Es ist
lächerlich - sagen die Weisen im Lande - einen neuen Stil
schaffen zu wollen, ein solcher kann sich nur historisch entwickeln
durch Umbildung der gegebenen Formen. Aber diese Weisheit hat das
Bedürfniss nach einem Neuen nicht zu ersticken vermocht, und
heftiger denn je erhebt sich das Verlangen nach einer neuen
unabhängigen Kunstweise im Ornament und noch mehr in der
Architektur. Es ist kindlich, der Frage nach ihrer Möglichkeit
aus dem Wege gehen zu wollen; und in der That liegen schon verschiedene
Antworten vor, aller philiströsen Weisheit zum Trotz.
Grossherzogin
Luise von Baden. Professor
RUDOLPH MAYER-KARLSRUHE
»Zweckmässigkeit«
ist das grosse Wort, das ein neues Land vor den erstaunten Blicken
heraufbeschwören soll. Baut praktisch, schliesst euch eng den
täglichen Bedürfnissen an, und der ersehnte Stil ist
gefunden. Das ist aber nicht entfernt der Fall. Dass der Architekt in
erster Linie die praktischen Erfordernisse befriedige, ist
selbstverständlich; auch ist ohne weiteres klar, dass diese
Erfordernisse im Verein mit Situation, Umgebung, baupolizeilichen
Bestimmungen etc. von vornherein einen Bau innerhalb gewisser Grenzen
festlegen; aber doch eben nur innerhalb gewisser Grenzen. Die Forderung
der Zweckmässigkeit gibt immer nur das Gerippe des Baues, wie
man das aber ausfüllen will, hängt von anderen
ästhetischen Faktoren ab. Aber Aesthetik ist unbeliebt, und
wie Kinder, die ein Messer fortwarfen, weil sie sich damit verletzt, so
hat man das Wort Schönheit in die Verbannung gejagt, weil man
nichts damit anzufangen wusste und seine wahre Bedeutung verkannte. Und
so musste denn ein anderes Schlagwort her, die Lücke zu decken.
Eitelberger-Medaille.
ST. SCHWARTZ-WIEN
Konstruktiv! Lasst die
Konstruktion sehen, bringt sie zum Ausdruck und alle eure Noth ist zu
Ende. Nun, es ist kein Zweifel, dass die Betonung der Konstruktion
unter Umständen prachtvoll wirkt, aber dass das immer der Fall
sei, muss energisch bestritten werden. Es hat auch noch niemand gewagt,
jede Konstruktion in einem Gebäude frei zu zeigen, gewisse
Dinge versteckt man immer. Es gibt eben Konstruktionen, die
ästhetisch wirksam sind, und solche, die es nicht sind; jene
hebt man heraus, diese nicht. Wir kommen also nicht darüber
hinweg: wer Architektur machen will, muss wissen, was schön
ist. Schön ist Alles, was uns in eine starke lustvolle
Erregung versetzt, ob das nun ein Geruch, eine Speise, eine
Gedankenfolge, ein Thun oder ein Kunstwerk ist, macht dabei
zunächst wenig aus. Der Architekt arbeitet mit Form und Farbe;
von der Farbe will ich hier absehen, der Umfang dieses Aufsatzes ist zu
knapp bemessen, auch ist die formale Seite die wichtigere in unserem
Fall.
Heinz
Heim.
† LUDWIG HABICH-MÜNCHEN
Mit Freude können uns
unendlich verschiedene Formen erfüllen, es ist
lächerlich, von »der« Schönheit
zu reden, es gibt unabsehbar viele: das Heitere, das Erhabene, das
Ernste, das Ruhige, das Energische, das Geschmeidige, das Leichte, das
Feine, das Wilde, das Prächtige, alles hat seine
Schönheit, die von den andern unzähligen scharf
geschieden ist. Aufsteigende Formen erwecken andere Gefühle
als absteigende oder horizontal sich ausbreitende. Den ersten ist Kraft
und Energie eigen, jenen eine gewisse lebendige Leichtigkeit, diesen
Ruhe und Ernst. Der Krümmung wohnt verhaltene Kraft inne, die
gerade Linie hat Schärfe und Raschheit u. s. f. Doch das nur
als Beispiel, eine genauere Besprechung der Formkaraktere ist in dieser
Kürze unmöglich. Jede Form, und es gibt unendlich
viele, erweckt ein anderes Gefühl. Und es kommt nur darauf an,
die verschiedenen Formen, die ein architektonisches Ganze bilden, so zu
gruppiren, dass sie sich gegenseitig in ihrer Gefühlswirkung
steigern. Zu viel gleichartige Formen ermüden, also
Abwechselung; aber allzu starke Kontraste verletzen. Ein schweres Haus,
auf ein kleines Säulchen gestützt, wirkt komisch. Ein
aufgeregt wildes Treppengeländer in einem einfachen ernsten
Treppenhause ist beleidigend. Grosse Wirkung erzielt nur der, welcher
den Gesamt-Karakter (durch die Hauptlinien bestimmt) in den Details
durch viele Nüancen zu führen weiss, die sich
untereinander steigern und immer wieder harmonisch in die Grundstimmung
ausklingen. Die Zahl der Lösungen ist unendlich, unendlich
viele Grundtöne sind möglich, unendlich viele
Nüancenfolgen jedes Mal denkbar. Jeder menschliche Karakter,
jedes Zeitalter kann sich architektonisch aussprechen. Es ist
ausgeschlossen, dass jemals eine Zeit käme, wo die
Möglichkeiten erschöpft wären.
Portrait-Relief HEIN. HAHN-MÜNCHEN
Um diese Behauptung, die den
meisten chimärisch klingen wird, voll zu begreifen, muss man
allerdings eine Vorstellung haben von dem unendlichen Reichthum an
Form-Möglichkeiten und man muss die Macht der Form
über unser Gemüth wirklich an sich selbst
verspürt haben. Wer niemals die Raserei des Formgenusses
gekostet, wer nie vor einer Form, etwa einer Baumwurzel oder der
Biegung eines Blüthenblattes sich selbst und Alles vergass,
der weiss nichts von Formenschönheit und hat kein Recht
über unsere Fragen zu reden.
Bruckner-Plakette TAUTENHÄYN jr.
Ein ausgebildetes verfeinertes
Formgefühl ist die Grundvoraussetzung alles architektonischen
Schaffens, und das kann man nicht intellektuell erlernen; das eifrigste
Studium vergangener Kunstschöpfungen und der Natur
führt zu nichts, ausser man gewöhnt sich daran, jeder
Form gegenüber sich klar zu werden, was einem an ihr
gefällt und was nicht.
Plakette. RUD. BOSSELT-PARIS
Fort mit dem Sehen in Bausch und
Bogen. Seht das Einzelne, Linie für Linie, Fläche
für Fläche, geht den Formen mit dem Auge nach, tastet
sie ab, erlebt sie, geniesst sie, erst dann werdet ihr begreifen was
sie uns sein können. Und seid ehrlich, wagt es zu sagen:
»dies gefällt mir und jenes nicht«, macht
niemals Halt vor einem grossen Namen oder gar vor dem
kläglichen Dogma, dass die Natur nur Schönes bietet.
Das ist eine Lüge.
Plakette. RUD.
BOSSELT-PARIS
Unendliche Schönheiten
birgt sie, aber nur im einzelnen, fast immer vernichtet durch nicht
dazu Gehöriges. Und wollt ihr Schönheit erfassen
lernen, so müssen eure Augen so fein werden, dass ihr ohne
weiteres das Schöne auch im kleinsten Detail
herausfühlt, und das Störende ausscheidet. Urtheilt,
sagt eure Meinung, es ist besser ihr irrt in Ehrlichkeit, als dass ihr
feige Anderen grosse Worte nachbetet, von denen euer Herz nichts weiss.
Lasst euch ruhig anmassend und arrogant schelten, wenn ihr alte
Berühmtheiten tadelt. Ihr sollt tadeln, sollt hassen, denn nur
so lernt ihr lieben, lernt ihr mit ganzer Seele fühlen. Dann
kommt ihr auch eines Tages dazu, die Qualitäten eines
Vergangenen zu schätzen, der euch erst abstiess. Aber euer
Urtheil wird dann gerechter sein, als das der Feiglinge, der
Jünglingsgreise, die schon in früher Jugend klug das
Richtige zu sagen wissen - aus Büchern, aber denen das
Schöne niemals ein Lebendiges wird. Seht, seht mit der ganzen
Kraft eurer Seele, lügt euch nie etwas vor, lauscht euren
Gefühlen , unterdrückt sie nicht, sie sind euer
köstliches Gut. Pflegt sie, bildet sie aus und ihr habt die
Welt gewonnen, die Formen sprechen zu euch und die Kunst ist euer!
Plakette.
RUD. BOSSELT-PARIS
Plakette. RUD.
BOSSELT-PARIS
Formgefühl ist die
Grundvoraussetzung für den Geniessenden und den Schaffenden,
aber der Schaffende braucht mehr. Seine Phantasie muss so voll von
Formen sein, dass sie ihm mühelos für einen
bestimmten Zweck in Fülle zuströmen, aus denen er
wählt, aus denen er formale Gebilde gestaltet. Denn formale
Gebilde
sind das Ziel aller dekorativen Kunst, nicht aber stilisirte Pflanzen
und Thiere. Entwickelt frei aus den Formen, setzt Linie an Linie,
Fläche an Fläche, je nach dem Karakter, den ihr
erzielen wollt. Freilich das Produkt wird dabei immer, falls es von
einem Punkte aus sich entwickelt, einen pflanzlichen, falls es kompakt
in sich geschlossen ist, einen thierischen Karakter zu haben scheinen,
denn unsere Vorstellungen »Pflanze«,
»Thier« enthält formal genommen eben
weiter keine Bestimmungen. Und so kommt es, dass Gebilde, die
zoologisch in gar keiner Beziehung thierisch, ja direkt
unmöglich sind, ohne weiteres als Thiere angesehen werden, die
man nur nicht kennt.
Plakette. RUD.
BOSSELT-PARIS
Anders steht es mit Formen, die
sich aus mehreren Punkten zugleich entwickeln: etwa ein
Kapitäl, das 4 Symmetrieaxen hat, oder eine
Thür-Umrahmung, die aus zwei Punkten ansteigt und dann in eins
verschmilzt. Hier hört der pflanzliche oder thierische
Karakter des Gebildes auf u. hier zeigt sich, ob man wirklich
Formkünstler ist, oder nur Naturformen auf einfachere Linien
reduziren kann. Daher kommt es auch, dass der Naturalist und der nur
Stilisirende im Kunstgewerbe ganz hübsche Sachen zustande
bringt, an architektonischen Aufgaben aber unbedingt scheitert. Der
Architekt muss Formkünstler sein, nur durch die reine
Formkunst führt der Weg zu einer neuen Architektur. Wir haben
nun noch sehr wenige Werke reiner Formkunst, d. h. formale Gebilde, die
nichts sind und nichts bedeuten, die direkt ohne jede intellektuelle
Vermittelung auf uns wirken, wie die Töne der Musik. Diese
Wirkungsweise, diese neue Kunst ist fast unbekannt und das wenige, das
existirt, wird meist mit einem Achselzucken abgethan und darum kann uns
der heutige Zustand unserer Baukunst nicht gerade wundernehmen. - Also
Formkünstler soll der Architekt in erster Linie sein; aber
nicht beliebige Formen sind sein Ziel, sondern Formen, die zugleich
einem bestimmten Zwecke dienen. Es handelt sich um die Schaffung von
Wohnräumen, oder Innenräumen überhaupt. Und
damit ist durch technische und pekuniäre Gründe die
Bevorzugung der graden Linie und der Ebene, sowie der senkrechten und
horizontalen Richtung gegeben. Aber auch ästhetisch ist diese
Bevorzugung bedingt, denn man könnte Gebilde beliebiger
Gestalt in reich bewegten unregelmässigen Formen bei der
geforderten Grösse nur aus weiter Ferne und auch da nur
unvollkommen geniessen. Den Linien einer lebensgrossen Statue kann man
leicht folgen, dieselbe Figur von der Höhe eines Hauses
würde für uns zum grössten Theil
völlig unbekannt bleiben. Das eigentlich Plastische wirkt
überhaupt nur in der nächsten Nähe, schon
auf 20 Meter Entfernung sind komplizirtere räumliche Formen
nicht mehr wirksam, weil der Ueberschneidungen zu viele werden und auch
nicht mehr jede Bewegung des Kopfes uns eine neue Ansicht liefert wie
es beim Nahesehen der Fall ist. Man sieht, auch ästhetisch ist
im allgemeinen bei so grossen Gebilden ein Bevorzugen der Ebene und
zwar der unserer Netzhaut parallelen Ebene erfordert, und ein Abweichen
derselben nur gestattet, sofern sich die Formen auf einer Ebene
abbilden lassen, ohne das ästhetisch wirksame Theile verloren
gehen.
»IN
LABORE HONOS«. RUD.
BOSSELT-PARIS
Getriebenes
Relief. RUD. BOSSELT-PARIS
Nun ist aber diese
Beschränkung kein Hinderniss für die Wirkung, denn
aus geraden Linien lassen sich unzählige ebene Gebilde
zusammensetzen. Einfache Rechtecke weisen alle möglichen
Karaktere auf, je nach dem Verhältniss ihrer Seiten und ob die
längere Seite horizontal oder vertikal liegt. Und ebenso
können einfach rechteckige Räume zahllos verschiedene
Karaktere haben je nach dem Verhältniss von Länge,
Breite und Höhe. An Wirkungsmöglichkeiten fehlt es
also nicht, nur muss man sich klar sein über das zu
erreichende Ziel. - In erster Linie will man in einem Hause wohnen; wir
lieben die Abwechselung und sehen es nicht gern, wenn alle
Räume gleichartig sind: das Schlafzimmer soll anders aussehen
als das Esszimmer, dieses anders als das Wohnzimmer u. s. f. Das kann
natürlich auch durch die Einrichtung erreicht werden, aber es
ist gut, wenn der Architekt vorarbeitet, man erzielt reichere Wirkung
mit einfacheren Mitteln. Das ist der Ausgangspunkt: es gilt diesen
Karakter der einzelnen Zimmer zum Ausdruck zu bringen, einmal durch die
Raum-Verhältnisse und dann durch die Beleuchtung, die
Anordnung der Fenster. Es verändert den Eindruck eines Raumes
vollständig, wenn ich die Fenster-Oeffnungen niedrig und
breit, oder hoch und schmal mache, wenn ich sie zu einer grossen
Lichtquelle vereine, oder viele kleine neben einander anordne, ob ich
die Fenster nahe bis an die Decke stossen lasse, oder tief mit ihnen
heruntergehe. Jedesmal bekomme ich anders geartetes Licht und damit
einen anderen Karakter: Ein weiteres Wirkungsmittel liegt in der
Theilung der Fenster, Lage der Fensterkreuze, dann in der Anordnung der
Thüren, ihr Verhältniss zur Wand, ihre Höhe,
ihre Breite, die Breite der Umrahmung, die Anordnung der
Füllungen. Eine geringfügige Verschiebung macht hier
unendlich viel, und es ist möglich, bei den einfachsten
Mitteln wenn auch nicht prächtige so doch bestimmte
karakteristische Wirkungen zu erzielen, freilich gehört dazu
ein absolut sicheres Formgefühl, dem die geringsten
Nüancen nicht entgehen.
Mozart-Medaille. A.
SCHARFF-WIEN
Szilacyi-Medaille.
A. SCHARFF-WIEN
Es kommt nun weiter darauf an die
verschiedenartigen Räume gut mit einander in Verbindung zu
setzen, auf die Folge der Karaktere Bedacht zu nehmen und erst, wenn
das alles durchdacht ist - ich übergehe hier alle technischen
Fragen, die natürlich dabei überall eine Rolle
spielen - erst dann kann an die Gestaltung der Fassade gedacht werden.
Die Fenster und sonstigen Oeffnungen sind gegeben. Es kann sich jetzt
nur darum handeln dieselben zu verschieben, ohne den Karakter der
Innenräume zu verschlechtern, bis man auch aussen eine
karakteristische Gesammtwirkung hat. Ich sehe hier von aller Dekoration
vorläufig ab. Es ist möglich bei ganz einfachen
Mauern allein durch die nackten Fenster mit ihren Theilungen, durch die
Linien des Daches, der Schornsteine, von jeder malerischen Anordnung
abgesehen, kurz nur durch die Linien des absolut Nothwendigen eine
ästhetisch werthvolle Wirkung zu erzielen, und zwar ohne
Aermlichkeit. Verschiedenartige Verhältnisse der Fenster
erlauben eine gewisse Abwechselung in der Wirkung, und es kommt darauf
an, diese Wirkung zu steigern, einen Mittelpunkt zu schaffen, in dem
der Gesammteindruck seinen Höhepunkt findet. Eine solche ganz
nackte Fassade wirksam zu gestalten, sie majestätisch oder
heiter, kraftvoll oder zart, reich oder streng zu formen, das ist der
wahre Prüfstein des Architekten; wer das nicht kann, mag die
Unreifen durch Verzierungen über die Hohlheit seiner
Empfindungen wegtäuschen, die stark Empfindenden wird er nicht
überzeugen.
Pavery-Medaille.
A. SCHARFF-WIEN
Grossherzog
Friedrich von Baden. Professor
RUDOLPH MAYER-KARLSRUHE
»St.
Barbara«. Prof.
RUD. MAYER-KARLSRUHE
Das Ornament gibt dem Architekten
die Möglichkeit grösseren Reichthums, die
Möglichkeit den Grundkarakter durch eine Reihe von
Nüancen zu beleben, aber es setzt ihn auch in den Stand,
Härten zu beseitigen und auf kleineren Flächen
Wirkungen zu erzielen, die ohne Ornament nur mit grosser
Raumverschwendung möglich sind. Ein Beispiel. Ein schmaler
Pfeiler, der eine breite Oeffnung theilt, darüber ein Fenster
ohne Theilung. Arbeite ich ohne Ornament, so fordert die energische
Heftigkeit des Pfeilers ein breites Stück Mauer
darüber, um die stürmische Bewegung zu
dämpfen und die Ruhe der oberen Fensterbrüstung nicht
zu verderben, das Fenster muss also ziemlich hoch zu liegen kommen. Ein
Kapitäl, das den heftigen Karakter des Pfeilers mildert, ein
paar Linien, die das Mauerstück beleben, die rasche Bewegung
des Pfeilers seitlich weiter führen, und ich kann ohne
Bedenken die Brüstung des Fensters viel tiefer legen, ja
vielleicht einen Balkon anlegen.
Lustre-Tapete.
FRANZ FISCHER & SOHN-MÜNCHEN
Unter allen Umständen
aber hat sich das Ornament der Grundwirkung anzuschliessen. Es soll
dieselbe bereichern und erhöhen, aber immer bleibt es der
Theil eines Ganzen und darf nicht als Einzelnes wirken. Darum ist es
sinnlos, einen Pilaster mit so kleinem Ornament zu bedecken, das erst
aus nächster Nähe erkennbar ist. Mag es noch so
schön sein, architektonisch ist es verfehlt. Eine
Säule, die nur für sich betrachtet wirkt, ist allemal
ein Unding. Das Ornament muss zu gleicher Zeit mit der ganzen
Fläche wirken, zu der es gehört, und desshalb soll es
dieser Fläche entsprechen, ihren Karakter verschönt
und bereichert zur Geltung bringen. Ein Pilaster - ein Ornament, eine
Decke - eine Verzierung, eine Wand - ein Fries. Nicht aber erst
Zerlegung der gegebenen Flächen in kleine Stücke und
dann gemüthvolles Einzelverzieren. Damit ist die
ursprüngliche Fläche zerstört. Die Kunst ist
eben, mit jeder Art Fläche fertig zu werden und die Formkunst
bietet dazu reichliche Möglichkeit. Menschliche Figuren sind
allerdings ungeeignet, denn die haben feste Proportionen und passen in
den wenigsten Fällen. Freie Formen brauchen wir. Eine
aufsteigende Fläche - eine aufsteigende Form u. s. f. Und wenn
irgend möglich an jeder Stelle ein Neues. Wiederholung sollte
man eigentlich nur gelten lassen an symmetrischen Stellen, und wenn es
irgend angeht, sie auch dort vermeiden; sonst ist es immer ein
Armuthszeugniss. Leider erlaubt die Rücksicht auf die Kosten
kein freies Arbeiten, und so muss man namentlich bei fortlaufenden
Verzierungen unter Simsen und unter der Decke zu Wiederholungen
greifen. Jedenfalls sollte man auch dann die bevorzugten Punkte, Ecken,
Treppen-Biegungen etc. für sich behandeln. Immerhin ist die
Wiederholung in der Horizontalen erträglich, weil der Karakter
des Horizontalen gleichmässige Ruhe ist, eine Wiederholung in
der Senkrechten, der Richtung intensivster sich steigernder
Kraftanspannung ist unter allen Umständen verwerflich, denn
man erwartet hier ein Geschehen, ein Crescendo oder Decrescendo. Darum
ist die übliche Tapete ein Gräuel, der um jeden Preis
vernichtet werden muss, leider wird er durch praktische
Rücksichten stark gestützt. Unter gar keinen
Umständen aber darf ein Ornament als blosse Tonwirkung
verwendet werden; will man eine Fläche beleben ohne
Hervorhebung bestimmter Punkte, so muss man ihr Struktur geben, durch
Flecken, Körnigkeit oder dergl. Auch hier endlose
Möglichkeiten der reizvollsten Effekte.
Ingrain-Tapete.
FRANZ FISCHER & SOHN-MÜNCHEN
Was ist mit all dem gewonnen? Was
ist das Neue? Sind das nicht alles altbekannte Sachen? Gewiss, man
kennt das meiste seit langer Zeit, und es ist nicht schwierig
vielleicht das Ganze auf alte Formeln zu bringen. Aber damit
wäre sein Sinn nicht erschöpft. Wird die neue
Architektur sich von der alten wesentlich und prinzipiell
unterscheiden? Unbedingt. Wir haben unter den alten Meistern, zumal
unter den Barockkünstlern Leute von unerhörtem
Raumgefühl, wir besitzen köstliche Kapitäle
aus romanischer Zeit und haben auch sonst Beispiele genug stupender
Formenschönheit. Eines aber geht durch die ganze alte Baukunst
hindurch: das intellektuelle Lernen vom Vorgänger, das
gläubige Herübernehmen bestimmter Formen und
Verhältnisse, das Gebundensein durch die Schule, man erfindet
nicht frei, weil sich niemand von den Dogmen losmachen kann. Man denke
an Michelangelo, der erklärte, sich um niemanden zu
kümmern und der doch in seinem architektonischen Schaffen
nicht in Wirklichkeit unabhängig wurde. Die Hauptformen sind
bei ihm immer aus dem Ueberlieferten entwickelt. Nur seine Profile sind
wirklich sein eigen. Und wer diese Profile kennt und sie betastet hat,
kann ermessen, was entstanden wäre, wenn dieser Geist frei
hätte schaffen können. Das Dogma von den
Säulen-Ordnungen hat lange genug auf uns gelastet. Die
übertriebene angelernte Verehrung vor der Vergangenheit
hindert noch immer das selbständige Urtheil. Wann werden wir
anfangen diese berühmten Kapitäle zu hassen und
begreifen, dass sie kalt, nüchtern und langweilig sind.
Gewiss, wir haben jonische Kapitäle von entzückender
Ausführung im Einzelnen, aber die Wirkung des Ganzen ist immer
dieselbe, ohne Stärke, Wärme sei, sagen uns nichts
und vermögen uns nicht zu begeistern. Das wird vielen eine
frevelhafte Behauptung scheinen, eine freche Verhöhnung der
einzig wahren Schönheit. Und man wird uns das alte Wort
entgegenrufen: »Macht es doch besser!« mit dem
liebenswürdigem Hintergedanken: »natürlich
könnt ihr das nicht, jedenfalls nicht vor unserm
Richterstuhl!« Nun hat aber das Besser-Machen-Können
mit ästhetischem Urtheil nicht das mindeste zu thun; eine
schlechte Arbeit wird nicht gut, dadurch, dass keine bessere existirt
und wir bedürfen rücksichtsloser Klarheit
über die Leistungen der Vergangenheit, um die neuen Ziele und
Aufgaben scharf und bestimmt formuliren zu können.
Ingrain-Tapete.
FRANZ FISCHER & SOHN-MÜNCHEN
Ingrain
-Tapete.
Ausgeführt von FRANZ FISCHER & SOHN-MÜNCHEN
Möglich, vielleicht
wahrscheinlich, dass dieser Generation die glückliche
Verwirklichung unserer Ideen nicht beschieden ist. Das kann aber nicht
abhalten, für diese Ideen Propaganda zu machen, sie zu
verbreiten, so dass jedes Talent, das irgendwo heranwächst,
sich wenigstens prinzipielle Klarheit verschaffen kann, und nicht erst
mit theoretischen Grübeleien unnütze Zeit verliert.
Wir sind ja nun einmal so intellektuell und bewusst geworden, dass wir
wissen müssen, worauf es ankommt. Naives Schaffen ist heute
garnicht mehr denkbar. Und es ist noch sehr zweifelhaft, ob es das
überhaupt jemals gegeben hat. Natürlich entsteht
Kunst niemals intellektuell, sondern rein durch die Phantasie, aber die
ästhetische Schulung ist nöthig, damit nicht
thörichte Einwände, kunsthistorische Dogmen und
Vorurtheile den beginnenden Künstler irre machen. Wir brauchen
den Intellekt, um die Phantasie frei sich entwickeln zu lassen. Darauf
geht ja all unser Bestreben: der Phantasie freie Bahn, das Ziel klar
zeigen und zu gleicher Zeit Beseitigung aller Dogmen, freie Formen ohne
jede Tradition, Formen, die aus der Seele des Einzelnen aufsteigen und
darum seine Formen, seine Geschöpfe sind.
Wettbewerb I: Tapetenentwurf. - I.
Preis Lösung A
Lösung B. Frau MARG.VON
BRAUCHITSCH-HALLE A. S.
Wettbewerb
I.: Tapeten-Entwurf. II. Preis. AUG. SIEDLE-BERLIN
Lobende
Erwähnung. Motto: »Berlin«
III.
Preis. H. R. HENTSCHEL-CÖLLN A. D. ELBE
Natürlich wird es an
Missglücktem und Thörichtem nicht fehlen. Aber
individuelle Thorheit ist immer besser, als nachgeahmte
Banalität. Wir brauchen Zeit, uns zu entwickeln; die neue
Bewegung muss breiter werden, damit der Ansporn für den
Einzelnen grösser ist und die Basis der Erfahrung sich
verbreitert. Denn man braucht Erfahrung, man muss die Wirkung neuer
Formen erst kennen lernen, erst am Fertigen sieht man den
Gesammt-Eindruck, erst an dem vollendeten Gebäude kann man das
wirklich Werthvolle erkennen. Darum darf man auch von der
nächsten Zeit keine grossen und kollossalen Dinge erwarten.
Mit Kleinem muss angefangen werden, dort muss die Sicherheit in der
Beherrschung der neuen Mittel gewonnen werden. Ausserdem darf man nicht
vergessen, dass natürlich die Zahl der Auftraggeber, die es
mit dem Neuen probiren, noch sehr gering ist, und gerade diese zumeist
nur über beschränkte Mittel verfügen. Schon
desshalb ist es zunächst unmöglich, Prunkvolles und
Reiches zu geben. Aber das schadet nichts. Wenn man uns nur
überhaupt Aufgaben stellt. Es lassen sich eben auch mit
geringen Mitteln schöne und eigenartige Sachen machen, wenn
man auf hohle Prahlerei verzichtet und sich an den intimen Wirkungen
einfacher Formen genügen lässt.
AUGUST
ENDELL; MÜNCHEN
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