Die Zukunft
der Architekturvermittlung

11. Jahrgang
Doppelheft 1-2
Februar 2007
   

 

___Susanne Ohse
Lüneburg
  Architekturvermittlung – Chancen und Risiken einer neuen Disziplin
   

Wie lassen sich die Arbeitsschwerpunkte eines Architekturvermittlers bestimmen? Der Beitrag reflektiert Erfahrungen, die ich in der Lehrveranstaltung „Wechselwirkung Mensch / gebaute Umwelt“ an der Universität Lüneburg sammeln konnte. Die Arbeit an der Wahrnehmung kann, so die Schlussfolgerung, als wesentlicher Bestandteil der Arbeit des Architekturvermittlers gesehen werden. Aus einem Vergleich des Bauprozesses mit der Modebranche werde ich im Anschluss Rückschlüsse auf mögliche Vermittlungsformen in der Architektur ziehen. So entsteht ein konkretes Bild von Architekturvermittlung, aus dem sich zusammenfassend wesentliche Elemente für das Berufs- und Ausbildungsprofil des Architekturvermittlers ableiten lassen.


Wahrnehmungsübungen als Vermittlungsleistung

Die Lehrveranstaltung „Wechselwirkung Mensch / gebaute Umwelt“ wird von KulturwissenschaftlerInnen und UmweltwissenschaftlerInnen besucht, die das Seminar im Rahmen des Faches Kulturgeographie belegen. Als Architektin habe ich hier eine etwas andere Rolle, als meine Kollegen, die bis auf eine Ausnahme Geographen sind. An Vorwissen der Studierenden darf ich voraussetzen, dass sie sich schon mit dem Fach Stadtgeographie und möglicherweise auch mit Verkehrsgeographie auseinandergesetzt haben, intensivere Beschäftigungen mit der gebauten Umwelt in der Regel aber nicht vorliegen. Weiter handelt es sich bei diesen Studierenden um sehr interessierte und engagierte junge Menschen, die stark von dem Bedürfnis geleitet sind, sich in die Zukunftsgestaltung ihrer Welt einzubringen.
Dies sind ideale Voraussetzungen, um die vorhandenen Kenntnisse und Befähigungen sowie die Wünsche und Bedürfnisse „normaler, gebildeter“ Menschen in Bezug zum Fach und zur Disziplin der Architektur aufzuspüren. Ebenso ist es eine Fundgrube für Gedanken und Annäherungen an ein eigenständiges berufliches Profil des Architekturvermittlers, wie sich später zeigen wird.

Meine Veranstaltung beginnt mit einer Wahrnehmungsübung. Die Studierenden erhalten verschiedene Abbildungen mit optischen Täuschungen, die sie für sich betrachten, um den jeweiligen Effekt zu beobachten. Hier einige Beispiele:
 
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Abbildung 1

Abbildung2.jpg (14689 Byte)
Abbildung 2

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Abbildung 3

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Abbildung 4

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Abbildung 5
 

1. Farbe ist relativ
Beim Betrachten des grünen Quadrates auf schwarzem Grund (ca. 30 sec) und anschließendem Blickwechsel auf den weißen Grund erscheint ein rötlich schimmerndes Quadrat.
[Abbildung 1]

2. Helligkeiten sind relativ
 Das Feld A auf dem Schachbrett ist schwarz, das Feld B weiß. Wirklich?
[Abbildung 2]

Auf dem unteren Bild zeigt die Animation, dass beide Felder den gleichen Grauwert haben.
[Abbildung 3]

3. Kontraste werden überbetont

Zwischen den schwarzen Quadraten schimmern graue  kreisförmige Flecken, die allerdings dort nicht gezeichnet sind.
[Abbildung 4]

4. Illusion der Bewegung
 Fixiert man mit den Augen den schwarzen Punkt in der Mitte und bewegt dabei den Kopf vor und zurück, beginnen die beiden Kreise sich gegenläufig zu bewegen.
[Abbildung 5]

Beim gemeinsamen Austausch über die gemachten Erfahrungen zeigte sich, dass in dieser doch relativ übersichtlichen Gruppe von 28 Personen die individuellen Erfahrungen zwar ähnlich, aber eben nicht identisch sind. Gerade bei der Farbwahrnehmung gab es anstelle des roten Quadrates auf weißem Grund Abwandlungen über violett bis rosa. Ebenso führte die Täuschung über die Helligkeitswerte beim Schachbrett zu Erstaunen.
Zum einen zeigt dies, dass die beiden dahinter stehenden „Urtheorien“ (Rock, 1985) zur Farbwahrnehmung, die Dreifarbentheorie von Helmholtz und die Gegenfarbentheorie von Hering, keine umfassende Erklärung bieten. Viel wichtiger im Seminarzusammenhang ist aber die Erfahrung der Studierenden, dass jeder und jede von ihnen bei identischer Vorlage unterschiedliche Sinneseindrücke und Assoziationen hat, die – so wird an dieser Stelle bereits zu recht vermutet – wohl auch mit den eigenen gemachten Erfahrungen (Hüther, 2001) zu tun haben. Diese Erkenntnis hat etliche TeilnehmerInnen verblüfft.

In einer weiteren Übung befasste ich mich in Anlehnung an die Studie „Man sieht nur, was man weiß“ (Bromme/Rambow, 1995) mit den Zusammensetzungen klassischer Baumaterialien unserer Umgebung. Auch hier waren die Kenntnisse der Studierenden erstaunlich gering. Keiner der Studierenden konnte auch nur eines der Materialien – gefragt war nach den Merkmalen und der Zusammensetzung von Ziegel, Beton, Zement, Waschbeton und Sichtbeton – sicher erläutern. Die größte Annäherung mit zwei von drei Bestandteilen wurde beim Ziegel erreicht, allerdings nur von 12 % der Teilnehmenden. Beton wurde allgemein als hässlich bezeichnet, eine Studierende äußerte, sie erinnere sich dabei immer an Schulgebäude aus diesem Material, die sie als unangenehm und abweisend in Erinnerung habe (und das ausgerechnet bei Schulgebäuden!).
Als abschließende Frage zu dieser Übung wollte ich wissen, mit welchem der hier genannten Baustoffe die Studierenden denn ihr eigenes Wohnhaus bauen würden. Die überwiegende Mehrheit von 75 % benannte Ziegel als Wunschmaterial, davon allerdings immerhin 50% in Kombination mit Beton (Beton für die Statik und Ziegel für die Optik!) und 10% in Kombination mit Sichtbeton.

Die nächste Übung, die ich im Rahmen dieses Vortrages gerne vorstellen möchte, trägt den Titel „Wegeerfahrungen“ und fand „im Feld“ statt, wie die Geographen sagen.
Die Studierenden standen in einer kleinen Wohnstraße in der Nähe der Universität. Die Bebauung ist gemischt mit Reihenhäusern, Doppelhäusern und kurzen Vierer-Reihen unterschiedlicher Materialhaftigkeit und Gestaltung.
Die Studierenden erhielten unabhängig und ohne wechselseitige Kenntnis jede/r einen Auftrag:

-          Bringen Sie die Hausnummer des Gebäudes mit, vor dem eine blaue Bank steht.

-          Bringen Sie die Hausnummer des Gebäudes mit, vor dem ein Rosenbogen steht.

-          Wie viele Carports befinden sich in der Straße?

-          Wie viele Autos parken in der Straße?

Das einfache Niveau der Fragen hatte zur Folge, dass diejenigen unter den Teilnehmenden, die – ohne es zu wissen – dieselbe Aufgabe zu lösen hatten, identische Ergebnisse lieferten. Die Ergebnisse waren alle korrekt.
Zurück im Seminarraum stellte ich dann aber Fragen zu der Art der Bebauung, die in der Straße anzutreffen ist. Schon hier wurde es unpräzise. Doppelhäuser hatten 80% noch erkannt, die Reihenbebauung nur 30%. Die Vierer-Reihe war niemanden als drittes Element aufgefallen.
Vollständig verunsichert wurden die Studierenden, als ich sie nach den verwendeten Materialen, Farben und Formen der Häuser fragte. Gerade die in dieser Straße sehr auffällige Reihenhausbebauung mit grünlichen Dachziegeln war niemandem aufgefallen, ja, ich musste ihnen zum Beweis sogar noch Fotos zeigen. An Hand der Bilder wiederum konnten sie sich dann doch erinnern, eine so andere Art der Bebauung in der Straße gesehen zu haben.
Auch hier war das Ziel, den Studierenden klar zu machen, wie leicht wir unsere Wahrnehmung einschränken können, erst recht, wenn wir auf eine bestimmte Sache konzentriert sind. Wie verlässlich ist also das, was wir wahrnehmen? Diese Frage verursachte viele nachdenkliche Gesichter (Hüther, 2003).

In einer weiteren kleinen Übung, die in Partnerarbeit stattfand, sollten die Studierenden in einer Art Rollenspiel einmal für ihren Partner / ihre Partnerin den Architekten und einmal den Kunden mimen. Hierbei stellten viele der Studierenden fest, wie äußerst schwierig es sein kann, eigene Wohnbedürfnisse zu reflektieren und diese dann auch noch in Worte zu fassen, so dass der Architekt in der Lage ist, daraus einen Plan zu erstellen. Umgekehrt beobachteten die Studierenden in der Rolle des Architekten, wie schwer es ist, sich von eigenen Vorstellungen zu lösen, um sich den Wünschen des Kunden zu öffnen.
Ziel dieser Übung war schwerpunktmäßig, den Studierenden klar zu machen, dass bei einer kreativen Architekturleistung entweder ein Zusammenspiel zwischen Bauherr/Nutzer und Architekt das Ergebnis im Optimalfall positiv beeinflusst, oder der Architekt ohne Kenntnis des konkreten Nutzers unbeabsichtigt an individuellen Bedürfnissen vorbeiplant, da er einen für viele Menschen benutzbaren Standard anbieten muss. Stichworte in diesem Kontext waren Großwohnsiedlungen und Miethäuser sowie Bürokomplexe.

Folgen Sie mir jetzt zu einigen Gedanken, die die Eindrücke dieses Seminars in Zusammenhang mit der Frage nach den Chancen und Risiken einer eigenen Disziplin „Architekturvermittlung“ bringen.

Die verschiedenen Übungen mit den Studierenden haben die Erkenntnisse der neueren Hirnforschung dahingehend bestätigt, dass Wahrnehmen in erster Linie dem Sichern des Überlebens dient. Die bauliche gestaltete Umwelt ist so lange wenig interessant, so lange ich mich dort temporär aufhalte, mich auf dem Weg von A nach B hindurch bewege oder gar nicht hinschaue (im Zug beispielsweise), weil ich gerade ein Buch lese. Die bewusste Wahrnehmung und die Gedanken folgen der Aufmerksamkeit.
Lenke ich nun aber die Aufmerksamkeit der Studierenden gezielt auf Aspekte der baulichen Umwelt, so wie wir Architekten es schon längst im täglichen Sehen verinnerlicht haben, dann öffnen sich ihre Augen, und sie beginnen, neu zu sehen.
Zeitgleich damit passiert es aber auch, dass sie das, was sie sehen, nicht vollständig erkennen können, weil zum ganzen Erkennen in der Regel noch Wissen gehört, dass sich nicht im Hinsehen darbietet. Dazu gehört beispielsweise die historische Stilkunde, Kenntnisse über Ästhetik und Farbenlehre. Wenn die Studierenden in diesen Punkten angeleitet werden, können sie über das Neu-Sehen, kombiniert mit neuem Wissen, zu einem anderen Verstehen gelangen und haben eine persönliche Entwicklung gemacht. So lautet die Aussage einer Studentin: „Ich gehe jetzt mit ganz anderem Blick für meine Umgebung durch die Welt.“ Die hier aufgezeigten Schritte klingen logisch und im Grunde auch einfach. Diese könnten ein Tätigkeitsfeld im Berufsbild des Architekturvermittlers umreißen.


Exkurs: Von der Haute Architecture zum Prêt-à-Habiter

Bevor ich mich weiteren Aspekten dieses Berufsbildes zuwende, möchte ich einen kleinen Seitenblick wagen in einen der größten und vermittlungstechnisch aus meiner Sicht perfekt organisierten Bereiche der kreativen Berufe – die Modebranche. Hier ist es absolut notwendig, dass zum einen ständig neue Ideen kreiert werden und zum anderen diese Ideen auch unter ökonomischen Aspekten vermittelt und damit verkaufbar gemacht werden.
Auf den großen Schauen von Paris, Mailand, New York und Tokio sehen wir Models mit – sagen wir – Bekleidungskonzepten, eben mit Haute Couture, die in erster Linie die kreativen Ideen der Designer transportieren sollen. Damit wir als Kunden und Kundinnen diese Ideen auch wirklich verstehen, werden die Schauen moderiert: zu jedem der Entwürfe wird versucht, die Botschaft des Designers in ein sprachliches Bild zu fassen. Weiter arbeiten Modefotografen und Modejournalisten daran, uns allen diese Bilder im direkten und im übertragenen Sinne immer weiter zu übersetzen, damit wir als potenzielle KundInnen Spaß und Lust auf diese Ideen bekommen.
Nun kommen wir aber zum entscheidenden Schritt. Nach den großen Schauen machen sich die Fachleute im Bereich „Modevermittlung“ daran, diese zum Teil untragbaren Ideen und Botschaften in tragbare Kollektionen zu übersetzen, aus der Haute Couture wird das Prêt-à-Porter und jetzt tritt der ökonomische Aspekt in den Vordergrund. An dieser Stelle haben wir als interessierte Kundinnen und Kunden die Botschaften der Designer aber schon so weit verstanden, dass wir auch bei pragmatischer Reduzierung der Ursprungsideen diese noch lesen können.

Lassen Sie uns diese Vorgehensweise als Richtschnur nehmen und schauen, wie sie angewendet werden kann auf den Entstehungsprozess eines Neubaus, beispielsweise eines Bürokomplexes. Wir setzen ein Wettbewerbsverfahren voraus, über dessen Ausgang sich der interessierte Bürger in der lokalen Presse informieren kann. Dort werden unter Umständen auch die Absichten des Architekten in wenigen Worten dargelegt.
Schon an dieser Stelle fallen erhebliche Unterschiede zu den für die Modewelt beschriebenen Abläufen auf. Allem voran fehlt die Vermittlung des übergeordneten formal-ästhetischen Leitbildes, das den Architekten auf seiner kreativen Ebene führt – also die großen Schauen in Paris, Mailand, New York und Tokio. Des Weiteren fehlt die „Begleitung“ dieses Leitbildes durch Sprache und Metaphern, die dem interessierten Menschen zugänglich und nachvollziehbar sind. Schließlich fehlt der Prozess der Übersetzung des Leitbildes in eine reale Wohn- oder Arbeitsumgebung, in der der interessierte Nutzer die Kernelemente dieses Leitbildes wieder erkennt, auch wenn der pragmatische Realisationsanspruch einige experimentelle Aspekte des Leitbildes geglättet hat. Es fehlt der Schritt von der Haute Architecture zum Prêt-à-Habiter.

Weiter im Neubauprozess: Die Baustelle wird eingerichtet, die Arbeiten beginnen, die Formen fangen an, sich zu zeigen und die Materialhaftigkeit wird langsam erkennbar. Der interessierte Bürger erfährt in der lokalen Presse nur dann noch etwas über diese Baustelle, wenn es zeitliche Probleme oder technische Pannen gibt, ansonsten wird über Richtfest und Fertigstellung berichtet, der Name des Architekten gerät auch in der Presse schnell in Vergessenheit. Nach der Fertigstellung wird das Gebäude seiner Nutzung übergeben, entweder vermietet oder selber genutzt. Die Menschen, die dort arbeiten, haben häufig überhaupt keine Kenntnis mehr von der Absicht des Entwurfes oder gar dem Namen des Architekten.
Bis hin zu dieser Stelle lässt sich erkennen, was in der Modebranche anders gemacht wird. Das Produkt Bekleidung wird von Anfang an in all seinen Absichten und Schritten vermittelt und damit buchstäblich an den Käufer/ an die Käuferin gebracht. Das Produkt Gebäude wird hingegen nicht vermittelt, die Vielfalt seiner Ebenen und die interessanten Details seiner eigenen Geschichte versickern im Nichts.

In der Modebranche erscheinen die Schritte, die unternommen werden, um Vermittlung zu betreiben, logisch und klar aufeinander aufbauend. In der Welt der Architektur werden diese Vermittlungsschritte aber nicht gemacht, außer unter kunst- oder kulturhistorischen Aspekten, dann aber in der Regel für historische Gebäude und Kontexte.
Nun unterscheidet sich die Modebranche in einem wesentlichen Punkt von der kreativen Welt der Architektur: Ihre Schnelllebigkeit ist nicht vergleichbar und die Notwendigkeit, ökonomisches Denken zu praktizieren, hat unter diesem Aspekt einen anderen Stellenwert. Dennoch meine ich, dass die Techniken, die zur Vermittlung angewendet werden, auch für die Architektur Vorlagen liefern könnten.


Profil des Architekturvermittlers

Wie sähen sie also aus, die Arbeitsgebiete eines Architekturvermittlers?
Wir könnten uns Entwurfsschauen der weltbesten Architekten vorstellen, die mit einem entsprechenden Presseecho bedacht würden. Wir können uns populäre Hochglanzmagazine vorstellen, die über diese Schauen berichten und uns die neuen Ideen und Trends nahe bringen. Auch hier wären Tätigkeitsfelder für Architekturvermittler.
Weiter können wir uns vorstellen, dass über alle laufenden Bauprozesse in einer völlig anderen Art und Weise berichtet wird als das heute der Fall ist. Die Menschen erhalten einen technischen, ästhetischen und künstlerischen Zugang zu den Gebäuden, deren Entstehung sie in ihrer Stadt beobachten können. Auch hier würde ein Architekturvermittler sinnvoll sein.
Die Ansprüche, die die Menschen an ihre Umgebung, an den Stil, die Ästhetik usw. stellen, würden steigen, da mit der Mehrung des Wissens über die Zusammenhänge auch die eigene Meinungsbildung verfeinert wird. Damit stiege auch das Niveau gebauter Umwelten.
Bei diesen Tätigkeitsfeldern haben wir Erwachsene als Zielgruppe vor Augen. Ebenso notwendig ist aber zur Vorbereitung auf die teilnehmende Gestaltung der eigenen Umwelt das Schärfen all dieser Sinne bei den Kindern, Jugendlichen und den Studierenden. Wenn es den Architekturvermittlern gelänge, den Schritt vom passiven Wegschauen zum aktiven Hinsehen und zum Verstehen dessen, was dort mit den Augen erschaut wird, zu initiieren, dann stiege das Bedürfnis, auch im späteren Leben Anteil zu nehmen an baulichen kreativen Prozessen, und die Tätigkeitsfelder im oben beschriebenen Sinne erhielten eine Nachfrage.
In den dargestellten Tätigkeitsfeldern können Sie die Chancen ablesen, die ein solch neuer Beruf in sich trüge. Das größte Risiko, dass ich bei diesem Beruf sehe, habe ich ebenfalls bereits angesprochen. Die Welt der Architektur lebt in einem ganz anderen Tempo, als beispielsweise die Welt der Mode. Allerdings lässt sich hieraus ein weiteres Arbeitsgebiet des Architekturvermittlers ableiten: Das Vermitteln von Kontexten, Vorgaben und Entscheidungsfindungsprozessen, die in ihrer jeweiligen Zeit zu dem Werden eines Gebäudes geführt haben und die wir heute ohne Vermittlung nicht mehr verstehen können.

Abschließend möchte ich ein kurzes Ausbildungsprofil für den Beruf des Architekturvermittlers umreißen: Ich halte einen separaten Ausbildungsweg nicht für die richtige Lösung. Der Architekturvermittler sollte die formale Ausbildung eines Architekten haben, um gerade die kreativen und künstlerischen, aber auch die technischen Prozesse nachvollziehen zu können. Zusätzlich zu dieser Ausbildung sollte es einen Bereich geben, der sich mit Vermittlungstechniken und -methoden befasst. In diesem Teil der Ausbildung könnten die verschiedenen Zielgruppen differenziert werden, also Kinder, Schüler, Studierende, Nutzer usw., da nicht für alle die selben Methoden sinnvoll sein werden. Weiter halte ich den Aspekt der Öffentlichkeitsarbeit in dieser Ausbildung für relevant. Im Grunde läuft es darauf hinaus, dass der Architekturvermittler zum Teil in das alte Bild des Architekten als Generalisten eintritt, eines Menschen, der die Künste, die Menschen und die Vielfalten studiert hat, um die kreativen Fragen und Antworten der bauenden Architekten zu übersetzen.

 

   


Literatur
:

Hüther, G. (2003). Die Macht der inneren Bilder. 2. Auflage. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Richter, E. (2003). Modelle der Kontrastcodierung – Untersuchung mit der Heringschen Sehbedingung (S. 15 f.).
Dissertation Halle Wittenberg: Online-Ressource (urn:nbn:de:gbv:3-000008374).

Hüther, G. (2001). Bedienungsanleitung für ein menschliches Gehirn. 5. Auflage. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Bromme, R. & Rambow, R. (1995). Man sieht nur, was man weiß... Der Architekt, 8, 451-453.

Rock, I. (1985). Wahrnehmung: vom visuellen Reiz zum Sehen und Erkennen. Heidelberg: Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft.

 


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Februar 2007