Thema
4. Jg., Heft 1
Mai 1999

Christian Gänshirt

Sechs Werkzeuge des Entwerfens

Vorabzug
Der vorliegende Text des erst seit kurzem in der Lehre engagierten Verfassers entsteht aus der Frage: wie kann man Entwerfen unterrichten? Er möchte kein monolithisches Gedankengebäude präsentieren, sonderen versuchen einige Fragen vorzustellen, mit denen sich der Verfasser zur Zeit beschäftigt, ist also eher ein Zwischenbericht als ein Manifest. Die Antworten auf diese Fragen sind zuerst Reaktionen auf Defizite, die der Verfasser seiner eigenen Ausbildung empfunden hat, und auf Defizite, die ihm bei der Ausübung seines Berufes manchmal auf sehr schmerzhafte Weise bewußt geworden sind. Es geht dabei nicht die Beschreibung eines Rezeptes, auch nicht der Zutaten, sondern um den Versuch, die beim Entwerfen zur Verfügung stehenden Werkzuge zu benennen.

Im ersten Teil geht es darum, so etwas wie Grundlagenforschung zu betreiben und zu versuchen, die für das Entwerfen zur Verfügung stehenden Instrumente zu beschreiben, um dann im übertragenen Sinne die Frage stellen: "Was tun wir eigentlich, wenn wir einen Hammer benutzen?" und zweitens: "Sollten wir nicht besser einen Schraubenzieher nehmen?" Im zweiten Teil ist dann zu klären, wie diese Instrumente eingesetzt werden können, wie dieses Instrumentarium benutzt werden kann, um einen Entwurf zu erarbeiten. Der Mythos des genialen Entwerfers, der aus Quellen schöpft, die Normalsterblichen nicht zugänglich sind, soll etwas gelüftet werden in diesem Versuch, die Tätigkeit des Entwerfens rational zugänglich zu machen. Die Tatsache, dass es nicht möglich ist, allgemeingültige Entwurfsmethoden zu formulieren (der moderne Mensch auf der Suche nach dem Stein der Weisen bzw. der Weltformel, die alles erklärt oder der Datenbank, die alle Kommunikationsprobleme lösen könnte), sollte uns nicht abhalten, über die Grenzen nachzudenken, innerhalb derer sich entwurfliches Denken bewegen kann.

Wie entstehen Ideen?
Die erste Frage, die sich beim Nachdenken über die Tätigkeit des Entwerfens stellt lautet: Woher kommen unsere Ideen, unsere Einfälle? Eine Idee zu haben erleben wir immer wieder als einen unverdientes Glück: heureka! Uns fällt etwas ein! Aber wir kennen wir auch die Sorge, dass uns vielleicht nichts mehr einfallen könnte. Deshalb die Frage: woher kommt das gefallen, was uns einfällt? In welchem Raum entsteht eine Idee, wie geschieht das, wie gelangt sie in unser Bewußtsein? Der physische Raum in dem Ideen geboren werden ist, banal gesagt, unser Kopf. Interessant ist diese Feststellung vor allem im Gegensatz zum mittelalterlichen Bild der von Gott (bzw. in der Antike von den Musen) gegebenen Inspiration. Schon weniger banal ist es zu sagen, Ideen entstehen, wenn unser Gehirn bewußte und unbewußte Erinnerungen zu einem neuen Gedanken verknüpft.

Daraus folgen zwei neue Fragen: 1. Wie kommen Erinnerungen in unser Gedächtnis? und 2. Wie verknüpfen wir diese zu neuen Ideen? Auf die erste Frage gibt es einen breiten Fächer von Antworten, die von individueller Sensibilität, Wahrnehmungsfähigkeit über soziale und kulturelle Prägung bis hin zu traumatischen Erfahrungen von allem sprechen, was mit Wahrnehmung im weitesten Sinne zu tun hat. Die Frage aber, wie wir eigentlich denken, wird in unserer Kultur (und vor allem in der Architektenausbildung) weitgehend vernachlässigt, in einer Art und Weise, die man fast als Tabuisierung bezeichnen möchte. Es wird zwar ausführlich über die Ergebnisse von Denkarbeit diskutiert und geurteilt, das Denken selbst , die Art und Weise wie man Gedanken entwickelt, bleibt unausgesprochen. Warum? Geht es darum, das eigene Genie vor kritischen Fragen zu schützen? Die Idee als gottgegebene Inspiration zu mystifizieren?

Otl Aicher schreibt dazu: „wir betrachten in unserem selbstverständniss unser denken als angeboren, als naturzustand. in wirklichkeit ist unser denken ein produkt der erziehung und der kultur in der wir leben. wir denken so wie die zeit es uns lehrt."(1) Dabei ist es ganz zuerst das Denken!, unsere Mentalität, die Art und Weise wie wir die Welt und die Dinge sehen, die bestimmen, in welche Richtung, in welchen Räumen unsere Arbeit sich bewegt. In diesem Zusammenhang ist insbesondere auf die Schriften von Edward de Bono hinzuweisen. Er hat in seinem Buch "Lateral Thinking"(2) den Gegensatz von logischem und intuitiv-kreativem Denken beschrieben: Die linke Gehirnhälfte, über kreuz gekoppelt mit der rechten Hand ist es, in der das sprachliche, logische (logos, das Wort) lineare Denken lokalisiert ist. In der rechten Gehirnhälfte, mit der linken Hand verbunden, ist das bildhafte, analoge, das Denken in Proportionen, Bezugsfeldern, das intuitiv-kreative Denken beheimatet. Von Aldo Rossi wird berichtet, dass er sich das Zeichnen mit der linken Hand beigebracht hat, um seine kreatives Denken zu stimulieren. Auch ist zu beobachten, dass überdurchschnittlich viele Architekten Linkshänder sind. Ausgehend von der empirischen Beobachtung von Denkprozessen und -strukturen hat De Bono und vom "Brainstorming" über "Water Logic" bis zu den "Six Thinking Hats" eine Menge von Denkmechanismen beschrieben und entwickelt, die als eine Grundschule des Denkens bezeichnet werden können.

Annäherung an die Wirklichkeit
In einer immer vielschichtiger und undurchschaubarer werdenden Welt nimmt auch die Komplexität unserer Gebäude und damit unserer Entwurfsaufgaben beängstigende Dimensionen an. Man erinnere sich an die seitenlangen Listen von Beurteilungskiterien die manchen Wettbewerbsausschreibungen beigelegt werden, an die Größe heutiger Bauvorhaben, die Planungsteams mit achtzig oder mehr Beteiligten in verschiedensten Funktionen (und Mentalitäten) erforderlich machen, oder auch an die Vielzahl unterschiedlicher Firmen, die heute auf einer Baustelle tätig sind.

Die im Nachfolgenden beschriebenen Sechs Werkzeuge des Entwerfens repräsentieren zugleich auch wesentliche Bereiche unserer Welt in der Arbeit des Entwerfers, und stellen somit für die Lösung bestimmter Fragestellungen die jeweils adaequaten Instrumente zur Verfügung. Ihre Beschreibung ist ein Versuch, das Bewußtsein zu schärfen für die Notwendigkeit, alle diese Werkzeuge gezielt und im richtigen Moment einzusetzen, die Frage der Architektur nicht auf Grundriss, Ansicht und Schnitt im Masstab 1:100 oder 1:200 zu reduzieren, sondern darüber nachzudenken, welche Probleme wann und in welchem Medium bearbeitet und gelöst werden können, "... da kein Medium Sinn oder Sein aus sich allein hat, sondern nur aus der ständigen Wechselwirkung mit anderen Medien." wie Marshall McLuhan in seinem Buch "Understanding Media" formuliert. Umgekehrt ermöglicht diese Sehweise, viele der beider Entwurfsarbeit auftretenden Hindernisse so umzumünzen, dass sie das eigene Entwerfen nicht nur anregen sondern auch begründen helfen; eine Strategie, die Álvaro Siza weit entwickelt hat.

Jeder Entwerfer ist vom Wunsch geleitet, Entscheidungen möglichst spät zu fällen, um eine große Menge von Informationen in die Entscheidung einfliessen lassen zu können. Entwürfe werden in der Regel lange vor ihrer Realisierung ausgearbeitet, bleiben sozusagen solange Theorie, bis sie in ein konkretes Gebäude umgesetzt sind. Dabei ist die größte Schwierigkeit, zu begreifen was das Entworfene in Wirklichkeit bedeutet, ob es denn auch als fertiges Gebäude gut sein wird was wir da planen, ob es unseren Absichten, Wünschen Notwendigkeiten und Gefühlen entspricht. Die Arbeit des Entwerfens ist also zugleich eine mühselige, schrittweise Annäherung an die konkrete Wirklichkeit: vom großen in den kleinen Masstab, vom Abstrakten ausgehend immer konkreter werdend. Wie weit man dabei gehen kann zeigt das von Hajo Neiss vorgestellte Beispiel eines städtebaulichen Konzeptes, dessen großmaßstäbliche Planung umgehend vor Ort visualisiert wurde.

1. Beobachtung
Das erste zu beschreibende Instrument ist zugleich der erste und grundlegende Schritt jeder Entwurfsarbeit: die Beobachtung, die man als Individuum, als einzelner, auf seine individuelle Sensibilität angewiesener Mensch macht. Sensibilität ist die Vorraussetzung, um überhaupt etwas wahrnehmen zu können. Wahrnehmung als Realitätsbezug, Bezug zur konkreten Welt, aber auch die Wahrnehmung des gerade Entworfenen, die Fähigkeit, zu beurteilen, was das in der Wirklichkeit bedeutet, was wir uns gerade ausgedacht haben, mit allen Sinnen eine Ort, eine Situation, ein Gebäude, aber auch ein Projekt in den unterschiedlichsten Entwicklungsphasen wahrzunehmen. Hier ist der Beginn der Erfahrung, die Leon Battista Alberti als wesentliche Grundlage für die Ausübung des Architektenberufes bezeichnet. Erfahrung, die wir sorgfältig sammeln müssen. Die Summe der von uns wahrgenommenen architektonischen Situationen bildet den Fundus der Erinnerungen, aus dem wir beim Entwerfen schöpfen, die Quelle unserer Inspiration. Erfahrung in Kombination mit Phantasie ermöglicht die Entwicklung unserer Vorstellungskraft.

Zwei Jahre vor seinem Tod notiert Le Corbusier in eines seiner berühmten Hefte: "La clef, c'est: regarder... regarder, observer, voir, imaginer, inventer, creer."(4) ("Der Schlüssel, das ist: zu sehen... sehen, beobachten, schauen, sich eine Vorstellung machen, erfinden, erschaffen." übers. d.V.). Das Sehen ist eine Denk-Leistung unseres Gehirns: das Bild, das auf unsere Netzhaut fällt, steht auf den Kopf. Aber wir sehen unsere Umgebung "richtig herum". Die empfangenen Lichtreize werden erst in unserem Kopf zu den Bildern verarbeitet, die wir wahrnehmen. Wir sehen die Welt also nicht mit unseren Augen, sondern mit dem Gehirn, denn unsere Augen sind alleine nicht in der Lage, emfangene Lichtreize zu sinnvollen Bildern zu ordnen. In dieser Arbeit des Ordnens liegt aber auch eine Quelle von Fehlern, die uns allen als optische Täuschung bekannt sind. Die Frage "Wie sehen wir?" führt uns also wieder zurück zur eingangs gestellten Frage "Wie denken wir?" Wie können wir einen eigenen Blick auf die Dinge entwickeln? Skizzenbuch, Fotoapparat, Maßband...

2. Skizze
Hiermit sind wir beim zweiten Instrument: der Skizze, die von bildenden Künstlern in der
Regel Zeichnung genannt wird, während Architekten unterscheiden zwischen der präzisen, mit Lineal und Dreieck (bzw. Computer) hergestellten Zeichnung und der mit freier Hand ausgeführten Skizze. Wenn wir (klassischerweise mit einem weichen Bleistift) vor einem leeren Blatt Papier sitzen wird uns die radikale und bodenlose Freiheit dieser kreativen Geste in manchen Momenten schockhaft bewußt in der Frage: wo soll ich denn anfangen? Im Skizzieren sehen viele Entwerfer den grundlegenden kreativen Akt. Josef Beuys hat darauf hingewiesen, dass das Skizzieren als Ausdrucksform durchaus nicht speziell ausgebildeten Fachleuten vorbehalten ist, sondern eine allgemein menschliche Geste: von den Kinderzeichnungen angefangen bis hin zu der Skizze die wir machen, um jemandem den Weg zum Bahnhof zu beschreiben.(5)

Das Skizzieren des Entwerfers unterscheidet sich trotzdem grundlegend vom Zeichnen des Künstlers, wenn dieser mit dem Ziel arbeitet, eine im klassischen Sinne gelungene Skizze anzufertigen: dem Entwerfer geht es vielmehr darum, Ideen zu entwickeln, auszuprobieren, Varianten zu bilden, die Freiheit des leeren Blattes als Lebens- und Denkraum zu erobern. Die Ästhetik der dabei entstehenden Skizzen bleibt zweitrangig. Es ist erstaunlich, wie viel Mühe im Architekturstudium darauf verwendet wird, künstlerisches Zeichnen zu lernen, mit riesigen Skizzenblöcken werden Stadt und Land unsicher gemacht und man lernt, mit weichem Bleistift so etwas wie impressionistische Gemälde anzufertigen. Es wird aber selten darüber gesprochen, was es heisst, den Bleistift als Mittel zur Entwicklung der eigenen Gedanken zu verwenden, und was es bedeutet, statt des Bleistiftes einen Kugelschreiber oder einen Satz bunte Filzstifte zu benutzen.

Die Skizze kann helfen, spielerischen Umgang mit Formen zu lernen, insbesondere auch das räumliche Denken zu trainieren. Sie ist das erste Mittel zu Entwicklung der Vorstellungskraft! Sie ermöglicht viel leichter als eine exakte Zeichnung, Stimmungen und Atmosphäre wiederzugeben. Als Mittel der Beobachtung, genauso wie es unsere Aufmerksamkeit erhöht, wenn wir bei einem Vortrag mitschreiben, schärft das Skizzieren unseren Blick, wenn wir eine räumliche Situation beobachten. Selbst solch ein großer Technik-Verehrer wie Le Corbusier bestand darauf, dass man die Arbeit des Sehens nicht einer Maschine, einem Fotoapparat, überlassen dürfe.

In seinem Buch "Lateral Thinking" weist Edward de Bono darauf hin, dass das Skizzieren hilft, vom logisch-analytischen Denken auf intuitiv-gestalterisches Denken "umzuschalten"(6) De Bono beschreibt das Skizzieren als ein Werkzeug, das in besonderem Masse geeignet ist, das intuitive-kreative Denken in Gang zu setzen und zu stimulieren. Alvar Aalto erläutert seine Entwurfsweise fast analog zu der von De Bono aufgestellten These: er beschäftigt sich zuerst intensiv mit den Anforderungen der Aufgabenstellung, um dann wieder Abstand zu nehmen und malend oder skizzierend eine Lösung zu finden. (7)

In einem Gespräch mit Francesco de Hollanda sagt Michelangelo: "Das Zeichnen (man kann das Wort in diesem Zusammenhang auch mit Skizzieren übersetzen. d.V.), das man mit anderen Worten auch Entwerfen nennt, ist Quelle und Inbegriff der Malerei, der Bildhauerei, der Baukunst und jeder anderen Art des Malens. Es ist die Wurzel jeder Wissenschaft. (Interessant wie weit Michelangelo hier geht, aber wenn man sich seine anatomischen Studien oder Leonardo da Vincis Skizzenbücher vergegenwärtigt, versteht man was er meint! d.V.) Wer diese große Kunst beherrscht, möge erkennen daß ihm eine unvergleichliche Macht untertan ist. Er wird Gestalten schaffen können, die größer sind als irgendein Turm dieser Welt. Er kann sie in Farben entwerfen oder aus einem Block herausmeißeln. Jede Mauer und jede Wand wird seiner weitgreifenden Phantasie zu eng sein. Er kann nach altitalienischer Art mit allen Farbmischungen und Farbtönen die dazu gehören al fresco malen. Er wird in Öl in zarten Tönen mit mehr Wissen, Kühnheit und Geduld zu malen verstehen als die meisten Künstler. Endlich wird der Zeichner auch mit einem Stück Pergament so Vollkommenes und Bedeutendes wie in allen anderen Gestaltungsarten leisten."(8) Die Sprengkraft des Entwerfens, die Michelangelo hier betont, läßt sich auch in den Texten Otl Aichers wiederfinden. (...)

3. Zeichnung
Die Zeichnung als das dritte und sozusagen klassische Werkzeug des Entwerfens dient der mathematische Abstraktion: Entwerfen heisst Geometrisieren! Die mathematisch-präzise Repräsentation des Projektes, die Zeichnung als die "Sprache des Ingenieurs" ist zweckbestimmt, kein Gemälde. Sie ist der erste Schritt zur Konkretisierung einer Idee, unterstützt das überprüfen der Maße und Massen, der Proportionen, das Herstellen von geometrischen Zusammenhängen. Die Idee wird objektiviert und mit rationalen Argumenten kritisierbar, daher ist die Zeichnung das beliebeste akademische Medium, der klassischen Beaux-Arts-Tradition verpflichtet. Ihr Nachteil ist ein hoher Abstraktionsgrad, räumliche Zusammenhänge sind nur schwer zu erkennen. Le Corbusier hat unter der überschrift "L'Illusion des Plans"(9) in "Vers une Architecture" auf diese Problematik hingewiesen.

Das Entwerfen mittels Zeichnungen, Grundrissen, Ansichten, Schnitten, kann zu einem übergewicht grafischer Gesetzmäßigkeiten führen, Plangrafik wird dann schnell zu einem Argument wenn es um architektonische Entscheidungen geht. Aber grafische und räumliche Gesetzmäßigkeiten stimmen nur selten und zufällig überein. "Sind die Zeichnung und das Projekt dasselbe?" fragt der portugiesiche Künstler Joaquim Vieira, Lehrer an der Architekturfakultät Porto, um dann aufzuzeigen, wie viel das eine vom anderen unterscheidet.(10)

4. Modell
Das räumliche Experiment des Modells soll als viertes Werkzeug beschrieben werden. Beim Modellbau sind wir dem Bauarbeiter, dem Zimmermann, dem Maurer: kurz gesagt dem Bauen am nächsten. Modellbau ist Denken mit den Händen, ist fast schon konkretes Machen. Ein Modell kann präzise und rational sein wie eine Zeichnung, aber auch schnell und unverbindlich wie eine Skizze: "Sketch Model" ist ein treffender Ausdruck dafür. Als Konkretisierung, als Probehandlung ist es der Realität um eine Dimension näher als die Zeichnung. Es führt zu konkreteren Repräsentationsformen des Projektes. Günter Behnisch hat darauf hingewiesen, wie sehr das Material, aus dem wir unsere Modelle bauen, unser Entwerfen beeinflußt. Die Frage nach dem Medium stellt sich hier also wiederum auf einer anderen Ebene, jedes Material hat seine eigene Masstäblichkeit, begünstigt gewisse Formen und macht andere schwierig. Arbeitsmodelle, aus billigen, leicht zu bearbeitenden Materialien, nur punktuell zusammengeheftet um neue Ideen schnell ausprobieren zu können, räumliche Zusammenhänge zu klären. Das Modell hat seine eigene Magie: vom Spielzeug bis zu Götterstatuen und künstlerischen Skulpturen sind wir von Modellen umgeben. Der übergang vom Modellbau zum konkreten Bauen ist fließend, die Baustelle kann als Modell im Maßstab 1:1 verstanden werden, andererseits sind Materialmuster und 1:1 Mock-Ups bereits Teil der Baustelle.

Das Modell erlaubt Experimente, spielerische, aber auch wissenschaftliche: zu erwähnen wären hier die Hängemodelle von Antonio Gaudi genauso wie die von Frei Otto, die Wirkungsweise und Tragfähigkeit einer Konstruktion lässt sich genauso gut beobachten wie Lichtverhältnisse oder sogar die Akustik eines Raumes. Frank Gehry berichtet, wie er für den Entwurf eines Konzertsaals ein Holzmodell im Maßstab 1:10 anfertigen liess, um akustische Messungen durchzuführen. Otl Aicher hat darauf ingewiesen, dass das Modell, sowohl in konkreten als auch im übertragenen Sinne des Gedankenmodells zum grundlegenden Arbeitsmittel der Wissenschaft geworden ist, und damit die mathematische Formel abgelöst hat. (11)

5. Berechnung
Damit sind wir beim fünften Entwurfswerkzeug, der Berechnung. Sie erschließt die wissenschaftliche und kaufmännische Welt, den rationalen Bereich. Der Ingenieur und Wissenschaftler nutzt sie genauso wie der Kaufmann, und dieser hat oft das letzte Wort, wenn es um die Realisierng eines Projektes geht. Aber bereits ganz zu Beginn einer Entwurfsarbeit, zum Beispiel bei einem Wettbewerb ist das Nachrechnen des Raumprogramms eine wichtige Aufgabe. Proportionen, Kennwerte wie Geschoßflächenzahl, Dimensionierungen der Statik, Bauphysik, Haustechnik etc. sind ohne dieses Mittel nicht möglich. Später geht es dann um das Budget, die Baukosten, ein wirklich unromantisches Thema, das bei den Architekten wenig beliebt ist . Aber das ist die brutale Realität, mit der wir ständig zu kämpfen haben. Ein Bereich, der im Laufe der Entwicklung eines Projektes mehr und mehr an Bedeutung gewinnt, und an dem wahrscheinlich immer noch die meisten Projekte scheitern, mit dem lapidaren Argument: "Es rechnet sich nicht".

Entwerfer müssen besser rechnen lernen! Nicht nur, um die uns von den Ingenieuren vorgelegten Berechnugen prüfen zu können, sondern um qualifiziert eine Diskussion der Frage führen zu können: Welche Faktoren werden in eine Rechnung einbezogen? Und was ist nicht in Zahlen fassbar? Wir treffen hier oft auf eine Arroganz der Künstler-Architekten, die ihren Gegenpart in den Bauherren findet, die ausser den Zahlen auf ihrem Konto sonst nichts interessiert.

6. Gespräch
Das Gespräch schließlich als sechstes und in dieser Aufzählung letztes Entwurfsinstrument vermittelt die gesellschaftliche Einbindung sowohl des Entwurfes wie auch des Entwerfers. Hier erlebt sich der Architekt als Intellektueller, vom Juristen bis zum Philosophen. Ein gutes Gespräch, zum Beispiel beim einem Essen, kann für die gedankliche Arbeit sehr anregend sein, oft ist es der Moment in dem Ideen entstehen. Das Gespräch vermittelt die gesellschaftliche Einbindung des Projektes, es ist das Werkzeug, das es uns erlaubt, die soziale Dimension von Architektur zu erfassen, Architektur als intersubjektive Kunst zu praktzieren, was aber nicht heissen kann, dass beim Entwerfen und Bauen die persönlichen Gefühle des einzelnen, des Entwerfers wie des Benutzers eines Bauwerkes, außer Betracht bleiben könnten.

Der Verfasser erinnert sich, wie sehr er in den ersten Jahren seiner Berufstätigkeit überrascht war über den großen Anteil des Verbalen an der alltäglichen Arbeit des Architekten. Diskussionen im Büro, Besprechungen und Sitzungen mit den verschiedensten Projektbeteiligten, Telefonate, Briefe, Protokolle und Vertäge zu formulieren machen einen großen Teil der Arbeit aus. Diskussion über Architektur, öffentliche und interne, im Freundes- und Kollegenkreis genauso wie an der Hochschule oder Akademie und bis hin zur offiziellen Architekturkritik sind ein wesentlicher Bestandteil der Arbeit, und es gilt, ihr kreatives Potential zu erkennen und für den Entwurf zu nutzen. Als Instrument der Reflexion steht es zugleich in direktem Gegensatz zum konkreten Bauen

Gebrauch der Werkzeuge
Was bedeutet es, zu entwerfen? Entwerfen zu Unterrichten? Es geht im Grunde genommen um die Integration aller Disziplinen in einem Projekt, Disziplinen die auch an den Hochschulen als spezialisierte, separierte Fächer gelehrt werden. Das Fach Entwerfen hat also die Aufgabe, die Integration, das Zusammenspiel der gegensätzlichen Faktoren, die Komplexität unserer Welt zu vermitteln. Die Entwurfsarbeit beginnt in der Regel mit einem Gespräch: der Auftragserteilung. Wichtig ist, in diesem Moment zu begreifen, dass dieser Akt schon Teil der Entwurfsarbeit ist. In diesem Gespräch entstehen die ersten Ideen, werden Paradigmen formuliert, wird der Raum ausgelotet, in dem der Entwurf entstehen kann. Darauf folgt das Studieren der Entwurfsaufgabe, das Wahrnehmen des Ortes, an dem ein Gebäude entstehen soll, die ersten Skizzen, Zeichnungen, ein kleines Modell, dann wieder Skizzen, weil man am Modell etwas Neues gesehen hat. Es entstehen Regelkreise, in der vorgegebenen Reihenfolge, in größer werdenden Masstäben, übergehend vom Entwerfen zur Planung und Bauausführung.

Der Unterschied vom Entwerfen (und Planen) als "etwas in die Zukunft projizieren" zum Bauen, d.h. an der konkreten Wirklichkeit arbeiten ist groß, wird aber gerade in der Entwurfsausbildung sehr vernachlässigt. Es gibt den Moment, wo wir aufhören "Projekt" zu denken und vom Gebäude zu sprechen beginnen. Gerade im akademischen Umfeld wird die für die Realisierung eines Gebäudes erforderliche gestalterische Arbeit dieser Phase oft vernachlässigt. Bei vielen Gebäuden hat man heute das Gefühl, die Architekten haben nur bis zu einem bestimmten Maßstab gedacht, und dann mit dem Gestalten aufgehört und das Projekt einer "bewußtlosen" Realisierungsmaschinerie von Ingenieuren, Bauleitern und Firmen übergeben, die den Planungsstand, ohne weiter nachzudenken, "auf einen Schlag" sozusagen automatisch in ein konkretes Gebilde umgesetzt hat. Es entstehen Gebäude, die wie vergrößerte Entwurfszeichnungen oder aufgeblasene Wettbewerbsmodelle wirken, sie bleiben abstrakt und leblos, unwirklich und ohne den Einfluss konkreter Erfahrung, weil die gestalterische Arbeit jenseits des Entwerfens: das Bauen! von den Entwurfsverfassern nicht geleistet wurde.

Idealisierend könnte man den Entwurfsprozess auf zwei gegensätzliche Weisen beschreiben: Als eine spiralförmige Bewegung, die alle Entwicklungsschritte eines Projektes in logischer Abfolge mit den genannten sechs Werkzeugen bearbeitet, die auf diese Weise zu so etwas wie sechs Instanzen werden, mit denen das Projekt konfrontiert wird. Aufgrund der Vielzahl der miteinander verflochtenen Fragen wünscht man sich andererseits, möglichst viele Aspekte eines Entwurfes simultan bearbeiten zu können.

Spiralförmig
Der Versuch, mit Arbeitsschritten in logischer Abfolge zu arbeiten, ist mehr dem ingenieurmäßigen Entwickeln als dem intuitiven Entwerfen zugeordnet. Ein Beispiel für diese Arbeitsweise ist die Teamarbeit, wie sie Konrad Wachsmann im Rahmen der Salzburger Sommerakademien eingesetzt hat(12): "Es handelt sich dabei grundsätzlich um ein System von Teamarbeit, in dem in einer Kombination von Grundkurs, Studien und Forschungen, durch direkte Experimente und daraus folgende Entwicklungsarbeiten an einem gemeinsam gewählten Problem gearbeitet wird." Das Team, idealerweise aus 18 bis 24 Mitgliedern, ist in Arbeitsgruppen zu je drei Teilnehmern gegliedert. "Im Wechselspiel zwischen gesuchter Information, den Versuchen im Laboratorium, der kontinuierlichen Fortsetzung der Entwicklungsarbeit am Modell und Reisbrett und den internen Diskussionen untereinander drückt sich das Prinzip der Arbeitstechnik der Einzelgruppe aus." Jede Gruppe bearbeitet eine Aufgabenstellung für eine bestimmte Zeit, um dann das Ergebniss dem Team vorzustellen und darüber zu diskutieren. Nach der Diskussion wird die Aufgabe zur Weiterbearbeitung an die nächste Gruppe weitergereicht, bis jede Gruppe jedes Thema unter den jeweils eigenen Gesichtspunkten bearbeitet hat. Danach wird das Arbeitsergebnis zur Präsentation aufgearbeitet.

Rein rechnerisch ergeben sich aus der Multiplikation von sechs bis sieben Maßstäben mit den sechs beschriebenen Entwurfswerkzeugen in Kombination mit den "Six Thinking Hats" von Edward De Bono 6*6*6=216 Möglichkeiten, ein Entwurfsproblem zu bearbeiten. Bei jeder Fragestellung ist also zu überlegen, in welchem Medium bzw. in welcher Kombination von Medien am besten gearbeitet werden kann. Marshall McLuhan schreibt dazu: "Die Gelehrten sind sich heute ihres Widerspruchs, zwischen ihren Methoden, Gegenstände zu behandeln, und den Gegenständen selbst, genau bewußt. (...) Sie sagen oft, daß ihr Vorgehen zwar linear sein müsse, der Gegenstand es aber nicht sei. (...) alles besteht gemeinsam und steht gleichzeitig und gegenseitig in Wechselwirkung zueinander. (...) die ganze Botschaft wird dann immer wieder entlang der Kurven einer konzentrischen Spirale mit sichtbarer Redundanz verfolgt und weiterverfolgt. (...) die konzentrischen Form mit ihrem endlosen Ineinandergreifen von Ebenen ist für die Einsicht notwendig. In Wirklichkeit ist sie die Technik der Einsicht, die als solche zum Studium der Medien notwendig ist, da kein Medium Sinn oder Sein aus sich allein hat, sondern nur aus der ständigen Wechselwirkung mit anderen Medien."(13) Auch Luigi Snozzi hat in anderem Zusammenhang auf das Entwerfen als Instrument der Erkenntnis hingewiesen. (...)

Simultan
Die andere Idealvorstellung des Entwerfens wäre, möglichst viele Aspekte eines Entwurfes simultan bearbeiten zu können. Sie liegt aufgrund der vielfältigen sich sich gegenseitig bedingenden Anforderungen nahe, findet aber ihre natürliche Grenze in unserer sehr begrenzten Fähigkeit, mehrere Dinge gleichzeitig tun oder denken zu können. Die oben beschriebene synoptische Arbeitsweise von Alvar Aalto kommt diesem Ideal vielleicht am nächsten. Je nach Entwerfer, je nach Entwurfsaufgabe wird die Gewichtung und Handhabung der Instrumente eine andere sein. In der Praxis wird sich eine Mischung von simultanen und spiralförmigen Abfolgen einstellen, die sich in kleinere und größere Steuerungs- oder Regelkreise untergliedern. Schließlich ist dem Zufall, der spontanen Idee eine nicht zu unterschätzende Rolle zugeschreiben.

Die Frage nach den Konsquenzen gestalterischer Entscheidungen wird im "Sakutei-Ki", dem "Geheimen Buch der japanischen Gärten", einem Manuskript vom Ende des 12. Jahrhunderts über die japanische Gartenkunst, mit erschreckender Deutlichkeit formuliert: "Si vous violez cet interdit, les malheurs ne s'interrompent pas et détruiront votre famille." "Si vous violez cet interdit, un malheur frappera votre decendence et des trésors vous échapperont." "Si vous violez cet interdit, votre fille deviendra malheureuse."(14) Trotz aller wissenschaftlichen und künstlerischen Möglichkeiten ist der Entwerfer letzten Endes auf den altmodischen Begriff der Weisheit zurückgeworfen. (...) Andererseits wird hier die Fähigkeit des Entwerfens als grundlegend menschliche Tätigkeit, als Basisqualifikation des Lebens erkennbar.

Vilém Flusser formulierte die These, das in der Informationsgesellschaft das Entwerfen immer mehr an Bedeutung gewinnt. Da die konkrete Arbeit weitgehend von Maschinen ausgeführt wird, verschiebt sich menschliche Tätigkeit immer mehr in den Bereich des Entwerfens, worin sich neue Freiheiten eröffnen: "Dann nämlich beginnen wir uns, -in flüchtigen Momenten der Einsicht- aus der Untertänigkeit ins Entwerfen aufzurichten, in vollem Bewußtsein der Tatsache, wie unbequem, gefährlich und wenig versprechend das Abenteuer ist, auf das wir uns einlassen müssen."(15)

Ähnliche Gedanken finden wir bei Otl Aicher: "wir müssen unsere zivilisation als eine selbstentworfene neue welt verstehen. wir müssen, wo wir uns nicht der anpassung überlassen, das heutige leben als einen entwurf vestehen. wir haben nach sinn und zweck zu fragen, nach funktion und gebrauch in einem umfassenden, nicht nur auf einzelne produkte bezogenen sinn. nicht mehr die abstrakte, begriffliche wahrheit ist unser problem, sondern die richtigkeit, der hergestellte richtige sachverhalt, der erstellte lebensraum. wir müsen vom denken zum machen übergehen und am machen neu denken lernen."(16)

 

 

Anmerkungen

(1) Otl Aicher: "analog und digital" Berlin: Ernst & Sohn 1991, S. 188

(2) Edward de Bono: "Lateral Thinking" London 1970, zitiert nach der Ausgabe der Penguin Books 1990, S 25 ff.

(3) Marshall McLuhan: "Understanding Media", Toronto 1964, zitiert nach der 2. Auflage der deutschen Ausgabe, Verlag der Kunst, Dresden - Basel 1995, S. 50

(4) Le Corbusier, Carnet T 70, Nr. 1038, 18.8.63, zitiert nach Pierre-Alain Croset: "Occi che vedono", Casabella Nr. 531-532, Milano 1987

(5) Volker Harlan: "Was ist Kunst? Werkstattgespräch mit Beuys", Stuttgart: Urachhaus 1986, zitiert nach der vierten Auflage 1992, S. 31

(6) Edward de Bono, a.a.O. S.100 ff.

(7) Alvar Aalto: "La truite et le torrent" Domus, Milano 1947, zitiert nach "Alvar Aalto, de l'oeuvre aux écrits", Éditions du Centre Pompidou, Paris 1988, S.158 ff.

(8) Michelangelo Buonarrotti, nach Francesco de Hollanda: "Vier Gespräche über die Malerei zu Rom 1538", zitiert nach Originaltext mit übersetzung, Einleitung, Beilagen und Erläuterungen von Joaquim de Vasconcellos, Wien 1899

(9) Le Corbusier: "Vers une Architecture" Paris 1923, zitiert nach der Ausgabe der Librairie Arthaud, Paris 1984, S. 141 ff.

(10) Joaquim Vieira: "O Desenho e o Projecto S± o o Mesmo?" Porto 1995, S. 38 ff.

(11) Otl Aicher: a.a.O.

(12) Konrad Wachsmann: "Wendepunkt im Bauen" Wiesbaden: Otto Krausskopf, 1959; 2. Aufl. Stuttgart: DVA, 1989, S. 204 ff.

(13) Marshall McLuhan, a.a.O., S. 49, 50

(14) Pierre et Susanne Rambach: "Le livre secret des jardins japonais – Commentaires du Sakutei-Ki" Genf: Albert Skira, 1973, S. 193, 194, 196

(15) Vilem Flusser: "Vom Subjekt zum Projekt" Bensheim und Düsseldorf: Bollmann 1994, S. 27

(16) Otl Aicher: a.a.O. S. 76

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