Thema
2. Jg., Heft 1
Mai 1997

Gottfried Schlüter

Pruitt-Igoe. Die Dritte

  1 Am 15. Juli 1972 wurden in St. Louis drei der dreiunddreißig Wohnscheiben von Pruitt- Igoe gesprengt.


Abb. 1: Sprengung 1972

Das Bild der in sich zusammensackenden 11- Geschosser verdankt seine Popularität, gerade beim europäischen Publikum, der Veröffentlichung ‘Die Sprache der postmodernen Architektur’ (1976), in der das Ereignis von Charles Jencks als ‘Tod der modernen Architektur’ vorgestellt wurde. Auch wenn sich niemand mit dem polemischen Statement befreundete, ernsthaft widersprochen wurde ihm nicht.

Daß diese Deutung zu kurz griff, zeigte sich spätestens im vergangenen Jahr in St. Louis: Mit Laclede Town, einer Anfang der sechziger Jahre errichteten Siedlung, fiel der Abrißbirne ein Stück Stadt zum Opfer, das sich in seiner Architektur wesentlich von Pruitt unterschied: Formenfundus und Raumstruktur waren durchaus am historischen Stadtgefüge orientiert, ja sogar Gaslaternen waren hier aufgestellt. (1)

Zu fragen ist, wieso diese Projekte scheiterten und warum sie schließlich abgetragen wurden? Gemeinsam war Pruitt und Laclede, daß sie als öffentliche (soziale) Wohnungsbauten errichtet wurden; sie waren damit Bestandteil umfangreicher Stadterneuerungsprogramme, mit denen nach 1949 versucht wurde, den Niedergang der amerikanischen Großstädte zu stoppen. Das Urteil über den damals eingeschlagenen Weg ist aus heutiger Sicht einmütig: Ein politisch wie städtebaulich völliger Fehlschlag.(2)

Mit dem Niederreißen der unliebsamen Gebäude allein ist es jedoch nicht getan (auch wenn Jencks forderte, die Ruinen von Pruitt unter Denkmalschutz zu stellen): Wiederum in St. Louis, unmittelbar neben Pruitt, ist zu Beginn dieses Jahres ein neues Projekt fertiggestellt worden, mit dem der für die Vereinigten Staaten erste Versuch unternommen wird, ein abgetragenes Wohnquartier der 50er Jahre wieder aufzubauen. Marc Purcell, zuständiger Stadtplaner der St. Louis Housing Authority, zeigte sich bei meinen Gesprächen optimistisch über den Neubeginn: ‘totally different’.(3)

St. Louis. Ein Auslaufmodell?

2 Die traditionellen Standorte der Schwerindustrie hatten mit Kriegsende endgültig ausgedient: In St. Louis brachen reihenweise Unternehmen zusammen; die Zahl der Obdachlosen erreichte Rekordhöhen. In dieser Situation fand sich kaum noch jemand bereit, in das marode ‘Unternehmen Stadt’ zu investieren. Als Folge der Krise gingen weitere Arbeitsplätze durch Abwanderungen verloren. Dringend erforderliche Neuansiedlung von Firmen konnte in dieser Situation nicht erwartet werden. Die negative Entwicklung spiegelt sich in dem rapiden Bewohnerzahlen wider- von 1950 bis in die achtziger Jahre sank die Bevölkerung von 875.000 bis auf 380.000 ab. Erst dreißig Jahre später, in den Achtzigern, gelang es, mit umfangreichen Steuervergünstigungen, Zuschüssen und Krediten zumindest den ökonomischen Abwärtstrend umzukehren.

Die Auswirkungen der Rezession wurden überlagert von sozialen Spannungen, die unmittelbar in den Städten sichtbar zu Tage traten: Zu Beginn der 50er Jahre drohte, ausgelöst durch den weißen Rassismus, die Intergrationsfähigkeit der amerikanischen Gesellschaft zu versagen. Ökonomischer Niedergang und soziale Polarisierung beschleunigten und verstärkten sich hier wechselseitig. Im Ergebnis führte die Krise zu einer Flucht der weißen Mittelschichten, die die Städte verließen, um sich in ‘attraktiven’ Vororten niederzulassen: ‘Der Wunsch in einer kleinen, politisch unabhängigen Gemeinde zu leben, selbstverständlich nur weiß und aus der annähernd gleichen Einkommensgruppe wie man selbst (oder vielleicht ein wenig höher) ist von Natur aus wesentlich anti-urbaner als andere Charaktereigenschaften, die sich in den Vororten finden’, stellte Catherine Bauer Wurster in der Architectural Record vom Dezember 1964 fest.(4)

In den Zentren, hauptsächlich in den armseligen Arbeitervierteln des frühen 20. Jahrhunderts, blieben diejenigen zurück, die sich ein Entkommen nicht leisten konnten. Die Quartiere, die zuvor deutsche und irische Einwanderer beherbergt hatten, verwandelten sich in ‘ungesunde’ überfüllte Ghettos, in denen vorwiegend Afroamerikaner billigen Wohnraum fanden. Wesentlich verschlechtert wurde die Situation durch die Zuwanderung meist farbigen Familien aus dem Süden, die auf ein besseres Leben in der Großstadt hoffend, hier das Heer der Mittellosen verstärkten.

Die Veränderungen der Bevölkerungsstruktur traf die ‘jungen’ amerikanischen Städte in einem empfindlichen Punkt: Anders als in Europa beruht das Funktionieren des Gemeinwesens in den USA weniger auf einem ausgeklügelten und historisch gewachsenen System öffentlicher Verwaltung, maßgeblich ist vielmehr die Initiative kleiner gesellschaftlicher Gruppen. Der fatale Kreislauf von Ghettobildung und ‘Weißer Flucht’, brachte unweigerlich einem Verlust an ‘sozialer Infrastruktur’ mit sich: Das von Jane Jacobs beschriebene informelle System von ‘Nachbarschaften’, als kleinster Einheit der städtischen Organisation, mußte in den überfüllten und heruntergekommenen Innenstadtquartieren versagen: Hier fehlte eine stabile soziale Ordnung ebenso, wie eine Perspektive für ihre entwurzelten Bewohner. Die Stadt verwandelte sich allmählich in einen Alptraum aus Verfall und Gewalt.

Urban- Renewal

3 ‘Progress or Decay- St. Louis must choose’- titelte die Post Dispatch in ihrer Sonderausgabe vom Juni 1950, in der das groß angelegte Sanierungsprojekt vorgestellt wurde (5). Mit dem Stadterneuerungsprogamm (Urban Renewal) wurde der Versuch unternommen in ‘letzter Minute’ kommerzielle Investitionen in das Herz der Stadt zurückzuretten, bevor sie sich in die Vororte zertreuten.


Abb. 2: St. Louis Post Dispatch, 1950

In dem Urban Renewal bildete sich eine Allianz von Staat und Städten, die auf die Verwirklichung von zwei im Grunde divergierende Zielen hin angelegt war:

Primäres Ziel war es, die Städte ökonomische zu stabilisieren. Dabei wurden innerstädtische Slum- Areale mit staatlicher und kommunaler Unterstützung aufgekauft (notfalls enteignet), von Gebäuden und ihren Bewohnern befreit, und anschließend zu subventionierten Preisen auf den Markt gebracht (slum clearence). Auf den freigeräumten Flächen sollten sich einerseits Unternehmen ansiedeln, um die benötigten Arbeitsplätze zu schaffen. Parallel dazu wurde mit Hilfe von privat finanziertem Wohnungsbau versucht, die zahlungskräftigen Mittelschichten zur Rückkehr in die Zentren bewegt werden. Diese Politik mit der Abrißbirne entsprach den ‘natürlichen’ Interessen innerstädtischer Immobilienbesitzer und Geschäftsleute, die auf eine ökomomische Belebung der Stadt setzen konnten.

Gekoppelt wurden die Sanierungen mit einem Konzept öffentlich geförderten Wohnungsbaus (public housing), das als Amerikas erstes wirklich großangelegtes Sozialprogramm gelten kann. Aufgrund der herrschenden wirtschaftlichen Interessen bekam der Wohnungsbau jedoch die traurige Rolle eines Auffangbeckens zugewiesen: In der Folge der Flächenabrisse mußten, wenigsten für einen Teil der früheren Bewohner, Ersatzwohnungen geschaffen werden. Bereitgestellt werden sollte ein ‘Sprungbrett’ für diejenigen, die über ein Mindesteinkommen verfügten um die ermäßigten Mieten zu zahlen; wurde die festgelegte Einkommensgrenze um 30 % überschritten - ein Indiz für die erfolgreiche Eingliederung in die Gesellschaft - drohte die Kündigung des bescheidenen Domizils. Nach und nach sollte so den ‘Armen, die es nicht verdienen, arm zu sein’ die ersehnte Chance geboten werden.

Die architektonischen Vision, die die Post Dispatch 1950 den Bürgern von St. Louis vorstellte, konnten ihre europäischen Vorbilder nicht verleugnen: Die ehemals dicht bebauten Innenstadtquartiere waren durch Solitärbaukörper ersetzt, die sich rhythmisch gegliedert auf dem Abstandsgrün ausbreiteten; am Missisippi ragte der Central Business District mit seinen Hochhäusern auf, neben dem symbolträchtig der ‘Gateway Arch’ plaziert war- hier begann die Eroberung des Westens. Das in dem Augen der Planer optimistische Szenario blieb in seiner Radikalität und Härte ohne Zweifel nicht hinter den kühnen Visionen zurück, die LeCorbusier in den zwanziger Jahren für Paris entwickelte.

Pruitt-Igoe. Die Erste

4 Pruitt-Igoe (1950-54) war das vierte Großprojekt des öffentlichen Wohnungsbaus in St. Louis, das im Süden der Stadt, inmitten eines heruntergekommenen Quartiers, errichtet wurde. Die von Hellmuth, Yamasaki und Leinweber - die Architekturfirma avancierte zu einer der größten in den USA - entworfenen 33 identischen Wohnskulpturen beinhalteten in ihren 11 Geschossen insgesamt 2780 Wohnungen.


Abb. 3: Pruitt- Igoe 1

Das Projekt war bei der Bevölkerung nie beliebt: Zu Beginn der sechziger Jahre waren 90 % der Wohnungen belegt, in den folgenden zehn Jahren sank die Rate jedoch auf ein Drittel ab. War in den umgebenden Slums der soziale Friede ohnehin gefährdet, brachten hier zusätzlich die hohe Bewohnerdichte, die unzugängliche Architektur und die schlechte Verwaltung das Projekt zum Scheitern. Pruitt-Igoe, daß einen Beitrag zur Sanierung der Stadt leisten sollte, verwandelte sich selbst in einen ‘horizontalen Slum’.

Die hoch über die heruntergekommene Nachbarschaft ragenden Gebäude standen in schroffem Gegensatz zu der benachbarten Bebauung. Ihre hohe Bewohnerdichte, sie übertraf die frühere Bebauung um das zehnfache, war nur logische Folge des katastrophalen städtebaulichen Programms: Freiräumen der Fläche (slum clearence) und Konzentration der unliebsamen Slum- Bewohner auf kleinen Arealen (public housing).

Die ehrgeizige Ausrichtung der Architektur war angesichts der Bewohner, vollständig verfehlt: Yamasaki lieferte, anstatt herkömmliche Apartmenthäuser zu konzipieren, mit dem Entwurf zugleich ein neues Modell des öffentlichen Raumes: sog. ‘horizontale Nachbarschaften’. In jedem dritten Geschoß war ein verglaster Laubengang vorgesehen, der den Bewohnern Gelegenheit für soziales Miteinander bieten sollte; ‘gesichert’ wurde die Akzeptanz der in die Höhe verlegten Straße, indem der Aufzug (es gab nur einen pro Gebäude!) ausschließlich diese Laubengänge bediente. Der Rest des Weges mußte in unbelichteten Treppenhäusern zurückgelegt werden, die sich aufgrund von Vandalismus und Kriminalität schnell als Bedrohung herausstellten.

Die schwierige Kompetenzverteilung zwischen Staat und Stadt führte zu einer unzureichenden Verwaltung. Dabei zeigte sich St. Louis weniger an Pruitt-Igoe, als vielmehr an den für sie profitableren Flächensanierungen interessiert. Zwar sollten die Mieteinnahmen die Unterhaltskosten decken, doch reichte das Geld aufgrund der Unterbelegung des Projekts nicht aus. Die Stadt weigerte sich z.B., die Müllbeseitigung auf dem Gelände vorzunehmen, indem sie die Wege einfach zu Privatstraßen erklärte, wodurch der weiteren Verwahrlosung Vorschub geleistet wurde.

Nachdem das Projekt zu scheitern drohte, wurde Pruitt-Igoe ‘Ziel der allergrößten Interventionsstrategien der 60er Jahre’(6). 1963 rückte ein Team von 45 Sozialarbeitern ein; die Universität von St. Louis unternahm Studien zur Wohnumfeldverbesserung; von der Ford Foundation wurde ein Selbstverwaltungsprojekt mit den Bewohnern initiiert; es wurde erwogen, die Gebäude auf 3-4 Geschosse abzutragen; der Staat pumpte weitere 7 Mio. Dollar in die Sanierung ... Das Projekt war wirtschaftlich nicht mehr tragbar.

Mit der Sprengung von 3 Baukörpern am 15. Juli 1972 wurde das letze Experiment unternommen: Ironischerweise scheiterte auch dies, da sich der konventionelle Abriß als kostengünstiger erweisen sollte. Er erfolgte erst 4 Jahre später 1976.

Pruitt-Igoe. Die Zweite: Laclede Town (1960- 1996)

5 Sieben Blocks südlich und drei Blocks westlich von Pruitt-Igoe wurde 1960- 64 mit Laclede Town, benannt nach dem Stadtgründer Pierre LaClede, eine zweite Phase öffentlichen Wohnungsbaus in St. Louis eingeleitet. Auch hier sollte das Projekt zur Beseitigung eines Slums beitragen. Dabei knüpfte die Architektin Cloethiel Smith an ihre bisherigen Erfahrungen an, die sie mit privat finanzierten Siedlungsprojekten gemacht hatte. Die Architektur hatte sich von den Vorbildern der unpopulären ‘europäischen’ Moderne gelöst: Die 2-3 geschossigen Holzhäuser waren bunt gestrichen, es gab Läden und Straßencafes; der Verkehr wurde behutsam integriert und Grünanlagen sorgfältig angelegt; sogar Gaslaternen waren hier aufgestellt worden.


Abb. 4: LaClede

Das in der Nähe der Universität geplante Quartier wurde schnell beliebt. Sein Straßencafe und die attraktiven Geschäfte zogen auch Bewohner der umliegenden Gegend an; die als positiv empfundene Gestaltung wurde (wie bei Pruitt-Igoe) mit einen Preis des American Institute of Architects gewürdigt (was sind solche Preise wert?). LaClede galt als eines der wenigen erfolgreichen Projekt öffentlichen Wohnungsbaus in den USA. Einen maßgeblichen Beitrag leistete dabei das überaus behutsame Vorgehen des Ministeriums für Wohnungswesen und Städtebauentwicklung (Department for Housing and Urban Developement- HUD): Die ökomomische Grundlage bildete eine Mischfinanzierung zwischen öffentlicher und privater Hand. Um den Erfolg des Unternehmens zu sichern, waren, entgegen der Statuten des HUD, die Bewohner handverlesen; Studenten der nahegelegenen Universität zogen ein. Die Eigentümergesellschaft organisierte Aktivitäten, Ausflüge, Festivals, Partys und war bemüht, die Bewohner in die Organisation des Gemeinwesens einzubinden.


Abb. 5: Laclede


Abb. 6: LaClede

Der ansprechenden Architektur von Laclede wurde der anfängliche Erfolg des Projekts zugeschrieben - und dennoch, 1966 erfolgte der Abrtiß der mittlerweile heruntergekommen Gebäude.

Der Niedergang begann Mitte der 70er Jahre mit dem Wechsel des Investors. Die konstruktiv schlecht ausgeführten Häuser machten zahlreiche Reparaturen notwendig. Das der Finanzierung zugrunde liegende Abschreibungsmodell führt die privaten Anleger jedoch nicht in Versuchung, weiter in die Gebäude zu investieren: je größer die Verluste waren, um so besser für sie. Daraufhin kürzte auch HUD seine Mittel; die Stadt weigerte sich, die Müllabfuhr zu finanzieren; wer es sich leisten konnte, verließ das sterbende Viertel. Die nachrückenden Bewohner wurden nun aufgrund von Wartelisten zugewiesen - maßgebliches Kriterium war hier die niedrige Einkommensschwelle .

Ironischerweise trug gerade der Zusammenbruch von Pruitt-Igoe mit zum Niedergang des Projektes bei, da dessen frühere Bewohner auch die Wartelisten von Laclede füllten.


Abb. 7: LaClede Abriß 1996

Tod der Postmoderne ?

6 Philadelphia, Atlanta, Milwaukee, Baltimore, Charlottte, Chicago, New Orleans....Mittlerweile hat das Ministerium für Wohnungswesen und Stadtentwicklung in diesen Städten Wohnungsbaukomplexe abreißen lassen (7). Aber dort wie in St. Louis ist weder der ‘Tod der Modernen Architektur’, noch das vorzeitige Ende einer selbsternannten ‘Postmoderne’ festzustellen; gescheitet ist das Konzept das sozialen Wohnungsbaus in den Vereinigten Staaten in seiner seit den fünfziger Jahren praktizierten Form:

- Die sozialpolitische Auffassung, mit Wohnungen allein gesellschaftliche Risse kitten zu können, die in den amerikanischen Städten sichtbar wurden, war Illusion. Die bis 1974 hergestellten 1.4 Millionen Wohneinheiten befriedeten die Städte nicht, sie wurden vielmehr mit ihrer ‘modernen’ Architektur Ausdruck sozialer Diskriminierung (8).

- Die städtebauliche Strategie, die bestehende Stadt zu ersetzen, um so ihre Attraktivität zu steigern, versagte: Die Probleme verlagerten sich in dem Maß, in dem die ansässige Bevölkerung zur Manöveriermasse von Politikern und Planern wurde.

- Der Instrumentalisierung von Architektur als Produktion von Bildern eines guten Lebens, scheiterte: Daß es sich hier nicht um eine Frage ‘stilistischer Feinheiten’ handelt, ist deutlich: Auf die freigeräumten Flächen wurden, von den tatsächlichen Voraussetzungen losgelöst, (beinahe) austauschbare Visionen von Stadt projeziert.

Außerhalb der hier skizzierten Entwicklung ist ein weiterer Verlierer auszumachen: Verloren haben all diejenigen theoretischen Diskurse, die allein fixiert auf den ästhetischen Blickwinkel das oberflächliche Bild von Pruitt-Igoe ihren jeweiligen Zwecken einverleibt haben: Es hat sich gezeitgt, daß Architektur offenkundig kaum ohne ihre vielfältigen, häufig verworrenen Verbindungen mit der sie umgebende Welt begreifbar ist.

Pruitt-Igoe: Die Dritte

7 Pünktlich zum 25 jährigen Jubiläum der spektakulären Sprengung geriet Pruitt-Igoe zu Beginn dieses Jahres erneut in die Schlagzeilen. Das Areal inmitten des Ghettos, das es hier immer noch gibt, ist zu 2/3 umzäunt und unbebaut: Mit dem vorerst letzten Projekt, von dem man sich aufgrund massiver Proteste schließlich verabschiedete, bewiesen die Stadtväter von St. Louis erneut ihre besondere Sensibilität:


Abb.8: Golfplatz

Geplant war Pruitt-Igoe unter einem 9 Loch Golfplatz verschwinden zu lassen. Bei dieser durchaus günstigen Gelegenheit sollten auch die umgebenden Baugebiete beseitigt werden, um einer luxuriösen Vorstadtidylle für gehobenen Kreise Platz zu schaffen. Für die Finanzierung des 127 Millionen Dollar schweren Projekts wurden vom Staat bescheidene 8 Millionen Dollar an Zuschüssen beantragt. (Zur Information: 97 % der Bewohner der Gegend sind Afroamerikaner, 32 % von ihnen leben unter der Armutsgrenze.) (9)

Auf der anderen Straßenseite hat die Zukunft bereits begonnen:


Abb. 9: Vaughn Neubauten 1996, Fassaden

Die Vaughn- Blocks, 1957 auf der gegenüber liegenden Seite errichtet, unterschieden sich in der Qualität ihrer 656 Wohnungen nicht von Pruitt-Igoe; je drei 9-geschossige Baukörper liefen sternförmig in einem Punkt zusammen und bildeten so 4 markante Großformen, zwischen denen sich die obligatorischen Grünflächen erstreckten. Der Abriß der heruntergekommenen Gebäude wurde an einem regnerischen 1. Mai 1995 medienwirksam von Henry Cisneros dem Sekretär des HUD eröffnet. Das Novum ist, daß die erste vernichtete Siedlung des öffentlichen Wohnungsbaus hier wird hier wieder aufgebaut wird: ‘Ein nationales Vorbild’, wie Cisneros betonte.(10)


Abb. 10: Vaughn, 1957 und 1996

- Bereits 1994 wurde ein ‘Mobiliätsprogramm’ für diejenigen Bewohner eingeleitet, die sich in anderen Teilen der Stadt mit intakten Nachbarschaften niederlassen möchten; hier werden Beihilfen gegeben. Es wundert nicht, daß gerade die Auflösung des Ghettos auf erhebliche Ressentiments stößt, so mancher Zeitgenosse fürchtet um ‘seine’ Nachbarschaft (St. Louis war 1906 die erste amerikanische Stadt, die die Rassentrennung per Volksentscheid einführte.) (11)

- Die vorhandene Infrastruktur wird verstärkt und ausgebaut. Kern des Projekts ist die Erweiterung einer bestehenden ‘Nachbarschafts-Schule’; geplant ist mit Unterstützung der Schulbehörde ein Modellprojekt bei dem neben neuen Unterrichtskonzepten, zugleich auch die Betreuung von Familien organisiert wird.(12)


Abb. 11: Vaughn - Siedlung und Innenstadt

- Die 400 Wohnungen werden in Privat - Public - Partnerschaft gebaut; wobei lediglich 222 Wohneinheiten Bestandteil des öffentlichen Wohnungsbau sind; hier ist die Koppelung der Mietverträge an die Einkommen aufgegeben. Ziel ist es eine soziale Durchmischung zu ermöglichen.

- Das Projekt wird stufenweise realisiert, dabei werden zwei bestehende Hochhäuser erhalten. Die Parzellierung der Flächen ist kleinteilig, Parks und Grünanlagen sind angelegt. Die Bebauung besteht aus 2 geschossigen Reihenhäuser, die um halböffentliche Höfe gruppiert sind- ein Gedanke der bereits bei Laclede erfolgreich war.

Die Gebäude sind mit Ziegeln verkleidet, ihre weißen Fenster sind durch Sprossen geteilt; die Türen sind mit Portiken verziert- kein Eingang gleicht hier dem anderen; auf die Dächern sind in unregelmäßigen Abständen helle, aus Holz gefertigte Gauben aufgesetzt, die mit den hell verschalten Giebeln korrespondieren. Vor den Gebäuden liegen die kleinen, bereits angelegten Vorgärten, hier schließen sich die Bürgersteige an- es werden noch einige Jahre vergehen, bis die Bäume ihre Schatten auf die Dächer der Häuser werfen. Mit ihrem unheroischen Auftreten erfüllen die Häuser die an sie gestellte Aufgabe glänzend:

'Good public housing is public housing that no one sees'.(11)

Literatur

(1) Ramin Bavar, Laclede Town: An Analysis of Design and Government Policies in a Government- sponsored Project,

(2) The Battle for public housing, Chicago Tribune, 1996,

(3) Mr. Purcell sei hier für seine Unterstützung gedankt.

(4) Architectural Record, Dec. 1964, S. 155

(5) Werk- Archithese, Jg. 64, 1977, Nr.5, S. 1

(6) a.a.O., S.5

(7) St. Louis Post-Dispatch, 1.5.1995, S.?

(8) John F. Bauman, Public Housing, Race and Renewal, Temple University Press, Philadelphia, 1986

(9) Architecture, April 1997, S.63

(10) St. Louis Post-Dispatch, 1. Mai 1995

(11) St. Louis Post-Dispatch, 26 April 1995, S. 8A

Abbildungsverzeichnis:

Abb. 1 Chicago Tribune a. a. O.
Abb. 2 Werk- Archithese a. a. O.
Abb. 3 - 7 Ramin Bavar, Laclede Town a. a. O.
Abb. 8 Architecture, April 1997, S.63
Abb. 9 - 11 Marc Purcell, St. Louis
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