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Autor: Van der Nüll, Eduard
In: Österreichische Blätter für Literatur und Kunst - 2 (1845) 52. - S. 401 - 404 u. S. 411 - 414
 
Andeutungen über die kunstgemäße Beziehung des Ornamentes zur rohen Form
 
Von Prof. Eduard van der Nüll in Wien

Le beau est infini; c'est l'echelle de
Jacob qui se perd dans les nuées
célestes.

George Sand

les sept Cordes de la lyre.


Indem ich diese Blätter der Öffentlichkeit übergebe, sei es mir erlaubt, über die gewählte Form und die Beweggründe, welche mich dazu veranlaßten, einige Worte voraus zuschicken. Ich hatte das Glück im vertrautesten Umgange mit einem Freunde und Kunstgenossen das Land der Poesie, Italien, zu durchziehen;  die höhere Ausbildung meiner allgemeinen Begriffe über die Kunst wurde befördert und geläutert durch Mittheilung; das Resultat des wechselseitigen Austausches prägte sich unauslöschlich in unsere Seelen, doch die Erinnerung, durch welche Mittel diese Ideen zu einem klaren Ganzen sich vereinigten, ging verloren. Eine heitere Gesellschaft kräftig begabter dentscher Künstler zu Rom, in der Alle mit gleicher Freundschaft, Freimüthigkeit und Unumwundenheit gegenseitig zu Felde zogen, war der zweite Kampfplatz, anf dem unsere Ansichten erprobt wurden; da ich nun mlt manchem meiner Frenude, die in weiter Ferne zerstreut sind, in geistige Berührung trete, lege ich vor allen mit froher Erinnerung an jene schöne Zeit das Bekennutniß ab: den größten und besseren Theil der hier ausgesprochenen Ideen ihrem Umgange zu verdanken; es ist daher die Form des Ausdruckes so gewählt, als ginge die Tendenz dieser Blätter von Mehren aus, so wie denn auch wirklich unser künstlerisches Glanbensbekenntniß durch gemeinschaftlichen Austausch zur größeren Klarheit gediehen ist. Ich habe den Muth mich offen ohne Rückhalt zu änßern, weil ich ähnliche Überzeugung bei meinen Freunden voranssetzen darf; nicht Furcht vor Tadel veranlaßt mich, meine Persönlichkeit in den Hintergrund zu stellen, diesem entgeht der Gefeierte so wenig wie der Unbedeutende, sondern der Glaube, daß es angemessener sei, nur als Organ von Gesinnungen zu erscheinen, die, wie gesagt, nicht mir allein gehören; zugleich verliert dieser schriftliche Versuch dadurch den Charakter der Arroganz, als fühle der Einzelne sich berufen, abzuhelfen dem Gewühle der Baustyle aller Zeiten , in welchem die dürftige Gegenwart sich abmühet. Billig die neuesten Bestrebungen großer Männer anerkennend, ohne deren Leistungen die jüngere Generation noch im Dunkel des Zweifels befangen wäre, müssen wir uns doch aufrichtig gestehen, noch weit von dem Ziele entfernt zu sein, einen rationellen selbstständigen Ausdruck für die moderne Architektur gefunden zu haben: Wenn wir die Selbstsucht in der Ausübung der Kunst verbannen könnten, wenn jeder das Schöne aufrichtig anerkennen wollte, welches in den Werken Anderer niedergelegt ist, wenn eine innige Verbindung der Künstler möglich wäre, so müßte eine Vereinigung solcher Kräfte trotz dem engherzigen Geiste der Zeit manch' große erhabene Erinnerung unseres Wirkens zurücklassen. Die Absicht, einen wechselseitigen Austausch der Gedanken zu beginnen, entfernte Freunde zu begrüßen, vielleicht neue zu erwerben, hat diesen Aufsatz ins Leben gerufen. Die veranlassende Ursache aller Dekoration ist begründet in dem Bedürniß des Menschen, der Form eine Bedeutung zu geben, und zugleich den Schönheitssinn zu befriedigen. Diese Behauptung durch Auseinandersetzung der geistigen Eigenschaften der Seele logisch zu unterstützen, liegt außer dem Bereiche dieses Aufsatzes, wir nehmen das Faktum als wahr und unbestreitbar an, uns nur vorübergehend berufend auf die Geschichte aller Völker, welche uns lehret, daß der Mensch im Naturzustande schon den Gang fühlet, die Roheit der Formen zu bewältigen, und mit dem Fortschritte der Kultur dieses Gefühl immer mehr und mehr ausbildet. Man sollte glauben, je näher wir der allgemeinen Ausbildung unserer geistigen Fähigkeiten rücken, desto bedeutender müßte die Form im Ausdrucke werden! Doch leider überzeugen wir uns vom Gegentheile. Nationen, welche in andern Beziehungen fern von europäischer Zivilisation geblieben, haben den logischen Sinn, im Vereine mit dem Schönheitsgefühle, viel bezeichnender bewahret, dagegen unsere Vielwisserei uns endlich dahin gebracht hat , jedem volksthümlichem Ausdrucke der Form entsagen zu müssen. Dem Übel zu steuern, eine vollkommene Regeneration der überbildeten Völker vorzunehmen, bleibt für jetzt noch der schönste Wunsch eines poetischen Gemüthes, doch der Künstler, welcher die Mängel seiner Zeit erkennt, und noch Kraft erübriget, dem Strome des Eigennutzes entgegen zu schwimmen, dem sei es heilige Pflicht, durch seine Werke das Streben auszudrücken, fühlende Menschen für die hohe edle Bedeutung der Kunst zu begeistern, und die Überzeugung zu wecken, daß neben den materiellen Interessen , deren   e i n z i g e  Beachtung uns herabwürdiget, auch die geistige Ausbildung der Pflege bedürfe. Uns mit einmal gewaltsam von dem Herkömmlichen loszureißen, wäre vergebene Mühe, Einzelne können jedensalls nur Steine zum Baue tragen; das Alte, Vortreffliche durchdringend, als nützende Lehre jede direkte Nachahmung vermeidend, werden wir vereint dem Bessern zuschreiten; denn sowie der Maier nicht durch knechtische Nachbildung der Natur oder alter Meister, sondern durch erneutes Erschaffen nach vorhergegangenen Eindrücken das höchste Ziel erreicht, so glauben wir, daß die Kunst, welche lehrt, die vom Menschen erdachte Form zu veredeln, die ihrer hohen Bedeutung wegen von den Griechen   A r ch i t e k t o n i k  genannt wurde; und deren ganzes Wesen mit dem  O r n a m e n t e  innig verflochten ist, auf demselben Wege zur möglichen Vollkommenheit gelangen sollte. Daß es jederzeit und aller Orten Künstler gegeben hat, welche dieser Ansicht gefolgt, glauben wir mit Bestimmtheit behaupten zu dürfen, sie wurden aber von der Masse des Unsinns, der auf sie losstürmte, erdrückt. In neuester Zeit hat uns ein Stern erster Größe vorgeleuchtet, ein Mann, dessen hohe Geistesgaben, dessen geniale Werke die Bahn zum Besseren gebrochen, der auch in uns das Streben nach Selbstverläugnung entzündete, und dem wir mit freudigem .Dankgefühle die schuldige Anerkennung zollen; wir nennen mit innigster Verehrung den zu früh geschiedenen Meister  "  S ch i n k e l . " Wir sind fest überzeugt, daß begabte Menschen, welche Gemüth, Verstand und Liebe zur Kunst in sich vereinigen, ohne selbe auszuüben, doch fördernd auf den Zeitgeschmack wirken können, wenn selbe die logische Seite der Kunst beleuchten. -- So wie Musik und Poesie, durch den Geist des fähigen Menschen geregelt, die Macht verleihen, ein vollständig in sich abgeschlossenes Werk zu schaffen, so ist auch die bildende Kunst, dem Schöpfer sei Dank, nicht der Willkür Einzelner unterworfen, sondern sie gehorcht ewigen unabänderlichen Gesetzen, deren Modifizirung durch das individuelle Gefühl die unendliche Mannigfaltigkeit im Ausdrucke der Form hervorbringt. Diese Gesetze Allen zugänglich zu machen, ihnen das Wesen, die Aufgabe der Kunst, näher zu rücken, ist bis zu einer gewissen Grenze möglich, über die hinaus die Ausübung an die Stelle der Forschung tritt. Wohl Mancher, dem die Beziehungen der Kunst zum Leben weniger beachtenswerth scheinen, wird das Bedürfniß des Menschen läugnen, die Schönheit auf alle Gegenstände, die sein Geist erschaffet, zu übertragen;; für solche werden auch diese Zeilen größtentheils unverständlich bleiben. Wir haben die Absicht, dem gebildeten, dem fühlenden Menschen manche Vorstellung zu erleichtern, die innige Verbrüderung des Verstandes mit dem Gemüthe als Bedingung jedes vollendeten Kunstwerkes festzustellen, die Nebel auseinander zu theilen, welche sich insbesondere bezüglich der Architektur als förmliche Wolken vor dem menschlichen Geiste aufthürmten, Autoritäten, architektonische Universal=Rezepte zu bekämpfen, und die selbstständige Auffassung und Wiedergeburt als das einzige waltende Prinzip anzuerkennen. Ohne deshalb unsere Ansichten von Mängeln frei zu glauben, von Kunstverwandten gerne Berichtigung annehmend, sprechen wir das einzige Verdienst an: die persönliche Anschauung, welche durch fortschreitende Bildung sich jedem Künstlergemüthe von selbst aufdringet, in Worte zu fassen, "uns so zu geben, wie wir sind, offen, ohne Rückhalt." Ein für allemal bitten wir, mit Nachsicht der ungeübten Feder zu folgen; wir hoffen dies besonders von Schriftstellern, welche sich mit der bildenden Kunst näher befreunden, sie mögen bedenken, daß die Lebensaufgabe des Künstlers, im Vereine mit der geistigen Ausbildung zugleich eine praktische ist, und wenn derselbe seine Ansicht ohne Schmuck, nur verständlich vorträgt, er den Forderungen Einsichtsvoller genügen wird; diese Zeilen könnten ihnen dann eben so viel gelten, als die trauliche Mittheilung eines Gleichgesinnten, und wie gerne sind wir im gewöhnlichen Leben bereit, die Unvollkommenheiten des mündlichen Ausdruckes zu vergessen. Das menschliche Gemüth dürstet nach dem Schönen; nicht alle Menschen sind aber gleich begabt, es zu erkennen, die einfache Nachahmung der Natur fordert schon eine genaue Erkenntniß derselben; soll aber ein Kunstwerk in sich selbst vollendet erscheinen, so muß der begabte Künstler die Belehrung, die er sich aus den Schöpfungen der Natur für seinen schaffenden Geist abstrahirt, in sich verarbeiten, nur das Charakteristische und Schöne der Formen behalten, und diese Gestaltung seiner Einbildungskraft reproduziren, d. h. dasjenige, was er als schön erkennt, in einem vollkommenen Ganzen neu hervorbringen. Da jeder Einzelne mit einem eigenthümlichen Anschauungs-Vermögen ausgerüstet ist, so folgt Originalität eines jeden Kunstwerkes daraus von selbst; denken wir uns z. B. eine Gesellschaft der treuesten Nachahmer, und geben jedem dasselbe Motiv der Natur nachzubilden, so wird die individuelle Auffassung ihren Werken einen originellen Reiz verleihen. Um wie viel mehr müßte dies bei der Erfindung der Fall sein, wo das Hinzutreten noch mehrer anderer geistiger Eigenschaften den eigenthümlichen Ideengang eines Jeden noch bestimmter bezeichnen würde. Wir haben oft von Laien, die sich mit dem Wesen der Kunst vertrauter machen wollten, die Frage stellen hören: " O b  d e n n  n i c h t  d i e  t r e u e s t e  g e w i s s e n h a f t e s t e  N a c h a h m u n g  d e r  N a t u r  d a s  h ö c h s t e  Z i e l  e i n e s  j e d e n  K ü n s t l e r s   se i n  s o l l t e ? "  Wir können mit Rücksicht auf den vorgesteckten Zweck diese Frage nur nach einer Seite hin beantworten , hoffen aber auch in diesem beschränkteren Kreise etwas zur Aufklärung der allgemeinen Begriffe beizutragen. Es wäre also in dem Bereiche der  D e k o r a t i o n, in dem wir uns in diesen Blättern bewegen, die sorgfältigste Nachahmung irgend eines passend scheinenden Elementes der Natur das  H ö ch s t e , welches wir bei der Übertragung in die starre Form erreichen könnten! Diese irrige Ansicht zu widerlegen, sei unsere erste Sorge; um faßlich zu bleiben, können wir uns einfacher Beispiele nicht erwehren. Vor Allem erkennen wir jenen Künstler als den trefflichsten, dessen Erfindungdkraft sich gleichsam unmittelbar mit der Materie verbindet, die ihm zur Versinnlichung seiner Gedanken geboten wird. Es ist nicht einerlei, ob irgend ein ornamentales Gebilde in Holz, Stein, Eisen, aus gewobenen Stoffen zc.JPG (772 Byte) vorkömmt, die Materie wird dem Ornamente an und für sich einen bestimmten Charakter verleihen; wird dies zugegeben, so ist dieses allgemeine Schema noch einer spezielleren Erweiterung fähig. Nehmen wir zur Erläuterung des Gesagten den Stoff, so wird dieser nach Maßgabe seiner Bestimmung wieder in einzelne Kategorien zerfallen, als: Damast, Linnenzeug, Sammt, Shawlgewebe zc.JPG (772 Byte). Wir können also nicht läugnen, daß ein gewisses logisches Ordnen sich mit dem Gefühle beim Entwurfe des Ornamentes innig verbinden muß. Um dies durch ein Beispiel zu versinnlichen, erinnern wir an die durch Farbendruck erzeugten Dessins im Verhältniß zu jenen , welche auf dem Weberstuhle hervorgebracht werden. Setzen wir beide Muster auf eine gleich hohe Stufe der Erfindung, geben wir zu, daß man im Drucke viel naturgetreuer bleiben könne, weil sich dieses Verfahren der Malerei nähert, so wird doch der gewobene Dessin den Sieg erringen , und eine reale Befriedigung in dem Beschauer erregen, denn es widerspricht unserem Gefühle bei dem ersten Verfahren die Verbinbung des Musters mit der Materie (den sich kreuzenden Fäden) nicht wahrzunehmen ; wogegen wir aber im höchsten Grade befriedigt sind, wenn der Charakter irgend eines Elementes der Natur in das Muster übertragen, in symmetrischer Folge vertheilet ist , und dazu noch das künstliche Ineinandergreifen der Fäden, welche all' dies hervorbringen, sichtbar wird. Hat der Künstler diese Vereinigung der logischen Anordnung mit der schönen passenden Form glücklich zu Stande gebracht, so wird die Wirkung höchst befriedigend sein. Wir geben noch ein zweites Beispiel höherer künstlerischer Bedeutung, doch auf demselben Prinzipe beruhend. Jeder, dem das Glück zu Theil geworden, Italien zu durchziehen und sich zu laben an jenen Kunstbestrebungen vergangener Größe, wird die Mosaikverkleidungen in den Wunderschöpfungen des menschlichen Geistes, S. Marco, Capella palatina, S. Maria di Monreale etc. lebhaft im Gedächtnisse bewahret haben. Diese Verkleidung bedeutet in der architektonischen Sprache nichts anderes, als eineVeredlung des Materiales der innern Wandfäche, um zugleich durch die erzeugte Zeichnung imVereine mit der Farbe auf das Gemüth des Beschauers zu wirken. Hier wird es am Orte sein, unsere Ansicht über die  k u n s t g e m ä ß e  D e k o r a t i o n  e i n e r  M a u e r f l ä c h e  im Allgemeinen festzustellen. Jede Verzierung der Fläche einer Wand soll innig mit dieser verbunden erscheinen, dieseVerbindung kann nur dreierlei Natur sein. Entweder sie erscheint in derselben Fläche als Malerei, oder selbe wird in die Tiefe eingelegt (als Mosaik oder Paste) oder sie tritt aus der Fläche heraus als Relief. Diese drei Fälle sinnig vereint, werden jedesmal den vollkommensten Eindruck hervorbringen. Aus dem Gesagten folgt, daß alle Malerei auf der Wandfläche, welche Relief ausdrücket, nur dann begründet erscheint, wenn selbe ein abgeschlossenes Ganzes bildet, gleichsam eingesetzt in die Wand erscheint, und die Farbe zugleich so beschaffen ist, daß sie sich dauerhaft mit der Materie (den Stoffen, aus denen die Mauer gebildet wurde) verbinde. Ein malerisch-angeordnetes Freskogemälde wird dieser Bedingung immer entsprechen, da die perspektivischeTäuschung in die Tiefe wirket, und die ornamentale Umgebung, welche selbes begrenzend abschließet, nur als Mosaik, Paste, oder wirkliches Relief erscheinen sollte. Wird die  M a l e r e i  a l s  E r s a t z m i t t e l  einer solchen Umgebung gewählet, so ist selbe nur dann zu entschuldigen, wenn selbe mit täuschender Wahrheit darstellt und durch die ökonomischen Rücksichten gefordert wird. Jedenfalls müßten aber jene Theile der Wandfläche, welche sich mit der Decke, dem Gewölbe u. dgl. verbinden sollen, als wirkliches Relief behandelt werden. Man kann Mosaik, eingelegte Arbeit, schwaches Relief, gewobenen Stoff zc.JPG (772 Byte) durch Malerei täuschend und auf angenehme Weise ersetzen, doch konstruktive Theile können nie ohne den grellsten Widerspruch in dem Organismus des Ganzen, nur zum Schein dargestellt werden. Wir haben das logische Erforderniß einer Wandverzierung festgestellt, wie nun dies dem Zwecke des Raumes künstlerisch angepaßt werde, überlassen wir dem individuellen Gefühle des Architekten. Welch' herrlicher Eindruck ist in den obengenannten Kirchen erreicht, weil Alles sich auf dasselbe organische Prinzip stützet. Auf matten Goldgrund zeichnen sich farbige Figuren aus der biblischen Geschichte, deren Einfalt und Größe durch die geringere Korrektheit in den Umrissen nicht beeinträchtigt wird; schon die Art der Erzeugung dieser Fläche durch Mosaik läßt keine scharfe Linie zu, und es ist nicht ungegründet, daß die farbigen Figuren, als ornamentale Symbole des architektonischen Ganzen mehr der Wandfläche angehörend, aus dieser nicht hervortreten. Die tektonische Verbinbung der einzelnen Theile ist mit symmetrischem Sinn durch farbige Muster, welche den Linien der Wölbung folgen, erreicht. Die ästhetische Befriedigung, welche diese Dekoration in dem Beschauer erregt, ist unserer Ansicht nach in Folgendem begründet:

1. weil das Mosaik die innige Verbindung mit der Wandfläche und zugleich die Idee großer Dauer in uns erwecket;
2. weil je größer die Fläche, desto mehr das Verlangen in uns rege wird, ein Gefüge der Zusammensetzung zu entdecken;
3. weil die angebrachte Zeichnung durch diese Darstellungsweise  s i c h t b a r   der Fläche angehöret.

Wir erinnern hier vorübergehend an einige der ältesten und besten ornamentalen Wandmalereien Pompeji's, da nach unserer Überzeugung die schwebenden Figuren auf farbigem Grund schon einer spätern, nicht mehr so reinen Periode der alten Kunst angehören; doch auch diese sind gleichsam nur hingehaucht und manche (wie die tanzenden Frauen  u. m. a.  im königl. Museum zu Neapel) zeichnen sich nur als Silhouetten in lebhaft anziehender Bewegung. Göthe bemerkt in seinen Propyläen, daß er glaube, die ausgeführteren Gemälde Pompeji's seien für sich eingesetzt, da selbe eine tüchtigere Hand verrathen, als die umgebende ornamentale Malerei; wir pflichten dieser Ansicht bei, auch wünschten wir von den Malern nicht mißverstanden zu werden! wir kennen keinen passendern Schmuck für die Wand als sinnige Gemälde, welche die Bestimmung eines Raumes näher bezeichnen und durch dekorative Anordnung mit den übrigen sich anschließenden konstruktiven Theilen verbinden; jedes gut angeordnete Gemälde wirkt perspektivisch in die Tiefe, und die Wand ist die Bildfläche, welche dem Maler zu Gebote stehet, es muß daher irgendwo eine Begrenzung Statt finden, weil die Wirkung eines guten Bildes nur für einen gewissen Standpunkt, eine bestimmte Entfernung und Größe berechnet sein kann. Jede andere bildliche  u n b e g r e n z t e  Darstellung kann logisch richtig nur als Silhouette angebracht werden! Was soll z. B. eine erhaben in der Fläche schwebend gemalte Figur sinnig bedeuten? sie gehört scheinbar nicht mehr der Fläche an, und wir überzeugen uns doch jeden Augenblick, daß sie in derselben liegt. Zwei widersprechende Forderungen in der Kunst können nie Gutes bewirken ; sobald wir die Täuschung unserer Sinne bezwecken, sollte selbe nie halb erfüllt werden, dies geschieht aber, indem die Malerei in Bund mit der Realität tritt, sie muß einen Theil ihrer Rechte aufgeben, um nicht mit sich selbst in Widerspruch zu gerathen. Noch glauben wir zur größeren Bekräftigung des hohen geläuterten Kunstgeschmackes gedenken zu müssen, der sich an den Vasengemälden der Alten manifestirt. Gewiß wäre es ihnen leicht gewesen, Relief zu malen, aber sie fanden es widersprechend, auf einer krummen Oberfläche so zu verfahren, da erhaben gemalte Gegenstände auf einem runden Gefäße doch jedenfalls durch die tangirenden Sehstrahlen Lügen gestraft werden. Vergleichen wir diese Leistungen der Vergangenheit mit den Bestrebungen der jüngsten Gegenwart in München, welche sich die Erreichung eines ähnlichen Eindruckes zur Aufgabe gestellt haben, so bemerken wir die Idee des Mosaiks verlassen, also dem Verstande die Bürgschaft der Dauer, dem Auge die ruhigere Wirkung des Zusammengesetzten und die Überzeugung wie es entstanden, benommen. Wir sehen eine glatte goldene Schale ohne uns Rechenschaft geben zu können, welcher Materie sie entsprechen soll:. Die Dekoration, den alten Motiven folgend, ist kunstgemäß durchgeführt, die Figuren sind schön und edel, auch viel korrekter als die alten, weil bei ihrem Entstehen schon das  materielle Hinderniß des Mosaiks nicht im Wege stand: sie streifen jedoch in ihrer Wirkung viel näher an Naturwahrheit (ohne ihrem ernsten Styl zu nahe zu treten), weil selbe Relief ausdrücken, und rufen daher den Eindruck schön gemalter, ausgeschnittener Kartons hervor; ihre innige Verbindung mit der Fläche ist nicht sinnlich dargethan, und wir glauben hierin das Alte höher stellen zu müssen, weil jene Künstler der Vorzeit nie mehr machen wollten, als ihnen die Materie erlaubte. Dieselben Beobachtungen dringen sich dem unbefangenen Urtheile auf bei dem Abwägen der künstlerischen Forderungen, welche man an die Glasmalerei stellen sollte, sobald selbe in der Architektur als bezeichnendes Element mitwirket zum Organismus des vollendeten Ganzen. Es ist durchaus kein Verstoß gegen die Logik, wenn die Liebhaberei Einzelner Vergnügen daran findet, Werke alter Meister aus Glas übertragen zu lassen, und sich an dem erhöhten Farbenreiz zu ergötzen, da ein solches Gemälde, ein für sich abgeschlossenes Ganzes bildet, und wir in dem Moment der Betrachtung so wenig als bei andern Gemälden daran erinnert werden, das scheinbare Relief auf einer Fläche dargestellt zu wissen; wir überlassen uns ganz dem poetischen Eindrucke, und empfinden ungestörte Einheit. Sobald aber die Glasmalerei als wohltönender Akkord in das harmonische Gebilde eines Werkes der Architektur eingreifet, so ist die Forderung an dieselbe eine andere. Das Glas dient als Verschluß der großen Öffnungen, und gestattet nur dem Lichte in den geschlossenen Raum zu dringen, die Durchsichtigkeit desselben wird benützt, um eine dem Zwecke anpassende Dekoration darauf zu malen; die Materie drückt also eine gewisse Bestimmung aus, welche uns errathen läßt, die Malerei sei auf einer dünnen Fläche aufgetragen, es ist also ein logisches Verlangen des Verstandes an die Schönheit, diesem Eindrucke nicht zu widersprechen. Wir erkennen die Münchner Leistungen in diesem Fache als höchst gelungen an, doch wünschten wir unserm Gefühle nach eine mehr musivische, sich blos durch geschmackvolle Farbenwahl und einfache Zeichnung trennende Anordnung des figuralischen Theiles, denn die Wirkung eines perspektivisch angeordneten Gemäldes ist in diesem Falle nicht am gehörigen Platze, und wir denken uns die alte Vorstellungsart, durch eine Mosaik farbiger Gläser bildlichen Sinn in die durchsichtige Fläche zu bringen, dem Verstande und Gefühle gleich zusagend. Die ornamentale Anordnung hat eine hohe Vollendung in diesen Werken moderner Kunst erreicht, und mit Stolz wird jedem Deutschen das Herz höher schlagen, wenn er dem Könige, der so erhabene Werke ins Leben rief, ein freudenvolles Lebehoch bringet. Wir haben nun hoffentlich die innige Verbindung der Materie mit dem Charakter und der Bestimmung des ornamentalen Kunstwerkes erläutert.


Andeutungen über die kunstgemäße Beziehung des Ornamentes zur rohen Form

Wenn unsere Leser mit dem Gesagten einverstanden sind, so wird ein Rückblick auf die Vergangenheit im Vergleiche mit der Gegenenwart sie belehren, daß die Erbärmlichkeit unserer  s o g e n a n n t e n  Pracht, welche ihre Motive aus den verschiedenen Glanzepochen der Kunst zu leihen nimmt, und selbe in Pappe, Leder, Hanf, Zink zc.JPG (772 Byte) vervielfältiget, welche,  w e n i g e  moderne Leistungen ausgenommen, sich mit dem Schein begnügt, und die Form schön findet, wenn sie nur billig ist,  d a ß   d i e s e  m a t e r i e l l e  Tendenz, behaupten wir, das  L e b e n  d e r  K u n st  g e f ä h r d e t  und wenn nicht energische Maßregeln der Staatsverwaltungen dieser Nüchternheit einen edleren Impuls geben, unsere Nachkommen in dem Schutte und Moder dieser vergänglichen Materien umsonst nach der Verkörperung irgend eines geistigen Ausdruckes wühlen werden. Gehen wir nun auf die vornehmste Fähigkeit über, welche bei der Erschaffung eines jeden dekorativen Kunstwerkes den Künstler beseelen soll. Jeder Berufene weihe sich vor allem dem Erkennen des Schönen in der Natur, je fähiger, je tiefer sein eigenes Gemüth, desto besser wird ihm dies gelingen. Er wird dann im Stande sein, daß wahrhaft Schöne von dem Bizarren, Vielfältigen zu sondern; der Künstler muß Vieles weglassen, um verständlich zu bleiben, und wird nur den Charakter, vereint mit der schönen Hauptform behalten. Wir helfen uns wieder durch ein faßliches Beispiel. Es sei die Aufgabe gestellt, aus einem gegebenen Pflanzenelemente ein tektonisches Ornament zu bilden, z. B. ein Distelblatt. Zu diesem Zwecke wird ein genaues Studium der Natur, ein tiefes Durchdringen der Charakteristik dieses Pflanzenwuchses vorangehen müssen, dies erfordert Talent und verständige Sonderung in dem übergroßen Reichthum der Natur, welche öfter in das Breite, Verworrene, Häßliche ausartet; soll nun das Blatt in die Plastik übertragen werden, so muß es, mit Verstand angeordnet, zweierlei Gefühle in dem Beschauer erregen: es wird ihn lebhaft an die Natur erinnern, weil der Charakter, die schönen Linien derselben beibehalten sind, und durch die Vereinfachung noch deutlicher hervortreten, es wird aber zugleich etwas Vollkommeneres, doch Abweichendes von der Natur in sich tragen, weil der Geist des Menschen diese Form durch die Wahl der schönsten Linien veredelt hat. Es ist dann jedes Resultat der Kunst, welches auf diese Weise vom Einfachsten bis zum Größten hervorgebracht wird, eine potenzirte Schöpfung der Natur, und es ist keine Anmaßung, zu sagen, das Kunstwerk stehe höher, als die gewöhnliche Produktion der Natur, da dem Menschen nicht ohne Grund von dem Schöpfer die Kraft verliehen ist, durch die verkörperten Denkmale seines Verweilens auf dieser Erde in den Nachkommen ein ähnliches Streben nach dem Edlen, Schönen und Erhabenen zu entzünden. Wir dürfen daher mit Recht behaupten, je vollkommener ein Kunstwerk an sich ist, desto klarer wird sich darin die innere Verbrüderung des Geistes mit dem Gemüthe äußern; und dann reihet sich eine solche Leistung den erhabensten Schöpfungen der menschlichen Seele würdig an. Das was wir nun hier begründet, diese Vereinfachung und Veredlung, welche das echte Kunstwerk stempelt zum ehrenden Vermächtniß an die Nachwelt, nennt man in der Kunstsprache  S t y l . Aus dem bereits Gesagten gehet hervor , daß jeder Künstler einen ihm eigenthümlichen Styl entwickeln wird, und je selbstständiger und kraftvoller er begabt, desto edler wird die Anschauungsweise der Natur (Mutter des Styles) in die Form übergehen. Es ist aber nicht zu läugnen, daß der Künstler die ewigen Naturgesetze mit allen andern Menschen theilet, er gehört diesem oder jenem Volke, er nimmt Sitten und Gebräuche, geistige und sinnliche Anschauungsweise desselben an, und fühlet jede Pulsirung des ganzen großen Körpers mit. Unsere Zeitverhältnisse sind aber ganz anderer Natur, als die früheren Epochen. Die europäische Zivilisation hat uns zu Bürgern eines ganzen Welttheiles erhoben, der Verstand hat sich die Präpotenz über alle andern Fähigkeiten der Seele angepaßt, das was dem Künstler in einem beschränkteren Kreise der Nationalität zu erreichen möglich war , ist ihm für jetzt benommen; die Masse eines ganzen Welttheiles strebt nach ein und demselben Ziele, die neuere Poesie arbeitet nach Kräften an der Wiedereinsetzung der Rechte des Gemüthes; so wie im Leben, so in der Kunst wird der Verstand allein nichts Erhabenes vollbringen, religiöse Ideen haben im Mittelalter diesen Riesen entflammt, und wir zehren im Schatten unserer Nüchternheit an der göttlichen Poesie der Dome, welche die Vergangenheit als Wahrzeichen zurückließ. Es ist nicht unrecht, wenn man in einer Geschichte der Kunst die verschiedenen Epochen ordnet, wo ganze Völker vom Enthusiamus für das Schöne begeistert waren, die Ausdrucksweise besonders hervorragender Talente übt immer eine große Nachwirkung auf Zeitgenossen und Nachkommen aus, viele Talente schmiegen sich dem Zauber eines solchen Einflusses, dadurch entstehen gewisse Perioden; der gründliche Forscher wird bemerken, daß religiöse Ideen, freie Institutionen, also Anregungen des Gemüths, durch ihren begeisternden Impuls solche Glanzpunkte in der Kunstgeschichte bezeichnen. Die Kunst ist die sinnliche Sprache, mit der wir uns schüchtern der Gottheit nähern. Solche Perioden bezeichnete man als gemeinsamen harmonischen Ausdruck einer größeren Gesellschaft von Künstlern, die einem Volke angehörten, im allgemeinen Sinne ebenfalls mit dem Worte "Styl," doch soll man nie vergessen, daß hiemit die Individualität nicht gänzlich in dem großen Ganzen verschmolz, der aufmerksame Beobachter wird jedesmal den nationalen Charakter der Form von dem individuellen Ausdrucke des Künstlers zu scheiden wissen, doch ist letzterer ungleich schwieriger zu erkennen. In der Baukunst (eigentlich ein spezieller Theil der Architektonik) tritt manches der Form auf andere Weise beschränkend entgegen; wir haben gezeigt, daß die Materie im Allgemeinen die Art der Gestaltung bedingt, hier erfordert die Verbindung der einzelnen Gebäudetheile zu einem soliden Ganzen, welche wir Konstrukzion nennen, Kenntnisse des Verstandes, welche die Willkür der Form noch bestimmter begrenzen. Die Schwierigkeit, das Wesen der Architektur zu erfassen, ist für den Laien darin begründet, daß er die Werke dieser Kunst als eine von den Produktionen der Natur gänzlich getrennte und verschiedene Leistung betrachtet. Es ist Jedem einleuchtend, daß Maler und Bildner ihre Motive aus der Natur entlehnen, obwohl sehr oft der irrige Begriff strenger ängstlicher Nachahmung als Ziel des höchsten Kunstproduktes damit verbunden wird. Allerdings bietet uns die Natur keine fertigen Modelle zur ästhetischen Befriedigung unserer Bedürfnisse, doch die  w i r k e n d e n  K r ä f t e,   welche wir bei unsern Werken in Anspruch nehmen, schimmern überall durch, und bestimmen die Art der Gestaltung. Wir erinnern nur beispielsweise an das Gesetz der Schwere! Alle Kräfte, welche diesem Gesetze zuwider wirken, z. B. schiefe Balken der Dachung, flache Gewölbe zc.JPG (772 Byte), müssen durch andere entgegenwirkende im Gleichgewichte erhalten werden. Die Sichtbarmachung eines solchen Vorganges, welche sich in der Konstrukzion äußert, und die ästhetische Durchbildung der Formen, welche diese hervorruft, stempeln erst die Werke der Bauwissenschaft zu Werken der Kunst. Wir sind durchdrungen von dem Grundsatze, daß alles Schöne auch zweckmäßig sein müsse, doch lassen wir den Gegensatz nicht gelten. Ein nüchterner Baumeister kann viele bequeme, zweckdienliche Gebäude schaffen, deshalb sind sie noch nicht Gebilde der Kunst. Nur das Streben, nähere Beziehungen zum Leben kunstgemäß auszudrücken, kann die verständige Form adeln zum Kunstwerke, insbesondere in der Baukunst durch die Versinnlichung der wirkenden Kräfte, an den Durchdringungspunkten, wo selbe im Gleichgewichte erhalten werden. Diese Beziehungen aber, woher könnten wir sie entlehnen, als aus den Eindrücken der gesammten Natur auf unser Denk- und Gefühlsvermögen? - Man hat die Aufgabe der Architektonik eine geraume Zeit vielfach verkannt, man hat selbe als etwas scharf mathematisch Begrenztes von den übrigen Künsten getrennt, man hat ihr bestimmte unabänderliche Schönheitsverhältnisse aufgenöthiget. - Wir betrachten dies als eine arge Beschränkung des künstlerischen Wirkens. - Die Architektur ist eine freie schöne erhabene Kunst; Alles beruht in ihr auf der Wechselwirkung, wie in den andern bildenden Künsten, was in dem einen Falle das höchste Entzücken, den trefflichsten harmonischen Einklang hervorbringt, kann in dem andern das entgegengesetzte Gefühl erwecken. Es gibt keinen Beweis für die absolute Schönheit mathematischer Verhältnisse wie 1 : 2, 2 : 3 zc.JPG (772 Byte), eben so wenig, als man beweisen könnte, der olympische Jupiter sei weniger schön, als die medicäische Venus; Alles ist relativ, und die Schönheit gleich der Natur unendlich. Die Bedingungen, welche das Kunstwerk charakterisiren, bestimmen erst die Wahl der würdigsten Mittel, welche dem Künstler bei der Darstellung zu Gebote stehen. Die architektonischen Verhältnisse eines griechischen Tempels, einer maurischen Halle, einer mittelalterlichen Kirche zc.JPG (772 Byte) bieten die größten Kontraste, und waren bedingt durch ein Zusammenwirken von Umständen, welche hier nicht erörtert werden können; ungeachtet dieser Verschiedenheit flößen uns diese genannten Baudenkmale einen hohen Begriff künstlerischer Entwicklung ein, doch kann die Anwendung desselben Ideenganges und ähnlicher, Konstruktionsweise den Anforderungen unserer Zeit nie vollkommen genügen, aus dem einfachen Grunde, weil die technischen Mittel, welche uns zu Gebote stehen, eine ganz   n e u e  f r i s c h e Durchbildung der Konstruktionsformen hervorrufen werden. Der allgemeine Grundsatz, die Schönheit solle der organischen Bildung folgen, selbe noch deutlicher versinnlichen, ist die allererste Bedingung guter Architektur. - Jeder Schein, jeder ausgeliehene Flitter, jedes Streben, eine Konstrukzion durch die andere zu maskiren, um irgend einer früheren Ausdrucksweise ähnlich zu werden, ist ein dem menschlichenVerstande und Gefühle gleich widriges Verfahren. Wir erkennen als verständige Konstrukzion nur diejenige an, welche die innige Verbindung der Theile eines Bauwerkes herstellet, und als solche sichtbar bleibt. Der Architekt wird uns verstehen, dem Laien wollen wir durch Beispiele helfen. Wenn ein Ziegelgebäude mit Mörtel und Tünche überzogen wird, um dadurch schlechtes Material, vereint mit schlechter Arbeit, zu verbergen, und den Unbefangenen glauben macht, es sei aus einem einzigen Stücke geformt, so ist dies ein architektonischer Unsinn. Wenn ein großer Raum mit Holz überdeckt wird, diese flache Decke aber den Anschein des Steines erhält, der bei so großer Spannung brechen müßte, so ist dies ein schreiendes Unrecht. Wenn endlich griechische Architektur nachgeäfft wird, die steinernen Architrave (horizontale Überlagen) mittelst flacher Ziegelgurten ersetzt werden, und der Raum zwischen diesen als Kreuzgewölbe behandelt, das Ganze aber ebenfalls mit Mörtel überzogen wird, so glauben wir, daß die Griechen so viel guten Geschmack und richtiges Gefühl gezeigt hätten, eine solche Ehrenpforte zu meiden. Diese Beispiele mögen genügen; unsere Architektur strotzt von derlei Unsinn, es ist unmöglich dem Übel auf einmal zu steuern. Nur glauben wir, daß monumentale Gebäude rationell durchgeführt werden sollten, gleichsam um den Weg anzugeben, den wir auch bei Privatgebäuden einschlagen sollten, denn die Zeit ist noch ferne, wo die moderne Konstruktion einen so hohen Grad von Ausbildung erlangen, und die Form dieses verständige Gerippe zu einem schönen Ganzen vereinigen wird.  E n g l a n d  wäre diesem Ziele am nächsten, aber es fehlt im Allgemeinen auch dort das  g e i s t i g e   B e d ü r f n i ß  die verständige Konstruktion  s c h ö n  z u  g e s t a l t e n. Ein heftiger Kampf stehet Jedem bevor, der aus dem abgeschlossenen Kreise seiner Studienjahre hinaus ins Leben tritt; es ist nicht zu läugnen, daß wir in anarchischen Kunstzuständen begriffen sind, daß die jüngere Generation öfter nicht weiß was sie soll, aber wir theilen alle dasselbe Schicksal, darum frisch vorwärts und nicht gezagt. Wir danken unsern Vorgängern die Kenntnisse aller Baustyle und die Überzeugung, daß man auf dem Wege der Nachahmung zu nichts gelanget. Man hat aus allen Reichen der Welt volksthümliche Baustyle geholt, es gab Verfechter vom Griechischen bis zum Chinesischen, kaum war das alte Europa ein wenig eingeschult, so kam von ferner Küste irgend ein neuer Seefahrer und brachte das Neueste Beste ! Das Publikum hat einen großen Magen, es nahm alles willig auf; manche Potentaten bildeten sich zu Hause eine kleine Modellsammlung architektonischer Reminiszenzen, die uns lebhaft erinnert an das Spielzeug der Villa d'Este: die merkwürdigsten antiken Gebäude Roms stehen in liliputanischer Verkleinerung im Garten auf einem kleinen Platze zusammengedrängt. Endlich werden wir doch den Kulminationspunkt der Sättigung erreichen, und etwas Neues Zeitgemäßes schaffen müssen. So wenig passend es von den Veteranen ist, die nach ihrer Meinung ewig genügenden Lieder der klassischen Kunst abzusingen, so unziemend ist es von den Jüngeren, und gar von Einzelnen mit Wort und Zeichnung aufzutreten, und den neuen Styl unseres Jahrhunderts zu proklamiren. Kann  e i n  Mensch die Formen erfinden für Konstruktionen, welche beinahe allgemein in der ganzen zivilisirten Welt sich verbreiten? Wir sollten lieber in aller Bescheidenheit uns die Hände reichen zum gemeinsamen Zwecke, ist es ja doch das Loos so vieler tüchtiger Meister gewesen, deren Namen spurlos im großen Ganzen verschwunden sind! Wollen wir Pygmäen der Architektur mehr ansprechen? sollen wir uns nicht glücklich schätzen am großen Werke mitzuarbeiten, und wenn wir unbemerkt, unbeachtet von unseren Zeitgenossen unsere Kräfte dem allgemeinen Zwecke bieten, sollte kein Trost zu finden sein in der Zukunft, die wir Andern bereiten? Ehe wir von unsern Freunden scheiden, wollen wir versuchen, die nationelle Entwicklung unseres Ideenganges bei dem Entwurfe eines monumentalen Gebäudes hier niederzulegen. Wir verwahren uns gegen jeden Vorwurf des Eigendünkels, unsere Meinungen einer wohlgemeinten Kritik bloßstellend, bitten wir Jeden, der in seinem Innern besser berathen, um Beistand, und glauben, daß, wenn Alle so freimüthig zu Werke gingen, Manches zum Frommen der Kunst geschehen könnte. Man kann Niemanden die Erfindung lehren, man wird aber nach gemachter Erfahrung die besten Aufschlüsse geben können, wie man zu dieser oder jener Überzeugung gelanget ist. Wir haben drei Erfordernisse in dieser Schrift berührt, welche diese künstlerische Vollendung eines Werkes der Architektur begründen:

1. Die logische Beurtheilung der Materie, mit der wir zu schaffen haben;
2. die wissenschaftliche Bildung, welche zur verständigen Konstruktion befähiget;
3. die Gabe, den Zweck der durch den Verstand hervorgerufenen noch rohen Form näher zu bezeichnen, und durch den Schönheitssinn zu veredeln.

Diese drei Bedingungen, sich innig durchdringend, schaffen das Ganze, nach Möglichkeit vollendet. Ist ein Werk der Architektur als Monument unserer Zeit der richtenden Zukunft bestimmt, so wird der Verstand bei der Wahl der Materie die solidesten Mittel zur Erreichung dieses Zweckes wählen, und das Gefühl wird den Ausdruck der Solidität in der Form zu erreichen suchen. Die nähere Bestimmung des Zweckes eines Gebäudes (nicht dieser oder jener Styl füherer Epoche) bedingt die Wahl der Konstruktion. - Wir werden uns bemühen, die als zweckmäßig befundene Konstruktion so viel wie möglich sichtbar zu machen , das Feine, Magere vermeiden, das Würdige, Imponirende vorziehen, und schon in der rohen Form uns bestreben, die wirkende Ursache der konstruktiven Theile zu zeigen ; die hinzukommende Veredlung der Form kann nur die Befriedigung des Beschauers begünstigen, denn wir setzen ja voraus, daß der Zweck durch die ornamentale Behandlung noch näher bezeichnet werde. Die Materie und die Bestimmung des Gebäudes, beide zusammen, werden das Charakteristische desselben entschieden bedingen; wir haben schon im Eingange bemerkt, daß ein gewaltsames Losreißen von dem Alten, Vortrefflichen uns nur auf Irrwege führen würde. - Wir werden den Geist der Profilirung, die Vertheilung der ornamentalen Anordnung und vieles Andere vortheilhaft zu nützen wissen, aber die neuen Konstruktionen werden auch immer neue Charaktere erzeugen, und wir glauben, nur auf diesem Wege könne die Gesammtheit der jüngern Talente sich immer mehr nähern und einigen, bis endlich nach vielen Jahrzehenden die Charakteristik neuerer Konstruktionsweise durch die Kunst geadelt, den Nachkommen Anstoß geben wird, auf diesem Wege fortzuschreiten, und so zu einem wirklich originellen und nationalen Baustyle zu gelangen.