Thema
4. Jg., Heft 1
April 1999

Martin Pfeiffer

Entwerfen in EDV-gestützten nachhaltigen Architekturprozessen

Entwerfen

Entwerfen heute, als virtueller, medialer und realer Planungs- und Bauprozeß, strebt ganzheitliche und nachhaltige städtebauliche sowie gebäudeplanerische Architekturkonzepte an. Der zukünftige Planungs- und Bauprozeß vollzieht sich nicht mehr konventionell linear sondern komplex iterativ- integral. ( Abb. 1)

Architektonische Qualitäts- und Wertschöpfungsprozesse bedürfen heute mehr denn je komplexer Entwurfsansätze, -methoden, -prozesse, -beteiligungsstrukturen und –ziele. Integrale Planungs- und Bauprozesse waren und müssen wieder originäre Architektenleistungen werden, um im offensichtlich wandelnden Berufsbild der Architekten bestehen zu können. (Abb. 2)

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Nachhaltigkeit
Inhalt der Schlußdokumente der „Erdkonferenz" in Rio de Janeiro 1992, die auch die Bundesregierung unterschrieben hat ist: „Nachhaltige Entwicklung ist ein neues Leitbild: Ziel ist ein tragfähiger Weg, die Bedürfnisse der hier und heute lebenden Menschen zu befriedigen, ohne in anderen Erdteilen oder in Zukunft lebenden Generationen in ihren Chancen zu beschneiden".
Nachhaltige Stadtentwicklung strebt dabei die Gleichrangigkeit von ökologischen, sozialen und ökonomischen Zielen an. Die Möglichkeiten die Stadt und insbesondere ihre Beziehungen zum Umland bzw. zur Umwelt im globalen Sinne ökologischer, ökonomischer und sozialer zu entwerfen, sind (noch) nicht ausgeschöpft. Folgt man Carl Fingerhuth, so würde eine neue Gedankenwelt auch eine neue Formensprache für die „Gestalt der nachhaltigen Stadt" mit sich bringen. Die Uneinheitlichkeit der Formensprache beweist jedoch: keinesfalls kristallisiert sich hieraus schon ein geschlossenes – meines Erachtens dringend erforderliches – neues gesellschaftliches Leitbild heraus. Dieses würde sich dann auch in einer neuen, breit akzeptierten Stadtgestalt und –ästhetik widerspiegeln.
Die zentralen Forderungen der Nachhaltigkeitsdebatte, nämlich (technische) Effizienz und Suffiziens (anderes Verhalten und teilweiser Verzicht auf Umweltinanspruchnahme) bedeuten doch eine Architektur der Funktion und Bescheidenheit. In den Stadtgrundrissen wird eine nachhaltige Stadtentwicklung sicherlich auf Dichte, Mischung und andere viel zitierte Begriffe (Wiederbelebung und Erhaltung der Kernstädte, Regionalstadt usw.) abzielen. (Abb. 3)

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Nachhaltige Gebäudeentwürfe basieren ebenfalls auf den Leitbildern des ressourcensparendem, umweltschonendem und nutzergerechtem Bauen. Dabei sind rechtliche Grundlagen, wirtschaftliche Rahmenbedingungen, Einwirkung baulicher Tätigkeiten auf die natürlichen Ressourcen, nachhaltige Bauwerksplanung sowie das Umwelt- und Qualitätsmanagement auf der Baustelle und im Unternehmen von besonderer Bedeutung (Abb. 4)

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Architekturprozess
Dies bedeutet für Architekten und alle Planungsbeteiligten veränderte Leistungsbilder, -in- halte, - honorierungen, -beteiligungsstrukturen – normen und –richtlinien, kurz gesagt neue Kompetenzen und Kompetenznachweise. (Abb. 5)

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Neben dem klassischen Leistungsbild von Grundlagen- und Entwurfsphasen bis zur Herstellung und Dokumentation von Neu- und Altbauten treten in Vernetzung Lebenszyklusbetrachtungen in kaufmännischen, infrastrukturellen und technischen Bereichen von Gebäuden bis zur Rückführung in Wertstoffkreisläufe stärker ins Interesse von Immobilienbesitzern, -betreibern und –nutzern, der Gesellschaft, Umwelt sowie ihren Sachwaltern den Architekturschaffenden. (Abb. 6)

 

EDV-Instrumente
Mit dem Entwurfswerkzeug EDV haben wir Architekten Instrumente von der computergestützten Grundlagenermittlung, d.h. Informations- und Datenerfassung, Simulation, über die virtuelle und mediale CAD-Entwurfsarbeit, EDV-Gebäüdesystemtechnik bis zur CAFM-Gebäudebewirtschaftung um nachhaltige reale Planungs-, Bau-, Bewirtschaftungs- und Rückführungsleistungen für Gebäude leisten zu können.
Auf der Grundlage von Informations- und Kommunikationsträgern wie Gebäudedatenbanken als Projektmodule können alle alphanumerischen und graphischen Gebäudedaten erfasst, simuliert, entworfen, verwaltet, gesteuert und geregelt, neudeutsch „gemanagt" werden. Ziel für Städtebau, Neu- und Altbauten ist damit ein Werkzeug für die Optimierung von Architektur-, Umwelt-, Ökonomie und Nutzeraspekten. Nachhaltiges Entwerfen heißt ein riesiges Markpotential zu erschließen um nicht weiter, polemisch gesprochen, „auf die ersten drei Leistungsphasen der HOAI" beschränkt zu werden, sowie von „Entwurfs-Ahnungslosen" sogenannten Gebäudemannagern (FM-Manager usw.) und anderen Ingenieurbranchen den Bauherren gegenüber aus der Kompetenz für ganzheitliches Entwerfen entbunden zu werden. (Abb. 7)

Entwurfsgerechtes Facility Management
Unter dem Begriff Facility Management versteht man das umfassende Instrument zur Unterstützung von kaufmännischen, infrastrukturellen und technischen Aktivitäten zwischen entwurflicher und baulicher Konzeption bis zum Abriß von Gebäuden oder anderen baulichen Anlagen (Abb. 8)
Facility Management (FM) bezieht sich auf den kompletten Lebenszyklus eines Gebäudes, beginnend mit der Projektentwicklung, der Planung und der Erstellung des Gebäudes, sich fortsetzend mit dem Betreiben, Nutzen o.ä. und endet mit der Rückführung in den Wertstoffkreislauf. Dabei werden alle anfallenden Aufgaben und Prozesse nicht separat betrachtet, sondern im Sinne der Nachhaltigkeit entworfen.
Ein Gebäude in seinem gesamten Lebenszyklus – und nicht nur in der Planungs- und Bauphase- eröffnet Architekten die große Chance im Folgenden mit notwendigen Planungs- und Bauprozessen über den Gebäudelebenszyklus beauftragt zu werden. Diese Kontinuität in der Planung ermöglicht ein durchgehendes Qualitätsmanagement für das Gebäude, dessen Eigentümer, Betreiber und Nutzer. Dies hat sowohl positive Wirkung auf die Wertschöpfungskette des Gebäudes als auch eine Verlängerung der Wertschöpfungskette für Architekten zur Folge. (Abb. 9)
Ziel von FM ist, bei Planung, Bau, Nutzung, Sanierung und Abriß von Gebäuden den Nutzen zu mehren und den Aufwand zu verringern. Dieses zentrale Ziel von FM ist deckungsgleich mit den entwurflichen Zielen der Nachhaltigen Architektur.
Architekten sind sicherlich weit mehr berufen und qualifiziert FM als Ganzes kompetent zu leisten als viele andere sog. FM-Manager mit der Kompetenz für Teilbereiche. Architekt sein heißt nicht nur Gebäude entwerfen, sondern diese auch richtig zu planen und deren Bau umfassend koordinieren und leiten zu können bis zur Instandhaltung, -setzung, Modernisierung und insbesondere Bewirtschaftung. Die Aufgaben des FM sind sehr verwandt mit den originären Architektenaufgaben uns stellen ein riesiges Marktpotential dar, - die Kompetenz der Architekten mit dem höchstem Leistungsgrad- , dem entwurfsgerechten FM gilt es zu erarbeiten und zu beweisen. Die klassische Architektentätigkeit wird dadurch verändert und erweitert, so wird die DIN 18960, die die Betriebskosten von Gebäuden zum Inhalt hat, gegenüber der DIN 276, die die Entstehungskosten betrachtet, immer wichtiger werden und bei der Beurteilung von Architektenleistungen eine größere Rolle spielen.
Architekten waren in der Historie und sind es zum großen Teil noch heute Generallisten, aus diesem Gedanken heraus ist es nur konsequent entwurfsgerechtes FM im Berufsbild, der Aus-, Fort- und Weiterbildung von Architekten zu sehen. „Entwerfen bis ins Detail" kann und sollte auch als umfassende Werk- und Dienstleistung bei ganzheitlichen Gebäude-betrachtungen verstanden werden (Abb. 10)
Der breite Einsatz von EDV-gestütztem, entwurfsgerechtem FM durch Architekten ist künftig bei großen Gebäuden, Liegenschaften und der Stadtentwicklung unverzichtbar. Der Einsatz von CAFM Systemen gekoppelt mit dem Entwerfen im Planungsprozess dient dabei zur Datenerfassung, -bewertung, -regelung und –steuerung. Sofern mit der Verbreitung von FM-Systemen auch die Schnittstellenstandardisierung insbesondere zum Entwerfen einhergeht, ist neben der Gebäudebewirtschaftung auch für den Planungs- und Bauprozess selbst eine künftig effizientere Nutzung von Planungsdaten zu erwarten. Planungsdokumente werden dann als Datenbank (EDV-Projektmodul) nur noch einmal integral und interdisziplinär angefertigt aber mehrfach genutzt.
FM ist nicht nur die Nutzung von EDV sondern basiert auf der Erarbeitung eines Konzeptes, insbesondere des Entwurfskonzepts, das mit Hilfe von Managementmethoden die verschieden Abläufe und Aktivitäten vor, innerhalb und nach dem Gebäude integriert. Die Betrachtung isolierter Lösungsansätze schöpft bei weitem die zukünftigen Möglichkeiten von FM nicht aus.
Die Herausforderung für die Architektenschaft besteht darin daß sie die durch das nachhaltige Entwerfen auf das FM und damit verbundenen Leistungen nicht als Einschränkung betrachten sondern sich ihrer geradezu als Argumente im Bemühen um Entwurfsqualität bedienen.

Was ist denn nun Entwerfen?
Entwerfen fürs nächste Jahrtausend heißt deshalb für mich, die vorhandenen Werkzeuge in-telligent zu nutzen, komplexe Städtebau- und Gebäudekonzepte erfordern ganzheitliche Entwurfstools, -methoden, -prozesse, -beteiligungsstrukturen und –ziele, da Architektur als Ganzes bekanntlich mehr als die Summe seiner Teils ist. Wenn wir nicht nur von Gebautem sondern von Architektur vor dem Hintergrund des schwindenden Neubaus, dafür steigenden Altbau- und nachhaltigen Entwicklungsaufgaben sprechen, sollten wir Architekten als Steuermänner/-frauen (griech. Kybernetis) uns kompetent diese Stellung wieder zurückerobern, denn globale Akzeptanz und architektonische Qualität stehen im skizzierten Wandel.
Dieser geleistete Beitrag zur aktuellen, grundsätzlichen Frage: Was ist Entwerfen?, gibt keine Patentantworten, sondern zeigt, das der dargestellte Weg ein Ziel für Entwerfer/-innen sein Kann im wandelnden Berufs-, Aufgaben und Leistungsbild der Architekten. Denn ist nicht die architektonische Realität eine Bewegung, die Gegensätze einschließt Innerhalb dieser Gegensätze eine Ordnung zu entdecken und dieser Ordnung virtuell, medial und real eine Gestalt zu entwerfen, das war, ist und wird unsere originäre Architektenaufgabe sein und beantwortet für mich die Frage nach dem Entwerfen aus meiner Sicht. (Abb. 11)
Eine aktuelle Forschungsarbeit mit dem Thema: „Nachhaltiger Sanierungsprozeß" interdisziplinär an der Fachhochschule Hannover, unter Leitung des Autors sowie zweier Kollegen aus dem Maschinenbau und dem Bauingenieurwesen, gefördert durch die EU (EFRE) und das Land Niedersachsen (MWK), ist zu der dargestellten Thematik in Bearbeitung. (Abb. 12)

Literatur:

Ulrich Elwert, Das Leistungsbild des FM aus der Sicht der HOAI, DAB 11/97

Elwert, Haack, Meyer zu Allendorf, Pfeiffer, Pfennig, Weidemann, FM... oder was?, DBZ 11/97

Martin Pfeiffer, Kybernetische Sanierung, bausubstanz 3/94

Martin Pfeiffer, Ökologiekonzepte für Bürogebäude, das bauzentrum 4/94

Martin Pfeiffer, Prozeßmanagement für Architekten, DAB 9/101998, Region Niedersachsen

Martin Pfeiffer, Facility Management, in: Niedrigenergiehäuser, Forum Verlag 1999

Pfeiffer, Nordmann, Zapke: Nachhaltiges Sanierungskonzept, Zwischenbericht

Forschungsarbeit, Hannover/Nienburg 1999

Harmut Potreck, FM – Hoffnungsträger in einer schlechten Baukonjunktur ?, DAB 11/98

 

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