Die Zukunft
der Architekturvermittlung

11. Jahrgang
Doppelheft 1-2
Februar 2007
   

 

___Christine Dissmann
Berlin
  Von der großen Wirkung des kleinen Unterschiedes
   



We give shape to our buildings and they, in turn, shape us
Winston Churchill
 

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Abbildung 1:
Hofeingang der Dunant-Grundschule, eigenes Foto
 
  Für Kinder ist der schulische Lebens- und Lernraum nach den Lehrern und Mitschülern eine der wichtigsten Voraussetzungen für die erfolgreiche Aneignung von Wissen und Verstehen. Trotz umfangreicher Forschung zum pädagogischen Wert gut gestalteter Schulräume sieht die Realität in den meisten Schulen anders aus: Neben den strukturellen Mängeln bestehender Schularchitekturen beeinträchtigt vor allem ein Sanierungsrückstau von teilweise bis zu 30 Jahren das Lernen in einem angemessenen Umfeld. Ein trauriges Bild bietet sich: veraltetes Material, kaputte Glasscheiben, Fenster, die sich nicht mehr öffnen oder aber nicht mehr schließen lassen, defekte Toiletten, löcherige Dächer, Spuren der Verwahrlosung im ganzen Gebäude. (Abbildung 1)

Über der gesellschaftlichen Debatte für eine bessere Bildung unserer Kinder wird oft außer Acht gelassen, dass erfolgreiches Lernen nicht nur eine Frage der absolvierten Unterrichtsstunden ist, sondern auch durch eine angemessen gestaltete Umwelt wesentlich gefördert wird. Reaktionen auf Kritik am desolaten Bild mancher Schulen klingen z. B. so: „Den Kindern fällt das doch gar nicht auf“ „Als ich hier in die Schule gegangen bin, sah es hier auch schon so aus, und mir hat es nicht geschadet“, oder, seitens des Schulträgers: „Wir würden das ja gerne ändern, aber für so was ist kein Geld da“. Gewiss, die Kassen der Jugend- und Schulämter sind notorisch leer, doch die überfällige bauliche Aufwertung des Lebensraums Schule wird auch durch fehlende Wahrnehmung, Acht- und Sprachlosigkeit sowie die Macht der Gewohnheit der schulischen Akteure, also der Schüler, Lehrer, Eltern und nicht zuletzt des Schulamts verhindert.

Die Folgen dieser allgemeinen Aporie für die Kinder sind nicht zu unterschätzen: Sie halten sich Tag für Tag in Räumen auf, deren Erscheinungsbild eine deutliche Sprache spricht: „Das hier ist alles nichts wert.“ Gerade kleine Kinder aber passen sich und ihr Verhalten ihrer Umgebung an anstatt umgekehrt. Sie gewöhnen sich an ihr Umfeld als Normalität und akzeptieren mangels der Erfahrung von Alternativen Zumutungen, die Erwachsene kaum hinnehmen würden.

Aus der Not unmittelbarer Betroffenheit – das eigene Kind wurde eingeschult und die Autorin musste mit Schrecken die Diskrepanz zwischen bekannten Leuchtturmprojekten des Schulbaus und schulischer Alltagsrealität zur Kenntnis nehmen – haben wir im Herbst 2004 die KunstBauWerkstatt an der Henri-Dunant-Grundschule in Berlin-Steglitz mit dem Projekt „Neue Kleider für unsere Schule“ ins Leben gerufen. Die KunstBauWerkstatt ist ein interdisziplinäres Kooperationsprojekt zwischen der Schule und ehrenamtlich tätigen Architekten, Designern, Handwerkern und Vertretern anderer Berufssparten. Ihr Ziel ist es, gemeinsam mit den Schülern, Lehrern und Eltern einen Prozess der räumlich-baulichen Erneuerung aus eigener Kraft auf den Weg zu bringen, die beteiligten Akteure zu einer aktiven Mitgestaltung der Lebensumwelt Schule zu ermutigen und diese Partizipation zu koordinieren. Die Möglichkeit der Mitbestimmung vor allem der Schüler steht dabei im Vordergrund. Tragende Idee des Projektes ist es, den Schülern eine Vorstellung von Architektur und gebauter Umwelt nicht im Rahmen eines weiteren Unterrichtsfaches zu vermitteln, sondern sie vielmehr durch die konkrete Anschauung für die Qualität ihres Lebensraumes zu sensibilisieren. Gleichzeitig sollen sie ermächtigt und befähigt werden, an dessen Gestaltung teilzuhaben.

Das Projekt gliedert sich in die Bausteine Werkstatt, Ideenwettbewerb und Baustelle mit den jeweiligen Schwerpunkten sensorische und künstlerisch-handwerkliche Schulung, Sammlung und Generierung von Gestaltungsvorschlägen, und schließlich der konkreten Umsetzung von Projekten gemeinsam mit externen Fachleuten.


Werkstatt
Die Werkstatt ist das unmittelbar praktische Standbein des Projektes. Es handelt sich dabei um ein Angebot an die unteren Klassen der Schule, jenseits des etablierten und als zu eng empfundenen schulischen Kunstunterrichtes die Grundlagen gestalterischen Schaffens zu erkunden. Forschungsfeld ist dabei der Lebensraum der Kinder vor Ort, also die Schule selbst. Die Arbeit beginnt mit der klassischen „Schule des Sehens“ – also einer Sensibilisierung der Wahrnehmung der Kinder für Ihre Umwelt. Dabei werden sie nicht mit einer automatischen Kamera auf spektakuläre Orte in der Nachbarschaft losgelassen, sondern mit einer Papierkamera – als Fokus – und Bleistift sowie Skizzenblock in das Treppenhaus der Schule. Mit auf den Weg werden Fragen gegeben: Was fällt Euch auf? Woran orientiert Ihr Euch? Wo fühlt Ihr Euch wohl? Wo habt Ihr Angst? Was missfällt Euch besonders? Die Kinder sind angehalten, ihre Eindrücke zeichnerisch festzuhalten und anschließend in der Gesprächsrunde zu schildern.

Der Leser mag nun einwenden, dass dieses Vorgehen doch in jedem Erstsemester eines Architekturstudiums so oder ähnlich stattfinde, und was denn wohl das Besondere daran sei. Bei diesem Projekt aber sind 6-8jährige Kinder angesprochen, ihre spielerische Herangehensweise (anders als Architekturstudenten müssen sich Grundschüler noch nicht als besonders kreativ profilieren) misst sich noch nicht an den kommunikativen Maßstäben der Erwachsenenwelt. Ihr unbefangenes Tun oder auch Ablehnen der Aufgabe („Ich sehe gar nichts, was ich zeichnen kann“) war für uns Laborversuch für die Frage, was die Kinder visuell erfassen und wie sie dem Ausdruck verleihen. Im weiteren, umsetzenden Zusammenhang mit diesen Übungen haben die Kinder in der Werkstatt die Gelegenheit, zu drucken, zu malen und zu zeichnen, Holz, Stein und Keramik zu bearbeiten, Farben und Papier selber herzustellen, etc.


Ideenwettbewerb
Um die gesamte Schule in die Auseinandersetzung mit ihrem schulischen Lebensumfeld einzubeziehen, wurde parallel zu der praktischen Arbeit Anfang 2005 der schulweite Ideenwettbewerb „Neue Kleider für unsere Schule“ ausgelobt. Alle Klassen waren aufgefordert, sich über eine gestalterische Aufwertung ihrer Schule Gedanken zu machen und diese Ideen in Form von Zeichnungen, Collagen, Modellen oder Texten zu präsentieren. Das Ziel des Wettbewerbes war es, aus der Fülle möglicher Aufwertungsmaßnahmen konkrete Bauprojekte zu destillieren, die gemeinsam mit den Kindern umsetzbar sein würden. Erneut war für uns Organisatoren neben dem Aspekt der Ideengenerierung vor allem die Frage nach der Umweltwahrnehmung der Grundschüler wichtig. Wie wirkt das Schulgebäude auf Menschen mit 110 cm Körpergröße? Wie nutzen die Schüler die räumlichen Vorgaben des Gebäudes und welche Defizite stellen sie fest?
 
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Abbildung 2:
Modellausschnitte Wettbewerb, eigene Fotos
 
  An dem Wettbewerb beteiligten sich ca. 80 % aller Schüler der Schule, d. h. ungefähr 400 Kinder, die sämtlich, ebenso wie ihre Lehrer, ohne jegliche architektonische „Vorbildung“ waren. Die Auswertung ihrer Beiträge zeigt jedoch eine präzise Wahrnehmung auch noch sehr junger Schüler für die Bedingungen ihres Umfeldes. Auch wenn davon ausgegangen werden muss, dass eine gewisse Steuerung des „Entwurfsprozesses“ der Schüler durch ihre Lehrer stattgefunden hat, machen die Entwürfe klare Aussagen: Es wird Kritik geäußert an fehlenden Orientierungsmöglichkeiten, schlechter Belichtung, monotoner Oberflächengestaltung und Eintönigkeit der Schulräume. Deutlich wird das Bedürfnis nach mehr Vielfalt und Individualität, nach anregenden räumlichen Erlebnissen, nach Farbe, Sinnlichkeit und Haptik sowie nach kleinteiligen Rückzugsräumen einerseits und großzügigen Bewegungsräumen andererseits. Der Wettbewerb, gleichsam eine „Befragung“ der gesamten Schülerschaft, ermöglichte es, Schwerpunkte für die konkrete Realisierung von Baumaßnahmen zu setzen. Nicht einzelne, prämierte Einzelarbeiten sollten weiter bearbeitet werden (obwohl es natürlich Preise gab), sondern vielmehr sollte aus der Fülle der Beiträge ein Zusammenhang destilliert und dieser in handhabbare Einzelprojekte gegliedert werden.
(Abbildung 2)


Baustelle
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Abbildung 3:
Leitbild Stadtraum,
Collage: Dörthe Brandt
 
  Als verbindliche und für alle lesbare Grundlage für die weitere Bearbeitung wurde ein großes, konzeptionelles „Mastermodell“ der Schule aus Holz gebaut, in das die wesentlichen Ideen des Wettbewerbes eingearbeitet wurden. Es entwickelte sich die Analogie des Lebensraumes Schule mit dem Lebensraum Stadt als übergeordnetes Leitbild für die Umsetzung. Demgemäß werden die Schüler zu gleichberechtigten „Bürgern“ einer Gesellschaft, die sich in ihrer Schule anhand von markanten Orten und für sie erkennbaren Zugehörigkeiten zurechtfinden. Das Schulfoyer wird zum „Marktplatz“, an dem zentrale Informationen die Orientierung erleichtern. In der Stadt der Schüler soll es ein Rathaus geben (statt dem „Amtsraum“), ein Theater (statt dem „Mehrzweckraum“) etc. Einzelne, markant gestaltete „Stadtviertel“ sollen die weitläufigen Flure und Räume in übergeordnete Zusammenhänge gliedern. Die Kinder erhalten gewisse demokratische Mitbestimmungsrechte in ihrer Stadt – ebenso wie Pflichten und Aufgaben: es gibt einen Reinigungsdienst, Zuständige für die Milchversorgung, ein Ordnungsamt, etc.
(
Abbildung 3)
 
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Abbildung 4:
Das neue Leitsystem durch die Schule, Zeichnungen von Kindern der KunstBauWerkstatt,
bearbeitet von Dörthe Brandt
 

Innerhalb dieses Rahmenkonzeptes konnten nun erste Bauprojekte umgesetzt werden, wie z. B. die Sanierung des vormaligen „Bronxganges“, der unter Beteiligung aller Klassen in eine Schulgalerie verwandelt wurde, oder die Etablierung eines graphischen Orientierungssystems, das von den Kindern in der Werkstatt entworfen wurde und nun mit Hilfe von Schildern und Farbcodes das Gebäude strukturiert und durch die Schule leitet. Weitere Maßnahmen wie die Gestaltung des „Marktplatzes“ oder des „Stadtgartens“ sind derzeit in Arbeit.
(
Abbildung 4)


Reichweite und Widerstände von Architekturprojekten für Kinder
Das Projekt „Neue Kleider für unsere Schule“ steht in einer Reihe mit ähnlich gelagerten Kooperationen, die in den letzten Jahren an Schulen und anderen kommunalen Einrichtungen durchgeführt wurden (z. B. „Architektur und Schule“ der Architektenkammer Berlin, „Kammer in der Schule“ der Architektenkammer Nordrhein-Westfahlen, „transform2r.a.u.m.“ der Bayerischen Architektenkammer, sowie verschiedenen Einzelprojekten, die beispielsweise durch Quartiersagenturen im Rahmen von Förderprogrammen wie „Soziale Stadt“ durchgeführt wurden). Die meisten von ihnen sind vor dem Hintergrund eines unmittelbar dringenden räumlichen Handlungsbedarfes einerseits, und dem Anliegen, Architektur als Bildungsangebot für Kinder zu etablieren, andererseits entstanden. In Schwerpunkt und Methodik durchaus unterschiedlich, eint diese Projekte ein hoher Anspruch: es geht ihnen allen um nichts weniger als die Schulung der Wahrnehmung und den Erwerb von praktischen Fähigkeiten der Kinder, die Förderung von kritischem Urteilsvermögen, Phantasie und Verantwortungsbewusstsein, das Trainieren von Handlungskompetenz durch Beteiligung, Stärkung des Gemeinschaftssinnes, und nicht zuletzt die Vermittlung architektonischer Grundkenntnisse in einem erweiterten, wachen Bewusstsein für die Zusammenhänge unserer gebauten Umwelt. Es herrscht bei den Organisatoren und Fachleuten weitgehende Einigkeit darüber, dass Architekturprojekte für Kinder keine normative ästhetische Erziehung oder gar eine „Geschmacksbildung“ sein können, aber auch nicht zu träumerischem Fabulieren von utopischen Welten („Wir entwerfen unser Traumhaus“) verführen sollten, die die Enttäuschung über die Kompromisse der Alltagsrealität sozusagen vorprogrammieren (vgl. Rambow, 1998). Gerd Kähler formuliert dieses Anliegen folgendermaßen: “Ziel des Unterrichts ist es nicht, ‚kleine Architekten’ zu erziehen, sondern ein Verständnis von der Gestaltbarkeit und Beeinflussbarkeit von gebauter Umwelt zu entdecken. Das schließt entwurfliche Ansätze ein, aber auch die Kenntnisse von kommunalen Entscheidungsvorgängen und die von der Komplexität und Interdependenz von städtischen Netzen.“ (Kähler, o. J.)
Soweit das noble und sicherlich von kaum jemand ernsthaft in Frage gestellte Anliegen. Wie erfolgreich aber kann die Umsetzung eines solchen Anspruchs in der Realität sein? Im Folgenden möchte ich meine persönlichen Erfahrungen mit der KunstBauWerkstatt an diesem Anspruch kritisch reflektieren und eine Stellungnahme hinsichtlich der Verankerung architektonischer Bildung an Schulen versuchen.


Sensibilisierung der Wahrnehmung
Die berühmte Formel: „Man sieht nur, was man weiß“ – sie ist nicht nur richtig, sie muss in diesem Zusammenhang eigentlich noch erweitert werden: „Man sieht nur, was man erfahren hat“. Bei der Vermittlung von Architektur an Kinder geht es nicht primär um kognitives „Wissen“, das über Bücher, Vorträge und Diashows erfasst wird, sondern um ein Erfahren mit allen Sinnen, das Erleben mit dem eigenen Leib und durch die Bewegung im Raum. Gerade in dieser Unmittelbarkeit liegt der große Reiz der Sache: Kinder sind die geborenen Forscher, sie haben eine hellwache, unverbogene Wahrnehmung und sie sind leidenschaftliche Selbermacher. Gelingt es, sie bei Ihrer Neugier zu packen und zu halten, saugen kleine Menschen neue Eindrücke geradezu auf. Ein außerschulisches Bildungsangebot an Grundschulkinder muss ihren noch sehr körperlichen Bedürfnissen Rechnung tragen, also dem Verlangen nach Ausgleich zum Stillsitzen in der Schule. Theorie, Stilkunde oder Baugeschichtliches ist abstrakt und sollte höchstens beiläufig vorkommen. Kinder sehen die Welt aus einer anderen Perspektive als wir Erwachsenen und orientieren sich auch anders: wir konnten beispielsweise beobachten, dass sich Schulkinder im Alter von 6 bis 9 Jahren (noch?) nicht im Sinne eines Grundrisses oder Lageplans zurechtfinden, sondern ihren Weg anhand von prägnanten Wegmarken finden, also beispielsweise „bei dem großen Baum“ oder „da, wo der Eismann ist, muss ich abbiegen…“. Das Gesichtsfeld von Kindern ist kleiner, Raumzusammenhänge werden nicht strukturell wahrgenommen, sondern eher in atmosphärischen Raumeindrücken, über Oberflächen und markante Bilder. Die meisten Kinder haben eine klare Vorstellung davon, was sie schön finden und welche Räumlichkeiten sie ablehnen. Ihre Ästhetik folgt dabei aber eigenen Gesetzmäßigkeiten: sie speist sich aus kindlichen Phantasie- und Erlebniswelten, kindlichen Ängsten, aber auch aus dem infantilen Trash, von dem Erwachsene glauben, ihre Kinder damit umgeben zu müssen. Aufgewachsen zwischen pinken Barbies, Diddelmäusen und grinsenden Puhbärchen beziehen nicht wenige Kinder ihre Geschmacksbildung direkt aus den Werkstätten der Hersteller von Merchandising-Produkten. Explizit für Kinder gestaltete Räume wie z. B. „Kinderzonen“ in öffentlichen Räumen, „Kinderecken“ im Restaurant oder die notorische „Kid’s World“ im Möbelhaus sind oft ästhetische NoGo-Areas, geprägt von Anbiederung an den vermeintlich kindlichen Geschmack und – erwachsener Ignoranz. Warum sollten Kinder im Rahmen eines Kurses ein erhöhtes ästhetisches Urteilsvermögen erlangen, wenn sie tagtäglich von pastellfarbenen Knubbelmonstern umgeben sind? Warum sollten sie ein feines Gespür für Gestaltqualität ihrer Umwelt entwickeln, wenn ihre Eltern und Bezugspersonen mitnichten über ein solches verfügen? Gleichwohl, über die Arbeit mit den Kindern erreicht man auch deren Eltern: Ein Satz fiel während unserer Arbeit an der Dunant-Grundschule vor allem von den Erwachsenen sinngemäß immer wieder: „Eigentlich ist es unglaublich, aber ich habe das (diese Missstände) vorher nicht gesehen, obwohl ich täglich daran vorbeilaufe!“


Partizipation
Soll der Anspruch einer Beteiligung von Kindern an der Bauplanung ernst genommen werden, bleibt eine bloße Diskussionsrunde über verschiedene Entwurfsvarianten für Grundschüler zu abstrakt: Wichtiger als die „Debatte“ ist das Angebot zum konkreten Mitmachen bei der Umsetzung. Anders als in der Erwachsenenwelt, in der sich zwar gerne viele am Gespräch beteiligen, aber nur ungern am Wochenende den Pinsel selber schwingen, wollen Kinder an den praktischen, begreifbaren Aktivitäten der Erwachsenen teilhaben und sich darüber die Welt aneignen. Dass die Verwirklichung der eigenen Ideen ein nachhaltiges positives Erlebnis ist, muss nicht betont werden, ebenso dass diese Beteiligung tatsächlich die Identifikation der Schüler mit ihrer Schule erhöht, die Neigung zum Vandalismus verringert und positive soziale Impulse setzt.

Dennoch, gerade im Hinblick auf die Vermittlung von Architektur ist – aus meiner Sicht – das Moment des Selbermachens entscheidend: Selbst ein verhältnismäßig kleiner Eingriff bewirkt, als Umsetzung einer Schüleridee, in der Wahrnehmung der Kinder den großen Unterschied: es wird anschaulich, es wird erfahren, dass Umweltgestaltung beeinflussbar ist. Die Theorie der Partizipation wird lebendig über das Erlebnis, und dieses Erlebnis schafft ein verändertes Bewusstsein: Wir sind es, die unser Lebensumfeld gestalten. Im Vergleich zu diesem Effekt ist die aus Fachsicht möglicherweise zwiespältige architektonische Qualität der Ergebnisse partizipatorischer Planungen zweitrangig.


Finanzierung
Wird ein Architekturprojekt mit Kindern nicht von der Architektenkammer oder einer anderen übergeordneten Institution getragen, ist es fast ausschließlich auf ehrenamtliches Engagement angewiesen. Ohne eine stabile finanzielle Grundlage müssen die Mittel für die Durchführung eines eigeninitiierten Projektes also erst einmal „gefunden“ werden und diese Akquise kostet in der Regel erhebliche Energien der Verantwortlichen. Aus unserer Erfahrung – und zu unserer Überraschung – ist der Geldmangel als Hürde dennoch leichter zu überwinden als angenommen. Vor allem im Zusammenhang mit einer aktiven Öffentlichkeitsarbeit scheint es durchaus die gesellschaftliche Bereitschaft zu geben, Bildungsanliegen für Kinder finanziell zu unterstützen. Das Einwerben eigener Mittel durch Sponsoren, über Stiftungen und Förderprogramme hat in unserem Fall außerdem die Bereitschaft des Schulamtes nach sich gezogen, sich zusätzlich zu engagieren. In der Folge konnten so auch substantiellere Sanierungsarbeiten am Schulgebäude durchgeführt werden, für die vorher keine Mittel bereitgestellt wurden, und die die Möglichkeiten unseres eigeninitiierten Selbsthilfeprojektes bei weitem überstiegen hätten.


Kooperation der Beteiligten
Die Umsetzung kooperativer Projekte wird nur möglich, wenn eine ganze Reihe von Akteuren, also in diesem Fall Schüler, Lehrer, Eltern, (denn diese Aktivitäten finden meist außerhalb des regulären Unterrichtes statt)  und das Schulamt als „Bauherr“, sowie möglicherweise externe Partner und Fachleute zusammenarbeiten. Die notwendige Beteiligung vieler verschiedener Interessensträger aber macht den entscheidenden Teil solcher Vorhaben klassisch mühsam: der Bauvorlauf, also das Überwinden von Finanzierungsfragen, Verwaltungshürden und Genehmigungsbeschränkungen unterscheidet sich in nichts von „großen“ Bauvorhaben und verlangt einen langen Atem. Da dieser aber von den oft ehrenamtlich arbeitenden Betreuern zu leisten ist, die keinen finanziellen Gewinn aus dem Projekt erwarten können, laufen solche Projekte große Gefahr, auf halbem Wege im Sande zu verlaufen. Nur unter hohem persönlichem Einsatz und bei glücklicher Konstellation aller Beteiligten untereinander können sie halbwegs zügig zu Ende geführt werden. Von den außenstehenden Fachleuten darf nicht vergessen werden, dass die „Uhren“ in einer Schule erheblich langsamer laufen als in der freien Wirtschaft. Entscheidend, und manchmal schwierig, ist es für sie, die schulischen Partner „abzuholen, wo sie stehen“, also über eine differenzierte Kommunikation einzubinden und diese Einbindung zu moderieren. Es kann sich als hilfreich erweisen, Politik und Presse mit einzubeziehen. Das Bild des Architekten in der Öffentlichkeit wird sich aufgrund solcher Projekte kaum merklich bessern, aber die in der Regel sympathische Berichterstattung erleichtert es, weitere Unterstützer und Sponsoren für das Projekt zu gewinnen. Denn nicht zuletzt handelt es sich bei einem eigeninitiierten Schul-Architekturprojekt auch um eine politische Aktion, da hier versucht wird, mit privatem Engagement die Defizite der öffentlichen Hand auszugleichen.

Der Diskussion über eine dauerhafte Verankerung von Architektur als Fach, Teil des Kunstunterrichts oder fächerübergreifendes Projekt in den schulischen Curricula, wie es Architektenkammern und –verbände immer wieder fordern in der Hoffnung, sich damit eine qualitätsbewusste und aufgeklärte Bauherrenschaft von morgen heranzuziehen, möchte ich Folgendes hinzufügen:
Das Anliegen, eine Art Grundbildung über die gebaute Umwelt in einem offenen, erweiterten Sinne anzubieten, ist natürlich begrüßenswert. Ich halte es für notwendig, ein nach Altersgruppen stark differenziertes Programm zu erarbeiten: während bei den unteren Klassen das sinnliche Erleben und der unmittelbare Bezug zum eigenen Lebensraum im Vordergrund stehen muss, kann der Unterricht für ältere Kinder zunehmend um theoretisches Wissen angereichert werden. Ziel einer Unterrichtssequenz sollte immer die Umsetzung im Maßstab 1:1 sein. Meiner Ansicht nach empfiehlt sich dafür als Form der erweiterte Projektunterricht. Externe Fachleute, also Architekten sollten projektweise mit den schulischen Pädagogen zusammenarbeiten. Selbst eine fundierte Aus- oder Fortbildung der Lehrer kann nicht annäherungsweise die Erfahrung von Profis ersetzen, die notwendig ist, die Komplexität städtischer Bauprozesse ihren Schülern überzeugend zu vermitteln. Vor allem im Hinblick auf eine Projektumsetzung im Maßstab 1:1 fehlt den Lehrern professionelles KnowHow. Den Architekten wiederum mangelt es an pädagogischem Fachwissen und der Erfahrung mit dem Schülerumgang. Da offenbar an der Bereitschaft seitens der Architektenschaft, zeitgebundene Projekte in Schulen durchzuführen, kein Mangel herrscht, bestünde die Aufgabe darin, geeignete und übertragbare Grundlagen zu schaffen für vielfältige Kooperationen.

 


Literatur:

Kähler, G. (o. J.): „Architektur in den Schulunterricht? Unbedingt! Aber richtig!“
unter: www.transform2raum.de/texte Zugriff 16.8.2006

Rambow, R. (1998). „Architektur in der Schule: Was soll gelehrt werden?“
unter: www.psy.uni-muenster.de/inst3/Aebromme, Zugriff 16.8.2006,
Aufsatz leicht gekürzt erschienen 1998 als Rambow, R.: „Vom Traumhaus zum Bauhaus: Was Laien über Architektur denken und wie die Medien darüber berichten.“ Deutsches Architektenblatt, 30, 762-763.

Rühle, A. (2006). „Windelweiches Wohnidyll“.
Süddeutsche Zeitung, Feuilleton vom 16.05.2006.

 


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