6. Jg. , Heft 2 (Januar 2002)
"Fahrspaß und Formensprache"
Ein Blick über den Zaun
___Katja
Pahl

Dresden

Anlass

Dieser kleine Exkurs zum Thema „Formensprache“ ist eher zufällig entstanden. Auf der Suche nach bereits vorhandener Information oder Literatur zum Thema des Symposiums, habe ich zuerst im Internet recherchiert.

Sucht man dort mit der Suchmaschine Google nach Seiten, in denen der Begriff „Formensprache“ vorkommt, so findet man über 7.000 Seiten. Erstaunlicherweise befassen sich von den ersten zehn gefundenen Seiten fünf mit verschiedenen Automarken, der Rest behandelt Dachgauben, Hans Arp und den Zusammenhang von Bauhaus und Musik. Die Häufung zum Thema Auto lässt einen aufmerken und neugierig werden.

01pict.jpg (498769 Byte)

Detailliertere Ergebnisse ergab daraufhin die Suche nach der Kombination von „Auto“ und „Formensprache“, bei der man immerhin noch 404 Seiten findet.

Es handelt sich hier sowohl um Homepages der einzelnen Hersteller, auf denen die verschiedenen Modelle beschrieben und beworben werden, als auch um Testberichte oder Kritiken aus den entsprechenden Fach- und auch Boulevardblättern.

An Hand dieses Ergebnisses stellt sich die Frage, warum gerade in der Autoindustrie so oft, so selbstverständlich und auf allen Ebenen, vom Boulevardblatt bis zur Fachzeitschrift, der Begriff „Formensprache“ verwendet wird. Kann man von den finanz- und dadurch werbekräftigen Autoherstellern vielleicht lernen, wie man auch in der Architektur den Begriff und vor allem das Argument „Formensprache“ gezielter einsetzen und verwenden kann?

Dazu erst einmal ein Blick auf die „Einsatzgebiete“ von Formensprache in diesem Bereich. Bei der Durchsicht der Texte aus dem Internet ergeben sich zwei hauptsächliche Themenkreise, die ich im Folgenden näher beschreiben werde. Zum Einen werden die Form und die Formensprache als eigenständiges, von Funktion etc. unabhängiges Verkaufsargument verwendet, zum Anderen wird mit Hilfe der Formensprache ein Wiedererkennungswert der jeweiligen Marke geschaffen.

 

Formensprache als eigenständiges Verkaufsargument

Für die Autoindustrie scheint die „Formensprache“ ein wichtiges Verkaufsargument zu sein. Dies wird schon daran deutlich, dass der Begriff häufig bereits in den Überschriften der Artikel oder den Titeln der Homepages auftaucht. Von A wie Audi bis Z wie Opel Zafira argumentieren alle bekannten Hersteller mit dem Schlagwort. Es gibt offenbar kaum eine Marke, die sich nicht dieses Begriffs bedient.

In der Werbung ist Kommunikation und damit Sprache ein wichtiges Handwerkszeug. Es ist also vielleicht gar nicht so erstaunlich, dass gerade der Begriff Formensprache so gerne verwendet wird. Die Form des Wagens soll „sprechen“, das Image der Marke oder des jeweiligen Modells beschreiben.

So heißt es zum Beispiel bei Mercedes: „Die Gestaltung von Front und Heck drücken jugendliche Attraktivität und Charme aus.“ oder bei Seat: „Fahrspaß bei attraktiver und gewagter Formensprache. Das ist der neue Seat Arosa, die jugendlichste und vitalste Ausdrucksform.“ Und über den neuen Peugeot ist man sich sicher: „Die Ausstrahlung von Eleganz und die Formensprache werden ohne Nöte verstanden.“

02pict.jpg (188647 Byte)

03pict.jpg (399705 Byte)

Interessant ist, dass unabhängig von allen technischen Besonderheiten, Neuheiten und praktischen Vorteilen die immer auch sehr genau bis zum kleinsten Detail präsentiert werden, die jeweilige „Formensprache“, der erst mal kein direkter praktischer Nutzwert zugeordnet werden kann, als eigenständiges Qualitätsmerkmal dargestellt und ausführlich beschrieben wird. Nach Aussage von Designern ist die Form des Autos heute sogar oft das wichtigste Verkaufsargument, da kaum noch ein Kunde die Technik des Wagens begreift.

Teilweise wird versucht, dem Kunden zu erklären, aus welchen Elementen, Teilen oder Worten diese „Sprache“ besteht. So heißt es zum Beispiel bei Cadillac: „Das Design mit scharfen Linien, Kanten und reflektierenden Flächen wird unsere zukünftige Formensprache sein.“,

04pict.jpg (463352 Byte)

bei Opel: “Große gespannte Flächen werden beim Snowtrekker durch dynamische Linien wirkungsvoll akzentuiert. Klare grafische Elemente runden die zukunftsweisende Opel-eigene Formensprache ab.“ 

05pict.jpg (688008 Byte)

und bei Audi weniger konkret: „Die Formensprache des Viertürers mit zahlreichen runden Gestaltungselementen (...)“.

Formensprache ergibt sich also aus der Zusammenfügung bestimmter definierter Elemente oder Gestaltprinzipien.

Das Auge des Kunden wird bis zum kleinsten Detail der Formensprache gelenkt, bei Opel heißt es zum Beispiel: „Diese Formensprache zeigt sich in vielen Details, bis hin zum Reifenprofil der von Goodyear gelieferten Pneus.“ Es wird vermittelt, dass die jeweilige Formensprache aus vielen wichtigen, wohl überlegten und beachtenswerten Details besteht, die die ganze Form wiederum wertvoll machen.

Die Formensprache wird also von der gesamten Form und deren „Aussage“ bis hin zu ihren Teilen oder Details beschrieben und als Verkaufsargument verwendet.


Formensprache als Erkennungszeichen und Identifikationsmerkmal

Darüber hinaus scheint es wichtig zu sein, dass ein Bezug der Sprache zu Vergangenem besteht. In vielen Fällen wird betont, dass das neue Modell sich trotz Modernität in die bestehende firmeneigene Formensprache einreiht, so zum Beispiel bei Audi: „Die Formensprache des Viertürers mit zahlreichen runden Gestaltungselementen fügt sich nahtlos in die aktuelle Formensprache der Marke ein und setzt einen markanten optischen Akzent in der Mittelklasse.“

06pict.jpg (454392 Byte)

Oder es wird wie bei Fiat die bestehende Sprache weitergeführt: „Klare Linien prägen das neue Karosseriedesign, das die Formensprache des Vorgängers mit den hochgezogenen Heckleuchten konsequent weiterführt.“

Teilweise wird die direkte Vergangenheit übersprungen, und auf „legendäre“ Modelle, die in der Erinnerung der Kunden verankert sind, zurück gegriffen: „Mit seinen Anleihen an die Formensprache des legendären BMW 507 eroberte der knackige Zweisitzer die Herzen der Roadster-Fans im Sturm.“

07pict.jpg (144454 Byte)  

08pict.jpg (287650 Byte)

Es scheint sich bei der Modifizierung einer Formensprache immer um eine Gratwanderung zwischen „zu konservativ“ und „zu innovativ“ zu handeln. So gesteht der Entwicklungschef von BMW in einem Interview mit der Zeitschrift „auto, motor und sport“, dass die alte Formensprache von BMW „verbraucht“ sei.

Bei dieser Berücksichtigung der Vergangenheit und sehr vorsichtigen Modifizierung der „Sprache“ und damit des Erscheinungsbildes der Marke geht es natürlich darum, einen Wiedererkennungswert und gleichzeitig eine Identifikation des Kunden mit der Marke zu erreichen. „In jedem Lichtschalter muss der Kunde spüren: Das ist ein VW, das ist ein gutes Auto", sagt zum Beispiel der Designmanager von VW.

Das „Gefühl“ für das Modell und damit die Identifikation mit der Marke ist ein wichtiger zu umwerbender Faktor. Der neue Z9 von BMW wird als „High-Tech-“ und mindestens ebenso wichtig als „High-Emotion“-Sportgerät beschrieben. Bemerkenswert ist auch, dass es unterschiedliche Formensprachen für Männer und für Frauen zu geben scheint. Über den Alfa 147 1,6 TS heißt es zum Beispiel: „Dennoch: Wer ihn einmal gesehen hat, verliebt sich gleich in ihn. Vor allem Frauen fliegen auf den kleinen Italiener.“

09pict.jpg (279390 Byte)

Und der Chefdesigner von Volvo sagt: „Unser Ziel ist es, eine Formensprache zu entwickeln, die nicht Macho ist wie bei vielen anderen SUV Modellen dieses Segments.“

Formensprache wird also zum Einen als Erkennungsmerkmal für die gesamte Marke eingesetzt, zum Anderen soll die modifizierte Formensprache der einzelnen Modelle zur Identifikation verschiedener Käufergruppen mit dem jeweiligen  Auto beitragen.

Nach dieser Internet-Recherche lässt sich zusammenfassend feststellen, dass es zum Thema Auto überraschend viele, detaillierte und umfassende Berichte und Beschreibungen in den Bereichen Boulevardzeitung bis Fachzeitschrift gibt, in denen dem Käufer neben den wichtigen technischen Details ganz selbstverständlich auch die Formensprache der Fahrzeuge bis hin zum kleinsten Detail, dem Profil der Reifen oder den Fensterhebern zum Beispiel, beschrieben und erklärt wird.

Interessant ist es, dass der Betrachter und potenzielle Käufer für das Erkennen von Detailqualität und deren Wert, bis hin zur sorgfältigen Abstimmung des Details auf die gesamte Form, sensibilisiert wird.

Dadurch ergeben sich genauere Vergleichsmöglichkeiten mit den Konkurrenzmodellen und vielleicht die Fähigkeit, präziser und detaillierter eigene Wünsche und Vorstellungen zu formulieren.

Darüber hinaus könnte auch die  Einordnung der Form eines Automodells in die Formensprache der Marke Denkanstöße für den Bereich der Architektur bieten, in der es immer unter anderem darum geht, ein Objekt mit seiner Formensprache in einen Kontext einzufügen.

Inwieweit lässt sich also die Autoindustrie mit der Architektur vergleichen, welche Erkenntnisse lassen sich vielleicht übertragen?


Formensprache und Architektur

Mit dem Automarkt lässt sich im Baubereich vielleicht am ehesten das Marktsegment der Einfamilienhaus- / Fertighausanbieter vergleichen. Hier handelt es sich genau wie in der Autoindustrie um Firmen, die unter einem Markennamen verschiedene Modelle anbieten, und diese immer wieder, mit unterschiedlichen „Extras“ (wie es auch bei Autos der Fall ist), allerdings in geringerer Stückzahl, verkaufen. Die Käufer sind individuelle Personen, die das Gebäude selbst nutzen werden, die sehr viel Geld (weit mehr als für das Auto) dafür ausgeben, und eigentlich dementsprechend detailliert informiert und vor allem sensibilisiert werden sollten.


Formensprache als eigenständiges Verkaufsargument

Schaut man sich nun Homepages von den größeren Einfamilienhausanbietern an, so fällt auf, dass die Beschreibungen der Häuser sehr kurz ausfallen, es wird noch am ehesten auf die Grundriss-Situation eingegangen, ein, zwei Sätze zur Gestaltung, mehr ist selbst bei den großen, professionellen Anbietern nicht zu finden.

10pict.jpg (221335 Byte)  

Durch Bilder und Grundrisse wird versucht, ein plakatives Bild zu vermitteln. Es wird eher Lebensstil und Atmosphäre als tatsächliche Form oder Formensprache verkauft. Beim Kampa-Haus „Palais“ heißt es zum Beispiel: „Tief Luft holen. Den Arbeitsstress vergessen. Das Familienleben genießen. Mit Freunden entspannen. Aber auch für Geschäftspartner repräsentieren. Alles das ist ein Kampa-Palais. Ein Haus für eine Lebensphilosophie.“ oder: „Das Kampa-Palais ist die harmonische Abstimmung zwischen architektonischem Anspruch und persönlicher Lebensart.“ Alles, was zur Architektur gesagt wird, ist dann: „Große, bodentiefe Fensterflächen, dominante Erker und Dachgauben und das charakteristische Sichtmauerwerk sind äußerliche Merkmale eines Wohngefühls.“ Nichts zu Farbe, Material oder anderen Details.

11pict.jpg (198672 Byte)

Im Vergleich dazu noch einmal eine Detailbeschreibung von der Mercedes-Homepage. Dort heißt es über den Mercedes der A-Klasse: „Mit den vier Lamellen im Kühlergrill, den neuen Klarglas-Scheinwerfern und den noch dynamischer gestalteten Stoßfängern in Wagenfarbe zeigt die A-Klasse ihr neues, charismatisches Gesicht.“ Und das ist nur ein Ausschnitt aus einer längeren Beschreibung.

Der Kunde wird bei den Autos, wie schon gesagt, gerade durch diese Detailbeschreibungen geschult, genau hinzusehen, zu vergleichen und dadurch Detailqualität zu erkennen, eine Fähigkeit, die der Architekt bei Bauherren häufig vermisst. Jeder Autokäufer entscheidet sich für die Details seines Autos, z.B. Ledersitze, Alufelgen oder Wurzelholzarmaturen ganz bewusst, beim Haus scheint es eher egal zu sein, ob die Fensterrahmen aus Kunststoff oder Holz sind, wie viele Sprossen die Fenster haben, oder aus welchem Material die Dachrinne ist. Dort geht es vorrangig natürlich um die praktischen Belange: wie groß sind die Kinderzimmer, passt die Schrankwand ins Schlafzimmer, gibt es genug Abstellraum? Vielleicht sollte aber darüber hinaus auch im Bereich der Architektur mehr über Form und Formensprache geredet, und so wie es bei den Autos der Fall ist, und deren Wert unabhängig von allen praktischen und funktionalen Aspekten vermittelt werden. Durch Vermittlung von Formqualität bis ins Detail ließe sich ein besseres Bewusstsein für formale Qualität vermitteln, das durchaus verkaufsfördernd wirken könnte.

Diskussion über Form und Formensprache findet, wenn überhaupt, in Fachzeitschriften für Architekten statt, die von den Käufern und Nutzern der Gebäude meist nicht gelesen werden.

Im Bereich der Autos scheint das Thema momentan noch alltäglicher zu sein, es gibt sogar wöchentlich erscheinende Zeitschriften für Laien, wie zum Beispiel die „Auto Bild“, die sich sehr ausführlich auch mit der Form der Fahrzeuge befasst, und so den Wert von Form und Formensprache vermittelt.


Formensprache als Erkennungszeichen

Den Autoherstellern geht es natürlich auch darum, durch eine einheitliche Formensprache ihre Marke unverwechselbar zu machen, einen Wiedererkennungswert und eine Kundenbindung zu erreichen. Über die Form werden Emotion und Image verkauft.

Bei Häusern ist das vielleicht weniger wichtig, da die meisten Menschen sich im Leben nicht mehrere Häuser kaufen, also gar nicht vor der Frage stehen, sich wieder für die selbe oder eine andere Marke oder den einen oder anderen Architekten zu entscheiden.

Trotzdem gibt es natürlich einige Architekten, die in ihrer Arbeit eine Formensprache entwickelt haben, die eindeutig wieder erkennbar ist und wie ein Markenzeichen funktioniert. Ein Gebäude von Daniel Libeskind, Coop Himmelblau oder Frank Lloyd Wright kann man erkennen und dem Architekten zuordnen, dort wirkt die prägnante Formensprache wie ein Gütesiegel, ein Garant für Qualität, mit der sich eine Stadt auch gerne schmückt.

Die Einordnung in eine Formensprache, ihre vorsichtige Modifizierung und die Balance zwischen Konventionell und Innovativ könnte aber für Gebäude auch auf anderen Ebenen interessant sein.

Das was bei den Autos die Formensprache der Marke ist, könnte bei Gebäuden zum Beispiel die regionale Formensprache sein, in die sich das Haus einreiht, die modifiziert, verbessert, aber nicht komplett verworfen wird, die genau wie bei den Autos sich auf Bilder der Erinnerung bezieht und dadurch für den Betrachter vertraut erscheint. Schaut man sich derzeit entstehende Einfamilienhaussiedlungen an, so geschieht das Gegenteil: das Friesenhaus steht neben dem Schwedenhaus, die Blockhütte neben dem bayrischen Bauernhaus und das alles in Sachsen. 

Identifizierung mit einer regionaltypischen Formensprache ist bei den meisten Haus-Anbietern kein Thema. Eine Ausnahme bildet die Firma Bau-Fritz, ein Anbieter aus Süddeutschland, die „landschaftstypische Häuser“ anbietet. Dem Kunden wird plausibel erklärt, woran man sich bei der Gestaltung des Hauses orientiert hat, und welche Elemente modifiziert wurden.

12pict.jpg (552334 Byte)
13pict.jpg (380410 Byte)

Im kleineren Maßstab könnte es zum Beispiel auch die Formensprache einer Siedlung geben, in die sich das Haus vielleicht mit einigen Innovationen einreiht, Teil des Ganzen ist, aber doch einen eigenen Charakter hat.

 

Zusammenfassend kann man sagen, dass es aus dem Bereich der Automobilwerbung durchaus interessante Denkanstöße für den Baubereich gibt. Durch eine stärkere Sensibilisierung der Nutzer für Form und Detail könnte eventuell die Wertschätzung dieses neben allen funktionalen Belangen ja nicht unwesentlichen Teils von Architektur erhöht werden.

Und vielleicht ließe sich das Ungleichgewicht der Wertschätzung von Form beim Auto und beim Haus, das in dieser Audi-Werbung so plakativ dargestellt wird, dadurch mindern.

14pict.jpg (225492 Byte)

 


feedback