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Architektur(-theorie) 'from outer space' zu betrachten, wie es sich diese
Ausgabe des „Wolkenkuckucksheim“ zum Thema gemacht hat, erscheint als
interessante Herausforderung. Dabei nehmen die Gender Studies – gegenüber
den anderen hier aufgeforderten Perspektiven – jedoch eine Sonderstellung
ein: Gender Studies bzw. Geschlechterforschung ist per se eine
Querschnittsthematik, die im Prinzip selbstverständlich in die Architektur
wie in jede andere wissenschaftliche Disziplin gehört – sei dies die
Soziologie, die Geschichte, die Geographie oder die Philosophie. Gender
Studies gehören jedoch zu den jüngeren Forschungsperspektiven, die erst mit
der – durch die Neue Frauenbewegung ausgelöste – Feminisierung der
Wissenschaften seit den 1970er Jahren begonnen haben, andere Perspektiven
einzunehmen, andere Fragen aufzuwerfen, andere Schwerpunkte zu setzen,
andere Zusammenhänge herzustellen und diese nun nach und nach zu
dokumentieren und empirisch zu untermauern. Insofern ist deren
selbstverständliche Präsenz auch in der Architektur bisher kaum gegeben,
auch wenn es mittlerweile eine Fülle an Projekten und theoretischen Ansätzen
gibt, die in der Regel von Fachfrauen, seltener -männern, vertreten werden,
nicht nur von Architektinnen, sondern gerade auch 'from outer space'.
Gender
Studies in der Architektur: Beitrag zu einem Perspektivenwechsel
Was versteht man eigentlich unter Gender Studies? Die Gender Studies
entwickelten sich um 1970 aus den Women's Studies, die seinerzeit an einigen
US-amerikanischen Universitäten als Studienfach aufgenommen wurden. Die
Women's Studies beschäftigten sich mit der wissenschaftlichen Betrachtung
der Situation von Frauen in einer von Männern dominierten Gesellschaft, und
zwar aus einer feministischen Perspektive, das heißt mit dem Ziel einer
Veränderung der Geschlechterverhältnisse. Wissenschaft war bis dahin - auch
wenn es um Frauen ging - von Männern betrieben worden; entsprechend
einseitig waren die Ergebnisse. Die Objektivität der Wissenschaft wurde mit
den Women's Studies in Frage gestellt. Neu wurde die weibliche Erfahrung
sozialer und kultureller Realitäten zum Gegenstand wissenschaftlicher
Erkenntnis gemacht. Mit der Einnahme einer "frauenzentrierten" Sichtweise
(Begriff nach Lerner, 1984) sollten die Diskrepanzen zwischen der männlichen
Sicht auf Frauen und der von Frauen selbst erfahrenen Lebenswirklichkeit
aufgedeckt und erörtert und die männlich dominierten Theorien revidiert
werden. Damit sollte einerseits gezeigt werden, dass Männer und Frauen
gleich bzw. gleichwertig und damit gleichberechtigt seien, andererseits
wurde daran festgehalten, dass es eine eigene "Frauenkultur" gäbe. In der
Unvereinbarkeit dieser beiden Ansätze stießen die Women's Studies an ihre
Grenzen. Aus diesem Dilemma entwickelten sich seit 1975 die Gender Studies,
die den Unterschied von biologischem (sex) und sozio-kulturell überformtem
Geschlecht (gender) untersuchten und das Verhältnis der Geschlechter in
Abhängigkeit vom jeweiligen historischen und gesellschaftlichen Kontext in
den Fokus rückten. Auch im deutschsprachigen Raum entwickelte sich die
Geschlechterforschung als eigene Disziplin.
Die Geschlechterforschung zeichnet sich durch die Anwendung
unterschiedlicher wissenschaftlicher und analytischer Methoden aus, die je
nach Forschungsobjekt variieren und die Subjektivität bzw. die Abhängigkeit
der Forschungsinhalte, -methoden und -ergebnisse vom forschenden Subjekt
thematisieren. Sie integriert verschiedene separate Diskurse: zum einen
radikal-feministische oder konstruktivistisch orientierte, die eher auf der
theoretischen Ebene geführt werden, zum anderen unmittelbar
anwendungsbezogene Ansätze, die Grundlagen liefern sollen für das konkrete
Handeln in der Praxis. Die Berücksichtigung der Geschlechtsrollen in der
wissenschaftlichen Forschung stellt eine Form der Wissenschaftskritik dar,
die Anwendungsorientierung führt zu konkreten politischen Forderungen, die
an die betreffenden AkteurInnen gerichtet werden. Letzteres spielt gerade in
der hier betrachteten Disziplin, der Architektur, eine gewichtige Rolle.
Gender Studies in Architektur und Planung
In der Architektur wie auch in der (Stadt- bzw. Raum-) Planung lag der
Schwerpunkt - im Sinne der konzeptionellen Orientierung dieser entwurfs- und
gestaltungsbezogenen Disziplinen – zunächst auf den praktischen, unmittelbar
handlungsorientierten Ansätzen. Eine feministisch gegründete bzw. die
Geschlechterverhältnisse berücksichtigende und kritisch hinterfragende
Architekturtheorie wurde dabei eher vernachlässigt, zumindest wenig explizit
verfolgt. Eine Ausnahme bilden hier – zumindest für den deutschsprachigen
Raum – insbesondere die Arbeiten von Kerstin Dörhöfer, eine der ersten
Architektinnnen, die auf eine Professur berufen wurde und die seit Beginn
der 1980er Jahre – häufig in Zusammenarbeit mit der Soziologin Ulla
Terlinden – kontinuierlich zu einer entsprechenden theoretischen Fundierung
und Positionierung beigetragen hat (1985, 1990, 1998).
Angesichts der stark männlich geprägten und dominierten Architekturdisziplin
wurden die Forschungen in Architektur und Planung insbesondere aus der
Perspektive der Women's Studies bzw. Frauenforschung vorgenommen. Dabei ging
es um die Kritik an den bestehenden Bau- und Raumstrukturen, zunächst
bezogen auf Wohnung und Wohnumfeld (Warhaftig 1985; Zibell 1983), in der
Folge auch auf die öffentlichen Räume der Stadt (Greiwe/Wirtz 1986) und
schließlich auf regionale Siedlungsräume (Bock u. a. 1993) und
Planungsprozesse (Grüger 2000), die im Hinblick auf die Bedürfnisse und die
Präsenz von Frauen untersucht wurden, regelmäßig mit dem Ziel der
unmittelbaren Anwendung bzw. der Umsetzung vor Ort. Auf der Grundlage der
ersten zum Teil empirisch gestützten, zum Teil von Selbsterfahrung geprägten
Untersuchungen wurden Konzepte und Projekte entwickelt, aber auch Netzwerke
gebildet und Strategien entworfen. Wichtige Beiträge zur theoretischen
Fundierung dieser eher planungs- und prozessbezogenen, politisch motivierten
Ansätze stammen von Ruth Becker (1997), einer Volkswirtin mit Schwerpunkt
Wohnungswirtschaft, zum Teil auch von Marianne Rodenstein (1994), einer
Soziologin mit Bezug zur Stadt- und Regionalplanung, also 'from outer space'.
Die Einnahme einer ausdrücklichen Gender Perspektive hielt in Architektur
und Planung erst in den 1990er Jahren Einzug; Vorreiterinnen waren hier die
Bearbeiterinnen eines Forschungsprojektes des Bundes zum Thema
'Frauengerechte Stadtplanung', bei dem erstmals ausdrücklich eine 'gender-sensitive'
Sichtweise eingenommen wurde (BMBau 1996). Hier geht es nicht mehr um eine
Polarisierung der vermeintlichen Lebenswelten von Frauen und Männern,
sondern um eine differenziertere Betrachtung unterschiedlichster
Alltagsmuster und Lebenszusammenhänge. Anlass für diesen Perspektivenwechsel
war insbesondere das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung, das in Folge der
Rio-Konferenz von 1992 weltweit eingeführt wurde und im Rahmen der
gesellschaftlichen Dimension der Nachhaltigkeit zum Diskurs über die
Bedeutung der Geschlechtergerechtigkeit auch in Architektur und Planung
führte (vgl. SRL 1998). Die Einführung der Gender-Mainstreaming-Strategie
zum Ende der 1990er Jahre hat zu einer Verstärkung dieses
Perspektivenwechsels beigetragen.
Welches sind nun die Erkenntnisse, zu denen Frauenforschung und Gender
Studies in Architektur und Planung beigetragen haben?
1.
Planen
und Entwerfen / Bauen sind nicht geschlechtsneutral
Es spielt eine Rolle, wer plant und entwirft, baut und entscheidet:
Alltagserfahrungen und persönliche Geschichte prägen Maßstäbe und
Zielsetzungen, auch beim Planen und Entwerfen.
So kann man feststellen, dass – als Frauen begannen, sich in die Architektur
einzumischen – sie typischerweise Themenfelder besetzten, die ihrem
Lebensalltag entsprangen: Wohnungsbau und soziale Infrastruktur, Küche und
Hausarbeit. Das zeigen sowohl die Beispiele der utopischen Feministinnen auf
dem amerikanischen Kontinent des 19. Jahrhunderts als auch die Projekte der
ersten Architektinnen der Moderne im Europa des frühen 20. Jahrhunderts. Die
sog. "utopischen Feministinnen" waren übrigens selten selbst Architektinnen,
sondern zum Beispiel Pädagoginnen wie Marie Stevens Howland oder
Sozialtheoretikerinnen wie Melusina Fay Pierce, die Erfinderin des
Cooperative Housekeeping und der küchenlosen Häuser, oder politisch
motivierte Feministinnen wie Charlotte Perkins Gilman, Erfinderin einer
kollektiv organisierten Hauswirtschaftsindustrie und Autorin
von 'Herland' (1915), der Utopie einer
reinen Frauengesellschaften. Alice Constance Austin schließlich, eine
Radikale aus der Oberschicht von Sta. Barbara, entwickelte eine ganze Stadt
in Kalifornien, die mit ihren unterirdischen Transportsystemen einer
umfassenden Ver- und Entsorgungsindustrie für einmal die Anforderungen der
Hausarbeit zur Grundlage der Stadtentwicklung machte (vgl. hierzu: Hayden
1982). Daneben nehmen sich die Architektinnen der europäischen Moderne – wie
zum Beispiel Grete Schütte-Lihotzky (1897-1998) mit ihren Beiträgen zur
Entwicklung der modernen Einbauküche oder auch Lilly Reich (1885-1947) mit
ihren Entwürfen für Möbel wie platzsparende Kochschränke oder für Boarding
Houses – recht bescheiden aus. Dennoch haben all diese Frauen nachweislich
auf den Gebieten, in denen sie als "Hausarbeiterinnen" qua Geschlecht
sozusagen professionell tätig waren, jeweils eindrückliche und innovative
Leitungen vollbracht.
Der durchschnittliche Planer / Architekt ist jedoch bis heute männlich, gut
situiert, gesund, in den besten Jahren und hat in aller Regel einen
entsorgten Alltag – entweder durch eine Ehefrau oder Lebenspartnerin, die
ihm "den Rücken freihält" oder wie Statistiken bis heute belegen den
Löwenanteil der Hausarbeit übernimmt, oder durch den Einkauf bzw. Zukauf
entsprechender Dienstleistungen wie Reinigung, Putzhilfe, Gastronomie etc.,
die Frauen – auch als Singles und insbesondere als Alleinerziehende –
aufgrund ihrer durchschnittlich schlechteren Einkommenssituation ungleich
weniger zur Verfügung stehen. Blinde Flecken in Architektur und Planung sind
vorprogrammiert (gender blindness); Bedürfnisse an Architektur und Stadt,
die sich aus den Anforderungen der Haus- und Versorgungsarbeit ergeben,
spielen regelmäßig eine untergeordnete Rolle gegenüber den Anforderungen von
Wirtschaft und Erwerbsarbeit (vgl. Bock u. a. 1993; Dörhöfer / Terlinden
1998).
2.
Der
Lebensalltag prägt die Bedürfnisse bzw. die Anforderungen an den Raum:
Bedarfslagen sind zu differenzieren, nicht zu standardisieren
Frauen und Männer, Familien und Singles oder Dinkies, gesunde und kranke
oder behinderte Menschen, Alte und Junge sowie Menschen verschiedener
sozialer und kultureller Herkunft stellen aufgrund unterschiedlicher
Alltagserfahrungen andere Anforderungen an Raum- und Siedlungsstrukturen. So
ist die Wohnung für Frauen zum Beispiel traditionell der primäre
Arbeitsplatz, egal ob sie berufstätig sind oder nicht, ob sie Kinder haben
oder allein leben. Auch für Kinder, die ihre Schulaufgaben erledigen, oder
für alte und betagte Menschen, ist die Wohnung zentraler Lebensraum, in dem
sie nicht nur schlafen und sich pausenlos erholen, sondern wo sie sich
versorgen und auf vielfältige Weise tätig sind. In der Wohnsoziologie wird
Wohnen jedoch immer noch unreflektiert überwiegend aus einer
androzentrischen Perspektive betrachtet und in erster Linie als Ort der
Ruhe, Muße und Erholung definiert (vgl. z. B. Häußermann / Siebel, 1996:
15). Dies gilt sicher für das klassische Modell des berufstätigen
Familienvaters, der abends nach einem anstrengenden Arbeitstag nach Hause
kommt und vor allem ausspannen möchte, aber auch für gesunde und aktive
Singles und Dinkies, die nach dem Arbeitstag noch ins Fitnessstudio gehen,
ins Restaurant oder Kino und Konzert und für die die Wohnung allenfalls
Ausgangs- und Endpunkt ihrer täglichen Aktivitäten oder auch mehrtägiger
berufsbedingter Abwesenheiten darstellt. Dennoch sind hier weniger kleine
Wohnungen und Appartements gefragt, sondern vielfach gerade besonders
großzügige, loftartige Wohnformen. Mit zunehmendem Wohlstand dient die
Wohnung zunehmend auch der Lagerung für allerlei Sport- und Freizeitgerät;
hierfür braucht es ausreichend Platz und Stauraum, wenn nicht in Keller oder
Garage, dann in entsprechenden Nebengelassen innerhalb der Wohnung. Daneben
nehmen angesichts der Tendenzen der Flexibilisierung in der Arbeitswelt und
der Möglichkeiten der Informations- und Kommunikationstechnologien neue
Formen der Heim- und Hausarbeit für verschiedene Büro- und Beratungsberufe
zu.
Standardisierung war jedoch – insbesondere in den 1950er und 1960er Jahren,
der Hochkonjunktur des Sozialen Wohnungsbaus – sehr verbreitet. Die
Konsequenz ist, dass wir es heute mit recht einseitigen Wohnungsbeständen
von Klein- und Normalwohnungen – noch dazu polarisiert in
Geschosswohnungsbau und Einfamilienhaus – zu tun haben, die einem Umbau für
die aktuelle Vielfalt an Haushalts- und Lebensformen gegenüberstehen und
sich mehr oder weniger für eine bedarfsgerechte Anpassung eignen. Zur
Klärung, inwieweit die alters-, geschlechts- oder milieuspezifischen
Bedarfslagen sich hier unterscheiden, inwieweit Wohnbedürfnisse und
Wohnrealitäten zur Deckung gebracht werden können etc., ist die Einnahme der
Gender Perspektive eine zentrale Grundlage und führt zu den erforderlichen
Differenzierungen, die der Gesellschaft im demographischen Wandel
entsprechen. Das genaue Betrachten und Analysieren der jeweiligen örtlichen
Situation, die heute auch kleinräumig, d.h. zwischen Stadtteilen und
Landkreisen bzw. Ortslagen, stark variieren, ist ein zentrales Prinzip der
Gender Studies in Architektur und räumlicher Planung.
3.
Es
bedarf nicht nur differenzierterer Projekte, sondern auch veränderter
Strukturen und Prozesse
Im Rahmen der Frauenforschung sind einige dieser anderen Bedarfslagen
aufgearbeitet worden, jedoch wenig systematisch und zu wenig empirisch
gestützt. Es gibt einige Pilot- und Modellprojekte, zum Beispiel aus den
letzten beiden Internationalen Bauausstellungen Berlin und Emscher Park
(dokumentiert u. a. in: IBA Emscher Park 1991), aber auch aus der Initiative
selbst organisierter Gruppierungen heraus, die die Anforderungen
unterschiedlicher Ziel- bzw. Anspruchsgruppen berücksichtigen. Dazu gehören
die im Zuge der Weltausstellung EXPO 2000 anerkannten dezentralen Projekte
Beginenhof Bremen und Mütterzentrum Salzgitter oder der Brahmshof in Zürich
und das Projekt des Vereins 'Stadt und Frau' im Freiburger Rieselfeld. Auch
Aktivitäten einzelner Stadtverwaltungen, wie Wien mit der FrauenWerkStadt,
mit ca. 360 WE dem größten FrauenWohnungsbauprojekt Europas, oder München
mit dem Konzept der sozialgerechten Bodennutzung, haben hier beachtliche
Erfolge erzielt. Viele dieser Projekte sind auch dokumentiert und publiziert
(Schröder / Zibell 2004), das heißt: Sie stehen der interessierten
Fachöffentlichkeit zur Verfügung. Und nicht zuletzt wurden – häufig auf
Initiative der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten in den Verwaltungen –
Kriterienkataloge für Wohnungsbau und Stadtplanung von diversen Städten und
Gemeinden, zum Teil auch Bundesländern bzw. Ministerien herausgegeben, die
die Anforderungen an die Gestaltung von Wohnung und Wohnumfeld, die
Ausstattung der Stadtteile mit sozialer Infrastruktur, Grün-, Frei- und
Spielflächen und die Mobilitäts- und Sicherheitsanforderungen von Frauen im
öffentlichen Raum konkretisieren sowie „eigene“ Beteiligungsformen
entwickelt haben. Darüber hinaus enthalten einige dieser Kriterienkataloge
auch Vereinbarungen zu Auftragsvergaben, Leistungs- und
Wettbewerbsausschreibungen, Preisgerichtsbesetzungen sowie Forderungen an
die Datenerhebung (vgl. Grüger / Zibell, 2005). Das hat bisher jedoch nicht
zu einer standardisierten Berücksichtigung von Frauenbelangen in Architektur
und Planung bzw. einem durchgehend gender-sensitiven Bewusstsein in
Planungsbüros und öffentlichen Verwaltungen geführt.
Dies konnte kürzlich auch im Rahmen einer Erhebung von Gender Practices in
Europa, Schwerpunkt deutschsprachiger Raum, konstatiert werden (Zibell
2005). Mit der Aufbereitung der anderen Wissensbestände allein ist es nicht
getan. Vielmehr bedarf es für deren Umsetzung eines entsprechenden
politischen Willens und veränderter Strukturen und Prozesse, um die anderen
Anliegen ungefiltert und kompetent in Planungs- und Bauvorhaben
einzubringen, zum Beispiel durch maßgeschneiderte Partizipationsprozesse,
aber auch durch die paritätische Beteiligung von Fachfrauen. So lange in den
Büros und Verwaltungen nicht ein entsprechender Anteil vertreten ist,
müssten daher Ersatzregeln für den externen Einbezug von Gender Kompetenz
und Gender Expertise sorgen. Gender Musterbezirke wie in der Stadt Wien und
Modellvorhaben wie die des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung (Gender
Mainstreaming im Städtebau 2003-2005) oder der Region Rheinpfalz (Region auf
Genderkurs, seit 2005) und das abgeschlossene Schweizer Projekt "Frau am
Bau" (Verein FRAU AM BAU 2003) zeigen, dass für die Implementation des durch
Gender Studies erzeugten Wissens in die bestehenden Bau- und
Planungsstrukturen gesonderte Anstrengungen erforderlich sind und dass die
Erzeugung und Dokumentation theoretischer Grundlagen ohne die Anwendung und
Umsetzung in der Praxis – gerade in einer Disziplin wie der Architektur, die
auf Raumgestaltung orientiert ist – nicht ausreicht. Gleichwohl bedarf es
einer ausreichenden theoretischen Fundierung zur Begründung und als
Argumentationshilfe für die politischen und fachlichen Aushandlungsprozesse.
Ein erweiterter Architekturbegriff
Es sollte deutlich geworden sein, dass Frauenforschung und Gender Studies
von einem erweiterten Architekturbegriff ausgehen. Architektur ist hier
regelmäßig mehr als die Crème de la Crème der gebauten Umwelt, in
einschlägigen Fachzeitschriften publiziert und von Architekturtheoretikern
wie Colin Rowe und Fred Koetter: „Architektur verhält sich zum Bauen wie
Literatur zur Sprache“ (Rowe / Koetter 1984), oder Benedikt Loderer: „Architektur
macht aus bloßer Bauerei Baukunst“ und bloße Bauerei mache 90 % der
Bauten aus (Loderer 2001) als das Besondere hervorgehoben, das das
alltägliche Bauen ausschließt. Mit Loderers Statistik wären gerade 10 % des
gebauten Raumes "Architektur", der große Rest
irgendetwas anderes, auf den der Architekturbegriff zumindest nicht
anzuwenden wäre. Würde das gleichzeitig bedeuten, dass ArchitektInnen sich
hierfür nicht zuständig fühlen müssten? Gerade wenn – wie Susanne Hauser es
in der letzten Ausgabe des Wolkenkuckucksheim (2/04) zutreffend beschreibt –
"... die Menge an Bauwerken, die ohne professionalisierte Architektur
auskommen, ... zu(nimmt)", sollte es – sowohl für die Architekturtheorie
wie für praktizierende ArchitektInnen - eine Aufforderung sein, sich der
gesellschaftlichen und ästhetischen Verantwortung für den Siedlungsraum zu
stellen, anstatt sich dieser zu entziehen.
Architektur aus Sicht der Gender Perspektive nimmt grundsätzlich einen
weiteren Blick ein: Für sie gehört die Gesamtheit der baulichen Bestände,
des gebauten Raumes – vom einzelnen Gebäude bis zur Siedlungslandschaft –
dazu; damit bezieht sie auch die regionale bzw. überörtliche Perspektive
zwischenstädtischer Lebensräume ein. Sie bewertet das Gebaute nicht nur in
seiner ästhetischen Erscheinung, sondern grundsätzlich in seiner Qualität
für den täglichen Gebrauch (Alltagstauglichkeit, Gebrauchswert) – und dieser
erschöpft sich nicht nur in einer qualitätvollen Architektur des einzelnen
Objektes, sondern ist auch eine Frage von städtebaulichen Kontexten, von
Standorten und Erreichbarkeiten. Architektur ist die "bauliche Gestaltung
der menschlichen Umwelt" (Hauser 2/04) und begnügt sich nicht mit dem
Symbolwert für nationale und internationale Imagekampagnen und Konkurrenzen,
sondern legt Wert auf den Identifikations- und Aneignungswert für Nutzer-
und BewohnerInnen. Ganz im Sinne einer kritischen Architektur ist sie nicht
nur Baukunst, sondern auch Medium sozialer Prozesse (Haug u. a. 1994).
Architektur aus der Gender Perspektive bezieht nicht zuletzt auch die
Produktionsprozesse von Bauten und Stadtteilen ein – wer ist beteiligt, wer
entscheidet usw. (Zibell 2000). Architektur aus Gender Sicht erschöpft sich
also nicht im fertigen Gebäude und schon gar nicht in besonderen
Vorzeigeprojekten, auch wenn die für die Weiterentwicklung der Profession
von großer Bedeutung sind, sondern erstreckt sich auch auf den
städtebaulichen Kontext, auf die räumliche Umwelt der Bewohner- und
BenutzerInnen von Bauwerken aller Art sowie auf die Prozesse und Strukturen
bzw. die Organisationen und Institutionen, in denen Entscheidungen über die
Entwicklung und Veränderung des gebauten Raumes vorbereitet und getroffen
werden.
Gender Studies in der Architektur: Forschungsperspektiven
Architekturgeschichte und -theorie sind weitestgehend männlich bzw.
androzentrisch konnotiert und dokumentiert, ebenso wie die zugehörige
Ideengeschichte und die Ziel- und Leitvorstellungen in Architektur,
Städtebau und Planung. Das gilt sowohl für die Autoren wie für die
beschriebenen Akteure und deren Frauenforschung und Gender Studies haben
neue Betrachtungsweisen in Architektur und Planung gebracht und zu einem
Perspektivenwechsel beigetragen, der jedoch vom Mainstream der Profession
(noch) nicht aufgenommen wurde. Gleichwohl gehören einzelne Aspekte – wie
Flexibilität und Nutzungsneutralität bei der Grundrissgestaltung im
Wohnungsbau oder die Stadt bzw. Region der kurzen Wege in der räumlichen
Planung – mittlerweile zum Standardrepertoire von Leitbildern und Konzepten.
Aufgrund der vornehmlichen Anwendungsorientierung der raumgestaltenden
Disziplinen sind dies jedoch insbesondere Aspekte, die den praktizierenden
Teil der Profession betreffen – in der Theorie ist die Integration noch
wenig vollzogen. Frauenforschung und Gender Studies bilden immer noch
Nischen bzw. eigene Kulturen in den Disziplinen zwischen Architektur und
Planung und werden erst nach und nach, jedoch sehr punktuell in die
vorhandenen androzentrischen Wissenbestände aufgenommen (z. B. Häußermann /
Siebel 1996; IProS o. J.). Dazu kommt, dass Architektur und Planung
interdisziplinäre Themen- und Handlungsfelder darstellen, die viele
Wissensbestände berühren, die primär anderen Disziplinen zuzuordnen sind.
Und entsprechend der Querschnittsorientierung der Gender Studies sind auch
die aus dieser Perspektive entwickelten Theorieansätze meist
interdisziplinär und häufig 'from outer space' entwickelt.
Forschungen, die das originäre Wissen einer eigenständigen Architektur- bzw.
Planungsgeschichte und -theorie betreffen, fehlen bereits im Mainstream der
Professionen in voller Breite. Und solche aus Sicht der Gender Studies, die
in der Lage wären, dieses zu ergänzen, sind aus den genannten Gründen
ebenfalls selten.
So stellt zum Beispiel die Aufbereitung der Materialien über die erwähnten
utopischen Feministinnen durch die amerikanische Historikerin Dolores Hayden
(1982) eine unschätzbare Quelle dar, die erst seit jüngster Zeit die
vorhandenen Wissensbestände der dokumentierten Architektur- und
Städtebaugeschichte bereichert. Oder die wenig bekannte Schrift der Gräfin
Dohna-Pohninska, die bereits Jahrzehnte vor den in jüngster Zeit mehrfach
reprinteten und als erste Städtebautheoretiker bekannten Autoren des
ausgehenden 19. Jahrhunderts – Camillo Sitte, Joseph Stübben und Reinhard
Baumeister – unter dem Pseudonym Arminius in Berlin erschienen war und
weitreichende Grundlagen zur Freiflächenplanung in der Stadtentwicklung aus
Sicht der Stadthygiene zusammengetragen hatte und die vor einigen Jahren im
Zuge der Frauenforschung wieder entdeckt wurde (vgl. Buchmüller 1995).
Die Beiträge, die die Architekturprofessorin Kerstin Dörhöfer zur
Theoriebildung beitrug, wurden bereits erwähnt. Sie beziehen sich auf die
Kritik der modernen Architektur und ihrer Autoren sowie auf männlich
geprägte Maßstäbe in der Architektur, von Vitruv über da Vinci bis hin zu Le
Corbusier und Ernst Neufert, und deren Einflüsse auf die Bauentwurfslehre.
Diese von ihr seit Beginn der 1980er Jahre vertretene und mehrfach
publizierte Position wurde 1999 erneut bestätigt mit ihrem Beitrag über den
männlichen Blick in der Bauentwurfslehre in einem von Walter Prigge
herausgegebenen Band über Ernst Neufert, ein Indikator dafür, dass
genderdifferenzierte Positionen sich mittlerweile auch außerhalb des engeren
Kreises feministisch gesinnter Fachfrauen Gehör verschaffen. In einem
längerfristig angelegten, mehrstufigen
Forschungsprojekt bearbeitet sie seit einigen Jahren systematisch den
Beitrag von Architektinnen in der Bau- und Entwurfsgeschichte; der erste
Band dieses Vorhabens ist bereits erschienen (Dörhöfer 2004).
Daneben gibt es im weiten Feld der Architektur viele Theorieansätze – zum
Beispiel im Bezug auf Raum und Wohnen (Löw 1994), Stadtentwicklung und
Verkehr (Bauhardt 1995), Geschlechterverhältnis und Planung (Demmel u. a.
1998), Raum und Raumwissenschaft (Sturm 2000), Nutzung und Aneignung
öffentlicher Stadträume (Paravicini 2003), Raum und Emanzipation (Bauhardt
2004) oder zur historischen Aufarbeitung der Beziehung von Stadt und
Geschlecht (Frank 2003), die die erwähnten Verknüpfungen zu anderen
Disziplinen aufweisen. Diese repräsentieren zum einen die Vielfalt möglicher
Zugänge zum Raum, vielfach from outer space, aus Sicht der Soziologie,
Politologie oder der Ethnologie, beschränken sich zum anderen aber häufig
auf analytische Einzelthemen oder Fragen der Prozessgestaltung, insbesondere
im Rahmen der Stadtplanung.
Es fehlt jedoch insgesamt an systematisiertem Grundlagenwissen, zum Beispiel
über Bauformen und Nutzungsverhalten, Lebensformen und Wohnweisen,
Raumbedürfnisse und Aneignungsprozesse, Planungs- und Entscheidungsverfahren
sowie über die Präsenz und die Gestaltungsmacht von Frauen und Männern in
den verschiedenen beruflichen Einsatzbereichen zwischen Bau- und
Immobilienwirtschaft, privaten Büros und öffentlicher Verwaltung, Consulting
und Entwicklung, Moderation und Management, Forschung und Lehre.
Darüber hinaus fehlen geschlechterdifferenzierte Datengrundlagen in vielen
Bereichen als Grundlage für empirische Forschungen sowie themenspezifische
Fallstudien, die für unterschiedliche regionale und soziale Lagen
durchzuführen und in regelmäßigen Abständen zu wiederholen wären, um sie im
Quervergleich synchronisch wie diachronisch auswerten bzw. im Hinblick auf
Möglichkeiten und Grenzen der Übertragbarkeit reflektieren zu können. Gerade
in Architektur und Planung scheinen empirische Forschungsergebnisse immer
wieder in besonderem Maße auf Verifizierung angewiesen, da sie aufgrund der
Komplexität und der historischen wie geographischen Einmaligkeit baulich-
und sozialräumlicher Ausgangslagen und Potentiale menschlicher Systeme in
ihrer Übertragbarkeit begrenzt sind.
Zu den Forschungsdesideraten in der Architektur im weitesten Sinne gehören:
·
die
genderdifferenzierte Aufarbeitung von Wissen
– und zwar von originärem Grundlagenwissen der Profession, zum Beispiel über
Bauherrinnen in der Geschichte wie die Beginen im Mittelalter, genauso wie
von themenspezifischem Wissen zur unmittelbaren Handlungsorientierung, zum
Beispiel über milieuspezifische Nachfrage im Wohnungsbau;
dabei geht es sowohl um die Aufarbeitung der Wissenbestände ausgeblendeter
weiblicher Wirklichkeiten als auch um die genderdifferenzierte Erhebung von
neuem Wissen;
·
die
genderdifferenzierte Bewertung gebauter Bestände und Strukturen
– dies auf der Basis eines systematisch erhobenen und dokumentierten sowie
theoretisch reflektierten Grundlagenwissens sowie als Grundlage für die
Bewältigung künftiger Bau- und Planungsaufgaben;
·
das
genderdifferenzierte Hinterfragen von Leitbildern und Konzepten
– so wie die nachhaltige Entwicklung zumindest zu Diskursen über die soziale
Gerechtigkeit angeregt hat, wäre dies auch für andere Leitbilder, zum
Beispiel das der europäischen Stadt oder der sozialen Stadt, geboten. Gerade
die europäische Stadt ist aufgrund ihrer historischen Verankerung stark
männlich konnotiert und diskutiert. Auch hier wäre ein Ansatzpunkt für
Gender Studies, die Rolle der Frauen und deren baulich-räumliche
Repräsentation in unterschiedlichen historischen Phasen sowie als Grundlage
für künftige Bau- und Planungsprozesse zeitgeschichtlich aufzuarbeiten.
Dass
dies ein Programm ist, mit dem mehrere Generationen von Fachleuten
beschäftigt werden könnten, liegt auf der Hand. Dazu kommt, dass gerade in
einer Gesellschaft im demographischen Wandel mit ihren Erscheinungen von
Schrumpfung und Alterung, Individualisierung und Pluralisierung neues und
kleinräumig differenziertes Wissen gebraucht wird.
Wissen zu generieren, auch und gerade unabhängig von unmittelbaren
Anwendungszwängen, ist traditionelle Aufgabe der Hochschulen; diese stellt
sich
·
zum einen
angesichts der zunehmenden Informationsflut im Internetzeitalter,
·
zum anderen
aufgrund der neuen Anforderungen der Arbeitswelt auf dem Weg in die
Wissensgesellschaft
derzeit als
eine besondere Herausforderung dar, der durch Abbau von Grundlagenfächern
und Theorielehrstühlen und durch unternehmensorientierte
Forschungsförderungen kaum wirksam zu begegnen ist, sondern im Gegenteil
durch deren Ausbau und Vermehrung und durch Unterstützung inter- und
transdisziplinärer Forschungsnetzwerke und Kooperationen.
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Zibell, Barbara
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Zibell, Barbara
(2000): Wie bauen denn Frauen anders? In: PBG aktuell. Zürcher Zeitschrift
für öffentliches Baurecht 2/2000, Zürich.
Zibell, Barbara
(2005): Gender Practice und Gender Kriterien
in der Raumplanung, Bedarfsgerecht Planen Teil
I und II. Recherche im Auftrag des Landes
Salzburg, Büro für Frauenfragen und Chancengleichheit, Salzburg, Zürich.
Publiziert in der Reihe 'Materialien zur Raumplanung' des Landes Salzburg,
Band 20 (deutsche Kurzfassung Band 21), Salzburg 2006.
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