Die Zukunft
der Architekturvermittlung

11. Jahrgang
Doppelheft 1-2
Februar 2007
   

 

___Riklef Rambow
& Ulrike Sturm
Cottbus
  Editorial

 

   

Die Vermittlung von Themen der Architektur und Baukultur an eine breitere Öffentlichkeit hat in den letzten Jahren enorm an Bedeutung gewonnen. Die Gründe dafür sind vielfältig: Sie reichen von Entwicklungen innerhalb der Medien über die kritische Situation der Baukonjunktur und die daraus sich ergebende Arbeitsmarktsituation für Architekten bis hin zu einer allgemein gewachsenen Aufmerksamkeit für Aspekte der gebauten Umwelt und Werte wie Nachhaltigkeit, Aneignung und Beteiligung betont.

In der Auseinandersetzung über Fragen der Architekturvermittlung treffen sich verschiedene aktuelle Diskurse. Zum einen wirft die Frage nach der Vermittlung automatisch auch immer die nach dem zu Vermittelnden auf. Was genau verstehen wir eigentlich unter Architektur oder Baukultur und welche Aspekte von ihr sollen vermittelt werden? Und warum überhaupt? Inwiefern muss, vor aller Vermittlungspraxis, auch eine Qualitätsdiskussion geführt werden? Eine zweite Diskurslinie betrifft einen grundsätzlichen Wandel im Verhältnis von Experten und Laien, der quer durch alle Disziplinen zu beobachten ist. Die traditionellen Professionen sind immer stärker gezwungen, ihren Anspruch auf Autorität öffentlich zu begründen und zu legitimieren. Eine kritischer werdende Öffentlichkeit verlangt – „aufgeklärt“ durch die Medien – nach Legitimation für Entscheidungen, die früher oft klaglos akzeptiert wurden. Die Kommunikation von Architektur wird dadurch zunehmend zu einem selbstverständlichen Teil des Entstehungs- und Nutzungsprozesses von Architektur. Dieses wachsende Legitimationserfordernis durch offensive Eigenaktivität von der Herausforderung zur Chance umzudeuten, ist ein wesentliches Ziel der Bemühungen um Architekturvermittlung von individuellem Marketing bis zu berufsständischen oder kulturpolitischen Initiativen.

Architekturvermittlung bewegt sich mithin in einer sensiblen Schnittzone von angewandter Architekturtheorie, professioneller Selbstvergewisserung, aufklärender Kulturpolitik und moderner Marketingstrategie.

Die dabei zum Einsatz kommenden Ansätze und Initiativen haben sich in den letzten Jahren stark diversifiziert. Dies soll im Folgenden kurz und ohne Anspruch auf Vollständigkeit anhand einiger wichtiger Bereiche von Vermittlungstätigkeit skizziert werden:

1. Die Zahl von Institutionen, die sich der Vermittlung von Architektur widmen, hat deutlich zugenommen. Galt das Deutsche Architektur Museum in Frankfurt/Main bei seiner Gründung durch Heinrich Klotz noch als europaweit einzigartig, so gibt es mittlerweile eine fast unüberschaubare Vielzahl von Architekturmuseen und -zentren in praktisch allen europäischen Ländern. Deren Konzeption, Ziele und Ausstattung variieren von Fall zu Fall erheblich. Die Spanne reicht von hervorragend ausgestatteten Institutionen wie dem Niederländischen Architekturinstitut (NAI) in Rotterdam, welches das gesamte Aktivitätsspektrum von eigener Sammlungstätigkeit über Ausstellungskonzeption und -gestaltung, Verlagsaktivität bis zu pädagogischen Angeboten, Kongressorganisation und Vortragsreihen ausweist, auf der einen Seite bis zu kleinen regionalen Einrichtungen, die mit zum Teil äußerst geringen Mitteln, aber großem Enthusiasmus den Dialog über das zeitgenössische Bauen anregen und fördern wollen.

2. Die Bemühungen darum, Architektur und gebaute Umwelt stärker in den Unterricht an allgemein bildenden Schulen zu integrieren, haben sich in den letzten Jahren deutlich intensiviert. Als Akteure sind hier vor allem die Architektenkammern zu nennen. Praktisch jede der sechzehn deutschen Länderkammern verfügt mittlerweile über einen eigenen Arbeitskreis zu diesem Thema und die Bundesarchitektenkammer bemüht sich darum, diese Aktivitäten zu bündeln und zu koordinieren. Neben den vielen einzelnen Pilotprojekten liegen mittlerweile auch breit einsetzbare Materialien in Form von Schulbüchern, Lehrerhandreichungen und Arbeitsblättern vor. Auch der Erfahrungsaustausch auf europäischer Ebene ist mittlerweile in Gang gekommen und gibt diesem Thema zusätzliches Gewicht.

3. Breitenwirksame Events und Festivals, die versuchen, regionale Architektur als Erlebnis zu inszenieren und dadurch in das öffentliche Bewusstsein zu bringen, haben sich vielerorts etablieren können. Auch hier ist die Vielfalt der Organisationsformen ebenso bemerkenswert wie die der beteiligten Akteure. Vom Hamburger Architektursommer, der sich über drei Monate erstreckt, über die „plan“ in Köln oder die Münchener Architekturwoche (die sich mittlerweile auch auf weitere bayerische Städte ausgebreitet hat), bis hin zum bundesweiten Tag der Architektur reicht das Spektrum. Auch die Inszenierung des Entstehungsprozesses spektakulärer Bauprojekte, z. B. im Rahmen der „Schaustelle Berlin“ oder der fast schon legendären „Info-Box“ am Potsdamer Platz, fallen in diesen Bereich. Dabei verbinden sich demokratisch motivierte Interessen von Politik und öffentlicher Verwaltung mit den kommerziellen Interessen von Bauherren und Immobilienmanagern.

4. Das Internet gewinnt neben den etablierten Medien Zeitung, TV und Rundfunk zunehmend an Bedeutung für die Architekturvermittlung. In mehreren großen Städten existieren mittlerweile Architekturportale wie www.koelnarchitektur.de, die es ermöglichen, sich einen schnellen Überblick über das architekturbezogene Geschehen vor Ort zu verschaffen. Inwiefern diese Dienste auch von Laien in Anspruch genommen werden, ist nur schwer abzuschätzen. Potenziell aber sind alle existierenden und entstehenden Kommunikationsformen im  Netz auch für die Architekturvermittlung relevant. Von besonderem Interesse sind dabei cross-media-Effekte, zum Beispiel die Verfügbarmachung und leichtere Zugänglichkeit von Diskursen durch Internetseiten wie www.nextroom.at, die Artikel aus Zeitschriften und der Tagespresse sammeln und zugänglich machen, oder die Unterstützung von realen Events durch virtuelle Informationsplattformen.

5. Das Thema „Architekturpolitik“ wird mit wachsender Intensität diskutiert. Es wird nach neuen Möglichkeiten der institutionellen Verankerung baukultureller Aktivitäten gesucht, auch unter dem Gesichtspunkt der Schaffung einer ökonomischen Basis für Aktivitäten der Architekturvermittlung. Wesentliche Impulse für derartige Bemühungen gingen von dem Blick in das europäische Ausland, insbesondere nach Finnland und in die Niederlande, aus. Die nach einem langen, schwierigen Diskussionsprozess nun unmittelbar bevorstehende Einrichtung einer Bundesstiftung Baukultur ist ein Meilenstein in diesem Prozess, dessen konkrete Auswirkungen auf die Architekturvermittlung künftig zu beobachten sein werden. Ganz sicher wird das aber nicht die letzte Veränderung in der architekturpolitischen Landschaft sein.

 

Dieser Bedeutungszuwachs des Themas Architekturvermittlung hat die BTU Cottbus dazu bewogen, ein spezialisiertes Ausbildungsangebot in Form eines Masterstudienganges einzurichten, das sich gezielt diesen Fragen widmet. Der Masterstudiengang Architekturvermittlung (www.architektur-vermittlung.de) hat zum Wintersemester 2005/06 seinen Betrieb aufgenommen, im Jahr darauf wurde der zweite Studienjahrgang immatrikuliert. Das Konzept eines solchen Studienangebotes an einer technischen Universität impliziert neben einer fundierten Ausbildung für kompetente Spezialisten auch eine kontinuierliche wissenschaftliche Auseinandersetzung und eigene aktive Forschung, die zur dynamischen Entwicklung des Themas beiträgt. In diesem Diskussionszusammenhang stand auch die Autorenkonferenz „Die Zukunft der Architekturvermittlung“, die im Juni 2006 an der BTU Cottbus durchgeführt wurde und deren Ergebnisse die vorliegende Doppelausgabe von Wolkenkuckucksheim dokumentiert. Das Ziel der Konferenz  – und dieses Heftes – ist es, eine valide aktuelle Bestandsaufnahme der Aktivitäten im Bereich der Architekturvermittlung und der wissenschaftlichen Reflexion über Prozesse der Architekturvermittlung vorzunehmen und Entwicklungslinien für deren zukünftige Weiterentwicklung zu projizieren. Dabei stand uns durchaus auch eine kritische Auseinandersetzung mit dem Ansatz vor Augen, den wir für den Cottbusser Studiengang gewählt haben: Ist die damit angezielte Professionalisierung und Disziplinierung – im Sinne der Entwicklung einer eigenständigen Disziplin Architekturvermittlung – des Themas überhaupt sinnvoll? Wenn ja, welche Fragestellungen müssen bearbeitet, welche Kompetenzen vermittelt, welche Diskurse fortgeschrieben werden?

 

Die Beiträge dieses Doppelheftes berühren viele verschiedene Fragen. Der Übersichtlichkeit halber haben wir versucht, sie in eine Themenstruktur einzuordnen, von der wir glauben, dass sie die Vielfalt der möglichen Untersuchungsgegenstände recht gut abbildet.

Der erste Themenblock Interpretation – Präsentation – Legitimation  beschäftigt sich mit grundlegenden Fragen. Architektur ist keine objektive Gegebenheit. Jeder, der Architektur vermitteln möchte, muss deshalb zunächst eine eigene Position zu seinem Gegenstand finden, er muss Architektur interpretieren, Bedeutendes von Unbedeutendem scheiden, mithin fundierte Selektionsentscheidungen treffen, Begriffe finden und einzusetzen lernen. Im Prozess der Architekturvermittlung muss eine ständige Auseinandersetzung mit der eigenen Perspektive auf Architektur stattfinden, um Gefahren der Ideologisierung und Dogmatisierung entgegenzuwirken. Im Anschluss an Interpretation und Selektion besteht die Notwendigkeit der Aufbereitung, der Darstellung und Präsentation. Was ist Architektur und wie stelle ich sie dar? Geht es um direkte Anschauung am konkreten Objekt, um sinnliches Erleben, oder um die Vermittlung von Wissen anhand von Texten oder abstrahierenden Darstellungsweisen? Wie können die verschiedenen Präsentationsmodi optimal ineinander greifen? Die Frage nach der Legitimation von Vermittlungsprozessen weist darauf hin, dass es keineswegs eindeutig ist, durch wen und warum Architektur vermittelt werden soll. Ist Architektur zum Beispiel tatsächlich so wichtig, dass sie in die Curricula allgemeinbildender Schulen aufgenommen werden sollte, zu Lasten anderer Inhalte? Ist Architekturvermittlung eine öffentliche Aufgabe, die entsprechend finanziert werden sollte? Welche Begründungen sind hierfür zu finden? Und wer sollten die Akteure von Architekturvermittlung sein? Die Architekten selbst? Unabhängige Vermittler? Oder Lehrer? Wo verlaufen die Grenzen zwischen Werbung, Öffentlichkeitsarbeit und Aufklärung?

 

Der zweite Themenblock Strategien – Medien – Zielgruppen stellt eher anwendungsorientierte Fragen nach den Parametern, die den Erfolg und die Effizienz von Maßnahmen der Architekturvermittlung beeinflussen. In allen drei genannten Bereichen sind in jüngerer Zeit Diversifizierungen zu beobachten, und sicherlich ist eine möglichst hohe Vielfalt im Interesse des allgemeinen Ziels einer breiten Teilhabe am Diskurs über Architektur und Baukultur auch wünschenswert. Zugleich ist im Einzelfall aber auch eine möglichst gute Passung zwischen Strategie, Medium und Zielgruppe anzustreben, zumal die Ressourcen im Bereich der Architekturvermittlung fast immer knapp sind. Die Beiträge in diesem Themenblock diskutieren eine Reihe von Möglichkeiten und verschweigen dabei auch Probleme nicht; für die Zukunft sind hier sicher noch weitere interessante Entwicklungen zu erwarten.

 

Der dritte Themenblock Praxis – Lehre – Forschung unterscheidet nach den drei wesentlichen Aufgabenbereichen. Der Bereich der Praxis ist dabei sicherlich der am besten etablierte. Es existiert, wie einleitend dargestellt, mittlerweile eine breite Praxis der Architekturvermittlung, und es ist wichtig, die dabei gewonnenen Erfahrungen kontinuierlich zu reflektieren, zu evaluieren und zu distribuieren. Im Bereich der Lehre ist der Bestand an Wissen schon erheblich schmaler. Wie kann und soll Architekturvermittlung gelehrt werden? Ist eine Ausbildung von Spezialisten, wie sie der Cottbusser Masterstudiengang anstrebt, sinnvoll, und wenn ja, wie ist er zu gestalten? Oder sollten Vermittlungsthemen stärkeren Eingang in die Ausbildung von Architekten und Planern finden, um die Kompetenz jedes einzelnen zur Vermittlung seiner Arbeit zu stärken? Und wenn ja, welche Konzepte liegen hierfür vor? Der Bereich der Forschung bleibt im vorliegenden Doppelheft gar gänzlich leer; tatsächlich scheinen uns diesbezüglich für die Zukunft die größten Aufgaben bereit zu stehen; es gibt bislang kaum systematische Forschungsvorhaben, die sich gezielt einer der vielen in den anderen Beiträgen aufgeworfenen Fragen aus dem Bereich der Architekturvermittlung annehmen. Unsere Hoffnung ist, dass das reichhaltige Spektrum an Themen, Diskursen und Projekten, welches das vorliegende Doppelheft präsentiert, die Leser und Leserinnen zu einer vertieften wissenschaftlichen Auseinandersetzung anregt, so dass die „Zukunft der Architekturvermittlung“ auch eine Verankerung in der Forschung hat.


 

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11. Jahrgang
Doppelheft 1-2
Februar 2007