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Autor: Berlage, Hendrik Petrus
In: Kunstgewerbeblatt - 18 (1907); S. 183 - 188 und S. 241 - 245
 
Baukunst und Kleinkunst
 
von H. P. Berlage in Amsterdam

Es war mir ganz anders zu Mute, als ich vor etwa zwei Jahren zum zweiten Male die italienische Grenze passierte im Vergleich zu meinen früheren Empfindungen, als ich einst zu der üblichen Studienreise nach Italien zog. Ich sage, ganz anders zu Mute, nicht weil man mit den Jahren kunsterfahrener, denn das ist selbstverständlich, sondern urteilsreifer und daher kritischer geworden ist. Wird doch die übliche italienische Reise wohl hauptsächlich des Studiums der klassischen Kunst wegen gemacht, und es ist daher ein schmerzliches Empfinden, wenn man als junger Student sich der allgemein gültigen Lehre hingegeben hat, und nachher selber erfahren muß, daß eben doch andere, und zwar viel stärkere Erwägungen gelten, welche das Kunst empfinden gänzlich umbilden. Denn es sind schließlich Prizipienfragen, welche einen zuguterletzt beschäftigen, und welche den Schönheitsäußerungen voran gehen sollen; denn über Prinzipien läßt sich reden, über die Schönfinderei bekanntlich nicht. So kam es, daß die anerkannte Schönheit der Genueser Paläste mir nicht mehr dermaßen imponierte und mir sogar eine Capella Pazzi architektonisch nicht mehr so unanfechtbar schien; daß die San Marco-Bibliothek nicht mehr imstande war, mich lebhaft zu erregen, und die Gebäude der Prokuratien mich ziemlich kalt ließen. Aber dafür kam mir das Rathaus in Siena um so schöner vor, wenn auch gewissermaßen unbeholfener, und der Or San Michele um so bewunderungswürdiger, wenn auch mit viel weniger Aufwand aufgebaut. Denn wie gesagt, schließlich kommt man doch zum Vergleich, und dadurch zu einigen Prinzipien; und merkwürdigerweise läßt sich demzufolge beobachten, daß im selben Moment die Schönheitsverneinung eintritt, wenn jene Prinzipien nicht eingehalten sind. Denn Schönheit ist, wie gesagt, keine Gefühlssache allein; im Gegenteil, sie soll durch die Rede kontrolliert werden. Schon Burckhardt bemerkt in seinem Cicerone, daß es bisweilen bedauert wird, daß Brunellesco und Alberti nicht auf die griechischen Tempel, statt auf die Bauten von Rom stießen. Ich glaube dies; denn, abgesehen von der allerdings genialen Geschmacksverirrung eines Schinkel, wird doch eine natürliche Kunstentwickelung immer fußen in dem nächst vorhandenliegenden; und das waren für jene Künstler die alten römischen Reste. Nicht dies ist aber am meisten zu bedauern, sondern daß sie auch die Fehler der römischen Kunst mitgenommen haben. Denn man stellt sich doch früher oder später die Frage, wie die Römer jemals dazu kommen konnten, das Säulenschema in derartiger Weise anzuwenden. Eine Säule ist doch prinzipiell ein Konstruktionselement, isolierter Stützpunkt, und als solcher von Ägyptern und Griechen niemals anders verwendet worden. Ja, die Säule ist nach Alois Riegl, ursprünglich sogar keine belastete Dachstütze, sondern ein frei endigender Pfosten (Zeltstange!) So wie die palmettengekrönte griechische Stele. Deshalb ist das Kapitäl ursprünglich ebenfalls nur Bekrönung und nichts als Bekrönung, und die Funktion des Vermittelns zwischen tragender Säule und lastendem Architrav wird erst viel später dem baukünstlerischen Sinn bewußt, und ein ästhetisch bedeutsamer Faktor. Was machten nun aber die Römer? -

Indem ihnen dieses Prinzip nicht einzuleuchten schien, nehmen sie die Säule aus der konstruktiven Funktion heraus, und gebrauchen sie schließlich nur als Dekorationsmaterial; entweder stellen sie sie vor die Mauer, auf einem besonderen Postament und geben ihr ein eigenes Gebälkstück; oder, und das ist wohl der allerschlimmste Fall, sie halbieren die Säule, und stellen sie gegen die Mauer, auf ein halbes Postament, mit gerade durchgehendem Gesims, oder verkröpftem Gebälkstück. Dies ist nun vom prinzipiellen Standpunkt betrachtet sehr schlimm, ja sogar unbegreiflich, und nur zu erklären aus Gedankenlosigkeit. Diese Kunsterfindung war aber sehr praktisch, indem dadurch das Problem der vielstöckigen Gebäude architektonisch gelöst wurde. Denn dieses Schema ließ sich leicht übereinander stellen; und indem von den Triumphpforten, an welchen zuerst dieses Motiv versucht, ebenfalls der zwischengelegte Bogen mitgenommen wurde, war der mehrstöckige Arkadenbau geschaffen, in welchem dann die Arkaden eventuell Fenster werden. Mit diesem System ist nun allerdings Großartiges geleistet worden; aber wie gesagt, prinzipiell bleibt eine solche Architektur nicht zu verteidigen. Aber, die Römer waren keine feinfühlenden Künstler; vielmehr praktische Ingenieure; und so machen denn auch ihre Bauten den Eindruck von Ingenieurwerken, welchen eine Säulenarchitektur angeklebt wurde, um sich über das praktische Niveau zur monumentalen Architektur zu erheben. Es scheint mir aber, daß die römische Architektur eben bei dieser praktischen Ingenieurauffassung hätte bleiben sollen; um so schöner, ja um so erhabener wäre sie gewesen. Aus der ganzen römischen Baukunst kenne ich nichts großartigeres, als die lange Aquäduktenlinie durch die Campagna; aber wie wäre sie geworden, wenn zwischen diese Arkaden Pilaster gestellt wären? Und schließlich würde das Kolosseum wahrscheinlich viel größer und deswegen viel erhabener ausgeschaut haben, wenn diese Riesenwand nicht wieder gegliedert wäre durch die angeklebten Säulenordnungen. Das läßt sich sogar schon beobachten an den beschädigten Teilen. Es handelt sich hier, wie gesagt, um ein Prinzip, aber weil das Prinzip falsch ist, so konnte daraus zwar eine praktische und gefällige, aber keine vollkommene Architektur wachsen. Es ist mir wirklich unbegreiflich, daß ein so feinsinniger Architekt wie Gottfried Semper, der doch wohl Verständnis hatte für die Grundsätze einer folgerichtigen Konstruktion, und in seiner Stillehre vom Anfang bis zu Ende nur dies zu betonen bezweckt, diese Folgerichtigkeit, diese Logik in der Architektur nicht gezogen hat. Im Gegenteil: er verteidigt sogar die auf vier Ecksäulen gestützte römische Gewölbekonstruktion, welche Säulen mit dem zugehörigen Gebälkstück gegen die Mauer stellt, ohne den leisesten Versuch, eine organische Gliederung zwischen beiden zu bilden, mit der Behauptung, daß die Wand nicht dazu da sei, das Dach zu tragen, sondern nur zum Raumabschluß diene. Nun kann man diese Behauptung gelten lassen, aber dann soll auch gezeigt werden, daß immer wieder die fälschlich angewandte Säulenstellung die Schuld traf, und eine viel stilgerechtere Lösung zu erzielen ist, wie die mittelalterliche Kunst z. B. zeigt. Aber Semper redet nur in den verächtlichsten Ausdrücken über die mittelalterliche Kunst, welche ihm nur ein »starres System« ist. Und wie kommt erst das Kapitell, womöglich das korinthische, bei der ganzen Sache weg? Es ist wirklich unglaublich, wie die ganze römische Kunst bei einer solchen, absolut unkünstlerischen Lösung beharren konnte; denn zerschneiden ist keine Lösung. Zwar fällt hier schon die Schuld sogar auf die Griechen; denn das Prototyp des ganzen korinthischen Stils ist das Lysikrates-Monument zu Athen. Es ist daher nicht zu viel gesagt, wenn wir den korinthischen Stil als nicht spezifisch griechisch bezeichnen. Und nun erst die Renaissance! Muthesius, in seiner schönen Schrift »Stilarchitektur und Baukunst«, sagt: Es kam die Zeit, da die antike Welt, deren Geist auch nach ihrem körperlichen Untergange in mächtiger Größe fortlebte, neue künstlerische Ideale über den Norden brachte. Die Zeit des Humanismus in den Geisteswissenschaften, der Renaissance in den Künsten, trat ihre Herrschaft an, und führte eine Blütezeit der Künste herauf, die sich bezeichnenderweise besonders in der Malerei und Skulptur zeigte. In der Architektur war sie durchaus nicht in gleichem Maße vorhanden; konnten damals in der Malerei, und in gewissem Sinne auch in der Bildhauerkunst, die neuen Einflüsse auf Vorhandenes einwirken, ein vorliegendes Frühalter zur Reife bringen, so wurde in der Architektur mit einer vollentwickelten Kunst barsch gebrochen, eine reichentfaltete Kunstüberlieferung in die Ecke geworfen. Was man dafür als Renaissancekunst erreichte, konnte doch nur ein blasses Abbild einer besseren Originalkunst sein, worüber jeder Italienreisende klar sein wird, wenn er bemerkt, wie ein einziges antikes Bauwerk, etwa das Kolosseum oder das Pantheon in Rom, die ganze Renaissancebaukunst in den Schatten stellt. So ist es: barsch gebrochen mit der mittelalterlichen Kunst, mit derjenigen, welche für die moderne, was die griechische Kunst für das Altertum war. Mit der Herrschaft der Renaissance kam nun der prinzipielle Fehler in noch viel schlimmerer Weise als wie damals zum Vorschein. Von einem Benedetto da Majano an, der zuerst an der Kanzel in Sta. Croce zu Florenz Säulen stellte, bis zu einem Fontana, also während vier Jahrhunderten, hat die Architektur sich diesen Fehler zu schulden kommen lassen. Denn dieser Fehler, dieser Sündenfall, war Ursache, daß Malerei und Skulptur sich von der Architektur getrennt haben: denn durch ihn gab die Renaissance zu verstehen, ein Stil zu sein, bei dem nicht mehr die Baukunst die Herrschaft führen sollte; denn indem sie die Dekoration in den Vordergrund schob, fing sie an, selber zu dekorieren, und hatte dabei die Hilfe der anderen Künste nicht mehr nötig. Wenn einmal, wie gesagt, das Prinzip nicht eingehalten ist, tritt sofort auch die Schönheitsverneinung ein. Und in der Tat! in dem Moment, als die italienische Palastarchitektur, wie ein zögernder Versuch, die ersten Pilaster in die Fassade stellt, erschlafft auf einmal der Stil, und erst recht, wenn die Pilasterfläche in möbelartiger Weise mit Ornament in einer Füllung geziert wird. Dazu kommt die unglückselige Verwendung des ursprünglich offenen Arkadenfensters, das keine besondere Ausbildung erhält, und daher immer als solches ganz vernachlässigt erscheint. Was diese Fenster damals schon, und namentlich später, in der modernen Stilarchitektur für Unheil gestiftet haben, steht ganz belehrend in Lichtwarks Schrift: Palastfenster und Flügeltür. Nun kann der mehr oder weniger gute Geschmack diesen Stilverstoß mildern; aber zu retten ist der Stil nicht mehr! Die Renaissancekunst ist Sache des Geschmackes, aber nicht mehr des architektonischen Stiles. Man vergleiche den Palast Strozzi in Florenz mit dem Palast Rucellai daselbst oder dem Palast Giraud in Rom, und sofort fällt dem ersten der Preis zu, weil er stilgerechter ist, trotzdem eben die beiden anderen von feinstem Geschmack zeugen. Und jedesmal, wenn ein Stockwerk mehr in die Reformierung einbezogen wird, sinkt die Schönheit. Schließlich empfinden wir geradezu Widerwillen, wenn gar auch an das Parterregeschoß die gebräuchliche neue dorische Ordnung usw. angeheftet wird. Es ist diese Abneigung gegen die Zerstückelung der großen Fläche, welche einen Geist wie Palladio dazu brachte, die Ordnungen nicht auf die Stockwerke zu begrenzen, sondern eine Ordnung durch die ganze Fassadenfläche hinaufzuführen. Allerdings ein genialer Zug zur Wiedergewinnung der mächtigen Monumentalität und schließlich die natürliche Konsequenz des vorhergegangenen Verfahrens; aber befriedigt dieselbe? Offen gestanden, nein! denn, abgesehen von dem ebenfalls unrichtigen Prinzip, daß dadurch die Betonung der Stockwerke vernichtet wird, sollte man es bedauern, daß Palladio nicht dazu gekommen ist, die Ordnungen mit einem Satz zu streichen, statt sie ins Riesenhafte zu vergrößern! Das wäre noch einmal eine Tat gewesen, seines Genius würdig. Aber es scheint nun einmal in dem Geiste einer jeden Entwickelung zu liegen, daß ein System sich ganz ausleben muß, und wie Goethe trefflich sagt: Daß sogar die größten Geister mit ihrer Zeit durch eine Schwachheit zusammenhaften. Denn Palladio war ein großer Geist und seine Architektur hat die Welt erobert! Das war selbstverständlich, denn man konnte mit ihr bei der Dehnbarkeit des Motivs das Großartigste erreichen, bis zur genialen Verrücktheit. Den Gipfel bildet die St. Peterskirche in Rom, wo der Mensch nicht dem Raum, sondern der Form gegenüber vor Kleinheit verschwindet! Und doch wirkt, trotz der Riesenhaftigkeit, bekannterweise die Architektur an sich nicht groß; bemerkt man die ungeheueren Dimensionen nicht, bis man ans Messen geht. Wenn man eben noch kurz vorher an Architektur vorbeigeht, an welcher das klassische Schema innerhalb menschlicher Schranken bleibt, sich noch gewissermaßen ästhetisch greifen läßt, und man kommt nachher vor eine Ausgabe ins Fünffache, dann faßt einen ein gewisses Grauen. Denn das Gigantische hat immer etwas Barbarisches. In dieser Angelegenheit stellt das Gefühl die Grenze, und deshalb ist eine Überschreitung des Maßvollen geschmacklos. Diese Betrachtungen und Anschauungen bringen einen zu der Überzeugung, daß die Renaissance, als sie das Pilaster- oder Säulenschema aufnahm, unwiderruflich zum Sinken bestimmt war, eine Überzeugung, welche eine wiederholte Italienreise mir aufs neue bestätigte. Ja, ich kam sogar dazu, an jeder Pflasterstellung gleichgültig vorbeizugehen, und nur jene Architektur der Frührenaissance mit den mittelalterlich großen Mauerflächen, und dazu der Anmut der frischen verjüngten Ornamentik, mit Interesse zu betrachten. Wäre die Renaissance bei der freistehenden Säule und der ungegliederten Mauer stehen geblieben, es wäre um die Baukunst besser gewesen. Wie wunderbar und räumlich erhaben stehen z. B. auch die ravennatischen Kirchenbauten, mit ihrer unübertroffenen Mosaikverzierung, der ganzen Kirchenarchitektur der Renaissance gegenüber. Diese, mit ihren offenen Säulenstellungen, glatten Mauerflächen und offenem Dachstuhl, geben so echt die unverfälschte Architektur; ohne Prätension, aber eben deswegen, um so wirkungsvoller. Und dieselbe Bemerkung über die Pilasterstellung kann nicht nur in Italien, sondern in allen Ländern gemacht werden, wo allmählig das klassische Säulenschema, vom Süden aus, sich einbürgerte. Macht sich in der holländischen Renaissance nicht sofort ein Sinken bemerkbar, wenn man z. B. ein Rathaus von Bolsward mit der Haarlemer Fleischhalle, oder die Amsterdamer Wage mit dem Haagschen Rathause vergleicht. Und dann erst, wenn nur stellenweise, zur Hebung besonderer Architekturmassen der Pilaster auftritt, wird die Sache recht stillos, weil dann erst recht die Stileinheit, die Einheit in der Vielheit in der Komposition fehlt, eine Anordnung, welche namentlich in der Barockarchitektur sehr beliebt war, und in der modernen Stilarchitektur gang und gäbe wird, sogar an Bauten von geringen Dimensionen. Die staunenswerte Großartigkeit der orientalischen Kunst liegt schließlich einzig und allein in dem Fehlen jeder Zersplitterung der Wand durch irgend welche unnatürliche Bauteile. Ja, es ließe sich sogar der Standpunkt verteidigen, daß die sonst vollkommene griechische Architektur in dieser Richtung nicht ganz ohne Vorwurf sei, indem an dem sonst prinzipiell richtigsten Tempelbau, dem Antentempel, dieselben Anten schon etwas Falsches, Pilasterartiges haben, und schließlich jede Ante zu derselben Inkonsequenz führt. Und des griechischen Genius ganz unwürdig kommen uns schließlich die Pseudoperipteraltempel vor. -

In jeder Kunstperiode hat die Architektur immer einen großen Einfluß auf die Kleinkünste geübt, und zwar gegenseitig. Es findet zwischen beiden eine gewisse Wechselwirkung statt, wobei es schwerlich zu sagen ist, welche von beiden wohl die Führung hat. Gehen wir in der Geschichte der Kunstentwickelung ganz zurück, so leidet es wohl keinen Zweifel, daß die Kleinkünste als daß Primäre zu betrachten sind, und daß wahrscheinlich die darin entwickelte Ornamentik nicht als direkte Kunstäußerung zu betrachten, sondern daß dieselbe eine Folge der Technik sei, aus welcher schließlich die Baukunst hervorgeht. Ja, es gibt leidenschaftliche Verfechter dieser Evolutionstheorie, an deren Spitze wohl wieder Semper steht. Er ist gewissermaßen der Urheber dieser Theorie, wie aus seinem Buche der Stil, und sonstigen Schriften, aufs deutlichste hervorgeht. Seine Ansicht, daß die Anfänge des Bauens mit den Anfängen der Textrin zusammenfallen, sagt, neben unzähligen anderen Erörterungen, schon genug, um zu ersehen, wie er seine Theorie des Bekleidungsprinzips, das zu allen Zeiten in der Kunst geherrscht haben soll, daraus aufbaut. Indessen hat diese Theorie auch schon Bekämpfung gefunden. Ein sehr lesenswerter Beitrag dazu ist das Buch von Alois Riegl, welches ich schon zitierte, nämlich »Stilfragen, Grundlegung zu einer Geschichte der Ornamentik«, es sucht darzulegen, daß diese materialistische Kunsttheorie Sempers nicht stichhaltig ist. Wie dem auch sei, auf einer hohen Stufe der Kunst bleiben Architektur und Kleinkunst in Wechselwirkung. Das ist selbstverständlich und richtig, indem dadurch die natürliche Einheitlichkeitsäußerung im Stil entsteht, in welchem Falle aber der Herrscher, gewöhnlich die Architektur, zu tyrannisch auftritt. Von dieser Tatsache gibt die Architektur der Renaissance ebenfalls ein drastisches Beispiel. Nehmen wir die Möbelkunst und aus ihr den Schrank. Bekanntermaßen ist der Schrank von den Möbeln zu allen Zeiten das vornehmste, und lediglich als ein kleines Bauwerk zu betrachten. Schlechterdings ist dies nun vielfach zu buchstäblich aufgefaßt, zum Schaden des Möbels, das heißt zum Schaden des stilgerechten Möbels. Denn es ist wirklich ein kleines Bauwerk, ein solcher Schrank, mit vorspringenden Halbsäulen, gewöhnlich drei Stück, zwei zu jeder Seite, und eine in der Mitte. Ist nun eine hölzerne Säule mit Kapitell und Fuß nicht schon bedenklich? weil ganz der Steintechnik entnommen, wo Kapitell und Fuß als besondere Stücke aufgestellt werden, während eine solche Zusammenstellung der Holzkonstruktion ganz fremd ist. Diese Säulen sind entweder modern dorisch, ionisch oder korinthisch, stehen auf Postamenten, und tragen ebenfalls das architektonische Gebälkstück. Das wirklich komische ist aber, daß die mittlere Säule die beiden Türen trennt. Beim Öffnen der Türe aber kann diese Säule nicht stehen bleiben; denn bei dem geöffneten Schrank wäre die Säule in der Mitte ein Steh-im-Wege; also dreht sich die Säule mit der Tür weg, während Postament und Gebälkstück zurückbleiben. Ein größerer Stilunsinn ist kaum denkbar. Um diesem Gebäude etwas Möbelartiges zu geben, wird z. B. in der holländischen Renaissance das ganze Ding auf drei Erhöhungen gestellt, vielfach in der Form von Flachkugeln. Prinzipiell ist das nun wieder ein Unsinn, weil die Postamente, welche doch ursprünglich dazu bestimmt sind, auf dem Boden zu stehen, jetzt in der Luft hängen. Und doch sind solche Schränke, innerhalb der nun einmal gefestigten Kunst, stilvolle Möbel. So betrachtet, ist die Pilasterstellung in der Architektur noch besser angebracht als am Möbel. Nein, auch in diesem Falle ist wieder die Frührenaissance die bessere, in der, mehr oder weniger, noch die gotischen Prinzipien herrschen, als das Möbel noch »ein unverrückbares System war, aus starren stabförmig gestalteten Teilen zusammengefügt«. Mit diesem Satz fängt Semper sein Hauptstück über Tektonik an, welcher sich in diesem Verband merkwürdig anhört. Allerdings haben wir hier schon den Einfluß der neuen Kunstgedanken, denn Skulptur und Malerei waren bei der Möbelausstattung in hohem Grade beteiligt. Ein sehr krasses Beispiel des Einflusses, welchen, in schlechtem Sinne, Architektur und Kleinkunst aufeinander ausüben, bietet die letzte Periode der Renaissance, nämlich: die des Rokoko, die letzte Konsequenz des eigentlichen Dekorationsstils; »eine liebenswürdig heitere, eine leichte lebensfreudig atmende Kunst«, wie Muthesius sie nennt, welcher man in bezug auf ihre Einheitlichkeit ein hohes Zeugnis ausstellen soll. Innerhalb dieses vollständigen Kulturbildes ist die Sache umgekehrt, nämlich: der Möbelstil primär, und es folgt die Architektur ihm nach. Es ist, als ob der Möbeltischler das an Möbeln stillose Säulen- und Pilastersystem entdeckt hat, und sich von dieser, ich möchte sagen hinderlichen, der Entwickelung hemmenden Zutat um jeden Preis hat befreien wollen, und nun einen Möbelstil hervorruft, welcher, und hier will ich wieder Semper zitieren, »in der Geschichte der Künste einzig dasteht«. »Dieser Stil bildet sich zunächst an den allereigentlichsten Möbeln, das heißt an Stühlen und Tischen heran, gewinnt aber durch die darauffolgende Übertragung auf Schränke und Getäfel auch Fuß in der Baukunst, in welcher sogar die uralte Tradition der Säulenordnungen vor dem herrschend werdenden geschweiften Tischlerrahmenwerk fast verdrängt wird, indem dieses in den Steinstil übergeht«. »Die organische Belebung des Rahmens, als Ersatz für die nun sehr spärlich vorkommenden Gesimse, Pilaster und Säulen, ist an sich betrachtet eine höchst geniale Neuerung, von der die antike Bautradition nichts weiß, und die sich vielleicht, in einer minder spezifisch dem Zeitalter ihrer Erfindung angehörigen Weise, noch verwerten läßt«. Also auch Semper nennt diese Neuerung eine ganz geniale, wenn Säulen und Pilaster wegfallen, oder nur sparsam angebracht sind. Würde hieraus nicht der Schluß zu ziehen sein, daß von der ganzen Renaissance schließlich das Rokoko »prinzipiell« der einzig richtige Stil sei? Er ist der reinste dekorative Bekleidungsstil, steht dem eigentlich konstruktiv bauenden Stile, dem griechischen und mittelalterlichen, diametral gegenüber, hat aber ein Prinzip zur Grundlage; ist innerhalb dieser Richtung ehrlich, und wie schon sprichwörtlich die Extreme einander berühren, und schließlich im Leben Halbnaturen doch eben nur halb, und daher als meinungslos sich herausstellen, verdient dieser Stil unsere vollste Bewunderung. Nicht wird, wie in der Renaissance, der Schrank ein Gebäude, sondern das Gebäude wird ein Schrank, eine Kommode sogar, in der äußersten Konsequenz der geschweiften Fassaden. Trotzdem nun die Architektur zuletzt die Führung des Stils behauptet, sind es doch immer die Kleinkünstler gewesen, welche die verschiedenen Stile vorbereitet haben, und zwar nicht der Möbeltischler selbst oder der Metallarbeiter oder der Keramiker, sondern der Zeichner, der Entwerfer auf dem Papier. Gerade so wie wir heute für jeden kunstgewerblichen Entwurf in jedem Material, selbst für die plastische Ausführung eine Zeichnung schaffen, uns in linearen Umrissen das Bild des fertigzustellenden Gegenstandes vor Augen stellen, ebenso und nicht anders verfuhr der archaïsche Künstler, sagt Riegl. Ja, sogar in der Organisation der mittelalterlichen Künste scheint es nicht anders gewesen zu sein, zu welchem Gegenstand das Büchlein von Röcutzer »Von der filialen Gerechtigkeit« eine interessante Erläuterung gibt. Während in unseren Tagen alles Denken und Tun sich sofort in bedrucktes Papier umsetzt, wurde im Mittelalter der großartigsten Unternehmungen und Erscheinungen nur mit wenig Worten gedacht, war man dafür aber umsomehr bei der Hand mit Taten. So waren denn auch die alten Meister jener glorreichen Bauhütten, aus welchen so viele Weltwunder hervorgegangen sind, »des Zirkels und des Rechtscheites kundiger als der Feder; in den Monumenten, welche sie aufgetürmt haben, stehen die Ansichten und Regeln, die sie leiteten, mit Werkstücklettern gedruckt.« Aus diesem Einleitungssatz ergibt sich, daß die Konstruktionen vom Meister, welcher allerdings der Praxis durchaus mächtig war, weil er aus einer Bauhütte und nicht aus einer Akademie der bildenden Künste hervorgegangen, das heißt also vom geistigen Führer aufs Papier gebracht wurden. Aber was die Renaissance anbelangt, steht für diese jedenfalls fest, daß nicht Baumeister die ersten Umwandlungen hervorgerufen haben, sondern Maler und Zeichner, für welche Behauptung Architekturzeichnungen von verschiedenen Künstlern wie Holbein und vielen italienischen Meistern den Beweis liefern, die aber auch sofort ersichtlich machen, wie gefährlich gerade solche Beispiele für die Entwickelung der Architektur sind, indem auf Konstruktion absolut keine Rücksicht genommen ist. Darüber gleich mehr. Ja, sogar Dichter und Gelehrte übten Einfluß aus, indem sie durch ihre Schriften die neuen Ideen propagierten. Ich will, um dieses näher zu erörtern, die Einleitung zu einem Aufsatz über den fröhlichen Einzug der Renaissance in die Niederlande mitteilen, eine Renaissance, welche gewiß, ich glaube dies ohne Chauvinismus behaupten zu können, zu den meist charakteristischen Kunstäußerungen gehört; eine Renaissance, welche sich weit über die Grenzen meines Vaterlandes ausgedehnt hat und deren schönste Blüten leider nicht in Holland selbst, sondern in Dänemark gefunden werden. Diese Einleitung lautet wie folgt: »Zwischen der 'Nachfolge Christi' von Thomas a Kempis um 1420 und Erasmus' 'Lob der Narrheit' von 1508 liegt noch kein Jahrhundert; aber die geistige Entfernung, welche diese Bücher trennt, ist eine von tausend Jahren; kein so klares Bild von einer Revolution in der Welt der Gedanken, welche sich innerhalb dieser 88 Jahre abspielt, als dasjenige, welches gekennzeichnet wird durch den Gegensatz zwischen diesen beiden am meisten gelesenen niederländischen Büchern; das eine der kurze Begriff der schulmäßigen Lebensanschauung des Mittelalters; das andere die Blüte des klassischen Humanismus. Und in der Tat; es ist der große Rotterdamer, welcher durch seine Schriften in Holland als der Vorläufer der geistigen Bewegung betrachtet werden muß, die in Italien begann, und von dort aus ganz Europa überströmte. Und derjenige, welcher die Beschreibung liest von »Der Narrheit Hofzug«, wird, wenn er kein Fremder ist in den Werken der holländischen und vlämischen Zierkünstler und Stecher des 16. Jahrhunderts, sich davon kein anderes Bild machen können als dasjenige, was in den sogenannten »Grotesken« von Cornelis Floris, Peter van Aelst, Hans Vredeman de Vries, Petrus a Merica, Balthazar Sylvius und anderen sichtbar ist; denn was diese zeichneten mit Kreide oder Stift, schildert Erasmus mit der Feder. Seine mit Rosen bekränzte Hedone würde eine prächtige Karyatide; die auf ihren Ellbogen sich stützende Mesofonia eine ausgezeichnete Frontonbekrönung; die schlummernde Lethe eine vortreffliche Eckfüllung sein; und der schwerfällige Tryphe vergegenwärtigt neben den Bacchanten und Satyren das komische Element. Und welch ein herrliches Mittelstück für einen der sogenannten Compartimenta, eine von den vlämischen Künstlern jener Zeit so geliebte Verzierung, das eigenartige vlämische Ornament, würde nicht seine geistreiche Schilderung, die Göttermahlzeit auf dem Olymp, abgeben können? wobei der schnellfüßige Merkur seine Diebereien und der verächtliche Priapus seine Zoten ausführt. Vulkan spielt den Narren und macht die Götter schmunzeln; Silen, der sonst den Cordoa, den Bauertanz von Lucianus, allein tanzt, macht jetzt mit Polyphem den Zyklopensprung; die schlanken Nymphen schweben barfuß um ihn herum, und die unbeholfenen Satyre versuchen Atellanen, einen Tanz wie der spanische Fandago zu hüpfen, während Pan gesalzene Liedchen singt, welche viel mehr nach dem Geschmack der Götter sind, als die Lieder der Göttinnen. -

Diese Beschreibung zeigt die Propagation, der neuen Kunstbewegung durch einen Gelehrten; und was nun die Propagation durch Kleinkünstler, und unter diesen auch durch Maler, betrifft, dazu möge folgendes dienen. Schon in der Gotik findet man oft auf Gemälden, in Miniatur, auf Wandmalereien und an Holzschnittarbeit eine Art Schilder oder Bänder, welche Inschriften enthalten, Namen, Sprüche usw. Zu diesen gemalten oder geschnitzten Gegenständen nahm man Schleifen von Pergament oder Leder als Vorbild. Diese Stoffe haben die Eigenschaft, daß sie sich unter dem Einfluß von Feuchtigkeit sehr leicht einrollen und dadurch eine zierliche Kontur erhalten. Dieses ziemlich primitiven Verzierungsmotivs der Gotik bemächtigen sich die vlämischen Ornamentzeichner des 16. Jahrhunderts, und bildeten dasselbe nach dem Prinzip der Renaissancekunst um. In der Tat ist dieses Motiv ganz neu, denn in der klassischen Kunst kommt die sogenannte Kartusche nicht vor; und trotzdem ist dieselbe in Charakter und Wesen ein reines Renaissancemotiv, das mit den gotischen Bändern nur historisch zusammenhängt. Die vlämischen Künstler dachten sich ein Schild von Pergament oder Leder, oft auch zwei Schilder, ein oberes und ein unteres, zusammen verflochten, und gaben ihnen nun die verschiedensten Formen; ergänzt mit Ornament, Masken, Ringen, Löwenköpfen, Rosetten usw. Und diese Kartusche verbindet man nun mit allen möglichen Bauteilen, stellt sie gegen die Wand, gegen Pilaster, benutzt sie zu Bogenfüllungen usw. Eine Folge dieser Kartusche ist die Verzierung der schon soeben genannten Compartimenta; dieselbe entsteht, wenn der eigentliche Körper der Kartusche weggelassen wird, und nur ein Netzwerk übrig bleibt. Dieses Netzwerk dient nun als Umrahmng von Feldern oder Compartimenten, welche allerhand Grotesken, Blumenbuketts, Fruchtschnüre usw. enthalten. Es ist dieses Ornament, welches die eigentliche Verzierung der holländischen Architektur ausmacht, und daher dem Stil das charakteristisch Nationale verleiht. Dieses Ornament war schon 1549 durch van Aelst verwendet an verschiedenen Triumphpforten, errichtet bei Gelegenheit des Besuches von Karl V. und seinem Sohn Philipp in Antwerpen. Die Stadt war damals reich geschmückt und mit der ganzen Verzierung wurde van Aelst beauftragt. Diese Sammlung Ehrenpforten wurden später mit einer lateinischen Beischrift herausgegeben, mit Grundrissen, Werkzeichnungen usw., eine Erläuterung, welche dazu diente, anzugeben, wie diese temporären Gebäude als feste Gebäude in Holz und Stein ausgeführt werden konnten. Derselbe van Aelst war übrigens der Niederländische Bearbeiter des bekannten Buches über Architektur des berühmten Baumeisters Serlio. Von einem gewissen Floris wurde die eigenartige Verzierung in einem Buche mit vielen Entwürfen propagiert; und sogar schon hier und da monumental verwendet, z. B. in Dordrecht an dem sogenannten Krankenhauspförtchen, und später durch den begabten Vredeman de Vries noch weiter entwickelt. Er ist überhaupt derjenige, welcher mit unerschöpfter Phantasie dieses Ornament schuf, und daraus für die niederländische Renaissance machte, was die Groteske für die italienische gewesen ist. Können wir Rafael und seine Schule vollauf bewundern, und geben seine Loggien des Vatikans in prächtiger Form, nur einen ganz kleinen Teil der italienischen Dekorationskunst, so können wir die Arbeit des soeben genannten Künstlers als qualitativ damit gleichwertig betrachten. Und was für die niederländische Renaissance ein van Aelst oder Vredeman de Vries, das war für die deutsche z. B. ein Dieterlin, was man sofort sieht, wenn man seine Architekturskizzen vergleicht mit nachher ausgeführten Arbeiten. Es waren also Kleinkünstler und Maler, welche die neue Kunst in die Welt schafften, und so wird es wohl, mag denn auch späterhin die Architektur die führende Rolle nehmen, zu allen Zeiten gegangen sein. Von dieser Tatsache haben wir in der Architektur vollauf die Beweise und zwar nicht immer die glücklichsten. Was ist der Fall? Wir wissen doch alle, wie unmaßgebend schon architektonische Zeichnung ist; das heißt wie viel an derselben noch studiert und revidiert werden muß, bevor man zur Ausführung gelangen kann. Und je erfahrener die Hand, das heißt je mehr mit der Praxis vertraut, je weniger da zu korrigieren ist. Desto gefährlicher um die Architektur, je freier man die Hand aufs Papier gehen läßt, weshalb denn auch die sogenannten künstlerischen Entwürfe, und zwar von jungen Leuten, die allergefährlichsten, das heißt am unausführbarsten sind. Unter ausführbar sei dann natürlich zu verstehen stilgerecht, das heißt einer logischen klaren Konstruktion gemäß, ohne falsche oder versteckte Hilfsmittel, und in natürlichem Material mit seinen besonderen Stilbedingungen. Denn nüchtern weg »machen« läßt sich leider alles! Aber wie steht es nun, wenn Maler und Zeichner sich mit Architektur befassen, und »malerische« Entwürfe machen? Da sieht's gewöhnlich am allerschlimmsten aus, weil eben an diesen Entwürfen zwar das Malerische, aber dann im schlechten Sinn, das heißt nur auf dem Papier gedacht, aber eine logische konstruktive Lösung eben nicht vorhanden ist, indem der Maler kein Architekt, nicht das richtige Verständnis für Architektur hat. Nun waren zwar jene Meister früherer Jahrhunderte bewanderter als wir heutzutage, und in den Künsten jedenfalls vielseitiger gebildet; aber trotzdem läßt sich sogar an den architektonischen Werken damaliger Zeit klarlegen, wie weit der Einfluß der Kleinkunst und Malerei gegangen ist. Am Anfang der Stilperioden sieht man diesen Einfluß am deutlichsten, weil alsdann, sagen wir, diese Fehler sich am besten zeigen, während im Laufe der Stilentwickelung sie natürlich verbessert und dann allmählich mehr architektural ausgebildet werden. Es liegen da Beispiele zum Greifen nahe.

(Schluß folgt)


BAUKUNST UND KLEINKUNST
von H. P. Berlage in Amsterdam 
(Schluß)

EIN Beispiel für unsere Behauptung ist z. B. die Volute. Diese Form ist ein allgemein verwendetes Kunstmotiv. Semper erklärt sie aus der Textilkunst, also wie immer technisch materiell. Es gibt aber Völker, wie z. B. die Maori auf Neuseeland, welche weder Textilkunst noch Leder haben, und doch die Volute, die Spirale, sogar bei ihrer kunstvollen Ornamentik, viel verwenden. Es scheint daher angemessen, dieselbe wirklich als eine ursprüngliche Kunstform zu betrachten, und zwar als ein geometrisches Ornament, aus einer Figur konzentrischer Kreise entstanden; überhaupt ein Motiv, zu welcher jede neue Kunst wieder zurückkehren muß. Nebenbei gesagt ist dies schon in der modernen Kunstbewegung der Fall, was ich nachher näher zeigen werde. Und sehr wahrscheinlich ist auch das geometrische Ornament nicht zuerst in Textilarbeit ausgeführt worden. Denn ursprünglicher als das Bedürfnis des Menschen nach Schutz des Körpers durch textilische Produkte ist dasjenige nach Verzierung des Körpers; und unter diesen Verzierungen sind ebenfalls linear geometrische Ornamente. Mit dieser Tatsache fällt also das Prinzip der Identifikation von Textil- und Flachornament; ja sogar der sogenannte Wappenstil, die symmetrische Placierung von zwei Figuren zu beiden Seiten eines Mittelmotivs, ist nicht ursprünglich textil. Aber jedenfalls war die Volute anfangs ein Flachornament, das aber allmählich auch in die Plastik übergegangen ist. Wir treffen die Spirale dann auch überall, und bis zur höchsten Vervollkommnung bei den Griechen; zuerst in der archaistisch mykenischen Kunst, und plastisch am ionischen Kapitäl, sogar stellenweise mit einer sehr häßlichen Ecklösung. Aber dieselbe Volute wird ein sehr gefährliches Motiv in Händen von Zeichnern, insofern daß dieselbe sich leicht zeichnen läßt, aber dafür noch nicht immer ausführen. Und wenn dieselbe an kleinkünstlerischen Gegenständen z. B. von Metall auch leichter ausführbar, so ist sie es sehr oft nicht in Stein. Ich erwähne nun als ein absolut naives, aber dazu häßliches Motiv der Frührenaissance die Eckfüllung an Kirchen zur Bildung des Übergangs des hohen Mittelschiffes zu den niedrigen Seitenschiffen. Das muß ursprünglich eine Lösung auf Papier gewesen sein, denn in einer Zeichnung macht sich eine solche spielend leicht. Aber ein Baumeister, welcher sich zu einem solchen Detail hat verführen lassen, ist mehr Dekorationszeichner als Baumeister. Weshalb Alberti nicht ganz einfach die schräge Dachkonstruktion gezeigt hat, wie es die Gotiker getan, ist wirklich unbegreiflich. Schon Burckhardt erwähnt dieses als ein erstes bedenkliches Beispiel einer falschen Vermittelung, indem ihm, d. h. dem Alberti, wahrscheinlich die angelehnten Halbgiebel zu streng erschienen gegenüber der sonstigen dekorativen Haltung des Ganzen. Wie gesagt, das ist nur zu erklären aus dem allmählich eingedrungenen Geist des Dekorierens statt des logischen Bauens, einen Geist des spielenden Zeichnens, aber nicht des folgerichtigen Verfahrens einer starken Architektur. Doch scheint der Geist des Dekorierens den Italienern im Blut zu sitzen, denn alsbald vergessen sie bei ihren gotischen Domen die Konstruktionslogik und stellen drei dreieckige Giebelfelder nebeneinander, welche ebensowenig den richtigen Querschnitt wiedergeben. Wie dem auch sei, das Motiv war einmal da und bleibt bestehen, es wird ausgebeutet, es lebt sich aus. Es ist als ob man in der Renaissance sich scheut vor rechtwinkligen Übergängen; immer wird eine Eckfüllung angebracht, und zwar zuletzt mit großem Talent; diese gefallen jedenfalls besser als die nachher von Palladio in klassischem Geiste an der Redentorekirche zu Venedig gebildeten halben Dreiecksgiebel. Diese Eckfüllungen bilden sogar ein charakteristisches Hauptmotiv der ganzen nordischen Renaissance, nämlich der niederländischen und der deutschen, indem sie dazu dienen, die mehr oder weniger hohen Stufen der sogenannten Stufengiebel auszufüllen. Die Spirale ist zwar nicht immer da, aber meistenteils doch, denn sie bildet die leichteste Übergangslösung, bis sie dann natürlich im Barockstil wirklich Hochzeit feiert, in allen möglichen Zusammenstellungen, in der italienischen Renaissance oft in riesenhaften Dimensionen, wie an der Kirche St. Maria della Salute in Venedig, aber die Grundform beibehaltend; in der nordischen Renaissance mit großer Phantasie zu den kompliziertesten Skulpturen umgearbeitet, mit allen möglichen Figuren von Menschen und Tieren, Girlanden, Masken usw.; kurz und gut, mit dem ganzen Aufwand der schon obengenannten Ornamentik der nordischen Meister. Die malerische Umrißlinie der Amsterdamer »Grachten« ist größtenteils diesen Giebeldekorationen zu verdanken. Und welcher schönen monumentalen Entfaltung sie fähig waren, zeigen z. B. die Eckfüllungen an der Börse zu Kopenhagen. Wir sehen also eine fortwährende Wechselwirkung zwischen Kleinkunst und Architektur und umgekehrt, mit einer gegenseitigen Tyrannei, aber meistenteils von der Architektur über die Kleinkunst, weil eben diese im allgemeinen die stärkere war. Das interessanteste auf diesem Gebiete bietet nun jene Periode, welche schließlich als die großartigste, weil geschlossenste, gekennzeichnet werden muß, nämlich die mittelalterliche. Nach der griechischen ist die mittelalterliche Kunst die stilvollste, indem sie, architektonisch gesprochen, die konstruktivste und die einzige Originalkunst des Abendlandes. Je geschlossener, je einheitlicher nun eine Kunst, desto tyrannischer auch wieder jene gegenseitige Wirkung von Kleinkunst auf Architektur und umgekehrt; und da nun im Mittelalter alles von der Kirche abhängig war, auch die Kunst, war es zu guter Letzt die kirchliche Baukunst, und zwar anfangs die romanische, später die gotische, welche die ganze Kunst unter ihre Herrschaft brachte.
Jedoch war es auch in dieser Zeit die Kleinkunst, das Mobiliar, an welchem sich hauptsächlich die durchgehende Veränderung im Geiste der neuen Zeit, des 12. und. 13. Jahrhunderts, vollzog. Es waren zuerst die nordisch europäischen Völker, welche nach Karl dem Großen sich allmählich von dem Einfluß Roms losmachten; und erst nachher begann jene große gesellschaftliche Bewegung mit dem Entstehen der Zünfte, als Folge der Lösung des ganzen Gewerbes aus den Händen der Geistlichkeit. Im Anfang der romanischen Periode stand daher das Mobiliar ganz unter kirchlichem Einfluß (es entlehnte der Architektur ihre besonderen Formen, und zwar dermaßen, daß viele Möbel ganze Gebäude, d. h. Kirchen imitierten; aber die Zünfte brachten auch darin eine Veränderung zum guten); das dauerte aber ziemlich lange, denn, wie jede Umwandlung zum Wohl der Gemeinschaft, dauerte auch diese Freimachung des bürgerlichen Gewerbes ein paar Jahrhunderte, weshalb diese erst in der gotischen Zeit erreicht war. Man begreift es eben nicht, daß Strebepfeiler und Strebebögen, welche in der großen Architektur ihre konstruktive Berechtigung haben, auch an Möbel übertragen werden; zwar meistens an Chorgestühle, welche der kirchlichen Architektur am nächsten liegen und daher selbstverständlich dem Schema eingereiht werden; denn von profanem Hausrat ist jetzt leider aus dieser Zeit nicht viel mehr übrig. Vielleicht würde dieses doch eine freiere Verwendung der Motive zeigen und besser, wie z. B. die Griechen es getan haben, die Unterscheidung zwischen mobiliar, d. h. beweglicher und nicht mobiler Architektur. -

Jene Unterscheidung gehört jedenfalls stilistisch zu den schwersten Problemen. Ja sogar Wassernasen und Speier kommen vor; kurz und gut, der ganze Apparatus, welcher zu einer Außenarchitektur gehört. -

Und dann das Ornament! Es gibt keinen Stil, soviel mir bekannt, welcher so bis zum Überdruß, ich möchte sagen bis zum Ekel das nun einmal angenommene Ornament, in diesem Falle das geläufige Schema von drei- und vierpaß, ausgebeutet hat. Das architektonisch Allerhöchste, das kirchliche Rosenfenster, wird sogar überall dort angewendet, wo es eben nicht mehr hingehört, als ob auch für das gewöhnlichste Gerätchen das »Sub Rosa« von Bedeutung wäre. Übrigens bietet die Renaissance ein ähnliches Ergebnis, indem architektonische Kuppelungen in der Kleinkunst Verwendung finden, und wir haben Beispiele von Gartenanlagen, welche umgekehrt Entwürfen für Spitzenkragen usw. entlehnt sind. Doch muß man wirklich einerseits die größte Bewunderung haben für die künstlerische Phantasie, welche alles aus diesem Schema gemacht hat, andererseits auch für die Hartnäckigkeit, mit welcher dieses Schema bis zum Despotismus alles Künstlerische beherrscht hat. Ach, hätten wir heutzutage doch nur etwas von diesem Prinzip, von dieser Unwillkür, von dieser Unterwerfung an einem Kunstgesetz. Die Tatsache, daß jeder Stil sich selber mehr oder weniger ausnützt, alles, aber auch alles macht, bis zuletzt nichts mehr zu machen übrig bleibt, möge allein genügen, den neueren Stilbaumeistern einen leisen Wink zu geben, daß sie am allerwenigsten imstande sind, etwas Ursprüngliches, etwas Lebensfrisches zu machen; weil eben alles schon gemacht und natürlich innerhalb der einmal gefestigten Epoche viel besser gemacht wurde; noch ganz abgesehen von der geistigen Grundlage eines jeden Stils, welche heutzutage doch wohl nicht dieselbe sein kann wie ehemals. Zu diesen einzelnen Betrachtungen, welche leicht noch mit vielen Beispielen zu ergänzen wären, gehört kein tiefes Stilstudium, sondern sie sind Ergebnisse einer besonderen Anschauung, welche bezweckt, vor allen Dingen auch auf die Kunst die Probe der Logik zu machen; und ich glaube wohl, daß die heutige Zeit eine solche Probe ganz von selbst herausgefordert hat. Das eigentliche Moderne in unserer Zeit ist »Besonnenheit«, sagt einer unserer größten jüngeren holländischen Dichter! d. h., indem unsere Zeit auch wirklich eine kritische genannt werden kann, soll sie auch vor allem in ihren Werken die Folge davon sehen lassen. Und in der Tat scheint es mir, daß es auch wirklich die Besonnenheit ist, welche vorläufig die geistige Grundlage zu einer modernen Architektur werden kann. Aber man soll diese Kritik der älteren Epochen nicht identifizieren mit Geringschätzung. Bekanntlich kritisiert man doch nur Dinge, welche man beobachtet, ja sogar solche, welche man liebt, denn im anderen Fall bleibt man gleichgültig. Im Gegenteil, eine solche Kritik ist nur der Beweis einer Sehnsucht nach einem verlorenen Glück. Der Wendepunkt bedeutet, daß die letzten verflossenen dreißig Jahre in allem, in unseren Anschauungen, in unseren gesellschaftlichen Begriffen eine Umwandlung gebracht haben; daß dasjenige, was anwendbar schien, eben nicht mehr anwendbar ist; daß Kunstmotive wegfielen, welche unwandelbar schienen; daß, gerade heraus, alle ausgenützt waren und eine frische Lebensäußerung mit Hilfe dieser unmöglich wurde. Wer kann sich jetzt noch für eine gotische Trazierung oder Kreuzblume, wer für ein korinthisches Kapitell oder ein Akanthusblatt interessieren? Nur von einem vergeistigten neuen, nicht von einem abgelebten Leben kann man was erwarten. Also die Besonnenheit, welche ich daher die ästhetische Besonnenheit nennen möchte, kann oder vielmehr wird die geistige Grundlage einer modernen Kunst werden, was, nebenbei gesagt, sehr unkünstlerisch klingt, es aber absolut nicht ist, wenn nur Besonnenheit nicht mit Nüchternheit und Sächlichkeit nicht mit Geschäftigkeit verwechselt wird. Zu dieser ästhetischen, d. h. geistigen Besonnenheit sind wir durch Kritik der früheren Stile gekommen; aber ebenfalls zu einer materiellen Besonnenheit, welche in diesem Verband genannt werden muß, durch Kritik des heutigen Kunstzustandes, nämlich des industriellen Verfahrens. Wenn ich spreche vom industriellen Verfahren, dann meine ich den Einfluß, welchen die Industrie auf die Kunst ausgeübt hat. Kritisiert man dieselbe, dann kann man sagen, daß sie gewissermaßen in doppelter Beziehung sich der Ausbeutung schuldig gemacht hat, nämlich in ökonomischer und auch in geistiger Beziehung. Ökonomisch hat die Industrie die Arbeiter ausgebeutet, aber geistig, und ich meine in diesem Falle künstlerisch, hat sie das ganze Volk, mit einem Schein von Kunst, von dem man aber bekanntlich nicht leben kann, abgefüttert. Und so wie denn die ökonomische Ausbeutung zuletzt erkannt wurde und die Arbeiter jetzt zur Besonnenheit gebracht sind, so ist auch gottlob die Erkenntnis der geistigen Ausbeutung bereits deutlich geworden, daß man durch eine industrielle Kunst, wie dieselbe heutzutage nun einmal getrieben wird, ein kümmerliches Dasein fristet. Wir sind zur Erkenntnis gekommen, daß es geradezu empörend gewesen, mit welchen Scheinprodukten wir beschenkt worden sind. Ich rede nicht einmal von allen den Scheußlichkeiten, kurzweg von dem Schund, welche die Galanterieläden uns als Kunstsachen verkauft haben, denn es gibt schließlich darin auch noch Abstufungen; aber von den Produkten, bei welchen man noch glauben kann, daß der Fabrikant sie in die Welt setzt nicht nur um Geld zu verdienen, sondern in der wirklichen Meinung, auch noch Kunstwerke hervorgebracht zu haben. Es sind jene massenhaft hergestellten Surrogate, welche früher mit der Hand gemacht wurden. Ist es nicht empörend zu sehen, daß dasjenige, was früher als Handwerk, zeugend von der liebevollsten Arbeit, jetzt fast gänzlich mit der Maschine gefertigt wird; und derjenige Teil, für welche noch keine Maschine geschaffen wurde, zwar mit der Hand gemacht, aber mit einer Hand, welche jener Arbeit ganz fremd geblieben ist? Und daß schließlich eine Vervielfältigung jener Produkte den geistigen Wert derselben noch um ebensovielmal erniedrigt. Ist das nun der Fehler der Maschine? Mitnichten! Es liegt nur an der Hand, welche dieselbe führt. Sehen wir, was Muthesius in seiner Schrift »Stilarchitektur und Baukunst« zu diesem Gegenstand sagt: »Daß es vorzugsweise die Maschine war, die mit dem Gewerbe auch den Sinn für wirkliche Gediegenheit tötete, ist ein bekannter Lehrsatz. Man muß sich jedoch hüten, darin ein notwendiges Übel der Maschinenarbeit zu erblicken, um daraus, wie das die englischen Sozialkunstgewerbler taten, eine Verurteilung der Maschine überhaupt abzuleiten. Die Maschine hat allerdings dadurch, daß sie zu falschen Dingen verwendet wurde, daß sie gewissermaßen die Grenze ihres Gebietes überschritt, zunächst Unheil angerichtet; sie hat auf allen Gebieten den billigen Schund auf den Markt geworfen; künstlerisch hat sie bisher fast lediglich Falsifikate erzeugt und dadurch gerade ihrerseits dazu beigetragen, die Begriffe so heillos zu verwirren; und etwas weiter. »Offenbar ist die Maschine nicht dazu da, Kunst hervorzubringen.« »Die Maschine wird mißbraucht. Man verlangt von ihr Kunst, und das kann sie nicht geben.« Kann sie das also wirklich nicht? Es scheint fast so. Und doch kann sie es, nur unter der Bedingung, daß man nicht von ihr verlange, daß sie Kunst liefere wie die Menschenhand, und das ist eben der große Fehler ihrer Leitung. Wir haben in dieser Richtung die Maschine noch nicht zu leiten gewußt. Die Maschine verlangt ihren eigenen Stil! Man soll an dem Produkt eben sehen können, daß es mit der Maschine gefertigt. Haben wir doch nicht schon eine unzählige Anzahl von Dingen, bei denen an Händearbeit nicht mehr gedacht werden kann, z. B. Tapeten, alle möglichen Stoffe usw. Und ist schließlich der Handwebstuhl nicht auch eine Maschine? Und die Drehscheibe, welche so alt ist als wie die Menschheit? Es ist schließlich nur ein gradueller, nicht ein prinzipieller Unterschied vorhanden, und es hängt nur vom Menschen selber ab, ob er das »ideale Werkzeug« gut oder schlecht zu gebrauchen weiß. Die Griechen würden uns wahrscheinlich um unsere Maschine beneidet haben. Aber wie gesagt, sie wird heute in künstlerischem Sinne schlecht geführt, abgesehen von der Tatsache, daß sie in den meisten Fällen nur dazu dient, den Fabrikanten das meiste Geld verdienen zu lassen. Es gibt nun Utopisten, welche wieder in diesem Sinn zum Mittelalter zurückgehen wollen, indem sie wieder das Handwerk in Ehre hergestellt wünschen. Ja sogar Morris, welcher doch seine Zeit kannte, hatte dieses Ideal. Dies scheint nun doch wirklich eine Utopie. Im Gegenteil, wir gehen der Zeit entgegen, in welcher alles mit der Maschine gearbeitet werden wird. Die Maschineningenieure gehen ruhig weiter, ihre Maschinen zu erfinden, und diesen gegenüber führt das Handwerk einen vergeblichen Kampf. Dazu kommt, daß auch die große Masse allmählich von der Maschine den direkten Nutzen verlangt und auch haben wird. Wird es dann gar keine Handarbeit mehr geben? Nun doch! aber wir hoffen dann, daß die Menschheit so weit sein wird, daß sie zu unterscheiden nicht nur, sondern auch zu würdigen weiß, was der Maschine und was der Hand zufallen muß und was diese letztere geschaffen hat; denn schließlich bringt dasjenige, was diese macht, doch die meiste Freude. Kennzeichnend für diese Zeit ist daher die erneute Liebe für die getriebene Arbeit, an welcher man die Hammerschläge sehen kann, die aber, und das ist Tatsache, auch jetzt schon mit der Maschine »ganz natürlich« nachgeahmt werden. Das ist einmal der richtige Stilbegriff! Wirklich zum Lachen, wenn es nicht so traurig wäre. Doch gab uns das 19. Jahrhundert, als es zu Ende ging, auch ein erfreuliches Bild: das Aufblühen gerade der Kleinkunst, und zwar in allen Ländern. Welchen Charakter hat nun diese neue Blüte? Es ist gutes Quantum Kritik losgegangen und eine große Masse Federn in Bewegung gesetzt worden als die ersten Gegenstände des modernen Kunstgewerbes, wie Stuhl und Schrank, wie Topf und Pfanne, mit einem ausgesprochenen Streben nach primitiver Einfachheit nicht nur, sondern mit einer fast totalen Abwesenheit jeglichen Schmuckes, d. h. von sachlicher Behandlung erschienen. Es waren kunstgewerbliche Gegenstände von einfacher, ungeschmückter Konstruktion, Folge eines logischen Kunstprinzips, welche wie früher schon sofort, denn es entstanden zu gleicher Zeit schon einige Bauwerke in demselben Charakter, auf die Architektur einwirkend, ja dieselbe gewissermaßen genießbar machte. Man konnte also ein Streben konstatieren, als Reaktion gegen die elende, geistlose, protzenhafte Verzierungswut von Kleinkunst und Architektur zur Eliminierung, was man früher als das eigentliche Kennzeichen eines Kunstgewerbes zu betrachten pflegte, nämlich: das Ornament. Denn weder ein Gegenstand von täglichem Gebrauch, noch ein Gebäude wurde als Kunstwerk betrachtet, wenn an demselben das Ornament fehlte. Ein glatter Schrank konnte ebensowenig wie ein Fabrikgebäude oder ein Güterschuppen das Werk eines Künstlers sein. Es war nicht die Form als solche, sondern wenn man will eine gewisse äußerliche Zutat, welche den Kunstgehalt bestimmte. Sind nun die also gemachten Gegenstände keine Kunstwerke? Ist es wahr, daß die Kunst erst mit dem Ornament anfängt? Auf einer niedrigen Kunststufe hätte eine solche Anschauung etwas für sich, sowie denn auch in tiefster Kunstgesunkenheit der größte Schundgegenstand, wenn auch in banalster Weise ornamentiert, in Kunstschätzung höher zu stehen pflegt als der ungezierte Gegenstand, aber von der edelsten Umrißlinie, und pflegt ein Gebäude von der bedenklichsten Architektur, wenn nur behängt mit einzelnen Ornamenten eines existierenden Formenschemas, für schöner gehalten wird als eines von den nobelsten Verhältnissen, aber an welchem das Ornament fehlt. Aber auf einer hohen Stufe der Kunstanschauung, d. h. bei Betrachtung von Kunst als Abspiegelung von Kultur, ist doch die Schätzung des unverzierten Gegenstandes als Kunstwerk sehr gut möglich, weil eben dann bei Umwandlung von Kultur auch ihre Kunstanschauung die Umwandlung mitmacht; abgesehen von der Möglichkeit, ob auf der langen Dauer der Mensch, seinem innerlichen Drange folgend, nicht von selbst wieder zum Ornament zurückkehren wird. Interessant zu diesem Gegenstand ist die Schrift von Hermann Muthesius, welche ebenfalls, zu dem Schlusse führt, »daß die Zeitentwickelung auf Ablegung des Schmuckes hindrängt«. Trotzdem glaube ich zuletzt doch an diesen Verzierungsdrang im Menschen, weshalb wir also nicht zu einer »ornamentlosen Kultur« hinsteuern, und finde für diese Ansicht sogar heutzutage die Bestätigung, indem ein ganzes Heer von Künstlern sich mit dem modernen Ornament beschäftigt. Vorläufig hat aber, wie wir sehen, die erste Ansicht alles für sich, wenn auch das ornamentlose Kunstwerk vielleicht nur als eine Reaktion gegen die sinnlose Verzierungswut des letzten Jahrhunderts zu betrachten ist. Wie dem auch sei, das Studium der früheren Stile hat jedenfalls zur Kritik derselben geführt und diese hat man in der modernen Kunst auf die Probe stellen wollen. Vor allem doch soll jeder Gegenstand auf die Frage, warum? in sachlicher Beziehung eine schlagende Antwort geben können. Zu lange hat man uns mit kunstgewerblichen Sachen abgespeist, an denen aber auch von dem praktisch Gewerblichen nicht viel zu beobachten war, und mit sogenannten Kunstsachen, welche nichts bedeuteten, aber dafür unsere Zimmer schmücken sollten. Indem nun aber das Schmücken sehr fraglich wurde, fragte man sich sehr bald wozu? Das klingt zwar sehr pedantisch, und jedenfalls nach früherer Ansicht absolut unkünstlerisch. Ist es das aber in der Tat? Wir haben schon gesehen, daß die mittelalterliche Kunst prinzipiell ebenfalls eine sachliche Kunst war und deren Verirrungen nur untergeordnete Sachen betrafen. Und man wird doch wohl nicht behaupten können, dieselbe sei unkünstlerisch gewesen; wir gehen dann aber viel weiter, denn was die Sachlichkeit betrifft, sollte jedenfalls ein viel strengerer Maßstab angelegt werden. Und das tun wir schon. Daß nun schließlich diese strenge Sachlichkeit auch zu etwas sehr Künstlerischem führen muß, dessen kann man überzeugt sein oder nicht, aber jedenfalls schließt das eine das andere nicht aus. lm Gegenteil, man kann ruhig sagen, daß eine nicht sachliche gewerbliche Kunst in Wirklichkeit keine Kunst sei, und deswegen bin ich von einem Resultat in der Zukunft überzeugt. Es ist nun hier, daß wieder der Verband mit der Maschine gesucht werden muß, denn so wie auch die Maschine vor allen Dingen speziell sachlich zu arbeiten sucht und in ihren wirklich guten, rein maschinalen Produkten das auch wirklich tut, sieht es danach aus, als ob dieses Jahrhundert, an dessen Schwelle wir stehen, in dieser Richtung eine Kunstentwickelung, gewissermaßen mit einem industriellen Charakter, zeigen wird. Allerdings hat die sogenannte moderne Bewegung in den letzten 20 Jahren sehr schön eingesetzt; sie war ein gewaltiger Schrei! so geht's nicht länger! ein Schrei auf geistigem, wie die Arbeiterbewegung auf ökonomischem Gebiete! Es waren ebenfalls die Intellektuellen, welche vorangingen, zu versuchen, die große Masse in das gelobte Land einzuführen. Aber so wie es immer mit großen Bewegungen geht; möge der erste Anlauf auch ein vielversprechender sein, unwiderstehlich kommt nachher eine Erschlaffung; es kann der Bogen nicht immer gespannt bleiben. Und nun scheint es, als ob von neuem diese künstlerische Bewegung von der großen Industrie überrannt werden wird! Denn was anfangs mit so äußerster Sorgfalt von einzelnen Führern gepflegt wurde, ist jetzt schon fast wieder Gemeingut geworden. Massenhaft wird schon wieder produziert, dasjenige, was vor einigen Jahren noch als wie ein Kleinod gezeigt wurde; in den großen Geschäftshäusern verkauft man Gegenstände im Stil von jenem und diesem, an welchen diese Urheber gar keinen Anteil haben. Es ist immer wieder die Maschine, welche sich als die Überlegene zeigt. -

Und was vor einigen Jahren mit Stilmöbeln geschah, geschieht jetzt mit modernen Sachen, und zwar in viel schlimmerem Grade. Auch jetzt gilt es auf dem Posten zu stehen und dafür zu sorgen, daß nicht der Fabrikant, sondern der Künstler geistig Herr bleibe. Und dann ist zuletzt unter den modernen Künstlern selber schon wieder eine Spaltung merkbar. Denn obgleich die moderne Bewegung sich in den verschiedenen Ländern nicht in ähnlicher Weise äußerte, bleibt nicht zu leugnen, daß ein Grundprinzip, und zwar bei denjenigen Völkern, welche in dieser Bewegung die Führung übernahmen, nämlich: die germanischen, mehr oder weniger kräftig interpretiert wurde und zwar gerade dasjenige einer gesunden, d. h. in diesem Falle ehrlichen, sachlichen Konstruktion, wozu England den Stoß gegeben. Allerdings haben dadurch diese ersten englischen Möbel etwas Gotisches an sich; auf dem Kontinent milderte sich dieser Anklang mehr oder weniger, was jedenfalls ihrem Charakter zugute kam. Anstatt dieses Prinzip nun festzuhalten und darauf weiterzubauen, wozu alle Veranlassung wäre, denn es ist dieses Prinzip, welches als Vorschule zu einer modernen Kunst, als ebenfalls sachlich, alle Vorzüge bot, sieht man daneben wieder eine jüngere Generation, welche dieses Prinzip schon wieder zu verneinen anfängt, es eigentlich immer verneint hat, es jetzt aber jedenfalls für abgetan erklärt und nun mit dem klassischen Ideal vor Augen dorthin strebt. Wir haben jetzt der Logik genug, jetzt wieder einmal die freie Phantasie! Das ist nun alles sehr schön, wenn mit dieser Phantasie nur nicht wieder die individuelle Zügellosigkeit von neuem anfängt. Ich glaube es nicht, aber wie dem auch sei, diese kritisch logische Bewegung hat jedenfalls das unsterbliche Verdienst für die Zukunft gehabt, die Kleinkunst wieder in gute Bahnen geleitet zu haben, und mit ihr die Architektur; denn den einfachen und schmucklosen, ebenfalls sachlichen Stil der letzteren hat man durch die Kleinkunst zu vertragen gelernt. Die Zukunft unserer Kunstentwickelung liegt noch im Dunkel. Das Ideal der ökonomischen und damit wirklichen Gleichheit aller Menschen, das sich vorbereitet, wird auch der neuen Kunst die Wege weisen. Zur Kritik der vergangenen Stile, die unsere moderne Bewegung das logische Konstruktionsprinzip hat erwählen lassen, wird sich das Gefühl gesellen; und so wird die Welt hoffentlich wieder eine neue Kunstblüte sehen, die sich den höchsten Leistungen der Vergangenheit anreihen darf.