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Autor: Eitelberger von Edelberg, Rudolf
In: Wiener Bauindustrie-Zeitung - 2 (1885); 29. - S. 355 - 356
 
Die sociale Stellung der Architekten
 
*) Wir reproduciren hier, mit specieller Erlaubnis Herrn W.  S p e m a n n' s,  des Verlegers der allgemein beliebten Zeitschrift  "V o m  F e l s  z u m  M e e r"  einen Artikel des jüngst dahingeschiedenen Hofrathes und Professors Rudolf v.  E i t e l b e r g e r,  der bei jeder sich ihm bietenden Gelegenheit um die Standesinteressen der Architekten mit einer Wärme eintrat, für die allein er bei jedem Architekten im besten Angedenken stehen wird. Leider erschienen die im Schlusssatze in Aussicht gestellten reformatorischen Erörterungen nicht mehr, indem die andauernde Krankheit Eitelberger's die Oberhand über seinen strebenden Geist gewann und schliesslich der Tod des grossen Mannes dem ganzen Architektenstande einen warmen Vertheidiger entriss.

D. R.


Kein Satz der Aesthetik und Kunstgeschichte ist weniger anfechtbar, als dass der Architektur die Führerrolle in der bildenden Kunst zusteht. Aber trotzdem ist nichts sicherer, als dass heutigentags die Stellung des Architekten im Bau- und Kunstleben eine unsichere geworden ist. Die sociale Stellung der Architekten ist tief erschüttert und es geht daher durch die Kreise der Architekten, welche gehobenen Sinnes sich ihres grossen Künstlerberufes bewusst sind, ein Zug des Unmuthes über die unsichere, man möchte sagen, demüthigende Stellung, welche von einigen Vertretungskörpern und bureaukratischen Kreisen ihnen zugewiesen wird. Es wird daher niemand Wunder nehmen, wenn gegenwärtig die Frage der socialen Stellung der Architekten Gegenstand eingehender Erörterungen geworden ist und dass im Laufe des verflossenen Winters im österreichischen Museum in Wien von einer Reihe hervorragender Architekten der Monarchie die ungünstigsten Verhältnisse, durch welche die gegenwärtige Generation der Architekten leidet, zur Sprache gekommen sind. Die Wiener Architekten haben allerdings alle Ursache auf die Früchte ihres künstlerischen Wirkens mit Stolz zu blicken und jene Schritte vorzubereiten, welche zur Sicherung ihres Standes im Staate, im gesellschaftlichen Leben nöthig ist. Wer durch Wien, Pest, Prag, Lemberg schreitet, der wird, wenn er wahrheitsgetreu sich ausspricht, nicht anders als das Bekenntniss ablegen können, dass die künstlerische Physiognomie der grossen Städte der Monarchie das Werk jener hervorragenden Baukünstler ist, welche in Wien gelebt und die dortige Kunstschule begründet haben. Unter den Wiener Architekten nehmen Van der Nüll und Siccardsburg, Friedrich Schmidt, Heinrich v. Ferstel, Theophil v. Hansen, Carl v. Hasenauer den ersten Rang ein. Sie haben die Baukünstler gebildet, welche jene Bauten hervorgerufen haben, welche die Zierden von Pest, Prag, Triest, Lemberg und Agram sind. Und trotzdem ist die sociale Stellung eines Architekten in Oesterreich eine unsichere geworden. Es lohnt sich wohl der Mühe den tieferliegenden Ursachen nachzuforschen, welche dieser Erscheinung zu Grunde liegen; denn nicht bloss in Oesterreich wird die Frage der socialen Stellung der Architekten zum Gegenstand der Erörterung in Fachkreisen gemacht. Auch die englischen und französischen Architekten beratene gegenwärtig eingehend jene Fragen, welche die sociale Stellung der Architekten berühren. Können oder sollen die Architekten einen Stand bilden oder sollen sie nur als Individuen, als Einzelkünster betrachtet werden wie die Maler oder die Bildhauer? Oder sollen sie wie Gewerbsleute betrachtet werden, denen gegenüber sie auf gesetzlichen Schutz ihres Standes keinen Anspruch haben? Sollen sie etwa nur als Zeichner, als dienendes Glied jenen Gewerben untergeordnet werden, welche als Bauhandwerke korporative Rechte bereits besitzen? Diese Fragen schweben jetzt auf den Lippen aller Architekten, welche ihres Künstlerberufes bewusst, nicht gewillt sind, ihre Stellung preiszugeben. Denn nicht von heute an datirt der Beruf des Architekten. Niemand hat denselben mit so deutlichen klaren Worten präcisirt, als Vitruv in den zehn Büchern seiner Architektur, welche er dem Kaiser Augustus gewidmet hatte. Im ersten Kapitel seines Werkes sagte er: »Architecti est scientia pluribus disciplinis et variis eruditionibus ornate, cuiusv  j u d i c i o  p r o b a n t u r  o m n i a  q u a e  a b  c e t e r i s  a r t i b u s  p e r f i c i a n t u r  o p e r a.«

Die alten Aegypter haben auch eine deutliche Vorstellung von der Bedeutung der socialen Stellung der Architekten gehabt. Das älteste Künstlerporträt, welches wir überhaupt in der Kunstgeschichte besitzen, ist das Standbild eines ägyptischen Baumeisters. Vitruv hat nur das ausgesprochen, was die ganze Kunstgeschichte bis auf dem heutigen Tag bestätigt, dass durch den Baustil und die Baukunst alle Künste ihre Begründung erhalten. Sie ist, wie ein französischer Schriftsteller sagt, eine ebenso universelle als fundamentale Kunst. Bei dieser bevorzugten Stellung ist es fast unbegreiflich, dass von Seite des Staates nicht alles geschieht, um die Stellung des Architekten im staatlichen und socialen Leben zu sichern. Aber das, was man Staat nennt, ist so komplicirt mit juristischen und bureaukratischen Formen verklausulirt, dass dasjenige, was unzweifelhaftes und klares Ergebniss tausendjährigen Kunstlebens ist, unsicher und zweifelhaft geworden ist. Und so ist es auch ganz zweifelhaft geworden, wer berufen und berechtigt ist, sich Architekt zu nennen. Wenn etwas unsere heutigen krankhaften socialen Zustände bezeichnet, so ist es eben die krankhafte Physiognomie alles dessen, was sich auf Baukunst bezieht. Auf der einen Seite wird über Ueberfüllung des Architektenstandes geklagt, welche die natürliche Folge der Ueberzahl von staatlichen Bildungsanstalten ist, an welchen Architekten gross gezogen werden und auf der andern Seite werden die Künstler, welche in diesen Staatsanstalten gebildet werden, weder vom Staat, noch von der Kirche, noch von der Commune verwendet. Und gerade die hervorragendsten, am meisten künstlerisch veranlagten Architekten werden am wenigsten benützt. Nur der minder begabte Kunstjünger, welcher als selbständiger Künstler sich geltend nicht machen kann, findet in den Staatsbureaus eine kümmerliche Existenz. W e n i g e r  A r c h i t e k t e n  und  b e s s e r e  V e r w e n d u n g  unserer Baukünstler ist dasjenige, was allerorts angestrebt werden muss, um die ungesunden Verhältnisse, unter denen gegenwärtig die Baukunst in ganz Mitteleuropa leidet, zu beseitigen. Wie unklar die jetzigen Vertretungskörper über die Stellung der Architekten im öffentlichen Leben denken, haben die Verhandlungen des österreichischen Reichsrathes über die Gewerbeordnung im verflossenen Winter zur Genüge gezeigt. Was man den Landbaumeistern und den Maurermeistern zugestand, nämlich, dass sie unter gewissen Voraussetzungen zum Bauen berechtigt seien, das wollte man den Architekten, zu deutsch den Baukünstlern, bestreiten und sie zu blossen  B a u z e i c h n e r n  degradiren. Ihre Aufgabe sollte in der Zukunft nur das Zeichnen sein, die Ausführung des Bauens selbst sollte nur denjenigen überlassen sein, welche gewerbemässig das Bauen betreiben, wie Maurermeister, Zimmermeister und Landbaumeister. Dass sich in Wien alles, was bessere und höhere Kunstbildung besitzt, selbstverständlich alle Architekten und Künstler, gegen diese Organisirung der verkehrten Welt sträubt, ist mehr als begreiflich. Da aber nun die Frage gegenwärtig in Fluss gekommen ist und dabei Dinge zur Sprache kommen müssen, welche unsere gänzlich  v e r a l t e t e  O r g a n i s a t i o n  des Stadtbaudienstes betreffen, so wird sich der Anlass noch bieten auf diese weitverzweigte Frage in diesem Organe zurückzukommen.