Die Zukunft
der Architekturvermittlung

11. Jahrgang
Doppelheft 1-2
Februar 2007
   

 

___Barbara Feller
Wien
  Sehen lernen. Sprechen können. Mitentscheiden – Architekturvermittlung und Mündigkeit
   



Ich habe für meinen Vortrag einen auf den ersten Blick recht altmodisch klingenden Titel gewählt, denn Mündigkeit ist ein Begriff, der momentan kaum Konjunktur hat. Ich habe den Titel aber sehr bewusst gewählt, weil ich mich in meinen Ausführungen schwerpunktmäßig mit jenen Bereichen der Architekturvermittlung bzw. jenen Zugängen zum Thema beschäftigen möchte, bei denen die „Ertüchtigung“ – noch so ein altmodischer und nicht gerade positiv konnotierter Begriff – im Vordergrund steht. Ertüchtigung in dem Sinn, den Menschen einen Zugang zu Fragen von Architektur und gestalteter Umwelt zu ermöglichen, mit dem Ziel, sie sehfähig, sprachfähig und damit entscheidungsfähig zu machen, bzw. sie bei diesem Vorhaben ein Stück weit zu begleiten. Meinen Ausführungen liegt damit die Überzeugung zugrunde, dass Kenntnisse über Architektur und Umweltplanung eine grundlegende Fähigkeit jeder Bürgerin / jedes Bürgers sein sollten.

Noch eine begriffliche Festlegung möchte ich an den Beginn meiner Ausführungen stellen: Anstelle von Architekturvermittlung spreche ich lieber von der Vermittlung von Baukultur. Baukultur als ein Begriff, der – insbesondere im deutschsprachigen Raum[1] – in den letzten Jahren eine zunehmende Verbreitung gefunden hat (und weiter findet). Das bringt auch mit sich, dass es viele Definitionen gibt, was darunter zu verstehen ist, und „Baukultur“ damit von vielen – ob dieser Breite und Schwammigkeit – kritisch gesehen wird. Doch trotz all dieser, in vielen Aspekten berechtigten Kritik, erscheint es mir zur Beschreibung meiner Arbeit und meines Verständnisses davon am zutreffendsten, von der Vermittlung von Baukultur zu sprechen: Von Baukultur als gestalteter Umwelt und als Gesamtheit von Aspekten der Architektur, aber ebenso des Ingenieurwesens, der Freiraumplanung, der Stadt- und Regionalplanung sowie der Raumordnung.

Es ist ein weites Feld, mit dem wir, als in der Architektur- bzw. Baukulturvermittlung Tätige, uns beschäftigen, und unterschiedliche Aspekte werden bei dieser Tagung beleuchtet. Auch in meiner persönlichen Arbeit ist der Radius weit gesteckt. Er reicht von Gesprächen mit EntscheidungsträgerInnen der unterschiedlichen Ebenen und damit „top down“[2], wo es insbesondere darum geht, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass Aktivitäten möglich werden, bis zur Vermittlung von Kenntnissen an einen breiten Kreis von Laien (bottom-up). Dieser Aspekt soll hier im Vordergrund stehen.

Ausgangspunkt ist dabei, dass
jede/r wohnt, jede/r sich in gestalteten Räumen bewegt und es daher notwendig ist, den Menschen Instrumente für einen bewussten Umgang mit der gestalteten Umwelt bereit zu stellen.

Dies geschieht auf den unterschiedlichsten Ebenen. In Österreich gibt es beispielsweise in jedem Bundesland ein Architekturhaus (mit leicht unterschiedlichen Bezeichnungen und individuellen Schwerpunktsetzungen)[3], wo mit Ausstellungen, Exkursionen, Diskussionen, Vorträgen, Publikationen u. a. m. der Diskurs und die Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Aspekten von Planen und Bauen ermöglicht wird. Zudem beschäftigen sich eine Reihe von Initiativen[4] mit spezifischen Fragestellungen. Mit dieser Gesamtheit erschließt sich dem Kreis der Interessierten ein breites Angebot.

Ein wichtiges Ziel ist es jedoch, diesen „Kreis der Beteiligten“ auszudehnen und das Verständnis für Architektur und Baukultur auf breiter Basis zu stärken. Damit soll
Gestaltungsqualität – die Alltagsqualität von guter Architektur – auch jenseits der ExpertInnenkreise bewusst werden. Ein wichtiges Projekt in diesem Kontext sind die alle zwei Jahre österreichweit[5] stattfindenden Architekturtage[6]. Diese größte Architekturveranstaltung Österreichs lädt ein, „Architektur zu entdecken“. Offene Gebäude, offene Ateliers, geführte und individuelle Besichtungstouren, Vorträge, Diskussionen und Feste helfen, die Hemmschwelle zur Architektur und zur Welt der ArchitektInnen zu senken. In entspannter Atmosphäre gibt es die Möglichkeit, über das Planen und Bauen zu plaudern, die Arbeit in den Ateliers hautnah zu erleben, Einblicke in Privathäuser und -wohnungen zu bekommen und weitere sonst nicht zugängliche Architekturen zu besichtigen. Die Vorteile individueller Gestaltung (auch im Hinblick auf energetische Optimierung und kostengünstige Angebote) werden damit unmittelbar spürbar.

Ein ganz zentraler Partner bei den Bemühungen, den Kreis der ExpertInnen zu erweitern, sind die Bildungsinstitutionen der verschiedenen Ebenen. Das reicht vom Kindergarten über die Schulen der unterschiedlichen Schulstufen und Schultypen zu Einrichtungen der Erwachsenenbildung bis zu Senioreninstitutionen. In beinahe jeder Diskussion zum Thema wird – wie auch bei vielen anderen Themen – die zentrale Bedeutung des Bildungssektors betont. Wenn es jedoch darum geht, konkret tätig zu werden, halten sich die Akteure meist auffällig bedeckt. Man gewinnt dann den Eindruck, dass die oftmals beschworene „Wissensgesellschaft“, vollmundig als die „einzige Chance Europas im Prozess der Globalisierung“ dargestellt, nur als Lippenbekenntnis existiert.

Dennoch wird – bei leider vielerorts immer geringer werdenden Ressourcen – von vielen Engagierten, oftmals ehrenamtlich, versucht, das Angebot an kultureller Bildung aufrecht zu halten bzw. auszuweiten. In Österreich gibt es dazu seit nunmehr 30 Jahren auch eine eigene Institution (heute: KulturKontakt Austria, vormals: Österreichischer Kultur-Service)[7], die die aktive Einbeziehung von KünstlerInnen in den Schulunterricht finanziell und methodisch unterstützt. Zunehmend werden derartige kulturelle Angebote auch um weitere soziale und bildungsrelevante Kontexte (beispielsweise die Arbeit mit MigrantInnen, SeniorInnen, Lehrlingen bzw. in der außerschulischen Jugendarbeit) erweitert.

Die Beschäftigung mit Baukultur ist als Querschnittsmaterie – mit u. a. künstlerischen, technischen, sozialen, historischen Aspekten – besonders geeignet für eine gesamtheitliche Betrachtung und damit den fächerübergreifenden Projektunterricht. Bereits im Kindergarten wäre die Auseinandersetzung mit Fragen der gestalteten Umwelt ein wichtiges Thema, wobei dieser Sektor aufgrund der zersplitterten Zuständigkeiten (Stadt, Kommunen, kirchliche und private Trägereinrichtungen) sehr schwer zu erreichen ist. Schule ist institutionell leichter zu fassen[8], wobei hier aber oft andere Hindernisse, z. B. der strenge Fächerkanon oder die geringe Zeit für Projektunterricht, existieren. Eine ganz wesentliche Hürde ist, dass sich die Lehrerinnen und Lehrer nur selten „über das Thema drübertrauen“. Daraus gilt es den Schluss zu ziehen, verstärkt in die LehrerInnenaus- und -fortbildung zu investieren und die Schwellenängste der PädagogInnen zu reduzieren. Aber auch von Seiten der ArchitekturexpertInnen gilt es, Modelle so zu entwickeln, dass sie für Laien nachvollziehbar und lustvoll sind, ihr Sprechen über die eigene Arbeit kritisch zu reflektieren und mit den Kenntnissen der pädagogischen PartnerInnen abzustimmen. Denn die Lehrpläne bieten einen großen Spielraum, um Aspekte von Baukultur zu behandeln.

Ganz wichtig ist es mir darauf hinzuweisen, dass nach meinem Verständnis Architekturvermittlung keinesfalls ein Unterricht in Architektur, nicht das Ausbilden von „kleinen ArchitektInnen“ sein soll, sondern primär das Wecken von Raumverständnis und das Aufzeigen der Gestaltbarkeit (und damit Beeinflussbarkeit) von gebauter Umwelt. Es darf auch nicht um die kritiklose Übernahme von normierten ästhetischen Konzepten gehen, vielmehr muss die Fähigkeit, Architektur in ihrer Vielfalt wahrnehmen zu können, im Vordergrund stehen. Ziel ist es, das Verständnis für Architektur und Baukultur auf breiter Basis zu stärken und die Alltagsqualität von Architektur einem weiten Kreis erlebbar zu machen. Denn obwohl Architektur von allen Kunstformen den unmittelbarsten und unausweichlichsten Einfluss auf das tägliche Leben hat, gibt es nur wenige Menschen, die ihre Umwelt bewusst wahrnehmen. Und ebenso wenigen ist bewusst, dass die Gestaltung des Lebensraumes wesentlich zum Wohlbefinden des/der Einzelnen beiträgt, dass Raum eben Wirkung hat und darüber hinaus ein zentraler Bestandteil der jeweiligen kulturellen Identität ist. Daher will das Erkennen von Architektur gelernt sein!

Verbunden sind diese Bemühungen mit der Hoffnung, dass eine entsprechende Schulung die Menschen sehfähig, sprachfähig und damit entscheidungsfähig macht und zu einer mündigen Teilhabe an der Gesellschaft befähigt. Dass dies nicht nur eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe ist, sondern auch einen handfesten ökonomischen Background hat, verdeutlicht die Tatsache, dass das meiste „Lebensgeld“ (also die im Laufe eines Lebens erwirtschaftete Geldmenge) für Wohnen und Bauen ausgegeben wird. Daher ist ein souveräner und bewusster Umgang mit dieser Umwelt ein wesentlicher Teil der Allgemeinbildung, im Sinne einer umfassenden Staatsbürgerkunde.

Aus meiner Erfahrung, der langjährigen Betreuung von Architekturprojekten für Kinder und Jugendliche, kann ich sagen, dass die Methoden sehr unterschiedlich sein können – sie reichen von mehr emotionalen Zugängen der sinnlichen Wahrnehmung, dem Erkennen von Raumwirkungen am eigenen Körper und dem lustvollen Experimentieren, über das Erlebnis von Architektur vor Ort (bei Exkursionen und Besichtungen) und dem eigenständigen Gestalten (im Modell und / oder von 1:1 Objekten) bis zu stärker wissensbasierten Modellen.
Allen gemeinsam ist das Ziel, die Nachfrageseite zu stärken, BürgerInnen zu bilden, die mehr von Häusern und Plätzen fordern als die reine Zweckerfüllung und damit wiederum auch die Architekturschaffenden zu besseren Projekten anspornen.


 

Anmerkungen:
 

[1] Interessant ist, dass der Begriff Baukultur weder im Englischen noch im Französischen präzise zu übersetzen ist.

[2] Zu den Aktivitäten im Rahmen der Plattform Architekturpolitik und Baukultur vergleiche insbesondere den Vortrag von Volker Dienst.

[3] Ein Überblick findet sich unter www.architekturstiftung.at sowie www.azw.at. Eine sehr gute Sammlung zum österreichischen Baugeschehen bietet www.nextroom.at.

[4] z. B. LandLuft (www.landluft.at), die sich speziell mit dem Bauen außerhalb von Ballungszentren beschäftigen oder architektur in progress (www.architektur-inprogress.at), eine Plattform zur Förderung junger und innovativer Architektur, wo insbesondere junge Büros Gelegenheit zur Präsentation ihrer Arbeit erhalten, der Haslacher Architekturfrühling, die Initiative „Vier Frauen fahren fort“ und eine Vielzahl weiterer Aktivitäten.

[5] Es gibt auch grenzüberschreitende Kooperationen; Tradition haben etwa die Zusammenarbeit mit Bratislava und Ungarn.

[6] Architekturtage fanden in dieser Form erstmals 2002, folgend auch 2004 und 2006, statt. Die nächsten Architekturtage sind für Frühsommer 2008 geplant. Mehr dazu unter www.architekturtage.at

[8] In Österreich ist Schule – anders als in Deutschland – stärker eine gesamtstaatliche Kompetenz.

 


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Doppelheft 1-2
Februar 2007