Positionen
1997 / 1

Klaus Kornwachs

(Technikphilosoph, Brandenburgische TU)

Zur Programmierung des Raumes

  Vorbemerkung
Neuen und mächtigen Methoden
Bedürfnisse, von denen Planung und Entwurf ausgehen,
Umformulierung der Bedürfnisse
Technikphilosophisches
Die Programmierung des Raumes
Andere Häuser
Literaturhinweise

Vorbemerkung
1 Mein Beitrag versteht sich als Gesprächsangebot an die Kolleginnen und Kollegen aus der Architektur, da ich selbst, außer dem Erleiden bestimmter Architekturen und der Erfahrung einiger Umbauten auf diesem Gebiet als ideal naiver Benutzer des umbauten Raumes als Dienstleistung angesehen werden kann.

Neue und mächtigen Methoden
2 Wer bauen will, muß planen, das war schon immer so. Das ist so trivial, daß die Frage nach dem Warum nur von Kindern kommen kann. Die Beantwortung fällt um so schwerer. Warum muß man Bauen planen? Weil das, womit wir den Raum zügeln, ihn eingrenzen, ihn zuhanden machen, ihn als Instrument und als Ressource nutzen, nicht einfach nur herum liegt, sondern besorgt werden muß. Besorgungen kosten Zeit und hängen davon ab, was man vorhat. Wir antizipieren, was wir wollen, und machen uns ein Modell. Damit das Ganze nachher nicht zusammenfällt, wollen wir über das Modell ein Wissen erlangen, das einigermaßen gesichert ist. Diese Sicherheit gibt uns neben dem ewigen Spiel des Versuchs und Irrtums die Methode. Die Methode überformt aber oftmals das, was wir wollen. Schließlich wollen wir das, was wir kriegen können und nennen dies Planung.

3 Die neuen Methoden der Modellbildung, der Antizipation des zu Bauenden und der daraus noch lange nicht zwingend resultierenden Planung, sind mächtiger denn je - wenn wir von Digitalisierung total sprechen, zollen wir dieser angeblichen Mächtigkeit schon in der Schlagwortauswahl einen vorauseilenden Tribut. Was ist so mächtig dran? Die Methodik, uns über unser Modell zu vergewissern, ist zunehmend eine formale geworden, und mit zunehmenden Formalisierungsgrad ist sie zunehmend an den Computer delegierbar. Das Wort Digitalisierung ist irreführend, es signalisiert lediglich eine Codierungsart der zu verarbeitenden Signale, die der Analogen beim Signal-Rausch-Verhältnis um etliche Zehnerpotenzen überlegen ist. Digitalisierung im unreflektierten alltäglich Sprachgebrauch heißt schlicht und dumm: So, daß es der Computer macht ....

4 Aber nicht nur der Computer: Die neuen Instrumente für Entwurf, Planung, bis hin zur Arbeitsvorbereitung in Architektur und Baugewerbe verdanken ihre Mächtigkeit an Funktionalität nicht nur der Schnelligkeit und Kapazität des Computers, sondern den theoretischen Vorstellungen, die hinter der entsprechenden Software stecken: Nicht nur hier sondern ganz generell schlägt sich die Weltsicht eines Problems, die der Softwareentwickler sich erarbeitet hat, durch das hindurch, was man mit seinem Werkzeug machen kann. Anders ausgedrückt: Wer Photoreality oder CAD benutzt, liefert sich der Vorstellung aus, die der Softwareentwickler sich vom künftigen Benutzer seines Produkts gemacht hat. Und diese Sicht hängt wiederum eng damit zusammen, welche Methoden und Werkzeuge der Softwareentwickler selbst gerade zur Verfügung hatte.

5 Die Verwendung des Computers als eines der universellsten Werkzeuge, die wir zur Zeit haben, führt gerade in der Architektur zu einer Technisierung und Re-Formalisierung des Entwurfs und der Planung. Denn warum delegieren wir solche Aufgaben an den Computer? Wir wollen eine Unterstützung der lästigen Routineaufgaben, eine Beschleunigung der Veränderungungsmöglichkeiten des Entwurfs, um die Konsequenzen einer Änderung schnell erkennen zu können, wir wollen bestimmte Vorgänge wie die Ableitung der Bauplanung aus dem Entwurf durch ein Deduktionsverfahren substituieren und letztlich wollen wir Entwurf, Planung und Arbeitsdurchführung unter einer einheitlichen Kategorie von Bewertungen optimieren - meist einer ökonomischen, schließlich ist der Architekt, der Baumeister und letztlich der Mann auf dem Bau ein wirtschaftliches Subjekt.

Bedürfnisse, von denen Planung und Entwurf ausgehen
6 Allerdings gehen einer Planung die Artikulation von Bedürfnissen oder die vom Architekten angestellten Vermutungen über vermeintliche Bedürfnisse voraus. Explizit werden sie selten gemacht, man redet halt mal mit den Leuten, und zeichnet und zeichnet und wartet auf Zustimmung - die Nähe zu dem, was die Psychologen eine forcierte Wahl nennen, ist zuweilen nicht ganz von der Hand zu weisen. Seit es Fertighäuser gibt, gibt es die Idee des Baukastens oder der modularen Planung, und mit etwas Pfiffigkeit laßt sich die Anzahl der Varianten in die Größenordnung früherer Bestellmöglichkeiten Wolfsburger Automobile hochtreiben - sagen wir 106 Baukasten und Module sind aber der erste Schritt in die formale Planung, die dem Entwurf Grenzen setzt. Deshalb gilt unter richtigen Architekten das Fertighaus als verpönt. Gleichwohl setzt die Delegation der Entwurfsaufgabe an den Computer, ja sogar schon dessen Unterstützung durch den Rechner, formale Methoden voraus, die sich in der logischen Struktur der Elementarschritte von Baukasten und Modularisierung nicht unterscheiden. Bevor man über mich herfällt, möge man bedenken, daß die Aufnahme von Pflichtenheften, das Ankreuzen von Wunschformularen, das Hinzeichnen und Abändern auf Zuruf Vorstufen dieser Formalisierung sind, ohne die wir in einem weiteren Schritt nie einen Rechner mit solchen Aufgaben betrauen könnten. Im Gegenteil: Der Rechner zwingt uns; unsere Bedürfnisse formal und präzise auszudrücken - gleichgültig, wie diese Bedürfnisse inhaltlich aussehen.

7 Die Befürchtung, daß dann das Wechselspiel aus ersten Bedürfnissen, der vom Architekten geleisteten perspektivischen Darstellung dem Kunden gegenüber, der sich aus Aufriß und Seitenansicht keinen Raum vorstellen kann, und den Veränderungen seiner Wünsche aufgrund der Anschauung und erneuter Visualisierung verschwinde, ein dem Feilschen auf dem Basar nicht unähnlicher Vorgang, bestätigt sich wohl nicht: Die virtuelle Darstellung eines Gebäudes, die Möglichkeit, in ihm zu wandern, Veränderungen und deren Konsequenzen sofort zeigen zu können, steigert die Begierlichkeit der Wünsche nach anfänglich vagen Vorstellungen vielleicht nur noch mehr.

8 Der Entwurf räumlicher Konstruktionen mit dem Ziel, sich Raum zur Verfügung und Vernutzung anzueignen, durch seine Umbauung, also Einschließung, ihm einen Tausch- und Gebrauchswert zu geben, basierte nicht nur auf projektiver Geometrie als einer formal-operativen Grundlage (z.B. Distanzen messen zu können), sondern vor allem darauf, daß wir Erfahrungswerte darüber hatten und haben, wieviel Platz (primär war dies wohl die Fläche, seit wir die Bäume verlassen haben) und Höhe wir für bestimmte Funktionen des alltäglichen Daseins benötigen. Die Grundfunktionen Schutz, Lagern, Besorgen und Zubereiten, Entsorgen, Wohnen, Arbeiten, Tesaurieren, Kommunikation und Mobilität markieren eindeutig die Grenze zwischen Drinnen und Draußen, konstituieren eine Oberfläche und eine, allerdings massiv von kulturellen Vorstellungen geprägte innere Struktur. Damit haben wir das beieinander, was man in einem formalen Sinne System nennt - das hat nichts mit dem zu tun, was Luhmann unter lediglicher Verwendung größtenteils unverstanden systemtheoretischen Vokabulars paraphrasiert. Die innere Strukturierung des oikoV wird durch die formalen Methoden des Computers zur einer Programmierungsaufgabe unter bestimmten Randbedingungen - nicht umsonst fallen in der Diskussion die Schlagworte des facility mangements.

9 Der Programmierer des Raumes wird aber auch zum Programmierer von Lebensbedingungen. Das Einrichten von Raum erfährt nun eine Wendung, die man bedenken sollte. Wird der Architekt zum Programmierer und der Baumeister zum Prozessor, so schiebt sich zwischen seinem beruflichen Ethos, seiner Leidenschaft, seinem Gestaltungswillen der formale Apparat, der zwar die Routine erleichtert, die Entwurfs- und Planungszeiten verkürzt, aber auch die Denk - und Erwägungzeiten unter Kürzungsdruck setzt. Das Modell einer Lebenswelt, die sich im Architekten ausgebildet hat, spätestens als er im Studium als Feuerkopf seinen Entwurf durchzusetzen begann, gerät unter den Einfluß des gerade eben verfügbaren Werkzeugs, sprich verfügbaren Programms. Die emotionale Abwehr gegen das, was ein Architekt für nicht machbar oder nicht menschlich hält, sei es ästhetisch, funktional, lebensweltlich oder ökologisch, weicht Sachzwangargumenten - und dies ist eine Diskussion, die man in einem weitaus durchrationalisierteren Bereichen wie der Produktionstechnik schon vor Jahren geführt hat.

Umformulierung der Bedürfnisse
10 Die Einführung von CAD in der maschinellen Konstruktion, der Versuch, eine 'Computerintegrierte Fabrik' zu planen und zu verwirklichen, in der alle entscheidenden Prozesse durch Rechner gesteuert und kontrolliert werden, von der Konstruktion bis hin zur Faktorierung des Endprodukts, der sich bis heute nur als bruchstückhaft durchführbar erwiesen hat, veränderte die Arbeitsabläufe und Arbeitsinhalte, er veränderte Qualifikationsanforderungen und Design, er veränderte das Produktespektrum und die Struktur der Produktion schlechthin. Das Zusammenwachsen von Informations- und Kommunikationstechniken löst alle Voraussetzungen auf, unter denen die klassische Fabrik entstand: Lokalität von Energie, Materialfluß und Steuerungsinformation. Dieser Prozeß ist bis heute noch nicht abgeschlossen.

11 Am interessantesten scheint mir der Druck zu sein, den die 'Automatierungsgerechte Konstruktion' auf Design und Funktionalität der Endprodukte ausübte. Daneben waren Anforderungen jenseits der Produktionstechnik zu bewältigen, zum Beispiel die Optimierung im Windkanal. Das Ergebnis kann man in der Automobilindustrie besichtigen: Die Unterschiede zwischen den konkurrierenden Produkten sind auf den ersten Blick nicht mehr erkennbar, man muß schon ein 14jähriger sein, um einen Mittelklassewagen von Ford von einem vergleichbaren Modell von Opel unterschieden zu können. Wird es dem Haus wie dem Auto gehen?

12 Formale Methoden üben immer einen Standardisierungsdruck aus, das wird sich auch in der Vervielfältigung der Funktionalitäten im digitalen Zeitalter, um die falsche Metapher noch einmal zu erwähnen, nicht vermeiden lassen. Die Frage ist, ob wir schleichend eine Änderung der Stile, der Vielfalt, der Gestaltungsmöglichkeiten bekommen werden, die wir so nicht wollen? Die rechnergestützten Entwurfsmethoden sind vom Blickwinkel ökonomischer Optimierung nur eine halbe Sache, wenn man aus ihnen nicht elektronische Baupläne extrahieren kann, die eine Erzeugung von Bauplänen und damit auch die Erstellung von Arbeitsvorbereitung, Disposition und Steuerung der Bauausführung bis hin zur Qualitätskontrolle ermöglichen sollen. Entwerfen ist eine Sache, Planen eine andere, Bauen eine dritte. Alle drei sind unterschiedlichen Sachzwängen und Randbedingungen unterworfen. Koppelt man alle drei Bereiche über eine formale, weil vom Computer durchführbare deduktive Prozedur, koppelt man die Sachzwänge aller drei Bereiche miteinander. Die Konsequenz ist ähnlich der automationsgerechte Konstruktion der siebziger Jahre im Maschinenbau: Lieber Architekt, sagt das Totalprogramm, entwerfe bitte nur das, was ich in meinem Baukasten habe. Der Programmierer des Raumes ist zum Rekombinierer von Bauteilen geworden.

Technikphilosophisches
13 Man mag sich trösten - so schlimm wird es wohl nicht kommen, die vollautomatisierte, menschenleere Fabrik gibt es heute auch nicht. Das ist richtig - es wird sogar bald gar keine Fabrik in der bisherigen Form mehr geben, weil wir Arbeitsort, Arbeitszeit, Planen, Durchführen und Bedienen von Maschinen schon längst entkoppelt haben. Nun ist Produktion, vor allem Serienproduktion nicht mit Baustellenmontage vergleichbar, die organisatorischen Strukturen sind andere. Trotzdem wird es auch beim Entwerfen, Planen und Bauen Veränderungen geben, die vermutlich genauso einschneidend sind. Ich komme gleich darauf zurück.

14 Zuvor möchte ich aber begründen, das ist nun einmal das Geschäft der Philosophen, warum durch eine Änderung des Handwerkszeugs des Architekten sich das Produkt, das er nicht nur herstellt, sondern auch intendiert, verändern wird.

15 In der analytischen Technikphilosophie, also der Philosophie der Technik, die sich auch formaler Mittel für ihre Argumentation bedient und nicht nur beschwörender oder emphatischer Begriffe, sieht man Technik als einen Vorgang an, der Wissen, Gegenstände, bestehende Beziehungen und Prozesse so verändert oder beeinflußt, daß sie in eine Zweck-Mittel-Relation gesetzt werden können. Technik ist aber nicht nur instrumentelles Handeln schlechthin oder Herstellung und Gebrauch von Instrumenten, sondern umfaßt auch die organisatorische Hülle dieses Handelns mit. Ohne diese organisatorische Hülle würde kein Kühlschrank, kein Auto, kein Haus, kein Computer funktionieren. Das Entscheidende ist nun, daß technische Funktionalität und organisatorische Hülle in einem komplizierten Wechselverhältnis stehen und sich gegenseitig beeinflussen. Dies gegenseitige Beeinflussung bringt es auch mit sich, daß technische Funktionalitäten, die nicht zu den Hauptfunktionen gehören, neue Bedürfnisse und Organisationsformen hervorrufen - man bedenke nur, wozu man ein Auto außer zum Herumfahren noch alles benutzen kann und auch benutzt. Anders ausgedrückt: Die Potenz der Mittel verändert die Zwecke, beziehungsweise die Bedürfnisse und umgekehrt. Deshalb hat jede technische Realisation von genau definierten Bedürfnissen eine Veränderung dieser Bedürfnisse zur Folge: Wenn das Haus mal steht, hätte man es gerne doch anders gehabt.

16 Die Behauptung ist nun, daß der Einsatz des Computers, gerade da, wo er die technische Realisation im Planungsprozeß virtuell vorwegnimmt, zu einer Beschleunigung der Veränderung von Bedürfnisstrukturen massiv beiträgt. Das gilt nicht nur im Konsumgüterbereich, sondern auch im Inverstionsgüterbereich und deshalb ist die Diskussion hier müßig, ob Häuser Gebrauchs- oder Investionsgüter sind.

17 Nun muß die Varianz von Bedürfnisstrukturen nicht unbedingt negativ gesehen werden. Die herkömmlichen Grundmuster der Planung z. B. bei Einfamilienwohnhäusern spiegeln Denkgewohnheiten und Wohnkategorien wieder, die der Hausherr und der Architekt, der nicht das Glück hatte, zu Denkmälern neigende Bauwerke zu entwerfen, sondern sein Geld im Alltag verdienen muß, im allgemeinen teilen. Grundfunktionen wie Schlafen Eltern, Schlafen Kind, Essen, Küche, Bad, Toilette, Speisekammer, Eingang, Wohnzimmer, Kleideraufbewahrung, Arbeitszimmer etc. werden im Entwurf getrennt ausgeführt und unter dem Diktat von Raum-, Geld- und anderen Beschränkungen zusammengestrichen bzw. zusammengelegt. Die daraus resultierende Langeweile ist die Langeweile dieser Kategorien. Hier täte Variation also durchaus gut.

18 Wenn man schon die Bedürfnisstrukturen durch die neuen potenten Entwurfs-, Planungs- und Visualisierungsmittel verändert, so würde ich dafür plädieren, daß man Verfahren sucht, man könnte auch Kulturtechniken dazu sagen, diese Mittel umfassend einzusetzen, also etwa auch Energie zu sparen, Ressourcen schonend zu bauen, die örtlichen Gegebenheiten zu berücksichtigen und alle Betroffenen einzubeziehen - warum läßt der angehende Bauherr seinen Nachbarn nicht einmal die virtuelle Darstellung seines künftigen Gehäuses von allen Seiten beobachten und drehen und warum lädt er ihn nicht schon in eine virtuelle Begehung der künftigen Räumlichkeiten ein? Dasselbe mag für öffentliche Gebäude gelten im Zusammenhang mit dem Verstehens- und Partizipationsbegehren aufgeklärter Bürger.

Die Programmierung des Raumes
19 Ich sagte, daß sich die Arbeits-, Ablauf- und Organisationsstrukturen bei Entwerfen, Planen und Bauen durch den Einsatz des Rechners in der Architektur massiv verändern werden. Wir können Räume entwerfen, die wir, aus welchen Gründen auch immer, nie werden bauen können. Wir werden feststellen, daß wir Räume, also Plätze, Gehäuse, Siedlungen, Landschaften fast unendlich in der Planung variieren können und dies unter fast gleichbleibenden Randbedingungen, zum Beispiel Kostenvorgaben. Wir werden diese Techniken als Phantasiebeschleuniger einerseits und bei phantasielosem Gebrauch als Standardisierungstyrannen erfahren.

20 Die Produktion von Baumaterialien, gerade auch im Hinblick auf natürliche Baustoffe, auf entsorgungsgerechte Materialverwendung, wird den Zwängen alter Produktionsstrukturen ebensowenig unterworfen sein wie die Produktionstechnik schlechthin, die sich radikal wandelt. Und die Organisation des Entwurfs und der Planung mit Einschluß der Beteiligten und zukünftigen Nutzern mit diesen Hilfsmitteln wird die Arbeitsabläufe in den Architekturbüros ebenso umkrempeln wie die Anforderungen an Qualifikation, also auch in Aus- und Weiterbildung.

21 Und letztlich werden diese neuen Mittel und Instrumente viele Architekten arbeitslos machen, so wie die Rationalisierung in der Produktion durch die Stufen der Mechanisierung, Automatisierung und Informatisierung zu einer großen, auch nicht durch Beschwörung von Wachstumsformeln behebbaren Sockelarbeitslosigkeit geführt hat - eine Arbeitslosigkeit, die primär, wenn man sich die Qualifikationsverteilung ansieht, eine Anpassungsarbeitslosigkeit ist. Der Architekt der Zukunft ist nicht nur Programmierer von Raum, er ist, weil er wie jeder Technikgestalter Lebenswelten gestaltet, die erlebt und erlitten und genossen werden, auch Gestalter unserer Welt. Vitruvs Aufforderung, was ein Architekt alles wissen müßte, liest sich wie ein Kanon heutiger interdisziplinärer Studienanforderungen.

Andere Häuser
22 Letztlich glaube ich auch, daß wir nicht nur bei den Tätigkeitsmerkmale der Architekten Veränderungen erwarten müssen, sondern auch bei den Hervorbringungen. Wenn man einmal davon ausgeht, daß der konsequente Rechnereinsatz die Trennung zwischen Architekt und Bauingenieur, zwischen reinem Entwerfer und Ausführungsplaner im wesentlichen aufheben wird, so wie der Konstrukteur in der Produktion schon lange kein reiner Konstrukteur sondern noch dazu Arbeitsvorbereiter und Fertigungssteuerer ist, so wird dies nicht das erste und nicht das letzte Feld sein, auf dem der Computer mit ständisch gewachsenem Berufsverständnis vergleichsweise kurzen Prozeß macht.

23 Erfüllen sich Wünsche, und seien sie nur virtuell, entstehen neue Bedürfnisse. Dies führt, nicht immer, aber auf Dauer doch, zu anderen Produkten. Die computerunterstützte Präzisierung solcher Wünsche, aber auch das Bewußtmachen, auf was man Wert legt, in gewisser Weise auch die Kalkülisierung des moralischen Mehrwerts, der sich heute mehr gefühlsmäßig als rechnerisch ergibt, wenn man ökologisch bauen möchte, aber auch die Veränderungen der Abläufe beim Entwerfen, Planen und Bauen werden zu anderen Häusern führen. Wir werden Raumaufteilungen, Funktionalitäten nach Bedarf und zeitlich veränderlich gestalten können, wir werden viele feste Größen, die bisher beim Bauen unumstößlich festlagen, parametrisieren können. Wenn wir Phantasie pflegen, dann sind diese Möglichkeiten verlockend.

24 Es gibt jedoch nur eine Möglichkeit, sich dem Standardisierungsdruck oder der überwältigenden Versuchung zur Mehrfachverwertung bereits geleisteter Planungsarbeiten durch die reine Formalisierung und Modularisierung zu entziehen: Jeder, der Architektur gestaltet, sollte sich ständig fragen: Haben wir die Häuser, die wir brauchen und brauchen wir die Häuser, die wir haben? Die Antwort auf diese Frage wird Ihnen kein Computer abnehmen.

Literaturhinweise:
Kornwachs, K.: Ein Gehäuse durch und für die praktische Vernunft. Stuttgart Vortrag 1993, veröffentlicht in: Eda Schaur (Hrsg.): Intelligent Bauen - Aspekte einer anderen Baukultur. Mitteilungen des Instituts für leichte Flächentragwerke IL, Universität Stuttgart, Nr. 41, Stuttgart 1995
Kornwachs, K.: Raum als Freiheit - Freiheit als Raum. WS 96/97 Ringvorlesung BTUC

 
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