Wie auch jede andere Tätigkeit, ist das
Entwerfen historisch konkret und typologisch vielfältig. Zwei Hauptaufgaben liegen aber
immer dem Entwerfen zugrunde:
Begründung, Lokalisierung und Modellieren der materiellen,
funktionalen, ökonomischen, strukturellen und ästhetischen Werte des künftigen Baues,
Prozesses oder der Erscheinung
Dokumentation und der Arbeitsgang bei der Verwirklichung des Projekts.
Die zweite Aufgabe ist technologisch bedingt. Ihre Lösung hängt von
den technischen Möglichkeiten der Epoche und von der Art der ersten Aufgabe ab.
Die Formulierung und die Lösung der ersten Aufgabe ist nicht nur von
der Eigentümlichkeit des zu entwerfenden Baues und der Schaffenskonzeption der Autoren
des Projekts abhängig, sondern auch von den Besonderheiten des gesellschaftlichen
Epochebewußtseins, der gesellschaftlichen Produktion und Konsumtion. Diese Faktoren (plus
der soziale Auftrag und die individuelle Schaffenskraft) insgesamt konkretisieren die
Typologie des Entwerfens. Seinerseits ist Typologie die Widerspiegelung der
Projektierungsziele. Man kann dann die zwei äußersten (polaren) Zielgruppen, zwischen
denen die ganze Vielfalt der Projektziele untergebracht ist, lokalisieren.
Die erste Zielgruppe strebt danach, die konkreten, meistens
traditionellen Ergebnisse, die schon Analoga haben, zu erreichen. In diesem Fall haben die
Projektierungsaufgaben eine logische, konsequente Lösung aufgrund der offiziellen und
inoffiziellen Normative und Normativvorstellungen. In dieser Art von Lösungen steckt
immer ein üblicher ästhetischer Code, der von der individuellen Schaffensmethode der
Autoren des Projekts fast unabhängig ist. Dieses methodologische Prinzip weist in die
Vergangenheit zurück, als das unpersönliche, «folkloristische» Entwerfen und Bauen
aufgrund der Erfahrungen der Vorgänger vorherrschte. Dem Entwurf zugrunde lag dann ein
Muster, ein historisches Analogon, die traditionellen Vorstellungen. Die äußerst
langsame Entwicklung der produktionsbedingten und sozialen Funktionen, Konstruktionen und
Baustoffe hat die Festigkeit und die Unveränderlichkeit der Bauformen gesichert. Solche
Sachlage schloß die individuelle Projektierung des Künstlers aus und ließ nur zu, auf
den Gebäudetyp hinzuweisen.
Die Individualität des Baues entstand erst im Laufe der Bauarbeiten , auch unter dem
Einfluß der Forderungen und Ansichten des Auftraggebers oder war durch die Landschaft
bedingt und durch anderes mehr. Das «Selbstentwerfen» des Projekts wurde auch durch die
Beschränktheit der architektonischen Typologie erleichtert. Darum beruhte die Technologie
des Entwerfens nicht auf den Zeichnungen, sondern auf den mündlichen und schriftlichen
Wortblöcken oder Modellen. Diese «ungenaue» Wiedergabe der Information ermöglichte die
Entwicklung der architektonischen und konstruktiven Formen. Dadurch wurde die bindende
Wirkung des Nomativen in der ganzen vorindustriellen Kultur und somit auch in der
Architektur überwunden.
Heutzutage, da sich die Architektur immer mehr dem Design annähert und folglich die
traditionelle typologische Stabilität der Formen und Bilder verliert; erhöht sich wieder
die Bedeutung des architektonischen «Selbstentwerfens». Dazu trägt auch die Technologie
des sich schnell entwickelnden Entwerfens mit Hilfe des Computers bei. Die
Computerprogramme erfüllen die Rolle des traditionellen unpersönlichen Algorithmus des
Entwerfens. Die Epoche von CAD kann deswegen nicht in der nächsten Zukunft zum Ende
kommen; sie entwickelt sich immer weiter in Richtung einer größeren Variabilität. Der
soziale Auftrag an die «mechanische» Architektur entspricht der Spezifik des Kapitals
als Auslöser und Stimulans für die meisten Bauarbeiten.
Die entgegengesetzte Gruppe der Projektierungsziele findet man in
konzeptionellen Entwürfen, die den Durchbruch aus dem Bereich der «Entwicklung der
Erfahrung» in den Bereich des «Konstruierens der Zukunft» verwirklichen. Die
Methodologie dieser Entwürfe hat die Eigenschaften einer wissenschaftlichen Untersuchung,
aber mit spekulativ vorgegebenen Ausgangsparametern. Dabei kann ein bestimmtes
funktionales, ingenieur-technisches oder konstruktives Problem besonders hervorgehoben
werden (wobei sie alle miteinander zusammenhängen und aufeinander wirken).
Das konzeptionelle Entwerfen ist der Ausdruck des inneren Bestrebens jeder Epoche, jeder
konkreten Entwicklungsrichtung, den eigenen Rahmen zu überschreiten und in die Sphäre
von neuen schöpferischen Möglichkeiten einzutreten. Diese Richtung des Entwerfens wird
besonders aktuell in Krisezeiten und Übergangsperioden, wenn viele Grundlagen der
Gesellschaft ihren Halt verlieren, oder umgekehrt , in der Zeit des Stillstandes und der
Stagnation, wenn die Suche nach dem Ausgang aus dieser Lage aktiviert wird. Im Vergleich
zu der ersten Zielgruppe, wo die materiellen Faktoren primär sind, tritt in der Gruppe
der konzeptionellen Suche die Idee und die Konzeption hervor. Diese Projektierungsrichtung
meint nicht die obligatorische Umsetzung des Entwurfes. Die Idee selbst und ihre
Darstellung in der graphischen , verbalen oder virtuellen Form sind von eigenem Wert.
Immerhin gibt es in der Geschichte der Architektur einige Beispiele der baulichen
Realisierung von Gebäude-Konzeptionen ( Bauten von B. Fuller, P.-L. Nervi, R. Neitr, K.
Kurokawa, Mies van der Rohe).
Eine besondere Zielgruppe bilden die architektonischen Projekte, die
auf die Suche nach einer neuen Ästhetik oder auf das ästhetische «Kanonisieren» einer
konkreten existierenden Stilrichtung hinzielen. Alle andere Bestandteile des Bauwesens
werden in diesem Fall der ästhetischen Dominante untergeordnet. Diese Art der
konzeptionellen Projektierung liegt in der Regel nahe bei der schöpferischen Suche in den
anderen Kunstarten und garantiert eine neue Synthetisierung der Kulturformen. Unter dem
Einfluß der ästhetischen Konzeption werden die üblichen Formen der «Materialisierung»
der Funktion umgebildet und die Suche nach neuen konstruktiven Möglichkeiten aktiviert.
In dieser Zielgruppe haben die Entwurfskonzeptionen eine selbständige Bedeutung. Allein
ihr Vorhandensein übt schon eine Wirkung auf die Entwicklung der Architektur aus
( Entwürfe von Piranesi, N. Ledoux, I. Leonidov, A. Sant-Elia). Diese Wirkung bringt
nicht so sehr konkrete Formen hervor, als vielmehr die Richtung der Suche nach neuen
Formen und Prinzipien (darunter auch Prinzipien der Projektierung). Aber keine geringere
Bedeutung für die Entwicklung haben Gebäude, die als Demonstration der «reinen»
ästhetischen Konzeption gebaut worden sind (Werke von F. Brunelleski, A. Palladio, Le
Corbusier, F. Johnson, Mies van der Rohe, K. Tange, F. O`Gery, R. Venturi, O. Niemeyer).
Der moderne Entwicklungsstand der Architektur demonstriert die neuen
Möglichkeiten und die neue Rolle der Projektierung. Die bis heute vorherrschende
traditionelle Funktion der Projektierung bestand in der «Materialisierung» der
vorgegebenen idealen Vorstellungen (von historischer Analoga, Ideen des Autors,
Forderungen des Auftraggebers, Forderungen der Norm u.ä.). Das Schaffen von O`Gery, der
die architektonischen dekonstruktivistischen «Skulpturen» mittels des Computers schafft,
beweist die prinzipielle Möglichkeit der Vorrangigkeit der Projektierungstechnologie vor
der Idee des Autors. Der höchste Grad der Kompliziertheit der dreidimensionellen
Komposition ermöglicht nicht ihre Entstehung ausschliesslich durch die kreative
Vorstellung des Autors: nur Computer sind imstande, eine Projektversion auf der Grundlage
des vom Autor und von den objektiven Tatsachen vorgegebenen Algorithmus der Formengebung
herzustellen.
Bei aller Vielfalt der Aufgaben und Formen zeichnet sich die Projektierung durch
Mannigfaltigkeit möglicher Lösungen aus und durch die Unmöglichkeit, ein absolut
objektives Ergebnis zu erreichen. Das ist nicht nur durch die Technologie der
Projektierung, sondern auch durch die Spezifik der Hauptkomponente der Projektierung - der
Architektur - zu erklären. Die Vielseitigkeit der Architektur, nicht eindeutig fixierte
«Ausgangswerte» bringen mit sich die Variabilität der Ergebnisse. Der Relativismus der
Lösungen entsteht direkt infolge der subjektiven Faktoren, eines aktiven axiologischen
Feldes, das jeder Entwurf bis zu seiner Vollendung und danach durchläuft (Wertungen der
Auftraggeber, Experten, Behörden, Kritiker, der öffentlichen Meinung). Es ist deswegen
unmöglich, eine Projektierungsaufgabe vorzugeben, die eine einzige, absolute Lösung zum
Ziel hat.
Somit kann die Projektierung als einer der wichtigsten kulturbildenden Faktoren sowohl
passiv sein (den vorherrschenden kulturellen Formen und Traditionen untergeordnet) als
auch aktiv sein( wobei sie die neuen kulturellen Formen und Traditionen schafft). Die
neuen Projektierungstechnologien bringen neuen Wertungskriterien mit sich. Die Totalität
der neuen Technologien und die Umrwandlung der Projektierung in einen eigenständigen
Tätigkeitsbereich, der auf dem «Förderbandprinzip» und den eigenen
Entwicklungsgesetzen beruht, führt zur Instabilität des axiologischen Feldes und des
ganzen Wertungsystems im architektonischen Bereich. Das führt direkt zur Verwandlung der
Architektur in ein Umweltdesign - in eine dynamische, mobile Sphäre, die zur
Eigenreproduktion und zum Selbstentwerfen fähig ist. Die Voraussetzungen für solch eine
radikale Umwandlung wurzeln sich schon im Inneren des modernen Projektierungsprozesses.