Thema
4. Jg., Heft 1
Mai 1999

Gottfried Schlüter

Die Bändigung des Entwerfers

1. Drei Sichtweisen auf Architektur.

Bevor einige Überlegungen zu dem Thema 'Entwerfen' angestellt werden, lassen Sie mich zuvor drei Sichtweisen auf das skizzieren, was gemeinhin unter dem Begriff Architektur verstanden wird. Die zugegeben holzschnittartige Betrachtungsweise läßt tiefgreifende Bewertungsunterschiede aufzeigen, die es gerechtfertig erscheinen lassen den Gebrauch dieses Begriffs drei unterschiedlichen Welten zuordnen:

Welt eins- die architekturale Welt.
Im Mittelpunkt der architekturalen Welt steht die Frage nach den Bestimmungsfaktoren architektonischer Qualität. Orte dieser Diskurse können sein: Architekturhochschulen, -zeitschriften oder -ausstellungen, zu denen sich Architektursammlungen und vermehrt Architekturmuseen gesellen. Die Gegenstände mit denen diese erste Welt anfüllt wird, sind sowohl virtuelle Architekturen - etwa in Form von Papierarchitekturen - oder auch in der körperlichen Welt bestehende Gebäude; hier findet all das Platz, was sich über einen gewissen Durchschnitt von Erdachtem oder tatsächlich Gebautem erhebt.
Die Auswahl dieser Gegenstände erfolgt jedoch nicht etwa, weil sie differenzierten Qualitätsmaßstäben genügen, oder weil sich an ihnen Maßstäbe herausbilden ließen, sondern einfach deshalb, weil sie von aufmerksamen Beobachtern für erwähnenswert gehalten werden.
Debatten, angesiedelt zwischen philosophischem Ernst und erheiternder Privatmythologie, entwickeln sich spontan, eher zufällig, ohne dass verbindliche Motive, Leitlinien, etc. erkennbar werden.
Eine Klärung dessen, was der Begriff Qualität in der Architektur bedeutet, rückt in weite Ferne, je mehr darüber debattiert wird. Der Verbrauch an Begriffen überrascht und schon morgen ließe sich fragen: in der wievielten Moderne leben wir heute?
Für gewöhnlich bezeichnet 'das' Entwerfen in diesem Zusammenhang den Beginn eines Prozesses an dessen Ende - wie von selbst - das körperliche Bauwerk auftaucht. Doch ist eigentlich das Ende diese Vorgangs, das Entstehen eines physisch erlebbaren Bauwerks, von untergeordneter Bedeutung: an die Stelle des Gebauten tritt ohne weiteres die Fotografie, die Zeichnung, der Plott oder der Screen. Architektur droht sich in bedeutungsvoller Beziehungslosigkeit zu verlieren.
Dieser Begriff von 'Entwerfen' ist damit streng zu trennen von zweckhafter Planung, als Vorstufe zur Produktion physisch erlebbarer Wirklichkeit.

 

Welt zwei- die Welt der Bauproduktion.
Die Welt der Bauproduktion bildet das komplementäre Gegenstück zur architekturalen Welt. In ihr findet all das statt, was nicht oder nur selten durch den architekturalen Diskurs erfaßt wird, wohl aber mit Gebäudeproduktion - unter die zuweilen auch Architekturstücke geraten können - zu schaffen hat. Es sind somit die Dinge und Sachverhalte, die bewußt oder unbewußt aus der oben skizzierten Architekturbetrachtung verdrängt werden.
Im Gegensatz zur Freizügigkeit der ersten Welt herrscht hier eine regel- und prozeßorientierte Zweckrationalität vor, die von technischen und wirtschaftlichen Anforderungen dominiert wird.
Den hier vorgefundenen Anforderungen lassen sich kaum die heroischen Eigenschaften zuschreiben, die Gropius oder LeCorbusier in der Ingenieurtechnik zu erkennen glaubten und in der Gestalt von Silo oder Dampfboot verklärten. Welt zwei ist geprägt durch eine überaus gewöhnliche Rationalität, die dem Weg fortschrittlicher Technik folgend, zu beständiger Optimierung und Spezialisierung des Herstellungsprozesses tendiert. Anders als die erste Moderne glaubte, schlägt sich dieser Prozeß weder in technischem Design (Glas oder Stahl), noch in ungeschminkten Waschbeton-Fassaden nieder: Modernisierung als Prozeß bleibt unsichtbar.
Hervorzuheben ist ein zweiter Charakterzug: Die zunehmende Ökonomisierung des Planungs- und Baugeschehens, wie sie sich beispielhaft in der Erfindung neuer Akteure widerspiegelt: Wer kannte vor 20 Jahren den Investor, Developer oder Projektmanager? Kurz und gut: ein Stück Architektur ist immer zugleich eine Immobilie, die es unter Ausschöpfung rationalisierungswirksamer Potentiale wirtschaftlich herzustellen gilt.

 

Welt drei- die Welt des Durchschnittsmenschen.
Der Architekturkritiker Manfred Sack stellt zutreffend fest: Für das Bildungsgut des Durchschnittsbürgers spielt der Begriff Architektur eine dürftige Rolle (1). Architektur ist eine Vergangenheitsleistung, Baukunst nicht mehr als eine Urlaubsetappe.
Dies wundert nicht. Wie sollte sich der durchschnittliche Zeitgenosse kundig machen? Zeigt sich die mit vielen Worten aufgefüllte Urteilsarmut der architekturalen Welt nicht in der Lage verläßliche Begriffe zu vermitteln.
Möglicherweise war den Bemühungen von Architekten ihr Anliegen - welches auch immer - dem durchschnittlichen Zeitgenossen vorzustellen gerade deshalb geringer Erfolg beschieden, da es an einer sinnstiftenden Verständigungsebene mangelt.
Freilich, diese dritte Welt nimmt Ursachen und Wirkweisen der Bauproduktion nur fragmentarisch zur Kenntnis. Vermittelnd und vorbildprägend greifen hier die Bausparkassen, der Immobilienmarkt der Lokalzeitung oder die alljährliche Mietzinserhöhung ein. Für den Verkauf von Immobilien als Architektur braucht offenkundig die Strategie nicht geändert zu werden.
Es darf unterstellt werden: Die Erwartungen des Durchschnittsmenschen an das was Architektur zu leisten vermag, sind außerordentlich gering. Im gegenteiligen Fall, so ließe sich vermuten, nähme architektonische Gestaltung Einfluß auf die Immobilienpreisbildung. Dieser Sachverhalt, ließ sich bis heute nicht zuverlässig nachweisen.
Für die Teilnehmer von Welt drei fällt die gebaute Umwelt entweder als Ärgernis oder als freudiges Ereignis vom Himmel; ihr Entstehen wird von Lichtgestalten oder finsteren Mächten regiert. Widerstand zwecklos?

 

2. Beruf: Entwerfer?
Die scheinbar unvermittelbaren Gegensätze zwischen Bauproduktion und Architektur, Geschäft und Kultur, unkundigem Publikum und Künstler, sind Mythen, die das Berufsbild des 'modernen' europäischen Architekten hervorgebracht haben und denen es bis in die Gegenwart verhaftet bleibt.
a) Der Freie Architekt, zu Beginn des Jahrhunderts als Privatarchitekt bezeichnet, ist ein relativ junger Beruf: 1903 wurde mit dem Bund deutscher Architekten (BDA) der erste Verband unabhängiger Architekten gegründet, um einen in Gefahr geglaubten Begriff von Baukunst zu retten: Beherrscht werde das Baugeschehen von einem 'kalten Geschäftssinn' des 'rücksichtslosen Unternehmertums', einem 'bedrohlicherweise anwachsenden Baubeamtentum', sowie von Heerscharen künstlerischer Dilettanten aus dem 'Reich niederer Fachschulen'. Dass es dem BDA dabei von Anfang an auch um die Auftragslage der Standesgenossen ging, wird im Gründungsmanifest nicht verschwiegen (2).
Die BDA - Architekten postulieren das Ideal des akademisch gebildeten, selbständig tätigen und künstlerisch schaffenden Architekten. Über das akademische Studium hinaus hat er zugleich 'nennenswerte künstlerische Leistungen' nachzuweisen. Seine Integrität beruht im Wesentlichen auf seiner unabhängigen wirtschaftlichen Stellung - eine gewerbsmäßige Tätigkeit schließt die Mitgliedschaft im BDA aus (3).
In Anlehnung an die Standesvertretungen von Medizinern und Juristen wird durch den BDA um 1916 die Einrichtung von Architektenkammern gefordert, womit zugleich ein wirksamer Schutz der Berufsbezeichnung Architekt oder 'Bauanwalt' verbunden werden soll (4). Die Erfüllung der Forderung nach einem Zusammenschluß aller Architekten in berufsständischen Kammern wird erst 50 Jahre später erreicht; in Nordrhein-Westfalen wurde eine Architektenkammer 1970 eingerichtet (5).
Dabei konnte die 1933/34 zwangsweise vorgenommene Eingliederung von Architekten in die Reichskulturkammer dem Ideal des BDA-Architekten insofern nicht entsprechen, da der freie Beruf gegen eine staatlich-ideologische Bindung eingetauscht wurde (6). Die Zusicherung die Planvorlageberechtigung ausschließlich auf Reichskulturkammer-Architekten zu beschränken, erwies sich als trügerisch; bereits kurze Zeit später wurde dieses Recht auf Drängen der Bauwirtschaft aufgehoben (7).
Der Versuch, die Berufsbezeichnung ausschließlich auf freiberuflich Tätige zu beschränken, wird mit den gegenwärtigen Architektengesetzen ebensowenig erreicht, wie die Vereinheitlichung der beruflicher Qualifikation: Nach einer zwei- bis dreijährigen Praxiszeit, steht der Zugang zu den Kammern gleichermaßen Absolventen von Kunsthochschulen, Universitäten oder Fachhochschulen offen. Über die sogenannten Genieparagraphen der Architektengesetze wird Autodidakten der Weg in die Kammern geöffnet (8).
Nicht zu erreichen war ebenfalls die Sicherung des Entwurfsmonopols über die Bauordnungen der Länder. Gleichberechtigt verfügen in allen Bundesländern auch Bauingenieure über die Befugnis als 'Entwurfsverfasser' aufzutreten (9).
Von einem Beruf des 'Entwerfers' kann damit sowenig ausgegangen werden, wie von einer umfassenden Verantwortung 'der' Architekten für die gebaute Umwelt: deutlich weniger als die Hälfte der Bauproduktion der Bundesrepublik wird unter ihrer Beteiligung errichtet (10).

b) Die Forderung nach einer, von Bauherr, wie ausführenden Unternehmen, unabhängigen Stellung bezeichnet die Konfliktfelder, in denen sich auch heute architektonisches Entwerfen entfaltet.
Das zentrale Problem scheint nun darin zu liegen, dass die Tätigkeit des Architekten untrennbar mit einem unbestimmten Begriff von 'Baukunst', 'baukünstlerischer' oder 'gestaltender Planung', wie es die gegenwärtige Architektengesetze nennen, verbunden bleibt (11). Da zuverlässige Maßstäbe bei der Auslegung dieser Begriffe nicht bereitstehen (etwa aus der Verfügungsmasse von Welt eins), muß die Tätigkeit des Architekten seinen Zeitgenossen in diesem Punkt unverständlich bleiben.
Kompliziert wird die Situation damit, dass ein schwer bestimmbares Ideal von der 'Universalität' des Architekten - wohl ein Nebenprodukt des Kunstanspruchs - nicht aufgegeben wird: Der Architekt ist, wie Poelzig es auf dem Bundestag des BDA 1931 formulierte, niemals Spezialist (12). Die Architektengesetze erheben dieses diffuse Bekenntnis zur 'Universalität' zur Berufspflicht: die Planung hat technisch und wirtschaftlich sicher (13), ökologisch und sozial zu sein (14). Doch wie ließe sich ohne fundierte betriebwirtschaftliche Kenntnis 'Wirtschaftlichkeit' ermitteln, wie ohne ingenieurwissenschaftliche Ausbildung 'technisch sicher' bauen? Was meint 'ökologische' Planung? In welcher Hinsicht kann ein langlebiges Produkt wie eine Gebäude überhaupt 'sozial' sein?
Die in vielerlei Hinsicht dunklen und unklaren Vorstellungen über Aufgabe, Stellung und Leistung des Architekten, die sich nicht auf 'das' Entwerfen beschränken lassen, sind freilich nicht ohne sein Zutun entstanden: Paradoxer Weise haben sich 'die' Architekten passiv verhalten, wenn es darum ging, ihre Leistung im Hinblick auf Welt zwei und drei zu konkretisieren.

 

3. Rechtliche Normativität und Entwerfen
Verfehlt wäre es jedoch, von einem 'Vakuum' auszugehen, in dem der Architekt entwerfend agiert. Insbesondere mit dem Abschmelzen von Konventionen im Baugeschehen bliebe es vielfach der Rechtsprechung überlassen, die Aufgaben des Architekten normativ zu umreißen.
Von den am Baugeschehen Beteiligten ist in der Bundesrepublik der Architekt die Person, die am häufigsten vor Gericht steht. Dieser unbefriedigende Umstand läßt sich nicht ausschließlich auf mangelhafte Leistungen zurückzuführen; er beruht auch auf einer umfassenden, vielfach falsch verstandenen Verantwortlichkeit, auf Sorglosigkeit und nicht zuletzt auf geldwerten Vorteilen, die der Architekt 'seinem' Bauherren bietet: Er stellt als letzter Beteiligter eine Rechnung und verfügt im Gegensatz zu den ausführenden Unternehmern über eine Haftpflichtversicherung.
Die Rechtsprechung hat in den vergangenen dreißig Jahren hinreichend Gelegenheit gefunden die Pflichten und die Grenzen der Architektentätigkeit in zahllosen Urteilen zu präzisieren.

 

der Architekt - die Baubehörden
Der Architekt ist nicht Anwalt optischen oder gestalterischen Allgemeinwohls: Die Aufgabe durch Auslegung einschlägiger Vorschriften das öffentliche Interesse zu wahren, kommt abschließend den staatlichen Bauaufsichtsbehörden zu. Dabei kennen alle Landesbauordnungen gesetzliche Verunstaltungsverbote (15): eine Verunstaltung ist nach Auslegung des Bundesverwaltungsgerichts eine häßlicher, das ästhetische Empfinden des Betrachters nicht allein beeinträchtigender, sondern vielmehr verletzender Zustand (16). Abzustellen ist dabei nicht auf das Expertenurteil, d.h. das Geschmacksempfinden des Architekten, sondern auf den gebildeten, der Sache gegenüber aufgeschlossenen Durchschnittsbetrachter.
Wie Bachmann in seiner Untersuchung über 'Verhandlungen (mit) der Bauverwaltung' nachweist, reicht es dabei für den Architekten nicht aus, einschlägige gesetzliche Regelungen zu kennen und zu beachten. Die vielfach über das Maß des gesetzlich Erlaubten hinaus reichenden Eingriffe des 'Baubeamtentums' in die Planung erfordern es, selbst bei einfach gelagerten Sachverhalten in umfangreiche Verhandlungen mit den Behörden zu treten. Dem Architekten, der seine Interessen und die des Bauherren durchsetzen will, wird in der Praxis erhebliches 'kaufmännisches Verhandlungsgeschick' abverlangt werden (17).

 

der Architekt - der Bauherr
Der Architekt schuldet ein 'geistiges Werk'. Gegenstand seines ausschließlich erfolgsbezogenen Werkvertrags ist das 'Entstehenlassen eines mangelfreien Bauwerks'; wobei er durch zahlreiche Einzeltätigkeiten eine genehmigungsfähige, technisch und wirtschaftlich einwandfreie Planung zu verfertigen, die am Baugeschehen Beteiligten zu koordinieren und den Bauablauf zu überwachen hat (17a).
Noch in den 60er Jahren wurde ihm deshalb die Rolle eines 'Bauanwaltes' zugebilligt, der die Interessen seines Bauherren umfassend vertritt (18). Dieses Aufgabenverständnis ist zu revidieren: Er gilt seit den 70er Jahren nunmehr als 'Sachwalter' des Bauherren (19). Die von den Standesvertretungen gepflegte Vorstellung, es handle sich um einen 'unabhängigen' Bauherrenvertreter, geht insofern fehl, da der Architekt in seiner Rechtsstellung als weisungsgebundener Werkunternehmer eben dem Bauunternehmer gleicht, der gegenüber Dritten als Erfüllungsgehilfe des Bauherren tätig wird (20).
Folgerichtig verfügt der Architekt - anders als bis vor einigen Jahren in der juristischen Literatur vermutet - über keinerlei 'originäre' Vollmacht rechtsgeschäftliche Handlungen für den Bauherren vorzunehmen (21). Entgegen manchen Gepflogenheiten der Praxis bleibt er in vollem Umfang weisungsgebunden, sofern vertragliche Regelungen nichts anderes bestimmen.

Der in gestalterischen Dingen unerfahrene Bauherr ist dabei grundsätzlich nicht verpflichtet sich dem ästhetischen Willen des Architekten unterzuordnen; vielmehr hat sich dieser den Wünschen des Bauherren zu fügen (22). Eine Kündigung durch den Architekten, etwa wegen gestalterischer Differenzen, ist aufgrund der zu erwartenden Sanktionen außerordentlich risikoreich (23). Ein wichtiger Kündigungsgrund wird i.d.R. auch dann nicht anzunehmen sein, wenn der Bauherr sich in herabsetzender Weise über die Qualitäten des Entwurfs äußert (24).

Daß sich Konventionen im Baugeschehen, also in Welt zwei geändert haben, zeichnet sich z.B. darin ab, dass anders als noch zu Beginn der 70er Jahre, im Fall eines mündlich erteilten Auftrags nicht die notwendigerweise vollständige Planung - von der ersten Skizze bis zum Zeitpunkt der Fertigstellung - übertragen wird; regelmäßig ist von einem beschränkten Auftragsumfang auszugehen (25).

Gegenüber künstlerischen und gestalterischen Ambitionen zeigt sich die Rechtsprechung unnachgiebig: Dem Architekten wird die Verpflichtung auferlegt, im Zweifelsfall 'stets den sicheren Weg' zu wählen, indem die Planung an den technischen und wirtschaftlichen Interessen des Bauherren, sowie an den Maßgaben der Behörden zu auszurichten ist: Unter diesem Gesichtspunkt unnötige, die Belange des Bauherren beeinträchtigende, Risiken sind strikt zu vermeiden (26).

Ohne weitreichende Befugnisse und Vollmacht hat der Architekt dabei die zunehmend spezialisierteren Teilnehmer des Planungs- und Bauprozesses zu koordinieren. Unterläuft ihm bei der Bearbeitung seines Auftrags ein Fehler, hat er den Bauherren von seiner eigenen Haftungsmöglichkeit in Kenntnis zu setzen; kommt er dieser Verpflichtung nicht nach, verlängert sich seine Haftung auf dreißig Jahre (28).

Diese kurze, für die Architekten keineswegs erfreulichen Skizze, läßt erkennen, dass dessen Aufgabe kaum dem Ideal eines in Welt eins beheimateten Baukünstlers entsprechen kann; unter dem Aspekt juristischer Normativität ist er fest in Welt zwei beheimatet.
Zugewiesen ist ihm weder die Rolle eines 'Dirigenten im Orchester', noch ist sein Stern im Sinken begriffen: Die zunehmend präziser geschnittenen Maßstäbe, an denen er sich messen lassen muß, fördern eine 'natürliche' Spezialisierung zu Tage: 'Architektur-Designer', 'Wirtschaftlichkeitsarchitekt', 'Bauausführungsarchitekt', 'Bauherrenvertreter auf Zeit', 'Büromanager' etc.
Doch wie ließe sich diese Entwicklung mit dem Ideal des 'Generalisten vom Bau' in Übereinstimmung bringen?

 

4. Entscheidungslogische Normativität und Entwerfen.
a) Die Honorarordnung für Architekten und Ingenieure liefert mit § 15 HOAI ein von dem Baubetriebswirtschaftler Pfarr entwickeltes Planungs- und Entscheidungsmodell. Der Planungsvorgang wird in neun aufeinanderfolgende Schritte, sog. Phasen, gegliedert, die sich zu drei übergreifenden Abschnitten zusammenfassen lassen (29): Von der ersten Skizze bis zur Genehmigung, von der ausführungsreifen Planung bis zur Vergabe der Bauleistung und schließlich von der Bauüberwachung bis zur Objektbetreuung. Bei diesem sog. Leistungsbild handelt es sich nicht um eine Gebrauchsanleitung zum Thema sachgerechtes Entwerfen; die Honorarordnung legt vielmehr nur einen Vergütungsmaßstab fest: jeder der drei Abschnitte umfaßt ca. ein Drittel des Gesamthonorars.
Soll der Entwurf als derjenige gelten, der sich in Wettbewerbszeichnungen oder - modellen widerspiegelt und der in etwa der Sonderform des studentischen Entwerfens entspricht, dann umfaßt dieser Begriff von Entwerfen in der Entscheidungslogik aufeinander aufbauender Phasen etwa ein Zehntel des gesamten Leistungsumfangs.

b) Bei einem Plan handelt es sich nicht um ein 'abstraktes Gebilde', sondern vielmehr um einen Beitrag zur Lösung der Aufgabenstellung (30). Es ist zu fordern, dass mit den ersten Strichen bereits die wesentlichen technischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Anforderungen aus der Bauaufgabe erfüllbar sein müssen. Das planende Entwerfen wäre somit eine überwiegend synthetisierende Tätigkeit.
Entsprechend der formalen Entscheidungslogik wird die anfängliche Entscheidungsfreiheit sukzessive - jedoch irreversibel - eingeschränkt. Aufgrund einer Vielzahl zu erfüllender Anforderungen wird es notwendig, bereits zu einem recht frühen Zeitpunkt das Ende des Planungsvorgangs gewissermaßen mitdenken zu müssen. Der Entwurf in diesem Sinne ist also nicht die Lösung einer Bauaufgabe, sondern vielmehr ein Versprechen, auf dessen Grundlage die Aufgabe gelöst werden kann. In den darauf folgenden Arbeitsschritten werden die jeweiligen Zwischenergebnisse bis zur ausführungsreifen Lösung beständig weiter interpretiert.
Einen Wendepunkt bildet dabei die Ausführung des körperlichen Bauwerks als Nachvollzug der im Ausführungsplan vorweggenommenen Lösung.

c) Die Forderung mit dem so verstandenen Entwerfen zur Lösung einer 'konkreten' Aufgabe beizutragen, erweitert diesen Entwurfsbegriff um eine Komponente: Die Kommunikation zwischen den Beteiligten. Dies betrifft etwa die Formulierung der Aufgabenstellung, ihre Veränderung in Abstimmung mit dem Bauherren, die Absegnung der Entwurfsschritte, die Koordinierung der beteiligten Ingenieure, die Abstimmung mit den einschlägigen Behörden usw.. Verfehlt wäre es davon auszugehen 'das' Entwerfen entbehre apriori jeder Art von Kommunikation. Freilich ist diese Form des Kommunizierens kein herrschafts- und zweckfreier Diskurs, wie er u.U. aus Sicht von Welt eins und drei wünschenswert erscheinen mag. Kommunikation ist vielmehr ein notwendiger Bestandteil der, auf ein Ergebnis hin ausgerichteten, durch irreversible Entscheidungen gegliederten Prozeßstruktur.

 

4. Annäherung an das Entwerfen
Die Zweckgebundenheit von Architektur tritt nicht allein in seinem Ergebnis zutage, indem das körperliche Bauwerk vorgegebenen Zwecken zu dienen hat. Die Zielstrukturen von Welt zwei, also der Welt der Bauproduktion, bestimmen maßgeblich den Vorgang planenden Entwerfens.
In welchem Umfang sich der Entwerfer in der Lage sieht Einschätzungen, Auffassungen und Anforderungen der am Baugeschehen Beteiligten zu beeinflussen, ist nicht abstrakt, sondern im Einzelfall zu bestimmen. Von einer originären Herrschaft über den Planungsprozeß ist aufgrund entgegenstehender rechtlicher Normativität nicht auszugehen.
Entwerfen bezeichnet insofern eine Kunst des Machbaren.
Entwerfen in dem oben skizzierten Sinn ist die Verfertigung eines Versprechens, auf dessen Grundlage eine Lösung der Aufgabe möglich sein soll. In welchem Umfang und in welchem Maße dieses Versprechen Verbindlichkeit erlangt, können Bauherr und Architekt frei vereinbaren. Wird eine Vereinbarung nicht getroffen, greifen die normativ von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze.
Die daraus resultierende Komplexität des Entwerfens wird aus Sicht von Welt eins, d.h. durch den architekturalen Diskurs, in der Regel unvollständig wahrgenommen.
Entwerfen in diesem Sinn meint: Die Balance zwischen Festlegung und erforderlicher Offenheit den Prozesses zu halten.

Im Unterschied zu einem grafischen Entwurf erfordert das architektonische Entwerfen das Ende des Planungsvorgangs vorauszudenken. M.a.W. der Entwurf als 'geistiges Werk' ist nicht identisch mit der Entwurfszeichnung als Darstellung des Entwurfs. Die Zeichnung oder das Modell übernimmt dabei zwei Aufgaben: Als materialisiertes Zwischenergebnis des Prozesses dienen sie der Entscheidungsfindung über das weitere Vorgehen; in den darauf folgenden Schritten werden sie weiter interpretiert.
Entwerfen in diesen Sinne findet seinen Abschluß notwendigerweise im Zeitpunkt der Materialisierung.

 Anmerkungen:

(1) Sack, M.: Komplimente und Verrisse, Der Architekt, 5/1995, S.270, 271

(2) Bund Deutscher Architekten: Was wir wollen!, Proklamation anläßlich der Gründung des BDA 1903, abgedr. in: Gaber, B.: Die Entwicklung des Berufsstandes der freischaffenden Architekten, Essen 1966, S. 223 - 224

(3) BDA, a.a.O., S. 224

(4) Gaber, B., a.a.O., S.61: Auf dem 13. Bundestag des BDA am 16. 12.1919 in Berlin wurde die Einrichtung eines 'Bauanwaltstandes' im Königreich Sachsen, sowie ein Kammergesetzentwurf des Kammergerichtsrats Böthke erörtert, mit dem u.a. die Berufsbezeichung 'Architekt' geschützt werden sollte.

(5) Architektenkammer Nordrhein-Westfahlen: 1970-1975, Chronik der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf 1975, S.6: Das Architektengesetz (ArchG NW) wurde am 26.11.1969 verabschiedet und trat am 1.4.1970 in Kraft.

(6) Reichskulturkammergesetz v. 22.09.1933 (RGBl. I 1933, S.661), Durchführungsverordnung 1.11.1933 (RGBl. I 1933, S.797), 'Erste Anordnung' des Präsidenten der Reichskulturkammer v. 28.09.1934, abgedr. in: Baugilde 1934, S. 677; zu Gesetzgebungsverfahren und staatlichen Bindungen der Architekten sh. Führ, E.: Was hatten Architekten und Ingenieure für einen Kulturbegriff zur Zeit des 'Dritten' Deutschen Reichs?, in: Kuder, U. (Hrsg.) Architektur und Ingenieurwesen zur Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, Berlin,1997, S. 56 - 57

(7) Ricken, H.: Der Architekt, Stuttgart, 1990, S.100

(8) Die Zugangsvoraussetzungen sind unterschiedlich geregelt: Berlin, Architekten und Baukammergesetz (ABKG), v. 19.07.1994 (GVBl. 1994, S.253): erforderlich ist der Nachweis von 7 Jahren berufspraktischer Tätigkeit, die Vorlage von Planungsunterlagen, weiterhin ist eine 'Prüfung auf Hochschulniveau' abzulegen, § 4 Abs. 2; Baukammergesetz NW (BauKG NW) i.d.F. v. 19.03.1996 (GV NW 1996, S.136): die 'Qualität der Leistungen' ist nachzuweisen; sie wird durch ein Gutachten eines Sachverständigenausschusses bewertet, § 4 Abs.4 ; Architektengesetz M-V (ArchG M-V) v. 12.03.1998 (GS Meckl.-Vorp. GL. Nr.2130-5): Nachweis 10 jähriger praktische Tätigkeit, Vorlage von Planungsunterlagen, sowie und eine theoretische und praktische Prüfung § 5 Abs.6; als einziges Bundesland kennt das Brandenburgische Architektengesetz (BbgArchG) v. 07.04.1997 (GVBl. I S.20) keine entsprechende Regelung, § 7.

(9) Vergl. Bundesingenieurkammer: Systematische Zusammenstellung der Bauvorlageberechtigung, Behandlung der Bauanträge in der Musterbauordnung und den Landesbauordnungen der Länder, Bonn 1998

(10) Feldmann, a.a.O., S.187

(11) z.B. Baukammergesetz NW (BauKG NW) i.d.F. v. 19.03.1995 (GVBl. 1994, S.136): 'Berufsaufgabe der Architektinnen und Architekten ist die gestaltende, technische, wirtschaftliche, ökologische und soziale Planung', § 1 Abs.1; Berliner Architekten und Baukammergesetz (ABKG) v. 19.07.1994 (GVBl. 1994, S.253): 'Berufsaufgabe des Architekten ist die gestaltende, baukünstlerische, technische, ökologische und wirtschaftliche Planung von Bauwerken, Siedlungen und Städte', § 1 Abs.1; Schl.-H. Architekten- und Ingenieurkammergesetz (ArchIngKG) i.d.F. v. 12.07.1995 (GVOBl. Schl.-H. S. 213): 'Berufsaufgaben der Architektin (...) sind im Rahmen ihrer Fachrrichtung die künstlerische, technische und wirtschaftliche Planung und Gestaltung von Bauwerken' § 1 Abs.1.

(12) abgedr. in Gaber, B.: a.a.O., S. 228. Zu einem unveränderten Berufsverständnis des Architekten als 'Spezialist fürs Ganze' vergl. von Gerkan, M: Die Verantwortung des Architekten, Stuttgart 1982, S. 176

(13) Vergl. FN 12

(14) Krücker, W.: Zum Qualitätsbegriff in der Architektur, Der Architekt, 3/1986, S. 144, 'Was aber ist architektonische Qualität, wie wir sie immer wieder beschwören ohne je den ernsthaften Versuch zu machen, sie genauer zu beschreiben?'

 

(15) Vergl. § 12 Musterbauordnung (MBO), Abs.1: 'Bauliche Anlagen müssen nach Form, Maßstab, Verhältnis der Baumassen und Bauteile zueinander, Werkstoff und Farbe, so gestaltet sein, daß sie nicht verunstaltet wirken' (Gebäudebezogenes Verunstaltungsverbot); Abs.2: 'Bauliche Anlagen sind mit ihrer Umgebung derartig in Einklang zu bringen, daß sie das Straßenbild, Ortsbild und Landschaftsbild nicht verunstalten oder deren beabsichtigte Gestaltung nicht stören. Auf die erhaltenswerten Eigenarten der Umgebung ist Rücksicht zu nehmen.' (Umgebungsbezogenes Verunstaltungsverbot)

(16) Urteil v. 28.06.1955, BVerwGE 3, S.407, 432

(17) Bachmann, B.: Verhandlungen (mit) der Bauverwaltung, Opladen 1993, S.292 - 315

(17a) Vergl. Locher, H.: Das private Baurecht, München 1993, S.186, Rz.236

(18) Zum Rechts- und Meinungsstand 1973: 'Es entspricht der gewerblichen Verkehrssitte, im Architekten den Treuhänder und Bauanwalt des Bauherren zu sehen.', LG Köln, Urteil v. 16.01.1973, BB 1973, S. 359f

(19) Der BGH lehnt es mittlerweile ab den Architekten als 'Bautreuhänder' zu bezeichnen, BGH Urteil v. 5.11.1981, BauR 1982, S.185

(20) Insofern ist es unzutreffend, wenn noch der Einheitsarchitektenvertrag 1995 von dem Architekten als 'unabhängigem' Sachwalter des Bauherren spricht.

(21) Quack, F.: Die 'originäre' Vollmacht des Architekten, BauR 1995, S. 441ff

(22) BGH, NJW 1971, S. 556

(23) Kündigung aus wichtigem Grund durch den Architekten, z.B. Wirth, A., Theis, S.: Architekt und Bauherr, Essen 1997, S.168

(24) OLG Düsseldorf, Urteil v. 07.07.1994, BauR 1995, S. 267f; BGH Urteil v. 19.06.1989, BauR 1989, S. 626f

(25) zur vormaligen Rechtslage: OLG Köln Urteil v. 08.11.1972, BauR 1973, S. 251f; OLG Düsseldorf, Urteil v. 23.02.1978, BauR 1979, S. 262f; neuere Auffassung: OLG Düsseldorf, Urteil v. 07.11.1978, BauR 1979, S. 347; BGH Urteil v. 04.10.1979, BauR 1980, S. 84

(26) Locher, H.: a.a.O., S. 250 Rz. 250

(28) z.B. Locher, H.: a.a.O., S. 192, Rz. 247

(29) BGH Urteil v. 24.10.1996, BauR 1997, S. 154

(30) Verordnung über die Honorare für Leistungen der Architekten und Ingenieure i.d.F. der Bekanntmachung v. 4.3.1991 (BGBl. I S. 533) zuletzt geändert am 21.09.1995 (BGBl. I S. 1174 / BGBl. I 1996 S.51).

 

Rückmeldungen

Thema Subject Tema