Thema
5. Jg., Heft2
Dezember 2000

Christian Gänshirt

Entwerfen und Forschen

Architektur und die Idee der Universität

1. Einführung

Die vorliegende Arbeit stellt den Versuch eines Architekten dar, der Frage nachzugehen, welche Rolle Architekten in der Forschung übernehmen können, und vor allem ob und wie die chaotisch erscheinende Arbeit des Entwerfens zum Gegenstand wissenschaftlicher Forschung werden kann. Beim Versuch, diese Fragen aus unterschiedlichen Richtungen zu beleuchten, werden dem Leser Gedankensprünge zugemutet, die, so hoffe ich, zumindest in der Zusammenschau ein beziehungsreiches und zum weiteren Nachdenken anregendes Bild ergeben.

Die Tatsache, dass das Fachgebiet Architektur als vollwertige Fakultät an Universitäten vertreten ist, stellt im Verhältnis zur Geschichte dieser Institution ein Novum dar, dessen Bedeutung weder von den Architekten noch von der Universität bislang ausgelotet wurde. Erst etwa seit Mitte der achtziger Jahre wird Architektur an Universitäten gelehrt und bekam damit den Status einer vollwertigen Fakultät zugesprochen. Bis vor kurzem waren Kunstakademien, Ingenieurschulen, Fachhochschulen, Technische Hochschulen die Institutionen, an denen das Entwerfen und Bauen unterrichtet wurde. Um es dramatisch zu formulieren: Damit ist der seit der Antike von Architekten erhobene Anspruch umgesetzt, nicht nur als bessere Handwerker, Ingenieure und Künstler, sondern auch als Gelehrte und Wissenschaftler zu gelten.

Erstaunlicherweise können jedoch die Architekten, insbesondere diejenigen, die sich als Entwerfer verstehen, ihrem neuen Status wenig abgewinnen. Sie begegnen der Idee wissenschaftlicher Forschung mit Skepsis, zumal ein ihrer zentralen Kompetenz, dem Entwerfen und Bauen adäquater Wissenschaftsbegriff noch längst nicht etabliert ist. Als sogenannter "Entwurfsarchitekt" zu promovieren gilt als unüblich, um nicht zu sagen kontraproduktiv. Forschungsbedarf gäbe es zwar mehr als genug, aber was für Entwerfer und Entwurfslehrer wirklich zählt, sind gewonnene Wettbewerbe und realisierte Projekte.

Dies aus gutem Grund: ein Entwerfer, der seine Fähigkeiten nicht ständig trainiert, wird diese genauso schnell verlieren, wie ein Musiker, der – unvorstellbar – sein Instrument für einige Jahre beiseite stellt, um sich einer Forschungsarbeit zu widmen. Da viele der mentalen Prozesse beim Entwerfen (oder Musizieren oder bei jeder anderen kreativen Tätigkeit) unbewusst ablaufen und nur indirekt und in komplexen Zusammenhängen geübt werden können, kann eine Forschungstätigkeit nur bedingt die entwurflichen Fähigkeiten erweitern. Sie erzeugt ein Wissen, das von grundlegend anderer Kategorie ist als das an die Persönlichkeit gebundene Können des Entwerfers. Theoretisches Wissen und Handlungswissen sind nicht von gleicher Art (siehe Dörner 1989, S. 65), und das eine lässt sich oft nur unter großen Schwierigkeiten in das andere übertragen. Dieses "graue" Wissen, Dietrich Dörner spricht auch von "Eunuchenwissen" (a.a.O. S.304), kann zwar als Grundlage dienen, um über das Entwerfen zu reden, es kann, um einen Ausdruck von Karl Jaspers zu gebrauchen "mitteilbare, nachprüfbare, diskutierbare" (Saner 1970, S. 69) Erkenntnisse produzieren, die wiederum zur Basis einer Lehrtätigkeit werden können. Dennoch wird der Hinweis Egon Eiermanns, "wie wenig wissenschaftliche Leistung zu unserem Beruf im Grunde genommen notwendig ist im Verhältnis zu der menschlichen Grundhaltung, mit der dieser Beruf begonnen und beendet werden sollte" (Eiermann 1994, S. 39) auch weiterhin von jedem wissenschaftlich arbeitenden Architekten zu bedenken sein.

 

2. Die Unmündigkeit des Lehrers

Die Position eines Architekten an der Universität ist zunächst ebenso wie an allen anderen Architekturschulen die eines Lehrenden – und als solche von vorneherein eine problematische. In seinem 1965 entstandenen Vortrag "Tabus über den Lehrerberuf" stellt Adorno Hypothesen auf, die charakteristische Defizite des Lehrerdaseins deutlich werden lassen: "Unverkennbar besitzt der Lehrberuf, verglichen mit anderen akademischen Berufen wie dem des Juristen oder des Mediziners, ein gewisses Aroma des gesellschaftlich nicht ganz Vollgenommenen." (Adorno 1971, S. 71) "Unbewusst" mutmaßt Adorno weiter "werden Lehrer vielleicht (...) als eine Art von Krüppeln vorgestellt, als Menschen, die innerhalb des eigentlichen Lebens, des realen Reproduktionsprozesses der Gesellschaft keine Funktion haben" (a.a.O. S. 71).

Den Verdacht, Lehrer hätten nicht wirklich etwas zu sagen, äußert Gregory Bateson auf andere Weise: "Warum lehren die Schulen fast nichts über das Muster das verbindet? Ist es etwa so, das sich die Lehrer bewusst sind, den Makel des Todes zu tragen, der alles was sie berühren oder lehren wollen, in Geschmacklosigkeit verwandelt, und deshalb klugerweise nichts berühren oder lehren wollen, was für das wirkliche Leben von Bedeutung ist? Oder verhält es sich so, dass sie den Makel des Todes tragen, weil sie es nicht wagen, irgend etwas Lebenswichtiges zu lehren? Was ist los mit ihnen?" (Bateson 1979, S. 15)

Von diesem Odium ausgenommen sieht Adorno jedoch die Hochschullehrer: "Bezeichnend, dass die Lehrer, die in Deutschland am meisten Ansehen genießen, nämlich eben die akademischen, (...) wenigstens der Idee und der öffentlichen Vorstellung nach produktiv forschen, also nicht dem als sekundär und (...) scheinhaft verdächtigten pädagogischen Bereich fixiert sind" (Adorno 1971, S. 75). "Das Problem der immanenten Unwahrheit der Pädagogik ist wohl, dass die Sache, die man betreibt, auf die Rezipierenden zugeschnitten wird, keine rein sachliche Arbeit um der Sache willen ist." (a.a.O. S. 75). "Das Schulische (...) setzt sich anstelle der Realität, die es durch organisatorische Veranstaltungen sorgfältig von sich weghält." (a.a.O. S. 80). Er berichtet von einem Hochschullehrer, der feststellt, "er habe pädagogisch nur deshalb gewirkt, weil er niemals seine Studenten pädagogisch behandelt habe. Erfolg als akademischer Lehrer verdankt man offenbar der Abwesenheit einer jeden Berechnung auf Einflussnahme, dem Verzicht aufs Überreden." (a.a.O. S. 76)

Den Architekten gilt als Äquivalent des Forschens, als Nachweis der Glaubhaftigkeit und Relevanz ihrer Lehre das eigene Bauen - und nicht etwa das Entwerfen oder das Schreiben. Nach dem gebauten, und damit in konkreter Wirklichkeit nachgewiesenen Entwurf bemessen sich Rang und Ansehen der Hochschullehrer. Die Qualität einer Lehre entsteht jedoch – falls mehr als der Mythos der eigenen Genialität vermittelt werden soll – nicht nur aus der Qualität des Gebauten sondern ebenso aus der wissenschaftlichen Denkweise des Lehrenden. Diese ermöglicht ihm, sein implizites Handlungswissen in explizites theoretisches Wissen zu transformieren und damit vermittelbar zu machen. Die "Unmündigkeit" eines Architekturlehrers kann also eine zweifache sein: Die Qualität seiner Entwürfe nicht durch eigenes Bauen bewiesen zu haben, und die Qualität seiner Lehre nicht durch wissenschaftliches Arbeiten gesichert zu haben. Beides gilt es zu überwinden, denn "Die Forderung zur Mündigkeit scheint in einer Demokratie selbstverständlich." (Adorno 1971, S. 133).

 

3. Künstler, Wissenschaftler und Gelehrter

Eine vergleichbare Art von Unmündigkeit zu überwinden zählte zu den Zielen Leonardo da Vincis. Künstler und Architekten galten zu seiner Zeit kaum mehr als Handwerker, deren Status nicht mit dem eines Gelehrten zu vergleichen war. Leonardos Anspruch, als Gelehrter anerkannt zu sein, und nicht mehr nur als besserer Handwerker, als "huomo senza lettra" zu gelten, manifestiert sich nicht nur in seinen Bemühungen, im Alter von rund vierzig Jahren sich noch lateinische Sprache und damit die wissenschaftliche Literatur seiner Zeit zu erschließen, sondern auch in einer ausgedehnten wissenschaftlichen Tätigkeit, in der er die Grundlage seiner künstlerischen Arbeit sah. Seine Auffassung von Wissenschaft markiert die Wende zur "Neuen Wissenschaft", die nicht mehr nach überlieferten Autoritäten sondern nach konkreter Wirklichkeit fragt.

Damals "galt Wissenschaft als Privatsache von Sonderlingen, die sogar Schwarzer Magie verdächtigt wurden. (...) Individuelle Forschungs- und Experimentiertätigkeit galt, zumal wenn von öffentlichen Instituten wie der Universität (...) abgetrennt, als private Extravaganz." (Schumacher 1981, S. 41) Welchen Stellenwert sie in seiner Arbeit einnahm, verdeutlicht Joachim Schumachers Auffassung, "Leonardos Werkstatt und Produktionsweise könnte allenfalls ein Laboratorium heißen, in welchem Malerei fast eine Nebensache, seine Experimentalforschungen mit lauter Entwürfen und Modellen nicht nur geistig, sondern auch physisch einen großen Raum eingenommen haben müssen." (a.a.O. S. 40)

Der vielfach beklagten Zersplitterung nicht nur der Wissenschaften sondern der Berufswelt insgesamt in hoch spezialisierte und kaum noch kommunikationsfähige Einzeldisziplinen steht das Ideal des universal gebildeten und befähigten Humanisten gegenüber, wie es in der Renaissance von Persönlichkeiten wie Leonardo ausgeformt wurde. Die Verbindung von künstlerischer Arbeit, technischem und architektonischem Entwerfen und wissenschaftlicher Forschung wurde in der Person Leonardo da Vincis zu einer "Symbolfigur des modernen Menschen" (Mittelstrass 1994, S. 159), die heute neue Aktualität gewinnt. Als "Leonardo-Welt" bezeichnet Jürgen Mittelstrass sogar unsere Kultur insgesamt, und dies nicht ohne kritischen Unterton: "das ist die moderne Welt des homo faber, die sich Wissenschaft und Technik verdankt und die doch gleichzeitig beginnt, sich an die Stelle des Menschen zu setzen." (a.a.O. S. 32 f.)

Besonderes Interesse verdient heute der "projector" (Schumacher 1981, S. 41, S. 253 f.) Leonardo da Vinci bei Architekten, die sich trotz eines immer größer werdenden Spezialisierungsdrucks weiterhin als "Generalisten", als "Spezialisten der Nicht-Spezialisierung" (Álvaro Siza) verstehen. Als Linkshänder dem räumlichen, bildhaften, assoziativen und simultanen Denken zugeneigt, ist Leonardo erneut auf seine Vorbildfunktion zu prüfen. Architekten, die ihre Verantwortung für das Ganze nicht aufgeben wollen, können Leonardo und sein Werk befragen, wie sich Kunst und Technik, Architektur und Wissenschaft in Verbindung bringen lassen.

 

4. Entwicklung des Architekturunterrichts

Jeder Lehre wohnt eine Tendenz inne, einer prägnanteren Lehrbarkeit willen zu vereinfachen, zu verkürzen, in der Folge dogmatisch zu werden und schließlich nur noch "graues", abgestorbenes Wissen anzubieten. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, wie sehr ein Architekturlehrer wie Bernhard Hoesli es ablehnte, seine Lehre schriftlich zu fixieren, nicht aus der Sorge, nachgeahmt zu werden, sondern aus der tief empfundenen Notwendigkeit, lebendiges und aktuelles Wissen im persönlichen Dialog mit dem Lernenden vermitteln zu sollen. Verfolgt man die historische Entwicklung des Architekturunterrichts, wird deutlich, dass es immer wieder neue Ansätze gab, sich der Realität anzunähern. In der Regel waren es diese Versuche, aktuelle Kenntnisse und Arbeitsmethoden in die Lehre einzubeziehen, die langfristig zu den fruchtbarsten Impulsen für die Weiterentwicklung des Faches wurden. Hierzu zählen die englische Arts and Crafts Bewegung mit der Verbindung von Kunst und Handwerk, die über Poelzig und das Bauhaus bis heute wirksam ist. Der Wunsch, direkten und konkreten Bezug zur Wirklichkeit herzustellen war, von Poelzigs Rollenspielen bis zu den Materialstudien, die Moholy-Nagy am Bauhaus durchführte, Basis vieler Erneuerungen.

Architektur (oder besser das Bauen) wurde, um es verkürzt zu sagen, zuerst konkret auf der Baustelle gelehrt, dann in Büros, aus denen sich später Privatschulen entwickelten. Als Beispiel mag hier die aus Friedrich Weinbrenners Büro hervorgegangene Bauschule dienen, die zusammen mit der privaten Ingenieurschule Johann Gottfried Tullas zur Keimzelle der Karlsruher Polytechnischen Hochschule wurde. Die Ausbildung in Architekturbüros ist auch heute noch von großer Bedeutung, nicht zuletzt aufgrund der Praxisnähe und damit der überprüfbaren Resultate einer Arbeitsweise. Die Frage, die jeder Student stellt: "Ist das wahr, was ihr mich lehrt?" beantwortet sich von selbst, wenn das Ergebnis der Arbeit auf der Baustelle zu besichtigen ist. Namhafte Architekturbüros wie die Norman Foster Associates oder der "Renzo Piano Building-Workshop" werden nicht nur von Absolventen, sondern auch von den Büroinhabern als Ausbildungsstätten gesehen, Renzo Piano geht sogar soweit, Stipendien zu vergeben.

Im Zuge der Industrialisierung und der Aufklärung haben sich nach der Französischen Revolution zwei parallele Traditionen mit unterschiedlichen Schwerpunkten entwickelt, die jeweils mehr den künstlerischen oder mehr den ingenieurwissenschaftlichen Aspekten des Bauens Rechnung tragen. Die künstlerische Seite wurde von den Ateliers der École des Beaux Arts vertreten, die als Nachfolgeinstitution der Académie Royale d'Architecture 1793 in Paris gegründet wurde. Architektur wurde an dieser Institution als Kunst gelehrt, die Meisterschaft erfordert. Es existierte ein Lehrsystem mit dem einer Architektenpersönlichkeit zugeordnetem Atelier als einer verschworenen Gemeinschaft, deren Hierarchie von einem traditionellen Meister-Schüler-Verhältnis gekennzeichnet war: man könnte auch von einem mystifizierenden Personenkult sprechen. Diese Traditionslinie lässt sich über die Kunsthochschulen bis zu den "units" der Architectural Association unserer Tage weiterverfolgen.

Architektur wurde aber auch als Technik gelehrt, wird als solche der Wissenschaft und Forschung zugeordnet, eine Lehre, die den Prinzipien der Aufklärung, den "Neuen Wissenschaften", letzten Endes der modernen wissenschaftlichen Universität verpflichtet ist. Die entsprechende Institution nannte sich École Polytechnique, sie wurde 1794 nach der französischen Revolution mit dem Enthusiasmus der Aufklärung gegründet. Die Lehrer waren verpflichtet, ihre Lehre schriftlich niederzulegen und wissenschaftlich zu begründen (Pfammatter 1997, S. 47). Daraus entstanden unter anderem Jean-Nicolas-Louis Durands berühmte "Précis des leçons d'architecture données à l'École Polytechnique" (Paris 1802) deren großen Einfluss auf die Architektur zu Beginn des 19. Jhdts. Henry-Russel Hitchcock beschrieben hat (Hitchcock 1958, S. 47-72). Der Unterricht fand nicht mehr nur im Atelier, sondern in Hörsaal und Seminar statt, man ist bestrebt, die Lehre durch theoretisches Arbeiten zu untermauern. Dem Meister-Schüler Verhältnis der künstlerischen Ausbildung steht hier das sokratische Prinzip der wissenschaftlichen Forschung (siehe Jaspers 1946, S. 48) gegenüber.

Den damaligen Studenten war die Zweiteilung des Ausbildungssystems bewusst, und auch die Notwendigkeit, sich mit beiden Aspekten des Bauens intensiv zu beschäftigen. Viele haben sich in beiden Systemen ausgebildet (siehe Pfammatter 1997 S. 73 ff.) und teilweise auch in beiden Systemen gelehrt (beispielsweise Durand). Die nicht oder falsch verstandene Dichotomie der künstlerischen und der technisch-wissenschaftlichen Aspekte des Bauens führt bis heute zu Schwierigkeiten im Selbstverständnis der Architekten, bis hin zur Tatsache, dass als akademische Titel für Architekten nur Diplom-Ingenieur und Doktor-Ingenieur zur Verfügung stehen, worauf Ironimus mit dem Buchtitel "Architekten sind auch nur Künstler" geantwortet hat.

"Übersehen wird, dass auch naturwissenschaftliche, technische, ökonomische, politische und andere Rationalitäten in Wahrheit kulturelle Rationalitäten sind. Sie alle sind Teil der Kultur des Menschen, mit der dieser die Welt bewohnbar (und unbewohnbar) macht." (Mittelstrass 1994, S. 44) Architekten, die ihren Beruf ganzheitlich und nicht als Spezialisten auffassen, sehen sich dem Anspruch ausgesetzt, beiden Aspekten gleichermaßen gerecht zu werden.

Interessant mag in diesem Zusammenhang die Beobachtung sein, dass die École Polytechnique und ihre Nachfolgeinstitution École Centrale von Le Corbusier nie angegriffen worden sind - im Gegensatz zur École des Beaux Arts, gegen die er mit großem Eifer polemisierte. Sein Arbeiten mit den "tracés régulateurs" kann sogar als Weiterentwicklung von Durands Entwurfsmethode interpretiert werden. Auch von der Entwurfsweise Mies van der Rohes lässt sich über Karl Friedrich Schinkel vieles auf Durand zurückführen. Es wäre zu untersuchen, inwieweit das Streben nach Klarheit und Sachlichkeit der modernen Architektur genealogisch auf den strengen Geist der Neuen Wissenschaft zurückzuführen ist.

Das System der École Polytechnique wurde zuerst in Karlsruhe (1825), dann in Zürich (1855) aufgegriffen und weiterentwickelt. Diese Denktradition wurde von den Technischen Hochschulen weitergeführt, von denen die meisten in den vergangenen Jahren in Technische Universitäten bzw. Universitäten umgewandelt wurden. Man war zwar mit dem Prestigegewinn, den diese Bezeichnung mit sich brachte schnell zufrieden, eine Auseinandersetzung mit dem neuen Status fand meines Wissens jedoch kaum statt. Doch ist damit Leonardos Traum endlich in Erfüllung gegangen: Architektur ist als vollwertige Fakultät an der wissenschaftlichen Universität vertreten.

 

5. Die Idee der Universität

Aber was ist Universität? Ihr heutiges Zerrbild, die Massenuniversität beschreibt Jürgen Mittelstrass wie folgt: "Die deutschen Universitäten sind aus einer Humboldtschen Idylle, zu der nicht nur die Einheit von Forschung und Lehre, sondern auch Bildung durch Wissenschaft und Forschen in Einsamkeit und Freiheit gehörten in das schwere Wetter eines Ausbildungssystems geraten, das in aufgezwungener und eigener Maßlosigkeit alles, was sich einmal mit ihrer (idealistischen) Idee verband, zu verschlingen droht und ein Denken in Quantitäten alle Maßstäbe besetzt." (Mittelstrass 1994, S. 55)

Die Bedingungen der Massenuniversität, mit desorientierten und demotivierten Studenten und mit Professoren, die glauben, in anderthalb Tagen pro Woche ihre Lehrverpflichtungen erfüllen zu können, von qualifizierter Forschung ganz zu schweigen; mit Assistenten, denen zwar die Hauptlast der Lehre aufgebürdet aber kaum Mitspracherechte eingeräumt werden drohen den Blick auf das Wesen der Universität völlig zu verstellen. Gerade in dieser Situation scheint es wichtig, die der Universität zugrundeliegenden Ideen in Erinnerung zu rufen, zumal nicht zu übersehen ist, wie weit wir von ihrer Verwirklichung entfernt sind.

Für das Idealbild der Universität, das Karl Jaspers unter dem Titel "Die Idee der Universität" gezeichnet und an dem er Zeit seines Lebens theoretisch und praktisch gearbeitet hat, ist Wissenschaft der zentrale Begriff. Diese wird von ihm jedoch nicht als Selbstzweck aufgefasst: "Aufgabe der Universität ist die Wissenschaft. Aber Forschung und Lehre der Wissenschaft dienen der Bildung geistigen Lebens als Offenbarwerden der Wahrheit." (Jaspers 1946, S. 38) Grundlage dieses geistigen Lebens ist die Lehr- und Forschungsfreiheit, deren unverzichtbares Gegenstück die Lernfreiheit der Studenten bildet. Jaspers beschreibt als "das hohe und unaufgebbare Prinzip der Universität die Verbindung von Forschung und Lehre. (...) weil der Idee nach der beste Forscher zugleich der einzig gute Lehrer ist. (...) Nur wer selbst forscht, kann wesentlich lehren." (Jaspers 1946, S. 42) Wissenschaft, möchte ich hinzufügen, ermöglicht es, die zur Unverbindlichkeit und Unwirklichkeit neigende Watte-Welt der Universität, in der alles gesagt (und geschrieben und entworfen) werden kann und nichts getan werden muss, in der "harten Realität" zu verankern.

"Wissenschaft ist ihrem Sinne nach ein Ganzes. Mögen die Wissenschaften zerstreut entstehen und jederzeit auch zerfallen, sie suchen sich doch wieder im Kosmos der Wissenschaften. Die Universität ist gegliedert in einer Weise, die eine Repräsentation der Gesamtheit der Wissenschaften bedeutet." (Jaspers 1946, S. 38)

Während die Philosophie sich in einer Welt der Ideen jenseits der strengen Wissenschaften bewegt, kann die Architektur diesseits der Wissenschaft einen Beitrag dazu leisten, diese auf die konkrete Lebenswelt zu beziehen. Architektur ist nicht nur, wie Medizin oder Rechtswissenschaft auf den ganzen Menschen bezogen, sondern auch auf die Welt als Ganzes. Das von Le Corbusier formulierte Ideal der "Synthèse des Arts" kann somit erweitert werden zur "Synthèse des Arts et Sciences". Dies reflektiert die prinzipielle Offenheit nicht nur der modernen Wissenschaften sondern auch der modernen Kunst, ihr Ideal ist nicht mehr das hermetische Gesamtkunstwerk im Sinne des 19. Jahrhunderts sondern eine seit der Postmoderne zur Selbstverständlichkeit gewordene Pluralität und Transdisziplinarität.

Die Aufgabe der Architektur in der Universität kann es sein, die Gesamtheit der Wissenschaften nicht nur zu vervollständigen, sondern aus ihrer Perspektive über-haupt erst herzustellen. Architektur ist, im Gegensatz zur Philosophie der konkreten Wirklichkeit verpflichtet und somit in der Lage, im Spektrum der Fakultäten, oder wie Jaspers schreibt "im Kosmos der Wissenschaften" einen Gegenpol zu dieser zu bilden. Während jene die Ergebnisse wissenschaftlicher Arbeit aus theoretischer Sicht zusammenfasst und auswertet, kann die Architektur dieses Zusammenfassen und Auswerten im Hinblick auf konkrete Realisierung leisten, in ähnlicher Weise wie Physik oder Biologie dies für ihre Gebiete tun.

 

6. Das Prinzip Wissenschaft

Architekten verstehen sich in der Regel, auch wenn sie an einer Universität lehren, zunächst einmal nicht als Wissenschaftler. Doch allein schon die von René Descartes angegebene Motivation, "in der Erkenntnis fortzuschreiten" und "sich selbst zu unterrichten" (Descartes 1637, S. 45) sollte Grund genug sein, sich auf das Thema einzulassen. Wie weitgehend Wissenschaft zum tragenden Element unserer Kultur insgesamt geworden ist, dem wir allen technischen, medizinischen, ökonomischen, letzten Endes auch wesentlichen politischen und geistigen Fortschritt verdanken, ist den wenigsten bewusst. Definitionen gibt es mindestens so viele wie es Wissensgebiete gibt. Eine der konzisesten hat der Biologe Edward O. Wilson vorgeschlagen: "Wissenschaft ist das organisierte, systematische Unterfangen, Wissen über die Realität zusammenzutragen und es zu überprüfbaren Gesetzen und Prinzipien zu verdichten." (Wilson 1998, S. 73)

Den Mut, sich auf das neue Terrain vorzuwagen, mag die Erkenntnis vermitteln, "...dass wissenschaftliche Leistung ein Wissen darüber voraussetzt, was Wissenschaft ist. Dies heißt nicht, dass der Wissenschaftler vorab weiß, was Wissenschaft ist, und dann erst wissenschaftlich arbeitet. Wissenschaftliche Arbeit und Wissen um die Wissenschaft bringen sich gegenseitig hervor." Diese Sätze schreibt Hans Saner über Karl Jaspers, der mit seinem Werk "Allgemeine Psychopathologie" 1913 den Grundstein zur wissenschaftlichen Psychopathologie gelegt hat, ein Gebiet, das streng wissenschaftlicher Arbeit bis dahin als unzugänglich galt. (Saner 1970, S. 69)

Aus der Frage: "Was wollen wir wissen?" folgen fast von selbst die nächsten Fragen: Wie können wir dieses Wissen bekommen? Welche Quellen können wir zur Information heranziehen? Wie genau sind diese Informationen? Was sagen sie wirklich aus? Was folgt aus diesem Wissen? Die Antwort auf die große Frage "Was ist Wissenschaft?" ergibt sich letztendlich aus der Art und Weise, wie wir viele einzelne Fragen stellen und beantworten. Das Ideal wissenschaftlicher Tätigkeit mit Kriterien wie methodischer Strenge, Wiederholbarkeit, Berechenbarkeit, zwingender Allgemeingültigkeit wird von den Naturwissenschaften vorgestellt. Ein Ideal, das in anderen Wissensgebieten jedoch schnell an seine Grenzen stößt: "Es zeigt sich nun dabei, dass die Wissenschaft selber durch diese Kontrollmechanismen in den verschiedensten Bereichen so kastriert und so steril wird, dass sie gleichsam dessen bedarf, was sie selber verpönt, um sich überhaupt halten zu können." (Adorno 1971, S. 135)

Einen Weg, mit diesem Dilemma umzugehen, hat Gregory Bateson aufgezeigt: "Ich möchte hervorheben, dass immer dann, wenn wir uns rühmen, einen neueren, strengeren Weg des Denkens oder der Darstellung gefunden zu haben; wenn wir anfangen, zu stark auf 'Operationalismus', symbolische Logik oder irgendein anderes dieser sehr wesentlichen Systeme von Denkschienen zu pochen, etwas von der Fähigkeit einbüßen, neue Gedanken zu denken. Und wir verlieren natürlich ebenfalls etwas, wenn wir gegen die sterile Strenge formalen Denkens und formaler Darstellung rebellieren und unsere Ideen wild schweifen lassen. Nach meiner Ansicht kommen die Fortschritte im wissenschaftlichen Denken von einer Verbindung lockeren und strengen Denkens, und diese Kombination ist das wertvollste Werkzeug der Wissenschaft." (Bateson 1972, S. 116-117)

Daher ist von großer Bedeutung, "zu Wissen wie und in welchem Sinne und in welchen Grenzen man etwas weiß, und mit welchen Mitteln dieses Wissen erworben und begründet wird." (Karl Jaspers) Unabdingbare Basis wissenschaftlicher Arbeit ist es, sich über die Voraussetzungen eines Ansatzes Klarheit zu verschaffen, denn "Wissenschaft beweist nie irgend etwas", wie Gregory Bateson betont. (Bateson 1979, S. 37)

 

7. Entwerfen als Theorie des Konkreten

Das Bewusstsein von Vorrausetzungen schafft die Fähigkeit, diese in Frage zu stellen. Im "Buch der Unruhe", das Fernando Pessoa, der portugiesische Schriftsteller der Moderne, seinem Heteronym Bernardo Soares zuschreibt, taucht unvermittelt und ohne jeden weiteren Kommentar zwischen zwei längeren Textabschnitten ein Satzfragment auf, das lautet: "... o sagrado instinto de não ter teorias..." (Pessoa 1991, S. 77) "... der heilige Instinkt, keine Theorien zu haben..." - diese Worte evozieren die Idealvorstellung eines Künstlers (oder auch eines Wissenschaftlers), der sich ungeschützt der Ganzheit lebendiger Existenz aussetzt, im Versuch, Welt ohne den Filter theoretischer Kategorien in sich aufzunehmen. Damit ebnet sich Pessoa den Weg, eine neue Art von Fragen zu stellen, die ganze Abgründe von Möglichkeiten eröffnen: "Quantos sou? Quem é eu?" (Pessoa 1991, S. 62) "Wie viele bin ich? Wer ist Ich?"

Entwerfen heißt, sich einen Gegenstand auszudenken, ohne diesen schon als konkretes Objekt vor sich zu haben. Für Architekten ist es die gedankliche Vorbereitung des Bauens. Der Schwerpunkt der akademischen Ausbildung liegt aus naheliegenden Gründen auf dem Entwerfen, nicht auf dem Bauen. Das Entwerfen steht somit im Gegensatz zur künstlerischen Arbeit des Malers oder Bildhauers, ebenso wie zur Arbeitsweise der Handwerker, die in der Regel ihre Artefakte direkt manipulieren. Im Grunde genommen ist es eine Frage des Maßstabs und der Komplexität des herzustellenden Gegenstands. Objekte von kleinen, handlichen Ausmaßen lassen sich unmittelbar gestalten; größere Objekte müssen vor ihrer Realisierung entworfen werden: Gebäude, Maschinen, Wandgemälde, Stadterweiterungen.

Die Arbeit des Entwerfens besteht nicht nur aus der guten Idee, dem genialen Einfall, sondern aus der langwierigen Ausarbeitung dieser Ideen und Einfälle zum realisierbaren Entwurf. Zu dieser Arbeit gehören das Bilden von Varianten und Alternativen, das Abwägen der Möglichkeiten und Argumente, das Überprüfen durch Modelle und Berechnungen, das Darstellen der Konsequenzen einer Realisierung. Die Schmerzhaftigkeit des Entwurfsprozesses in Phasen, in denen die Lösung einer Aufgabe nicht in Sicht ist, ist für Außenstehende kaum nachvollziehbar, sowenig wie der Enthusiasmus, den eine vielversprechende Konzeption evozieren kann.

Um zu Pessoas "heiligem Instinkt" zurückzukehren: Karl Jaspers beschreibt den Menschen "als Existenz der aller Forschung unzugänglichen Freiheit." (Jaspers 1946, S. 50) Diese Freiheit manifestiert sich unter anderem im kreativen Akt des Entwerfens; Ziel einer Forschungsarbeit kann es sein, die Freiheit des Entwerfens zu beschreiben, in der Hoffnung sie damit zu erschließen, zugänglich und erfahrbar zu machen; es kann keinesfalls darum gehen, ihr das Korsett einer vordefinierten Methode anzulegen.

 

8. Das Entwerfen erforschen

In welcher Beziehung stehen Forschung und Entwerfen? Was kann Forschung für einen Entwerfer leisten? Oder bedeuten? Welchen Kategorien gehören diese Tätigkeiten an? In welcher Weise kann das Entwerfen Wissenschaftlichkeit für sich beanspruchen, und was daran bleibt Kunst? Beide Tätigkeiten erzeugen Wissen, allerdings von unterschiedlicher Kategorie. Das Entwerfen als "Mittel der Erkenntnis" (Luigi Snozzi) kann keinesfalls durch Forschung ersetzt werden, insbesondere die technisch-wissenschaftliche Forschung stellt jedoch einen Teil des Wissens zur Verfügung, das in einen Entwurf einfliest. Dazu gehört neben Informationen aus allen Lebensgebieten auch Wissen über die Tätigkeit des Entwerfens selbst. Das Entwerfen kann für sich Wissenschaftlichkeit nur insofern beanspruchen, als es sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse stützt, es selbst bleibt dem individuellen Können des Entwerfers überlassen, seiner Phantasie, seiner Kombinationsgabe, seinem Formgefühl.

Das Verhältnis von Entwerfen und Wissenschaft kann in Analogie zur Relation Medizin und Wissenschaft gesehen werden: die Praxis stützt sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse und Methoden, ist selbst aber keine Wissenschaft. Das Entwerfen ist keine Wissenschaft, sondern nutzt technisch-wissenschaftliche Erkenntnisse ebenso wie künstlerisches Können und Wissen. Das Entwerfen ist keine Wissenschaft, kann aber zum Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen werden.

Es gilt, einen Begriff von wissenschaftlicher Forschung entwickeln, der dem entwerfenden Architekten angemessen ist. (Der bauende Architekt nutzt vor allem ingenieurwissenschaftliche, organisatorische und juristische Kenntnisse, die hier außer Betracht bleiben können.) Die strenge naturwissenschaftliche Auffassung ist Architekten in einer Art und Weise unangemessen, dass sie im allgemeinen entweder auf Forschung ganz verzichten oder in benachbarte Gebiet wie baubezogene Ingenieurwissenschaften oder Baugeschichte ausweichen. Für das Entwerfen sind diese Arbeiten dann jedoch in der Regel so irrelevant, dass Egon Eiermann sie mit den Worten "Das ist nicht Wissenschaft, das ist Trübsinn" kommentiert hat. (Eiermann 1994, S. 92) Im selben Text betont er jedoch die Notwendigkeit architekturbezogener Forschung: "Hier gehören Institute eingerichtet, die in Zusammenfassung aller wissenschaftlichen Disziplinen Leitlinien und Grundsätze erarbeiten." (Eiermann 1994, S. 93)

Der klassische Ratschlag, der jedem Doktoranden zu Beginn seiner Arbeit mitgegeben wird: "Je begrenzter das Gebiet, desto besser kann man arbeiten und auf so sichererem Grund steht man." (Eco 1977, S. 22) ist für Architekten nicht fraglos zu akzeptieren. Sie sehen sich in ihrem Beruf vor der Aufgabe, viele Wissensgebiete zusammenzubringen, und ihre Qualifikation besteht gerade darin, nicht als Spezialist zu denken, sondern die Verantwortung für das Zusammenwirken der einzelnen Disziplinen (bzw. der auf der Baustelle immer zahlreicher werdenden Firmen) zu übernehmen. Dieses Zusammendenken der Disziplinen lässt sich mit der Vorgabe, sogenannte Übersichtsarbeiten möglichst zu meiden, monografisch zu arbeiten und sich ein möglichst enges und klar definiertes Gebiet zu wählen, nicht erreichen. "Das Problem ist nicht, dass unsere traditionellen Begriffe überholt sind, sondern, dass sie zu scharf sind. (...) Aus zwei komplementären Gründen: Erstens haben die zu begreifenden Phänomene die Tendenz, zwischen den definierten Begriffen zu entwischen. Und zweitens sind jene Phänomene die interessantesten, in denen sich die Bedeutungen mehrerer Begriffe scheiden." (Flusser 1998, S. 230)

Die Forschungsarbeit eines Architekten darf nicht die entwurfliche Praxis verdrängen, schon gar nicht für mehrere Jahre, sondern muss diese unterstützen. Das heißt, sie muss eher zusammenfassend und auswertend, generalisierend und aufs Ganze bezogen sein als detailliert, eher Unschärfe zulassen als den strengen Kriterien naturwissenschaftlicher Arbeit entsprechen. Um so wichtiger ist es, die Vorraussetzungen einer Forschungsarbeit so zu präzisieren, dass sie wissenschaftlichen Anforderungen genügt. Die Forschungsarbeit eines Architekten muss, um für das Entwerfen fruchtbar zu werden, eher auf die Zukunft ausgerichtet sein als auf die Baugeschichte. Sie kann theoriebildend das Entwerfen und die Entwurfslehre unterstützen, ein wesentliches Ziel wäre, implizites Handlungswissen vermittelbar zu machen. (...)

 

9. Der Beitrag der Architektur

Die eingangs getroffene Feststellung, Architektur sei endlich als Fakultät an der Universität vertreten, gibt Anlass zur Spekulation, warum dies gerade jetzt geschehen sein mag, und was denn umgekehrt gesehen die Universität sich von den Architekten versprechen mag. Was können wissenschaftlich arbeitende Architekten zur universitas beitragen? Welche von den Wissenschaften benötigten Qualifikationen können sie einbringen? Im Vorhergehenden habe ich bereits die Vermutung geäußert, Architektur könne diesseits der strengen Wissenschaften einen Beitrag dazu leisten, diese auf die konkrete Lebenswelt zu beziehen, somit eine auswertende und vermittelnde Funktion übernehmen.

Die Fähigkeit der Architekten, entwerfend und bauend unterschiedliche Disziplinen, unterschiedliche Maßstäbe und Betrachtungsebenen zusammenzubringen und zu integrieren, wird auch in den Wissenschaften mehr und mehr gefragt. Es geht, schreibt Jürgen Mittelstrass, der Wissenschaft nicht mehr nur darum, "zu erkennen, was die Welt im Innersten zusammenhält", sondern um die "nicht geringere und immer dringlichere Aufgabe, die Welt zusammenzuhalten." (Mittelstrass 1994, S. 32) "Damit wird die Transdisziplinarität zur eigentlichen Forschungsform. Die ist aber nur möglich, wo sich unterschiedliche Disziplinen unter dieser Forschungsform zusammenschließen, d.h. in der Universität." (a.a.O. S. 50)

Die Tektonik, die "Lehre vom harmonischen Zusammenfügen von Einzelteilen zu einem Ganzen" (Wahrig, Deutsches Wörterbuch 1986) bekommt, wenn man sie auf die Wissenschaft insgesamt bezieht, eine wesentlich erweiterte Bedeutung. Architekt zu sein heißt dann nicht mehr nur Baumeister, "Herrscher über die Zimmermänner",

sondern heißt zugleich Künstler, Ingenieur und Wissenschaftler zu sein als "Jemand der anfängt, Einzelteile zu einem harmonischen Ganzen zu fügen."

 

Literatur

ADORNO, THEODOR W.: Erziehung zur Mündigkeit. Vorträge und Gespräche mit Helmut Becker 1959-69, Herausgegeben von Gerd Kadelbach. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1971, zitiert nach der 16. Auflage 1999, S. 1-148

ARASSE, DANIEL: Leonardo da Vinci. Le rythme du monde. Paris 1997, deutsche Ausgabe Köln: DuMont, 1999, S.1-545

ARCUS. ARCHITEKTUR UND WISSENSCHAFT (Zeitschrift), Nr. 2: Wissenschaft – zum Verständnis eines Begriffs. Köln: Müller, 1988, S. 1-80

BATESON; GREGORY: Steps to an Ecology of Mind. San Francisco: Chandler, New York: Ballentine 1972, deutsche Ausgabe: Ökologie des Geistes. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1981, 7.Aufl. 1999, S. 1-675

BATESON; GREGORY: Mind and Nature. A Necessary Unity. New York: Dutton 1979, deutsche Ausgabe: Geist und Natur. Eine notwendige Einheit. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1987, 5. Aufl. 1997, S. 1-285

DESCARTES, RENÉ: Discours de la méthode pour bien conduire sa raison, et chercher la vérité dans les sciences. Leyden: Maire, 1637, zitiert nach der deutsch-französischen Ausgabe Hamburg: Meiner 1960, 2. verb. Auflage 1997, S. I-VIII und 1-165

DÖRNER, DIETRICH: Die Logik des Misslingens. Strategisches Denken in komplexen Situationen. Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt, 1989, 13. Auflage (Tb) 2000, S. 1-320

ECCLES, JOHN C.: The Understanding of the Brain. New York 1973, deutsche Ausgabe: Das Gehirn des Menschen. München: Piper 1975, 6. Auflage der durchgesehenen Neuausgabe, München: Piper 1990, S. 1-304

ECO, UMBERTO: Come si fa una tesi de laurea. Milano 1977, deutsche Ausgabe: Wie man eine wissenschaftliche Abschlussarbeit schreibt. 7. Auflage, Heidelberg: C.F. Müller, 1998, S. 1-271

EIERMANN, EGON: Briefe des Architekten: 1946-1970. Herausgegeben vom Institut für Baugeschichte der Universität Karlsruhe. Stuttgart: DVA, 1994, S. 1-256

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