Positionen
1998_2

Anette Sommer

Mega Malls auf dem Vormarsch!
Demokratie als Fluch oder Chance?

 

1) Einleitung

Für die Stadtplanung ist die Frage, wie man Innenstädte beleben solle, durchaus vertraut und schon vielfach und unterschiedlich beantwortet worden. Die Frage ist nicht neu, doch in den letzten Jahren wurde sie brennend, da unterschiedliche Tendenzen die Existenz belebter Innenstädte in ernstzunehmendem Maße gefährden können.
Einerseits ermöglichen die neuen Medien in Zukunft eine ganz neue Verortung von Stadt als öffentlichen Raum im Computernetz und dementsprechend wird sich die Frage nach der Lebendigkeit, der Heterogenität oder den Möglichkeiten des Austausches auf ganz anderer Ebene stellen, jedenfalls nicht auf der Ebene einer Innenstadt im herkömmlichen stadtplanerischen Sinne (Mitchell, W.J. 1996; Rötzer, F. 1995).
Andererseits entstehen immer häufiger belebte ´städtische Räume´ auf der ´grünen Wiese´ wo nie Stadt war und im herkömmlichen stadtplanerischen Sinne auch nie hin sollte. Inzwischen ist dies nicht mehr nur ein nordamerikanisches, sondern auch für Deutschland ein vertrautes Phänomen.
Warum macht man aus den Innenstädten nicht riesige Malls oder Themenparks und übernimmt damit einfach dieses offensichtlich erfolgreiche Konzept, um auch den innerstädtischen Raum zu beleben? Wäre das nicht die zeitgemäße Lösung? Was läßt die Verantwortlichen davor zurückschrecken? Was steht dagegen?
Andererseits könnte man fragen, warum man überhaupt mit aller Gewalt die Innenstädte revitalisieren will? Ist das nicht reaktionär, konservativ, nostalgisch und obsolet?
Oder ist es gar doch wahrhaft progressiv?

Das Stadtzentrum ist historisch der Ort, wo das meiste Leben ist, und das meiste Leben ist dort, wo die entscheidenden Einflußfaktoren für das öffentliche Leben repräsentiert sind: Historisch wäre dies der Marktplatz, der Brunnen, die Kirche, das Rathaus, der Park (vgl. z.B. Führ, E. 1989). Heute, so mag man argumentieren, ist dies die ´Shopping Mall´ mit kombiniertem Vergnügungsareal - und die liegt nun eben historisch betrachtet am Stadtrand. Warum fällt es so schwer, dieses neue Zentrum des öffentlichen Lebens zu akzeptieren?
Im Folgenden soll dieses Phänomen genauer betrachtet und im Zusammenhang mit ´neuer Urbanität´ und Beteiligungsverfahren diskutiert werden.

2) Shopping Malls

 
Abb 1: City Mall ´Eaton Center´, Toronto, Kanada; (Zeidler & Partnership)   Abb 2: Mega Mall ´West Edmonton Mall´ (WEM), Edmonton, Kanada (Maurice Sunderland)

Malls, d.h. überdachte Einkaufszentren, werden im allgemeinen rege besucht und funktionieren gut. Sie ziehen an, da sie stimulieren, ´alles Mögliche´ anbieten und geschützt, pragmatisch und bequem sind. Sie bieten ein soziales Umfeld, das von manchen Autoren mit der Funktion der Agora in der Antike und anderen historischen Orten städtischen öffentlichen Lebens verglichen wird. (vgl. Kowinski 1985, Gruen 1964, Fowler 1988).
Alle Altersstufen kommen in Malls zusammen und verschiedene Umfragen legen nahe, daß z.B. heute in Kanada, abgesehen von der Wohnung, der Arbeitsstätte und der Ausbildung, in der Mall die meiste Zeit verbracht wird. Die älteren Menschen fühlen sich dort sicher und für die jüngeren Menschen ist immer etwas los. Man spricht von ´mall rats´ oder ´mall walkers´, sogar von ´mall junkies´ (Kowinski 1985, Jacobs 1984) - diese Begriffe sind Teil des Alltagsvokabulars.
Die Tatsache, daß v.a. auch die jüngeren Menschen gerne ihre Zeit in den Malls verbringen, hat inzwischen dazu geführt, daß diese ganz selbstverständlich die Mall zu ihrem sozialen und öffentlichen Leben, zu ihrer Lebenswelt, hinzuzählen und ihr zudem einen wichtigen Stellenwert beimessen (Shields, R. 1989).
Shopping Malls haben sich v.a. in Nordamerika seit den 60er Jahren entwickelt und seitdem ausdifferenziert. Zunächst als Versorgung für Vororte geplant, wurden sie in ihren möglichen Funktionen weiterentwickelt bis hin zu kompakten vertikalen Strukturen der innerstädtischen City Malls (wie z.B. das Eaton Center in Toronto, Kanada), zu Partnerschaften mit Sanierungsträgern, die somit eine Umgestaltung innerstädtischer sanierungswürdiger Bezirke bzw. Gebäude zu Malls ermöglichen, zu Mega Malls, einer Kombination von Shopping und Amusement (z.B. die West Edmonton Mall -WEM-, Kanada), oder zu Omni Centern inklusive Hotel, Wohnen und Büro.

Aktuelle Entwicklungen beinhalten u.a. die Tendenz, die Einrichtungen noch mehr zu spezialisieren und durch flexiblere Flächennutzung und erhöhte Authentizität und Exklusivität auch anspruchsvollere Kunden anzusprechen oder auch einzelne größere Anbieter, wie z.B. IKEA, mit Komplettversorgung für einen langen Kundenaufenthalt mitten auf die ´grüne Wiese´ zu setzen. Für diese Unternehmen sind die räumlichen Begrenzungen innerhalb der Malls schon nicht mehr ausreichend. IKEA war z.B. anfangs eines der Ankerkaufhäuser in der derzeit noch größten Mega Mall, der West Edmonton Mall, ist aber schon nach kurzer Zeit in einen eigenen Gebäudekomplex umgesiedelt.
Das Konzept der Mall sieht vor, Kaufhäuser als Anker (je nach gewünschtem Mall-Image, bzw. vorausgegangener Standortanalyse und Marktforschung) und daneben Ladenmieter in spezifischer Mischung zu beherbergen. Pachtpreise sind mit System berechnet z.B. kürzere Vertragsdauer und höheren Mieten für kleinere Läden, um somit das Angebot, vergleichbar einem Fernsehkanal, beständig den Verbraucherwünschen und dem aktuellen Käuferprofil optimal anzupassen (vgl. dazu Crawford, M. 1992).

  Dies führt dazu, daß Ladenbesitzer zunächst die Preise ihrer Produkte erhöhen und daraufhin
wieder mit Sonderangeboten versehen, um so bei den Käufern das Gefühl zu wecken,
hier Schnäppchen machen zu können.
Abb 3 : Beispiele für Sonderangebote in kanadischen Shopping Malls    

Elemente, die sich in der Gestaltung immer wieder wiederholen, sind z.B. große Spiegelflächen, Perspektivenwechsel durch unterschiedliche Geschoßebenen, Atrien, immer neue Gänge mit vielfältigen Warenangeboten, Brunnen und Bänke zum Ausruhen.

 
     
 

Abb 4: Beispiele für Spiegelflächen, Perspektivenwechsel, Atrien, Warengänge, Brunnen und Bänke zum Ausruhen in kanadischen Malls

Je mehr Bedürfnisse in der Mall befriedigt werden können, desto länger bleiben die Besucher. Je länger sie bleiben, desto mehr entstehen auch Bedürfnisse nach Unterhaltung zusätzlich zum Shopping.
Und so verbringen immer mehr Menschen selbstverständlich einen großen Teil ihrer Zeit in diesen geschlossenen privaten ´öffentlichen´ Räumen, isoliert von Raum und Zeit und Klima.
Der Erfolg solcher Malls und Einkaufszentren kommt mit daher, daß hier das Management die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen neusten Erkenntnissen und Methoden von Immobilienmaklern, Finanz- und Marktanalysten, Ökonomen, Werbefachleuten, Architekten, Ingenieuren, Verkehrsplanern, Landschaftsplanern, Innenarchitekten und Sozialwissenschaftlern ermöglicht. Die privat geführten Unternehmen arbeiten ökonomisch, schnell und effektiv (vgl. Finn, A. 1986; Crawford, M. 1992) .

Shopping Malls, zunehmend auch in ihrer Kombination mit Vergnügungseinrichtungen sind spätestens seit der Wende nicht mehr ein nur nordamerikanisches Phänomen. Shopping Malls werden auch in Deutschland zur vertrauten alltäglichen Lebenswelt am Rande der Städte.
Wie beeinflussen sie das öffentliche und städtische Leben?
Die Vergleichbarkeit der USA mit europäischen Bedingungen ist vielfach in Frage gestellt oder zumindest problematisiert worden (vgl. Hassenpflug, D. 1998; Hoffman-Axthelm, D. 1992). Jedoch ist z.B. Kanada politisch, sozial, ökonomisch und kulturell nicht mit den USA gleichzusetzen und lebt doch ebenfalls seit Jahrzehnten selbstverständlich mit Malls. Kanada als junges Einwandererland, ohne jedoch ´melting pot´ sein zu wollen, ist dominiert durch die Extreme ihrer Metropolen im Süden und der räumlichen Weite und Natur im Norden. Vielleicht ist es einmal ganz interessant, kanadische Beispiele zu Rate zu ziehen. Zudem befindet sich in Edmonton, Kanada, die derzeit noch größte Mega Mall. Ihre Besitzer, die Brüder Ghermezian, betreiben in Minnesota ein vergleichbar großes Unternehmen und planen auch für die Zukunft auf diesem Sektor weitere Großprojekte, z.B. eine kleine Stadt für sich.

Wie wirkt sich die inzwischen mehrjährige Erfahrung mit verschiedenen Malltypen und -größen auf die Alltagserfahrung und auf die Vorstellung von städtischem Leben aus?
Am Beispiel eigener Untersuchungen in Edmonton im Sommer 1998 (dabei wurden Beobachtungen und freie Interviews innerhalb und außerhalb der West Edmonton Mall und anderen Malls durchgeführt) möchte ich die Auswirkungen von Shopping Malls und Vergnügungsparks für die Stadt und insbesondere für die Innenstadt genauer betrachten und auf dem Hintergrund der aktuellen Situation in Deutschland diskutieren.

3) Die West Edmonton Mall

Im Westen Kanada´s, inmitten der Provinz Alberta, gibt es die derzeit größte Shopping Mall mit Vergnügungspark, die ´West Edmonton Mall´ (WEM). Sie liegt etwa 9 km westlich des Geschäftszentrums der Stadt Edmonton, der nördlichsten Großstadt in Kanada.
1981 wurde der erste von drei Bauabschnitten unter Leitung des kanadischen Architekten Maurice Sunderland aus Calgary abgeschlossen, 1986 der dritte, und im Augenblick wird noch ein vierter Bauabschnitt begonnen. 1987 kamen dort täglich (die WEM hat an 365 Tagen im Jahr geöffnet) im Schnitt 45 000 Menschen zusammen (R.W. Consultants, 1987). Im Gegensatz zu saisonalen Themenparks oder punktuellen Weltausstellungen mit vergleichbaren Besuchermengen ist diese Mega Mall -wie Malls im allgemeinen- inzwischen Teil der alltäglichen Lebenswelt in Edmonton.

  Die Stadt Edmonton im Nordwesten der Prärieprovinz Alberta ist relativ jung, schnell gewachsen (inzwischen auf 635 000 Einwohnern in Edmonton Stadt) und weist eine moderne Aufteilung in Geschäfts- und Kulturzentrum, Wohngebiete, Versorgungsgebiete und Industriegebiete auf.
Das Klima in Edmonton ist extrem, mit warmen Sommern, kalten Wintern und schnellen Wetterumschwüngen innerhalb eines Tages. Da Edmonton von Prärie umgeben ist, gehören starke Winde zum Alltag. Somit bestimmt eine schützende Architektur vor Wind und Wetter entscheidend die Lebensqualität. Öl, Landwirtschaft und Viehzucht sind die Haupteinnahmequellen.

Abb 5: Die Lage von Edmonton in Nordamerika (Visitor Information, City of Edmonton 1998)

   

Billigbauweise ermöglicht einem hohen Anteil der Bevölkerung den Besitz eines Eigenheimes, wodurch sich die Vororte von anderen nordamerikanischen Städten kaum unterscheiden. Die nächste größere Stadt ist Calgary, mehrere hundert Kilometer südlich gelegen, ansonsten ist Edmonton räumlich isoliert und die Infrastruktur wird in Richtung Norden zunehmend schwächer. Somit bestimmt eine gute Versorgung mit unterschiedlichsten Kulturgütern und Produkten ebenfalls entscheidend die Lebensqualität. Das Bevölkerungsprofil ist zwar ethnisch durchmischt, jedoch im Gegensatz zu den klassischen Immigrationsstädten Toronto und Vancouver, v.a. mit europäischer Abstammung, d.h. Kanadaeinwanderern der inzwischen 2. oder sogar 3. Generation. Somit haben sich die meisten Familien inzwischen etabliert, ein ´kanadisches´ Leben aufgebaut und wollen selbstverständlich an den Produkten teilhaben. (Da fügt es sich gut, daß in der Provinz Alberta keine Mehrwertsteuer auf den Produkten liegt).

Die WEM ist nicht die einzige größere Mall in Edmonton, Edmonton ist flächendeckend mit Malls versehen. Das war vor 1981 so und auch heute wächst der Bestand an größeren und kleineren Einkaufszentren weiter an (City of Edmonton, 1988) .
Mit 483 000 qm erstreckt sich die WEM völlig überdacht in zwei und teilweise mehr Etagen über ein beachtliches Stück Land (ca. 8 Häuserblöcke lang und 3 Häuserblöcke breit), umgeben von zweistöckigen Parkmöglichkeiten für inzwischen ca. 20 000 Fahrzeuge. Die Höhe ist gerade so geplant, um z.B. eine Achterbahn mit dreifachem Louping, die größte Wasserrutschbahn der Welt oder ein Hotel mit 360 Zimmern zu beherbergen.

Die WEM enthält neben 3 größeren Warenhäusern (von denen in einem zukünftig ein IMAX Kino zu finden sein wird), über 800 Läden, 19 Kinos, 110 Eßgelegenheiten, ein Kasino, eine Bingo Halle, eine Kapelle, Bungy Jumping, ein Dinner Theater, Nachtklubs, einen Vergnügungspark ´Galaxyland´ mit verschiedenen Attraktionen und vielen Geschicklichkeitsspielen, einen Wasserpark im Miami Beach Ambiente, eine Eisbahn, geeignet für Eishockey-Spiele, eine Kopie des historischen Segelschiffes St. Maria, ein Unterwasserparadies mit echten Delphinen und falschen Haien und der Möglichkeit, diese Gewässer zu durchtauchen, sowie einer Kopie der Bourbon Street in New Orleans und dem Hotel ´Fantasyland´, deren Zimmer zu einem Drittel nach Themen ausgestattet sind. Die verschiedenen Anker und Attraktionen sind durch Einkaufsstraßen verknüpft, die wiederum im europäischen Stil kopiert sind.

 

Abb 7: Galaxyland, Rollercoaster und Geschicklichkeitsspiel, WEM  
Abb 8: St. Maria und Unterwasserabenteuer, WEM

 

Abb 9: Delphinshow, WEM  
Abb 10: Eisbahn, WEM

 

Abb 11: Europäische Boulevards, WEM   Abb 12: Fantasyland-Hotel, Themenzimmer Igloo, WEM (Fantasyland Hotel Werbebroschüre, 1998)

 

Abb 13: Wasser Park, Riesenrutschbahn, WEM   Abb 14: Wasser Park, , WEM

Hierüber ist schon einiges geschrieben worden und meist wurde diese Mega Mall sowohl in ihrem Konzept als auch in ihrer Erscheinung kritisiert.
Hopkins z.B. schreibt 1990 im Canadian Geographer, daß mit Hilfe der Strategie der Mallbetreiber, solche besetzten Symbole wie Florida Strände, europäische Boulevards, New Orleans Kneipen, chinesischen Pagoden etc. zu verwenden, ein Gefühl des ´elsewhere´, des ´wo-anders-seins´ erzeugt werden soll. Die reale Welt soll draußen bleiben und wie im Film soll man sich durch eine andere mythische Welt unbegrenzter Möglichkeiten bewegen können, ohne tatsächlich an diese erträumten Ort reisen zu müssen. Es geht nicht nur um das ´Shoppen´, sondern um das Erlebnis, an diesem Ort zu sein. Die Brüder Ghermezian haben es geschafft, aus verfügbaren positiv besetzten Settings so auszuwählen, daß diese mit dem weit verbreiteten Wissen und den Erwartungen auch einfacherer Bevölkerungsschichten übereinstimmt. Auch wenn nicht bei allen Settings ein Erkennen stattfindet, so findet dennoch jeder Besucher etwas.
Eine solche Vereinfachung stößt in intellektuelleren Kreisen auf Ablehnung. Die meisten Autoren beklagen sich, daß dieser Ort kaum zu ertragen wäre, weder ästhetisch noch psychisch. Die Kopien wären geschmacklos und das Bombardement mit unterschiedlichen Eindrücken würde einen förmlich erschlagen (vgl. dazu: Hopkins, J.S.P. 1990; Wawrowsky, H.G. 1990; Blomeyer, G.R. 1988; Wiebe, R. 1988; Hemmingway, P. 1986; Kowinski, W.S., 1986).

Die WEM ist von außen weder schön, noch sieht man ihr direkt an, was sich in ihr verbirgt. Im Vorbeifahren unterscheidet sie sich nicht von anderen Malls. Sicherlich verhindert eine großzügige Beschilderung, daß man sie übersieht. Auch sonst ist sie nachdrücklich vermarktet und man kann Edmonton nicht besuchen, ohne "die Mall" zu sehen: "The wonder of it all"! Das 8. Weltwunder! Entweder kommt man eben wegen jener Kuriosität oder man erfährt spätestens dort davon. 25 % des Verkaufsumsatzes in Edmonton und Umgebung gehen auf die WEM zurück (Government of Alberta, 1993).
Familien verbringen dort z.T. eine Woche ihrer Ferien, bevorzugt im Winter, wenn es draußen extrem kalt ist und Tagespässe für die Vergnügungsareale zu vergünstigten Tarifen, z.T. auch in Kombination mit Unterbringung im Fantasyland-Hotel, zu erhalten sind.

Die Edmontoner selbst haben zur WEM ein ambivalentes Verhältnis.
Die WEM zieht Touristen nach Edmonton wie nie zuvor und sie bietet Arbeitsplätze: 15 000 Personen werden in der Mall beschäftigt, 300 Personen sind für Reparaturen zuständig, 50 Sicherheitsbeamte, 300 sind im Hauptbüro und weitere 2000 in anderen Büros eingesetzt und die indirekten Arbeitsplätze durch die Mall werden auf 72 000 geschätzt (Government of Alberta, 1993). Für Schüler und Studenten ist die Arbeit in der WEM ein begehrter Job; ihnen macht der relativ laute Arbeitsplatz in den Vergnügungszonen nicht so viel aus und die Arbeitszeiten sind flexibel, so daß sie auch während der Schulzeit oder dem Studium dort arbeiten können. Eine der befragten Personen kann sogar eine kleine Karriere in der WEM aufweisen: von der Kassiererin über Ladenverkäuferin zur Personalabteilung. Für ältere Ungelernte oder ´frische´ Immigranten kommen v.a. Reinigungsaufgaben in Frage. Auch diese werden mit viel Lärm konfrontiert, und manche Angestellte sagte, daß ihr das nicht unbedingt gut tun würde, jedoch sei sie froh, überhaupt Arbeit zu haben. Grundsätzlich jedoch ist die Bezahlung recht gering. Z.B. war im August 1998 der am besten bezahlte freie Job die Animation von Besuchern und wurde mit 9 Can$ Brutto (ca. 10,80 DEM) in der Stunde entlohnt.

Auf der anderen Seite gab es in der Vergangenheit immer wieder Klagen: z.B. von Nachtklubbesitzern (Mayer 1987), trauernden Zurückgebliebenen eines Rollercoaster Unfalles (Edmonton Journal, 1988), Greenpeace (Edmonton Journal, 1988, Edmonton Journal, 1983), oder Gewerkschaften (Edmonton Journal, 1987).
Aktuell liegt eine Klage des Alberta Treasury Branch (ATB) vor, die anstrebt, der Triple Five Corporation der Ghermezians die Besitzrechte auf die WEM abzusprechen und daraufhin die WEM zu verkaufen. Die Ghermezians ihrerseits haben mit einer Gegenklage gedroht.
Der Hintergrund dazu: Die ATB verwaltet Gelder der Bewohner Albertas, indem sie Kredite an in Alberta ansässige oder anzusiedelnde Unternehmen vergibt. So auch an die Triple Five. Nun wird jedoch der Vertrag angefochten, wegen vermeintlich unlauterer Machenschaften und Bestechungen durch die Ghermezians zur Zeit der Vertragsabwicklung und wegen vermeintlich nicht nachgekommenen Instandhaltungsarbeiten laut Vertrag.
Die Ghermezians wiederum leugnen dies alles vollständig ab und werfen der ATB vor, daß sie interne Probleme auf dem Rücken der Triple Five und der WEM austragen und lösen wollen (The Edmonton Journal, 1998; the Edmonton Sun, 1998). Eine brisante Situation, bei der es um viel Geld (das Geld der Alberta Bürger) und die Besitzrechte auf die WEM geht. Es ist noch nichts entschieden. Klar wird hierbei jedoch, daß sich nicht nur der Clan der Ghermezians auf Grund ihrer ökonomischen Macht erlauben kann, Regeln zu überschreiten, sondern daß auch die öffentliche Hand die Bürger enttäuscht hat. Dies alles tut der WEM bislang nicht weh, es läuft ´business as usual´.

Der größte Vorwurf gegen die WEM ist sicherlich der, daß diese Mall dem Geschäftszentrum, der klassischen Downtown, den Rang abgelaufen hat. Sie bietet den Edmontonern und den Touristen das ganze Jahr über ein urbanes Ambiente mit internationalem Flair, wo man hingeht, um zu sehen und gesehen zu werden, Spaß zu haben und etwas besonderes zu kaufen. (Für die alltäglichen Dinge haben sich die anderen Malls weitgehend spezialisiert.)
Die Stadtverwaltung hat zunächst versucht, sämtlichen Entwicklungen in und um die WEM Widerstand zu leisten, ist jedoch gescheitert. (Den Ghermezians wird eine gehörige Portion Penetranz nachgesagt, bzw. würden sie das Wort "nein" nicht kennen). So hat sich der Stadtrat zumindest bemüht, ein alternatives Konzept für Downtown zu entwickeln. (Man sagt, auch dabei hätten sich die Ghermezians erfolgreich eingemischt).
Inzwischen ist das Stadtzentrum, bestehend aus Bürohochhäusern und Kultureinrichtungen, weitgehend durch ein sogenanntes
Pedway (Fußgänger)-System vernetzt, d.h. die einzelnen Gebäude dort sind in den ersten Etagen meist durch überdachte Fußgängerwege miteinander verbunden. Man kann so bei jedem Wetter und jeder Verkehrslage zu Fuß vom Klima unbelästigt von Gebäude zu Gebäude gelangen.

 

Abb 15: Downtown Edmonton, Pedway (Fußgänger-) System

Die oberen Etagen beherbergen Büros, die unteren 2 oder 3 Etagen sind City Malls mit Vergnügungsinputs, z.B. einem Minigolfplatz. Im Vergleich zu den anderen Malls der Stadt sind sie eher auf ein exklusiveres Geschäftspublikum eingestellt. Die akustische Berieselung ist dezenter, die Auslagen nicht so schrill.

 
Abb 16: Downtown Mall, Edmonton, mit Piano Musik   Abb 16: Downtown Mall, Edmonton, mit Minigolfplatz

Das Konzept scheint unter der Woche insoweit zu funktionieren, daß sich diejenigen, die in Downtown zu tun haben, gut und gerne dort aufhalten können, und daß auch Touristen einen neugierigen Blick nach Downtown werfen, bevor sie dann – nicht gelangweilt, aber auch nicht ausgefüllt – doch wieder in die WEM gehen.
Dieses zusätzliche Angebot, den Städtern bei jeder Wetterlage ein angenehmes Einkaufen und Flanieren im Zentrum zu ermöglichen, reicht nicht, um die Innenstadt tatsächlich mit städtischem Treiben zu beleben, "...und am Wochenende ist dort ohnehin nichts los" (Edmontoner Bürger).
Wenn man tagsüber 1 oder 2 Stunden Zeit hat, so einige Befragte, dann geht man in die WEM, "weil da was los ist und weil man da immer was machen kann" (Edmontoner Bürger).
Wenn man Lust auf Stadt hat, wenn man Lust hat, zu flanieren und sich für Geschenke inspirieren zu lassen, dann ist die WEM der richtige Ort. In Downtown wäre das theoretisch auch möglich, doch nicht so abwechslungsreich und aufregend. Wenn Gäste kommen, dann bringt oder schickt man sie in "die Mall". Will man schlendern und Leute sehen, dann geht man in "die Mall".
Man kann Besucher beobachten, die zunächst Vergnügungseinrichtungen aufsuchen und am Nachmittag doch noch – bei der Gelegenheit – durch die Läden schlendern.
Man kann mühelos eine Woche dort verbringen: ein Tag Vergnügungspark, ein Tag Wasser-Park, ein Tag Unterwasserwelt, ein Tag Shopping und Eislaufen, ein Tag Kasino und Bourbon Street...
Manche der Befragten in der WEM gaben an, daß sie gerade eine Woche Ferien haben und aus einer anderen kanadischen Provinz extra für die WEM nach Edmonton reisen, und dies nicht zum ersten Mal.
Großstadtleben wird von vielen Befragten als etwas für junge Leute, d.h. gleichbedeutend mit Nachtleben gesehen – und selbst das gibt es in der WEM (bis ca. 2 Uhr morgens) und wird einhellig gelobt.
Die Tatsache, daß die Mall Privatbesitz ist und private Sicherheitskräfte für Ordnung sorgen, interessiert keinen. "Hier gelten dieselben Regeln wie draußen: wer sich nicht benimmt, fliegt raus" (Mann in der WEM, ca. 35 Jahre).

Nebeneffekte von Mallaufenthalten gibt es für Besucher wie auch für die Angestellten.
Die beständige visuelle und akustische Stimulation stumpft langfristig die Sinne ab. Dies formuliert selbst eine Angestellte, als sie erklärt, wie sie es in diesem beständigen Lärmpegel aushalten kann. Die Mall strapaziert die Sinne, doch die Stimulation ist kontinuierlich, vorhersehbar und somit leichter zu kontrollieren. Im Gegensatz dazu: Vor einiger Zeit wurden Papageien in den Einkaufsstraßen aufgestellt, woraufhin sich die Ladenbesitzer wegen des penetranten spontanen (und unvorhersehbaren) Lärms beschwerten. Jetzt stehen die Papageien im Wasser-Park.
Bewußtheit über die permanente Berieselung erhält man v.a. dann, wenn man die Mall verläßt.
Ein langer Aufenthalt in solch künstlich belüfteten Räumen wirkt sich auf die Haut aus, d.h. der Bedarf an Cremes nimmt zu. Doch solche und ähnliche Nebeneffekte sind nicht spezifisch für die
WEM, sie gelten m.E. auch für andere Formen künstlicher Umwelten.

Die langen Fußwege, die man in der WEM zurücklegen muß/kann, können zwar ermüden – nicht zuletzt ist man dies in Edmonton kaum mehr gewohnt, weil praktisch alles bequem mit dem Auto zu erledigen ist- doch selbst dafür werden Scooter, d.h. fahrbare Sitze, angeboten, die man sich stunden- oder tageweise mieten kann – es wird an möglichst alles gedacht.
Abb 16: Scooterverleih (WEM)  

In Edmonton gibt es auch einen Straßenabschnitt, wo sich kunsthandwerkliche Läden und Cafes befinden - dies ist ´Scona´ – kurz für ´Strathcona´– ehemals ein eigenständiger Ort, bevor Edmonton zur Großstadt anwuchs. Politische Parolen oder zumindest ein spürbares Umweltbewußtsein ist dort zu finden, jedoch nicht in den Malls.
Andererseits finden sich dort weder viele Touristen noch viele Edmontoner; das Publikum ist studentisch, jung und relativ homogen. Neben den Läden und Cafes an der Straße gibt es in Durchmischung in den Seitenstraßen Wohnen. Nur in ´Scona´ sind mir in Edmonton Menschen aufgefallen, die auf den Gehwegen saßen.
Scona ist ein Ort für die Szene und eine Abwechslung zur Mall-Landschaft, aber keine echte städtische Alternative. Scona ist exotisch, weil es aus dem Rahmen fällt, aber nicht tragfähig für sich genommen.

Die West Edmonton Mall ist durch die Kombination von Vergnügen und Shopping in der Lage, ein Forum bzw. ein Zentrum für städtisches Leben abseits dem klassischen Stadtzentrum zu bieten. Für die Edmontoner ist es kein Ort für jeden Tag – wie z.B. ihre Mall für alltägliche Einkäufe nahe der Wohnung- dafür ist es zu sehr Spektakel.
Dennoch ist die WEM für viele ´Stadt´, sie steht mit für Edmonton.
Sie könnte zwar theoretisch überall sein, doch sie steht in Edmonton. Man findet dort neben den internationalen Anspielungen, Inszenierungen und Kopien auch regionale Symbole, welche die Identität der Edmontoner mit ´ihrer´ WEM stärken und diese Mega Mall in Edmonton lokal verankern.

Was kann man nun aus diesen Beobachtungen in Kanada für die Situation in Deutschland schließen?
Je attraktiver die Mall – z.B. durch die Kombination von Einkaufen und Unterhaltung –, desto länger die Mall-Zeit – 1960 waren es im Schnitt 20 min, heute sind es durchschnittlich ca. 3 Stunden- (Didion, J. 1979) und desto größer der Einfluß dieser Umwelt auf die Lebenswelt, und damit auf die Umweltwahrnehmung und das Selbstbild (vgl. Sommer, A. 1996a).
Die unmittelbare Erfahrungswelt ist somit dominiert durch Simulationen und Simulacren aller Art und dies wird zunehmend zur Alltagsrealität (vgl. dazu Baudrillard, J. 1995), die man selbstverständlich mit dem sozial relevanten Umfeld teilt. Dies bedeutet, daß andere Konzepte von Realität bzw. die Identität mit anderen Realitäten nachlassen und zunehmend bedeutungslos werden. Dem wird nichts entgegengesetzt, im Gegenteil: Die Eindrücke in den Malls und Vergnügungsparks sind kompatibel mit den Eindrücken aus dem Fernsehen und dem Surfen im Internet, d.h. der Versorgung mit Bildern, Eindrücken, Produkten und Informationen, je nach Wunsch und Bedarf.

Die derzeitigen und zukünftigen Umwelterfahrungen werden zunehmend bei jungen Menschen ein konsistentes Weltbild ergeben, welches suggeriert,
- daß fast alles bequem möglich und erreichbar ist,
- daß man optimal durch die unterschiedlichen privaten Anbieter versorgt wird
- daß für alles gesorgt wird
- daß Probleme und Sorgen nicht so wichtig sind und nicht so viel Raum einnehmen müssen
- daß man selbst in diesem `Schlaraffenland´ nur noch auswählen muß, was man gerne für sich hätte.
- daß man auf nichts verzichten muß.
- daß man optimierte Mensch-Umwelt-Schnittstellen erwarten kann und selbst dazu nichts beitragen muß, als diese zu nutzen.

´Sit back and relax. Enjoy your flight´. (Doch auch Flugzeuge stürzen ab).

4) Demokratie als Fluch oder als Chance?

Wenn anfangs gesagt wurde, daß das Stadtzentrum der Ort ist, wo das meiste Leben ist, und das meiste Leben dort ist, wo die entscheidenden Einflußfaktoren für das öffentliche Leben repräsentiert sind, dann kann man nicht umhin zuzugestehen, daß dies derzeit solche Phänomene sind, wie z.B. die WEM – und nicht die historische Innenstadt.
Wenn man satt und zufrieden ist, rücken politische Debatten und Veränderungswünsche in den Hintergrund bzw. richten sich auf die Dinge, welche die Welt zu bieten hat und an denen man bisher noch nicht bequem teilhaben kann.
Die Individualität bildet sich aus der Notwendigkeit, die permanente Stimulation zu verarbeiten und somit aus den Produkten und deren Image auszuwählen und gegenüber anderen Eindrücken, die einem nicht passen, mit Blasiertheit zu reagieren - Simmel revisited, sozusagen (Simmel, G. 1903).
Eine belebte Innenstadt als Ziel allein scheint nicht zu reichen. Das Ziel könnte verfehlt werden. Es könnte damit enden, daß die Innenstadt in Form einer Mega Mall belebt wird - Löst dies das eigentliche Problem bzw. macht es die Mega Mall besser, wenn sie statt an der Peripherie im historischen Zentrum zu finden ist (z.B. Potsdamer Platz, Berlin)?

Alarmierend bei den neuen städtischen Zentren scheint insbesondere die Tatsache, daß diese quasi ´öffentliche Räume´ schaffen, die zwar in vielerlei Hinsicht öffentlich erscheinen – sie sind frei zugänglich für alle, die konsumieren wollen und können-, aber nach tradierten Vorstellungen von öffentlichem Raum den Kriterien nicht ganz genügen: Sie sind rechtlich in Privatbesitz, die öffentliche Kontrolle ist drastisch eingeschränkt und es soll kein Podium für politische Versammlungen geschaffen werden (vgl. Carr, S., Francis, M., Rivlin, L. G. &. Stone, A. M. 1992). Diese ´privaten öffentlichen Räume´ garantieren jedoch weitgehend optimale Versorgung und potentielle Teilhabe an sämtlichen Produkten der Gesellschaft für alle Besucher. Man muß sich nur entscheiden und auswählen und partizipiert so auf Konsumebene. Die Betreiber haben an alles gedacht, haben ´alles unter Kontrolle´, wissen was für das mittlere Kundenprofil gut ist und passen sich beständig evtl. veränderten Wünschen an - sie handeln, sie befriedigen – Verzicht ist, wenn überhaupt, eine persönliche Entscheidung und keine offizielle Forderung.
So schaffen die Mallbetreiber, vergleichbar mit den feudalen Gutsbesitzern vergangener Zeiten, für ihre – in diesem Falle – Kunden eine möglichst optimale Versorgung – nicht aus ethischen oder humanistischen Zielsetzungen heraus, sondern aus rein ökonomischen.
Alarmierend also für die politisch Verantwortlichen, die sich ihrerseits mit demokratischen Entscheidungswegen konfrontiert sehen, die zäh und langwierig sein können.
Zielsetzungen müssen immer unterschiedlichsten – nicht nur ökonomischen – Ansprüchen genügen und werden ansonsten von Vertretern anderer Interessengruppen in Frage gestellt. Auf Grund knapper Kassen wird Verzicht gepredigt, die Hierarchie der Bürgerbedürfnisse und Notwendigkeiten ist schwerlich objektiv zu bewerten, es gibt immer Vertreter, die es besser zu wissen scheinen. In der Konkurrenz zu Zielfindung und Entscheidungsprozessen bei Betreibern von Einkaufszentren und Vergnügungsparks zeigt sich hier die Demokratie derzeit eher als Fluch. Dementsprechend häufen sich Umfrageergebnisse, in denen die allgemeine Systemverdrossenheit obenansteht, und andererseits feierliche Beschlüsse und verzweifelte Erklärungen kommunaler, nationaler und internationaler politischer Gruppierungen, die mehr Bürgernähe fordern.

Wenn es um die Frage der Revitalisierung von Innenstädten geht, werden Shopping Malls und Vergnügungseinrichtungen am Stadtrand generell als Gefahren und Konkurrenten für die traditionellen Zentren städtischen Lebens eingestuft. Aber beherbergt heute der Anspruch, belebte Innenstädte aufweisen zu können, nicht vielmehr den Wunsch nach Aufrechterhaltung demokratischer Strukturen – im Gegensatz zu eher patriarchalen, aber erfolgreichen Strukturen, z.B. des Mallmanagements-, in der Hoffnung, noch nicht zu spät zu kommen?

Sind in diesem Zusammenhang belebte Innenstädte nicht eher als ein Symbol zu verstehen für funktionierende demokratische Strukturen, für politische Öffentlichkeit und ein gesundes Gemeinwesen in Konkurrenz zu belebten Shopping Malls und Vergnügungseinrichtungen am Rande der Stadt, die wiederum als Symbol verstanden werden können für passive Versorgungshaltung, politisches Desinteresse und Abwendung von Umweltverantwortung?
Man experimentiert mit Konzepten, die ´neue-alte Urbanität´ schaffen wollen, man experimentiert mit unterschiedlichsten Bügerbeteiligungsverfahren, man versucht Elemente aus funktionierenden Städten zu kopieren – und man wartet noch immer auf den Effekt.
Ist jedoch der Wunsch nach belebten Innenstädten vielleicht schon obsolet und nicht mehr zeitgemäß? Entspricht doch das städtische Leben heute viel eher einer konsumorientierten und nicht mehr einer politischen Öffentlichkeit.
Und wäre denn eine gestylte re-vitalisierte historische Innenstadt letztlich nicht anders als eine Art Themenpark zu verstehen und zu bewerten?

Selbstverständlich lehnt man die Erscheinungen an den Stadträndern zumindest im intellektuellen und professionellen Diskurs ab. Man hofft einmal mehr auf Aufklärung, auf Verantwortlichkeit der Bürger auch in Bezug auf weiterreichende Umweltfragen, auf das demokratische Konzept, auf Partizipation am Gemeinwesen – und wendet dementsprechend zunehmend die unterschiedlichsten Verfahren an.
In den 70er Jahren wurde viel über politische Konsequenzen eines partizipatorischen Planungsansatzes geschrieben, doch dabei ist es im Wesentlichen auch geblieben. Dienel (1972) z.B. forderte bildungsplanerische Konsequenzen auf unterschiedlichen Ebenen, Joedicke (1969) und Throll (1980) machten sich Gedanken über die Einbettung entsprechender Ausbildungsinhalte in Planer- und Architektenausbildung, Dietze (1972) wies auf die unterschiedlichen Gefahren bzw. potentiellen Fehlfunktionen einer Institutionalisierung von Planung hin, Lauritzen (1972) betonte die Notwendigkeit aktiver und vielschichtiger Motivationsarbeit, Joerges (1972) wies auf das politische Dilemma hin, daß grundsätzlich partizipatorische Planung, soll sie denn nicht nur Entscheidungen festigen und vermarkten, politisch eher Unsicherheiten maximiert denn minimiert und somit grundsätzliche, paradigmatische Änderungen einfordert, usw.
Betrachtet man sich die Landschaft, so scheinen diese Autoren heute so aktuell wie damals. Der Boden für partizipatorische Planung wurde (noch) nicht entsprechend den Anregungen und Forderungen der genannten spezialisierten Autoren gelegt.
Vielleicht wäre es tatsächlich progressiv, dies in aller Konsequenz in Anbetracht eines neuen Jahrhunderts anzugehen und umzusetzen. Vielleicht wären dann belebte Innenstädte, symbolisch gesehen, wieder zeitgemäß?

Literaturangaben:

-Baudrillard, J. "Simulacra and Simulation", Michigan, 1995 (frz. Originalausgabe 1981).

-Blomeyer, G. R. "Myths of Malls and Men", Architect´s Journal, May 18, V. 187, no. 20, S. 38-45, 1988.

-Carr, S., Francis, M., Rivlin, L. G. &. Stone, A. M.. "Rights in Public Space" in: Public Space, Cambridge, 1992.

-City of Edmonton, "West Edmonton Mall: Facts and Figures", Edmonton, 1988.

-Crawford, M. " Warenwelten" in: Das Amerikanische Zeitalter, Arch +, 114/115, S. 73-80, 1992.

-Dienel, P. "Partizipation an Planungsprozessen - mögliche bildungsplanerische Konsequenzen", in: Mehr Demokratie im Städtebau, Hrsg: L. Lauritzen, Hannover, 1972.

-Dietze, P. "Institutionalisierung von Partizipation" in: Planung und Information - Planungstheorie, Hrsg: Fehl, Fester, Kuhnert; Bauwelt Fundamente, 1972.

-Didion, J. "On the Mall", New York, 1979.

-Finn, A. "The Mega Mall: A New Marketing Institution, A New Marketing Research Agenda?" Edmonton, 1986.

-Fowler, D. "Centerites" MA Thesis, McGill University, Montreal, 1988.

-Führ, E. "Modernisierung der Stadt. Über den Zusammenhang von Städtebau, Herrschaft und Alltagskultur...", Marburg 1989.

-Government of Alberta, "The Economic Impact of West Edmonton Mall", Edmonton, 1993.

-Gruen, V. "The Heart of our Cities", New York, 1964.

-Hassenpflug, D. "Atopien- die Herausforderung des Citytainment", Wolkenkuckucksheim, 3. Jg, Heft 1, /theoriederarchitektur/wolke/deu/Themen/themen981.html;1998.

-Hemingway, P. "The Joy of Kitsch", Canadian Architect, March, V. 31, No. 3, S. 33-35, 1986.

-Hoffmann-Axthelm, D. "Auf dem Weg zu einer neuen Stadt", in: Das Amerikanische Zeitalter, Arch +, 114/115, S. 73-80, 1992.

-Jacobs, J. "The Mall: An Attempted Escape from Everyday Life", Prospect Heights, 1984.

-Joedicke, J. "Zur Formalisierung von Planungsprozessen", in: Arbeitsberichte zur Planungsmethodik, Bd. 1, Hrsg. J. Joedicke, Stuttgart, 1969.

-Joerges, B. "Partizipatorische Planung"; in: Arbeitsberichte zur Planungsmethodik, Bd. 6, Hrsg. J. Joedicke, Stuttgart, 1972.

-Kowinski, W.S. "The Malling of America", New York, 1985.

-Kowinski, W.S. "Endless Summer at the Biggest Shopping Wonderland", Smithsonian, Dec., S.35-41, 1986.

-Lauritzen, L. "Planung und Planungskontrolle in der Demokratie", in: Mehr Demokratie im Städtebau, Hrsg: L. Lauritzen, Hannover, 1972.

-Mitchell, W.J., "City of Bits", Basel, 1996.

-Rötzer, F., "Die Telepolis", Berlin, 1995.

-Shields, R. "Social Spatialization and the Built Environment", Environment and Planning D: Society and Space. Bd. 7, S. 147-164, 1989.

-Simmel, G. "Die Großstadt und das Geistesleben" (1903) aus: Brücke und Tür; Essays des Philosophen zur Geschichte, Religion, Kunst und Gesellschaft, Hrsg.: M. Landmann, Stuttgart: 1957.

-Sommer, A. "Die Verantwortung der Architektur für die Verantwortungslosigkeit", Wolkenkuckucksheim, Jg. 1, Heft 1, /theoriederarchitektur/wolke/deu/Themen/thema196.html; 1996a.

-The Edmonton Journal: "Mall defends contacts of club kids", " West EdmontonMall claims $ 5,1 million in nightclub suit", "Union says mall staff signing up", 1987.

-The Edmonton Journal, "Parents sue Triple Five for $ 2M in deaths", 1988.

-The Edmonton Journal, "ATB goes after Mall"; "Shine some light on our political bank"; "Directive 26 gave ATB chief sweeping powers"; "Klein admitts involvement in Mal loans"; "Privatization led to bank´s action, says Ghermezian", 1998

-The Edmonton Sun, "The Bank vs. The Mall", 1998.

-Throll, M. "Gedanken zu einer Entwurfssoziologie", Der Architekt, S. 141ff, 1980.

-Wawrowsky, H. G., "Edmonton Mall überall?", Architekt, July-August, No. 7-8-, S. 343f., 1990.

-Wiebe, R., "Der Super-Hyper-Mega-Markt", Geo Spezial, S. 108-116, 1988.

 

Positionen Positions Pozicii