Die Zukunft
der Architekturvermittlung

11. Jahrgang
Doppelheft 1-2
Februar 2007
   

 

___Thomas Michael Krüger
Berlin
  Stadt zeigen Architekturvermittlung vor Ort
   
 
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Abbildung 1.1:
Schlossattrappe

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Abbildung 1.2:
Casa Musica Port

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Abbildung 2.1:
Zelt Bauakademie

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Abbildung 2.2:
Bibliothek Cottbus

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Abbildung 3:
Schloss Neuschwanstein

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Abbildung 4:
Palast der Republik (Nachtansicht)
Claus Anderhalten Architekten

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Abbildung 5:
Palast Abriss

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Abbildung 6:
Schlosskarikatur
Tagesspiegel, Stuttmann

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Abbildung 7.1:
Band Entwurf, Schultes


Abbildung 7.2:
Band Fragment, Luftbild


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Abbildung 8:
Hauptbahnhof

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Abbildung 9.1:
Gewölbe (Entwurf), gmp

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Abbildung 9.2:
Gewölbe (Ist)

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Abbildung 10:
Konzert Krematorium

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Abbildung 11:
Laser, Frankfurter Tor


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Abbildung 12:
Architektur und Schule

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Abbildung 13:
Architekturplan Hamburg


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Abbildung 14:
Ticket B


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Abbildung 15:
Guiding Architecture


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Abbildung 16:
Architekturführung,
Gruppe am Reichstag

  Die Frage, welchen Sinn Architekturvermittlung hat, ist einfach zu beantworten: Baukultur bestimmt – ob wir es wollen oder nicht unseren Alltag. Sie zu verstehen, bedeutet, sich bewusster und sicherer in unserer Umwelt zu bewegen. Die Qualität und Schönheit zeitgenössischer Architektur wahrzunehmen, ist eine kulturelle Errungenschaft, die uns weithin abhanden gekommen scheint. Im Gegensatz zur technologischen Welt, wo z. B. im Automobildesign die zeitgenössische Gestaltung als selbstverständlicher Teil unserer Gegenwartskultur niemals in Frage gestellt wird, erfährt moderne Architektur allgemein wenig Akzeptanz. Der Hauptgrund ist äußerst banal: Architektur wird zwar gesehen, aber nicht verstanden. Denn: Man weiß nichts darüber, und man sieht eben nur, was man auch weiß.

Dass es dabei nicht nur um die unbedeutenden Wahrnehmungen einer weithin nutzlosen Welt der schönen Dinge für Ästhetiker geht, sondern um ein fundamentales Bekenntnis aller aufgeklärten Menschen zu einer modernen, offenen, neugierigen und toleranten Gesellschaft, sollen drei Beispiele zeigen, in der unser Baukulturverständnis versagt hat.

Zwei Gegenüberstellungen verdeutlichen die beiden Pole auf der Skala:
(Abbildungen 1.1-1.2 und 2.1-2.2).

Während die Stoffsimulationen vergangener Baupracht im Wiederentstehen von Berliner Schloss und Schinkelscher Bauakademie für eine Vergangenheitssehnsucht in der Mitte unserer Republik stehen, haben sich Städte wie Denver mit dem Kunstmuseum von Daniel Libeskind oder Porto mit der Casa Musica von Rem Koolhaas ganz selbstverständlich der Gegenwart geöffnet und viel bewunderte und besuchte zeitgenössische Gebäude geschaffen, die neue Wege gehen und überregional positiv ausstrahlen. Selbst in Cottbus (!) wurde mit der Bibliothek von Herzog & de Meuron, in der im Juni 2006 die Tagung zur Zukunft der Architekturvermittlung stattfand, ein mutiges und selbstbewusstes Zeichen gesetzt.


1. Schlossbau und Palast-Abriss

Während im letzten halben Jahrhundert, angefangen von der Sprengung des Berliner Schlosses, über die Beseitigung der großen Bahnhöfe bis hin zu Baudenkmälern der DDR-Zeit – wie dem Gebäude des Außenministeriums und dem „Ahorn-Blatt“ in Berlin oder dem „Sternchen“ in Cottbus von Ulrich Müther – weitgehend unbegründet bedeutende Bauwerke abgerissen wurden bzw. aktuell vom Abriss bedroht sind, stellt sich vor allem der gegenwärtige „selektive Rückbau“ des Palastes der Republik als eine fatale, unvernünftige und unwirtschaftliche Entscheidung dar. In Zeiten, in denen der volkswirtschaftliche Sparwille als allübergreifendes Lebensmotto in unseren Köpfen installiert ist, wird ohne Not mit gewaltigem Aufwand eine riesige Gebäudehülle vernichtet und eine leere Stadtmitte geschaffen. Dabei missachtet man rigoros vielleicht die einzige wirkliche Zukunftsoption für die metropolitane Bedeutung des sexy Berlin (Bürgermeister Klaus Wowereit): die vielfältige Subkultur und Off-Szene. Die moderne Gegenwartskunst hatte sich mit dem riesigen Stahlcontainer bereits kreativ auseinandergesetzt. Ja, selbst McKinsey hatte dort schon einen Kongress abgehalten und sich mit der geschmähten Ruine anfreunden können. Das Büro Anderhalten Architekten wies noch kurz vor dem Abrissbeginn mit einem ebenso nutzungstauglichen wie ästhetischen Entwurf für einen kostengünstigen Umbau nach, dass hinter dem verblichenen Glanz des Hauses eine moderne, sehr flexible Kunsthalle vom Kaliber eines Centre Pompidou schlummern könnte (s. Abbildungen 3 und 4).

Obwohl dieser Umbau nur 1/15 (in Worten: ein Fünfzehntel) dessen gekostet hätte, was für den von einer kleinen Gruppe vergangenheitssüchtiger Schlossliebhaber wacker (und erfolgreich) geführten Kampf für den Wiederaufbau des Hohenzollernschlosses als historisierende Hülle für Einbäume und Bambushütten aus den Sammlungen des Völkerkundemuseums veranschlagt wird, wurde das Konzept trotz weit reichender Publikation von den politisch Verantwortlichen ignoriert.

Eine Bundestagsmehrheit – zu einem großen Teil aus Provinzpolitikern bestehend, die den „Palast“ einfach nur „hässlich“ finden – hatte entschieden, dieses völlig unkalkulierbare Wagnis einzugehen – gleichzeitig wird sehr ernsthaft über die Einsparung eines dringend erforderlichen neuen Eingangsgebäudes für die Museumsinsel gestritten und damit ein Kernstück des preisgekrönten Entwurfes von David Chipperfield zur Disposition gestellt
(Abbildungen 5 und 6).


2. Bürgerforum wird nicht gebaut

Als Axel Schultes und Charlotte Frank den städtebaulichen Wettbewerb für das neue Regierungsviertel im Spreebogen unter 837 Arbeiten gewannen, lobte man einhellig das stringente und markante “Band des Bundes”, das Regierungsfunktionen und Bürgerinteressen vereint und das Parlament im Reichstag als Solitär in den Mittelpunkt stellt.

Heute weiß kaum ein Politiker noch von dieser Idee, ein Bürgerforum in dieses Band zu integrieren. Stattdessen unterbricht eine konzeptionell fragwürdige Freifläche das Gebäudeband und zeigt das Bundeskanzleramt als weiteren Solitär von einer nicht dafür gedachten Schauseite. Selbst das Versprechen, die nun durch den Tunnel überflüssig gewordene Straßenverbindung aufzuheben, wurde nicht eingelöst. Bruno Flierl, Architekturkritiker und einer der Gestaltungsgutachter des historisierenden neuen Pariser Platzes, fragte schon vor Jahren nach dem Sinn eines Schlosswiederaufbaus, wenn hier noch nicht einmal die zentrale Idee eines von allen befürworteten, städtebaulichen Konzeptes zu Ende gebracht wird, mit einem Bürgerforum im Regierungsband gegenüber dem neuen Hauptbahnhof.

Diese Untätigkeit erstaunt umso mehr, wenn man sich an den gewaltigen Kapitaleinsatz erinnert, der für die unsäglichen provisorischen Bauten einer zweiten Reichstagskuppel aus Plastik und des achtfach verkleinerten Olympiastadions als Adidas-Zelt-Arena auf dem asphaltierten Rasen-Platz der Republik anlässlich der Fußballweltmeisterschaft 2006 notwendig war.


3. Die Verstümmelung des neuen Hauptbahnhofs Berlin

Und damit sind wir räumlich auch schon ganz nah beim dritten „Tatort“: Hartmut Mehdorn, einer der bestbezahlten Manager der Bundesrepublik, hat als Bahnchef eine baukulturelle Sünde nach der anderen am „Jahrhundertbauwerk“ von Meinhard von Gerkan zu verantworten:
die Verkürzung des Glasdaches, die nicht nur gebäudekompositorisch eine Katastrophe darstellt, sondern letztlich auch mehr gekostet hat und funktional durch den nun fehlenden Lärmschutz eine vorgesehene Entwicklung von Wohnungsbau verhindert,
die Supermarktdecken-Verkleidung der imposanten „gotischen“ Gewölbe, die den unterirdischen Bereich des Bahnhofes unnötig banalisiert und schließlich
die unkontrollierte Werbung und banale Lichtgestaltung, die weit hinter den Möglichkeiten einer anspruchsvollen kommerziellen Nutzung bleibt,
sind gleichermaßen unverzeihlich.

Dass die besten Kunden der Bahn, die Reisenden der 1. Klasse, nun im Regen aus den ICE-Zügen aussteigen müssen, ist schon Hohn genug. Die rasch vorgetragene Idee, die Kunden dann mit regenschirmbewaffnetem Service-Personal abzuholen, wurde mit Hinweis auf zu hohe Kosten (!) schnell wieder ad acta gelegt: ein Schildbürgerstreich jagt den nächsten
(Abbildungen 8 und 9.1-9.2).


Hoffnung für Baukultur?

Möglicherweise wären diese Fehlentwicklungen vermeidbar gewesen, wenn ein breiter angelegtes Verständnis für Baukultur in den Köpfen unserer Politiker und Konzernlenker vorhanden wäre.

Es gibt durchaus Hoffnung: Die Entdeckung der Baukultur hat begonnen, man denke an den unerwarteten Erfolg der roten Infobox in Berlin, deren Besucherzahl alle Erwartungen weit übertroffen hat.


Architektur als Event

In Hamburg hat der inzwischen vierte Architektursommer mit dem Zugpferd der neuen Hafencity große Besucherströme mobilisiert. Die dritte Münchener Architekturwoche hat dem Bild der eher konservativen Bayernmetropole ein neues zeitgenössisches Gesicht verliehen. Cello-Konzerte im Berliner Krematorium oder im Münchener Wasserspeicher, Lichtinstallationen, die Gebäude, Türme oder Brücken künstlerisch verfremden, temporäre Bauwerke, die ungewohnte Verbindungen schaffen, tragen zur Popularisierung von Architektur bei. Kein an Architekturvermittlung interessierter Fachmann sollte sich zu schade sein, den durchaus interessierten Laien mit solch breit gefächerten Events in seiner Lebenswelt abzuholen, um ihm ein anderes und vermutlich tieferes Bewusstsein für unsere gebaute Umwelt zu verschaffen (Abbildungen 10 und 11).

Architektur und Schule

Parallel zur permanenten Architekturvermittlung durch Events unterschiedlichster Art muss die kulturelle Basisarbeit in den Schulen und Universitäten erfolgen. In den Schulen kam das Bauen allenfalls in ambitionierten Kunst-Leistungskursen vor, seit einiger Zeit hat sich die in Skandinavien erprobte Praxis, frühzeitig Architektur im Schulunterricht zu etablieren, auch in Deutschland entwickelt. Die „Architektur-und-Schule-Projekte“ der Architektenkammern sind absolut notwendige, richtige und lobenswerte Maßnahmen, wenn Sie sicherstellen, dass gute und didaktisch befähigte Architekten diese Art der besonders anspruchsvollen Lehre durchführen, und nicht genau diejenigen Kollegen dort Schaden anrichten, die sich aus Frustration und Erfolglosigkeit auf den unverbildeten Nachwuchs stürzen.

Die Wirtschaftsakademien und -studiengänge sollten Baukultur-Unterricht, Stadtmarketing und Eventkultur auf die Lehrpläne setzen. Der „Bilbao-Effekt“ sollte auch den letzten Kritiker von der Notwendigkeit, Baukunst als wirtschaftlich-touristisches Potenzial zu begreifen, überzeugen.


Architektur im Fernsehen

Die Idee von Falk Jaeger, 100 Meisterwerke der Baukunst ins Fernsehen zu bringen, ist ebenso unverwirklicht, wie das von Stefan Rethfeld und Anne Schmedding vorgelegte Konzept, ein regelmäßiges Architekturmagazin zu etablieren. In der Werbung und in Kinofilmen wird moderne Architektur zunehmend als zugkräftiger, sprich: verkaufsfördernder Hintergrund verbraten“. Im journalistischen Fernsehen blüht das Nischen-Fernsehen von hanebüchenen Verkaufs-Shows bis zu Mare-TV, Baukultur jedoch ist lediglich als querflötengeschwängerte Historienbeschwörung in Reisemagazinen zu finden.


Architektur in den Medien

In den Zeitungen steht Architektur und Städtebau im Schatten von Musik, bildender Kunst, Literatur und Schauspiel. Redakteure, die über Architektur berichten wollen, werden oft von ihren Ressortleitern mit dem Hinweis eingeschränkt, die Zielgruppe dafür sei zu klein. Jedem Kind ist leicht zu vermitteln, dass Baukultur wirklich jeden betrifft: Jeder wohnt, benutzt Straßen und Gebäude, ohne ein Buch zu kaufen, eine Eintrittskarte für ein Museum, ein Konzert oder ein Theaterstück zu lösen. Bücher über Architektur gibt es zuhauf: aufwändige und zumeist teure Hochglanzpublikationen, als Inszenierung der Autoren von diesen vorfinanziert und wenig marktgängig, stapeln sie sich in den Regalen ambitionierter Fachbuchhandlungen.

Ein Gegenbeispiel sind die kleinen Berliner Architekturführer aus dem Stadtwandel-Verlag: eine Reihe von mittlerweile fast 100 gut nutzbaren, verständlich geschriebenen und eben auch preiswerten Architekturführern über jeweils ein zeitgenössisches Gebäude (2,50 bis 5,- Euro). In München wurde durch ganz ähnliche Baukulturführer, die sich ausschließlich mit zeitgenössischen Bauten hoher Qualität befassen, von Nicolette Baumeister in aufgefrischter Form eine Weiterentwicklung aufgelegt.

Im Internet bilden Baukunst-Portale wie das erfolgreiche www.koelnarchitektur.de aktuelle Foren der Auseinandersetzung mit gegenwärtigen Themen aus Städtebau und Architektur.

Die Publikation von Architektur-Stadtplänen für Berlin, München, Köln (Verlagshaus Braun) und Hamburg (im Selbstverlag der Autoren erschienen) sind ebenfalls als innovative Werkzeuge zur Stadt- und Baukulturerkundung zu erwähnen
(Abbildung 13).

Am Potsdamer Platz wird in den exklusiven Hotels erstmals ein Audio-Guide zu Architektur und Städtebau des neuen Stadtviertels herausgegeben.


Architekturführungen

Seit dem Gründungstag im Oktober 1996 hat die Agentur des Autors dieser Zeilen „Ticket B – Stadtführungen von Architekten in Berlin“ (www.ticket-b.de) über 1000 Führungen für über 25.000 Menschen durchgeführt (Abbildung 14).

 

Mit einem Team von jungen Architektinnen und Architekten werden individuelle Führungen für Gruppen aus dem In- und Ausland, mit Gruppengrößen zwischen drei und 300 Personen, organisiert. Schwerpunkt ist die zeitgenössische Architektur, wobei natürlich die historische Stadt nicht ausgeklammert werden kann. In der Regel finden die Touren zu Fuß, mit dem öffentlichem Nahverkehr oder einem Charter-Bus, aber auch mit Schiff, Fahrrad, oder, falls gewünscht, mit dem Hubschrauber statt.

Die Organisation von Unterbringung in architektonisch interessanten Hotels, Pausen in guten Restaurants oder spezielles Catering unterwegs, bringen das Büro manchmal in die Nähe eines Reisebüros oder Callcenters. Die Nachfrage nach dieser Dienstleistung steigt ständig. Ob Schweizer Kollegen, die sich mit ihren Bauherren und Stadtplanungsbeamten für bevorstehende Bauaufgaben inspirieren lassen wollen, oder Firmen, die ihren auswärtigen Gästen die Stadt zeigen, ob Schülergruppen, die gemeinsam mit ihren Lehrern ihre gebaute Umgebung besser verstehen wollen – alle sind durchweg begeistert und schätzen das hohe Niveau, das ihnen Architekten als Stadtführer bieten können.

Was sich in der Bilanz schön und einfach anhört, ist das Ergebnis harter Arbeit und zehnjähriger Erfahrung. Die Qualität dieser Dienstleistung zu halten, ist nicht leicht. Neben dem Fachwissen und der Erfahrung eines ausgebildeten Architekten oder Stadtplaners gehört dazu vor allem die Lust an der Vermittlung. Die Unterschiedlichkeit der Gruppen, vom pubertierenden Schüler bis zum hoch spezialisierten Mitglied einer Gestaltungskommission, oder, der schwierigste Kunde überhaupt, der Architekten-Kollege, erfordert ein Höchstmaß an Einfühlungsvermögen, Sensibilität im Umgang mit gruppendynamischen Prozessen, Organisationstalent, gutes Zeitmanagement, aber auch Improvisationsvermögen. Auch  scheinbar banale Dinge wie eine laute Stimme und eine geschliffene Rhetorik gehören zur „Grundausstattung“ eines Architekturführers. Und Architekten, die diese Arbeit freiberuflich machen können und wollen, gibt es nicht viele. Hat ein Architekt Arbeit, ist er so eingespannt, dass er nicht einmal dazu kommt, die wenigen Zeitungsartikel zur Architektur in der Stadt zu lesen. Zudem haben Führungen saisonabhängig und unregelmäßig Konjunktur. Städtereisen werden gemeinhin im Frühling und im Herbst gebucht.


Netzwerk www.guiding-architects.net

Inzwischen ist ein internationales Netzwerk mit 15 Partnerarchitekten in Europa entstanden, von Moskau bis Porto und Stockholm bis Barcelona. Kontakte bestehen in fast alle europäischen Länder und auch nach Australien, sowie in die USA nach Chicago und New York (Abbildung 15).

Ziel des lockeren Verbundes ist der Erfahrungsaustausch über Grenzen hinweg und selbstverständlich die kompetente Weiterempfehlung an lokale Kenner, die Einsicht der Mitglieder vorausgesetzt, dass eine regionale Baukultur trotz aller Globalisierung nur von vor Ort lebenden Experten authentisch und qualifiziert vermittelt werden kann.


Begeisterte Laien, blasierte Kollegen

Der Anteil der Nichtarchitekten unter den Kunden der Architekturführungen wächst ständig, damit leistet das Team eine kulturelle Basisarbeit, die von unserem Berufsstand erschreckend vernachlässigt wird. Das gängige Klischee des selbstverliebten Künstlers, der sich nur selbst Denkmäler setzt, bestimmt immer noch die Vorstellung des Laien vom Beruf des Architekten. Kein Wunder, bewegen wir uns doch seit Ewigkeiten in abgezirkelten Kreisen, ergehen uns in Fachsymposien und flüchten regelrecht vor dem uneinsichtigen Massenpublikum in die geschützte Welt der architekturphilosophischen Diskurse. Auf der schmutzigen Straße überlassen wir es Historikern und dilettierenden Germanisten, die Stadt zu erklären. Fachleute, die sich mit der Planung und Errichtung der gegenwärtigen Stadt beschäftigen, sind im Metier der Vermittlung dieses Fachwissens abwesend, Laien haben das Feld der Stadtführungen besetzt. Wer käme auf die Idee, sich in einem Kunstmuseum die Gemälde und Plastiken von Medizinern erklären zu lassen oder eine Konzertkritik von einem Juristen anfertigen zu lassen?

Bei der Begegnung mit Berufskollegen als Kunden der Führungen fällt manchmal ein erschreckender Realitätsverlust auf. Laien erfahren ein gutes Gebäude, erklärt mit der entsprechenden Sachkunde, wie begeisterungsfähige Kinder, die einen unbekannten Schatz entdecken. Mit leuchtenden Augen werden ihnen buchstäblich neue Türen und Welten eröffnet. Ihr unverbildeter Blick für das Wesentliche ist klar. Unsere wettbewerbsgebeutelten Kollegen dagegen, ohnehin nicht gewöhnt, sich Erklärungen über ihr Metier geben zu lassen, und im Glauben, alles sowieso schon zu wissen, oder im Zweifelsfall es schon einmal besser gemacht zu haben, treten lieber gegen die Wände, um deren Hohlklang zu enttarnen, knibbeln unter den Fensterbänken oder schrauben an Scharnieren herum, um deren falsche Planung zu offenbaren. Sie mokieren sich generell über das falsche Konzept, überflüssigen Schnickschnack oder monotone Langeweile. Der Blick ist getrübt und verbildet.

Daher ist es viel wichtiger und interessanter, jene Mehrheit anzusprechen, die wenig über Architektur weiß, sie aber besser verstehen will (Abbildung 16).

Moderne Architektur verständlich zu machen, die Akzeptanz zeitgenössischer Konzepte zu erhöhen und eine Wertschätzung der Baukunst im Alltag der Menschen zu etablieren, ist unser erklärtes Ziel. Architektur ist Geschmackssache, aber Geschmack hat mit Bildung zu tun.

 


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