Die
Zukunft |
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11. Jahrgang Doppelheft 1-2 Februar 2007 |
___Christine
Dissmann Berlin |
Von der großen Wirkung des kleinen Unterschiedes |
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Abbildung 1: Hofeingang der Dunant-Grundschule, eigenes Foto |
Für Kinder ist der
schulische Lebens- und Lernraum nach den Lehrern und Mitschülern eine der
wichtigsten Voraussetzungen für die erfolgreiche Aneignung von Wissen und
Verstehen. Trotz umfangreicher Forschung zum pädagogischen Wert gut
gestalteter Schulräume sieht die Realität in den meisten Schulen anders aus:
Neben den strukturellen Mängeln bestehender Schularchitekturen
beeinträchtigt vor allem ein Sanierungsrückstau von teilweise bis zu 30
Jahren das Lernen in einem angemessenen Umfeld. Ein trauriges Bild bietet
sich: veraltetes Material, kaputte Glasscheiben, Fenster, die sich nicht
mehr öffnen oder aber nicht mehr schließen lassen, defekte Toiletten,
löcherige Dächer, Spuren der Verwahrlosung im ganzen Gebäude. (Abbildung 1) Über der gesellschaftlichen Debatte für eine bessere Bildung unserer Kinder wird oft außer Acht gelassen, dass erfolgreiches Lernen nicht nur eine Frage der absolvierten Unterrichtsstunden ist, sondern auch durch eine angemessen gestaltete Umwelt wesentlich gefördert wird. Reaktionen auf Kritik am desolaten Bild mancher Schulen klingen z. B. so: „Den Kindern fällt das doch gar nicht auf“ „Als ich hier in die Schule gegangen bin, sah es hier auch schon so aus, und mir hat es nicht geschadet“, oder, seitens des Schulträgers: „Wir würden das ja gerne ändern, aber für so was ist kein Geld da“. Gewiss, die Kassen der Jugend- und Schulämter sind notorisch leer, doch die überfällige bauliche Aufwertung des Lebensraums Schule wird auch durch fehlende Wahrnehmung, Acht- und Sprachlosigkeit sowie die Macht der Gewohnheit der schulischen Akteure, also der Schüler, Lehrer, Eltern und nicht zuletzt des Schulamts verhindert. Die Folgen dieser allgemeinen Aporie für die Kinder sind nicht zu unterschätzen: Sie halten sich Tag für Tag in Räumen auf, deren Erscheinungsbild eine deutliche Sprache spricht: „Das hier ist alles nichts wert.“ Gerade kleine Kinder aber passen sich und ihr Verhalten ihrer Umgebung an anstatt umgekehrt. Sie gewöhnen sich an ihr Umfeld als Normalität und akzeptieren mangels der Erfahrung von Alternativen Zumutungen, die Erwachsene kaum hinnehmen würden. Aus der Not unmittelbarer Betroffenheit – das eigene Kind wurde eingeschult und die Autorin musste mit Schrecken die Diskrepanz zwischen bekannten Leuchtturmprojekten des Schulbaus und schulischer Alltagsrealität zur Kenntnis nehmen – haben wir im Herbst 2004 die KunstBauWerkstatt an der Henri-Dunant-Grundschule in Berlin-Steglitz mit dem Projekt „Neue Kleider für unsere Schule“ ins Leben gerufen. Die KunstBauWerkstatt ist ein interdisziplinäres Kooperationsprojekt zwischen der Schule und ehrenamtlich tätigen Architekten, Designern, Handwerkern und Vertretern anderer Berufssparten. Ihr Ziel ist es, gemeinsam mit den Schülern, Lehrern und Eltern einen Prozess der räumlich-baulichen Erneuerung aus eigener Kraft auf den Weg zu bringen, die beteiligten Akteure zu einer aktiven Mitgestaltung der Lebensumwelt Schule zu ermutigen und diese Partizipation zu koordinieren. Die Möglichkeit der Mitbestimmung vor allem der Schüler steht dabei im Vordergrund. Tragende Idee des Projektes ist es, den Schülern eine Vorstellung von Architektur und gebauter Umwelt nicht im Rahmen eines weiteren Unterrichtsfaches zu vermitteln, sondern sie vielmehr durch die konkrete Anschauung für die Qualität ihres Lebensraumes zu sensibilisieren. Gleichzeitig sollen sie ermächtigt und befähigt werden, an dessen Gestaltung teilzuhaben. Das Projekt gliedert sich in die Bausteine Werkstatt, Ideenwettbewerb und Baustelle mit den jeweiligen Schwerpunkten sensorische und künstlerisch-handwerkliche Schulung, Sammlung und Generierung von Gestaltungsvorschlägen, und schließlich der konkreten Umsetzung von Projekten gemeinsam mit externen Fachleuten. Werkstatt Die Werkstatt ist das unmittelbar praktische Standbein des Projektes. Es handelt sich dabei um ein Angebot an die unteren Klassen der Schule, jenseits des etablierten und als zu eng empfundenen schulischen Kunstunterrichtes die Grundlagen gestalterischen Schaffens zu erkunden. Forschungsfeld ist dabei der Lebensraum der Kinder vor Ort, also die Schule selbst. Die Arbeit beginnt mit der klassischen „Schule des Sehens“ – also einer Sensibilisierung der Wahrnehmung der Kinder für Ihre Umwelt. Dabei werden sie nicht mit einer automatischen Kamera auf spektakuläre Orte in der Nachbarschaft losgelassen, sondern mit einer Papierkamera – als Fokus – und Bleistift sowie Skizzenblock in das Treppenhaus der Schule. Mit auf den Weg werden Fragen gegeben: Was fällt Euch auf? Woran orientiert Ihr Euch? Wo fühlt Ihr Euch wohl? Wo habt Ihr Angst? Was missfällt Euch besonders? Die Kinder sind angehalten, ihre Eindrücke zeichnerisch festzuhalten und anschließend in der Gesprächsrunde zu schildern. Der Leser mag nun einwenden, dass dieses Vorgehen doch in jedem Erstsemester eines Architekturstudiums so oder ähnlich stattfinde, und was denn wohl das Besondere daran sei. Bei diesem Projekt aber sind 6-8jährige Kinder angesprochen, ihre spielerische Herangehensweise (anders als Architekturstudenten müssen sich Grundschüler noch nicht als besonders kreativ profilieren) misst sich noch nicht an den kommunikativen Maßstäben der Erwachsenenwelt. Ihr unbefangenes Tun oder auch Ablehnen der Aufgabe („Ich sehe gar nichts, was ich zeichnen kann“) war für uns Laborversuch für die Frage, was die Kinder visuell erfassen und wie sie dem Ausdruck verleihen. Im weiteren, umsetzenden Zusammenhang mit diesen Übungen haben die Kinder in der Werkstatt die Gelegenheit, zu drucken, zu malen und zu zeichnen, Holz, Stein und Keramik zu bearbeiten, Farben und Papier selber herzustellen, etc. Ideenwettbewerb Um die gesamte Schule in die Auseinandersetzung mit ihrem schulischen Lebensumfeld einzubeziehen, wurde parallel zu der praktischen Arbeit Anfang 2005 der schulweite Ideenwettbewerb „Neue Kleider für unsere Schule“ ausgelobt. Alle Klassen waren aufgefordert, sich über eine gestalterische Aufwertung ihrer Schule Gedanken zu machen und diese Ideen in Form von Zeichnungen, Collagen, Modellen oder Texten zu präsentieren. Das Ziel des Wettbewerbes war es, aus der Fülle möglicher Aufwertungsmaßnahmen konkrete Bauprojekte zu destillieren, die gemeinsam mit den Kindern umsetzbar sein würden. Erneut war für uns Organisatoren neben dem Aspekt der Ideengenerierung vor allem die Frage nach der Umweltwahrnehmung der Grundschüler wichtig. Wie wirkt das Schulgebäude auf Menschen mit 110 cm Körpergröße? Wie nutzen die Schüler die räumlichen Vorgaben des Gebäudes und welche Defizite stellen sie fest? |
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Abbildung 2: Modellausschnitte Wettbewerb, eigene Fotos |
An dem Wettbewerb
beteiligten sich ca. 80 % aller Schüler der Schule, d. h. ungefähr 400
Kinder, die sämtlich, ebenso wie ihre Lehrer, ohne jegliche architektonische
„Vorbildung“ waren. Die Auswertung ihrer Beiträge zeigt jedoch eine präzise
Wahrnehmung auch noch sehr junger Schüler für die Bedingungen ihres
Umfeldes. Auch wenn davon ausgegangen werden muss, dass eine gewisse
Steuerung des „Entwurfsprozesses“ der Schüler durch ihre Lehrer
stattgefunden hat, machen die Entwürfe klare Aussagen: Es wird Kritik
geäußert an fehlenden Orientierungsmöglichkeiten, schlechter Belichtung,
monotoner Oberflächengestaltung und Eintönigkeit der Schulräume. Deutlich
wird das Bedürfnis nach mehr Vielfalt und Individualität, nach anregenden
räumlichen Erlebnissen, nach Farbe, Sinnlichkeit und Haptik sowie nach
kleinteiligen Rückzugsräumen einerseits und großzügigen Bewegungsräumen
andererseits. Der Wettbewerb, gleichsam eine „Befragung“ der gesamten
Schülerschaft, ermöglichte es, Schwerpunkte für die konkrete Realisierung
von Baumaßnahmen zu setzen. Nicht einzelne, prämierte Einzelarbeiten sollten
weiter bearbeitet werden (obwohl es natürlich Preise gab), sondern vielmehr
sollte aus der Fülle der Beiträge ein Zusammenhang destilliert und dieser in
handhabbare Einzelprojekte gegliedert werden. (Abbildung 2) Baustelle |
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Abbildung 3: Leitbild Stadtraum, Collage: Dörthe Brandt |
Als verbindliche und für
alle lesbare Grundlage für die weitere Bearbeitung wurde ein großes,
konzeptionelles „Mastermodell“ der Schule aus Holz gebaut, in das die
wesentlichen Ideen des Wettbewerbes eingearbeitet wurden. Es entwickelte
sich die Analogie des Lebensraumes Schule mit dem Lebensraum Stadt
als übergeordnetes Leitbild für die Umsetzung. Demgemäß werden die Schüler
zu gleichberechtigten „Bürgern“ einer Gesellschaft, die sich in ihrer Schule
anhand von markanten Orten und für sie erkennbaren Zugehörigkeiten
zurechtfinden. Das Schulfoyer wird zum „Marktplatz“, an dem zentrale
Informationen die Orientierung erleichtern. In der Stadt der Schüler soll es
ein Rathaus geben (statt dem „Amtsraum“), ein Theater (statt dem
„Mehrzweckraum“) etc. Einzelne, markant gestaltete „Stadtviertel“ sollen die
weitläufigen Flure und Räume in übergeordnete Zusammenhänge gliedern. Die
Kinder erhalten gewisse demokratische Mitbestimmungsrechte in ihrer Stadt –
ebenso wie Pflichten und Aufgaben: es gibt einen Reinigungsdienst,
Zuständige für die Milchversorgung, ein Ordnungsamt, etc.
(Abbildung 3) |
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Abbildung 4: Das neue Leitsystem durch die Schule, Zeichnungen von Kindern der KunstBauWerkstatt, bearbeitet von Dörthe Brandt |
Innerhalb dieses
Rahmenkonzeptes konnten nun erste Bauprojekte umgesetzt werden, wie z. B.
die Sanierung des vormaligen „Bronxganges“, der unter Beteiligung aller
Klassen in eine Schulgalerie verwandelt wurde, oder die Etablierung eines
graphischen Orientierungssystems, das von den Kindern in der Werkstatt
entworfen wurde und nun mit Hilfe von Schildern und Farbcodes das Gebäude
strukturiert und durch die Schule leitet. Weitere Maßnahmen wie die
Gestaltung des „Marktplatzes“ oder des „Stadtgartens“ sind derzeit in
Arbeit. Literatur: Kähler,
G. (o. J.): „Architektur in den Schulunterricht? Unbedingt! Aber richtig!“ Rambow, R.
(1998). „Architektur in der Schule: Was soll gelehrt werden?“ Rühle, A.
(2006). „Windelweiches Wohnidyll“. |
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