Wenden wir uns den Landschaften zu:
1
Regionale Landschaften sind in ihrer spezifischen Ausprägung zuerst
einmal Produkt einer vergangenen Epoche, historische Überreste. Ihre Buntheit und
Vielfalt, ihre Ausdifferenzierung und Spezialisierung sind von den Eigenarten einer
vergangenen landwirtschaftlichen Produktionsweise geprägt. Die Bindung an naturräumliche
Bedingungen und vor allem die Verhaftung der Menschen mit einem eng begrenzten Lebensort,
die starke Beschränkung aller kulturellen Kommunikation auf kleine Regionen führte zu
regionalen Kulturen, Gebräuchen, Siedlungsweisen und Landschaftsbildern. Kultur nahm
Naturcharakter an (SIEFERLE 1997). (1)
Nebenbemerkung: Naturschutz- und Landschaftsschutz befinden sich
demnach in dem Dilemma, Kulturpflege (Denkmalschutz vergangener Produktionsweisen)
betreiben zu müssen, um die Artenvielfalt dieser spezifischen Agrikulturlandschaft
erhalten zu können.
Und: Wird Natur durch den kulturellen Akt des Naturschutzes geformt, ist auch sie wieder
ein Kulturprodukt. (2)
2
Regional differenzierte Landschaften dieser Herkunft verschwinden
tendenziell. Sie sind bewahrte Relikte oder historische Folie, bewahren sich dank der
unendlichen Zähigkeit des Faktischen oder mit konservatorischen Anstrengungen. Heutige
landwirtschaftliche Produktion tendiert zur Nivellierung landschaftlicher Strukturen oder
zieht sich gar ganz aus minder ertragreichen Gebieten zurück. In Ballungsräumen
produziert sie nicht mehr die Landschaften, die gleichzeitig und quasi naturwüchsig dem
vielfältigen sozialen Gebrauch dienen könnten, der dort von Nöten wäre. Zunehmend
werden genuin städtische Nutzungen landschaftsprägend. Wenn wir von Stadt-Landschaften
sprechen, ist das in seiner Widersprüchlichkeit ein sehr treffender Begriff. Es gibt den
Unterschied zwischen Stadt und Land nicht mehr als sich bedingende gegensätzliche Pole.
Es gibt weite Gebiete mit einer grundsätzlichen Vermengung der Phänomene, die früher
einmal Stadt oder Land bedeuteten. Es entsteht eine schizophrene Situation: Von der
Gesellschaft genutzt und produziert wird eine Stadt-Landschaft, an der sie gleichzeitig
den Verlust vertrauter Bilder von Stadt und Land beklagt (gemäß dem Verständnis von
Land = Landschaft, die der Bauer produziert und in der der Städter sich ergeht und Natur
goutiert).
3
Der vertraute Objekt-Begriff von Landschaft verliert sich. Aber
erinnern wir uns: Landschaft als ästhetische Kategorie taucht in der Geschichte erst in
der Neuzeit auf, indem sie von einem unabhängigen Subjekt wahrgenommen werden konnte,
erst das reflektierende Subjekt kann sich ihrer inne werden. So läßt sich zum Beispiel
Enea Silvio Picolomini, der das mittelalterliche Dorf Corsignano in die Renaissance-Stadt
Pienza umgestaltete, über die Landschaft der Toskana aus, auf die sich der Palazzo mit
Loggien und Garten - sowie der Bischofsthron auf den Monte Amiati - orientiert:
"Rings um Siena lachten die Hügel im Schmuck ihrer Blätter und Blüten, und in
verschwenderischer Fülle ging auf den Äckern die Saat auf. Besonders das sienesische
Gebiet, das zunächst an die Stadt grenzt, ist von unbeschreiblich reizvollem Anblick.
Sanft ansteigende Hügel, die mit einheimischen Bäumen und Reben bepflanzt oder für das
Getreide bestellt sind, schauen auf die heitersten Täler herab, wo Saaten oder Wiesen
grünen und nie versiegende Bäche sich sprudelnd verteilen." (3)
In einem bestimmten Strang der Stadt-Landschafts-Diskussion wird dieser
wahrnehmungsorientierte Aspekt des Landschaftsbegriffs so weit verselbständigt, daß er
sich vom 'Objekt' unabhängig macht.
"Ist 'Landschaft' geographisch beschrieben als ein bestimmter Bereich mit einem
besonderen Erscheinungsbild, das ihn vom Umfeld abhebt - als Gegend in der Unterscheidung
vom Rest - so gehört zum Erkennen dieser Differenz ein diese Eigenschaften wahrnehmendes
Subjekt substantiell dazu. Also: ohne Wahrnehmung keine Landschaft. Sie ist ein
individuelles Konstrukt, ein kulturelles Identifikationssystem, ein
Wahrnehmungsmodell." (4)
Diese Haltung erlaubt, Stadt überhaupt als Landschaft zu begreifen, in der sich das
Subjekt auf eine ungebundene interpretierende Weise bewegt und neue ästhetische
Erfahrungen macht.
Stadt ist als Landschaft nur aus der Bewegung heraus zu erfahren, aus der Sicht des
Spaziergangers (siehe die Promenadologie von Lucius Burkhardt), des Wanderers, des
Flaneurs. Es gibt eine Stadt-Kulturgeschichte des Flaneurs, die mit der
Großstadt-Rezeption Anfang des Jahrhunderts angefangen hat, an die heute wieder
angeknüpft wird. (5)
"Im Erlebnis des Städtischen als Landschaft trifft der Wanderer den Flaneur, der
Spaziergänger den Nomaden, der Kletterer den Vagabund, ... Heute befinden wir uns
verstärkt auf der Suche nach Beschreibungsmodellen für die Stadt, in denen dem
Individuum eine zentrale Rolle zukommt. Der öffentliche Raum verändert sich ständig,
befindet sich im Fluß. In einer Aufhebung der festgelegten Orte wird der fließende Raum
als Planungsparadigma einer 'Stadtlandschaft' ersetzt durch die fließende Bewegung. Das
handelnde Individuum hat den fest definierten Freiraum (notwendigerweise)
überwunden." (6)
Hier begegnen wir einem Landschafts-Verständnis, das mit Strömungen
in der Architektur einhergeht, Aspekte von Landschaft strukturell zu begreifen und als
ästhetische Innovationsquelle für das architektonische Objekt zu gebrauchen. Eine
Renaissance von Landschaft in diesem erweiterten Sinne ist seit ein paar Jahren in der
Architektur- und Urbanismusdiskussion zu bemerken.
4
Kehren wir zurück zum 'Objekt'aspekt des Landschaftbegriffes, zu einem
Kern, der die Basis der traditionellen Scheidung von Stadt versus Lanschaft ausmachte.
Wenn wir anfänglich feststellten, daß Landschaft im Grunde Kulturcharakter hat, der in
der agrikulturellen Landschaft als naturhaft erlebt werden mußte, so können wir
Landschaft auch andersherum definieren, als den Ausschnitt von Kultur, in dem Natur
gewahr werden kann. Indem wir sie gewahr werden, gebrauchen wir wiederum eine
ästhetische Kategorie.
"Wie sehr der Begriff des Naturschönen in sich geschichtlich sich
verändert, zeigt am eindringlichsten sich daran, daß, wohl erst im Laufe des neunzehnten
Jahrhunderts, ein Bereich sich ihm eingegliedert hat, der als einer von Artefakten primär
für ihm entgegengesetzt gehalten werden muß, der der Kulturlandschaft. Geschichtliche
Gebilde, oftmals in Relation zu ihrer geographischen Umgebung, etwa auch ihr durch das
verwandte Steinmaterial ähnlich, werden als schön empfunden. In ihnen steht nicht, wie
in der Kunst, ein Formgesetz zentral, sie sind selten geplant, obwohl ihre Ordnung um den
Kern von Kirche oder Marktplartz im Effekt zuweilen auf etwas dergleichen herausläuft,
wie denn überhaupt ökonomisch-materielle Bedingungen zuzeiten Kunstformen aus sich
entlassen. Gewiß besitzen sie nicht den Charakter der Unberührbarkeit, der von der
gängigen Ansicht mit dem Naturschönen assoziiert wird. Den Kulturlandschaften hat die
Geschichte als ihr Ausdruck, historische Kontinuität als Form sich einprägt und
integriert sie dynamisch, wie es sonst bei Kunstwerken der Fall zu sein pflegt." (7)
Seit der Romantik läßt der Begriff des Naturschönen es zu (so sagt
Adorno in diesem Zitat), daß ein historischer Kirchturm, eine Wassermühle, eine
Burgruine etc. als Bestandteil der Natur, ihres außerhalb des menschlichen Willens
angesiedelten Werdens und Vergehens gelesen werden können. Die aktive, im Gebrauch und
Nutzen stehende Landschaft macht diesen Blick schwer, wenn nicht gar unmöglich. Die
Hochöfen von Thyssen in Duisburg konnten erst als Gebirge in einem Landschaftspark
naturiert werden, nachdem die Stahlindustrie endgültig historisch geworden war.
"Über lange Perioden steigerte sich das Gefühl des Naturschönen mit dem Leiden des
auf sich zurückgezogenen Subjekts an einer zugerichteten und veranstalteten Welt; es
trägt die Spur von Weltschmerz." (8) Immer noch ist das Gewahr-werden von Natur
heillos mit den kulturellen Konnotationen verknüpft, in die es historisch eingebunden
ist.
Seit Aristoteles verfügen wir über einen Naturbegriff, der für die alltägliche
Erfahrungswelt Gültigkeit hat:
Natur ist Physis - der Bereich des Menschen ist Thesis. Natur ist die vom Menschen
unabhängig bestehende, nicht auf seinen Eingriffen beruhende Welt. Sie ist reines
zweckfreies Hervorgehen. Jedes Element der Natur hat in sich selbst Anfang, Veränderung
und Bestand. In seinen natürlichen Lebensvollzügen gehört der Mensch zu dieser Welt.
Durch seine Handlungen schafft er eine Gegenwelt: Das Hergestellte, die in den Begriff
gefaßte Form, das Bezweckte. Natur ist das "Nicht Gemachte". Sie stellt dem
Menschen das "Andere" gegenüber.
Der Mensch braucht das Bewußtsein von dem "Anderen", um zu sich selbst zu
finden, um eine Identität herauszubilden. Es bleibt die Frage: Kann unsere Gesellschaft
dieses Grundthema von Landschaft - das Gegenwärtig-werden von Natur in ihrer kulturellen
Sublimierung - von der Fixierung auf traditionelle Landschaften mit ihren vertrauten
Bildern (in denen wie gesagt auch kulturelle Artefakte als Natur verstanden werden
konnten) befreien und es in den 'Neuen Landschaften' wiederfinden?
5
Die Neuen Landschaften gleichen sich tendenziell, Stadt-Landschaften
zeitgenössischer Prägung sind scheinbar beliebig austauschbar, die regionale
Differenzierung verschwindet. Sie haben die Konfrontation bzw. Identifikation mit der
Natur (das Aufscheinen von Natur) nicht mehr per se eingeschrieben, wie es bei
den traditionsverhafteten Resten der Agrikultur-Landschaften immer noch empfunden wird.
Auch dort, wo die Landschaftsproduktion wie zum Beispiel im Braunkohletagebau extrem
standortbedingt ist, eine Transformation natürlicher Ressourcen darstellt, wird sie als
Naturzerstörung und nicht als das Aufscheinen von Natur begriffen.
Landschaft kann heute nicht mehr nur als der Ausschnitt der Umwelt
definiert werden, der durch Landwirtschaft produziert wird. Längst haben sich
Landschaftspflege und Landwirtschaft professionell entkoppelt, auch wenn es an Modellen
nicht mangelt, sie wieder in eins zu bringen. In den uns hier interessierenden
Stadtregionen wird Landschaft so komplex produziert, daß dies kaum wieder zu entwirren
ist. Und auch wenn wir sie als die räumlichen Flicken der Regionen definieren, die nicht
im engeren Sinne bebaut sind, sondern in relativ direktem Sinne dem Reproduktionskreislauf
des Naturhaushaltes zur Verfügung stehen, so erlauben sie doch nie wieder eine isolierte,
dem Komplex des Urbanen entgegenstehende Betrachtungsweise.
Einerseits sind die Neuen Landschaften also Ergebnis einer komplexen
gesellschaftlichen Produktion, andererseits wirken sie auf uns seltsam uniform (so
verwendet Sieferle z.B. den Begriff der 'totalen Landschaft' im Gegensatz zur
'segmentierten Landschaft' der früheren Industrialisierung, die zuerst einmal die sowieso
schon vielfältige agrikulturelle Landschaft um weitere Extreme bereicherte). Ihre
kulturellen Bedingungen und ihre ökonomischen Triebkräfte unterscheiden nicht mehr
zwischen den Regionen. Die Globalisierung der Wirtschaft tendiert zur Vereinheitlichung
der von ihr erzeugten räumlichen Bilder.
Die zweite Quelle aktueller Raumproduktion: Das mobile moderne
Individuum produziert seinen optimalen Entfaltungsraum: die Stadt à la carte (9)
ohne Rücksicht auf Verluste für die Allgemeinheit oder andere Individuen. Auch dies ist
ein Prozeß, der einerseits zu einer Homogenisierung von Raumstrukturen führt (zu einem
Zustand der Entropie: größtmöglicher Abstand aller von allem), der aber andererseits
neue - von uns noch schwer zu deutende - Durchdringungen und Vernetzungen erzeugt. Der lokale
und individuelle Reiz der Neuen Landschaften liegt in der überraschenden Collage von
scheinbar banalen Tätigkeiten: Pommesbude neben Acker neben Flughafen.
6
Neue Landschaften entstehen.
Seit etwa 20 Jahren zeichnet sich in der ästhetischen Befassung ein
Paradigmenwechsel ab. Waren die ersten Publikationen noch als Anklage an die fordistische
Zurichtung der Stadt kommentiert, so transportierte die ästhetische Sprache der Bilder
doch eine andere Botschaft: rätselhaft und hintergründig, abstoßend faszinierend,
grotesk und ätzend witzig, gleichzeitig subversiv und borniert. (10)
Diese Landschaften sind voller Widersprüche, das macht sie spannend
und herausfordernd. Erst werden die neuen Phänomene registriert, der Blick wird
geschärft, die Verarbeitung findet nur im Subjekt statt. Eine Uminterpretation beginnt.
Dieser Prozeß wurde durch Film und Photographie eingeleitet (die Filme von Wim Wenders,
Road-Movies).
Seit wenigen Jahren geht die Interpretation weiter, ohne affirmativ oder resignativ zu
werden: Die Stadt-Landschaften sind die Städte unserer Epoche!
Jeweils verschiebt sich das authentisch Urbane auf die Zonen der Stadt, die wir den
"Niederlagen der Stadtplaner verdanken": (11) Waren es in der ersten
Jahrhunderthälfte die Vororte und Peripherien der Großstädte, so sind es heute die
Gebiete, bei denen wir uns noch scheuen, sie überhaupt Stadt zu nennen - die
eigenschaftlose Stadt, die vor lauter Banalität so offen ist, daß sie "einzelne
spezifische Situationen mit geradezu poetisch zugespitzter Intensität besitzt".
(12)
Wieder scheinen bildende Künstler wie Fischli + Weiss dies eher zu
spüren. (13) Dort - in der eigenschaftlosen Stadt - finden wir Situationen, die offen
sind für Interpretationen und offen für Veränderungen, mit neu zu entdeckenden
Atmosphären, unergründbaren Details, poetischen Überraschungen, semantisch unbesetzt
und unverbraucht. Das ungezähmte 'Andere' als Bedingung für Urbanität.
"Statt Ganzheit kann die Großstadt die Erfahrung von Differenz vermitteln. Die
Kraft, die die Stadt zu entfalten vermag, wenn sie die Menschen in dieser Weise neu
orientiert, erwächst aus ihrer Mannigfaltigkeit; im Angesicht der Unterschiede haben die
Menschen jedenfalls die Möglichkeit, aus sich herauszutreten." (14) Diese Erfahrung
von Differenz als genuinem Element von Urbanität (in diesem Zitat von R. Sennett
auf die soziale Vielfalt der Großstadt gemünzt) findet sich in jeder Epoche an anderen
Stellen der Stadt. Heute vielleicht am wenigsten da, wo Urbanität zu produzieren versucht
wird.
7
Mit großem planerischen Aufwand versucht man heute 'Urbanität' zu
produzieren: die Innenentwicklung der alten Kernstädte, die Konversion brachfallender
Nutzungen und die Pflege (bis hin zu Kosmetik) des Bestandes. Gleichzeitig haben sich die
ehemaligen Randzonen scheinbar naturwüchsig zum Hauptakteur beschleunigter Entwicklung
gemausert. Dort kollidiert der neue Typ Stadt mit den überkommenen kleinstädtischen und
den nur noch scheinbar dörflichen Strukturen. Der Städter, der seinem Auto sei Dank aufs
"Land" gezogen zu sein glaubte, wird in Kürze wieder von der Stadt eingeholt,
deren Bestandteil er immer war. So spannend diese "offene" Stadt sein mag, es
genügt nicht mehr, sich ihr nur beobachtend zuzuwenden. Indem die bildende Kunst die
ästhetische Borniertheit gesprengt hat, besteht eine Voraussetzung, daß in Folge die
planerischen Borniertheiten der Zunft gesprengt werden könnten.
Das traditionelle Repertoire der Regionalplanung, der
Landschaftsplanung und der Bauleitplaung greift zu kurz. Es gilt neue Instrumente der
planerischen Zuwendung für diese Stadt-Landschaften zu entwickeln. Als Stadt ohne
Eigenschaften, semantisch unbesetzt, ist sie für neue Sichtweisen und Interpretationen
offen. Sie müßte auch neuen Handlungsweisen und neuen planerischen Strategien offen
stehen. Neue Strategien, die ihr nicht ihr Potential austreiben, sondern es geschickt zu
nutzen wissen.
8
An diesem Punkt setzt als Strategie der Regionale Landschaftspark
an. Die Region Stuttgart steht stellvertretend für mehrere Regionen in Europa, die nach
vergleichbaren Wegen suchen, an ihrem Beispiel soll der Ansatz verfolgt werden. (15) Im
Gegensatz zur herkömmlichen Bedeutung des Wortes "Landschaftspark" - ist jetzt
ein Parktypus gemeint, der nicht wie ein Idealbild von Natur/Landschaft aussieht, sondern
der Landschaft ist, die zunehmend die Aufgaben eines Parks erfüllt. Beiden
Bedeutungen gemeinsam ist ein ästhetischer Blick.
Wo Baugebiete nur bedingt und eingeschränkt zur Erzeugung der Stadt
führen, die wir brauchen, wo sie beziehunglose private Territorien ausgrenzen, ist der
"Regionale Landschaftspark" eine Strategie, Landschaft als ein Element des
Urbanen einzusetzen. (Dahinter steht ein bestimmtes Verständnis von Urbanität: Stadt als
Raum der Möglichkeiten, als Raum der Konfrontation mit dem Fremden, Stadt als Toleranz
erzeugend, vor allem Stadt als Raum physischer und nicht nur medialer Öffentlichkeit.)
Die vorhin beschriebene 'reizvolle Collage' von Stadtfragmenten ist ohne
Landschafts-Fragmente nicht mehr zu denken.
Gebaute Räume werden zunehmend privatisiert. Landschaft bleibt
öffentlich zugänglich, eine europäische Tradition, die noch weitgehend ungebrochen ist.
Die Regionalpark-Projekte versuchen, diese Tatsache in den Dienst zu nehmen. Landschaft
wird vom individuellen Kontemplationsraum zum individuellen Erfahrungsraum und zum
Schauplatz einer urbanen Öffentlichkeit.
Landschaft in erster Linie könnte zur Unverwechselbarkeit der Regionen
beitragen. Das geschieht allerdings nicht mehr automatisch und umsonst. Es bedarf einer
gezielten Anstrengung, einer kulturellen Leistung der Gesellschaft, um die
Widersprüchlichkeit der Stadt-Landschaften ästhetisch zu formulieren und erfahrbar zu
machen, sie nicht nur zu interpretieren.
Damit wird regionale Landschaftsgestaltung zur urbanen
Entwicklungsstrategie. Wir sehen dies als ein spannendes Paradoxon und auch als ein
Experiment an: Mit Landschaft Stadt machen.
Landschaftspark Region Stuttgart
Der Landschaftpark Region Stuttgart arbeitet mit einem mehrschichtigen
Konzept, in der Hoffnung, damit in das komplexe Gefüge von Raumstruktur, Bedürfnissen
und Steuerungsmöglichkeiten einsteigen zu können. (16)
Wir nennen diese Ebenen: 1. das Netz, 2. die Parks, 3. Punkte, Linien, Orte.
Das Netz (Ebene 1)
Das Netz bietet den Raum für das Offene, für die Vielfältigkeit,
für das Diffuse und das Informelle. Dieser Denkansatz liegt in der Luft. Der begriffliche
Niederschlag in der Metapher des Netzes ist allgegenwärtig.
In einer überzeugenden Begriffsklärung wird das Wesen des Netzes von
Martin Burckhardt so dargestellt: "Ein Netz, in der ursprünglichen Bedeutung des
Wortes, ist ein Geflecht zusammengeknoteter, geflochtener Bänder, ein Maschenwerk. Ein
Netz besteht nicht aus mehreren Teilen, sondern es bildet einen Zusammenhang, es ist einfach.
Genaugenommen, seine Einfachheit besteht darin, daß es einfach kompliziert
ist, oder andersherum, daß seine "complexio", seine Verknüpfung in einer
einzigen Figur, in der Einfachheit des Netzes endet. Freilich ist dieser Zusammenhang,
für den das Netz - archetypisch - fast steht, nicht eigentlich als etwas Abgeschlossenes
zu nehmen. Denn das Netz als solches ist leer. Es ist dazu da, daß sich in ihm
etwas verfängt: verfänglicher Zusammenhang. Die ihm eingewobene Leere ist ein
konstitutives Moment seiner Funktion, es ist verfänglich nur in dem Maß, in dem es leer
ist. So paßt es sich der Kontur und der Bewegung dessen an, was sich in ihm
verfängt." (17)
Beim regionalen Landschaftspark wird der "verfängliche"
Zusammenhang wirksam, indem alles, was sich im Netz verfängt, damit in dessen Kontext
einbezogen wird. Dieser Kontext wiederum ist abhängig von der Textur, also
der Beschaffenheit des Gewebes, die es an den verschiedenen Stellen besitzt.
Eine Eigentümlichkeit dieses Gewebes ist seine Wirksamkeit auf zwei
verschiedenen Objektebenen: Die erste ist die von Wegen, Gewässern, Baumreihen,
Wiesenstreifen und gestalteten Einzelementen. Was sich in diesem Netz der ersten
Betrachtungsebene verfängt, sind z. B. die landwirtschaftlichen Flächen, welche damit im
Kontext des Netzes als Teile des Landschaftsparks erfahren werden.
Auf der zweiten Objektebene - der Metaebene des wesentlich groberen
Gewebes von Freiraumbändern zwischen den Ortschaften - sind es die Siedlungen, die sich
in diesem Netz verfangen und nun in dessen Kontext zu Bestandteilen einer
durchgrünten und als Landschaftspark erfahrbaren Stadt-Landschaft werden.
Der allgemeine Netzbegriff wird in unterschiedlicher Hinsicht konkret.
Wir unterscheiden vier Kategorien:
Den Aspekt der Ästhetik, den der Erholungs- und Aufenthaltsqualität (Aktivitäten und
Bewegung), den Aspekt der Ökologie (der Vernetzung von biologischen Lebensräumen) und
schließlich die Thematik von Umsetzung und Methodik der Planung.
Eine andere Ästhetik
Spätenstens seit Informel und Tachismus, den Drippings von Jackson
Pollock und Minimal Art kennen wir neben der Ästhetik der geordneten Komposition, der
prägnanten Gestalt und der erkennbaren Figur auch eine partikularistische Ästhetik der
Gewebe und der diffusen Verteilung. Deleuze und Guattari verwenden den Ausdruck glatter
Raum, um ein neues Denken in gestaltneutralen Strukturen von gegliederten Ordnungen im
gekerbten Raum zu unterscheiden. (18)
Die Empfänglichkeit für eine derart veränderte Ästhetik geht mit einer gewandelten
Lebensweise einher: Einem nomadischen Verhalten, das von Mobilität statt von
Ortsfestigkeit geprägt ist, einer anderen Art der Bewegung und des Umgangs mit der Stadt
und unserem Lebensraum generell, also vermutlich auch mit der Stadt-Landschaft.
Voraussetzung dafür, daß wir mit der Wahrnehmung von diffusen
Strukturen oder mit der Bewegung in ihnen mehr verbinden als die banale Alltagserfahrung
des ohnehin Bekannten, wäre aber
- eine ästhetische, d.h. nicht unbedingt auch räumliche Dichte dieser
Strukturen,
- eine Erfahrung von atmosphärischer Intensität trotz unbestimmter
Gestalt,
- das Vernehmen eines spezifischen Charakters trotz Flexibilität.
Wie läßt sich das Spezifische von Situationen auf der Grundlage des
Netzes herstellen? Es wird nicht durch gezielte Setzungen an bestimmten Stellen (das ist
das Thema der Komponente "Punkte, Linien, Orte") und nicht durch die Bildung von
prägnanten Raumfiguren (das ist die Aufgabe der Teilparks) erzielt, sondern eher durch
die Körnigkeit der verwendeten Mittel oder durch immer wiederkehrende Motive mit dem Ziel
einer diffusen, aber allgegenwärtigen intensiven Wirkung.
Aufenthalt und Bewegung
Gestalterische, landschaftsräumliche Qualität, die mit Vernetzung
erreicht werden kann, dient nicht nur der Herstellung einer "Parkgestalt", die
einer gewandelten Ästhetik entspricht, sondern auch der Überwindung von Barrieren und
Störungen durch Verknüpfung von Wegeverbindungen oder Bewegungsräumen, mit dem Ziel,
Landschaft als zusammenhängenden (Erholungs-) Raum zu erfahren, Landschaft als
Bewegungsraum dem Fußgänger zu öffnen (s.o. die Bemerkungen zur Stadt-Landschaft des
Flaneurs).
Das ökologische Netz
Während sich die ästhetische Thematik vorwiegend auf die Wahrnehmung
bezieht, Aufenthaltsqualität und Bewegung den Aspekt der Nutzung betreffen und die
Planungsmethodik auf die Umsetzung zielt, bildet das ökologische Netz gewissermaßen die
materielle Basis.
Biotopvernetzung und Gewässerverbund sind die wichtigsten Komponenten,
in denen das Netz sich materialisiert, der Kanon der klassischen Landschaftsplanung greift
eigentlich nur an dieser Stelle.
Auch hier gilt: Das Netz lehnt Hierarchie als Ordnungsstruktur ab. Es
gibt keine Haupt- und Nebenglieder, keine Ober- und Unterstrukturen, keine unwichtigen
Elemente. Stattdessen gilt das Prinzip der Konnexion, d. h. jeder Punkt steht zu jedem in
Beziehung.
Moderation
Die Verwendung des Begriffes Netz ist auch eine programmatische
Aussage im Sinne eines Netzwerks. Darunter ist das Zusammenwirken von unterschiedlichen
Maßnahmenträgern auf regionaler, kommunaler und standortbezogener Ebene zu verstehen.
Das Ziel der Planung ist nicht, eine bestimmte Netzgestalt zu erzielen,
sondern vor allem, dem Wachsen Spielräume zu verschaffen. Das Netz ist Wachstumsmodell,
nicht Darstellung eines angestrebten Endzustandes.
Die Parks (Ebene 2)
Das Verhältnis von Landschaft als Hintergrund und Stadt als Körper
(ein klassisches Figur-Grund-Thema) ist verloren gegangen, das haben wir als Voraussetzung
festgestellt. Im Ballungsraum der Region Stuttgart, ist Landschaft zu Zwischenräumen
geschrumpft, die in einigen Fällen Figurqualität vor dem Hintergrund eines diffusen
Siedlungsgemenges gewinnt. Das Figur-Grund-Schema ist nicht ganz suspendiert, es kann
umspringen. Teilweise sind Situationen entstanden, die Vexierbildern gleichen: Ob
Landschaft oder Bebauung zum Körper oder zum Hintergrund wird, hängt vom Standpunkt des
Betrachters ab.
Diese Landschaften bilden den klassisch flächenhaften Parktypus im
regionalen Maßstab, sie werden bisher als Teilparks oder als Kernflächen bezeichnet. Im
wesentlichen handelt es sich um drei Typen von Landschaft: Wälder, Versunkene Welten,
Felder.
Die Felder stellen die größte Herausforderung bei der
Umsetzung eines Landschaftspark-Konzeptes dar. Auf den fruchtbaren Lößböden stehen
Felder unvermittelt wie in Verteidigungsstellung den Siedlungsflächen gegenüber.
Zwischenräume fehlen, die Feldfluren müssen zunehmend Erholungsnutzung und
Ressourcenschutz in sich aufnehmen, und das bei sich verschärfendem wirtschaftlichen
Druck, dem die Landwirte ausgesetzt sind. Die Landwirtschaft prägt diese Naturräume seit
Jahrhunderten, nur über den Erhalt dieser Nutzung kann die charakteristische Weite der
Landschaft z.B. auf den Fildern erhalten werden. Das Problem (oder die Chance) des
Brachfallens von Flächen gibt es hier im Ballungsraum nicht. Die sehr hochwertigen Böden
in Verbindung mit der Marktnähe erlauben die Bewirtschaftung jedes Quadratmeters von
Boden.
Sicherung durch Gestaltung ist hier die notwendige Strategie, um den
Erhalt dieser Böden nicht nur dem schwindenden Berufsstand der Bauern zu überlassen. Und
es ist gleichzeitig die am meisten konfliktbehaftete Strategie, denn jede
Gestaltmaßnahme, die Fläche kostet, wird von der Landwirtschaft erst mal als eine
weitere Konkurenz angesehen und vehement abgelehnt. Die Landwirtschaft aus sich heraus
produziert monofunktional genutzte Areale, die hier nur deshalb noch mit vertrauten
ästhetischen Bildern belegt werden können, da extrem kleine Parzellen mit Gemüse den
Klischees einer bäuerlichen Kulturlandschaft sehr nahe kommen.
Diese Kernflächen des Landschaftsparks Region Stuttgart sind in der
Tendenz klassische Landschaftsparks, mit der allen Regionen gemeinsamen Suche nach
zeitgemäßen Ausdrucksformen. Die größte Gefahr besteht darin, sie zu neuen Stadtparks
durch zu designen, und so die Chance der Offenheit zunichte zu machen.
Hier könnten sich allerdings Zweifel an der Logik des Gesamtkonzepts
einstellen:
Kann man nach den in der Ebene des Netzes verarbeiteten Erkenntnissen (und den Thesen der
Einleitung) noch den Verlust der Stadt als Form beklagen und stattdessen die Landschaft
zum Statthalter einer verloren gegangenen Gestaltqualität unserer Umwelt machen? Sind
diese großflächigen Gestaltsetzungen nicht kontraproduktiv zu dem ersten Ansatz oder
sind sie nicht zumindest illusionär?
Wir denken, daß beide Ansätze nebeneinander Gültigkeit haben. Die
Idee des gekerbten Raumes steht neben dem glatten Raum des Netzes. Die Beliebigkeit wild
wuchernden Wachstums in der neuen Regionalstadt führt jedoch nicht automatisch zu einer
lebendigen Vielfältigkeit. Die Entwicklung könnte über räumliche Brüche und
Überraschungen als einem Zwischenstadium, das als belebend empfunden wird, zu einem
Zustand der Entropie führen, wo alles wieder gleich ist in seiner Ungleichzeitigkeit. Die
allgegenwärtige Gleichheit diffuser Strukturen führt verstärkt zu dem Bedürfnis nach
starken gestalterischen Setzungen als Komplementär. Es ist Landschaft, die uns die je
einmalige Situation einer Region vor Augen halten kann. Sie hat das Potential, in einer in
der Tendenz 'totalen Landschaft' eine Schicht des Besonderen und Spezifischen aufscheinen
zu lassen, mit Natur als dem Anderen zu konfrontieren, und zwar in einer kulturell
sublimierten Weise.
Punkte, Linien, Orte (Ebene 3)
Es wird unmöglich sein, das großangelegte Projekt eines Regionalen
Landschaftsparkes flächendeckend in absehbarer Zeit zu realisieren. Es geht ja nicht nur
darum, durch eine neue Benennung vorhandene Landschaftselemente umzudeuten, sondern es
sind tatsächliche Eingriffe und ein neues Umgehen mit der Landschaft angestrebt.
Startprojekte oder Initialaktionen können jedoch aus praktischen Gründen nur punktueller
Art sein. Sie müssen Orte besetzen, die so etwas wie eine strategische Position in der
Landschaft einnehmen.
Regionaler Landschaftspark konkurriert zwar einerseits mit privater
Flächennutzung muß aber ganz grundlegend auch mit dieser harmonieren. Folglich müssen
Eingriffe in diese Nutzungsstrukturen immer begrenzte sein: Einzelne Orte des Aufenthalts
sollen geschaffen werden oder Wege, die Verbindungen schaffen, oder Markierungen, die
einzelne Orte hervorheben.
Über diese eher instrumentelle Definition hinaus wird mit der
Park-Ebene der Orte ein grundsätzliches Anliegen verfolgt: Orte zu
festigen, entgegen der vorherrschenden Tendenz der Entstehung von Nicht-Orten, um
mit Marc Augé zu sprechen. (19)
Nun stehen diese beiden Kategorien nicht abstrakt nebeneinander,
sondern sie kollidieren in einem konkreten Raum. Und sie kollidieren mit Konflikt, nicht
nur weil die physische Fläche begrenzt und knapp ist, sondern auch deswegen, weil sie
verschiedene Interessen, Lebenswelten, Ökonomien und Menschen repräsentieren und
betreffen. Das heißt nicht, daß diese verschiedenen Welten nicht auch in einem Menschen
zusammentreffen können: Auch der Bewohner der Randgemeinde in der Region, der sich
vermeintlich aufs Land geflüchtet hat, benutzt die Autobahn und fliegt mit dem Flugzeug
in die Ferien.
Der regionale Landschaftspark verabschiedet sich von Idealplanungen und
arbeitet mit den Brüchen, Fragmenten und Widersprüchen der Realität. Es ist nicht so,
daß der Ort die Vergangenheit repräsentiert und zum Untergang verurteilt ist, und
mit dem Nicht-Ort ein Teil der Zukunft seine Fühler in die Gegenwart streckt.
Damit wäre die Wirklichkeit wieder zu einfach interpretiert, im Sinne einer vereinfachten
und unausweichlichen Linearität der Geschichte. Die Wirklichkeit ist widersprüchlich,
auch künftig. Der Landschaftspark wird sein Scherflein zu dieser Widersprüchlichkeit
beitragen. Er wird Bereiche der Natur in einer modernen Kommunikationslandschaft sichern.
Er wird die Widersprüche der Landschaft, das Aufeinanderprallen verschiedener Zeiten und
kultureller Modelle offen zeigen. Er wird diese sogar lustvoll inszenieren. Und er wird
neue Orte schaffen. Denn Ort ist nicht ein Relikt der Vergangenheit, sondern
entspricht einem tief verankertem Bedürfnis des Menschen als sozialem Wesen.
Dieser Begriff von Ort hat vorwiegend eine soziale und kulturelle
Konnotation. Es gilt, ihn für die Raumplanung und in Kategorien der
Landschaftsarchitektur zu konkretisieren. In ihrer Essenz repräsentiert aber diese
Planschicht (Punkte, Linien, Orte) den Ort als symbolisierten Raum.
Regionaler Landschaftspark als urbane Entwicklungsstrategie
Rekapitulieren wir noch einmal die entscheidenden Thesen des Konzepts.
Es weist auf der einen Seite Argumente auf, die vor dem Hintergrund der aktuellen
Stadt-Diskussion eher als traditionelle Komponenten von Urbanität erscheinen:
Öffentlichkeit. Gebaute Räume werden zunehmend privatisiert.
Landschaft bleibt öffentlich zugänglich. Die Regionalpark-Projekte versuchen diese
Tatsache in den Dienst zu nehmen. So wird auch hier Landschaft vom individuellen
Kontemplationsraum für die Begegnung mit der Natur zum bewußt als sozialem Ort geplanten
Park, für den Auftritt des Einzelnen in der Gemeinschaft, also zum Schauplatz einer
Öffentlichkeit. Öffentlichkeit, und nicht nur mediale Öffentlichkeit, ist die
Voraussetzung unseres Verständnisses von Urbanität.
Gestalt. Als Reaktion auf die eingangs benannte Enträumlichung
von Stadtentwicklung und regionaler Entwicklung wird der Versuch unternommen, in
ausgewählten Bereichen einer identifizierbaren räumlichen Gestalt zur Durchsetzung zu
verhelfen. Ihre Form wird aus der Landschaft heraus erzeugt. Die Kernflächen des Landschaftsparkes
Region Stuttgart könnten die Räume sein, über die sich die Region wieder spezifisch
definiert. Es ist hier in aller Munde, daß man Stuttgart wegen seiner schönen Landschaft
liebt, diese ist das Besondere. Von den architektonischen Großprojekten der letzten
Jahrzehnte läßt sich das nicht sagen.
Ort. Die großen architektonischen Projekte schaffen Nicht-Orte,
die Siedlungsgebiete werden austauschbar - nur die Landschaft hat noch das Potential, Ort
zu sein.
Das ist eine etwas gewagte These, die sich nur mit Anstand halten
läßt, wenn man den Begriff der Landschaft sehr großzügig faßt. Die Tätigkeiten,
Lebensvollzüge, Institutionen der Menschen müssen in den konkreten Raum integriert
werden, wenn sie mehr sein wollen als Transitposten der wirtschaftlich Erfolgreichen und
Verschleißposten einer Ökonomie, für die Fläche nur "Standort" bedeutet -
Standort als Rechengröße unter anderen, der abgestoßen wird, wenn er abgeschrieben ist.
Dem steht weiterhin das Bedürfnis gegenüber, sein Leben im konkreten Raum zu verorten.
Landschaft ist konkreter Raum mit unverwechselbaren Eigenschaften. Es geht um Höhe,
Länge, Breite, Relief und Neigung, Rauhigkeit, Klüftigkeit und Glätte, und auch um
Licht und Schatten, Wasser, Feuchte und Trockenheit, Staub und Sumpf, Feld und Baum,
Steinriegel und Wald, Weg und Rand - und um Geschichte, die in all dem zu Form geronnen
ist. Es ist alles das, was zu dem oft strapazierten Begriff des genius loci beiträgt.
Öffentlichkeit, Gestalt und Ort - es stellt sich die Frage: Ist auf
dieser Basis "Landschaft-Umbauen als urbanistisches Instrument" nicht der
Versuch, unser altes Verständnis von europäischer Stadt in neue Verhältnisse
hinüberzuretten?
Ist Stadt nicht mittlerweile durch die Folgen von Mobilität und
Telematik zu einem Thema geworden, das sich durch konkrete Räumlichkeit und Verortung gar
nicht mehr beschreiben und bearbeiten läßt? Das würde jedoch bedeuten, daß alles heute
an der Stadt neu und anders wäre. Daß der Mensch tatsächlich wieder zum Nomaden wird,
wie Flusser diagnostiziert hat, und daß Raum bedeutungslos werden wird, wie das Stichwort
Telepolis suggeriert. So sinnvoll solche diagnostischen Thesen sein mögen, um einen Trend
überhaupt erkennen zu können, so absurd ist die Ausschließlichkeit, mit der so
argumentiert wird. Der Mensch mit seinem Leib wird weiter ein sich räumlich definierendes
Wesen bleiben. Er wird weiter wohnen. Er wird weiter als soziales Wesen mit anderen
persönlich und materiell agieren. Stadt hat sich dafür als kulturelle und soziale
Maschine herausgebildet. Sie wird sich ändern. Aber sie muß nicht neu erfunden werden.
Vielleicht müssen sich die Mittel ändern, mit denen man Stadt
gestalten kann. Ein neues Instrument: zum Beispiel Landschaft. Denn damit können wir an
charakteristischen Merkmalen der heutigen Situation ansetzen. Wir können das spezifische
Potential einer mit Eigendynamik wuchernden Kulturlandschaft durch gleitende Intervention
für urbanistische Ziele nutzen.
Geschmeidigkeit. Im Landschaftspark Region Stuttgart ist
es die Ebene des Netzes, die die notwendige Geschmeidigkeit bietet, um unserem heutigen
Stadt-Typus gerecht zu werden. Landschaft - der Stadt bisher fremd, aber nun von ihr
vereinnahmt - wird als ihr Teil begriffen. Als ein Bestandteil von Stadt, der zu ihrer
Komplexität beiträgt. Das Netz bietet den Raum für das Offene, für die
Vielfältigkeit, für das Diffuse und das Informelle.
Geschmeidigkeit riskiert zwar - als bloßes Konzept verstanden -, für
eine Instrumentalisierung zu diffus zu bleiben und auf die Praktikabilität eines
Biotopverbundes heruntergespielt zu werden. Dennoch gilt es, der Fährte weiter zu folgen.
Vor allem liegt hier das spannende Experimentierfeld, neue ästhetische Mittel zu
entwickeln. Als Interaktionsmuster ermöglicht es die Integration von disparaten
Elementen, von solchen, die täglich unerwartet auftauchen, aber auch die von Gewachsenem
und von neuen Gestalten und Orten im traditionellen Sinn.
Kleine Eingriffe. Auch das Prinzip der punktuellen Maßnahmen an
ausgewählten Schlüsselstellen oder entlang von strategischen Linien ist Bestandteil
eines Konzepts der weichen Intervention. Der punktuelle Eingriff soll für ein Gebiet
keine eindeutigen und endgültigen Festlegungen treffen, vielmehr soll er Bezüge offen
halten. Auch er kann zwar im traditionellen Sinn zur stabilen Verortung dienen, aber kann
gleichzeitig vieldeutige Relationen aufspannen. Da wir uns unserer Sache nie ganz sicher
sein können, ist der sparsame Eingriff das adäquate Mittel für eine effektive, aber
reversible urbanistische Strategie.
Wir meinen, der Komplexität des Problems mit der Mehrschichtigkeit des
Konzeptes für den Landschaftspark Region Stuttgart gerecht zu werden. Wir wollen nicht
die eine Ebene des Konzeptes gegen die andere ausspielen. Nur in ihrer Summe taugen sie zu
einer Strategie, Strukturprobleme der heutigen Stadt mit der Thematisierung
der regionalen Landschaft zu behandeln.