Ein Klick auf das Druckersymbol startet den Druckvorgang des Dokuments Drucken
 
Autor: Adamy, Rudolf
In: Deutsche Bauzeitung - 23 (1889); S.545-551
 
Das Kunsthandwerk und die Architektur im System der Künste
 
Skizze von R. Adamy

Das Kunsthandwerk hatte in der wissenschaftlichen Aesthetik bisher unverdient wenig Beachtung gefunden, wofür das praktische Kunstleben sich um so schwerer an dieser gerächt hat: es hat sie unbeachtet gelassen und ist über sie hinweg geschritten, so dass das Kunsthandwerk sich ohne sie und gar trotz ihrer seinen Weg gebahnt und seine Bedeutung für das allgemeine Leben und die ästhetische Erziehung des Volkes aufs glänzendste dargethan hat. Allein wenn man früher in gebildeten Kreisen jener Katheder-Aethetik zu viel Rechte eingeräumt hatte, so hat man sie in der Gegenwart, dünkt uns, allzu gering geschätzt, und es kann darum als doppelt verdienstvoll gelten, wenn neuere Philosophen von Beruf das Interesse für diese Wissenschaft von neuem erwecken, indem sie den konkreten Erscheinungen unseres gegenwärtigen Kunstlebens ihr Augenmerk wieder zuwenden und, den alten Fehler vermeidend, auch an das Kunsthandwerk in gebührender Weise die Sonde ihrer kritischen Untersuchung legen. In diesem Sinne haben wir die Aesthetik Eduard von  H a r t m a n n's *) als ein erfreuliches Zeichen des Umschwungs der ästhetischen Wissenschaft zu begrüssen, und wenn wir in den folgenden Zeilen auch eine Uebereinstimmung mit wesentlichen Punkten in dem Systeme dieses Philosophen nicht festhalten können, so verliert darum die rühmenswerthe Arbeit nicht an Bedeutung. Unsere Aufmerksamkeit soll sich auf die Stellung des Kunsthandwerks und der Architektur im Systeme der Künste richten, wozu jedoch die Hartmann'sche Aesthetik als neueste Erscheinung auf diesem Gebiete nur die äußere Veranlassung, nicht den eigentlichen Grund abgegeben hat. **)

*) E. v. H., Aesthetik. Leipzig, Verlag von Wilh. Friedrich. 1886 u. 1887.
**) Die Hauptsätze dieser Abhandlung hat der Verf. schon seit 1881 in seinen Vorlesungen über Aesthetik an der techn. Hochschule zu Darmstadt vertreten.


Die Vernachlässigung des Kunsthandwerks in der wissenschaftlichen Aesthetik von Kant bis Vischer hat ihre Ursache sowohl in dem langen Darniederliegen jenes wie in der einseitigen Auffassung des Schönheitsbegriffes seitens des Idealismus. Der erstere Umstand kann jedoch der Wissenschaft nicht als Entschuldigung für die thatsächliche Missachtung dienen. Sie hätte vielmehr da belehrend oder heilend auftreten sollen, wo sie eine Krankheit erkannte; so hätte sie zugleich anregend und befruchtend wirken und sich die Achtung der ausübenden Künstler erhalten und vermehren können. Entschuldbarer ist die zweite Ursache. Der Idealismus, der nun einmal der Idee als solcher das Hauptgewicht in der Erscheinung des Schönen prinzipgemäß zuerkennen musste, konnte sich nicht zu einer völligen Anerkennung der nackten schönen Form an sich verstehen, jener reinen Form, die, weil sie schön ist, damit zugleich auch schon einen Gedanken, eben den Gedanken einer Schönheit, ausdrückt. So wurde das Formal-Schöne und damit das gesammte Kunsthandwerk dem System entrückt und blieb gleichsam vor der Thüre des Heiligthums der Wissenschaft stehen. Würdige Ideen, geistigen Inhalts fand man unter den bildenden Künsten bloß in den Werken der Architektur, Plastik und Malerei; alle übrigen Künste bildeten bloß Anhängsel derselben oder Vorstufen einer höheren, reineren oder wahrhaftigeren Schönheit. Das den Philosophen lauschende Publikum zweifelte um so weniger an diesen Lehren, da das Leben ihre Richtigkeit zu beweisen schien, indem das Kunsthandwerk bei uns fast völlig darnieder lag. So verschlimmerte die Wissenschaft das Uebel, an dem unser Kunstleben erkrankt war, und hinkte hinter den Tageserscheinungen her, anstatt ihnen leuchtend voran zu schreiten. Auf eine Entwicklung des Schönheitsbegriffes müssen wir an dieser Stelle verzichten; nur das eine haben wir als wichtig hervor zu heben und als richtig anzuerkennen: das Schöne hat einen Inhalt, den es durch die Form oder durch Formen darstellt, und zwar hat auch das einfachste Schöne einen solchen, sollte auch sein Inhalt eben die Schönheit selbst sein. Je nachdem nun immer der Inhalt des Schönen sich steigert, entsteht eine Stufenleiter desselben nach seiner geistigen Bedeutsamkeit, und zwar sowohl im Natur- wie im Kunstschönen. Beruht das Schöne, absolut genommen, auf der Identität von Idee und Form oder auf deren Gleichwerthigkeit, so kann demnach in der Kunst, d. h. in den Kunstwerken, dennoch eine Verschiebung in diesem Verhältniss stattfinden, je nachdem das Interesse sich mehr auf die Form oder auf den Inhalt erstreckt, der Künstler also das Hauptgewicht auf die erstere oder den letzteren legt. Je weniger Interesse aber der Inhalt entgegenbringt, um so bedeutender muss die dargestellte Form sein, und was auf der einen Seite also gleichsam abgeht, muss auf der andern ersetzt werden. Die Mehrzahl der schönsten Malereien unserer niederländischen Künstler, das grosse Gebiet des Stilllebens, ja, die Künste ganzer Völker, wie die der Japaner, müssten aus der Kunstgeschichte gestrichen werden, wenn dieser Satz nicht richtig ist. Ist er aber richtig, so ist die äußere Folgerung die, dass auch das reine Formal-Schöne unter den Begriff der Kunst fällt, womit den Werken des Kunsthandwerks ihre Stellung innerhalb der konkreten Erscheinungen des Begriffes gesichert ist. Wir können noch auf einem andern Wege der Betrachtung zu demselben Ergebniss gelangen. Das Schöne ist etwas Empfundenes, also Subjektives, es ist schöner Schein; es ist aber auch etwas Objektives, da die Empfindung oder der Schein durch einen Gegenstand außer uns erweckt werden muss. Da dieser schöne Schein in uns aber ebenso durch eine einfache schöne Form entsteht, wie durch die Darstellung einer bedeutenden Idee in schöner Form, so ist klar, dass auch das rein Formal-Schöne innerhalb der Kunst zu dieser gerechnet werden muss und in keiner Weise zu missachten oder gar auszuschließen ist. Welche Stellung gebührt nun aber dem Kunsthandwerk innerhalb des Systems der Künste, wo weisen wir ihm seinen Platz an? Eduard von Hartmann ist dieser Frage in seiner Aesthetik mit grossem Ernste nahe getreten. Er nimmt "unselbständige formalschöne und unfreie Künste" an, denen er die "freien Künste" gegenüber stellt und als dritte Gattung die zusammengesetzten Künste zugesellt. Zu dem Gebiete der  u n f r e i e n   Künste rechnet er die "Kunst der Geräthe", d. h. das  K u n s t h a n d w e r k  und die  A r c h i t e k t u r;  denn sie dienen nach ihm mit einer Reihe anderer Künste  w e s e n t l i c h  und in  e r s t e r  R e i h e  einem  a u s s e r ä s t h e t i s c h e n  Z w e c k,  während das freie Schöne als Schönes ausschließlich einem ästhetischen Zwecke diene. Er verweist jene unter die "unfreien Künste der Wahrnehmung", zu denen er die Tektonik, die Garten- und Forstkunst und die Kosmetik rechnet, und zwar erläutert er die Tektonik als die Kunst der Geräthe und der Bauten. In dieser Zusammenfassung der Baukunst mit der "Geräthekunst" liegt etwas Wahres und Wichtiges, was die Aesthetik bisher kaum beachtet hat und was in unserer Betrachtung noch zur Geltung kommen wird. Allein das Prinzip der Eintheilung unseres Philosophen hat doch allzu bedenkliche Folgerungen für diese gehabt, als dass wir es ohne Prüfung als richtig hin nehmen könnten. Versuchen wir diese unter Beschränkung auf die uns hier interessirenden sog. bildenden Künste, auf die Architektur, Plastik und Malerei, von denen blos die beiden letzten dem Gebiete der freien Künste in dem Hartmann'schen Systeme angehören sollen. Ist das Prinzip einer freien und unfreien Kunst richtig? Sind wirklich das  K u n s thandwerk und die Architektur als  K u n s t  unfreie Künste? Nein und abermals nein! Eduard v. Hartmann selber erweckt uns Zweifel an der Richtigkeit seines Eintheilungsgrundes. In einer Note (Bd. II. S. 596) zeigt sich uns das Loch des ästhetischen Saibers, in den er die Künste eingesperrt hat, und aus diesem Loch können wir alle Künste hervor zerren, so dass nur völlige Leere übrig bleibt. "Eine plastische Figur auf einem Tafelaufsatz oder ein Relief auf einem Schilde", heißt es hier, "kann in seiner Isolirung genommen ein freies Kunstwerk heißen; als Ornament an dem Ganzen eines unfreien Kunstwerkes aber kann es den Charakter der Unfreiheit des Ganzen niemals aufheben, sondern wird als  D e k o r a t i o n s g l i e d  m i t  i n  d e s s e n  U n f r e i h e i t  h e r u n t e r  g e z o g e n.  Dasselbe gilt von den Giebelskulpturen eines Tempels." Also der subjektiven Willkür jedes Einzelnen bleibt es unter Umständen überlassen, ob er jene Werke der Bildnerei als freie Kunstwerke oder als Theile eines unfreien betrachten will. Wie nun aber die Plastik der Architektur unter Umständen dient und dienen muss, so steht es auch um die Malerei: auch deren Werke werden nach der Hartmann'schen Theorie unfrei, sobald sie in den Dienst der Architektur treten. Ist denn aber die Dekorationsmalerei nicht auch Malerei? Oder ist zwischen ihr und der höheren Malerei ein  p r i n z i p i e l l e r  Unterschied? Sind nicht die Malereien Rafaels in der Farnesina ebenso Dekorationsmalerei wie die schlichte Malerei an der Decke des Bürgerhauses? Und sollen wir von der Malerei in den Loggien des Vatikans anders denken? Hört im wirklichen und eigentlichen Sinne die Malerei da auf, Dekorationsmalerei zu sein, wo die Thätigkeit des Malers in höherem Sinne beginnt? v. Hartmann weiß sich solchen und ähnlichen Fragen gegenüber, halb im Widerspruche mit der oben zitirten Note, zu helfen: "Unfreie und freie Künste", sagt er (Bd. II., S.784 u. 785) "können ihre Werke mit einander verknüpfen, geben aber keine zusammengesetzten Künste. (?) Wenn ein Prediger oder ein Lobredner oder ein Festredner sich zu poetischen Ergüssen versteigt, so benutzt er die Poesie sporadisch für die außerästhetischen Zwecke seiner unfreien Kunstthätigkeit, d. h. er verwendet sie als Zierrath oder Ornament. Dasselbe thut ein Buchbinder, wenn er Pflanzenformen in einen Buchdeckel einpresst, ein Goldschmied, wenn er einen Schwertknauf mit einem Thierkopf endigt, oder ein  A r c h i t e k t,  w e n n  e r  d i e  K a r y a t i d e n  s t a t t  S ä u l e n  b e n u t z t.  In allen solchen Fällen, wo die Elemente der freien Kunst als völlig unselbständige Glieder in den Zusammenhang des unfreien Kunstwerks so hinein gezogen werden, dass sie ohne die Auflösung und Zerstörung seiner einheitlichen Totalität nicht aus demselben abgelöst und weggenommen werden können, in allen solchen Fällen hat man es ebenso nur mit einer einzigen und einheitlichen unfreien Kunst zu thun, wie mit einem einzigen und einheitlichen unfreien Kunstwerk. Anders dagegen, wenn die verzierenden Zuthaten von dem unfreien Kunstwerk reell oder auch nur ideell losgelöst werden können, ohne dessen künstlerische Einheit und ästhetischen Zusammenhang zu zerstören; dann haben dieselben als freie Kunstwerke einen selbständigen Werth, der durch ihre Verknüpfung mit dem unfreien Kunstwerk nicht aufgehoben werden kann." Also von der bloßen Möglichkeit der Lösbarkeit soll es abhängen, ob z. B. ein plastisches Gebilde der freien und der unfreien Kunst zuzuweisen ist! Was hatte denn die Lösbarkeit mit dem Kunstwerk an sich oder mit seinem Stil zu thun, sowohl die wirkliche wie die ideelle? Gar nichts, absolut nichts - nur ist ohne sie der Begriff des freien und unfreien Kunstwerks unhaltbar! Das plastische Bildwerk, die Malerei, behaupte ich, bleiben, was sie sind,  f r e i e  Kunstwerke, wie und wo sie auch zu Zwecken der architektonischen Wirkung verwerthet werden; sie bleiben freie Kunstwerke, obwohl sie einem Zwecke dienen, der vielleicht außerhalb ihrer eigentlichen Bestimmung liegt, obwohl sie also dienend, d. h. unfrei  e r s c h e i n e n  gegenüber dem Gesammtwerke, zu dem sie gehören. Der Unterschied einer freien und unfreien Kunst in dem Sinne unseres Philosophen beruht auf einem Verkennen der kunsthandwerklichen und baukünstlerischen Thätigkeit; denn sowohl die Tektonik wie die Architektur brauchen nicht einfache Künste zu sein, sondern können beide Plastik und Malerei in ihre Dienste ziehen zu gemeinsamer einheitlicher Wirkung. Die Freiheit oder Unfreiheit der einzelnen Künste ist aber alsdann nur eine relative, keine absolute, die einen Gattungsunterschied bedingen könnte. Tektonik und Architektur, behaupten wir also, sind in ihren höchsten  K u n s tleistungen keine einheitlichen, sondern sind zusammengesetzte Künste und sind  f r e i e  Künste, wie die anderen auch. Wir wollen uns zur Erlangung des Beweises für diese Behauptung, welche der Hartmann'schen Theorie durchaus widerspricht, nicht zu lange bei der letzteren aufhalten, da ihre Besprechung nicht unsere Hauptaufgabe ist. Nur zwei Sätze möchte ich noch aus jenem Kapitel über diesen Gegenstand hervor heben. Seite 604 heißt es in Bd. II.: "In vielen tektonischen Künsten muss das mathematisch Gefällige zugleich das dynamisch Gefällige mit ersetzen, wo letzteres keine Gelegenheit zur Entfaltung findet, z. B. in der  T e x t i l k u n s t."  Die Ueberschrift des Kapitels lautet: "Die Tektonik oder Kunst der Geräthe und Bauten " Hierzu also rechnet der Philosoph auch die Textilkunst!! Dem System zu Liebe erwähnt er ferner unter den unfreien Künsten neben den "blos räumlichen Künsten des rührenden Augenscheins", also neben dem Kunstgewerbe, die blos zeitlichen Künste der raumlosen Veränderung im Ohrenschein" - von denen er aber  s o f o r t  s e h r  e i n f a c h  s a g t,  d a s s  e s  s o l c h e  i m  B e r e i c h e  d e r  u n f r e i e n  K ü n s t e  n i c h t  g i e b t!!  So versteigt sich also hier die philosophische Konsequenz zum Unmöglichen. Wer verdenkt es da dem Künstler, dass er die graue Theorie der Aesthetik achselzuckend bei Seite wirft und seine Früchte nur von dem goldnenen Baume des Lebens pflückt? Wir ersehen somit schon hieraus, dass das auf das Prinzip der Freiheit oder Unfreiheit begründete System der Künste ans ebenso wenig zu befriedigen vermag, wie die meisten ihm zeitlich voraus gegangenen, und wir haben schon deswegen Grund, an seiner absoluten Richtigkeit oder Zweckmäßigkeit zu zweifeln. Betrachten wir uns nur einmal kurz die Entstehung eines sog. freien Kunstwerkes! Ein Bildhauer habe die Statue eines großen Mannes zu machen und es sei ihm dabei sogar die größte Freiheit der Darstellung geboten, so dass er in dem Hartmann'schen Sinne wirklich in solchem Maaße ein frei schaffender Künstler ist, wie es das praktische Leben nur selten beneidenswerthen Künstlern gewährt. Ist der Künstler selbst dann absolut frei? Nein! nur so weit, als die nothwendige Naturnachahmung ihn nicht beschränkt, also nur innerhalb bestimmter Grenzen. Im allgemeinen wird sogar der Zwang noch ein größerer sein: denn jedes Denkmal muss an einem bestimmten Platze aufgestellt werden, und dieser Aufstellung hat der Künstler unter allen Umständen Rechnung zu tragen. Ja, es lässt sich in aller Bestimmtheit der Satz aussprechen, dass ein jedes Kunstwerk nur dann an seinem Platze und somit ästhetisch vollkommen wirksam ist, wenn es mit Rücksicht auf die ihm bestimmte Umgebung komponirt und ausgeführt ist. Jedes Kunstwerk, können wir verallgemeinernd sagen, hat nicht blos einen Selbstzweck, wodurch allein es in Hartmann'schem Sinne als frei zu bezeichnen wäre, sondern auch noch einen Zweck, der außer ihm liegt, ist also bis zu einem gewissen Grade unfrei. Die Behauptung, dass ein freies Kunstwerk als Anhängsel eines unfreien mit in die Unfreiheit herab gezogen werde, ist Sophismns, der das System retten soll und die Sache selbst preis giebt. Die künstlerische Freiheit ist aber ganz etwas anderes als die hier besprochene Hartmann'sche. "Wenn die Blume selbst sich schmückt, schmückt sie auch den Garten" gilt auch für jedes Werk der Kunst wie für das der Natur. Aber auch dieser Zweck der Theilnahme an einer gemeinsamen Wirkung vieler Kunstwerke ist ja nur ein ästhetischer, könnte man einwerfen; der Architekt jedoch schafft Werke, welche direkt dem  p r a k t i s c h e n  Leben dienen. Ganz richtig! Und dennoch ist die Architektur eine  f r e i e  Kunst wie die Bildnerei und Malerei. Der Architekt, in seiner  k ü n s t l e r i s c h e n  Thätigkeit erfasst, schafft selber völlig frei und schafft ein freies Kunstwerk. Der  M a l e r  ist in seinem Schaffen gebunden an die  F l ä c h  e,  der  B i l d h a u e r  an den  K ö r p e r,  der  A r c h i t e k t  an den  R a u m.  Hieraus ergeben sich für  j e d e n  dieser Künstler  g a n z   b e s t i m m t e  G r e n z e n,  i n n e r h a l b  d e r e n  e r  f r e i  s c h a l t e n  u n d  w a l t e n  d a r f,  wenn er Meister des Schönen ist,  u n d  z u g l e i c h  b e s t i m m t e  G e s e t z e,  die keiner zum Nachtheil seiner Kunst überschreiten darf. Innerhalb ihres Rahmens haben die Malerei und Plastik nicht mehr und nicht weniger Freiheit als die Baukunst. Freilich ist der Architekt bis zu einem gewissen Grade beschränkt durch den Willen und die Wünsche seines Bauherrn oder durch sein Programm und sein Werk dient auch direkt dem praktischen Leben. Gewiss!  n i c h t  a b e r  w e i l,  o d e r  s o  w e i t  d i e s e s  W e r k  e i n  K u n s t w e r k  ist, sondern weil es ein  W o h n h a u s  oder eine  K i r c h e  u. dergl. ist. Das  B a u w e r k  a l s  K u n s t w e r k  hat mit dem praktischen Leben an sich so wenig gemein, wie das Gemälde oder die Büsten und Statuen, welche das Innere des Hauses schmücken. Für den praktischen Gebrauch ist es an sich völlig gleichgiltig, ob ein Haus ein Kunstwerk ist oder nicht. Als raumbildender  K ü n s t l e r  aber steht der Architekt ebenso hoch über der Gemeinheit des Lebens wie seine Genossen in der Malerei und Bildhauerei, ist er ebenso frei in seinem Schaffen wie diese. Denn wer anders schreibt ihm die Gesetze vor, wie er seine Räume ordnen, wie er seine Steine zu ästhetischer Wirkung aufthürmen, wie er die Mauern gliedern und wie er sie ausklingen lassen will, als seine Phantasie? Da man aber gewohnt ist, unter den Begriff der Architektur den schlichten Nützlichkeitsbau mit zu begreifen, der sich uns naturgemäß in den Häusern der Städte und des Landes am meisten aufdrängt, so vergisst man zu leicht den Unterschied zwischen Handwerk und Kunst, und der Architekt als Künstler wird so schlechthin in eine Klasse geworfen mit dem eigentlichen Handwerker. Kunst und Handwerk sind jedoch auch in der Architektur zwei grundverschiedene Dinge, und die Aesthetik hat sich mit diesen beiden erst ordentlich abzufinden, ehe sie zu einer Auffassung gelangen kann, welche dem Bauk ü n s t l er  völlige Gerechtigkeit widerfahren lässt. Hat somit E. v. Hartmann das Versäumniss seiner Vorgänger hinsichtlich des Kunsthandwerkes wieder Mut gemacht, so hat er auf der anderen Seite die Architektur nicht zu ihrem Rechte kommen lassen. Vergleichen wir die drei Künste Architektur, Plastik und Malerei mit einander, so lässt sich leicht erkennen, wie ihr Verhältniss mit Bezug auf die erste sogar gerade umgekehrt sich gestaltet, als es nach jener Theorie scheint. Wir haben das Richtige oben schon angedeutet: Die Malerei hat es mit der Fläche, die Plastik mit dem Körper, die Arckitektur mit dem Raume zu thun, und da der Raum von Körpern eingeschlossen wird, so müssen die beiden andern Künste in den Dienst der letzteren treten. Ein Kunstwerk der Architektur in höchstem Sinne ist ohne den Bildhauer äußerlich, ohne den Maler innerlich undenkbar, und wenn in den meisten Fällen Bildhauer und Maler auch blos als Kunsthandwerker hier zu schaffen haben, so sind diese doch in allen Fällen Künstler, da der Dekorations-Maler nur graduell, nicht dem Wesen nach von dem sog. Kunstmaler, und der Stuckateur oder Steinmetz gleichfalls nur graduell und nicht dem Wesen nach von dem Kunstbildhauer verschieden ist, und da endlich auch der Fall nicht abzuweisen ist, wo die Kunstmaler und Kunstbildhauer sich unmittelbar in den Rahmen des architektonischen Gedankens einfügen, mit ihren Werken unmittelbar zur architektonischen Wirkung beitragen müssen.  W e l c h e  K u n s t  i s t  a l s o  d i e  h e r r s c h e n d s t e  u n d  f r e i e s t e,  die Plastik und Malerei oder die  A r c h i t e k t u r?  D o c h  w o h l  d i e  l e t z t e r e! Das koordinirte Verhältniss der Plastik, Malerei und Architektur, das sich auch ans deren Stellung zu den drei Erscheinungsformen des menschlichen Geistes als allgemeinen, individuellen und in Wechselwirkung stehenden Geistes ergiebt, ist somit kurz erörtert und es fragt sich noch, wie sich das  K u n s t h a n d w e r k  zu ihnen verhält. Auch diese Frage löst sich bei ruhiger Betrachtung der Künste auf das leichteste und einfachste, und zwar unter Rücksichtnahme auf den oben ausgesprochenen Satz, dass ein Kunstwerk auch dann noch als solches bestehen bleibt, wenn es überwiegend eine rein formale Schönheit repräsentirt. Das Kunsthandwerk ist nämlich im allgemeinen der Repräsentant der mehr formalen Schönheit und jede von den oben genannten drei Künsten hat im Kunsthandwerk ihre ganz bestimmten Genossinnen. Zur Malerei gehört z. B. nicht nur die Dekorations-Malerei, sondern die ganze Textilkunst, die gesammte Kunst der Fläche; zur Plastik gehört die gesammte Bildhauerei, oder, weiter gegriffen, die ganze Körper bildende Kunst und zur Architektur die ganze Raum bildende Kunst, d. h. auch die ganze Kunst der Gefäßbildungen, und diese drei Abtheilungen des Kunsthandwerkes verhalten sich genau so zu einander, wie die größeren Genossen. Als  K ü n s t l e r  aber schafft der  K u n s thandwerker wie die Vertreter der höheren Künste, nämlich frei nach den Gesetzen des ästhetischen Gefühls. Denn auch der Kunsthandwerker ist ein freier Künstler, weil sein  k ü n s t l e r i s c h e s  Schaffen erst da anfängt, wo das handwerkliche aufhört. Hierauf an dieser Stelle noch näher einzugehen, würde uns zu weit führen; es liegt ja auf der Hand, wie durch diese Eintheilung das Gesammt-Gebiet der bildenden Kunst sich einfach und klar gliedert, und in seine Theile sondert. Nur auf einen Punkt möchte ich noch hinweisen, der vielleicht zu Zweifeln an der Richtigkeit obiger Eintheilung führen könnte. Je mehr eine Kunst sich der rein formalen Schönheit zuneigt, um so größere Bedeutung erhält der Stoff, aus dem ein Kunstwerk hergestellt wird, d. h. der ästhetische Eigenwerth desselben. Im Kunsthandwerk spielt daher die Farbe an sich eine entscheidendere Rolle als in den höheren Künsten. Dieses Ueberwiegen des rein Stofflichen ist der Grund, dass man bisher nicht von einem Kunsthandwerk der Fläche, des Körpers oder des Raumes gesprochen hat, sondern von einer Textilkunst, einer Metallotechnik, selbst von einer Goldschmiedekunst oder Schmiedekunst, einer Keramik usw. Mit Recht! Denn der Stil wird hier in hohem Grade unmittelbar durch das Material bestimmt, durch die ihm eigenthümliche Technik, und die Künstler selber sondern sich infolge dessen in eigenthümliche Klassen nach der Art der Technik. Dieser Umstand hebt aber das oben festgestellte Verhältniss nicht auf, da einer Betrachtung des Kunsthandwerkes nach dem obigen Prinzip im Zusammenhange mit den sog. höheren Künsten nichts im Wege steht: Rafael lieferte die Zeichnungen zu den berühmten Tapeten, Dürer lieferte Zeichnungen für Aetzungen auf Eisen und für Glasmalereien und der Architekt ist noch heute der Rathgeber und Führer auf allen Gebieten des kunstgewerblichen Lebens. Mit diesem Hinweis seien diese zum Theil etwas abgebrochenen Betrachtungen über diesen Gegenstand hier geschlossen.