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1. 1 Lange schien es, als
wäre es endgültig vorbei mit der Moderne: die Rede war
vom "Ende der Moderne", vom "Tod der
Moderne" oder zumindest von einer notwendigen
"Opposition zur Moderne". Ihre Erscheinungen
und Manifestationen wurden als eindimensional, rigide,
kalt, rationalistisch, ja sogar als gewaltsam und
"terrorristisch" beurteilt und verdammt.
2 Die
ästhetische Kritik richtete sich gegen die scheinbare
Inhalts- und Bedeutungslosigkeit der Werke, gegen die
Beliebigkeit der abstrakten Formen und die
Zufälligkeiten der gestalterischen Komposition.
Insbesondere an der Architektur wurde die Uniformität
der stereometrischen Formensprache, der Verzicht auf
Ortsbindung und Kontextualisierung, der Verlust von
Tradition und Geschichtsbewußtsein, die Verherrlichung
von Konstruktion und Technik und die einseitig
ökonomisch oreintierte Funktionalisierung beklagt. Die
sprichwörtliche "Unwirtlichkeit unserer
Städte" (Mitscherlich 1965) wurde zum Ausdruck
eines umfassenden Krisenbewußtseins in Architektur und
Städtebau, das nach einer konzeptionellen
Neuorientierung und einem drastischen Wandel in den
gestalterischen Maximen verlangte.
3 Die Antwort
auf die Krise der Moderne war die Postmoderne, die als
geistige Bewegung bereits lange in der großen Strömung
der Moderne schlummerte (vgl. Welsch 1987) und erst jetzt
die Chance erhielt, ans Licht zutreten und ein neuartiges
Bild der Welt in Theorie und Praxis zu entfalten.
4 Die
Architektur wurde zur Bühne einer "Postmoderne für
alle" (Welsch 1987): in ihrer praktischen Ästhetik
konnte sie auf besonders demonstrative Weise die neuen
Ideen für eine menschenfreundlichere Interpretation und
Gestaltung der Welt der erstaunten Öffentlichkeit
vorführen. Traditionelle Bauformen und historische
Zitate wurden wieder zugelassen, der Bezug zu Ort und
Umgebung bewußt hergestellt (oder auch bewußt
überspielt), die Kompositionen wurden komplex und
heterogen, Materialien unterschiedlichster Provenienz
können miteinander gemischt werden um schließlich mit
einem Schuß Ironie zu einem fragilen und riskanten
Ganzen zusammengesetzt zu werden.
5 Geschichtliche
Bezüge sollen kein Ergebnis von Beliebigkeit sein,
sondern als kritische Aneignung herausgearbeitet werden;
die Mischung verschiedener architektonischer Sprachen und
Codes soll nicht zu einem unverständlichen Kauderwelsch
führen, sondern in pluraler Bezogenheit kommunikative
Interaktionen ermöglichen; die
"Fiktionalisierung" der bildhaften Ensembles
schließlich (Klotz 1984 und 1994) soll keinen Kitsch
produzieren, sondern zu phantasiereichen und sogar
"poetischen" Formulierungen führen, die die
Einbildungskraft anregen und befördern können.
6 Nach vielen
Versuchen, diese gestalterischen Ideen in reale
Erscheinungen umzusetzten, ist auch die Postmoderne in
das Stadium der Ermüdung und der Reflexion eingetreten,
und es ist sogar zum "Abschied von der
Postmoderne" (Fischer u.a. 1987) aufgerufen worden.
Dabei scheint es so, als ginge die gute alte Moderne
erfrischt und geliftet aus der postmodernen Intensivkur
hervor: sie läßt sich einfach nicht unterkriegen und
macht gestärkt da weiter, wo man sie aufhalten wollte.
Die Frage nach der "Zukunft der Moderne" ist
durchaus aktuell (Kursbuch 122, 1995).
7 Diese
"Neue Moderne" (Jencks 1990) hat allerdings ein
um die Erfahrung mit der Postmoderne bereichertes Wesen,
das unterschiedlich beschrieben und akzentuiert wird.
Auch für die architekturästhetischen Phänomene der
Moderne nach der Postmoderne werden unterschiedliche
Charakteristika herausgearbeitet, die im folgenden aus
der Sicht unterschiedlicher Autoren charakterisiert
werden.
2.
8 In seinem
inzwischen zum Klassiker avancierten Buch von 1987
:"Unsere postmoderne Moderne", hatte Wolfgang
Welsch bereits im Titel sein Programm angezeigt. Bei ihm
"erweist sich die Postmoderne als Einlösungsform
der Moderne dieses Jahrhunderts. Was in dieser noch
esoterisch und elität war, ist jetzt exoterisch und
populär geworden. Was in der Moderne Kult und Ritus war,
ist postmodern in Alltag und Usus übergegangen. Die
spektakuläre Moderne ist postmodern zur Normalität
geworden" (Welsch 1987, 206).
9 Für Welsch
sind es insbesondere folgende Charakteristika, die die
ästhetische postmoderne Moderne kennzeichnen (Welsch
1987, 87 ff):
- Pluralität der Formen, Stile, Sprachen, Werte
und Rezeptionsweisen;
- Ausdrücklicher Traditionsbezug in undogmatischer
Weise;
- Mehrsprachigkeit als kommunikativer Zusammenhang;
- Offene Einheit des kompositorischen Ganzen;
- Zulassung verschiedener Rationalitätstypen bis
zum Irrationalen.
10 Mit Blick auf
Werke von Ungers, Stirling und Hollein folgert Welsch
für die postmoderne moderne Architektur: "Ob
Erzeugung von Kompülexität aus Einfachheit, ob
Kombination von Heterogenem, ob Multidimensionalität
verschliffener Formen: keine dieser prototypischen
Architekturn kann schlicht deduktiv oder induktiv erfaßt
werden. Irritation ist das mindeste, Pluralität der
Kern, Komplexität das Elixier. Bei keiner ist Ganzheit
manifest. ... Nicht ein Einzelnes und nicht ein
manifestes Ganzes, sondern die Dimension von Übergängen
bildet das Medium der Auffassung. Die Pluralität
erschließt sich in solchen Übergängen. Diese bilden
das Medium postmoderner Erfahrung" (Welsch 1987,
129).
11 Man darf
fortführen: wenn Architektur diesen Erfahrungen folgt
und ihnen mit den oben genannten Mitteln Ausdruck
verleiht, löst sie das ein, was in der Moderne seit
anfang des Jahrhunderts angelegt war und erst postmodern
befreit werden kann. Erst postmodern wird die Moderne
wirklich modern. Ob die neusten Projekte von Ungers
(Kunsthalle Hamburg), Stirling (posthum: Musikhochschule
Stuttgart) und Hollein (Lichtforum Wien) diesen
Ansprüchen gerecht werden, bliebe einer
genaueren Analyse vorbehalten.
3.
12 In völligem
Kontrast zu dieser Position hat Vittorio Magnago
Lampugnani 1993 eine architekturästhetische Kontroverse
ausgelöst, deren Wogen bis heute nicht verebbt sind
(Lampugnani 1993a und 1993b). Auf dem Hintergrund eines
Überdrusses an der "geschwätzigen" und
"aufgeregten" Postmoderne forderte er eine
"neue Moderne" in der Architektur, die vor
allem durch eine "neue Einfachheit"
gekennzeichnet ist. "Auch die Architektur muß von
den Festen der Geschwätzigkeit und den Orgien des
Tiefsinns, denen sie gefrönt hat, Abschied nehmen, um
wieder die praktische Vernunft zu ihrer Richtschnur zu
machen. Und sie muß dem Ernst der historischen Situation
mit Rigorosität entsprechen" (Lampugnani 1993b,
146).
13 Um sein
Konzept zu verdeutlichen, entwickelt er sieben Kriterien
für eine neue Architektur (Lampugnani 1993a):
- Rückkehr zu "Einfachheit" im Sinne von
Gleichförmigkeit und Monotonie;
- "Dichte" als "Verdichtung von
Reichtum" und "Sublimierung von
Komplexität";
- Orte, "wo unsere Augen ausruhen können, als
Sinnbild von Kontemplation, als Materialisierung
von Schweigen";
- geometrische und kompositorische
"Ordnung", damit Architektur "als
Insel der Ordnung im Strom der Verwirrung"
stehen kann;
- stilistische "Konventionen" als Mittel
gegen den "Mythos" der permanenten
Innovation;
- "Dauer" und Beständigkeit als
Orientierung gegen Mode und Konsumverhalten;
- "Präzision" im Detail.
14 Bis auf die
Betonung der (man könnte sagen: postmodernen)
Notwendigkeit von Konventionen und die fehlende
Fortschrittseuphorie erinnern die Kriterien durchaus an
die Postulate der klassischen modernen
Architekturästhetik: es soll eine neue "Ästhetik
der Einfachheit, der Klarheit, der Ruhe sein. Eine
Ästhetik der Ordnung, in deren Leere jeder einzelne
seine eigenen Träume projezieren kann" (Lampugnani
1993b, 147).
15 Als Beispiel
wird an die (durchaus exquisite) Architektur von Herzog
& de Meuron, Diener und Diener oder Michael Alder
gedacht. Problematische Ergebnisse dieses Ansatzes kann
man in dem öden Fassadendesign der Büroneubauten an der
Berliner Friedrichstraße studieren (zu denen auch
Lampugnani einen wenig überzeugenden Beitrag geliefert
hat). Der Weg vom Einfachen, Ordentlichen und Ruhigen zum
Einfältigen und Langweiligen ist nur kurz. Ohne die
postmoderne Erfahrung von nicht hintergehbarer
Komlexität dürfte eine glaubwürdige ästhetische
Aussage in der Architektur kaum noch zu machen sein.
4.
16 Eine ganz
andere Position nimmt Heinrich Klotz ein, der als
Vorgänger Lampugnanis Direktor des Deutschen
Architekturmuseums in Frankfurt war und dort 1984 in
einer vielbeachteten Ausstellung zur "Revision der
Moderne" im Zeichen der Postmoderne aufrief. Von der
Kritik an den zur Bedeutungslosigkeit verkommenen
abstrakten Formen der Nachkriegsmoderne zeigte er an
vielen Beispielen (zunächst vor allem aus Amerika), wie
die Architektur ihre Darstellungsmittel, teils aus der
Geschichte, teils aus der Kunst, teils aus dem
Alltagsleben, wiedergewinnt, um über die reine
Zweckerfüllung hinaus inhaltliche Aussagen zu machen und
diese bildhaft zu gestalten. Diesen Prozeß bezeichnet er
als die "Fiktionalisierung von Architektur"
(Klotz 1984, 17), der bewirkt, daß "ein Bau wieder
zu einem Gestaltungsanlaß werden kann, der nicht nur
Fakten und Nutzungsprogramme berücksichtigt, sonder auch
poetische Vorstellungen aufnimmt und dichterische Stoffe
gestaltet. Das Resultat sind dann nicht länger nur
Funktionsbehälter und Konstruktionswunder, sondern
Darstellungen von symbolhaften Gehalten und bildnerischen
Themen: ästhetische Fiktionen, die nicht abstrakt 'reine
Formen' bleiben, sonder gegenständlich in Erscheinung
treten" (Klotz a.a.O.).
17 Bei diesem
Verfahren sind alle Mittel recht, die historischen, die
symbolischen, auch die abstrakten, wenn sie denn dazu
dienen, eine narrativ-fiktionale Aussage zu machen und
einen poetischen Gedanken auszudrücken.Wichtig dabei ist
allerdings, daß nicht Beliebiges erzählt und
Historisches schlicht kopiert wird: eine ironische
Verfremdung, die die Elemente neu ordnet und in einen
neuen gegenwärtigen Zusammenhang stellt, ist
unabdingbar.Stirlings Stuttgarter Staatsgalerie, die erst
jetzt komplettiert wurde, dient dafür immer noch als
Paradebeispiel.
18 Inzwischen
hat Klotz seine Thesen weiterentwickelt und zu einer
neuen Sicht verdichtet: "Die 'Revision der Moderne'
enthielt ... die Absicht, die Moderne wieder
freizuschälen von ihren Entstellungen und sie von einem
Status zu lösen, der sie im Namen der
funktionalistischen Entgrenzug der ästhetischen Fiktion
entfremdet hatte. Das 'Ende der Moderne' fand nicht
statt; aber beerdigt wurde ein hypertroph wuchernder
Programmaspekt der Moderne, ihr Entgrenzungsfuror. Die
Postmoderne war, wie sich gezeigt hat, keine
Nach-Moderne, sondern 'Revision der Moderne'. Aus der
Postmoderne geht hervor, was sie im Kern schon war - eine
Zweite Moderne" (Klotz 1994, 149).
19 "Zweite
Moderne" heißt des Stichwort: sie knüpft an die
erste Moderne an und gibt ihr nach der postmodernen
Wiedergewinnung der ästhetischen Fiktionalität eine
neue Selbstverständlichkeit. In einer "Neuen
Abstraktion" in der Bildenden Kunst zeigen sich für
Klotz in freien Kompositionen Zeichen, die bei aller
Ungegenständlichkeit fiktionale Gehalte haben. Er deutet
sie als "Darstellung von etwas, das wir noch nicht
kennen" (Klotz 1994, 165). In der neuen Architektur
zeigt sich diese Tendenz im Auftauchen des
"Dekonstruktivismus".
20 In den
Entwürfen von Coop Himmelblau, Zaha Hadid, Peter
Eisenman und Rem Koolhaas sieht er, ganz im Sinne der
Moderne, eine abstrakte "ahistorische" Sprache
am Werke, die, durchaus postmodern, versucht,
darstellende und fiktionale Qualitäten für die
Architektur zurückzugewinnen. "Thema dieser
Architektur ist die Gefährdung des Ganzen, das
schwierige Zustandekommen einer problematischen
Einheit" (Klotz 1994, 166). Die Brüche, die
Sprünge, die Splitter, das Spiel mit den statischen
Gesetzen und den dynamischen Kräften, aus solchen und
verwandten Elementen besteht das Vokabular dieser
Sprache, die damit fiktive Prozesse und Zustände
darstellen kann.
21 Daß dabei
historisierende Reminiszenzen an den klassischen
Konstruktivismus gesucht oder zumindest impliziert
werden, macht ihren postmodernen Charakter nur
deutlicher. "Die besondere Leistung dieser
Architekten liegt darin, die Tradition der Moderne
angesichts ihres funktionalistischen Scheiterns und ihrer
brutalistischen Leere dennoch gestärkt zu haben, indem
sie die abstrakte Form für die inhaltlichen Aussagen der
Dekonstruktion genutzt haben" (Klotz 1994, 169).
5.
22 Die
konsequente Fortführung des Dekonstruktivismus, das
"Verschwinden der Architektur" im virtuellen
Raum, läßt auf ganz andere Weise die Moderne wieder zum
Zuge kommen. In dem Maße, in dem Architektur und Räume
zu digitalen Konstruktionen werden, in die man sich über
ein geeignetes Interface hineinzoomen kann, um in ihnen
nach Herzenslust herumzusurfen, wird die verbleibende
reale Architektur wieder zu dem, was eine radikale
Moderne ausschließlich in ihr sehen wollte: zum reinen
Behälter. Sie "ist eine Form, die nur noch eine
Funktion besitzt, nämlich die des Schutzes mit den
notwendigen Öffnungen des Interface, aber sie hat mit
dem digitalen Universalcode nichts zu tun: Die Funktion
der Hülle ist unabhängig von dem, was im Inneren
geschieht... In diesem Sinne ist der Container das
Vorbild der Medienarchitektur und des Designs mit der
Konsequenz, daß die Schicht der Zeichen und der Symbole
nicht mehr im materiellen Bildträger verankert ist,
sondern auf dessen Bildschirmoberfläche schwebt und so
die permanente Metamorphose erlaubt" (Rötzer 1993,
57).
23 Die Moderne
hätte es damit nach der Postmoderne zu einer
Arbeitsteilung gebracht: für die "Hardware",
den Container, gelten die klassischen Kriterien der
architektonischen Moderne: funktional, sicher, sauber,
bequem; für die "Software", die Programme
also, mit denen auf dem digitalen Equipment an und in dem
Container die virtuellen Räume und fiktiven Welten
erzeugt werden, die der Imagination freien Lauf lassen
sollen, sind postmoderne Gesichtspunkte maßgebend:
Vielfalt, Mischung, Offenheit, Pluralität,
Interaktivität, Phantastik und Exotik. Daß aus dieser
Mischung eine neue Ästhetik resultiert, ist
wahrscheinlich: "Die Gesellschaft auf der Suche nach
Erlebnissen zieht sich ins Innere der Schachteln zurück,
kolonisiert den Datenraum auf der Suche nach Intensität
und lädt so gleichzeitig die Erwartung auf, daß das
Leben ähnlich dicht, schnell und intensiv wie ein
Videoclip sein sollte, daß mit dem hämmernden Puls
ständig die Szenen wechseln, daß die Verankerung in
Raum und Zeit und das Gewicht der Identität überspült
werden. Cyberspace und Telepräsenz scheinen den Traum zu
realisieren, endlich nicht mehr nur als Beobachter einem
Film oder einer Szene beiwohnen zu müssen, sondern dort
eintreten zu können, das Fiktive wirklich zu machen, die
Wirklichkeit zu irrealisieren" (Rötzer 1993, 61f).
24 Damit
erscheint für das erst in der Postmoderne
wiedergefundene Hauptmotiv der klassischen Moderne, Kunst
und Leben miteinander zu identifizieren (vgl. Klotz 1994,
27ff), ein neues und ideales Betätigungsfeld gefunden,
das unbegrenzte Möglichkeiten eröffnet, allerdings mit
dem Risiko, dabei das Leben und damit auch die Kunst bzw.
die Architektur zu verlieren. "Der Wunsch, eine
Architektur zu haben, die sich ganz den Wunschphantasien
fügt, die also mobil und jederzeit beliebig veränderbar
ist, scheint zumindest für die Moderne ebenso prägend
zu sein wie das Bedürfnis, die Architektur früherer
Zeiten zu erhalten. Wir sind unzufrieden, weil es uns
offenbar nicht mehr gelingt, eine wirklich
verheißungsvolle Architektur zu entwerfen, in der wir
auch leben möchten, denn wir sind Nomaden geworden, die
ruhelos umherirren, selbst wenn wir seßhaft sind und nur
duch die Programme der Fernsehanstalten tappen. Ein
wirklich moderner Mensch, so bemerkte bereits Nietzsche
im letzten Jahrhundert, der sich ein Haus bauen will,
habe dabei ein Gefühl, als ob er bei lebendigem Leibe
sich in einem Mausoleum vermauern wolle" (Rötzer
1993, 62).
6.
25 Dieser
prekären Diagnose, die ein neues "Ende der
Moderne" (das diesmal endgültig sein könnte)
voraussieht, steht eine ganz andere Sichtweise
gegenüber, die der Architektur fernab jeglicher
Künstlichkeit eine Orientierung an den existenziellen
und anthropologischen Grundbeständen des Daseins geben
möchte.
26 Der Dichter
Botho Strauß hat sich am Rande Berlins in der Uckermark
ein Haus gebaut, von dem aus er seine Reflexionen über
sich und den Stand der Dinge kreisen läßt. In seinem
neuen Buch fragt er: "Wie soll ein Haus, das man in
reifen Jahren baut, je die Zeit gewinnen, zu einem
Menschen zu sprechen, zu flüstern in den Nächten? Mehr
als die Befestigung einer Aussicht wird es nicht sein.
Ein komfortabler Hochsitz mit freiem Blick zurück...
Unweit der Stelle, an der das alte Gutsgebäude stand,
steigt es nackt, neu, von Null auf und schamlos frisch
aus dem mittelschweren Geschiebelehm der
Moränenkuppen... Wer spricht in einem Haus, in dem noch
kein Toter lag, kein Neugeborenes, in dem noch nicht
geflucht, gezeugt und geweint, nie gewartet, nie gewohnt
wurde? ... Vom Zero des Gemäuers kommt ein starker Sog.
Räume, in denen noch nie etwas war, nehmen alles von
dir..." (Strauß 1997a, 7f).
27 In der
Konzentration auf naturhafte Lebensvorgänge und
individualgeschichtliche Prozesse kommen Motive zur
Sprache, die in der sozialen Utopie und Technikeuphorie
der klassischen Moderne verschüttet worden waren und
erst in der postmodernen Ökologie- und
Alternativbewegung wieder aktualisiert wurden.
28 Daß die
Architekturästhetik mit der Ästhetik der Natur
korrespondieren kann und muß, ist seit der frühen
Moderne, z.B. im Jugendstil und im Expressionismus,
durchaus geläufig und wird erst jetzt zunehmend zu einem
praktischen Desiderat. Daß Architektur auch einen
lebens- und existenzgeschichtlichen Bezug hat, der über
das historische Zitat hinausgeht, kann nach der
postmodernen Erfahrung mit der Zeit neu gesehen und
verstanden werden. "Mein Haus ist nur eine Warte.
Kein heimliges Haus, frei und unbehaglich steht es vor
dem Wind, in ansehnlicher Verlorenheit. Die Sonne
wandert, die Jahreszeiten wechseln, das Kind wächst, und
mein Hals wird faltig. Infolge dieser Überschneidung von
Zeit-Zyklen und Zeit-Linien ergeben sich fast stündlich
neue Ortsbestimmungen, und das Wohnen bleibt im ganzen
unfaßlich" (Strauß 1997b, 200).
7.
29 Nach diesem
Blick auf aktuelle Positionen zur
architekturästhetischen Moderne nach der Postmoderne
möchte ich schließen mit einigen Thesen zur Zukunft der
Moderne.
30 - Die Moderne
ist keineswegs zuende oder gar "tot": sie lebt
und erscheint nach ihrer "postmodernen
Revision" durchaus vital und kreativ. Zu ihr gibt es
keine Alternative.
31 - Das
Erscheinungsbild der "Neuen" oder
"Zweiten" oder "Postmodernen" Moderne
ist widersprüchlich: es umfaßt einfache und komplexe,
abstrakte und bildhafte, regionale und internationale,
technische und naturhafte, historische und
avantgardistische, phantastische und rationale Formen und
Kompositionen gleichermaßen. Erst die verdichtete
Mischung, die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, das
Miteinander des Gegensätzlichen prägt den Charakter der
zukünftigen Moderne.
32 - Eine
"Neue Einfachheit" wird es nicht geben (und hat
es wohl nie gegeben): die Komplexität der modernen
(postmodernen) Welt kann sich nur in komplexen Formen
darstellen. Der in der Postmoderne wiedergewonnene
Reichtum der architektonischen Sprachen und Codes und
ihrer gestalterischen Möglichkeiten bedeutet auch eine
Bereicherung des kuturellen Bestandes, der als Quelle und
Fundus für zukünftige Entwürfe unverzichtbar ist.
33 -
Möglicherweise wird es, bedingt durch den
technologischen Fortschritt in der Mikro- und
Informationstechnik und den entsprechenden sozio-
kulturellen Wandel, zu einer Arbeitsteilung zwischen
Entwerfern von hochfunktionalen Containern, die einer
technologischen Ästhetik folgen, und Entwerfern von
virtuellen Räumen und Welten, die einer fiktional-
imaginativen Ästhetik folgen, kommen. Beide Gruppen
arbeiten unabhängig voneinander, sind aber über
gemeinsame Bildwelten und Erfahrungshorizonte miteinander
verbunden. Das "Verschwinden der Architektur"
ist deshalb unwahrscheinlich.
34 - Mit dem
Ende der Utopien ist der Fortschrittsoptimismus der
klassischen Moderne verloren gegangen. Große Visionen,
die zu kühnen Bildern anregen und ihren Ausdruck und
Widerklang in einer entsprechend gestalteten Umwelt
suchen, sind derzeit nicht in Sicht. Sicherung des
Bestandes, nostalgischer Rückblick, Ergänzung und
behutsame Einfügung, einfühlsame Erneuerung oder
anspruchsvolle Inszenierung, sind an der Tagesordnung.
Der Bezug zu Ort und Umgebung ist dabei ebenso wichtig
wie die Anlehnung an eine kuturelle Tradition. In der
daraus resultierenden dichten Mischung und Überlagerung
von Heterogenem drückt sich Unsicherheit,
Desorientierung und Perspektivlosigkeit aus, die dem
allgemeinen Zeitgefühl entsprechen.
35 - An
Versuchen, diesem ("rasenden") Stillstand zu
entkommen, wird es nicht fehlen: die Flucht in die
Idyllen der "heilen Welt" abseits der
Metropolen oder der Traumstätten des Tourismus gehört
ebenso dazu, wie die Expeditionen zu den
"künstlichen Paradiesen" der virtuellen Welten
im Cyberspace. Das gestalterische Repertoire der
postmodernen Moderne ist genügend reichhaltig, um auch
diesen Sehnsüchten eine entsprechende räumliche
Umgebung zu schaffen.
36 - Ob aus der
digitalen Welt eine völlig neue architektonische
Ästhetik auf uns zukommt, bleibt abzuwarten.
Literatur
Fischer/Fromm/Gruber/Kähler/Weiß 1987: Abschied von
der Postmoderne.Braunschweig: Vieweg
Klotz, Heinrich 1984: Moderne und Postmoderne.
Architektur der Gegenwart 1960 - 1980.
Braunschweig/Wiesbaden: Vieweg ders. 1994: Kunst im 20.
Jahrhundert. Moderne - Postmoderne - Zweite Moderne.
München: Beck
Kursbuch 122, 1995: Die Zukunft der Moderne. Berlin:
Rowohlt
Lampugnani, Vittorio Magnago 1993a: Das Naheliegende ist
die größte Provokation. In: Frankfurter Rundschau vom
30.10.93
ders. 1993b: Die Provokation des Alltäglichen. In: Der
Spiegel 51/1993, S. 142-147
Mitscherlich, Alexander 1965: Die Unwirtlichkeit unserer
Städte. Anstiftung zum Unfrieden. Frankfurt: Suhrkamp
Rötzer, Florian 1993: Raum und Virtualität. In:
Kunstforum International 121/1993, S. 56-62
Strauß, Botho 1997a: Der Fehler des Kopisten. München:
Hanser
ders. 1997b: Wo der Geist Knecht ist. In: Der Spiegel
16/1997, S. 194-200
Welsch, Wolfgang 1987: Unsere postmoderne Moderne.
Weinheim: VHC, Acta Humaniora
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