmotive, und seien es selbst die schlechtesten, zusammenzustoppeln, aber das neue Gericht nach altem Rezepte schmeckt nicht gut und wir haben uns schon jetzt den Magen damit gründlich, verdorben.

*) Auch die verzierenden Künste der Malerei, Bildhauerei und Gartenkunst sind oft in bedenklichen Händen; besonders die Plastik zum Beispiele. Alle sind eben keine W e y e r 's,  Z u m b u s c h ',  K u n d m a n n 's, S c h ö n t h a l e r 's etc. Was aus der Letzteren Händen hervorgeht, wird freilich jedes Bauwerk zieren, aber viele Andere verunzieren nur durch ihre Machwerke.

Da sehen wir zum Beispiel an den anderen Renaissancebauten selbst mancher besserer Architekten, Säulen, welche wie gichtbrüchig erscheinen, denn sie sind von der Basis bis zum Kapitäl in Abständen von ¹/3 Meter wie mit warmen Umschlägen eingehüllt! Hat denn die echte Antike solche geschwollene Säulenschäfte?
Nein! Warum verwendet man also nicht viel lieber die schönen jonischen Säulen mit vierseitig ausladendem Kapitäl kapitael.JPG (784 Byte) oder die korinthischen und römischen Säulen mit Kannelirung?! Sollen diese geschwollenen Säulen vielleicht eine Verbesserung der Antike sein?! Pfui! Ja Einige gehen neuestens so weit und unterbrechen den Schaft der Säulen nach den verruchtesten Vorbildern mit diagonal gestellten, stark ausladenden Würfeln! Es ist eine bodenlose Geschmacklosigkeit. Styltreue ist schon recht; aber man braucht nicht deshalb durch Dick und Dünn mitzuwaten; man jäte das Unkraut aus, und pflanze nur das Gute! Eine ähnliche Sache ist es mit dem Lisenen (Flachsäulen) - Missbrauch in der Renaissance, besonders in der modernen.
Was sind Lisenen? Abgeblasste Scheinbilder der Säule; etwas was Säule sein will, aber keine ist; ihre Anwendung bekundet stets keinen besonderen Geschmack, am schlimmsten aber ist es, beide Formen, Lisene und Vollsäule, knapp neben einander in einen und denselben Konnex und in dieselbe Relation zu stellen. Wenn Bauformen frech sein können, so ist es sicher hier der Fall; es ist dies eine Formdifferenz, die nur deshalb so Viele nachahmen, weil sie durch die Häufigkeit der »Sünde« ihr künstlerisches »Gewissen« dagegen schon längst abgestumpft haben; ich könnte hier für die Rheumasäulen wie für den Lisenenunfug aus Wien allein mehrere traurige Beispiele anführen.
P a l l a d i o  scheint einer der Erfinder des Lisenenschwindels zu sein, denn er wendete sie in späteren Werken nicht selten an; so zum Beispiel beim Palast Valmerano in Vicenza etc.
Andere Detailformen der Renaissance, als zum Beispiel Kuppeln, Giebel, Mansardchen, Thürmchen etc. werden besonders an Eckhäusern schon bis zum Ekel allerorts angebracht, auch dort, wo sie gar nicht hinpassen oder hingehören; dann erscheinen sie zudem oft steif, unmotivirt, unvermittelt, unförmlich gross oder verkrüppelt. Auf der einen Seite bemerken wir nicht selten einen zwangvollen Zweckbau, auf der anderen Stylsklaverei ohne Ursache, mit Peinlichkeit und voll Missverständniss durchgeführt, wozu dann noch immer die schablonenhafte moderne Grundrissbildung mit krampfhaft festgehaltener Symmetrie der Raumvertheilung oft zu Ungunsten der praktischen Verwendung und Brauchbarkeit tritt; bei dieser schönen Gelegenheit vergisst man fast stets auf Abort- und Feuerungsanlagen, Nebentreppen, gutes Tageslicht etc. und hilft sich dann elend mit Einbauten, Zwickelwerk und erbärmlichen Flickkonstruktionen, die das Ganze schänden. Wir sehen fort und fort die unschönen kleinen Stallfenster und andere unzählige unschöne Konsequenzen der so häufigen aber leidigen und vielfachen Mezzaninformen (als Souterrain-, Parterre- und Hochparterre-Mezzanin); es gibt wenig ordentliche Portikusanlagen; die Stümperei und Uniformität sehen und treffen wir häufiger als uns lieb und angenehm sein kann; derlei wirkt leider oft förmlich ansteckend, jedenfalls ist sie dem Ganzen nicht gedeihlich; ihr Ursprung ist verschieden. (Vergl. später.)
Manchmal entschlüpft auch einem sogenannten »wohlwollenden« Kritikus ein scharfes, aber treffendes Wörtlein unwillkürlich, was wohl die zahlreichen Flores »noli me tangere« sensitiva etwas unangenehm berühren mag; er sagt zum Beispiel über die modernen Neubauten in Wien: »Wir begrüssen alle von der Schablone abweichenden Neuerungen, wenn sie sich auch zuweilen seltsam ausnehmen (zum Beispiel Teppichmuster für ein schmiedeeisernes Balkongitter!?) umsomehr mit Befriedigung, als Neuwien,  t r o t z  d e r  u n s  z u g e s p r o c h e n e n  T a l e n t e   für dekorative Wirkung, doch im Allgemeinen an einer  u n l u s t i g e n  (!)  M o n o t o n i e  d e r  H ä u s e r   leidet; bei der Grösse unserer Zinskasernen sind diese (ununterbrochenen) Reihen gleichadjustirter Fenster unerträglich langweilig; ja selbst unseren Monumentalbauten muss  d i e s e  U n i f o r m i t ä t  schaden.« (An dieser leidigen Uniformität sind nicht allein manche Architekten und Baumeister schuld, sondern gewisse Elemente, welche sich seit den letzten Jahrzehnten in die gesammte Bauwelt unberechtigt eingeschmuggelt haben und deren Kredit schmälern. Es sind: Spekulanten, Bauunternehmer, die selbst bauen, und diverse Pfuscher und Dilettanten, Charlatane, diverse technische Zivil- und Militär b e a m t e,  die, ohne au fait zu sein mit den Fortschritten und Wesen der Baukunst, doch dieses Feld ganz lustig bearbeiten; ja es hat auch an Malern sogar nicht gefehlt, die ganz unverforen architektonische Arbeiten übernahmen, ohne die geringste Befähigung dazu zu besitzen!)
Viele Bauherren lassen sich eine pomphafte Façade machen, ohne dass man sich darum kümmert, ob sie sich aus dem Gesammtplan organisch-·logisch entwickelt oder nicht, und die Mehrzahl der jüngeren Architekten übersieht, dass die Umgebung des aufzuführenden Baues ein sehr wichtiger ästhetischer Faktor für die Wirkung ist. Auch ein anderer moderner Umstand ist bemerkenswerth: die Verschiedenheit des Hauptbaumaterials bei einem und demselben Bau; so zum Beispiel die modernen Stein- und Eisenhäuser, wozu dann noch das Missverhältniss der Dimensionen zwischen den Laststützen (eiserne Säulchen) und der Last (steinerne Façademauern durch mehrere Stockwerke!) kommt; einen unangenehmeren Eindruck, als diese letztgenannten Differenzen kann man sich kaum mehr denken und leider ist derlei bei unseren modernen Zwitterbauten (Waarenhaus mit Miethhaus vereinigt) ganz Mode geworden und nur zu häufig in allen Städten anzutreffen.
Als der Bauflor der neueren Zeit (in Wien: Stadterweiterungsaera!) auftauchte und seinen Kulminationspunkt (Börsenblüthe!) zunächst in den Siebziger-Jahren vorläufig erreichte, tanzte man schier wie verrückt um das goldene Kalb der Selbstvergötterung und die Charlatanerie und der g'schnashafte Theaterprunk, die sich im modernen Profanbau (Privatbau) nunmehr oft sehr stark bemerkbar machen, ging so weit, dass, selbst die mit Lob oft sehr knauserigen Ausländer über die Wiener und österreichischen Bauzustände mit ihrem Beifalle nicht mehr länger zurückzuhalten für gut fanden; unsere (bezüglich der vielen Börsebaronspalais und Spekulationsbauten) auf »Aktien gegründete« Ringstrasse faszinirte sie; d i e  Masse imponirt  d e r  Masse! Und so blähen sich jetzt gerade die allerkleinsten Kunsttalentchen (III. bis V. Ranges!) und werfen sich in die Brust, als wollten sie sagen: Wir in Wien haben das Privilegium der Kunst, das Monopol künstlerischen Schaffens, ohne zu bedenken, dass anderwärtig auch etwas geleistet wird! Aber so ist es allenthalben in der Kunstwelt; der grosse, echte Künstler schweigt über seine Triumphe, er freut sich im Stillen darüber, er trägt ja das Bewusstsein seines hohen Werthes in sich, selbst in dem Falle, als er etwa von den Zeitgenossen nicht anerkannt würde; mit der Kleinheit der Talente aber wächst auch die Ruhmsucht; und endlich gar der spekulative, charlatanistische Bauunternehmer ruft sein Lob selbst und schallend in die Welt! Hier hat die Kunst nichts mehr zu reden, höchstens wird ihr Name täuschend und betrügerisch missbraucht und der Rest ist - mehrweniger nackte, zynische Geschäftssache! Höchstens mit etwas Humbug-Firniss überzogen!
Nach der langen Fastenkost (von der  F i s c h e r  v.  E r l a c h 'schen Schule bis zur Gegenwart, zirka 1750 bis 1850, also zirka 100 Jahre!) kamen Allen natürlich die modernen Leistungen ohne Ausnahme und auf allen Kunstgebieten überhaupt als etwas Grosses vor. Aber wir haben dennoch noch Manches zu lernen, und  F e r s t e l  sagte daher eines Tages mit Recht: »Docendo discimus.« (!) Die Bescheidenheit ziert den grossen Künstler. Aber den Kern des Geschmackes kann man nicht lehren und nicht lernen; das muss man von Natur aus mit in's Geschäft bringen als Betriebsfond! Und dieser so nothwendige Betriebsfond fehlt so Vielen*). Das ist sehr fatal! Daran ist zum grossen Theile auch unsere so fürchterlich nüchterne, blasirte, sich über Alles moquirende Zeit schuld; das wird nicht so leicht besser; es müsste eben ein ganzer Umschwung der Anschauungen eintreten, wie er allerdings in historischen Zeiten schon manchmal vorkam. (Reformation, französische Revolution etc.), und dann weiss man immerhin nicht, was dieser Umschwung für Konsequenzen hat, ob derselbe zu Gunsten oder Ungunsten der Kunst ausschlägt.

*) Dies erinnert an Figaro's Ausspruch: »Was ihr Gelehrten euch für Geld nicht erwerbt, das hab' ich von meiner Frau Mutter geerbt.« Das ist nämlich Mutterwitz! Auch der natürliche Geschmack ist eine solche Gabe.

Wenn nun auch der natürliche Geschmack nicht so leicht erlernt werden kann, so leisten doch dem Laien und steifleinernen Kunstjünger gewisse Regeln Erspriessliches; wir verweisen zu dem Ende auf die Kunstliteratur (unter mehreren Anderen zum Beispiel Prof.   Z e i s i n g :  Die Lehre vom goldenen Schnitt etc.). Wenn man diese Grundprinzipien in sich aufgenommen hat, so wird man wohl nicht gar so grobe Fehler machen, wie sie leider nur zu häufig vorkommen. Sonderbar! Im Villenbau- und Kottage-Styl leistet die Mehrzahl der österreichischen, deutschen und englischen Architekten sehr viel des Guten und Schönen, während andere Gebiete, zum Beispiel grössere Privatbauten und zum Theil auch hie und da Monumentalbauten so Manches zu wünschen übrig lassen; es ist dies sehr zu bedauern. Hier schrumpft plötzlich diese Majorität gewaltig zusammen, da erlahmt so Manchem die Kraft und der Muth! Unsere Altvordern schufen leichteren Muthes und Herzens und konnten es gleichwohl auch oft eher thun, da die Aufgaben häufig leichter, die Zeiten und spezielle Verhältnisse und Umstände günstiger waren. Heutzutage aber müssen Viele unter dem Zwange oft sehr misslicher Umstände schaffen. Viele Künstler der Renaissance, welche Maler, Bildhauer, Architekten etc. zugleich waren [(Leonardo da   V i n c i ,  Michael  A n g e l o ,  Raphael  S a n z i o   etc.), sie gleichen Minerven, die eines schönen Tages gepanzert aus dem Haupte Jupiter's sprang!] behandelten die Baukunst nur so nebenher und schufen dennoch Meisterwerke! Andere Zeiten, andere Lieder! **)

**) Ich möchte hier eines formalen Momentes gedenken; seit dem Verfall der Renaissance, deren Architekten sich gut darauf verstanden, ist die Lösung der Eckbauten in geschmackvoller Weise lange, sehr lange nicht versucht worden; hierin war unter Anderen   F e l l n e r  mit seinem geschmackvollen Wiener Stadt-Theater (jetzt eine Singspielhalle etc.) nach allem Anscheine tonangebend; diese Lösung findet statt durch Abstumpfuog der Ecke, eventuell sogar durch Verlegung des Hauptportalbaues in dieselbe, was allerdings oft die Grundrissanlage sehr erschwert, aber einem Gebäude, das sonst verurtheilt wäre, mit seiner Ecke assymmetrisch und verstellt zu verschmachten, sodann ein hübscheres Gepräge und mehr Selbstständigkeit zu geben; es gewinnt mehr  P r o s p e k t .  Einmal dargelegt, liess sich nun diese Methode in schönster Weise modifiziren .und oft waren es nur einfache Baumeister (Baugewerksmeister), die sich dieser Aufgabe mit Glück entledigten, während Bessere sich nicht anders zu helfen wussten, als durch Adjustirung der Ecken mit den abgedroschenen Kuppelthürmchen, die gar keine symbolische Relation zu einem prosaischen  m o d e r n e n  Zinshause haben.

Heutzutage scheinen es alle Verhältnisse zu erfordern, dass Einer, hätte er auch verschiedene Begabung, nur e i n e r  Kunst sein ganzes Leben widme; doch gibt es auch in neuerer Zeit nicht wenig Ausnahmen; ich nenne nur  S c h i n k e l ,  J.   G.  M ü l l e r ,  Ch.  G a r n i e r ,  W.  S c o t t   und mehrere Andere.


VI.

Wir werden die Sache vorläufig nicht ändern, da wir die Zeit mit ihren materiellen Interessen und ihrem auf's Praktische gerichteten Sinn, welchem Alles, was Phantasie, Poesie und Philosophie heisst, so gar nicht passt, nicht ändern können; aber bevor ich zu den Bemerkungen über die technische Seite unseres modernen Bauwesens und zu dem Schluss-Resumé mich wende, kann ich nicht umhin, hier Einiges einzufügen, wozu ich durch die Lektüre eines jüngst in einem ersten Wiener Journale veröffentlichten, mehr für Fachleute und gebildete Laien als für das grosse Publikum bestimmt gewesenen Artikels über unsere moderne Architektur Anreiz fand. Der Verfasser ist ebenfalls Fachmann. Er sagt unter Anderem, dass der Monumentalbau, besonders wenn man denjenigen der Inder und Aegypter in's Auge fasst, ein ganz bestimmtes Gepräge, eine bestimmte Physiognomie haben müsse.
Ganz richtig! Das sagen wir auch! Die Alten wussten, wie gesagt, was sie wollten; nicht ganz zutreffend ist es dagegen, wenn er meint, dass der frühere Monumentalbau nur zwei typische Schemen hatte, nach welchen Alles gebaut wurde, nämlich der Palastbau und der Klosterbau; es treten im Gegentheile schon zeitlich abweichende Prinzipien für manche Gebäudearten auf, ja der Verfasser führt selbst mehrere Beispiele aus dem 15. und 16. Jahrhundert an, zum Beispiel Kaufhaus, Markthalle etc. Die Theater entnehmen ihren Urtypus zum Theile von der antiken Bühne, theils von den Kirchen, Tanzhallen etc. Die Architekten der Amphitheater hatten hiefür keine Vorbilder und mussten die Pläne auf Grund der ungefähren Bedürfnissdaten erfinden.
An einer Stelle sagt derselbe Verfasser:  »S o  i s t  d e n n  d i e   K l a g e  ü b e r  d i e  N ü c h t e r n h e i t  d e r  m o d e r n e n  B a u a u f g a b e n  k a u m  g e r e c h t f e r t i g t !«  Die Bauaufgaben sind auch nicht nüchtern, das ist unbedingt wahr, aber die Lösung dieser Aufgaben wird nur zu oft sehr nüchtern vorgenommen! Oft finden wir auch in Betreff des Formenkultus des Guten zu viel gethan, wir stecken in der Gegenwart auf jedes Greisslerpalais, auf jede Börsianervilla majestätische vergoldete Kuppeln und Thürmchen etc.; dadurch verlieren diese sonst so prononziativen Bauformen endlich ganz ihre symbolische und baukünstlerische Bedeutung. Und an anderer Stelle fragt der Verfasser: Sind die Aufgaben, welche der moderne Gesellschaftsorganismus der Baukunst stellt, ihrem inneren Wesen nach, ernstlich eines höheren Ausdruckes nicht fähig? Die Antwort darauf lautet, glaube ich, so: Soweit die Gesellschaft an sich dabei in Betracht kommt, sind diese Aufgaben eines höheren symbolischen Ausdruckes schwerlich mehr fähig, denn die Gesellschaft ist krank, überall krank, daher auch ihr Organismus nicht gesund. Die Charlatanerie wäre also für die moderne Gesellschaft nach der gegenwärtigen sozialen Diagnose der geeignetste symbolische Ausdruck in der Baukunst! Das dürfen und können wir aber nicht gelten lassen, ergo müssen wir im Interesse der Kunst - l ü g e n ! ! !
Baurath  F. v.  N e u m a n n  jun. scheint, nach einem Aufsatze in der Wochenschrift des österreichischen Ingenieur- und Architekten Vereines: »Ueber die Architektur und Stylbestrebungen der Neuzeit«, eine Ahnung zu haben davon, dass sich grosse Dinge vorbereiten, er spricht aber als Optimist und meint, es kündige sich der gesunde Werdeprozess einer günstigen  n e u e n  s t y l i s t i s c h e n   B a u p e r i o d e  a n !?
Wir glauben nicht! Vielleicht in 50 bis 100 Jahren! Vorläufig wenigstens ist keine Hoffnung hiefür vorhanden. Es ist ja Alles so faul als möglich. Wir haben prekäre Parlamente allerorts, durch welche das Gros des Volkes nur getäuscht und hingehalten wird, wir haben die fadenscheinigsten Scheinverfassungen in vielen Ländern, die vielleicht schlimmer sind als ein patriarchalischer Absolutismus je war, wir haben eine schamlose höhere, dabei tartüffisch (nach aussen hin) scheinbar tief religiöse Demi-monde, wir haben desolate Zustände wohin wir nur blicken, wir sind Sklaven nach allen Seiten! Wir gehen nothwendig einer Zersetzung entgegen, aus der möglicherweise Rosen, aber eventuell auch Giftkräuter hervorspriessen können; ein solcher allgemeiner Umschwung aller sozialen und politischen Verhältnisse dürfte uns übrigens nicht Wunder nehmen, wir dürfen nur in der Geschichte nachsehen, so finden wir ja, dass sich solche Reinigungsprozesse im Völkerleben  m i t 
d e r  N o t h w e n d i g k e i t   e i n e s  N a t u r g e s e t z e s  vollziehen und zwar fast immer nach gewissen grösseren Perioden; dieselben zeigen dann immer nach einer Seite hin eine ausserordentlich hohe Entwickelung, nach der anderen aber den rapidesten Verfall. (Vergl. die Geschichte Roms, Griechenlands, Byzanz', Persiens etc. etc.) Und so steht es auch in der Gegenwart. Die Technik, das Handels- und Industriewesen, das Militärwesen, manche Wissenschaften etc. waren noch nie, so lange die Welt steht, so entwickelt wie heutzutage; dagegen ist das politisch-soziale Leben, das religiöse, das ethische etc. unhaltbar, tief kränkelnd, morsch, der Auflösung und Destruktion nahe. Immerhin kann's noch eine Weile so fortgehen. Aber, wer dies nicht einsieht und erkennt, ist, glaube ich, mit tiefster Blindheit geschlagen.
Endlich sagt der Verfasser jenes fachlich-populären Aufsatzes ferner: »dass die Gegenwart ganz besondere Anforderungen schon an die Grundrissanlange der meisten öffentlichen Bauten stellt; das massgebende Prinzip ist die  »A u s g l i e d e r u n g«  (Pavillonsystem, Dezentralisation, Detachirung), daher erscheinen (sollen erscheinen!) die grösseren modernen Bauwerke, welche völlig den Stempel des Zeitalters tragen (das ist wohl der Zerfall, nicht wahr?!) als Gruppirungsbauten; in der Sonderung und dem prägnanten Ausdruck der Bestimmung der einzelnen Bautheile, die sich gelegentlich zu förmlichen Sonderbauten verselbstständigen, spricht sich ein gewisser architektonischer Rationalismus aus, der sich jedoch mit der allgemeinen Haltung des Baues ganz gut verträgt« (?).
Um so grösser, sagen wir darauf, ist der Fehler, dass eben diese Sonderbauten oft gar so erbärmlich markirt und noch öfter fast gar nicht  m a l e r i s c h  verwendet werden und somit meistens mehrweniger harmonielos zur Erscheinung kommen.
Der Verfasser stellt auch endlich in seinem Aufsatze verschiedene schöne Grundsätze auf, aber die Beispiele, welche er dafür anführt, wollen uns nicht recht gefallen und behagen und sind auch nicht in unserem Sinne zutreffend; wir finden, dass diesen seinen Grundsätzen meistens nur sehr oberflächlich entsprochen wird, wenn vielleicht wohl technisch, aber nicht immer künstlerisch; mit einem Worte, die »Lösung der Aufgabe« ist in vielen Fällen nicht oder nicht ganz, wie es zu wünschen, gelungen. Wir haben also da wieder eine jener vielen »wohlwollenden« Kritiken vor uns, welche der Kunst und deren Fortschritt nichts nützen, sondern nur schaden; oft gehen solche Kritiker, besonders aus dem Munde oder der Feder von Künstlern, als aus übersprudelndem Kunst- und Lebensenthusiasmus hervor*), der aber nicht Jedermanns Sache ist, aber mitunter auch aus freundschaftlich-gesellschaftlichen »Nebel von Chlum«-Verhältnissen, wie sie besonders der Neuzeit eigen sind, aus Curtoisie etc. »Eine Hand wäscht die andere« und »Eine Krähe hackt der andern die Augen nicht aus«.

*) Das scheint bei dem genannten Verfasser der Fall zu sein!


VII.

Vor den Schlussbetrachtungen müssen wir jedenfalls, als zum Ganzen gehörig, auch einen Blick auf das technische Gebiet der Baukunst und auf das Bauwesen der Neuzeit überhaupt werfen; da aber diese Themata von berufenster Seite nach verschiedener Richtung in Werken und Fachschriften stets behandelt werden, so werde ich mir hier erlauben, nur gewisse Schattenseiten hervorzuheben.
Als unter Anderem die Stadterweiterung inaugurirt wurde in Wien, so hiess es, man müsse auch endlich einmal mit dem Gerümpel alter baufälliger Baracken der engen Gässchen aufräumen, um den Bewohnern Luft und Licht und billige gesunde Wohnungen zu schaffen! Diese schönen Worte sind jedoch nur theilweise in Erfüllung gegangen: »Billige Wohnungen« wurden aus dem Programme ganz gestrichen; gesund sind sie nicht immer und manche Wohnung im fünften Stocke ist wohl nur zu luftig und sehr licht; da kenne ich ein Haus, einen grossen Neubau, im Zentrum der Stadt gelegen; das alte Haus, welches einst an der Stelle stand, hatte zwar eine ziemlich dunkle Treppe, aber noch immer Licht genug, damit man sich nicht das Genick breche; die Aborte mit alten Holzschläuchen, entdufteten zwar keine indischen Wohlgerüche, aber machten sich auch nicht unangenehm aufdringlich; der Hausmeister bewohnte eine kleine bescheidene, aber menschenwürdige, ziemlich lichte Wohnung, Parterre im Hofe; das neue Haus hat eine grossangelegte breite Treppe ohne Spur eines Tageslichtes; ein Gasflämmchen brennt hie und da - Tag und Nacht, um die Finsterniss zu erhellen; an die Treppe schliessen sich in einem Lichthofe die mephitisch duftenden stockfinsteren Aborte; von daher wird auch die Treppe »ventilirt« (!); neben den Aborten ist links in einem finsteren Loche, viel zu schlecht für einen Hund, der unglückliche Hausbesorger untergebracht, nota bene im ersten Stock! Rechts kommt man von einem 1 ½  Meter breiten, ganz finsteren, mit einem Gasflämmchen mühselig erleuchteten Vorraume zu vier Miethparteien, worunter ein technisches Bureau, in dem den ganzen Tag Gas gebrannt wird; dies ist der Zustand auf der ersten Treppe; auf der zweiten Treppe zu den eigentlichen Hofwohnungen mag es noch gemüthlicher aussehen. Solche schändliche Boutiken, aussen mit prunkvoller Façade wurden seit 1865 mehrere in Wien gebaut!
Man überbietet sich, besonders in baugewerblichen Kreisen, in gewagten Uebersetzungen und Versetzungen von Mauern und Pfeilern, bauend auf die relative Sicherheit eiserner Traversen und Gusssäulen, besonders bei Adaptirungen, aber auch bei Neubauten; man spielt hie und da förmlich mit aller Statik, bis einmal ein schönes Erdbeben alle Luftschlösser niederwirft; man machte allenthalben gewagte Stiegen- und  Deckenkonstruktionen. Erst in neuester Zeit fangen wieder einige Architekten und Baumeister an, den Treppen eine bessere Konstruktion zutheil werden zu lassen, wodurch dieselben bedeutendere Tragfähigkeit gewinnen; aber in mehreren Häusern der Bauperiode 1865 bis 1875 senken sich bereits die Perrons, hie und da auch die Stufen; der Einsturz ist vielleicht nur eine Frage der Zeit. Erstere sind auf schwachen Traversen und diese bei grosser Länge auf schwachen Mauern gebettet; die Stufen dagegen lockern sich in den Wandlagern und halten nur noch durch das gegenseitige Auflager, bis einmal dort oder da eine bedauernswerthe Katastrophe eintritt. Die Decken mancher sehr grosser Räume sind nicht selten mit mehr Angst einerseits oder Leichtsinn andererseits, als mit richtigem Verständniss ausgeführt. Aus ziemlich guter Quelle habe ich erfahren, dass die noch ziemlich neue eiserne Decke über dem Bühnenraum einer kontinentalen Hofoper so bedenklich sein soll, dass sich seitdem die daselbst Beschäftigten stets fürchten, sie falle ihnen auf die Köpfe. Trotz der vielen Theaterbrände *), die schon wieder seit dem Wiener Ring-Theater und der Pariser komischen Oper stattgefunden haben, werden die Theater noch allenthalben mehrweniger nach dem alten Schlendrianrezept gebaut, ganz schablonär! Die eindringlichen Darstellungen des Asphaleia-Systemes haben wenig gefruchtet; man kann nur wenig Ausnahmen verzeichnen; unter Anderem wurden bei dem neuen Deutschen Theater in Prag von  F e l l n e r  und  H e l l m e r  die neuesten feuersicheren Konstruktionen in Anwendung gebracht; das Asphaleia-System ist zum Theil für den Bühnenraum akzeptirt. Der Plafond oberhalb des Zuschauerraumes wiegt – in Eisen ausgeführt - 1300 Meter-Zentner! Wenn's nur hält, sonst wehe den Glatzen im Parterre!
A u c h  d a s  n e u e  W i e n e r  H o f t h e a t e r  von   H a s e n a u e r  soll nach dem neuesten Standpunkte im Theaterbau gebaut sein. Fatal wäre es ferner, wenn, wie es den Anschein gewinnt, der Theaterbau zum Monopol würde. Auch ist zu bemerken, dass die meisten unserer modernen Theater, Kirchen, Konzertsäle etc. eine miserable Akustik haben, wie sie noch nie so schlecht war. Das Studium der Werke  C h l a d n i 's und Anderer wäre Manchem sehr zu empfehlen. Welche angenehme Akustik hatte zum Beispiel einst das alte Konservatorium (Musikvereinsgebäude) in Wien! Ade!

*) Das Wiener Stadt-Theater (jetzt Etablissement  R o n a c h e r ), sowie das Konservatorium in Wien galten als ganz feuersicher; inzwischen wurden wir eines Bessern belehrt; zudem sind die Korridore des Konservatoriums sehr eng.

Auch die Feuergefährlichkeit vieler Privathäuser ist ein Ergebniss lokaler oder zeitgemässer Verdrehtheiten mehr ökonomischer Natur, wofür eigentlich an und für sich die Baumeister und Architekten freilich nichts können; eine der unglückseligsten Verquickungen, die es geben kann, ist jene von Waarenhaus (Kaufhaus), Magazin, Depôt, Fabrik, Laboratorium etc. mit dem Wohn-, Mieth- und Zinshaus! Ja sogar (noch schöner!) m i t d e m  P a l a i s ! !
Das Waarenhaus ist sui generis und das Zinshaus auch; aber sie zu verschmelzen, Souterrain, Parterre, Mezzanin, I. und II. Etage mit Waaren aller Art vollzustopfen, und dann im 3., 4. und 5. Stockwerke Miether hineinzusetzen, die alle bei einem Brande von unten her elend umkommen müssen, das zu erfinden, blieb unserer arroganten Zeit vorbehalten; daran sind Mode, Schema, Schlendrian, Unbedachtsamkeit, Bornirtheit, die Geldsucht mancher Bauherren, die Baugesetze mit ihren Mängeln und zum Theile auch die Baukünstler schuld, deren Sache es wohl auch gewesen wäre, auf einen solchen Nonsens aufmerksam zu machen *).

*) Hiezu tritt noch die Wiener Spezialkalamität der  » L i c h t h ö f e « ,  die besser »Betrübnissschachte« heissen sollten; sie sind finster, eng, zugvoll, stinkend und leiten unten ausgebrochenes Feuer wie mit dämonischer Lust nach aufwärts, wodurch das ganze Gebäude (vide par exemple Brand im Nibelungenhofe in Wien vor einigen Jahren etc.) gefährdet ist.

Eine weitere halb technische, halb auch künstlerische Sonderbarkeit ist die neue Mode des krassesten Schablonenthums im Grundrisse (ganz nach General Laudon's Rezept!); sie findet sich besonders in Wien und einigen deutschen Städten und wird da mit einer Vorliebe gepflegt, die einer besseren Sache würdig wäre.
Die Eintheilung der Grundrisse findet nach folgendem Schema statt: 1. Grösstmögliche Ausnützung des Raumes ohne Rücksicht auf Bequemlichkeit, Luft und Licht, besonders in Folge theurer Grundpreise;
2. Fixirung der Zahl der Haupträume nach gewissen Zahlen;  3. Fixirung der Zahl der Nebenräume, quasi als Resten oder nach Massgabe des Gesammtausmasses. Bei dieser Gelegenheit werden meist kleinere Nutzräume übersehen, zum Beispiel Aborte, Feuerungsanlagen etc. Nachdem nun die Zahl der nöthigsten Nutz- und Haupträume fixirt ist, geht man an die Herstellung eines äusserst schablonären Schemas; für Monumentalbauten sind die Säle, grossen Treppen, Salons etc. massgebend, die Nebenräume werden dann nicht selten ganz unzulänglich; beim Zinshaus aber ist  d a s  h ö c h s t e  E r t r ä g n i s s  m a s s g e b e n d ! Einst war das alles anders.
Was dies für Konsequenzen hat, zeigte sich unter Anderem auch beim Bau der neuen Wiener Universität und Bibliothek; die Professoren, Kustoden und Bibliotheksbeamten wurden nicht zu Rathe gezogen; jetzt ist aber die Unzufriedenheit der Letzteren komplet; auch die Dampfzentralheizung funktionirt derartig, dass der Beamtenkörper eine Eingabe beim Minister in Aussicht nimmt! Und so happerts überall, wo man nur hinschaut; es ist unmöglich, in dem knappen Rahmen eines Journalartikels (es ist dieser schon, wie ich fürchte, zu lang!) alle die diversen kleinen und grossen Fragen des Bauwesens zu erörtern, und so sind viele wunde Punkte desselben hier gar nicht berührt; wie schon angedeutet, und zum Troste der Architekten und Baumeister sei es gesagt, kommt ein grosser Theil der betreffenden Gebrechen nicht auf deren Konto, sondern auf jenen der Baubehörden, in Wien in mancher Beziehung auch (resp. der Herstellung malerischer Avenuen und Prospekte, die ganz ignorirt wurden!*) auf die Stadterweiterungsverwaltung; andere schwarze Punkte kommen auf Rechnung des vertheuerten und räumlich verringerten Baugrundes, auf die Geldsucht und Schundigkeit mancher Bauherren. Zu den oben angeführten Uebelständen wären zum Beispiel nachfolgende zu rechnen: Enge knappe Vorräume, zu hohe grosse Haupträume, die gar nicht zu erheizen sind, oder Wohnungslücken, in welchen man kaum ein paar Möbel stellen kann.

*) Durch eine richtige Axenwahl der Strassenzüge und Anlage passender Plätze wäre dem oft leicht zu begegnen gewesen; keine Autorität ist darüber befragt worden!

Den Kulminationspunkt der Beengtheit der Wohnräume hat Paris aufzuweisen; ferner ist auch zu rügen der Schwindel mit den vielfältigen Mezzaninen, als: Mezza-Souterrain (hier läuft nicht selten der Hauskanal durch; in einem derartigen Raum, mit der Kanalöffnung, allerdings mit Sandsteinplatte geschlossen, ist in einem neuen Hause in Wien, nahe dem Hochstrahlbrunnen, die Hausmeisterwohnung untergebracht!!!), darüber das Hochparterre, dann oft das Parterre-Mezzanin oder andernfalls das Belle-étage-Mezzanin; dann kommt erst die eigentliche Belle·étage, I., II., III. Stock u. s. w., so dass oft ein Haus mit angeblichen zwei bis drei Stockwerken in Wirklichkeit deren eigentlich fünf bis sechs hat; diesen Fall sehen wir in Wien, London, Paris sehr häufig; in New-York gab er, der bauliche Unsinn, sogar 12 Stockwerke!
Wenn sich nun auch ein Architekt als ehrlicher Künstler weigern wollte, an ihn gestellte unkünstlerische, antihygienische oder sonstige geschwollene Aufgaben zu übernehmen, so fände sich doch bald irgend ein Charlatan, deren es auch in der Kunstwelt nach Noten gibt, welcher sich mit Freude bereit erklären würde, selbst das offenbar Unmögliche zu übernehmen und - zu vollbringen. (Aber fragt nur nicht wie?!) Er stellt dann allerdings ein Gebäude her, mit überladener prunkender Barockfaçade, innen aber voll technischen Schwindels und Schwulstes.
Leider durchkreuzen sich auch bei uns die verschiedensten Baubedingnisse ausserordentlich, denn einerseits sind die Steuern enorm, das Haus soll aber doch ein gutes Erträgniss abwerfen, soll (wenigstens scheinbar) solid gebaut sein, modern, elegant; dazu kommen dann theures Baumaterial, hohe Arbeitslöhne; es sollen Gebäude errichtet werden auf ganz unzulänglichen, ungewöhnlich formirten, irregulären Baugründen, so dass selbst oft ein Baugenie nur etwas Ungenügendes herzustellen vermöchte.
In Amerika entfallen fast alle behördlichen Beschränkungen und doch ist die Eintheilung der Häuser meistens weder praktisch, noch gemüthlich, sondern unbequem, ja auch häufig bei grosser Unsolidität sehr theuer. Wenn daher zum Bauschlendrian und Bauschwindel noch ein sehr ungünstiges Baumaterial dazutritt, so darf eine Brandkatastrophe à la Chicago nicht Wunder nehmen. Würde einmal auch bei uns dem Spekulantenthum und Häuserfabrikanten mehr das Feld überlassen, so könnte leicht auch bei uns einmal eine Katastrophe kommen; sie haben uns ohnedies schon genügend mit Schund-Dutzendwaare beglückt, welche weder einem grossen Brande noch einem grösseren Erdbeben Stand halten würden; auch auf der Ringstrassse,  u n t e r  d e n  P r i v a t b a u t e n ,  fehlt es nicht daran. Ja so manches Palais, welches 1873 noch als Beweis des volkswirthschaftlichen Aufschwunges galt, ist nichts als eitel Gschnas!


VIII. Schlussbetrachtungen. Resumé.

Die Beweise (nach mathematischem oder philosophischem, resp. juridischem Sinn) für meine vorliegenden Ausführungen zu erbringen, wie es wohl ursprünglich meine Absicht gewesen, ist schwerer als man denkt; doch fehlt es keineswegs daran und der Leser findet sie in anderen Kunstfächern schon sachlich viel leichter, da sie schon dadurch eher ermöglicht werden, weil zum Beispiel die Maler, Musiker, Bildhauer und Mimen, keine solchen sensiblen Nerven haben, als wir Architekten, worin wir nur von den Gartenkünstlern noch übertroffen werden; letztere beiden Kunstbranchen vertragen in der Regel keinen starken Tadel, dem gegenüber die meisten anderen Künstler mehrweniger abgestumpft erscheinen. So musste sich denn diese Abhandlung nolens volens, sollte sie nicht persönlich werden (Beispiele waren ohnedies nicht zu umgehen) oder bei der Unmasse der betreffenden Detailfragen und Momente sich gar zu weit über die mir hier gezogenen Grenzen verbreiten, sich mehr im Allgemeinen oder assertorisch bewegen, als demonstrirend; es musste mehr eine Diskussion sein, als  e i n e  Deduktion; man kann aber die Konklusion ziehen, dass, wenn eine sehr grosse Zahl, ja hin und wieder und relativ vielleicht sogar die Mehrzahl der gesammten Bauten in den angegebenen Ländern sich mit den Fundamentalgesetzen der Aesthetik nicht deckt (wofür ich auch schon in früheren Aufsätzen in dieser Zeitschrift Belege erbrachte, zum Beispiel Mangel an malerischer Gruppirung bei grossen Gebäuden, Mangel an richtiger Symbolik*) und richtiger Markirung des Innenraumes nach aussen (besonders bei Kirchen, Theatern etc.), Mangel an schönen Verhältnissen (in der Neuzeit besonders häufig!), Mangel an Verständniss in der Wahl der Motive, des Styls oder gar, wie es auch vorkommt (nicht zu selten!), Mangel an Geschmack überhaupt, Mangel an Phantasie, wie sich selber leider sehr häufig dokumentirt (besonders bei grösseren Bauten); die Baukunst jedenfalls nicht die höchste Stufe erreicht hat; wir stehen somit, da Ausnahmen, wenn es auch sehr viele sind, nicht zählen, nicht auf der Höhe der Situation; wir befinden uns eben in einem sehr vagen Gährungsprozesse, von dem man noch nicht recht weiss, ob er »Wein« oder »Essig« wird.

*) In den nachbenannten Kirchen ist die Symbolik richtig ausgedrückt: Theatinerkirche in München, Altlerchenfelderkirche von
J.  G.  M ü l l e r  in Wien, Kathedrale in Cadix (Spanien), Paulskirche in London; aus unserer Epoche, also neueren Ursprunges, ist mir keine Kirche bekannt, wo die hier allein richtig ausgedrückte Symbolik befolgt worden wäre; alles hängt an hergebrachten Formen und glaubt, das liegende Kreuz des Grundrisses genüge vollständig.

Wenn sogar die Mehrzahl der Bauten erster Architekten und Baumeister (eventuell auch der Sterne zweiter Grösse) den Anforderungen höchster Kunst und Technik mehrweniger entspricht, so ist dies sehr schön und sehr löblich, auch eigentlich nicht anders zu erwarten, aber meines Erachtens nicht massgebend genug, wenn von der Baukunst im  A l l g e m e i n e n  (!) die Rede ist, die ja als ein Ausdruck des Volks- und Zeitgeistes, der Kultur- und Bildungsstufe, des Fortschrittsgrades in Kunst und Wissenschaft der Völker betrachtet wird; weil nun aber die Mehrzahl der Profanbauten besonders, namentlich von Baukünstlern dritter und vierter Grösse (worunter ich die schwächeren Talente, Anfänger etc. begreife) den Anforderungen an eine allgemeine   H o c h b l ü t e  der Baukunst, wie wir sie zum Beispiel in der Renaissance oder im klassischen Alterthume antreffen, gar nicht oder nur relativ entspricht, d. h. auf manchen Spezialgebieten, in einigen Ländern oder seitens verhältnissmässig weniger Baukünstler, so ist die Verallgemeinerung des Triumphes und Lobes über den erklommenen Gipfel unserer baulichen modernen Leistungen mindestens - übertrieben! Besonders die ( P r i v a t -) Profanbauten zeigen durchschnittlich nach Styl und nach dem, was man eigentlich Bauwesen nennt, seltener einen Aufschwung, sondern eher häufig einen Rückschritt, der aber wenig oder gar nicht immer in der Schuld der Architekten und Baumeister, sondern vielfach auch in den sehr vagen, elenden Zeitverhältnissen liegt. Aber das thut nichts zur Sache! Die Faktas sind einmal da! Es soll Alles eine gewisse gleissnerische Eleganz aufweisen, aber nichts kosten (vide London, New-York, Paris, Wien etc.). Es wurden nun allerlei Systeme erfunden, die nur dazu angethan scheinen, um in aller Herren Länder den  B a u s c h w i n d e l  gewinnsüchtiger  B a u u n t e r n e h m e r ,  P f u s c h e r ,  S p e k u l a n t e n  und   D i l e t t a n t e n  das Heft in die Hand zu geben, worüber wir zum Beispiel in den deutschen Bauzeitungen besonders endlose Klagen von allen Seiten seit Jahren lesen; der Ausdruck dieser traurigen Verhältnisse zeigt sich in den modernen Zinskasernen (die besonders in Provinzstädten oft recht  f a b r i k s m ä s s i g  hergestellt werden) mit lauter schmalen Fenstern ohne Mauer, mit schalluntüchtigen, feuergefährlichen Decken; in unmöglichen, auch das Auge beleidigenden vagen Konstruktionen (zum Beispiel mächtige Façadenmauern auf stricknadeldünne Säulchen gestellt etc.) in der Zusammenstopplung unmöglicher Arrangements (zum Beispiel Kombination von Waarenhaus und Zinshaus oder das »famose Familienhaus« für zwei Familien, die dann wie Hund und Katze leben, eine moderne Erfindung) beengte theure Wohnräume, ohne Komfort, Luft und Licht etc.
Es gibt auch alte Sünden, welche wir von früher her überkommen haben und gemüthlich weiter nachüben; es ist die  U n w a h r h e i t  u n d  »G' s c h n a s h a f t i g k e i t«  unseres Profan- und Privat-Bauwesens, besonders in Bezug auf das Material! Wir machen mächtige Rustika aus - Strassenkoth und Gyps! Sieht sehr stramm aus, wer's nicht weiss, hält's für echt; wir überkleben ganz unverfroren eine Mauer, zu welcher der spekulative Herr Baumeister alte Ziegel von einem alten Unrathskanal oder einem demolirten Siechenhaus insgeheim verwendete, mit dünnwinzigen Täfelchen aus Marmor (!), bringen hie und da Bildhauerarbeit und Terrakottaschmuck oder Majolika's  (! K o n t r a s t  m u s s  s i n d ,  sagt der Berliner!) an und nennen das Ganze ein Palais! Der Teufel lacht sich in die Faust dabei.
Kann dies die Kritik loben?! Nur der Zeit- und Lokalchauvinismus bricht darüber in ein Freudengeschrei aus; meine pessimistische Auffassung erscheint aber dem gegenüber vielleicht nicht mehr so ungerechtfertigt . . . . .  Man muss den »Bauschutt« zu entfernen suchen, denn er enthält gefährliche Bakterien.
Ein Hauptaugenmerk, welches jeder Baukünstler zu beachten hat, ist, dass er nachstehenden drei (eigentlich sehr bekannten) Grundpfeilern der Baukunst gerecht zu werden sich bemüht, nämlich:

1. Das oberste Gesetz aller Kunst ist die Schönheit und Idealität.
2. Für die Baukunst speziell eine richtige Symbolik im Ganzen und der richtige formale Ausdruck im Detail.
3. Endlich eine vollendete, der jeweilig neuesten Wissenschaft entsprechende Technik in der Ausführung.

Hand in Hand mit dem vollständigsten Entsprechen der Zweckmässigkeit.
Dies muss man zu vereinigen streben; dies bestimmt allerdings oft den Grundriss; dieser soll aber kein Zwangsschema sein, das die Phantasie knechtet, wie dies nur zu häufig geschieht; so manche Architekten haben bei der Verfassung des Bauprojektes gar keine blasse Ahnung davon, wie das Gebäude einst aussieht, wenn es fertig ist; das Erste ist ihnen der Grundriss; nachdem die Hauptpartieen desselben zusammengestoppelt, wird der Pegasus gesattelt, bestiegen und angespornt, um schnell in das Land der - Phantasie zu reiten; aber die Phantasie erfindet leider so oft nur eine schlechte Maske für das Gebäudeskelet, welche passt wie ein - gestohlener Rock! Wie es Komponisten gibt, die nur am Instrumente komponiren können, so gibt es auch viele »Quasi-Baukünstler«, die einer einheitlichen Konzeption nicht fähig sind; sie entwerfen Grundrisse ohne Idee der äusseren Gebäudeform, oder sie komponiren schöne Façaden ohne Idee der inneren Eintheilung; Eines so verwerflich als das Andere; der echte Künstler schafft in einheitlicher Konzeption aus  e i n e m  Gusse. Indem wir aber nunmehr die Wahrheit gesagt, das Vorhandensein  v i e l e s  G u t e n  nicht geleugnet, aber die zahlreichen Schäden und Fehler möglichst aufgedeckt haben, glauben wir unsere Pflicht als unparteiischer Kritiker so gut gethan zu haben, als es uns beim besten Willen möglich war; hilft's nicht, dann: Va banque! Dem Kritiker kann es ja am Ende alles eins sein, ob die Epigonen sich über den hie und da vorkommenden Kunststiefel einst noch krank lachen. Die Weihrauchwolken gewisser Skribenten und schwacher oder falscher Freunde werden die Sonne nicht bleibend  v e r d u n k e l n !