Zur Sprache bringen
Eine Kritik der Architekturkritik
7. Jg. , Heft 2, (Januar 2003)    

 

___Axel
Schultes

Berlin
  Das Elend des Berliner Feuilletons
am Beispiel des Berliner Stadtschlosses


 

'Es gibt ein Versprechen, bestehend aus umbautem Raum. Dieses Versprechen ist achttausend Jahre alt: die Großstadt'; – und über die Jahrtausende hin hat jede Zivilisation, jede Stadt dieses Versprechen auf andere, jeweils sehr eigene Art eingelöst. Im Jemen, in Schibam, anders als in New York City, im muslimischen Cordoba anders als im viktorianischen London, in Venedig anders als in Berlin.

Eines aber war auf staunenswerte Weise konstant: die direkte, so vielfältige Entsprechung der jeweiligen gesellschaftlichen Ordnung mit der stadträumlichen Struktur des Wirtskörpers, in dem sich städtisches Leben entfalten wollte. Vor knapp hundert Jahren zerbrach mit der aufkommenden Moderne diese Symbiose. Robert Musil – später auch Aldo Rossi – konstatierten: 'Das Synthesevermögen unserer Zeit ist zerbrochen, wir können nur Fragmente liefern: Lebensfragmente, Geschichtsfragmente, Planungsfragmente!'

Hundert Jahre nun scheint die 'Sonne, weil sie keine andere Möglichkeit hat, auf dieses Nichts des Neuen'. Ja, Krise ist, wenn das Alte stirbt und das Neue nicht geboren werden kann. Diese Krise schläft nun schon jeder Moderne bei, der Klassischen, der Postmoderne, der Dritten und der Vierten Moderne: das Reich der Räume, der Stadträume stirbt, wird unaufhaltsam umgebaut, bequemerweise umgebaut zu einer Despotie der Solitäre, wo Stadt degeneriert, mutiert von einer Schatzkammer der Räume zum Umschlagplatz und Warenlager der Objekte, die mit all ihrer Überheblichkeit den neuen Zusammenhalt, die new cohesion, den Ersatzraum, den Zwischenraum, die faule Ausrede installieren.

Irgendetwas geht also seinen Gang: die Entropie in der Architektur und im Gewebe der Stadt jedenfalls. Effekte – die Wirkungen ohne zureichende Ursachen – haben Konjunktur. Konjunktur hat auch die verheerende Gewohnheit unseres global village, den Sachen Namen zu geben, bevor die sich einen verdienen:

Alles ist Raum, sagen die Modernsten, und machen die Krise der Stadt zum allenfalls misslichen Begleitumstand auf dem Jahrmarkt der Moden und Eitelkeiten.

Dabei ist es bei der erstbesten Architekturveranstaltung mit Händen zu greifen, im neubabylonischen Aneinandervorbeihören der Kollegen: was unseren nachmodernen Pluralismus bei aller Buntheit so belanglos macht, ist das Fehlen einer Hierarchie in der planerischen Qualität, das Fehlen eines Maßstabs, ein Mangel an Instinkt für das Wesentliche: – für den Zauber und die Zeitlosigkeit der Räume. All das gilt im Großen wie im Kleinen, also auch in Berlin:

'Oh, Berlin, wie weit ab bist du von einer wirklichen Hauptstadt der Deutschen! Du bist durch politische Verhältnisse über Nacht dazu geworden, aber nicht durch dich selbst', (so Fontane vor über 100 Jahren, zur ersten Hauptstadtwerdung Berlins).

Ein schwachbrüstiges, leicht rachitisches Mädel war unsere Berolina, schon als unser Oberrestaurator Schinkel sich anschickte, das 'Großartige' zu begründen. Und seitdem und bis heute läuft der Ehrgeiz dieser Stadt ihrer Begabung immer drei Schritt vorweg, liegt ihr Potenzial immer schief zu ihrer Potenz; '– die halbe Flasche Champagner zum Frühstück, die Bismarck seinen Landsleuten empfahl, um zu ihren eigentlichen Möglichkeiten zu finden, wird bis heute ausgelassen.

'Mutters Kloß ist der beste' – mit dieser bräsigen, und doch immer auch hilflosen Selbstgewissheit, dieser 'Schusterhaftigkeit', wie Fontane sie nannte, eroberte sich damals die wilhelminische Hauptstadt ihren Platz an der Sonne.

Erst das Ende aller Gewissheiten brachte in den zwanziger Jahren für eine kurze, schwierige und doch glückhafte Periode das Chaos einer Metropole, ganz im Sinne Nietzsches: 'Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern zu gebären.'

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Berlin erinnerte sich sehr wohl an diese Zeit, – und träumte davon, da anknüpfen zu können.

Aber die so lange gehätschelte Stadt hatte Zukunftsangst, hatte Ordnungsangst, krallte sich wie zur Rückendeckung in ihre Geschichte. Dem Phantasma einer Identität, die es so, so fortschreibbar in unserer jungen Stadt nie gegeben hat, nachzujagen mit den Mitteln fast fundamentalistischer Restauration und Simulation, geriet zur Posse, zur Posse von der Provinzialität der Metropole.

  Berlin wurde eng, reduzierte sich ohne Not, aus Angst, sich zu verlieren: an eine jackboot-city, an eine Knobelbecher-Stadt erinnerten draußen die 'alten Fragen und die alten Antworten' eines preußisch durchsäuerten Neoklassizismus.

 

Ich kann hier nicht in die Beispiele gehen, ich kann sie nur antippen, kann zeigen, wie bescheiden Berlin auf die glänzenden Herausforderungen reagierte, erstickt am Pragmatismus, zufrieden fast jetzt im banalen Gelingen, möchte andeuten, was dumm gelaufen ist – ein Appell also an unsere Lernfähigkeit, die so schnell behauptet und die so mühelos widerlegt werden kann: 'Du nicht, Berlin' – kam die Stimme aus dem Off, bei einer der letzten großen Wettbewerbsjurys;

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  •  nachtrauern sollte ich dabei nicht mehr dem Strohfeuer der Euphorie, dem kein new deal, kein neues Denken, keine erkennbar andere Politik folgte – das Tor, das Brandenburger, bleibt zu.

  •  klagen will ich nicht mehr über die großen Wettbewerbe, deren Aktionismus in die Irre lief: wo die großen Stadtpotenziale, am Gendarmenmarkt, am Potsdamer und am Alexanderplatz, da, wo Berlin einen weltweiten Diskurs über Stadt hätte führen lassen können, in enge Investorengutachten gepresst wurden, da, wo Berliner Spezialitäten aber, die am Schloss und am Spreebogen, in absoluter Umkehrung jeder Wettbewerbslogik, zu internationalen Pseudo-Ereignissen hochorganisiert wurden;

  •  ich rede nicht mehr über die angeborene Grauhaarigkeit, die als Berliner Baukultur das müde Erbe Schinkels, Stülers, das von Behrens und Tessenow hochhielt und damit deutsche Enge fortschrieb, sich in Identitätstümeleien verstrickte;

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  • ich rede nicht mehr über die ohne Ergebnis abgenutzte Kontroverse um die Berliner Baupolitik, die auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten nichts Besseres wusste, als ausgerechnet und bezeichnenderweise die Oberfläche der Stadt, den architektonischen Geschmack über Stein und Glas, über Solidität und High Tech, über Sprödigkeit und Fabulierfreude, über tektonische, teutonische und intelligente Häuser als Streitpunkt herauszukitzeln, statt ihre Substanz, ihre räumlich-defizitäre Struktur auf den Prüfstand zu stellen... – Berliner Plätze sind gar keine, hieß es dazu schon im vorigen Jahrhundert!

 

  •  ich rede nicht mehr über die Friedrichstraße, wo sich die großen Berliner Blöcke mit der Auslöschung der Parzellenstruktur unter dem Dogma der Staffelhöhe von 30 m zu erbarmungslos abgefüllten Solitären verwandelt haben,

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  • nicht darüber, dass dieser Berliner Block – nicht auch, sondern gerade der an der Friedrichstraße – Gegenstand des ersten, großen, internationalen Wettbewerbs hätte sein müssen, dass seine dann neue stadträumliche Entwicklung, seine dann neue urbane Qualität Ausgangspunkt hätte sein müssen auf der Suche nach 'neuen Berliner Identitäten'; jenseits der kritischen Rekonstruktion, – mit einem zentralen Interesse: der unfruchtbaren Hermetik dieser Blöcke Porosität, also eine erste Chance auf urbanes Leben zu eröffnen;

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  • ich rede nicht mehr über den Potsdamer Platz, wo wir versucht hatten, die neuere Stadtgeschichte, diese 40-jährige Konfrontation der dritten Art, in ein räumliches Gleichnis zu gießen, einen zweiten Platz neben dem Leipziger zu begründen, einen Ort, der die extremen Dimensionen Berlins an dieser Stelle bewahrt, von 'nur mal über die Straße' bis 'ab in die Wälder', den 'Angriff der Gegenwart', die Banalitäten von Glas und Granit, so dosiert hätte, dass die 'übrige Zeit', unsere Erinnerung nicht ausgelöscht worden wäre;

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  • ich rede nicht vom Nachschlag zum Potsdamer Platz, vom ABB-Areal, wo wir die vier 'Waschmaschinen' als Kritik an den Daimler- Blöcken gegenüber so kombinierten, dass aus der überschüssigen Baumasse dieser Miniblocks nutzbarer städtischer Raum gewonnen werden konnte;

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  • wir wagten einen Appell an den Instinkt der Metropole, glaubten ganz vergebens an ein Klima kalkulierter Risikobereitschaft, – dachten nicht im Traum daran, so genannter Berlinischer Typologie zu folgen.

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Ich erwähne nur kurz das Spreebogenkonzept, – diese 'megaform as urban landscape', wie Kenneth Frampton sie bezeichnen würde, – seine wahre stadträumliche Dimension, vom Moabiter Werder bis zur Friedrichstraße, seinen langen Atem, der abgeschnürt wurde, dem die Puste ausgegangen ist – nicht etwa von Bonn stranguliert, das sich mittlerweile eingewöhnt hat in die Solidarität der Spur des Bundes zwei-, dreimal über die Spree,

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– nein, die Stadt selbst begriff nicht die Tragweite der Idee, das Besondere des Bundes in Berlin, begriff nicht die Spur der Institutionen von Ost nach West,

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quer durch die Speer'sche Staatsachse, als das für lange Zeit prägende, stadträumlich wirkungsvollste Bild der neu gewonnenen Bundespräsenz in Berlin.

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Wir standen vor diesem hausgemachten Versagen, vor diesem respektlosen Zerwalten einer so unumstrittenen Idee in Frust und Zorn. Nachdem der verraucht war, stellte ich meiner Stadt das schlimmste Armutszeugnis aus:

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ich verspürte Mitleid; zum Beispiel angesichts der Ignoranz gegenüber dem Bürgerforum, wo Berlin alle Gründe der Welt hatte, sich mit Nachdruck für eine zügige Realisierung einzusetzen,

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wo sich ausgerechnet Berlin einen 'Verrat an der Republik' nachsagen lassen wird, wenn denn der Bundestag – aber die Zeichen stehen eh schlecht – sich seiner Verantwortung endlich bewusst wird.

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Zwanzig Jahre auf die Wirkung frisch gepflanzter Baumalleen zu warten, die die großen Politbauten zur Rechten und zur Linken zu binden hätten, – unsere gemeinsame öffentliche Sache, also die res publica des Bürgerforums, auf ein paar Granitplatten zu verspielen, dieses Bild von einem Niemandsland der Republik ist so dürftig, dass Heiner Müller dann Recht behalten hätte:

 

‘Eigentlich war Deutschland nie ein Ort, es war immer eine Utopie.’ Und an dieser ’Utopie ’ hängt jetzt Statur, Maßstab, Bindung des Kanzleramtes. Ohne die Raumkanten des Forums ist der Bau, für lange Zeit das, was er nie sein wollte: auch nur ein Solitär.

Statt zusammen mit Forum und Alsenblock den Rückraum und die Folie für den Reichstag zu bilden, fehlt immer noch die alles erklärende, begreifbare räumliche Figur im weiten Rund des Spreebogens.

Ein langer Anlauf, um aufs engere Thema zu kommen, auf die Frage warum, – wenn schon die Produzenten von Architektur und Stadt – Staat und Kommune, Bauherrn und Investoren, Planer und Architekten – wenn die schon an jedem Synthesegebot zerbrechen, im Stückwerk herumwursteln, zufrieden fast schon im müden Gelingen, – warum dann nicht die Kritik, wenigstens die Kritik, im freien, unbedrängten Nachdenken dieser Krise auf den Grund gehen will; warum auch sie sich – doch befreit von der Zumutung des Herstellen-Müssens, der Lust des Herstellen-Könnens – warum auch sie sich immer nur an den Oberflächen abarbeitet, wie zum Beispiel beim so genannten Berliner Architekturstreit; immer wieder nur und zu gern in der Komödie von Stil und gutem Geschmack mitspielt, Lob und Tadel brav auf das jeweilig angebotene Ereignis justiert, die Soße abschmeckt?

'Complexity and Contradiction', diese Studie Venturis weg vom Spiel der Formen, der Kennerschaften, aufs Räumliche gewendet: das hätte, in unserem Metier, das wichtigste Buch des letzten Jahrhunderts sein können; – den Räumen und ihren Bedingungen nachzugehen, die Quintessenz von Architektur herauszufiltern, den ganzen gelehrten, schönen Zierrat von Form und Material ins zweite Glied und die Kraft und die Suggestion der Räume ins Zentrum kritischer Betrachtung, ins Zentrum unserer Ansprüche zu rücken.

Folie37 Kopie.jpg (200900 Byte) Nehmen wir also endlich die Schloss-Debatte und sehen zu, wie auch hier eine folgenlose Kritik historischer Vernunft in die Irre läuft, wo das Echte und die Fälschung, wo Gut und Schlecht fast wie Gut und Böse, wo alle feineren, aber vor allem alle fundamentalen Argumente ins Leere gefallen sind. Unsere Fachwissenschaft hat sich mit all ihrem ästhetisch-moralischen Rüstzeug brav an der Nase herumführen lassen, – wo doch schon 1993, mit einem Zwischenruf auf dem Stadtforum, der Kern des Problems auf den Punkt gebracht wurde: 'Was können wir tun, woran uns das Schloss 450 Jahre lang gehindert hat?', also mit der Frage nach dem alles überschattenden, dem stadträumlichen, urbanen Defizit, das das Schloss, vor allem in seiner Spätphase, erzwungen hatte.

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Lassen Sie mich diese Berliner Frage noch einmal stellen, der Kommissionsempfehlung und dem Bundestagsbeschluss zum Trotz, vor dem Hintergrund eines Medienechos, eines Kritikversagens, eines Jubelfeuilletons, einer müden Akademie, die sich ob der Wirkungslosigkeit ihrer Mittel noch einmal aufraffen müsste:

'Niemand wird die Segen stiftende Wirkung des wiedererrichteten Schlosses für das Neue Berlin bestreiten wollen; niemand wird unserer von Selbstzweifeln imprägnierten Stadtbaukunst die Kraft zutrauen, die 'Mitte der Mitte' mit einem zeitgenössisch-großzügigen, urban-festlichen Plan zu erlösen. Ich bin dieser Niemand'. So oder ähnlich hätte ein Architekt Lessing eine 'Berlinische Dramaturgie' über die Instinktlosigkeit seiner Landsleute in allen Fragen städtischen Raumes, in allen Problemen urbaner Dichte und Intensität beginnen lassen. Aber kein Lessing in Sicht.

 

 

 

Für ein Linsengericht, für nichts als eine Vedute, ein Panorama, eine Fassade, eine Illusion, eine Postkarte gibt Berlin – ohne Not – eine Jahrhundertchance aus der Hand.

Schaute man schon immer mit Sehnsucht auf die wunderbaren Raumbildungen, Stadtbildungen des Südens, schaut man schon immer mitleidig auf die vergleichsweise kargen, ärmlichen Hervorbringungen hier in der Märkischen Streusandbüchse, schleicht sich Wehmut ein: – könnte doch wenigstens da, wo das Schloss einmal stand, der schreckliche Verlust zum Guten, ganz ausnahmsweise einmal zum Guten gewendet werden!

Aber es sieht ganz danach aus, als wenn sich ein unerschöpflich kluges Wort, bald zweihundert Jahre alt, immer wieder als so traurig wahr erweisen muss: dass alle großen geschichtlichen Ereignisse sich sozusagen zweimal ereignen, das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce. Muss denn die alte Burg, die Arx Berolinensis, Tragödie in sich und in ihrer Zerstörung, muss denn nun wirklich, im anschwellenden Chorgesang der Nostalgiker und Populisten, muss das Schloss als Farce wiederaufgeführt werden, als Komödie von Tradition und Geschmack, als Kurzschluss der Vorbilder, als Verrat an der eigenen Zeit, als Angst vor dem Neuen?

‚Unmögliches hat in der Kunst Gelingchancen, das Sichere ist immer zweifelhaft und aussichtslos': die vermeintliche Sicherheit der Kopie wird Zeugnis ablegen von dem armseligen, ausgetrockneten Rest einer Kultur, die müde an sich selbst, müde an ihrem eigenen Abziehbild kleben bleibt.

Und Tragödie, ‚Nachtheil der Historie für das Leben’ der Stadt, war das Schloss schon lange vor seiner Zerstörung: schon unser Oberbaumeister Schinkel, für den Stadt nur Labyrinth, nur Hemmnis seiner Träume war, schon Schinkel ließ sich vom 'Monolithen', vom Unstädtischen schlechthin, vom Schloss, vom 'Staat', und gegen die Stadt inspirieren.

Er fand es viel nobler, die neuen Kreationen schön frei in die Geographie zu komponieren, das 'Großartige', wie er meinte, zu begründen; der Berliner Burg – schon absehbar auf dem Weg in die Isolation, mit der neuen Orientierung auf die Linden – das Museum und später die Bauakademie isoliert dazu zu stellen – nicht die Polis, nicht die Agora (wie er blind behauptet), sondern die Akro-Polis, die Hoch-Stadt, die 'Nicht-Stadt', zum Vorbild zu machen, – dieser Mangel an Instinkt für das Urbane ist der Kern Berliner Tradition bis heute; als Strenge und Sprödigkeit bemäntelt, wirkt er seitdem in einer seltsam graphisch-trockenen Auffassung von Architektur, die das Poetische doch nur wie eine papierne Blume beschwört, stets das Sublime will und oft genug nur das Banale schafft.

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Aber nicht eine Krise der Objekte, der Architektur – wie Colin Rowe in collage city meint – hatte damals, und heute, Stadt verhindert, der Aufstand der Objekte, ihre armselige Selbstherrlichkeit hat Berlin in vielen zentralen Orten nicht in die Räume finden lassen: 'östlich der Elbe beginnt die Russische Steppe', 'öffentliche Lust ist wenig in Berlin', hieß es dazu schon vor hundert Jahren. Und dieses Defizit im Berliner Stadtraum – die Berliner 'Großzügigkeit' – setzt sich in trauriger Beharrlichkeit bis heute fort: zum Beispiel in der nicht nur mangelhaften, sondern völlig abwesenden Zentralität des so genannten Kulturforums, zum Beispiel im Leugnen des Bundesforums im Spreebogen, – ich sagte es bereits.
Folie44b Kopie.jpg (67250 Byte) Berlin aber stellt sich taub zu dieser Kritik: ob also das Schloss in altem, modernem oder hybridem Gewand wiederauferstehen soll, darüber darf – noch, aber nicht mehr lange – gestritten werden, – der alte, kalte, untaugliche, trostlose Stadtgrundriss aber, – das hier schlechte Gedächtnis der Stadt, des Staats, wie es viel richtiger heißen würde – der soll so oder so zum Herzen Berlins gemacht werden, zum Herzen der Winde und der Restflächen.

Und machen wir uns nichts vor: weder der alte Schlossplatz wird in städtisch dichter Version wiedererstehen können, noch wird die Schlossfreiheit neu dazu erfunden werden, um die wilhelminisch-geltungskranke, kolossale Isolation des Schlossmonolithen zu dämpfen. Auch unser Vorschlag zur Spreeinsel

 

– seit 1993 immer wieder überdacht – zwischendurch auch mal dem berühmten Kollegen, Schinkel, unterschoben, um gegenüber den Unberatenen Autorität zu behaupten,

– auch unser erster Vorschlag nahm sich, wie schon immer hier im dürren Norden, die Inspiration aus dem Süden; aber nicht die Schinkel’sche Kopie der Objekte, sondern die stadträumliche Gestalt selbst ist Ausgangspunkt der Transformation ins Berlinische hinein, war auch Kritik an der lokalpatriotischen Übertreibung:

als wenn das Schloss der Raumspender im Herzen der Stadt je gewesen wäre – er war es nie, vor allem zum Lustgarten und zu den Linden war er es nicht.

Unser erster Gedanke damals – und bis heute –: die 'dunkle Masse des Schlosses am Ende der Linden ins Räumliche wandeln', aus Masse Raum machen, den Monolithen zerschlagen, erlösen.

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Mit einem Arrangement der drei Fragmente, der drei Schlösser, die Räume – und Orientierungen – finden, die Berlin mehr als irgendwo sonst zusammenhalten müssen.
 
Folie52a Kopie.jpg (124616 Byte) Die drei Plätze, so 'italienisch' proportioniert wie sonst nichts in Berlin, geben die Grundlage für eine städtische Dichte und Intensität, die Walter Benjamin so sehnsuchtsweckend beschwört, die er erlebt hat in den Städten des Südens.

'Ein neues Stück Stadt städtisch zu nutzen – sich nicht festlegen müssen auf alle Zeit – das macht die Qualität eines solchen Ortes aus' – so schrieb ich vor Jahren – und konnte nicht ahnen, dass mit dem Lehmann’schen Vorschlag zur Komplettierung der Museen auf der Insel auch die Inhalte so prächtig zueinander finden: der große, neue Schlossplatz – nun heißt er Humboldt-Forum – spiegelt sich hinüber in den grünen Raum des Lustgartens; der Schlüterhof am neuen südlichen Platzende spiegelt sich im Alten Museum, ist vielleicht der Ort für die großen Ausstellungen, für Empfänge und Events. Die Kunst und die Wissenschaft, – die alte und die neue, – welch besserer Nachfolger lässt sich denken auf einer Insel, von der sich nach den bittersten Lektionen eines allzu deutschen Jahrhunderts die Politik verabschieden musste.

 

Aber auch die kritischsten Geister sollten keine Angst haben vor einer Musealisierung der Insel, etwa einer neuen Teilung Berlins durch eine Nutzung auf hohem Kothurn. Das Erdgeschoss der beiden Schlosshälften bleibt fest in Volkes Hand:

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– das Café Florian und alle seine polyglotten Brüder, alles, was Stadtlust zu befriedigen und aufzureizen vermag, mietet sich da hinein. Die beiden Hafenterrassen zur Spree und zum Kupfergraben mit ihren Vaporetti-Diensten von der Oberbaumbrücke bis zum Lehrter Bahnhof sind vom großen Platz aus durch die Kolonnaden zu jeder Tages- und Nachtzeit zu erreichen.

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Nur so viel zum Wesentlichen, zur Hauptsache, zur stadträumlichen Substanz der Insel. Aber all das gilt nichts, in einer Zeit, die den hilflosen Glauben an das Neue durch den genauso hilflosen Glauben an das Alte ersetzt hat. 'Gebt uns unser Schloss, unsere Liebe, unsere Illusion, gebt uns diesen Anker in der Verlorenheit einer Stadt, die nur 'viele Städte' ist, – gebt uns ein Phantasma von Identität – und schützt uns vor der Unfähigkeit unserer Architekten, vor den moralinsauren Bedenken der Historiker, vor der Wahrhaftigkeit vor unserer Geschichte.

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Aber diese Debatte über die alte architektonische Fabulierkunst und Dekorfreude auf der Seite der Nostalgie und der im allerbesten Fall räumlichen Fülle auf der Seite der nach unten offenen Skala zeitgenössischer Baukunst:
– diese Debatte ist sinnvoll nur an konkreten Alternativen zu führen.

Wir haben deshalb, mit gutem, probeweise, nur probeweise gutem Gewissen, einen 'Verrat' an der eigenen Zeitgenossenschaft hingenommen, um das räumliche Konzept auch für die Laien erlebbar, Schloss-vergleichbar, zu dokumentieren:

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wir haben die Schlüterhof-Fassade, die einzig urbane Fassade der Berliner Burg, im Sinne einer Beweisführung, einer Versinnlichung, einer Beseelung des Platzraumes aufgeboten; nicht etwa, um so etwas wie einen Durchbruch zu erzwingen, nein, viel bescheidener, – um zu zeigen, dass es sich lohnen würde, die Große Frage des Schlosses offen, offensiv zu betreiben, um der unergründlichen Naivität unserer Volksvertreter eine wiedererkennbare, laienlesbare Botschaft zu vermitteln.

Aber wie sagt Hegemann, 1930, über einen dem Andreas Schlüter unterstellten Entwurf zum Schlossplatz: '... dass dieser großartige Platzentwurf (...) unausgeführt geblieben ist, gilt künstlerisch empfindenden Berlinern als die Tragödie der Berliner Stadtbaukunst. Wenn dieser herrliche Platz gebaut worden wäre, hätte Berlin den großen künstlerischen Maßstab besessen, der die weitere Entwicklung beherrscht und gesteigert haben müsste. Mit diesem Platz vor Augen hätten die Berliner sich nicht in dem unarchitektonischen Durcheinander verlieren können, das später über ihre Stadt hereingebrochen ist'.

Aber damals und heute geht es um mehr, um viel mehr als um Architektenträume. Es geht um einen Platz höchster Zentralität, um die Mitte der Mitte, um den Salon der Stadt, wo Berlin, sich selbst in die Anschauung bringen könnte, wo Berlin sich feiern könnte, jenseits jeder Identitätstümelei, jenseits der offensichtlich unausrottbaren Berliner Schusterhaftigkeit.

Soweit ein Architekt nach 10-jährigem Nachdenken über die Mitte der Mitte. Und so wenig ist erreicht, zum Beispiel bei einer Schlosskommission, in der beschämenderweise ausgerechnet die Architekten, Peter Conradi einmal ausgenommen, tonangebend für die Restauration Stimmung machten, mehr noch, schon in der Wettbewerbsausschreibung das alte Schloss-Schema verbindlich vorgeben,

die Alternativen im Keim ersticken wollen. Und ohne Wirkung bleibt eben auch die professionelle Kritik, bei aller Rechtschaffenheit ihrer Positionen. 'Plädoyer fürs Authentische' nannte Wolfgang Pehnt seinen Beitrag zur Schlossdebatte hier in der Akademie, – und ich kann Zeile für Zeile mit voller Überzeugung unterschreiben.

Aber nicht nur sein Beitrag – sicher souveräne Zusammenfassung der Misere – die ganze Veranstaltung lief mit aller akademischen Akkuratesse ins Leere, hatte sich abgearbeitet an einem Anspruch, den niemand stellt. Woher also diese Ohnmacht des Besserwissens, bei aller klugen Beredsamkeit?

Ich behaupte: solange unsere Gedanken über Stadt und Architektur nicht von deren festen Kern ausstrahlen, wir die räumliche Gestalt – jenseits ihrer historischen Bedingtheiten – nicht als ultima ratio, als Quintessenz, als Quelle aller unserer 'Künste' begreifen und daraus Härte und Tiefe unseres Urteils gewinnen, – solange wir all unsere Gelehrsamkeit, all unsere Professionalität als Glasperlenspiel betreiben, müssen wir uns am Ende dieses Spiels mit einer rührenden Sage abfinden: dass Architektur, Architektur der Stadt jemals mehr war als ein Gebräu von Raumkunst und Kunstgewerbe, nur ein Spiel also, das damit kokettiert, dass wir nie gewusst hätten und 'nie wissen werden, was Raum ist'.

Aber dann verdient die Stadt und das Land wohl auch nichts anderes.


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