Thema

2. Jg.,
Heft 1
Mai 1997

Zvetozar Zavarihin

Der Avantgardismus als Phänomen des 20. Jahrhunderts

Zur Terminologie

1 Der Begriff "Avantgardismus" umfaßt besonders die Avantgarde und die, durch sie bedingte, folgende formgebende Richtung der Architektur. Der Begriff besonders der Avantgarde beinhaltet gleichzeitig "revolutionäre" Veränderungen in der Sprachsphäre, in der architektonischen Form und in der Technologie des Schaffens.

Die historische Bedingtheit des Avantgardismus

2 Das Problem des Avantgardismus ist verbunden mit dem umfassenden Problem des evolutionären und revolutionären Entwicklungsweges. Die europäische Architektur befand sich mehrmals bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Situationen der Erneuerung, des Stilwechsels, aber alle Veränderungen trugen einen evolutionären Charakter, da sie nicht über den Rahmen des Systems antropomorpher Formen hinausgingen. Diese Formen wurden ursprünglich hervorgebracht durch die uralte und beständige Abhängigkeit des Menschen von den natürlichen Gegebenheiten. Sogar die parallele, sakrale Welt schuf der Mensch in Formen, die denen auf der Erde in den Ausmaßen entsprachen. Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als die antropomorphen Formen aus bekannten Gründen durch die technomorphen Formen in starkem Maße begannen ersetzt zu werden, entstanden die materiellen Grundlagen für die "Revolution der Avantgarde". Der Beginn des 20. Jahrhunderts nimmt eine besondere Stellung in der Geschichte -nicht nur der europäischen, sondern der Weltarchitektur- ein, da gerade in dieser Zeit die Kultur begann durch die Zivilisation abgehört zu werden. Dieser globale Prozeß, der den hauptsächlichen Sinn der Geschichte ausmacht, verlangt wenigstens eine kurze analytische Betrachtung. Die Kultur, wie bekannt ist, erweist sich als Instrument der Vermenschlichung des Menschen und war außerdem über lange Zeit eine Bedingung seiner physischen Existenz, insofern als sie die Reproduktion, die Bewahrung und die Entwicklung der Erfahrung -sowohl die materiell-technologischen als auch der geistigen-gewährleistete.Diese sehr wichtige Funktion bedingte auch ein solches genetisches Merkmal der Kultur wie das Traditionsbewußtsein. Oder anders gesagt, durch die Nutzung der historischen Erfahrung unterstützte die Kultur immer das geistige Durchdringen des jeweiligen Lebens und seine Gestaltung. In der Geschichte des Altertums, als die Persönlichkeit noch kein Gegenstand der Formgebung war, hatte die Kunst keinen Persönlichkeitsbezug und war durch künstlerische Regeln und durch die handwerkliche Arbeit begründet. Man kann diese längste Etappe der Entwicklung der Kunst als Ära des handwerklichen Objektivismus bezeichnen. Die allgemeine methodologische Grundlage dieser schöpferischen Methode bildete der "Kanonismus". Bemerkenswerte qualitative Veränderungen der kulturellen Grundlagen geschahen in der Epoche der Renaissance, die eine neue Schaffensmethode hervorbrachte -den "künstlerischen Objektivismus". Ab dem 15. Jahrhundert begann die 500jährige Epoche der "Kunststile" in der Architektur. Diese Kunststile wechselten einander, vereinigten sich, indem sie zahlreiche, zwischenzeitliche Varianten stilistischer Lösungen bildeten. Die sprachliche Grundlage der Architektur blieb jedoch nichtsdestoweniger traditionell.Deshalb kann man die Epoche der Renaissance nicht als avantgardistisch bezeichnen, obwohl sie die Lexik der Sprache in bedeutendem Maße bereicherte. Aber ohne jene Freiheit des Schöpfertums, die diese Epoche gewährleistete, wäre die zukünftige "Revolution der Avantgarde" unmöglich gewesen.

Die Ontogenese des Avantgardismus

3 Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte der künstlerische Subjektivismus schon die Priorität über den Kanonismus. Die im 19. Jahrhundert einsetzende stürmische Entwicklung neuer Schaffenskonzeptionen (Credo) schuf die Voraussetzungen für die Konsolidierung der Periode der Konzeptionen, die im 20. Jahrhundert die Epoche der Kunststile ablöste. Die Konzeption der Avantgarde war die erste und radikalste Konzeption, begründet in einer neuen Schaffensposition, die man als künstlerischen Objektivismus bezeichnen kann. Indem die avantgardistischen Architekten (und Künstler) diese Position einnahmen, opferten sie ihre schöpferische Individualität, die noch vor nicht langer Zeit als Bedingung eines echten Schöpfertums gegolten hatte. Die Konzeption des künstlerischen Objektivismus in bezug auf die Architektur erwies sich als erstes deutliches Signal des Aufkommens der Epoche des totalen Designs, einer sich selbst hervorbringenden gegenständlichen Umwelt, wo progressive Technologien benutzt werden. Gleichzeitig war die Avantgarde ein Signal für den Übergang der Architektur aus der Gruppe der "schöngeistigen" Künste in die Gruppe der ästhetisch orientierten fachlichen Tätigkeit, einhergehend mit mit einem "Überfließen" höchster geistiger und kosmogonischer Werte aus der Sphäre "reiner" Künste. Ähnliche globale Veränderungen und Umgruppierungen zeugen vom Anfang der Ära der Zivilisation. Im Unterschied zur Kultur konstruiert die Zivilisation die Gegenwart, indem sie von abstrakten (am häufigsten von rational-funktionalen) Vorstellungen über die Zukunft ausgeht. Unter Berücksichtigung des bisher Dargelegten kann man feststellen, daß der Beginn des realen Prozesses der Ablösung der Kultur durch die Zivilisation der Zeitpunkt der Geburt der Avantgarde ist. Dabei zeigen die verschiedenen Arten der Kunst (ebenso wie auch die verschiedenen Regionen) eine unterschiedliche Sensibilität gegenüber diesem sehr wichtigen Prozeß. Die Architektur als die Kunst mit dem größten Beharrungsvermögen spürte diesen Beginn später als andere Künste, Brachte ihn aber dafür am überzeugendsten in materieller Hinsicht zur Geltung.
4 Die Periode der Avantgarde konnte aufgrund seines revolutionären und paradoxalen Gehaltes nicht lange andauern. Unvermeidlich wurde sie in den Jahren 1930- 1950 abgelöst durch die Periode der Wiederkehr des Traditionalismus. Danach jedoch, dank der errungenen Freiheit des Schöpfertums, begannen sich die formgebenden Möglichkeiten, die synthetisch in der Konzeption der Avantgarde vorgegeben waren, umzuwandeln in ein ganzes System neuer Richtungen. Hierzu gehören der "internationale" Stil, der Neomodernismus, der Strukturalismus, der Metabolismus, der Brutalismus, der Dekonstruktivismus, der Minimalismus, Die High- Tec und der Bioplastizismus. In der Gesamtheit bilden sie das Phänomen des Avantgardismus, in dessen Zeichen das ganze 20. Jh. stand.
5 Die schöpferische Methode in der 2. Hälfte des 20. Jh. kann man allgemein als konzeptionellen Subjektivismus bezeichnen, weil jede architektonische Richtung in dieser Periode vor allem durch die Konzeption seines führenden Architekten geformt wurde (obwohl jede dieser Richtungen der Ausdruck eines konkreten Prinzips der Formenbildung ist -bedingt durch die entsprechende Zeit).

Die Morphogenese des Avantgardismus

6 "Die Revolution der Avantgarde" im ersten Drittel des 20. Jh. ermöglichte einen teilweisen Durchblick auf dem Gebiet der neuen Formenbildung mittels der Zerstörung der traditionellen Verfahren und Prinzipien (den Beginn dieser Zerstörung leitete der Jugendstil ein). In dem freigewordenen schöpferischen Raum begann der Prozeß der Konstruierung einer neuen Sphäre des Wohnens auf der Grundlage ebenfalls konstruierter Vorstellungen vom Menschen der Zukunft und seiner Lebensweise. Unter den Bedingungen eines sich in jener Zeit schnell entwickelnden wissenschaftlich- technischen Fortschritts und durch die überall vorhandenen sozialen Erschütterungen widerspiegelt diese Konstituierung erstens die gewaltsame Position eines eigenartigen kulturellen Totalitarismus, und zweitens die Ideologie des technisch- technologischen Optimismus. Die Methoden gewaltsam angewandt bei der Umsetzung des Neuen, verwandelten den Architekten in einen Demiurgen, und die spekulativen Vorstellungen über die Technik und das Sozium der Zukunft brachten die Überzeugung hervor, daß der Mensch in naher Zeit die strenge Abhängigkeit von der Welt der Natur und der Welt der Dinge überwindet. "Der Mensch des Ortes" verwandelte sich in den Konzeptionen der Avantgardisten in den internationalen "Menschen des Planeten". Das alles formte neue Vorstellungen über Zeit und Raum, was sich seinerseits wieder auswirkte auf die Konzeption des Städtebaus und des Urbanismus.
7 Analoge Ursachen bedingten solche formalen Besonderheiten der architektonischen Avantgarde wie den Dynamismus, die Demonstration der Überwindung der Schwerkraft, die sichtbare Entmaterialisierung der Formen (bis zu ihrer Umwandlung in die virtuelle Realität), das Skulpturenwesen, die "enthüllte" Konstruktivität, die Dekorlosigkeit, die bevorzugte Nutzung industrieller Konstruktionen, die flexibel und offen sind gegenüber der Entwicklung kompositorischer, funktionaler und konstruktiver Strukturen. Sich jedoch vollständig aus ihrer Zeit zu lösen, vermochten die "Väter" der Avantgarde nicht, und deshalb gründeten sich äußerlich neue Formen in Wirklichkeit auf traditionellen Vorstellungen von Ausgeglichenheit, Harmonität, proportionaler und rhythmischer Übereinstimmung, lektonischer Wahrhaftigkeit, funktionaler Bedingtheit und dergleichen mehr. Etwas radikaler waren die Futuristen der 60er Jahre und die Strukturalisten und Metabolisten der 70er Jahre. Als Vertreter von Richtungen des Avantgardismus in der 2. Hälfte des 20. Jh. setzten die einen die Linie der Entmonumentalisierung und Entmaterialisierung der Architektur fort, während andere einen neuen Monumentalismus zu konstruieren versuchten. Der Postmodernismus drückte auf paradoxe Art und Weise avantgardistische Bestrebungen aus. Aber als allumfassend stellt sich der Entwicklungsweg der Architektur in Richtung Design dar, wenn die traditionelle Kategorie der Komposition durch die "algorythmische" Kategorie der Formenbildung ersetzt wird. So ersetzt z.B. die Qualität der Ausführung nicht selten die Qualität der Form selbst. Es verschwindet das Problem der Schaffung einer "beabsichtigten" stilistischen Umhüllung des Raumes, da die formale Ganzheit unwillkürlich durch ein einheitliches hohes Niveau der Fertigung gewährleistet wird. Außerdem formt der äußere hohe Sättigungsgrad an Information ein Bewußtsein, das eine langanhaltende und einheitliche stilistische Vereinigung dieser Sphäre nicht benötigt. Der Begriff der Mode ergreift immer mehr die Architektur, indem er solche Designerbegriffe wie "Komplexität" und "Kollektionswesen" aktualisiert.
8 Die konkreten Formen des modernen Avantgardismus demonstrieren das Wirken verschiedener Impulse für Neuartiges. In dem ununterbrochenen Informationsfluß wird das Neuartige zum Synonym für Schönheit. Aus diesem Grunde verschwand der zähe Widerstand der Fachleute und der Konsumenten gegenüber dem Neuen.
9 Darüber hinaus verlangt das gesellschaftliche Bewußtsein selbst beständige Impulse durch die Neuartigkeit der Formen. Damit wird eine so sehr wichtige Entwicklungsbedingung des Avantgardismus beseitigt wie die Notwendigkeit, den Widerstand des Traditionalismus zu überwinden.
10 Die Vielfalt des Avantgardismus verlangt wenigstens eine kurze Analyse seiner grundlegenden Erscheinungsformen, also eine Typologie des Avantgardismus. Hierbei dienen als Kriterien die bereits dargestellten Artmerkmale des Avantgardismus, und zwar:
- die Überwindung des Antropomorphismus der architektonischen Formen
- die polemische Konzeptualität
- die Autoritätsträchtigkeit der schöpferischen Position der führenden Leute der Richtungen
- die Verneinung der historischen Einbettung der neuen Architektur
- die Orientierung auf die Ablösung der kompositorischen Kategorie durch den Prozeß der Formenbildung
- die Formung von Elementen einer synthetischen schöpferischen Sprache außerhalb des existierenden Stils
- die Ausarbeitung von Antigravitationsmodellen der Architekturtektonik
- die Verschiebung ästhetischer Grundbegriffe von den Parametern der Form zu den Parametern räumlicher Verbindungen und zu den Parametern der technologischen Qualität von Formelementen

11 Alle aufgezählten Merkmale wurden mittels einer verallgemeinerten morphologischen Analyse von Konzeption und Werken eigentlich der Avantgarde der Jahre 1910- 1930 bestimmt. dabei muß man betonen, daß die typologisch wesentlichen Züge des Modernismus nicht gleichermaßen realisiert wurden in den verschiedenen neuartigen Richtungen dieser Periode.
12 Die Charakteristik dieser Besonderheiten ist eine wesentliche, wichtige Aufgabe der Forschung.
13 Der Suprematismus als formale und theoretische Grundlage einiger avantgardistischer Richtungen legte den Hauptakzent seiner Methodologie auf die Ausarbeitung einer neuen Sprache in der gegenständlichen Sphäre, und im wesentlichen auf die Schaffung einer modernen, architektonischen Ordnung. Eine auf flacher Ebene vorgenommenen Transkription dieser schöpferischen Aufgabe schuf die bekannte Gruppe "de Stijl".
14 Der Funktionalismus stellte ein außerhalb des Stils stehendes Antigravitationsmodell der Form auf, das bedingt war durch funktionale Anforderungen und das befreit war von den Bindungen an Eigenschaften der Naturmaterialien und traditioneller Konstruktionen.
15 Der Konstruktivismus bereicherte die Logik des Funktionalismus durch die phantastische Romantik des Hochtechnologismus und durch die utopische Konstruktion eines rational- totalitären Wohnmilieus.
16 Der Formalismus, am klarsten vertreten durch die schöpferische Konzeption von N. Ladovski und K. Melnikov, hob die Kategorie des Raumes als primär hervor. Die Grundlage der Schaffensmethodologie des Formalismus bildete die Idee von der rationalen Konstruktion der ästhetischen Reaktion auf die dramatischen Kollisionen zwischen Raum und Form.
17 Der Synthetismus deckte die allgemeine architektonische Grundlage verschiedener Künste auf, um auf ihr ein "sich selbst entwickelndes" Design- Milieu zu schaffen. Auslöser für diese Konzeption im 1. Jahrzehnt der Sowjetmacht waren ideologische Ambitionen der "proletarischen" Intelligenz (die Gruppe LEF, Vertreter der Produktionskunst u.a.). Die methodologischen Möglichkeiten des Synthetismus sind jedoch überaus perspektivreich.
Nach dem 2. Weltkrieg erhielten die Ideen des Avantgardismus einen neuen Entwicklungsimpuls, der sich auf einige Richtungen auswirkte.
18 Der internationale Stil akzentuierte eine solche genetisch Besonderheit des Avantgardismus wie die Übertragung der grundlegenden ästhetischen "Last" von den plastischen Formparametern auf die Parameter des Raumes und der Qualität der Technologie der Fertigung der Formelemente (erwähnt sei das Schaffen Mies van der Rohes und des frühen Philip Johnson u.a.).
19 Der Strukturalismus (so das Schaffen L. Kahns u.a.) setzte aktiv die durch die Avantgarde durchgeführte Zerstörung der traditionellen Ganzheit der monolitischen architektonischen Formhülle fort, die die strukturell- inhaltliche Vielfalt der funktionalen Prozesse im Gebäude und den ihn umfassenden Raum neutralisierte.
20 Der Metabolismus (vertreten durch K. Tange u.a.) entwickelte eine der wichtigsten Schaffensrichtlinien der Avantgarde, die gerichtet sind auf die Ersetzung der Kategorie der Komposition durch den permanenten Prozeß der Formen der Formenbildung. Dadurch selbst verstärkt sich der Prozeß der Zerstörung der traditionellen "Endlichkeit" der architektonischen Form.
21 Der Neomodernismus entwickelt viele Potenzen der Avantgarde. Insbesondere werden im Schaffen von R. Meyer die formal- schöpferischen Möglichkeiten der Modellierung des Raumes, sowohl des äußeren wie des inneren, genutzt.
22 Der Dekonstruktivismus (z.B. Z. Hadid, F. Gehry, P. Eisenman) entwickelte Antigravitationsmodelle von tektonischer Struktur und erweitert dadurch die Möglichkeiten der Formenbildung im Gegensatz zu traditionellen Kompositionen. In einer polemisch zugespitzten Form bekräftigt der Dekonstruktivismus die Priorität der räumlichen Parameter gegenüber den Formparametern.
23 Der Minimalismus bringt die Architektur zurück auf die Askese der Avantgarde in den 20er Jahren, aber auf einem höheren Niveau. Er erscheint als aktuelles Signal aus der Zukunft, die frei sein soll von naivem Symbolismus und der Monumentalität des architektonischen Milieus.
24 Die paradoxalen Formen des Avantgardismus traten in Erscheinung als unvermeidliche "Begleiter" eines beliebigen starken Phänomens der Kultur. Die anfänglichen Impulse zur Entstehung einer solchen Art von Formen können verschieden sein. So z.B. hatte die Verwirklichung der formalen Prinzipien der Avantgarde unter nicht entsprechenden Bedingungen zur Folge, daß der massenhafte Typenbau in der UDSSR als eine Erscheinung in großem Maßstab vorkam. In anderen Fällen führte die polemische Verneinung des Avantgardismus zum Entstehen von solchen, ihm eigenen Formen, wie diejenigen beim Brutalismus, Plastizismus und der Postmoderne. (Indem diese Formen den Avantgardismus verneinen, werden sie ungewollt zu seinem Spiegelbild.)
25 Der Brutalismus und der Plastizismus erweitern zu jener Zeit bedeutend die Möglichkeiten einer grundlegenden Erneuerung der traditionellen Architektur, indem sie die architektonische Form monumentalisieren.
26 Indem die Postmoderne ihre Ergebenheit gegenüber der spontanen Erscheinung eines ironisch aufgefaßten Traditionalismus deklariert, bereichert sie dadurch selbst das Spektrum möglicher Transformationen (aber eben auch der Zerstörung traditioneller Formen).

Schlußbetrachtung

27 Das Phänomen des Avantgardismus wurde ontologisch vorbereitet durch die Logik, die der starren Bewegung der europäischen (und dann auch der amerikanischen) Kultur eigen war, und entwickelte sich in Richtung einer positivistischen Vielfalt der Zivilisation, die sich mehr an der Zukunft als an der Vergangenheit orientierte.
28 Indem der architektonische Avantgardismus viele gewohnte Vorstellungen über die gegenseitigen Beziehungen von Mensch, Natur und gegenständlicher Sphäre überwand, legte er die Grundlage für das Aufkommen einer qualitativ neuen gegenständlich- räumlichen Sphäre der Zukunft. Jedoch werden wegen des Fehlens wirklicher technischer und sozialer Bedingungen für die vollständige Umsetzung der "Erleuchtungen" der Avantgarde viele perspektivreiche Situationen auf der ästhetischen und dekorativ- struktureller Ebene "verspielt". Nichts desto weniger erlaubte die Entwicklung herausragender architektonischer Möglichkeiten, die positivistische philosophische Grundlage der Architektur durch die kompliziertere, aber auch umfassendere, Philosophie des Paradoxen und sogar des Absurden zu ergänzen. Aus diesem Grunde ist die morphologische Struktur des Avantgardismus kompliziert und vielfältig. Sie bringt das ganze Spektrum der Suche nach neuen Wegen zur Befreiung des Menschen von einer Menge an Bedingungen, die eine feste Bindung des Menschen an überholte Formen der Existenz mit sich bringt.
29 Das 20. Jh. erfüllte seine historische, kulturelle Mission hauptsächlich mit Hilfe des Avantgardismus. Es brachte einen Umbruch in der Entwicklung der Architektur hervor in Richtung einer totalen gegenständlichen Sphäre, die an sich nicht als ein Werk der Kunst erscheint, jedoch bildhaft- ästhetische Werte initiiert, wenn sie den "regionalen" Menschen in diese Sphäre mit einbezieht.
30 Das 21. Jh. sollte ein Jahrhundert der evolutionären Entwicklung jener Tendenzen, Prinzipien und Richtungen werden, die durch den architektonischen Avantgardismus vorgezeichnet und ins Leben gerufen worden sind.

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