Der öffentliche Raum
in Zeiten der Schrumpfung

8. Jg., Heft 1 (September 2003)    

 

___Beate Profé
Berlin
  Neue Strategien in der Freiraumentwicklung in Berlin


 

 

In Berlin wird zurzeit das Stadtentwicklungskonzept 2020 – kurz STEK 2020 – erarbeitet. Ziel ist, die längerfristigen stadtentwicklungspolitischen Ziele und Leitlinien zu formulieren sowie einen Rahmen und Schwerpunkte für die zukünftige Stadt- und Freiraumplanung und -entwicklung zu setzen. Zunächst werde ich kurz auf die allgemeinen Aspekte des STEK 2020 eingehen und dann die spezifischen Ansätze für die Freiraumplanung beleuchten.

Ausgangspunkt unserer Arbeit war eine so genannte Statusbestimmung. Was ist in den vergangenen 10 bzw. 13 Jahren passiert und wo stehen wir heute? Wie werden sich die Bevölkerung und die sozialen und ökonomischen Rahmenbedingungen voraussichtlich verändern?

Einzelne Ergebnisse dabei waren:
Die Bevölkerungsanzahl Berlins hat sich entgegen mancher Erwartungen nicht wesentlich erhöht, sie hat sogar leicht abgenommen, und zwar in der Innenstadt stärker als am Stadtrand.

 

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Bevölkerungsentwicklung (1991-2000)

Die Vermutung ist, dass die Bevölkerung in Berlin von heute rund. 3,4 Millionen auf 3,3 Millionen im Jahre 2015 abnimmt. Die EU-Osterweiterung wird nach aktuellen Einschätzungen von Experten nicht dazu führen, dass Berlin wesentliche Zuwanderungen aus Osteuropa erhält. Im Zusammenhang mit dem Stadtentwicklungsplan Verkehr ist für 2030 ein Szenario von 3,0 Millionen Einwohnern erarbeitet worden.

Berlin steht mit dieser Entwicklung nicht alleine, und relativ gesehen trifft der Bevölkerungsrückgang insbesondere viele ostdeutsche Städte noch viel dramatischer.
 

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Nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ wird sich die Bevölkerung verändern.
 

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Stagnierende Einwohnerentwicklung bedeutete bisher allerdings nicht zugleich auch stagnierende Wohnungs- und Siedlungsflächenentwicklung.
 

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Die Entwicklungsannahmen des Flächennutzungsplanes von 1994 wurden allerdings in weiten Teilen nicht erreicht, so dass nun Diskussionen beginnen, inwieweit Flächenpotenziale für Wohnungsbau und Gewerbe zu Gunsten einer Freiraumsicherung im Flächennutzungsplan zurück genommen werden.

 

 

 

Freiraumentwicklung

 

In Folge der gebremsten Dynamik hat sich die Inanspruchnahme von Freiflächen zwischen 1990 und 2000 mit durchschnittlich 48 ha pro Jahr gegenüber der Zeit von 1980 bis 1990 mit durchschnittlich 370 ha pro Jahr deutlich reduziert. Allerdings wurde dieser Rückgang der Flächeninanspruchnahme durch die Entwicklung im Speckgürtel mit durchschnittlichen 1000 ha jährlichen Zuwächsen an Siedlungs- und Verkehrsflächen deutlich überkompensiert.
 

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Die Fläche der Grünanlagen hat in den vergangenen 10 Jahren nicht unerheblich zugenommen. Von den geplanten „16 neuen Parks für Berlin“ sind 10 bereits realisiert bzw. stehen kurz vor der Realisierung.

 

bild6.jpg (41260 Byte) Vielfach wurden dafür als Folge von Eingriffen in Natur und Landschaft Mittel für Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen verwandt. Während die Mittel für Investitionen in Grünanlagen zwischen 1991 und 2001 von jährlich 57 Millionen DM auf 14 Millionen DM gesunken sind, belaufen sich allein die von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung vorgeschlagenen, gesicherten und zum Teil realisierten Ersatzmaßnahmen seit 1995 auf ein Volumen von rund 300 Millionen DM. Dramatisch ist vor allen Dingen, dass sich die Mittel für Pflege und Unterhalt der Grünflächen in den vergangenen Jahren drastisch reduziert haben.


 
 

Entwicklung der Finanzmittel für die Pflege und Unterhaltung der öffentlichen Grünanlagen Berlins

Perspektiven
 

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Es ist davon auszugehen, dass in den kommenden Jahren in erheblichem Umfang Flächen aus der bisherigen Nutzung herausfallen und potenziell für eine Freiraumnutzung zur Verfügung stehen.

Allein bei den Friedhöfen besteht zur Zeit schon ein Überhang von über 300 ha. Bis 2015 werden über 700 ha nicht mehr benötigte Friedhofsfläche existieren.
 

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Knapp 100 Schulen werden insbesondere in den östlichen Bezirken nicht mehr benötigt. Für über 20 davon ist der Abriss beschlossen. Wahrscheinlich werden es noch deutlich mehr. Allein im Bezirk Marzahn-Hellersdorf stehen 60 Kindertagesstätten zur Disposition. Die abgeräumten Flächen sollen im Wesentlichen für eine Freiraumnutzung hergerichtet werden.

Darüber hinaus werden aller Wahrscheinlichkeit nach die beiden innerstädtischen Flughäfen Tempelhof und Tegel still gelegt. Ein Wasserwerk steht zur Disposition. Mindestens ein großer Teil dieser Flächen soll als Freiraum erhalten bleiben.

Vor dem Hintergrund der dramatischen Finanzlage ist nicht zu erwarten, dass zusätzliche Mittel bereitgestellt werden können, um diese Flächen zu unterhalten. Deshalb sind veränderte Strategien erforderlich.

 

 

Handlungsansätze


Die Pflege und Unterhaltung der Grünanlagen muss zukünftig differenzierter ausgestaltet werden:

Gesamtstädtisch bedeutsame Anlagen wie die repräsentativen Flächen im Zentrum (z. B. Platz der Republik, Pariser Platz, Lustgarten), die hoch frequentierten Parks der Innenstadt (z. B. der Mauerpark, der Görlitzer Park oder die Hasenheide) sowie gartenkulturell bedeutsame Anlagen auch in der äußeren Stadt wie z. B. der chinesische Garten und der kürzlich eröffnete japanische Garten sind intensiver zu pflegen. Andere Anlagen, die diese Kriterien nicht erfüllen, werden mit noch weniger Geld auskommen müssen.

Wir arbeiten zurzeit daran, innerhalb des Systems der Kosten- und Leistungsrechnung einen so genannten „Wertausgleich“ zwischen den Bezirken Berlins herzustellen. Dabei sollen für die Finanzmittelzuweisung für die Grünflächenpflege sowohl grünfachliche Kriterien als auch Sozialdaten herangezogen werden, um das knappe Geld zielgerichteter verteilen zu können.

Neue öffentliche Grünanlagen in Form von klassischen Parks und Plätzen können nur noch an strategisch besonders bedeutsamen Orten entstehen, um z. B. wichtige Verbindungen für Menschen, Tiere oder Pflanzen im Sinne des Biotopverbunds herzustellen. Die bestehenden Richtwerte für die Ausstattung mit wohnungsnahen und siedlungsnahen Grünflächen, die auf Empfehlungen der Gartenamtsleiterkonferenz im Deutschen Städtetag aus den 70er Jahren basieren, werden daher einer kritischen Überprüfung unterzogen.

Für die zusätzlichen freien Flächen sind neue Modelle zu entwickeln, die weder in der Herstellung noch in der Unterhaltung den Kostenrahmen einer öffentlichen Grünfläche haben können. Z. B. kann die Entwicklung von Waldflächen an geeigneten Standorten eine Alternative darstellen, weil sie sowohl in der Anlage als auch in der Unterhaltung wesentlich preiswerter sind, auch weil im Wald die Verkehrssicherungspflicht  nicht den hohen Anforderungen wie in einer öffentlichen Grünanlage genügen muss.

Auch die Grünfläche auf Zeit wird in Anbetracht der momentan nicht benötigten Bauflächenpotenziale zu diskutieren sein, wobei allerdings rechtliche Fragen hinsichtlich der Baumschutzverordnung und der Eingriffsbewertung nach dem Naturschutzgesetz zu klären sind. Damit könnten auch aktuelle Freizeitbedürfnisse befriedigt werden, wie man am ehemaligen Stadion der Weltjugend sehen kann. Der Sportartikelhersteller Nike betreibt auf einem zukünftigen Wohn- und Büroflächenquartier ein Gelände für Beachvolleyball und anderen Freizeitsport.

Dieses ist nur ein Beispiel für neue Trägerschaften, die zu entwickeln und zu fördern sind. Dabei sind sowohl Anlieger von repräsentativen Plätzen wie dem Leipziger Platz oder dem Pariser Platz gefragt wie Wohnungsbaugesellschaften, für die sich die Vermietbarkeit von Wohnungen und Büros durch gut gepflegte Freiflächen verbessert. Aber auch die Verantwortlichkeit von AnwohnerInnen für ihre Parks und Plätze sollte gesteigert werden. Im Rahmen des Quartiersmanagements wird dieser Ansatz bereits intensiv verfolgt.

Ziel bleibt es, die grünen Qualitäten Berlins auch als Faktor in der Standortkonkurrenz der Metro
polen zu erhalten und zu entwickeln.


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