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Ich habe für meinen Vortrag einen auf den ersten Blick recht altmodisch
klingenden Titel gewählt, denn Mündigkeit ist ein Begriff, der momentan kaum
Konjunktur hat. Ich habe den Titel aber sehr bewusst gewählt, weil ich mich
in meinen Ausführungen schwerpunktmäßig mit jenen Bereichen der
Architekturvermittlung bzw. jenen Zugängen zum Thema beschäftigen möchte,
bei denen die „Ertüchtigung“ – noch so ein altmodischer und nicht gerade
positiv konnotierter Begriff – im Vordergrund steht. Ertüchtigung in dem
Sinn, den Menschen einen Zugang zu Fragen von Architektur und gestalteter
Umwelt zu ermöglichen, mit dem Ziel, sie sehfähig, sprachfähig und damit
entscheidungsfähig zu machen, bzw. sie bei diesem Vorhaben ein Stück weit zu
begleiten. Meinen Ausführungen liegt damit die Überzeugung zugrunde, dass
Kenntnisse über Architektur und Umweltplanung eine grundlegende Fähigkeit
jeder Bürgerin / jedes Bürgers sein sollten.
Noch eine begriffliche Festlegung möchte ich an den Beginn meiner
Ausführungen stellen: Anstelle von Architekturvermittlung spreche ich lieber
von der Vermittlung von Baukultur. Baukultur als ein Begriff, der –
insbesondere im deutschsprachigen Raum[1]
– in den letzten Jahren eine zunehmende Verbreitung gefunden hat (und weiter
findet). Das bringt auch mit sich, dass es viele Definitionen gibt, was
darunter zu verstehen ist, und „Baukultur“ damit von vielen – ob dieser
Breite und Schwammigkeit – kritisch gesehen wird. Doch trotz all dieser, in
vielen Aspekten berechtigten Kritik, erscheint es mir zur Beschreibung
meiner Arbeit und meines Verständnisses davon am zutreffendsten, von der
Vermittlung von Baukultur zu sprechen: Von Baukultur als gestalteter Umwelt
und als Gesamtheit von Aspekten der Architektur, aber ebenso des
Ingenieurwesens, der Freiraumplanung, der Stadt- und Regionalplanung sowie
der Raumordnung.
Es ist ein weites Feld, mit dem wir, als in der Architektur- bzw.
Baukulturvermittlung Tätige, uns beschäftigen, und unterschiedliche Aspekte
werden bei dieser Tagung beleuchtet. Auch in meiner persönlichen Arbeit ist
der Radius weit gesteckt. Er reicht von Gesprächen mit
EntscheidungsträgerInnen der unterschiedlichen Ebenen und damit „top down“[2],
wo es insbesondere darum geht, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass
Aktivitäten möglich werden, bis zur Vermittlung von Kenntnissen an einen
breiten Kreis von Laien (bottom-up). Dieser Aspekt soll hier im Vordergrund
stehen.
Ausgangspunkt ist dabei, dass
jede/r
wohnt, jede/r sich in gestalteten Räumen bewegt und es daher notwendig ist,
den Menschen Instrumente für einen bewussten Umgang mit der gestalteten
Umwelt bereit zu stellen.
Dies
geschieht auf den unterschiedlichsten Ebenen. In Österreich gibt es
beispielsweise in jedem Bundesland ein Architekturhaus (mit leicht
unterschiedlichen Bezeichnungen und individuellen Schwerpunktsetzungen)[3],
wo mit Ausstellungen, Exkursionen, Diskussionen, Vorträgen, Publikationen u.
a. m. der Diskurs und die Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen
Aspekten von Planen und Bauen ermöglicht wird. Zudem beschäftigen sich eine
Reihe von Initiativen[4]
mit spezifischen Fragestellungen. Mit dieser Gesamtheit erschließt sich dem
Kreis der Interessierten ein breites Angebot.
Ein wichtiges Ziel ist es jedoch, diesen „Kreis der Beteiligten“
auszudehnen und das Verständnis für Architektur und Baukultur auf breiter
Basis zu stärken. Damit soll
Gestaltungsqualität – die Alltagsqualität von guter Architektur – auch
jenseits der ExpertInnenkreise bewusst werden. Ein wichtiges Projekt in
diesem Kontext sind die alle zwei Jahre österreichweit[5]
stattfindenden Architekturtage[6].
Diese größte Architekturveranstaltung Österreichs lädt ein, „Architektur zu
entdecken“. Offene Gebäude, offene Ateliers, geführte und individuelle
Besichtungstouren, Vorträge, Diskussionen und Feste helfen, die Hemmschwelle
zur Architektur und zur Welt der ArchitektInnen zu senken. In entspannter
Atmosphäre gibt es die Möglichkeit, über das Planen und Bauen zu plaudern,
die Arbeit in den Ateliers hautnah zu erleben, Einblicke in Privathäuser und
-wohnungen zu bekommen und weitere sonst nicht zugängliche Architekturen zu
besichtigen. Die Vorteile individueller Gestaltung (auch im Hinblick auf
energetische Optimierung und kostengünstige Angebote) werden damit
unmittelbar spürbar.
Ein ganz zentraler Partner bei den Bemühungen, den Kreis der ExpertInnen zu
erweitern, sind die Bildungsinstitutionen der verschiedenen Ebenen. Das
reicht vom Kindergarten über die Schulen der unterschiedlichen Schulstufen
und Schultypen zu Einrichtungen der Erwachsenenbildung bis zu
Senioreninstitutionen. In beinahe jeder Diskussion zum Thema wird – wie auch
bei vielen anderen Themen – die zentrale Bedeutung des Bildungssektors
betont. Wenn es jedoch darum geht, konkret tätig zu werden, halten sich die
Akteure meist auffällig bedeckt. Man gewinnt dann den Eindruck, dass die
oftmals beschworene „Wissensgesellschaft“, vollmundig als die „einzige
Chance Europas im Prozess der Globalisierung“ dargestellt, nur als
Lippenbekenntnis existiert.
Dennoch wird – bei leider vielerorts immer geringer werdenden Ressourcen –
von vielen Engagierten, oftmals ehrenamtlich, versucht, das Angebot an
kultureller Bildung aufrecht zu halten bzw. auszuweiten. In Österreich gibt
es dazu seit nunmehr 30 Jahren auch eine eigene Institution (heute:
KulturKontakt Austria, vormals: Österreichischer Kultur-Service)[7],
die die aktive Einbeziehung von KünstlerInnen in den Schulunterricht
finanziell und methodisch unterstützt. Zunehmend werden derartige kulturelle
Angebote auch um weitere soziale und bildungsrelevante Kontexte
(beispielsweise die Arbeit mit MigrantInnen, SeniorInnen, Lehrlingen bzw. in
der außerschulischen Jugendarbeit) erweitert.
Die Beschäftigung mit Baukultur ist als Querschnittsmaterie – mit u. a.
künstlerischen, technischen, sozialen, historischen Aspekten – besonders
geeignet für eine gesamtheitliche Betrachtung und damit den
fächerübergreifenden Projektunterricht. Bereits im Kindergarten wäre die
Auseinandersetzung mit Fragen der gestalteten Umwelt ein wichtiges Thema,
wobei dieser Sektor aufgrund der zersplitterten Zuständigkeiten (Stadt,
Kommunen, kirchliche und private Trägereinrichtungen) sehr schwer zu
erreichen ist. Schule ist institutionell leichter zu fassen[8],
wobei hier aber oft andere Hindernisse, z. B.
der strenge Fächerkanon oder die geringe Zeit für Projektunterricht,
existieren. Eine ganz wesentliche Hürde ist, dass sich die Lehrerinnen und
Lehrer nur selten „über das Thema drübertrauen“. Daraus gilt es den Schluss
zu ziehen, verstärkt in die LehrerInnenaus- und -fortbildung zu investieren
und die Schwellenängste der PädagogInnen zu reduzieren. Aber auch von Seiten
der ArchitekturexpertInnen gilt es, Modelle so zu entwickeln, dass sie für
Laien nachvollziehbar und lustvoll sind, ihr Sprechen über die eigene Arbeit
kritisch zu reflektieren und mit den Kenntnissen der pädagogischen
PartnerInnen abzustimmen. Denn die Lehrpläne bieten einen großen Spielraum,
um Aspekte von Baukultur zu behandeln.
Ganz wichtig ist es mir darauf hinzuweisen, dass nach meinem Verständnis
Architekturvermittlung keinesfalls ein Unterricht in Architektur, nicht das
Ausbilden von „kleinen ArchitektInnen“ sein soll, sondern primär das Wecken
von Raumverständnis und das Aufzeigen der Gestaltbarkeit (und damit
Beeinflussbarkeit) von gebauter Umwelt. Es darf auch nicht um die kritiklose
Übernahme von normierten ästhetischen Konzepten gehen, vielmehr muss die
Fähigkeit, Architektur in ihrer Vielfalt wahrnehmen zu können, im
Vordergrund stehen. Ziel ist es, das
Verständnis für
Architektur und Baukultur auf breiter Basis zu stärken und die
Alltagsqualität von Architektur einem weiten Kreis erlebbar zu machen. Denn
obwohl Architektur von allen Kunstformen den unmittelbarsten und
unausweichlichsten Einfluss auf das tägliche Leben hat, gibt es nur wenige
Menschen, die ihre Umwelt bewusst wahrnehmen. Und ebenso wenigen ist
bewusst, dass die Gestaltung des Lebensraumes wesentlich zum Wohlbefinden
des/der Einzelnen beiträgt, dass Raum eben Wirkung hat und darüber hinaus
ein zentraler Bestandteil der jeweiligen kulturellen Identität ist. Daher
will das Erkennen von Architektur gelernt sein!
Verbunden sind diese Bemühungen mit der Hoffnung, dass eine
entsprechende Schulung die Menschen sehfähig, sprachfähig und damit
entscheidungsfähig macht und zu einer mündigen Teilhabe an der Gesellschaft
befähigt. Dass dies nicht nur eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe ist,
sondern auch einen handfesten ökonomischen Background hat, verdeutlicht die
Tatsache, dass das meiste „Lebensgeld“ (also die im Laufe eines Lebens
erwirtschaftete Geldmenge) für Wohnen und Bauen ausgegeben wird. Daher ist
ein souveräner und bewusster Umgang mit dieser Umwelt ein wesentlicher Teil
der Allgemeinbildung, im Sinne einer umfassenden Staatsbürgerkunde.
Aus meiner Erfahrung, der langjährigen Betreuung von
Architekturprojekten für Kinder und Jugendliche, kann ich sagen, dass die
Methoden sehr unterschiedlich sein können – sie reichen von mehr emotionalen
Zugängen der sinnlichen Wahrnehmung, dem Erkennen von Raumwirkungen am
eigenen Körper und dem lustvollen Experimentieren, über das Erlebnis von
Architektur vor Ort (bei Exkursionen und Besichtungen) und dem
eigenständigen Gestalten (im Modell und / oder von 1:1 Objekten) bis zu
stärker wissensbasierten Modellen.
Allen gemeinsam ist das Ziel, die Nachfrageseite zu stärken, BürgerInnen
zu bilden, die mehr von Häusern und Plätzen fordern als die reine
Zweckerfüllung und damit wiederum auch die Architekturschaffenden zu
besseren Projekten anspornen.
Anmerkungen:
[1]
Interessant ist, dass der Begriff Baukultur weder im
Englischen noch im Französischen
präzise zu übersetzen ist.
[2]
Zu den Aktivitäten im Rahmen der Plattform Architekturpolitik und
Baukultur vergleiche insbesondere den Vortrag von Volker Dienst.
[4]
z. B. LandLuft (www.landluft.at),
die sich speziell mit dem Bauen außerhalb von Ballungszentren
beschäftigen oder architektur in progress (www.architektur-inprogress.at),
eine Plattform zur Förderung junger und innovativer Architektur, wo
insbesondere junge Büros Gelegenheit zur Präsentation ihrer Arbeit
erhalten, der Haslacher Architekturfrühling, die Initiative „Vier
Frauen fahren fort“ und eine Vielzahl weiterer Aktivitäten.
[5]
Es gibt auch grenzüberschreitende Kooperationen; Tradition haben
etwa die Zusammenarbeit mit Bratislava und Ungarn.
[6]
Architekturtage fanden in dieser Form erstmals 2002, folgend auch
2004 und 2006, statt. Die nächsten Architekturtage sind für
Frühsommer 2008 geplant. Mehr dazu unter
www.architekturtage.at
[8]
In Österreich ist Schule – anders als in Deutschland – stärker eine
gesamtstaatliche Kompetenz.
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