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Autor: Caesar, Karl
In: Neudeutsche Bauzeitung 6. (1910); S. 29 - 34
 
Von deutscher Kunst *)
 
Unter Mitwirkung von: PETER BEHRENS / H. P. BERLAGE / HANS BERNOULLI / THEODOR FISCHER / JULIUS HABICHT / PAUL MEBES / HERMANN MUTHESIUS / H. CH. NUSSBAUM / BRUNO PAUL / KARL SCHEFFLER / FRANZ SEECK / und des Ausschusses zur Pflege heimatlicher Kunst und Bauweise in Sachsen, Vorsitzender Oberbaurat KARL SCHMIDT. Besprochen von KARL CAESAR; Professor an der technischen Hochschule in Charlottenburg.

Viele von der heutigen jüngeren Generation der Architektenschaft, besonders im Norden des Vaterlandes, haben Schäfer nicht mehr persönlich gekannt. Auch der nachhaltige Einfluß seines Wesens und seiner Werke auf unser heutiges Schaffen wird durchaus nicht überall, wo er wirksam ist, auf ihn als seine Quelle zurückgeführt. Mancher, der, was das vorige Geschlecht in mühevollem Kampf errungen, als festen Bestand seiner Schulkenntnisse mit sich herumführt, weiß nicht, wieviel er davon gerade ihm, der fast ein Menschenalter hindurch die Spitze der architektonischen Erkenntnis hatte, verdankt; er sieht in ihm den »Gothiker« im Gegensatz zu der nun einmal heute allein selig machenden Formensprache »um 1800«. Da sein Mund, an dem einst Hunderte begeistert hingen, auf immer verstummt ist, so müssen heute seine Werke reden. Nicht allein die, die er der Nachwelt in Holz oder Stein oder sonstiger sichtbarer Form hinterlassen hat, sondern auch die, die der wortgewaltige Meister als Zeugen seines Geistes in Gestalt von Reden und Aufsätzen, die alle architektonisch interessierenden Gebiete seiner Zeit umfaßten, im Laufe eines reichen Lebens gelegentlich in den Fachblättern niedergelegt hat. Diesen letztgenannten, nicht geringen Teil seines Lebenswerkes dem gebildeten Leser im Zusammenhang näher zu bringen, hat das in der Überschrift genannte Buch zum Zweck. Es enthält natürlich nicht alles, was im Laufe der Zeit aus der Feder des Meisters, dem das Wort zu Gebote stand wie keinem zweiten,

*) Unter diesem Titel sind soeben die gesammelten Aufsätze und nachgelassenen Schriften von Karl Schäfer im Verlag von Wilhelm Ernst & Sohn, Berlin, erschienen.


geflossen ist, wohl aber das, was er bei seinen Lebzeiten noch selbst als zu diesem Zweck geeignet bezeichnet hat und gibt uns im Ganzen ein treues Bild nicht nur von ihm selbst sondern auch von jener für uns Bauleute so interessanten Zeit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die die Morgenröte einer aufgehenden neuen deutschen Kunst mit der Wiederanknüpfung an die mittelalterliche Kunst der Germanen heraufgeführt zu haben glaubte. Zunächst ruft es unser Erstaunen hervor, daß uns Schäfer in einem Alter mit Zeugnissen fertigen technischen Könnens und wissenschaftlicher Reife entgegentritt, in dem wir besten Falls die Schulbank gerade verlassen haben. lm 18. Lebensjahr stehend, gibt er eine Geschichte und Beschreibung des Klosters Nordhausen, die eigentlich schon alle die Vorzüge enthält, die seine späteren Arbeiten auf dem Gebiet der Erforschung und Erklärung alter Baudenkmäler zu unübertroffenen Meisterstücken gemacht haben; und was der Dreiundzwanzigjährige im Jahre 1867 in 15 Druckseiten über Glasmalerei sagt, ist grundlegend gewesen für die gesunde Entwicklung, die die Wiederaufnahme dieser verschollen gewesenen Kunstübung am Ende des vorigen Jahrhunderts genommen hat. Ebenso bedeutend, wenn auch bis heute nicht von gleichem Erfolg begleitet gewesen, sind seine Untersuchungen über die mittelalterliche Polychromie (1876 und 1879). Zu einer Zeit, in der man den Limburger Dom seines Außenputzes entkleidete, weil der Restaurator in Übereinstimmung mit der herrschenden Kunstmeinung glaubte, selbst eine so bescheidene Veredelung des rohen und buntscheckigen Bruchsteinmauerwerks könne nur ein Werk der Barockzeit sein, zu einer Zeit, wo man die romanischen Bauten am Rhein aus den Resten ihres alten Gewandes herausschälte und mit Kalk oder Zement verfugte und längst bevor man noch immer mit Vorliebe die Neubauten, die in diesem frühen Stil gehalten wurden, als rohe Bruchsteinbauten aufführte, hat er erkannt und unanfechtbar nachgewiesen, daß nicht nur jene Bruchsteinbauten sorgfältig verputzt und farbig behandelt gewesen sind, sondern daß sogar die eleganten Quaderbauten der frühgotischen Zeit in Hessen auf ihren sauber bearbeiteten Werksteinflächen demselben Prinzip der Polychromie unterworfen waren, von der im Innern dieser Bauten die Systeme teilweise noch deutlich erhalten sind. Die Gutachten über die Entstehungsgeschichte und den Zustand wertvoller Baudenkmäler der hessischen Frühgotik, zu denen den kaum dem Jünglingsalter entwachsenen Meister die Behörde in jener Zeit des wieder erwachten Interesses für mittelalterliche Kunst mehrfach veranlaßte, sind Muster ebenso der klaren Erkenntnis geschichtlicher Vorgänge als der Darstellung des Erkannten. Die Entstehungsgeschichte eines Bauwerks, das er untersuchte, las er aus ihm wie aus einem aufgeschlagenen Buch. Seinem Adlerblick entging nichts und häufig machte ein geistreicher Fund technischer Art, der unumstößliche Beweise brachte, die herrschende Schulmeinung schmählich zu nichte. Und wie klar und sachlich und dabei voll Leben und Geist brachte er die Ergebnisse seiner Forschung zur Darstellung! Besonders wenn es galt, sie gegen bisher allgemein gültige, aber nun nicht mehr haltbare Anschauungen durchzusetzen oder gar gegen Angriffe zu schützen. Wer sich eines großen Genusses nicht berauben will, der lese seine »Wanderungen in der Mark Brandenburg« (1884) und »die Zeitstellung der Klosterkirche in Jerichow« (1884). Doch nicht allein den künstlerischen und bautechnischen Fragen der Vergangenheit, die in einer großen Zahl einzelner Arbeiten aus allen Gebieten in unserem Buche behandelt sind, wandte er sich zu, auch die Tagesfragen zog er in den Bereich seiner Feder. Zumal der Zeit, in der er als Schriftleiter des Zentralblattes der Bauverwaltung häufig Veranlassung hatte, das Wort zu ergreifen, verdanken wir eine ganze Reihe von interessanten Artikeln, Besprechungen von ausgeführten Neubauten, von Ausstellungen, Preisbewerbungen und Abhandlungen über moderne technische Fragen. Vom größten Interesse aber sind die späteren Veröffentlichungen über die Wiederherstellungen des Heidelberger Schlosses und des Meißner Doms, mit denen er die alle Welt bewegenden Streitfragen zu Gunsten der Sache entschied. Seine eigenen ausgeführten Bauten, von denen in dem Werke wenigstens soviel vorliegt, daß man sich auch hier ein Bild seiner Entwicklung und seines ungewöhnlichen Könnens machen kann, tragen durchaus den Stempel ihrer Zeit, in der er zwar einen Führer ersten Ranges darstellte, der er aber unterworfen war wie jeder andere Mensch. Wie weit aber überragt er auch in ihnen gerade in Bezug auf das, worin wir uns heute im Gegensatz zu jener Periode wissen, seine Vorgänger und Zeitgenossen! Ganz zu geschweigen von den Werken, die stets ihres Gleichen suchen werden, den Wiederherstellungen des Heidelberger Schlosses und des Meißner Doms. Wenn wir aus dem vorliegenden Buche, das uns durch das tatenreiche Leben des verstorbenen Meisters vom Anfang bis zum Ende führt und ihn uns in seinen eigenen Worten und Werken als Forscher und Schaffenden Künstler zeigt, das Resultat ziehen, so sehen wir, daß Schäfer sehr bald aus der Schule der Romantiker herauswuchs. Für ihn war die Belebung der mittelalterlichen Baukunst nicht Selbstzweck. Er huldigte keinem mit der Tagesmode wechselnden Archaismus. Er sah in dem »Wiederanknüpfen der zerrissenen Fäden der Überlieferung« die Vorbedingung für die »Ausgestaltung einer echt modernen lebensfähigen Baukunst«. Was ihn von uns, seinen Schülern, in diesem Bestreben unterscheidet, ist, daß er diese Überlieferung in einer früheren Zeit der deutschen Baukunst suchte, während wir glauben, daß auch in ihrer späteren Entwicklung etwas zu finden sei, was uns von dem Formalismus des ins Deutsche nicht übertragbaren Italiener- und Griechentums, von dem er die vaterländische Kunst befreien wollte, erlösen kann. Wir erblicken dies in der Art, wie unsere Baukunst mehrfach im Lauf der Geschichte der fremdländischen Elemente, die sie unter dem Zwang der äußeren Geschichtsentwicklung in sich hat aufnehmen müssen, Herr geworden ist, einmal in der Zeit des Humanismus, wo die Aufnahme italienischen Wesens eigentlich nur auf das Formale, fast Gleichgiltige, das Profit und Ornament und auch hier meist unter material- und witterungsgerechter Umbildung beschränkt blieb, und zum zweiten Mal nach dem 30jährigen Kriege, wo die italienischen Einflüsse erneut und mit größerem Erfolg eindrangen und wo das nationale Wesen, wenn auch dem Maße seiner tiefen Erschöpfung entsprechend viel langsamer, allmählich wieder durchdrang in dem starken Vertikalismus der meist nur geputzten Gliederungen, der Einschränkung der Horizontalgesimse; ihrer geringen Ausladung bei größerer Höhe und der materialmäßigen Behandlung des Formalen, Dingen, die man in gewissem Sinne ganz wohl gothisch nennen könnte. Unter Bestreben unterscheidet sich also im Wesentlichen in nichts von dem, was der große Lehrmeister sein Leben lang seinen Schülern vermittelt hat. Wir haben nur mehr, als es zu seiner Zeit möglich war, erkannt, daß das Formale, die sogenannte Formensprache oder der Stil bei der Betrachtung der Kunst vergangener Zeiten innerhalb desselben Landes eigentlich immer als das unwesentliche erscheint im Gegensatz zu dem wirklichen und bleibenden Wesen der Bauwerke, das in allen Zeiten, natürlich gleiche Verhältnisse des Landes und Klimas vorausgesetzt, gleich geblieben oder immer wieder gleich geworden ist. Jenes, die Formsprache, war von den äußeren Verhältnissen, der Mode abhängig — so wichtig es den ausübenden Künstlern erschien — es war wechselnd und veränderlich, wenn auch gewissen Gesetzen, die das Material, die Witterung und besondere Verhältnisse vorschrieben, unterworfen, dieses, nämlich die Art des architektonischen Gestaltens umbauter Räume war unabhängig von den Stilformen, führte meist zu einfachen, selbstverständlichen, typischen Baukörpern und blieb durch die Stilperioden hindurch im Wesentlichen sich gleich. Soweit Schäfer hierin von unserer heutigen Art zu schaffen abwich, war er ein Kind seiner Zeit, jener Zeit der Freude am Nicht-Typischen, am Individuellen, an den Zufälligkeiten in der Gruppierung und dem Aufbau der alten Kunst. Als die Deutsche Kunst zum dritten Male unter dem Eindringen fremden Wesens niederging, in einer Periode, die ihre Ausläufer bis weit ins 19. Jahrhundert erstreckte, da gelang es nicht mehr, dieser fremden Art durch Umgestaltung ins Bodenständige, wie zweimal vorher, Herr zu werden. Jetzt glaubte man nicht mehr, umformen und anpassen, sondern bewußt zurückkehren zu müssen zu einer Zeit, in der die vaterländische Kunst noch unberührt und ursprünglich dastand, zur gotischen. Wohl keiner hat in seiner Zeit dieses Ziel so klar erkannt und diesen Weg so unbeirrt verfolgt wie Schäfer, während rings um ihn her der Formalismus schlimmer wucherte als in der Zeit des Griechentums, aus dessen Banden die Neudeutschen die Baukunst erlösen zu müssen vorgaben. Erkannten sie doch meist nicht einmal das Wesen der gotischen Kunst im Gegensatz zum Romanischen. Indem sie nicht einmal sahen, daß die Entwicklung zur gotischen Bauweise den Sieg des einheimischen Wesens über die Einflüsse einer vergangenen Kultur, über eine Art erster Renaissance römischer Kunstweise darstellt, glaubten sie, nachdem nun einmal der jüngsten Vergangenheit, dem Hellenismus, Valet gesagt war, die historischen Stile wie nach einer Musterkarte benutzen zu können. Der Schatz der Vergangenheit wurde zu einer Requisitenkammer, aus der nach Belieben bald dieses bald jenes Stück hervorgezogen werden konnte. Sind wir nun heute weiter? Zwar, und das ist das Verdienst Schäfers wie keines andern, haben wir gewisse Dinge zurückerobert, die selbstverständlicher Besitz geworden sind. In erster Linie ist es wohl wieder zum allgemeinen Bewußtsein gekommen, daß man einer kunsthistorischen Form zu Liebe ein Haus in der geographischen Lage Deutschlands nicht des Daches berauben dürfe. Auch die materialmäßige Behandlung der Baustoffe ist in erfreulichem Fortschritt begriffen und überall macht sich ein häufig übertriebenes, aber doch nicht zu unterschätzendes Bestreben geltend, an die bodenständige Bauweise der Heimat anzuknüpfen. lm Großen und Ganzen aber beherrscht ein leerer Formalismus noch immer das Feld, nur daß er zur Abwechslung heute sich in das schlichtere Gewand der Zeit »um 1800« zu kleiden sucht. Da dieser Zeit die sachliche, natürliche Gestaltung der Baukörper und der verständige Sinn für das richtige Maß von Schmuck und Ornament eigentümlich war, im erfreulichen Gegensatz zu der hoffentlich bald überwundenen geschmacklosen Spielerei der letztvergangenen Periode, so beginnt man an sie anknüpfend auch wieder die einfachen und wirklich monumentaleren Gestaltungen jener guten alten Zeit in unser heutiges Schaffen zu übernehmen. Wo dies auf der Erkenntnis beruht, daß in dieser überall einfachen, selbstverständlich erscheinenden, typischen Formung der Baukörper das Wesen der guten Architektur überhaupt liegt, ebensowohl der gotischen wie der der letzten Jahrhunderte, daß dies das ewig Gültige ist im Gegensatz zu dem wechselnden, der Mode unterworfenen Spiel der einzelnen Züge im Gesicht der Bauwerke, wird die Wiederanknüpfung an die letzte Epoche guter alter Tradition, nennen wir es ruhig die Biedermeierzeit, ihr Gutes haben und ihres Erfolges sicher sein. Stellt sie aber nur den letzten Ausläufer der Haft durch alle Stile der Vergangenheit dar, der wir im letzten Menschenalter verfallen waren, so werden die erfreulicheren Erscheinungen, die heute an einzelnen Stellen zu verzeichnen sind, schnell wieder vereinzelt dastehen und wir können mit dem sicher bald erwachenden Überdruß an der Formenwelt, die augenblicklich beliebt ist, auch die Wiederauferstehung der Erker- und Türmchenwirtschaft und der Spielerei mit Dachlötungen erleben, die noch nicht lange wenigstens bei den führenden Geistern begraben zu sein scheint. Wir aber, die wir uns mit Stolz seine Schüler oder seiner Schüler Schüler nennen, wir werden am treusten im Sinne des großen Lehrmeisters handeln, wenn wir nach unserem Vermögen dafür Sorge tragen, daß jetzt, zumal wo das Flackerfeuer eines von jeglicher Tradition losgelösten Modernismus verflogen ist, die richtige Erkenntnis und die zeitgemäße Auffassung der Vergangenheit, deren Studium seine erzieherische Wirkung noch lange nicht bis zum Erfolg getan hat, immer allgemeiner wird, zum Segen einer deutschen Baukunst, die sich auf dem Erbe unserer Väter aufbaut und das darstellt, was sich in der Entwicklung der Vergangenheit als richtig und brauchbar für uns erwiesen hat, nicht aus politisch-nationalen Gründen, sondern weil es unserm Klima, unserem Material, unseren Bedürfnissen und unseren wirtschaftlichen Verhältnissen entspricht. Das Herannahen dessen was man Stil nennt, was den Bauwerken das äußere Gepräge ihrer Zeit gibt, der Formensprache, soweit sie sich nicht wie unsere eigentliche Sprache zum größten Teil mit den vorhandenen Elementen der letzten Vergangenheit mit einheitlicher Kultur decken wird, können wir dann ruhig abwarten.