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Urban Bodies | |
7. Jg. , Heft 1, (September 2002 ) |
___Jürgen Hasse Frankfurt am Main |
Changierende
StadtLeiber
– Für die
strukturelle Erweiterung einer Kritik der Stadt – |
Der wissenschaftliche Diskurs über
die Zukunft unserer Städte füllt das Thema ‘von oben’ mit Inhalten. Die
Ausgangs- und Bezugspunkte des Denkens sind dabei Produkt theoretisch
spezialisierten Wissens
[1] eng
geschnittener Kompetenzfelder. Die Theorie-Baustelle »Stadt« ist ein luftiger
Ort – fern vom gelebten Leben im archaischen Stadtraum.
Die theoretischen Diskurse kranken
an ihrer Stärke – hoher thematischer Spezialisierung, gegenstandsbezogener
Segmentierung und begrifflichem Abstraktionismus. In ihrer jeweiligen Eigenständigkeit
begrenzen die verschiedenen Diskursbühnen eher je eigene Welten, als dass
zwischen ihnen kooperative Spiele gespielt würden. Die Komplexität der
theoretischen Binnenstrukturen drückt sich in einem differenzierten System
abstrakter Begriffe aus. Dennoch (oder deshalb) stoßen die disziplinären (bestenfalls
interdisziplinär organisierten) Diskurse nicht zu Krisen überwindenden
Strategien zukunftsweisender Stadtentwicklungen vor.
Die Krise der Stadt dokumentiert
auch eine Krise der Wissenschaften. Das theoretische Stadt-Denken des
Szientismus ist einer abstraktionistischen (wissenschaftssoziologisch auf
Distinktion und Geltung ausgerichteten) Reflexionskultur verpflichtet. Dessen
Stärke ist es nicht, sich unvoreingenommen der Praxis des Stadt-Lebens zuzuwenden.
Wissenschaftliches Mainstream-Denken wurzelt nicht im archaischen Boden
städtisch-chaotischen Treibens, sondern in den Höhen sprachlicher Denotationen.
So wird der theoretische Gegenstand ‘Stadt’ zu guten Teilen erst als das
konstruiert, als was er dann theoretisiert, analysiert, obduziert und
therapiert wird. Wo mit der Konstruktion des einen “Gegenstandes” dessen andere
Hälfte der methodologischen Analyse entzogen wird, kann diese rückseitige Gegenstandsgestalt
ihr unerkanntes Dasein fortführen. In der darin liegenden Komplementarität des
Hin- und Wegsehens schlummert gleichsam eine ontologische Differenz von
»Stadt«. Deren Spannungsverhältnis wird mir hier zum Anlass für den Gebrauch
einer Metapher sein, die auf die ‘andere’, lebendige Wirklichkeit der
Stadt aufmerksam machen soll, auf jene Seite der Stadt, die als Quellbereich
einer strukturell erweiterten Kritik der Stadt umrissen werden soll. Ich will
deshalb die Stadt der wissenschaftlichen Diskurse mit der gelebten, sinnlichen
und leiblichen Stadt konterkarieren.
Szientismus wie Planungswissenschaften
entwerfen die Stadt als Netz funktionierender Stätten. Selbst heimatspezifische
Beziehungen und symbolische Ortsbesetzungen (regionale/lokale Identifikation)
können so noch in Algorithmen gedacht werden. In den theoretischen
Stadtmodellen sind implizit administrative und juristifizierte Ordnungsstrukturen
geborgen. Die planungswissenschaftlich entworfene Stadt ist die sachgerecht
ent-sorgte und ent-störte Stadt. Zustandekommen wie diskursiver Gebrauch dieses
Stadt-Bildes und Stadt-Denkens ließe sich wissenschafts- und
zivilisationsgeschichtlich als kulturell imprägniertes Positiv entschlüsseln.
Ich will diesem Weg hier nicht nachgehen[2] und
anstatt dessen das zu diesem Bild gehörige Negativ in den Blick nehmen. Thema
ist dann nicht die gesäuberte und ordnungs- wie polizeibehördlich gesicherte
Stadt[3],
sondern deren strukturell Anderes: die sinnliche Stadt der verwehten Wege, die
Stadt mitsamt ihrem ganz normalen Schmutz, den das gelebte Leben im
öffentlichen Raum zurück lässt – eine Wirklichkeit, die als Erlebnis-Rückseite
der aufgehübschten Stadt nicht zufällig die Stadt der Poeten ist.[4]
Das System wissenschaftlichen
Stadt-Denkens hat in seinem Mainstream ein anthropologisches Leck. Als
paradigmatisch für den modernen sozialwissenschaftlichen Stadtdiskurs kann der
bekannte Aufsatz von Georg Simmel “die Großstädte
und das Geistesleben” gelten.[5] Darin
rückt Simmel die Subjektivität und das gefühlsmäßige Befinden des Städters zwar
in den Mittelpunkt seiner Ausführungen. Aber es ist eine geistige Ebene,
auf der er die Gefühle ansiedelt, um sie letztlich verstandesrational wieder
binden zu können. Gleichgültigkeit, Reserviertheit und Blasiertheit stellt
Simmel als eindeutig geistige Eigenschaften vor. Deshalb spricht er auch vom
“intellektualistischen Charakter des großstädtischen Seelenlebens”, von dem er
das kleinstädtische Seelenleben abhebt, “das vielmehr auf das Gemüt und
gefühlsmäßige Beziehungen gestellt ist.”[6] Die
Persönlichkeit des Großstädters ist auf Verstandesmäßigkeit gebaut! Die
Verschleierung gefühlsmäßiger Wurzeln in der Beziehung der Individuen zum
städtischen Leben wird bei Simmel mit Intellektualismus gleichgesetzt.
Die andere Seite der geistigen Verfasstheit
des Großstädters kommt in einer geisteswissenschaftlich-phänomenologischen
Diskussion dort zur Geltung, wo die Sprache auf städtische Atmosphären kommt.
Aufs Ganze der Stadtdiskurse bezogen, spielt dieser Strang allerdings
(bezeichnenderweise) nur eine periphere Rolle. Von Interesse sollen hier
zunächst solche Ansätze sein, in denen das Verständnis von Atmosphären
theoretisch explizit verankert wird. In diesen Fällen rückt die leibliche Dimension
situativen Raum- und Umwelterlebens und nicht die intellektualistische Verfasstheit
des Menschen in den Mittelpunkt.[7] Die
Perspektive ist nicht auf den intelligibel denkenden Menschen gerichtet,
sondern auf das Individuum im “gelebten Raum” der Stadt. Mit dem in der
Leib-Phänomenologie gründenden Atmosphären-Ansatz[8]
wird nicht die geistige Verfasstheit angesprochen, sondern die leibliche, durch
affektive Betroffenheit gekennzeichnete Befindlichkeit des Menschen in
Umgebungen. Die Differenz zum Mainstream der sozialwissenschaftlichen
Diskussion verläuft an jener imaginären Grenze, an der emotionales Befinden und
kognitiv bewusstes (potentiell bewusstes) Denken getrennt werden. Im
Unterschied zur geisteswissenschaftlich-phänomenologischen Debatte betrachtet
die konstruktivistische Sozialwissenschaft – ganz ähnlich wie schon Simmel – Gefühle
nämlich vornehmlich von der Seite ihrer schon vollzogenen Übersetzung ins
Sprachliche und Kognitive. Sie kommen dann theoretisch nicht als leiblich
einwurzelnde Gefühle zur Geltung, sondern werden via Akzeptanz, Toleranz oder
Ablehnung als kognitiv schon ‘veredelte’ Evaluationen erst thematisiert. In
dieser gleichsam ‘raffinierten’ Zustandsform von Gefühlen wird übersehen, dass
zum Beispiel gelingendes großstädtisches Zusammenleben angesichts kultureller
Differenz[9] eine
leiblich-gefühlsmäßige Einwilligung in ein Leben an den Grenzen zum
Anderen immer schon voraussetzt. Das heißt, dass dem Gebrauch kulturell
geregelter Symbole eine leiblich-emotionale Zustimmung oder Ablehnung mit dem
damit verbundenen Bedeutungshof entsprechender Wertungen voraus liegt.
Erst mit der Zuerkennung der
Bedeutung von Gefühlen im menschlichen Tun stellt sich in phänomenologischer
Perspektive die Frage nach der ontologischen Verortung der Atmosphären jenseits
kognitivistischer Modelle vom stets handelnden Menschen. Diese Frage
wird nicht einheitlich beantwortet. Hermann Schmitz verankert die Atmosphären
auf der Seite der Objekte. Sie entstehen für ihn da, wo die Dinge situativ zur
Erscheinung kommen.[10]
Schmitz geht davon aus, dass man in den Bann einer prädimensional ausgedehnten
Atmosphäre hineingeraten kann. Sie kann mit oder ohne emotionale Betroffenheit
gespürt werden, je nach stimmungsmäßiger Disposition. Nach diesem Verständnis
läge eine Atmosphäre gleichsam ‘über’ dem Ort ihres situativen
Entstehungsgeschehens.[11] Zu
einer nuanciert anderen Verortung der Atmosphären gelangt Gernot Böhme. Er betrachtet
sie als ein ‘Dazwischen’, das nicht ganz auf der Seite der erscheinenden Dinge
ist, aber auch nicht ganz auf der Seite der erlebenden Subjekte.[12] Mit
seiner ‘Zwischen’-Lösung umschifft er nicht zuletzt die schwer entscheidbare
ontologische Frage, wo Atmosphären ‘hingehören’.
Abgesehen von dieser Differenz,
erkennen Schmitz wie Böhme den Affektbeziehungen eine zentrale Rolle im
Atmosphären-Denken zu.[13]
Beachtung verdient dabei in der hier fokussierten Sicht das Medium, in dem eine
städtische Atmosphäre und damit ein für das Wohlbefinden eines Menschen bedeutsames
Moment zur Geltung kommt. Es ist nicht die (naturwissenschaftliche) Materialität
der Stadt und auch nicht die (sozialwissenschaftliche) geistig-kulturell-immaterielle
Dimension des “Städtischen”, es ist vielmehr die Leiblichkeit und damit eine
ganz archaisch anmutende Dimension menschlichen Naturseins.
1. Für ein erweitertes Stadt-Denken
– Körper » Symbol » Bedeutung » Befinden » Leib
Die Aufmerksamkeit für Atmosphären
drückt eine Sensibilität für die Lebendigkeit der Individuen im Raum der Stadt
aus. Der Begriff der Atmosphären erweist sich in der Debatte immaterieller
Dimensionen des Städtischen als eine in erkenntnistheoretischer wie empirischer
Hinsicht wichtige Kategorie. Atmosphären sind nicht Substanzen, nicht
Akzidenzien und ebenso wenig Inhärierendes. Sie sind weder allein materiell,
noch allein symbolisch zu erklären. Zwar kann man Atmosphären im handlungstheoretischen
Sinne “machen”. Aber die von Atmosphären ausgehenden Betroffenheiten lassen
sich nicht deshalb auch schon auf einer strukturell vergleichbaren (Handlungs-)
Ebene erklären. Atmosphären sind dort Gegenstand rationalistischer
Konstruktionen, wo sie zum Beispiel von Architekten zur Herstellung einer (auf
bestimmte Wirkungen abzielenden) Betroffenheit von einem situativen Erleben
entworfen werden.
Im Blick auf die sinnliche Stadt
will ich das Atmosphären-Konzept zum Anlass nehmen für eine Schärfung der
Aufmerksamkeit gegenüber dem Leben in der Stadt wie dem Leben der Stadt.
Das Konzept der Atmosphären soll aber in seinen ontologischen Begrenzungen überschritten
werden. Mein Ziel besteht darin, im »gelebten Raum« der Stadt das Konstrukt
eines Gemeinsamen zu begründen, in dem – für bestimmte Viertel oder
‘Gegenden’ – Bereiche des materiellen Stadtraums samt der darin körperhaften
und symbolisch aufgeladenen Dinge zusammen mit Atmosphären und dem leiblichen
Befinden der Stadtbewohner und -benutzer ontologisch nicht nebeneinander,
sondern ineinander liegen. Das kann nicht in der analytischen Trennung von
Dingen und Symbolen des Städtischen gelingen. Es bedarf vielmehr einer
Zusammenfügung, in der auch das Erscheinende und Befindliche seinen Platz hat.
Dazu eignet sich der Begriff der Atmosphären nur bedingt. In phänomenologischer
Sicht tendiert er mehr zur Seite der Objekte als zu der der Subjekte; in
konstruktivistischer Sicht sind Atmosphären auf der Seite der gesellschaftlich
konstruierten Subjekte. Ich werde die Metapher »changierender StadtLeiber«
einführen, um die materielle Stadt einschließlich der auf sie bezogenen
Symbolsysteme im praktischen Leben und leiblichen Erleben der Stadt zu einer Einheit
zu bringen, um Stadt aus diesem Bild als integrale Erlebnisganzheit zu denken
und zu kritisieren.
Zunächst ist eine Skizze des
Leib-Begriffes nötig, die von der Perspektive des erlebenden Menschen ausgeht.
Im Anschluss werde ich der Frage nachgehen, inwieweit sich der Leib-Begriff
auch auf Gegenstandsbereiche anwenden lässt, die nicht zu den leiblichen Wesen
im engeren Sinne (also Menschen und solchen Tieren, die zu Affekten fähig sind)
gehören. Der Begriff des Leibes soll sodann in einem weiteren Sinne entfaltet
und auf ein Verständnis der Stadt als gelebtem Raum angewandt werden.[14] Es
wird sich schließlich zeigen, inwieweit in diesem Konzept der Leiblichkeit der
ontologische Kern eines transversalen Begriffes im theoretischen Stadtdiskurs
angelegt werden kann.
2.
Die Leiblichkeit des Menschen als Brücke zu einem erweiterten Stadt-Verständnis
Städte sind nicht nur physische und
symbolische, sondern auch emotionale Räume. Alexander Mitscherlich merkte in
seinem bekannten Essay über “die Unwirtlichkeit unserer Städte” an: “Die Stadt
ist ein bemerkenswertes Unikum zwischen Landschaft, Natur und einem Gebilde,
das man auf eine menschenähnliche Weise liebt.”[15] Und
er ergänzt, dass eine “Flucht in Raumästhetik ... die fehlenden menschlichen
Affektbeziehungen ersetzen soll.” Die Stadt schlägt also aufs Gemüt, sie geht
an die Nieren, schlägt auf den Magen oder lässt vor Schreck eine Gänsehaut
entstehen. Je nach Empfindung und der damit verbundenen Bewertung ist das auch
in der postmodernen Event-City nicht anders. Städte werden aber nicht nur
emotional erlebt, sie werden auch als Angriff auf die Sinne erbaut und
(um)gestaltet.[16]
Medium dieses Erlebens ist nicht der
Körper, sondern der Leib des Menschen.[17] Er
ist in der Gegend des eigenen Körpers als dessen immaterielles Gegenstück
spürbar. Wer sagt, etwas “schnüre ihm den Hals zu” oder “drücke ihn nieder”,
meint in aller Regel nicht seinen organischen (materiellen) Körper. Dann ist
vielmehr die Rede vom Leib, an dem eine aktuelle Erlebnis-Wirklichkeit zur
Geltung kommt. Der Leib-Begriff verweist auf gelebtes, existenzielles Leben,
das stets zugleich biologisches Leben ist.[18]
Seinen Körper hat man, Leib ist man. Körper und Leib sind wie
zwei Seiten einer Medaille. Immer sind beide zugleich in konkrete
Erlebnissituationen verwickelt. Ohne Körper kein Sein im biologischen Sinne –
ohne Leib kein Sein im existenziell-befindlichen Sinne. Wer den Eindruck konkreten
Erlebens auf etwas Geistiges, Kognitives, Körperlich-Motorisches oder eine
biologische Marginalie reduziert, räumt die Leiblichkeit aus dem vitalen
Menschsein aus – in aller Regel zu Gunsten der Konstruktion eines
Menschenbildes als hybrides Kulturwesen jenseits residueller Natur.
Leibliches[19]
Erleben vollzieht sich nicht im relationalen Ordnungsraum, in dem die Dinge
ihren geodätischen Ort haben. Es geschieht in einem Raum, den Karlfried Dürckheim
als »leibhafte Herumwirklichkeit«[20]
bezeichnet hat. Er hebt damit auf eine räumliche Dimension ab, die weder allein
auf die Seite der körperhaften Objekte gehört, noch allein etwas kennzeichnet,
das den Individuen zueigen wäre. Dürckheim spricht von der räumlichen Wirklichkeit
des leiblichen Raumes als "sinnhafte Mannigfaltigkeit in Ganzheiten".[21] Die
Richtungen dieses Raumverständnisses sind nicht objektivierbar.[22]
Der Standpunkt des Erlebens ist ein “absoluter Ort.” Die subjektive
Erlebniswirklichkeit richtet sich an diesem Nullpunkt aus. Deshalb grenzt
Dürckheim das Raumerleben von "Bewusstseins-"Kategorien ab. Und er
merkt an, dass der erlebte Raum, verstehe man ihn lediglich als Angelegenheit
des Kopfes, der Sinne, der kognitiven Funktionen sowie des fixierenden
Bemerkens und Erfassens, zu "abständig" werde.[23]
Unter dem aktuellen Eindruck konstruktivistisch-handlungstheoretischer Theorien
hat diese Kritik nach rund 70 Jahren eine nicht übersehbare Aktualität.
Wenn Dürckheim sagt, ein Raum könne
im Erlebenden lebendig werden[24],
dann geht er von einer Wirkung von Dingen, Ensembles und Situationen auf den
Menschen aus, die nicht (jedenfalls nicht allein) Produkt
mentaler Konstruktionen ist. Deshalb spricht er von einem "Zumutesein"[25],
einem "Verschmolzensein" mit einem Raum[26],
von räumlichen "Zumutungen" durch einen sich im Raum
"ausbreitenden Gehalt"[27],
von einer im erlebenden Subjekt "zentrierten Wirklichkeit"[28]
und von "Raumgefühl"[29].
Die Empfindungsqualitäten beschreibt er als "berührend",
"anmutend", "ansprechend" oder – noch nachdrücklicher –
als "Hineingezogenwerden" und "unwillkürliches Ergriffenwerden".[30] Was
in diesem Sinne an einem nie vermessbaren Ort ‘ist’, "Stimmungsqualität"
und "Atmosphäre" hat und als "Raumgefühl" erlebt wird, das
umfasst mehr als nur Personen und deren Dingwelt.
Die (theoretischen)
Wahrnehmungsinstrumente der modernen Natur- und Sozialwissenschaft sind auf
einer inhaltlichen Gegenstandsebene für das Gesehene oder Gehörte justiert. Im
Blick auf die hermeneutisch-verstehenden Sozialwissenschaften muss man
hinzufügen, geht es auf dieser inhaltlichen Ebene zweifellos auch um die sinnhafte
Dimension der jeweiligen Vollzüge des Sehens, Hörens und so weiter. Weitgehend
ausgeblendet bleibt dagegen das leibliche Geschehen des Sehens, Hörens
und Fühlens. In sozialwissenschaftlicher Sicht interessiert der gnostische
Aspekt sinnlicher Wahrnehmungstätigkeiten, nicht der pathische. Mit der
begrifflichen Polarität des Gnostischen und Pathischen differenziert Erwin
Straus zwei Seiten von Wahrnehmung und Erkenntnis, die in einem komplementären
Verhältnis zueinander stehen.[31]
Das Gnostische entspricht dabei einer Art der Aneignung, die das Filter des
sprachlich-geistigen Auffassungsvermögens passiert (i.S. von Apperzeption).[32]
Es ist eine Aufmerksamkeits- und Erkenntnishaltung im Format diskursiver
Symbole.[33]
Mit dem Begriff des Pathischen betont Straus die Kehrseite des Gnostischen:
“Das gnostische Moment hebt nur das Was des gegenständlich Gegebenen,
das pathische das Wie des Gegebenseins hervor.” [34]
[35]
Die Leiblichkeit des Menschen stellt sich als Brücke dar[36], die das Individuum auf changierende Weise mit seiner Umgebung verbindet. Das existenzielle Subjekt und seine Umgebungswelt kommen situativ zu einer Einheit. (vgl. Abbildung 1)
Abb. 1: Changierende Dimensionen des
Städtischen (Fotos: Jürgen Hasse / Collage: Uta Pareik).
3. Stadt-Leib: Metapher der Synthese
Es ist bezeichnend, dass der Begriff
des Leibes etymologisch in einem peripheren Bedeutungsstrang auch in der Welt
toter Körper vorkommt. So bezeichnete man im 16. Jahrhundert die Stadt aufgrund
ihrer Zerstörbarkeit wegen der fragwürdig werdenden Schutzwirkung der mittelalterlichen
Stadtmauern als Leib. “Leib der Stadt” steht hier für die Verletzlichkeit eines
Ganzen, das dem Leben in der Stadt und der Stadt gleichkommt.
In derselben Bedeutung taucht die Metapher vom
»Leib der Stadt« in postmoderner Diktion bei Bazon Brock wieder auf. Nur
meint der nun nicht den Schutz der Stadt gegen Angriffe, sondern den Schutz von
Minderheiten vor den Selektions- und Ordnungsmächten der Stadt.[37]
Hier wie das ist es das kontingente Verständnis einer nicht näher benannten
Lebendigkeit, das im semantischen Zentrum eines (nicht definierten)
Komplexbegriffes vom »Leib der Stadt«
steht. Diese Diffusität und Ganzheitlichkeit taucht auch in der
zeitgenössischen Literatur zum Beispiel bei dem Portugiesen Joao de Melo wieder
auf, wenn er mit der Metapher vom »Leib der Stadt«[38]
aufs Ganze städtischen Lebens anspielt.
Vier Analogien werden dieses
Verständnis einer leiblichen Dimension der Stadt in aktuellen Bezügen
annotieren und den Überlagerungsbereich des Lebendigen im Changieren der StadtLeiber
deutlicher machen.
Erste Analogie: Das “Atmen der
Gebäude”
Die Architekturfotografin Hélène
Binet spricht in der Kommentierung ihrer Arbeiten vom “Atmen der Gebäude”. Sie
drückt das besonders in der Darstellung des Wandels von Licht und Schatten aus.[39] Ihre Bilder ließen sich deshalb auch als Hinweis auf die Spürbarkeit von
Atmosphären (vom Charakter der Bewegungsanmutung oder mit synästhetischem
Charakter[40])
interpretieren. Sie lassen sich aber auch in anderer Weise verstehen. Zum einen
lässt sich Binets Formulierung aus der Erlebnisperspektive einer eigenen
befindlichen Disposition und zum anderen von der “Perspektive” der
(ekstatischen) Erscheinungsweise von Gegenständen begreifen. An verschiedenem
Einzelnen (bei Hélène Binet sind es Gebäude) wird hier nun deutlich, dass es im
situativen Umwelterleben Gleichzeitigkeiten gibt, in denen Dinge und Personen
eine unauflösbare Einheit bilden, die auf einer gefühlsbezogenen Seite
evaluativ geeicht sind. Es sind dies Einheiten, die nie restlos konstruktivistisch
erklärbar sind. Die Erscheinungsweise der Dinge (hier ist von Licht und
Schatten die Rede) kann niemals in all ihren Variationen auf eine symbolisch
(also gesellschaftlich) vorformatierte, intellektualistische Interpratationsvorlage
gleichsam ‘kausal’ zurückgeführt werden.
Zweite Analogie: Die “Persönlichkeit
der Stadt”
Der bekannte Architekturtheoretiker
Raymond Unwin verwendete in seinem großen Lehrbuch über die Grundlagen des
Städtebaues aus den 1920er Jahren[41] den
Begriff der »Persönlichkeit« einer Stadt. Sein Akzent liegt auf der
baulich-architektonischen Herstellung und Hergestelltheit von Städten. Je nach
Stadtgeschichte entstehe diese Persönlichkeit “ohne Zutun” oder sie orientiere
sich an einem Mittelpunkt wie einem Markt, einer Kirche, einem Hafen oder einem
Schloss.[42]
Seine Konkretisierungen zielen auf die Rolle des Architekten bei der
Herausbildung dieser Persönlichkeit. Mit dem Hinweis auf die bauliche
Hergestelltheit der Stadt wird nicht zuletzt auch deren Physiognomie
betont. »Persönlichkeit« ist aber weder auf Physiognomisches, noch auf
Performatives seitens des Architekten zu begrenzen. In Unwins Verständnis der
“Persönlichkeit” einer Stadt macht eine Trennung von Subjekt und Objekt keinen
Sinn. Würde man diese Trennung vollziehen, entstünde ein Riss, der auch mit
einer ephemeren Kategorie wie einem atmosphärischen ‘Dazwischen’ nicht wieder
gekittet werden könnte. »Persönlichkeit« meint bei Unwin mehr als Atmosphäre.
Dritte Analogie: “Hydrogenia
floating paradise”
Den ersten Preis im Wettbewerb
“Individualität und Serie, Baukultur und Kunststoffe”[43]
erhielten Ignaz Cassar und Andere für ihren Entwurf “hydrogenia floating
paradise”. Menschlicher Lebensraum ist hier nicht mehr eine Stadt auf festem
Boden, sondern ein 3 km langer und durchschnittlich 300 Meter hoher, mit
Wasserstoff gefüllter Ballon, der 11.000 Meter über der Erde kreist. Baustoffe
sind fluide gel-artige Blasen, mit deren Hilfe man sich im wabernden Raum
fortbewegen kann. In dieser Welt stoßen feste Körper nicht mehr aneinander. Die
Idee des computergesteuerten “flexible surface system” löst die Vorstellung vom
ortsfesten Baukörper ab. Wo Menschen mit einem (neuen) Stoff eine Verbindung
eingehen, verwischen die Grenzen zwischen Eigenem und Anderem. Das ‘Material
der Stadt’ ist in seiner wabernden Substanzhaftigkeit zwar körperlich, aber
zugleich ist es doch anders als Holz oder Stein. Wie Dürckheims
»Herumwirklichkeit«, umschließt es den menschlichen Körper ohne Grenze.
Der personale Leib wird in seinen Weite- und Engebeziehungen neu positioniert,
und er ist nun auch in der stofflichen Substanz der Stadt.
Vierte Analogie: Wohnen in Balance
Der mit dem 2. Preis prämierte Entwurf akzentuiert eine ganz andere Seite. Der Entwurf “in balance” von Sacha Neukirch stellt das Modell einer wippenden Architektur vor.
Abb. 2: Wippenelemente; Entwurf Sacha
Neukirch; 1 - Fundamentschacht, begehbar; 2 - Wippenplatte, Verbundsystem
Stahlbeton; 3 - Wohnbehälter, vorgefertigte Kunststoffelemente; 4 - Gegengewicht
(Quelle: Initiative PCVplus, S. 34).
Neukirch integriert die Wohnfunktionen in Module, die in einem fragilen Verbund
über einer Klippe hängen und nur so lange funktionstüchtig und bewohnbar
bleiben, als sie sich im Gleichgewicht befinden. Die Gewichts-Skulpturen
reagieren auf materiellen Zugewinn der Haushalte. Das Leben in den Modulen
verlangt von ihren Nutzern ein MitDenken, “da bei der Andockung eines weiteren
Moduls (z.B. eines zweiten Bades) ein Ausgleich am Gewicht geschaffen werden
muss.”[44] Das
hier notwendig werdende Gleichgewichtsmanagement verleiblicht in gewisser Weise
die ökologische Dimension menschlichen Lebens in modernen Gesellschaften.
Die Fragilität der Balance wirkt
weit über die symbolische Ebene hinaus. Sie macht das Wohnen zu einer
körperlich-leiblich beweglichen Angelegenheit. Die menschlichen Lebenstätigkeiten
wirken unmittelbar auf den Ort dieser Tätigkeiten ein. Der Ort ‘fühlt’ im
übertragenen Sinne die an ihm vollzogenen Tätigkeiten nach. Auch hier ist es
die Schnittstelle von Körper und Leib, die architektonisch dekonstruiert wird.
Nur ist es nicht die Materialität der Umgebung, die sich in ihrer
Körperlichkeit strukturell verändert (wie im floating paradise), sondern die
Positionierung auf festem Grund, die dazu führt, dass die gelingende Evaluation
des praktischen Lebens nicht nur vom sozialen Sinn, sondern ebenso vom
Gleichgewichtssinn abhängt. Alle städtischen Geschehnisse, die den Lebensraum
der Wohnung tangieren, verlieren in diesem Modell ihre Selbstverständlichkeit –
und ihre konsumistische Unschuld. Das Alltäglichste im alltäglichen Wohnen
steht zur Disposition.
4. Changierende StadtLeiber
Es gibt Orte, deren Lebendigkeit in
der Entfaltung ihrer Funktionen liegt (Häfen, Bahnhöfe, Märkte), und es gibt
Orte, deren Funktion es ist, Lebendigkeit als Ausdruck des Städtischen zu
generieren (Plätze oder Parks). Wenngleich die Existenz von Atmosphären an
beiden Arten von Orten unbestreitbar ist, so ist die entstehende Lebendigkeit
doch nicht darauf zu beschränken. Auch »Urbanität« erfasst hier nur eine
Teilmenge. Als »Urbanität« ist städtische Lebendigkeit etwas
Geistig-Kulturelles. In der Perspektive der Teilhabe hat städtische Lebendigkeit
eine pathische und eine gnostische Dimension. Gelebte Lebendigkeit vollzieht
sich in Situationen performativer Teilhabe an einem Geschehen. Sie drückt sich
in einem gefühlten Rhythmus aus, der mit den tätigen Durchquerungen räumlicher
Felder der Stadt korrespondiert.
Solche Bewegung kommt unter anderem
im “Atmen der Gebäude” zum Ausdruck, von dem Hélène Binet spricht – als Spur
aktuellen wie vorüber gezogenen Lebens. Die Orte leben im Tun und Treiben der
Menschen. Sie leben auch in der körperlichen Abwesenheit sichtbarer Menschen
noch – man denke an die Plätze in Venedig, die in der mittäglichen Ruhe menschenleer,
aber nie tot sind. Eine gewisse Anwesenheit des Abwesenden hat an der Essenz
dessen Teil, was man an einer Stadt lebenswert findet. In dieser
‘Ungleichzeitigkeit’ lebt eine Art Leiblichkeit des materiellen Raumes der
Stadt. Hall & Pfeiffer sagen über das Fehlen dieser
Lebendigkeit: “Often, only when it is too late do city administrations suddenly
appreciate the horror of what they have been condoning, even encouraging: the
production of a city without quality, without charm, without memory.”[45]
In den urbanen Zonen bilden der Leib
der Stadt und der Leib der Menschen eine gemeinsame Qualität. Die daraus
entstehenden Choreographien sind auf einem Marktplatz andere als in einer Bahnhofshalle
und im vorstädtischen junkspace. Aber hier wie dort kommunizieren menschliche
Performanzen, dingliche Muster und atmosphärisches Erscheinen. Und wiederum
unterscheiden sich die Schnittpunkte, an denen sich das Gemeinsame entzündet:
Mal sind es konkrete Menschen, die an einem ganz bestimmten Ort kreative
Energien entfalten[46],
und mal ist es ein konkreter Ort, der eine so starke Suggestion ausübt, dass
sich die Menschen zu ihm hingezogen fühlen (Plätze oder andere ereignisreiche
Räume wie stadtnahe Hafengebiete).
Orte mit derart positiver
Erlebnisqualität sind am Ende des 20. Jahrhunderts kaum planbar. Vielleicht
waren sie aber auch nie wirklich planbar. Die Geschwindigkeit und Unübersichtlichkeit
der soziokulturellen Dynamik in den großen Städten steht heute jeder Planung
entgegen. Scheinbar beliebig schießen neue kulturelle und konsumistische
Bedürfnisfelder aus dem Boden. Sie haben keine von außen einsehbaren
Bezugspunkte. Der soziale Kosmos der großen Städte zerfällt am Ende der Großen
Erzählungen und hegemonialen Sprachspiele (Lyotard[47])
in ein nur noch locker aufeinander bezogenes Inselreich. Das Netz sicher
kalkulierbarer Knotenpunkte des Wissens, Begehrens, Wünschens und Wollens ist
unentwirrbar verwoben. Das soziale, kulturelle und politische Gebilde der Stadt
implodiert (soweit Stadt überhaupt noch als politischer Raum gelebt wird). Die
Überlagerung und Vermischung von Lebensformen, Symbolwelten, Befindlichkeit,
Denkweisen und Handlungsmustern tritt in bunten und schnellen Bildern an eine
performative Oberfläche des Städtischen. Eine ‘Tiefe’ in einem dauerhaften
Sinn-Grund haben diese Bilderwelten im Sinne von Traditionen, Identitäten oder
Ideen nicht mehr.
Der verschachtelte physische Raum der Stadt ist
Ressource der Kreation sozialer Labyrinthe: für den Touristen (der ein Bewohner
der Stadt sein kann), den “culture jammer”[48],
den “yetti”[49],
den “bobo”[50]
oder die ganz normale Grundschullehrerin mit zwei Kindern. Sie alle leben in
einem chaotisch gewordenen Kosmos, in dem die Ereignisse implodieren, die
Lebensbahnen sich aber immer noch an vielen Bühnen überschneiden. Alle benutzen
die selben U-Bahnen, die selben zentral gelegenen Kaufhäuser und Parkplätze,
die selben Straßen und so weiter. An den Schnittstellen der Berührung von städtischer
Körperwelt, leiblicher Bewegung und Begegnung entstehen je eigene Welten. Die
leiblichen Rhythmen des lebendigen Stadtraumes diversifizieren sich. Sie werden
dynamisch, flexibel und hybrid. Auf Grund kultureller Entkonventionalisierung
entgrenzen sich die Szenen samt ihrer Milieus. Entgrenzung bedeutet aber
zugleich Begrenzung, denn die Szenen konstituieren sich in Prozessen der
Distinktion und sozioökonomischen Differenzierung. Das Städtische muss nach
kulturellen, politischen, sozialen und macht- wie herrschaftsbezogenen
Kategorien fortwährend neu vermessen werden. An den Rändern der Überlagerungen
rauschen die Bedeutungen der implodierenden Stadträume.
Der in moderner Sicht noch im Singular gedachte Ort
gewinnt seine plurale Identität gerade im Verlust seiner Ein-Sinnigkeit.
Ein Ort in diesem Sinne ist kein Mono-Topos mehr, er wird zu einem Multi-Topos.
Mit dem Kommen und Gehen der Menschen wird der »gelebte Raum« sichtbar, lesbar,
spürbar, verborgen oder versteckt. An ein und dem selben Ort spielen, tanzen,
kämpfen, interferieren und zirkulieren die StadtLeiber. Die fraktalen
Identitäten postmoderner Großstadtnomaden variieren mit den angenommenen und
abgestoßenen Rollen(-fragmenten) auch ihre soziale und kommunikative Virulenz.
Diese Pluralisierungen und
Flexibilisierungen gehen entscheidend auf einen ökonomisch motivierten Prozess
postfordistischer Transformation zurück. Die sich globalisierende Wirtschaft
braucht keine starren Identitäten, sondern fungible, plastische, dehn- und
beugbare Subjekte, die vor allem in ihren kulturellen und konsumistischen Präferenzen
verflüssigt sind. An den Nahtstellen der Subsysteme werden die Anforderungen im
Bezug auf Art und Umfang der Flexibilität für den Anschluss an neue Obsessionen,
Wünsche und Zwänge definiert. Das ist der Punkt, an dem die Individuen zu
Ressourcen der gesellschaftlichen Systeme werden, der Waren- und
Geldwirtschaft, der Kulturindustrie der Begehrnisse[51] wie
der Demonstration staatlicher Disziplinarmacht[52].
Auf der anderen gleichsam utopisch-freiheitlichen Seite steht das souveräne,
über sich selbst verfügende Subjekt, das kraft kultureller, sozialer und ökonomischer
Souveränität zwischen Alternativen wählen kann und muss. Auf dieser Seite
agiert auch das sich der fatalen Strategien bedienende Subjekt, das mit den
Mitteln der Systeme spielt, um sie für das eigene Begehren zu flexibilisieren.[53]
Der Phasensprung ist immer möglich. Das System ist nicht hermetisch. Das
kreative Potenzial für die Zündung »fataler Strategien« (Baudrillard) liegt an
jenen Schnittstellen im städtischen Leib, an denen die Differenzen des
Befindens gären.
Das Changieren der StadtLeiber
spiegelt die Ambivalenz der postfordistischen Regulationsweise auf einem
immateriellen Niveau. Auf der einen Seite degeneriert die Stadt zu einer
“klimatisierten Kunstwelt”, die “nur noch “spots” und keine Stadt mehr”
benötigt[54],
und auf der anderen Seite breitet sich die mit Unkraut durchwachsene, schmutzige
Stadt des erdschweren Raumes aus. In beiden Städten liegt an den Schnittstellen
der Leiblichkeit eine imaginäre Haut, auf der man sich selbst als Natur erleben
und erfahren kann.[55] Die
Zugänge zu diesem Erfahrungsprozess und damit zur Möglichkeit der Kritik der
Stadt sind indes mehrfach verstellt. Zur Realität der aktuellen Stadt gehört
der virtuelle Schatten des Cyberspace, in dem sich die erdschwere Stadt selbst
bestreitet. Im Datenstrom wird sie aseptisch und unendlich. Hier erhält sie die
Form reiner Geisthaftigkeit und Unsterblichkeit, wird zur Antinomie der
lebendigen Stadt.[56]
Im Reich der Ströme gibt es deshalb auch keinen gelebten Raum, wenngleich
es kraft radikaler Simulationsverfahren ortlose Gefühlsintensitäten geben mag
und damit auch einen Leib und eine Atmosphäre im Reich der vom reellen Ort
entbundenen Imagination. Dies wäre eine andere Welt, der Cyberspace als
“technische Form Gottes.”[57]
Während man das Phänomen »Stadt« traditionell noch an das Vorhandensein einer
Welt aus Stein, Stahl, Gas und PVC knüpft, gibt es im Cyberspace schon in
ontologischer Sicht nichts Stadthaftes mehr. Der gelebte Raum der Stadt
bedarf der physischen Bezugspunkte des Stadt-Denkens und Stadt-Lebens. Im Cyberspace
ist das anders. Der Cyberspace ist ein interaktionistisches Medium symbolischer
Chiffren, die vom leiblichen Boden ihrer Bedeutungen entbunden sind. Die Absenz
archaischer Orte eröffnet ein neues Spiel diachroner Rhythmen. Wo nichts mehr
Widerstand leistet, kann Alles zur gleichen Zeit durch Alles hindurch gehen. Wo
sich die Stadt ins Bildhafte, Virtuelle und Imaginäre zurückzieht, lässt sie
auch Urbanität hinter sich, denn unter der Bedingung formaler Vereinheitlichung
auf die technische Form der Programmierung löst sich die Spannung zwischen
elementaren Gegensätzen auf. Das Körperlich-Materielle verschwindet hinter den
ikonologischen Oberflächen der digitalen Bilder. Mit dem Rückzug städtischer
Körperwelten verschwindet auch der Leib der Stadt. An die Stelle leiblicher
Beziehungen zu einer Umgebung tritt das Gefühl affektiven
Auf-sich-selbst-Bezogenseins. Die Stadt als Polis schwindet.
5. Für eine leiblich fundierte
intellektuelle Stadtkritik
Wenn die Stadt mit Simmel ein Ort
der Abstraktionen und das Charakteristikum des Großstädters seine
Intellektualität ist, wo anders als im Bereich des Gnostischen soll sich dann
Kritik in der Stadt als Kritik an der Stadt entfalten – fern ab von der
sinnlich abgründigen, anrüchigen, schmutzigen und lärmenden Stadt. Diese
Kritik an der Stadt, die sich in ihrer kulturellen Mitte zündet, denkt sich
formal und inhaltlich im Zurücklassen konkreter Stadt-Gefühle. Die
Intellektualität des Städters fordert eine Art von Selbstreflexivität heraus,
die sich im Metier des Denkens vollzieht, dort wo das gelebte Leben schon ins
Begriffliche übersetzt ist. Dennoch ‘arbeitet’ sie sich an einer Grenze ab, an
der das (noch sprachlose) emotionale Befinden und das (schon versprachlichte)
Aussagen-Können nebeneinander liegen. Kritik bedient sich im gesellschaftlichen
Diskurs (insbesondere im öffentlichen) im Allgemeinen sprachlicher Mittel. Das
heißt, sie bringt sich im Bereich der Denotationen auf einem gnostischen Niveau
zur Geltung. Wissen über leibliche Praxen, die unbewusst einsozialisierte Interaktionsformen
sind, ist deshalb a priori nicht aussagbar. Hierzu bedürfte es einer Vermittlung,
die unter anderem den Weg durch die Metaphern geht. Metaphern stellen eine
Beziehung zum alltäglich nicht Bewussten her, indem sie wie »Abkömmlinge« in
der Psychoanalyse fungieren.
Wie könnte eine Kritik aussehen, die
sich von der Position des Gnostischen und der des Pathischen aus zur
Geltung brächte? Gefordert wäre damit ein Denken der Grenzenverletzung, denn
das Pathische unterliegt ja auch einer anderen Rationalität als das Gnostische.
Ein Vermögen ‘grenzverletzenden’ Denkens gehört nach Michel Foucault zu den
Aufgaben der Kritik. Er aktualisiert die Kantsche Frage “Was ist Aufklärung?”
als Fähigkeit zu einer Form der Kritik, die nach dem historisch dynamischen
Verhältnis von Macht und Wissen fragt:
“Es geht also nicht darum, zu
beschreiben, was Wissen ist und was Macht ist und wie das eine und das andere
unterdrückt oder missbraucht, sondern es geht darum, einen Nexus von
Macht-Wissen zu charakterisieren, mit dem sich die Akzeptabilität eines
Systems (...) erfassen lässt.”[58]
Zur Akzeptabilität eines Systems
gehören die Bedingungen, die etwas akzeptabel machen. Deshalb liegt eine
Aufgabe der Kritik auch darin, die Akzeptabilitätsbedingungen herauszuarbeiten
“und die Bruchlinien seines Auftauchens (zu) verfolgen”.[59]
Hier findet ein Wissen Beachtung, das in der Struktur seiner Verfügbarkeit und
Funktion in zwei Richtungen zu analysieren ist. Zum einen geht es um ein positives
Wissen als diskursiv verfügbare Bezugsfläche des Denkens. Zum anderen geht es
um ein Wissen, das als ‘dunkle’ Perspektive dessen Schatten wirft. Es ist (als
Negativ) auf die Bedingungen eines strukturellen Nicht-Denken-Könnens
hin zu analysieren. Dieses partielle Nicht-Denken-Können hat sich
zivilisationstheoretisch als Preis eines bestimmten (strukturellen)
Denken-Könnens entdifferenziert und vergessen gemacht. Damit rücken
Wissensformen in den Mittelpunkt, die epistemologisch eher Emulsionen für die Aufnahme
oder Abweisung von propositionalem Wissen sind, als dass es sich
hier um Wissen im Sinne seiner alltagssprachlichen Bedeutung handeln würde.
Das Gefühlsmäßige und Leibliche ist
das Andere des intelligiblen Denkens.[60] Das
geistig-kulturelle Klima gefühlsdistanzierter Gesellschaften verlangt deshalb
schon der Störungsfreiheit ihrer Diskurse halber eine halbwegs funktionsfähige
Imprägnierung von Denkroutinen gegen allzu leicht einsetzende selbstreflexive
Erfahrungsprozesse. Das Nicht-Bewusste ist durch eine Haut des Intellektuellen,
die sich in Prozessen der Kommunikation gesellschaftlich herstellt, gegen sein
diskursives Aufbrechen gesichert. In diesem Herstellungsprozess sind Methoden
der Kolonisierung des Denkens am Werke, die für Foucault auf Technologien des
Selbst (i.S. von Selbstunterdrückung) hinweisen.[61]
Gegen deren Aufhebung wendet sich (aufklärungsorientiert verstandene) Kritik –
als eine stets aktualisierungsbedürfte Aufgabe der Aufklärung im Kantschen
Sinne. Im Manövrieren an den Untiefen der rationalistisch abgesicherten und
vernunftsorientierten Denkkultur findet sie ihre herausgehobene Aufgabe. Hier
stößt Kritik auf das Andere der diskursiven Sprache, welches das Subjekt in
seinen pluralen Seinsweisen mitkonstituiert.[62]
Die Technologien des Selbst, von
Foucault auf das griechische Motiv der “Sorge um sich selbst” zurückgeführt,
haben sich zivilisationsgeschichtlich schon lange in Technologien der
inkorporierten Selbstüberwachung verwandelt.[63]
Die von Foucault gegen dieses Vergessen eingeklagte Sorge um das Selbst ist
nicht auf Selbstkontrolle, sondern auf Selbstentfaltung gerichtet. Das Streben
gilt einem Wissen, das mit den Mitteln der Macht strategisch ausgeschlossen ist.
Dieses Wissen korrespondiert im Unterschied zum ‘einfach nur’ Vergessenen einem
gesellschaftlich Vergessen-Gemachten. Die Suche nach abgeschnittenen
Verbindungen zwischen bewusstem Wissen und inkorporiertem Nicht-Wissen gräbt
den Boden des Selbstverständlichen auf; sie bahnt sich Einblicke in die
Techniken der (Selbst-) Kontrolle, Selbstbeherrschung und Absehung vom eigenen
Selbst. Ziel ist die Demaskierung einer dezentralen und strukturellen Macht,
die in den Verhältnissen steckt und das (Selbst-)Vergessen macht. In
einem Gespräch mit Deleuze sagt Foucault über die Orte der Macht:
“Jeder Kampf entfaltet sich um ein
bestimmtes Machtzentrum, wie z.B. einen kleinen Chef, einen Hausmeister (...).
Dieses Zentrum namhaft machen, denunzieren, davon öffentlich sprechen – das ist
bereits Kampf. Und zwar nicht, weil man bisher davon nicht wusste, sondern weil
es die erste Umgehung der Macht, ein erster Schritt zu anderen Kämpfen gegen
die Macht ist, wenn man dazu das Wort ergreift, wenn man das institutionelle
Informationsnetz zerreißt, wenn man die Dinge beim Namen nennt, wenn man sagt,
wer was getan hat, wenn man die Zielscheibe ausfindig macht.”[64]
Machtbeziehungen konkretisieren sich
an ihren lokalen Austragungsorten bevorzugt gerade nicht in diskursiven
Sätzen. Sie sind in Praktiken eingewoben und versteckt; sie sind in die ästhetische
Ordnung von Plätzen ebenso hineingeschrieben, in die Haut von Hochhausfassaden,
in den schönen Schein der postmodernen Warenästhetik, und sie lagern in
zahllosen anderen Praktiken. Die das Selbst beherrschenden Technologien haben
ihre Unorte in Verstecken des Nicht-Denken-Könnens.[65]
Es sind bevorzugt die präsentativen
Symbole (Langer), die Objektbeziehungen in sozialen Praxen symbolisch
herstellen und zugleich leiblich fundieren[66]
(Foucault spricht wörtlich nicht vom Leib, sondern vom Körper und seiner
Beherrschung). In der Spur dieser Diskurse liegen auch jene imaginären Zonen,
an denen das Gnostische und das Pathische so miteinander vernäht werden, dass
die pathischen Vermögen in “regulierten Praxen” zum Verschwinden gebracht
werden.[67]
In diesem Verschwindenmachen des Pathischen spielen die Raum- und
Planungswissenschaften ihre eigene Rolle. Wo in Rudolf zur Lippes Metapher die
Welt “zu Postkarten und die Postkarten zum Cyberspace beschleunigt”[68]
wird, da schmelzen die modernen angewandten Wissenschaften (diesseits der
Postmoderne) den »gelebten Raum« in eine planologische Kartografie der
verfügbaren Objekte ein.
Die Denkansätze von Straus und
Foucault laufen auf eine Kritik von Praxen der Ausschließung der Leiber hinaus.
In der damit kritisierten Substraktionsanthropologie beginnt das Denken erst,
nachdem die leiblichen Eindrücke des vollen Lebens verhallt sind. Man kann
Kritik der Stadt in einer intellektuellen Kultur der Distanz vom sinnlichen
Abgrund des schmutzigen Erdraumes betreiben. Man kann sie aber auch im
pathischen Erleben von Umgebungen ansetzen lassen: an den Grenzen der
imaginären Berührung der menschlichen Körper und der materiellen Objekte im
Raum der Stadt und sich so auf das Zeugnis subjektiven Befindens in Umgebungen
berufen, bevor sich abstraktes Denken verschlüsselt hierauf
bezieht.
Eine Dynamik des Angesprochen-Werdens
und Angesprochen-Seins vom situativen Erscheinen der Dinge und
Umgebungen erzeugt Interferenzen, die nur in Teilen sprachlich gefasst werden
können. Die ‘toten’ Dinge erhalten eine spürbare Lebendigkeit, die sich als
Eindruck der Vitalität in den “gelebten Raum” (Dürckheim) einträgt. In diesem
Hindurchziehen von menschlichem Leben durch die städtische Welt der Dinge wird
man auf “berührende”, “anmutende” und “ansprechende” Weise in eine leibliche
Stadtumgebung “hineingezogen”.[69] In
der Lebendigkeit dessen, was Dürckheim “Hineingezogenwerden” nannte, steckt ein
Verständnis von Ganzheit, in dem das “Atmen der Gebäude” als Vitalität des
“gelebten Raumes” und die geistig-kulturelle Kategorie “Urbanität” zu einer
diffusen Erlebniseinheit verlaufen. Im Fluss der Lebensereignisse bilden der
erlebende und denkende Mensch eine Einheit. In der raumzeitlichen
Gleichzeitigkeit von Stadtsein und Stadt(er)leben taucht auch jener räumliche
“Vitalton” als “eine für das aktuelle Erlebnisganze des jeweiligen Raumes
eigentümliche Komplexqualität” auf,[70] die
zugleich Wirklichkeit des Subjekts und Wirklichkeit der Stadt ist. In
diesem Zugleich überlagern sich die räumlichen Qualitäten des Stadtraumes: er
ist Fläche (in seiner Ausgedehntheit und als möglicher Bewegungsraum);
er ist Körperraum (in seiner Erfülltheit relational verorteter Gegenstände);
er ist sozialer Raum (in seiner symbolischen Codierung); er ist virtueller
Raum (im postmodernen Rückzug der stofflichen Dinge ins Bildhafte) und er
ist prädimensionaler Raum (in seiner zwischen Enge und Weite gespannten
Leiblichkeit). Im Changieren der Dimensionen ist er all dies zusammen.
Diese changierenden Zonen sind die
Quellpunkte einer Kritik der Stadt, die zu einer strukturellen Pluralisierung
ihrer Formen und Inhalte führt. Der Ausdruck von Kritik ist nicht deshalb aber
schon auf die Mittel präsentativer Symbole verwiesen; in der (diskursiven)
Sprache wird die Grenze zum Präsentativen ja stets auch überschritten. Das
geschieht mit Hilfe von Bildern, Metaphern und synästhetischen Charakteren,
indem sich “Praxis von unten her in die Sprache schieben kann.”[71] Die Bilder leisten dann die Übersetzung zwischen Denkschicht und dem (auch
unabhängig von ihr und der diskursiven Sprache existierenden) Gefüge leiblicher
Lebensentwürfe. Brückenfunktion kommt dabei nicht der Fachsprache, sondern der
Alltagssprache zu.[72]
Die affektiv-befindliche Unter-Seite intelligiblen Sprechens findet in einem
Prozess performativen Sprechens ihren Ausdruck. Was bei Straus das Pathische
heißt, bleibt im postmodernen Stadtdiskurs nicht länger in die Kunst
aus-/eingesperrt.
Aus der Überlagerung von gnostischer
und pathischer Perspektive im Stadterleben resultiert ein thematisches
Spektrum von Diskursinhalten, das den Themenkanon kulturell geregelter
Konventionen formal und inhaltlich sprengen kann. Das wäre insoweit nichts Neues,
als eine Überlagerung der Perspektiven doch im Stadtdiskurs alltäglich
geschieht, wenn zum Beispiel Art und Umfang eines Wandels der Dinge im alten
und neuen Raum der Stadt strittig wird. Der Unterschied liegt indes da, wo ein
Blick aufs Ganze zur Geltung kommt, ein Ganzes, zu dessen ‘Sache’ die
Perspektive der Strittigkeit gehört, die schon in der Individualität der Person
lebendig ist. Was für die Mannigfaltigkeit der Lebendigkeit der Stadt gilt, das
variiert sich noch einmal in der individuellen Perspektive: “Wie das Andere,
so erlebe ich auch mich selbst in wechselnden Aspekten, in jeder Sphäre bin ich
in spezifischer Weise von ihm betroffen.” (Straus).[73]
Im amtlich bestellten Denkmalspfleger kommt der Experte zu Wort, mit ihm aber
kein vitaler Anspruch aus der Vieldimensionalität des gelebten Stadt-Raumes,
sondern eine fachlich reduzierte Sach-Aussage, deren Voraussetzung eine
erkenntnistheoretische Spaltung zwischen Subjekt und Objekt ist. Deshalb kann
sie auch “emotionslos” vorgetragen werden, und deshalb ist sie auch von der
vitalen Erlebniswirklichkeit betroffener Individuen getrennt.
Hier geforderte Kritik der Stadt,
die mit Foucault nach dem historisch dynamischen Verhältnis von Macht und
Wissen fragt, setzt im Gegensatz dazu eine Sensibilität für das Erscheinen der
Dinge in letztlich immer vitalen und von Betroffenheit eingerahmten Situationen
voraus, eine Sensibilität, die dank der Doppelnatur der Sprache latenten Sinn
zu entschleiern vermag.[74]
Um am Beispiel des Denkmalschutzes zu bleiben: der Gegenstand der “Sache”
zeichnet sich im Unterschied zu ihrem alltagssprachlichen Verständnis durch das
aus, was etymologisch stets zum Verständnis einer Sache gehörte:
Vielstimmigkeit der Dimensionen und tendenzielle Inkommensurabilität der am
Gegenstand der Sache lebendigen Sprachen. Und in der Tat zeichnen sich in der
Lebenswirklichkeit der Subjekte die meisten Themen der großen Stadtdiskurse ja
auch dadurch aus, dass sie in diesem Sinne strittig sind. Im gelebten
Leben ist “Stadt” kein abstraktionistisches Derivat, das erst mit dem
Instrumentarium wissenschaftlicher Terminologien aus der stofflichen Stadt
gleichsam herausgelesen werden muss. Indem Stadt im Vitalton bestimmter
Umgebungen erlebt wird, ist die “Sache” einer Perspektive prinzipiell für Jeden
auch aussagbar.
Voraussetzung für eine solche
strukturelle Erweiterung des Spektrums der Gegenstände im Streiten über die
Zukunft der Stadt ist die programmatische Öffnung der Fach-Diskurse für die
Artikulation der Stadtbewohner und -benutzer auf dem Niveau des Pathischen.
Erst dann wiese der kritische Diskurs über die Stadt eine in der Sache gerechtfertige
Subjektbezogenheit neben seiner ohnehin gewährleisteten Objektbezogenheit auf.
Im Zuge einer strukturellen Pluralisierung der Diskursgegenstände schärft und
differenziert sich die Wahrnehmungs- und Sprachfähigkeit ‘der Leute’. Der
Stadtdiskurs muss in dieser Rolle Transversalität als Toleranz gegenüber der
Überschreitung und Verknüpfung von Rationalitäten kultivieren – unter Verzicht
auf hegemoniale Machtansprüche.
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Anmerkungen:
[1]
Die architektonischen Grundsätze,
die Vitruvius Pollio um die Zeitwende für Kaiser Augustus niederschrieb, gelten
nicht mehr. Danach war vom Architekten ein Vermögen gefordert, dessen Kern wir
heute “Transversalität” nennen würden. Der gute und seiner Aufgabe würdige
Architekt hatte danach nicht nur das Entwerfen zu beherrschen! Er musste auch
Fähigkeiten haben, die davon weit entfernt zu sein schienen. Gefordert waren unter
anderem Kompetenzen in Optik, Philosophie, Heilkunst und Musik. Dies alles
konnte nur, wer sich “vom Knabenalter an allmählich durch die einzelnen Stufen
der Wissensgebiete” emporarbeitete (Vitruvius Pollio). An die Person des
Architekten war ein Anspruch formuliert, der die Pluralität spezialisierten
Könnens ebenso forderte wie ein Verknüpfen-Können des Vielen im Einen der
entstehenden Stadt.
[2]
Diese Rekonstruktion würde in die
wissenschaftshistorischen Gefilde der Naturentfremdung und Kultivierung des
Geistigen und leiblichen Selbstvergessens führen, die z.B. Thema bei Fritz Schultze waren (Schultze 1881).
[3]
Die Stadt Frankfurt kündigt im
Sommer 2002 nach dem Vorbild zahlreicher Klein- und Mittelstädte eine Gebührenordnung
zur Disziplinierung von Verschmutzern des öffentlichen Raumes an. Die Bewohner
der Stadt werden auf Grund erwartbarer Umsetzungsprobleme der neuen Richtlinie
von ihrer “neuen Stadt” als steriler und aseptischer Raum einstweilen verschont
bleiben. Es ist bedenkenswert, dass die Lebendigkeit z.B. niederländischer
Großstädte u.a. auch auf einen gewissen “Verschmutzungsgrad” und Chaotismus im
spontanen Umgang mit dem öffentlichen Raum zurückzuführen ist.
[4]
Hans Boesch opponiert aus
ästhetischer Sicht gewissermaßen gegen sich selbst, wenn er einen kritischen
und nachdenklichen Blick auf den Schatten dessen wirft, was moderne
Stadtplanung als Perfektionierung der Stadt herstellt (vgl. Boesch 2001).
[5]
Vgl.
Simmel
1903.
[6]
Ebd.:120.
[7]
Vgl. im speziellen Blick auf
städtische Atmosphären z.B. Böhme 1995 oder speziell
Ders. 1998.1 sowie u.a. Weber /Vöckler 1998.
[8]
Theoretischer Bezugspunkt ist oft
die Leibphänomenologie von Hermann Schmitz (vgl. u.a.
Schmitz
1993).
[9]
Vgl. Häußermann
/ Siebel 1997.
[10] Die phänomenologische Frage der
Atmosphären spielt bei Schmitz eine erkenntnistheoretische zentrale Rolle
(vgl. auch Schmitz 1981).
[11]
Zur Gefühlstheorie von Hermann
Schmitz vgl. u.a. Schmitz 1993.
[12] Vgl. dazu Böhme,
G. 1998.2.
[13]
Diese waren schon in Alexander Mitscherlichs
Diagnose von der “Unwirtlichkeit unserer Städte” ein zentrales Erklärungselement
(vgl. Mitscherlich 1965).
[14]
Vgl. dazu meine diesbezüglichen
Anmerkungen in Hasse 2000, Kapitel 7.
[15]
Mitscherlich 1965:38.
[16]
Zur Ästhetisierung in der
Stadtentwicklung vgl. auch Hasse 2001.
[17]
Die Kategorie der Leiblichkeit steht
in aller Regel in einem dualistischen Verhältnis zu einer komplementären
Kategorie (Leib – Körper oder Substanz – Akzidenz und Inhärierendes oder Leib –
Seele usw.). Dualismen (oder auch Trialismen wie Körper – Geist – Seele) sind
aber in letzter Instanz erkenntnistheoetisch nicht für die Trennung des
“ganzen” Menschen in Teil- oder Funktionsbereiche “verantwortlich” zu machen.
Es kommt vielmehr darauf an, wie Dualismen theoretisch eingeführt und als
Perspektiven auf den “ganzen” Menschen gerichtet werden im Wissenschaftsprozess
weiter Verwendung finden (vgl. auch Seifert 1989).
[18]
Vgl. Grimm 1885:580.
[19]
Die Leib-Metaphorik ist an die
deutsche Sprache gebunden und insbesondere in der deutschsprachigen Philosophie
entwickelt (eine Ausnahme bildet daneben der französische Phänomenologe Merleau-Ponty). Hervorzuheben sind Grundlegungen von Husserl, Heidegger, Bollnow,
Straus, Drückheim, Binswanger und gegenwärtig insbesondere von Schmitz. Unter
Verzicht auf die Differenzierung zwischen Leib und Körper kommt es besonders in
der englischsprachigen Literatur zu Verkürzungen.
So etwa bei
David Harvey, wenn er feststellt: “The circulation of variable capital therefore
describes the conditions under which laboring bodies and subjectivities get
produced and reproduced within the circulation and accumulation of capital.”
(Harvey 1998: 33). Gerade die
Prozesse der Vergesellschaftung, auf die Harvey hier abhebt, machen eine
genauere Unterscheidung nötig, denn der angesprochene Effekt tritt erst in der
systemisch erzeugten Interferenz zwischen körper- und leibbezogenen Wirkungen
ein.
[20]
Dürckheim 1932:395.
[21]
Ebd.:389.
[22]
Schmitz spricht hier von einem
“prädimensionalen” Raum (Schmitz 1988:387), der sich vom Nullpunkt des eigenen
Leibes in unumkehrbaren Richtungen ausdehnt.
[23]
Dürckheim 1932:398.
[24]
Ebd.:407.
[25]
Ebd.:407.
[26]
Ebd.: 420
[27]
Ebd.: 424
[28]
Ebd.: 426
[29]
Ebd.: 441
[30]
Ebd.: 445
[31]
Vgl. Straus 1930 sowie Ders. 1949.
[32]
Straus ging es um eine Grenzziehung
gegenüber einer alles Nicht-Messbare und Nicht-Intellektuelle vereinnahmenden
Rationalität der seinerzeit aufkommenden quantifizierenden Wissenschaften. Dass
dieses Aufbegehren, das ihn mit Dürckheim, Binswanger, Minkowski, Heidegger,
Bollnow, Picht und einer Reihe weitere Geisteswissenschaftler in ihrem
Engagement bis in die 1960er Jahre eint, weitgehend vergeblich geblieben ist,
dokumentiert sich in den vor allem in den Sozialwissenschaften gebräuchlichen
Menschenbildern.
[33]
Erwin Straus argumentiert, die
Psychologie nehme diese Seite der Erkenntnis zulasten ihrer anderen Hälfte (des
Pathischen) als die eigentlich nur relevante ins Visier.
[34]
Straus 1930:151.
[35]
Die Dominanz des Gnostischen über
das Pathische hat im Übrigen einen kulturellen Niederschlag im Sprachgebrauch gefunden.
Während in der Gegenwartssprache das Gnostische vorkommt, gibt es den Begriff
des Pathischen nicht. Hierzu sind nur begriffliche Abwandlungen geläufig, die
das Was einer Beziehung inhaltlich näher bestimmen. Die mit dem reinen
Begriff des Pathischen ausgedrückte Beziehungsdimension ist ohne irgendeine
situationsspezifische Präzisierung aus der Sprache verschwunden. So steht die A-pathie
für eine Teilnahmslosigkeit, insofern für eine stumpfsinnige Gefühllosigkeit,
als in der Apathie Unempfänglichkeit und Unempfindlichkeit zum Ausdruck
kommen. Der Begriff des Leidens steckt in pathos (zugleich für erleben
und erfahren). Auch der Begriff der Patho-logie weist auf den
Stamm des Leidens, das erklärt und besprochen werden soll (logos).
Bei Klages stand das Pathische deshalb ausdrücklich auch für ein leidendes,
passives Verhalten, ein Sich-Hingeben. Das Sich-Hinein-Begeben in die
gefühlsmäßige Situation eines anderen, das mit dem Begriff der Em-pathie angesprochen
wird, beinhaltet dieses zum Mit-Leiden bereite und fähige passive Verhalten
eines Sich-Hingebens (vgl. Grimm 1889; Hermann 1983; Dorsch 1970).
[36]
Der Körper-Begriff markiert eine
Praxis menschliches Lebens in zwei Daseinsbereichen: in der einer Realität und
(vermittelt über die Leiblichkeit des Menschen) in der einer Wirklichkeit (vgl.
hierzu auch Böhme, G. 2001.1:164). Während ‘Realität’ eine dingliche Sphäre
umfasst, handelt es sich bei ‘Wirklichkeit’ um ein darauf bezogenes oder
gebundenes Geschehen und Erscheinen (zur Kategorie des Erscheinens vgl. Seel
1996 und Ders. 2000). In seinem Tun bringt der Mensch beide Seiten zusammen –
Materialität und Immaterialität, Realität und Wirklichkeit. In seinem
Körper-Sein liegt der existentielle Konflikt, dessen Unlösbarkeit in der
Subjekt-Objekt-Spaltung zum Ausdruck kommt (Vgl.
Plessner 1980).
[38]
Vgl.
Melo 2002.
[39]
Vgl. Deutsches Architektur Museum
Frankfurt am Main 2002.
[40]
Gernot Böhme spricht unterscheidet 5
Charaktere von Atmosphären, die sich in der konkreten empirischen Anwendung
aber mitunter als nicht trennscharf erweisen. So differenziert er (1.) stimmungsbezogene
Atmosphären, (2.) Atmosphäre mit gesellschaftlichem Charakter, (3.)
Atmosphären mit kommunikativem Charakter, (4.) Atmosphären vom Charakter der
Bewegungsanmutungen, und (5.) Atmosphären mit synästhetischem Charakter
(Vgl. Böhme, G. 2001.1:101ff). Zur empirischen Konkretisierung vgl. Hasse
2002.1.
[41]
Vgl. Unwin 1922:13.
[42]
Vgl. ebd.:17.
[43]
Wettbewerb zwischen Studenten der
Bergischen Universität Wuppertal, dokumentiert in einer Sonderausstellung am
Deutschen Architektur Museum Frankfurt am Main, vgl. auch Initiative PVCplus
(o.J.).
[44]
Neukirch (o.J.): 35.
[45]
Hall / Pfeiffer 2000:33.
[46]
Bastian Lange und Silke Steets
erklären am Beispiel der Hanauer Landstraße in Frankfurt am Main die subtilen
Prozesse der Herausbildung einer neuen Gruppe von jungen kreativen Unternehmern
(“new enterpreneurs”), die in den verschiedensten Branchen an einem Ort eine
unverwechselbare unternehmerische und Lebensstil generierende Dynamik
entfalten, der nach bürgerlichen Vorstellung kaum als “schönes” oder
attraktives Stadtviertel gelten mag (vgl. Lange / Steets 2002).
[47]
Vgl. dazu vor allem Lyotard 1982.
[48]
Der “culture jammer” ist ein
semiotischer Streuner im Stadtraum, der mit den Mitteln der neuen Medien seine
symbolischen Weltbezüge auf experimentelle Weise hybridisiert (vgl. dazu auch
die user profiles von Frankfurt als empirisches Ergebnis einer Studie über new
entrepreneurs (Lange / Steets 2001:12f sowie genauer Lange / Steets 2002).
[49]
Ein “yetti” ist ein “young,
entrepreneurial, tech-based worker” der multimedialen Welt. Er verdient in immens
langen, unregelmäßigen Arbeitszeiten immens viel Geld, hat aber kaum Zeit, es
auszugeben (vgl. Lange / Steets 2001:13).
[50]
Ein “bobo” ist der Typ neuer Elite
des Informationszeitalters. Er ist gebildet, durchschaut gesellschaftliche Verhältnisse,
nutzt dieses Wissen ökonomisch und kombiniert in der eigenen Lebenspraxis gesellschaftliche
Werte auf unkonventionelle Weise (vgl. Bastian Lange / Steets, Silke 2001, S.
13).
[51]
Gernot Böhme differenziert in einer
aktualisierenden Fortschreibung der “Kulturindustrie” der Frankfurter Schule
zwischen einer ökonomischen Formatierung von Bedürfnissen und Begehrnissen vgl.
Böhme, G. 2001.2).
[52]
Den Umschlag von staatlicher
Disziplinarpolitik in einen eigens nach Kategorien des Ordnungs- und Disziplinarstaates
gestalteten öffentlichen Raum dokumentiert für das Beispiel Los Angelos Mike Davis
(vgl. Davis 1990).
[53]
Es ist dies die Baudrillardsche
Vision der “fatalen Strategien” (vgl. Baudrillard
1987).
[54]
Böhme, H. 2000:91.
[55]
Vgl. das Votum von Gernot Böhme zur
Erinnerung der Rolle von Natur in einer Stadt, deren Grün(-präsentation) ein
Nachdenken der eigenen Natur provoziert (nicht zuletzt durch die Rettung von
Stadtbrachen) (Böhme, G. 2001.3).
[56]
Vgl. auch
Böhme,
H. 1998 sowie Maset 1995.
[57]
Böhme, H.
1998:74.
[58]
Foucault
1978:33.
[59]
Ebd.:35.
[60]
Moderne, aufklärungsbedingte
Exklusionen des Denkens struktureller Art rekonstruiert Foucault auf dem
zivilisationsgeschichtlichen Hintergrund einer christlich-jüdischen Kultur des
Verzichts auf das eigene Wollen und das eigene Selbst.
[61]
Vgl.
Foucault
1993:61 (vgl. dazu auch Hasse 2002.2).
[62]
Nach Nicole Ruchlaks Auffassung
verfolgt Foucault mit seiner Ethik als “Ästhetik der Existenz” ein Projekt, das
dem Ziel Heideggerscher Philosophie ähnlich war. Beide erkannten im “gesunden
Menschenverstand” eine Verstandesmacht am Werke, die seit der Aufklärung in
zahllosen Ausblendungen der Führung eines Lebens nicht mehr zureichend sein
konnte, das es dem Individuum gestatte, “sich als Subjekt einer moralischen
Lebensführung zu konstituieren”, was hieß, sich selbst rechtfertigungsfähig wie
ein Kunstwerk zu schaffen (vgl. Ruchlak 2000).
[63]
Foucault
1993:32 sowie Hutton 1988:155.
[l64]
Foucault
1972:113.
[65]
Zur Beziehung von Diskurs und Macht
bei Foucault vgl. Lorey 1999.
[66]
Vgl. Bublitz 1999:33f.
[67]
Foucaults poststrukturalistische
Methode ist nicht mit Straus´ phänomenologischer Methode vergleichbar, und doch
laufen beide auf eine vergleichbare Intention hinaus. Beide suchen Wege zur
Erweiterung des Denkbaren, der Bezugspunkte des Sinns sowie grundsätzlich der
Pluralisierung der Selbstkonstitution. Foucaults Theorie hat auch eine andere
Reichweite als die von Straus. Foucaults Denken durchwirkt einen
gesellschaftstheoretischen und darin philosophisch entworfenes Programm
postmoderner Aufklärung jenseits rationalistischer Selbstbeschneidung. Straus
umreißt eine Theorie der Sinnlichkeit und zieht einen inkludierenden Bogen um
die Eindrücke und Empfindungen, die bei Foucault als immaterielle Materialien
der Macht entschlüsselt werden sollen.
[68]
Zur Lippe
1997:177.
[69]
Dies kann hier mit Dürckheim gesagt werden, dessen kritische Ausgangspunkte
und Zielperspektiven sich weitgehend mit denen von Erwin Straus decken,
arbeiteten beide doch zur gleichen Zeit an der Überwindung derselben
Denkbarrieren im wissenschaftlichen “Umgang” mit dem Menschen (Dürckheim
1932:445).
[70]
Dürckheim 1932:412f.
[71]
Lorenzer 2002:156.
[72]
Es kann als eines der zentralen
Ziele der Schmitzschen Phänomenologie angesehen werden, durch eine begrifflich
gestützte Differenzierung der Wahrnehmung für das eigene Erleben und die Rolle
der Gefühle im Denken und Tun die Fähigkeit zur begrifflichen Aussprache “subjektiver
Sachverhalte“ aufzubauen (i.S. einer knappen Zusammenfassung wichtiger Elemente
seiner Phänomenologie auf dieses Ziel hin vgl. Schmitz 1998).
[73]
Straus
1949:252.
[74]
Lorenzer sieht in der Aussagbarkeit
präsentativer Symbolkonstellationen eine “Schwellensituation”, die eine Brücke
zum diskursiven Symbolsystem zu schlagen vermag (vgl. Lorenzer 2002:77).